Partizipation:
Widerstand versus Chancen in der pädagogischen Arbeit mit traumatisierten Kindern und Jugendlichen
Vortrag von Margarete Udolf
Fachtag 8.11.2012
Definition von Trauma
seelische Verletzung ein oder mehrere lebensbedrohliche Ereignisse extreme Gefühle von Angst, Hilflosigkeit und
Ohnmacht Bewältigungsmechanismen überfordert völliger Kontrollverlust Opfer oder ZeugIn führt zur Erschütterung des Selbst- und
Weltverständnisses langanhaltende Belastungsreaktionen möglich
Fachtag "Beteilige mich und ich werde verstehen" 8.11.2012
Trauma und Dissoziation
Dissoziation = Überlebensstrategie in traumatisierenden
Situationen
hilft Situationen auszuhalten, die nicht aushaltbar sind Veränderung des Wahrnehmen, Fühlen und Erleben Vergleichbar Trancezustand „sich wegbeamen“
→ Traumafolgesymptom
Fachtag "Beteilige mich und ich werde verstehen" 8.11.2012
Traumatisierte Kinder und Jugendliche in der stationären Kinder- u. Jugendhilfe
75% der befragten Kinder und Jugendlichen berichten über ein oder mehrere traumatische Ereignisse(M. Schmid, D. Wiesinger, C. Jaritz 2008).
Zahlen decken sich mit denen britischer und amerikanischer Studien, die jeweils zwischen 60% und 80% liegen
(Meltzer et al. 2003) (Burns et al. 2004)
Fachtag "Beteilige mich und ich werde verstehen" 8.11.2012
Trauma durch Misshandlung
Misshandelte Kinder und Jugendlichen sind in einer Welt aufgewachsen, die sie nicht einschätzen, nicht beeinflussen und nicht verstehen konnten
sie wurden wie Objekte behandelt und waren hilflos ausgeliefert
ihre Bedürfnisse, Befindlichkeiten und Wünsche wurden nicht beachtet
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Trauma durch Misshandlung
betroffene Mädchen und Jungen haben sich taub, stumm, gefühllos und unsichtbar machen müssen
sie haben wenig bis keine Erfahrung, etwas selbst bewirken zu können
sie verfügen nur über ein geringes Selbstwertgefühl
sie haben Schwierigkeiten, für sich selbst aufzutreten aufgrund der verfestigten erlernten Hilflosigkeit
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Neurobiologie I
Art und Weise der Verschaltungen zwischen den Nervenzellen im zentralen Nervensystem, die das Denken, Fühlen und Handeln bestimmen, ist abhängig davon, wie die Verschaltungen genutzt werden
Manche der Nervenwege entwickeln sich zu breiten Straßen oder regelrechten “Datenautobahnen”
Verschaltungen, die nicht genutzt werden verkümmern Fachtag "Beteilige mich und ich werde verstehen"
8.11.2012
Neurobiologie II
„Unkontrollierbarer Stress“ und Überflutung mit Stresshormonen in traumatischen Situationen führt zu Beeinträchtigung der Entwicklung von neuronalen Verschaltungen
Korrekte Einordnung und Verarbeitung der eingehenden Informationen ist nicht mehr möglich: sie finden nur im begrenzten Rahmen der „Datenautobahnen“ statt
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Neurobiologie III
Spiegelneurone Resonanzsystem im Gehirn, das auf Gefühle,
Stimmungen und Handlungen anderer Menschen reagiert → neurobiologische Grundlage für Intuition, Mitgefühl und soziales Lernen und Handeln
Konstruktive sowie zerstörerische Modelle werden ohne unser bewusstes Zutun verinnerlicht und von den Spiegelneuronen in unserem Gehirn hinterlegt → misshandelte Kinder und Jugendliche speichern negative Verhaltensweisen, auch durch Beobachten der TäterInnen. Fachtag "Beteilige mich und ich werde verstehen"
8.11.2012
„Widersacher“ der Partizipation Überanpassung
durch übermäßiges Angepasst-Sein, durch blinden, ggf. vorauseilenden Gehorsam sollen die stets als bedrohlich erlebten Erwachsenen beschwichtigt und eigene Ängste reduziert werden
Totstell-Reflex
Völliges Erstarren, nicht mehr Mucksen beim kleinsten Anflug von Gefahr
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„Widersacher“ der Partizipation
Identifikation mit dem Aggressor
Aggressives und zerstörerisches Verhalten, um abzuschrecken und stark zu erscheinen, in der Hoffnung, dass "Wenn ich nie wieder schwach bin, kann mir keiner mehr was tun!“
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„Widersacher“ der Partizipation
Dissoziation kann zu räumlicher und zeitlicher
Desorientierung und Erinnerungslücken führen verursacht Probleme mit dem Ausfüllen der
sozialen Rolle in Drucksituationen kann zu Regelbrüchen führen
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„Widersacher“ der Partizipation
Parentifizierung Fachbegriff für eine Störung der Eltern-Kind-
Beziehung (Bindungsstörung) im Sinne einer Verschiebung der Generationsebenen = Rollenumkehr zwischen Eltern und Kind
Eltern erfüllen ihre Elternfunktion unzureichend oder gar nicht und weisendem Kind eine nicht kindgerechte, überfordernde "Eltern-Rolle" zu
betrifft vor allem bedürftige Eltern mit unverarbeiteten eigenen Problematiken (z.B. psychisch kranke, komplex traumatisierte und suchtkranke Eltern)
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„Widersacher“ der Partizipation
Parentifizierung stört die gesunde Autonomiebildung und
Ablösung des Kindes massiv betroffene Mädchen u. Jungen lernen, die
Bedürfnisse anderer an die erste Stelle zu setzten und gleichzeitig eigene Bedürfnisse zu verleugnen, zu verdrängen bzw. gar nicht mehr wahrzunehmen
nicht realitätsangepasste Anforderungen an sich selbst, Pendeln zwischen dem Gefühl der Macht und der Angst vor dem Versagen
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„Widersacher“ der Partizipation
Not-Autonomie Funktion: Schutz vor zu nahen Beziehungen keine Bindung mehr eingehen wollen, d.h. nie
wieder abhängig sein wollen Schwierigkeit, Hilfe anzunehmen oder
anzufordern, zwanghaftes Fürsorgeverhalten, die Flucht in Alkohol und Drogen und Kommunikationsdefizite
Probleme mit der Ablösung vom Elternhaus in der Adoleszenz
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„Widersacher“ der Partizipation
Erlernte Hilflosigkeit - learned helplessness depression (M. Seligman, S. Maier)
Die Einstellung, keine Kontrolle zu haben = hilflos zu sein
entsteht aufgrund von negativen Erfahrungen der Hilf- oder Machtlosigkeit z.B. durch Verlust oder Gewalt
führt zur Einengung des Verhaltensrepertoires: Betroffene versuchen nicht, negative Zustände zu verändern, obwohl sie es (von außen betrachtet) könnten
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Trauma versus Partizipation
Ohnmacht Selbstwirksamkeit
Überwältigung Bewältigung
Kontrollverlust Kontrolle
Manipulation Selbstbestimmung
Sprachlosigkeit Mitsprache
Unüberschaubarkeit Transparenz
Isolation Kontakt
Geheimnis Offenheit
Entwürdigung Würde
Respektlosigkeit Respekt
Gewalt Gewaltlosigkeit
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Trauma versus Partizipation
Partizipation ist die Korrekturerfahrung
für Trauma!
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Partizipatorische GrundhaltungPartizipation als pädagogische Grundhaltung der Fachkräfte!
Ausgangsbasis der Beziehungsgestaltung zwischen Fachkräften und Betreuten
besonderes Menschenbild: Kinder und Jugendlichen sind Erwachsenen prinzipiell gleichgestellt
stellt die Fachkräfte vor Herausforderungen…
Fachtag "Beteilige mich und ich werde verstehen" 8.11.2012
Partizipatorische GrundhaltungPartizipation als pädagogische Grundhaltung der Einrichtung!
Nicht nur Kinder und Jugendliche sollen sich an die Einrichtung anpassen – die Institution unternimmt Anspassungsleistungen an das Individuum
Die gesamte Einrichtung denkt konsequent von den Interessen der Mädchen und Jungen aus
stellt die Einrichtung vor Herausforderungen…
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Was tun?Hinweise für die partizipative Arbeit mit Traumatisierten
Traumabezogene Erwartungen und lebensfeindliche Normen der Mädchen und Jungen sollen in Einzel- und Gruppenarbeit korrigiert werden
Selbstwertgefühl Traumatisierter soll gefördert und ihrer chronischen Entmutigung entgegengewirkt werden
Heimliche Entscheidungs- und Gewaltstrukturen unter den Kindern und Jugendlichen sollen offen gelegt und reflektiert werden
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Was tun?
Überlebensleistungen, Ressourcen, stärken und Perspektiven spielen eine immer größere Rolle für die alltägliche Arbeit
„Widersacher“ können durch Aufbau von Selbstwahrnehmung und Achtsamkeit besänftigt werden
Stabilisierende und lösungsorientierte Methoden, korrigierende Beziehungserfahrungen und Empowerment prägen die Handlungsspielräume
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Was tun?
Traumapädagogische Standards für stationäre Einrichtungen formuliert von der BAG Traumapädagogik 2011:
„Strukturen und Ansätze schaffen, die dem jeweiligen Entwicklungstand entsprechend die höchst mögliche Teilhabe gewährleisten“
Fachtag "Beteilige mich und ich werde verstehen" 8.11.2012
Was tun?
Tatsächlicher Entwicklungsstand und aktuelle Stabilität der Mädchen und Jungen werden im Alltag berücksichtigt
Rückfälle, lange Dauer und nicht beendete Projekte werden nicht als Niederlage sondern eher als diagnostische Informationen über die Beteiligten bewertet
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Stufen der Partizipation
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Nicht-InformationManipulation
Information
Mitsprache
Mitbestimmung
Mitwirkung
Was tun?
Selbstwahrnehmung Selbstreflexion Selbstwirksamkeit = subjektive Gewissheit, neue
oder schwierige Anforderungssituationen aufgrund eigener Kompetenz bewältigen zu können. Dabei geht es um Anforderungen, die Investition von Anstrengung und Ausdauer voraussetzen
Je schwächer die Selbstwirksamkeitsüberzeugungen desto ausgeprägter die Angst – und umgekehrt!Fachtag "Beteilige mich und ich werde verstehen"
8.11.2012
Ein guter Anfang…
Partizipation beginnt am ersten Tag nach der Aufnahme in die Einrichtung!
Analyse des Hilfeplans: festgehaltene Ziele sollen mit den Mädchen und Jungen im einzelnen nach dem Gesichtspunkt „wie wollen wir das erreichen?“ besprochen werden
Fachtag "Beteilige mich und ich werde verstehen" 8.11.2012
Ein guter Anfang…
Notwendig Ein zeitnaher Infofluss im Team sowie geregelter Austausch mit
beteiligten Helferinnen, um Rückfälle der Kinder und Jugendlichen in alte Verhaltensmuster strukturell zu minimieren
Mädchen und Jungen sollen rechtzeitig (d.h. mit einem Zeitpuffer für die innere Vorbereitung) über anstehendes informiert werden
→ dies baut allmählich das Gefühl ab, der Willkür
Erwachsener ausgeliefert zu sein
Fachtag "Beteilige mich und ich werde verstehen" 8.11.2012
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
Den Vortrag finden Sie auf der Internetseite
www. alten-eichen.de
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