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Der Klimawandel ist einer der Hauptgründe für den prognostizierten weiteren Rückgang der weltweiten Biodiversität. Im Rahmen der Natio-nalen Strategie zur Biologischen Vielfalt hat sich Deutschland daher zum Ziel gesetzt, die Auswirkungen des Klimawandels auf die biologische Vielfalt zu minimieren. Bereits heute können vielfältige klimainduzierte Veränderungen in der Ausbreitung und im Verhalten von Tier- und Pflanzenarten festgestellt werden. Vor allem Arten, die an kältere und feuchtere Bedingungen angepasst sind, und insbesondere spezialisierte Arten mit geringer Standorttoleranz sind durch Klimawandel gefährdet. Umgekehrt können sich Verbreitungsareale von Wärme liebenden Arten nach Deutschland hinein ausdehnen. Im Hinblick auf die zu erwartenden Auswirkungen des Klimawandels werden voraussichtlich Anpassungen und veränderte Schwerpunktsetzungen im Artenschutz notwendig wer-den.

Im Rahmen eines vom Bundesamt für Naturschutz (BfN) beauftragten F+E-Vorhabens wurden Perspektiven und Strategien für den Artenschutz in Deutschland unter dem Einfluss des Klimawandels ermittelt und analysiert. Ein Schwerpunkt lag auf der Synthese der in den letzten 10 Jahren durch das BfN durchgeführten Ufoplan-Vorhaben, in denen spezifische Fragestellungen zu den Auswirkungen des Klimawandels auf Pflanzen- und Tierarten mithilfe von Modellierungen, Klimasensitivitäts-analysen und Untersuchungen zur Anpassungskapazität bearbeitet wurden. Zusätzlich wurden Publikationen und Vorschläge Dritter zum Themenbereich recherchiert und in die Betrachtung und Analyse ein-bezogen.

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Artenschutz unter Klimawandel:Perspektiven für ein zukunftsfähigesHandlungskonzeptMerle Streitberger, Werner Ackermann, Thomas Fartmann,Giulia Kriegel, Anne Ruff, Sandra Balzer und Stefan Nehring

147Naturschutz und Biologische Vielfalt

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Naturschutz und Biologische VielfaltHeft 147

Bundesamt für NaturschutzBonn - Bad Godesberg 2016

Artenschutz unter Klimawandel:Perspektiven für ein

zukunftsfähiges Handlungskonzept

Ergebnisse des F+E-Vorhabens (FKZ 3513 86 0800)

Merle StreitbergerWerner AckermannThomas Fartmann

Giulia KriegelAnne Ruff

Sandra BalzerStefan Nehring

unter Mitarbeit vonLaura Farbacher, Steffen Kämpfer, Thorsten Münsch

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Titelfotos: oben links: Berg-Mähwiese im Hochsauerland; oben rechts: langer Landschaftsgradient in der Prignitz; unten links: Goldener Scheckenfalter (Euphydryas aurinia); unten rechts: Europäischer Frauenschuh (Cypripedium calceolus). Alle Fotos © T. Fartmann.

Adressen der Autorinnen und Autoren:Merle Streitberger Institut für Landschaftsökologie, Universität Münster

Heisenbergstraße 2, 48149 MünsterE-Mail: [email protected]

PD Dr. Thomas Fartmann Abteilung für Ökologie, Universität Osnabrück,Barbarastraße 11, 49076 OsnabrückE-Mail: [email protected]

Werner Ackermann PAN Planungsbüro für angewandten Naturschutz GmbH,Giulia Kriegel Rosenkavalierplatz 10, 81925 MünchenAnne Ruff E-Mail: [email protected]

[email protected]. Sandra Balzer Bundesamt für Naturschutz, Konstantinstr. 110, 53179 BonnDr. Stefan Nehring E-Mail: [email protected]

[email protected]

Fachbetreuung im BfN:Dr. Stefan Nehring Fachgebiet II 1.1 „Zoologischer Artenschutz“

Diese Veröffentlichung wird aufgenommen in die Literaturdatenbank DNL-online (www.dnl-online.de).

Institutioneller Herausgeber: Bundesamt für Naturschutz (BfN) Konstantinstr. 110, 53179 Bonn URL: www.bfn.de

Der institutionelle Herausgeber übernimmt keine Gewähr für die Richtigkeit, die Genauigkeit und Vollständigkeit der Angaben sowie für die Beachtung privater Rechte Dritter. Die in den Beiträgen geäußerten Ansichten und Meinungen müssen nicht mit denen des institutionellen Herausgebers übereinstimmen.

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des institutionellen Heraus-gebers unzulässig und strafbar.

Nachdruck, auch in Auszügen, nur mit Genehmigung des BfN.

Druck: Griebsch & Rochol Druck GmbH & Co. KG, Hamm

Bezug über: BfN-Schriftenvertrieb – Leserservice – oder im Internet: im Landwirtschaftsverlag GmbH www.buchweltshop.de/bfn 48084 Münster Tel.: 0 25 01/8 01-3 00, Fax: 0 25 01/8 01-3 51

ISBN 978-3-7843-9167-0

Bonn - Bad Godesberg 2016

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Inhaltsverzeichnis Abbildungsverzeichnis ................................................................................................. 6

Tabellenverzeichnis ...................................................................................................... 9

Vorwort ....................................................................................................................... 11

Danksagung ................................................................................................................. 13

1 Einleitung .......................................................................................................... 15

1.1 Klimawandel in Deutschland ............................................................................. 15

1.2 Auswirkungen des Klimawandels auf die Biodiversität .................................... 16

1.3 Bedeutung des Klimawandels für den Artenschutz ........................................... 25

1.4 Ziele des Vorhabens ........................................................................................... 26

2 Methoden .......................................................................................................... 27

3 Ergebnisse: Auswirkungen des Klimawandels auf die ausgewählten Habitate und Arten .......................................................................................... 31

3.1 Meere und Küsten .............................................................................................. 313.1.1 Auswirkungen des Klimawandels auf Meere und Küsten .................. 313.1.2 Durch den Klimawandel besonders gefährdete Arten ........................ 393.1.3 Handlungskonzept zur Erhaltung und Förderung von Meeres-

und Küstenarten .................................................................................. 443.1.4 Anforderungen an verschiedene Sektoren .......................................... 483.1.5 Forschungsbedarf ................................................................................ 49

3.2 Fließgewässer und Quellen ................................................................................ 523.2.1 Auswirkungen des Klimawandels auf Fließgewässer und

Quellen ............................................................................................... 523.2.2 Durch den Klimawandel besonders gefährdete Arten ........................ 593.2.3 Handlungskonzept zur Erhaltung und Förderung der Arten ............... 703.2.4 Anforderungen an verschiedene Sektoren .......................................... 743.2.5 Forschungsbedarf ................................................................................ 75

3.3 Stillgewässer ...................................................................................................... 763.3.1 Auswirkungen des Klimawandels auf Stillgewässer .......................... 763.3.2 Durch den Klimawandel besonders gefährdete Arten ........................ 863.3.3 Handlungskonzept zur Erhaltung und Förderung der Arten ............... 963.3.4 Anforderungen an verschiedene Sektoren .......................................... 983.3.5 Forschungsbedarf ................................................................................ 99

3.4 Felsen, Block- und Schutthalden, Geröllfelder, offene Bereiche mit sandigem oder bindigem Substrat ...................................................................... 99

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3.4.1 Auswirkungen des Klimawandels auf die Habitattypen...................... 993.4.2 Durch den Klimawandel besonders gefährdete Arten ....................... 1033.4.3 Handlungskonzept zur Erhaltung und Förderung der Arten ............. 1073.4.4 Anforderungen an verschiedene Sektoren ......................................... 1103.4.5 Forschungsbedarf .............................................................................. 110

3.5 Äcker und Ackerbrachen .................................................................................. 1103.5.1 Auswirkungen des Klimawandels auf Äcker und Ackerbrachen ...... 1103.5.2 Durch den Klimawandel besonders gefährdete Arten ....................... 1163.5.3 Handlungskonzept zur Erhaltung und Förderung der Arten ............. 1223.5.4 Anforderungen an verschiedene Sektoren ......................................... 1273.5.5 Forschungsbedarf .............................................................................. 129

3.6 Grünland ........................................................................................................... 1303.6.1 Auswirkungen des Klimawandels auf Grünland ............................... 1303.6.2 Durch den Klimawandel besonders gefährdete Arten ....................... 1393.6.3 Handlungskonzept zur Erhaltung und Förderung der Arten ............. 1493.6.4 Anforderungen an verschiedene Sektoren ......................................... 1543.6.5 Forschungsbedarf .............................................................................. 155

3.7 Moore ................................................................................................................ 1563.7.1 Auswirkungen des Klimawandels auf Moore ................................... 1563.7.2 Durch den Klimawandel besonders gefährdete Arten ....................... 1613.7.3 Handlungskonzept zur Erhaltung und Förderung der Arten ............. 1673.7.4 Anforderungen an verschiedenen Sektoren ....................................... 1713.7.5 Forschungsbedarf .............................................................................. 172

3.8 Zwergstrauchheiden .......................................................................................... 1733.8.1 Auswirkungen des Klimawandels auf Zwergstrauchhheiden ........... 1733.8.2 Durch den Klimawandel besonders gefährdete Arten ....................... 1773.8.3 Handlungskonzept zur Erhaltung und Förderung der Arten ............. 1803.8.4 Anforderungen an verschiedene Sektoren ......................................... 1843.8.5 Forschungsbedarf .............................................................................. 184

3.9 Wälder ............................................................................................................... 1853.9.1 Auswirkungen des Klimawandels auf Wälder .................................. 1853.9.2 Durch den Klimawandel besonders gefährdete Arten ....................... 2013.9.3 Handlungskonzept zur Erhaltung und Förderung der Arten ............. 2103.9.4 Anforderungen an verschiedene Sektoren ......................................... 2193.9.5 Forschungsbedarf .............................................................................. 220

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3.10 Alpine Habitate ................................................................................................ 2233.10.1 Auswirkungen des Klimawandels auf alpine Habitate ..................... 2233.10.2 Durch den Klimawandel besonders gefährdete Arten ...................... 2293.10.3 Handlungskonzept zur Erhaltung und Förderung der Arten ............. 2323.10.4 Anforderungen an verschiedene Sektoren ........................................ 2353.10.5 Forschungsbedarf .............................................................................. 235

3.11 Bauwerke .......................................................................................................... 2363.11.1 Indirekte Auswirkungen des Klimawandels auf an Bauwerke

gebundene Arten ............................................................................... 2363.11.2 Handlungskonzept zur Erhaltung und Förderung der Arten ............. 2373.11.3 Anforderungen an verschiedene Sektoren ........................................ 2403.11.4 Forschungsbedarf .............................................................................. 240

4. Fazit ................................................................................................................. 242

4.1 Kenntnisstand zu den Auswirkungen des Klimawandels auf Habitate und Arten ................................................................................................................. 242

4.2 Handlungserfordernisse des Artenschutzes ...................................................... 245

4.3 Anforderungen an verschiedene Sektoren ........................................................ 250

4.4 Forschungsbedarf hinsichtlich des Artenschutzes in Zeiten des Klimawandels ................................................................................................... 252

5 Literatur................... ....................................................................................... 255

6 Anhang ............................................................................................................ 324

6.1 Anhang 1 � Ausgewertete Ufoplan-Vorhaben mit relevanten Inhalten bezüglich direkter und indirekter Auswirkungen des Klimawandels und Artenschutz ...................................................................................................... 325

6.2 Anhang 2 � Schutzstatus und nach verschiedenen Studien zu erwartender Einfluss des Klimawandels auf die ausgewählten Arten. ................................. 336

6.3 Anhang 3 � Habitatzuordnungen der ausgewählten Arten ............................... 353

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Abbildungsverzeichnis Abb. 1: Der Klimawandel begünstigt die Langflüglichkeit (Makropterie) bei

der Roesels Beißschrecke (Metrioptera roeselii) und trägt somit zur Ausbreitung der Art bei. ............................................................................. 18

Abb. 2: Milde Winter wirken sich negativ auf die Überwinterung steno-thermer Tagfalterarten wie den Rundaugen-Mohrenfalter (Erebia medusa) aus. ............................................................................................... 20

Abb. 3: Aufgrund der Erwärmung breiten sich zunehmend südlich verbreitete Arten wie die Europäische Gottesanbeterin (Mantis religiosa) in Mitteleuropa aus. ........................................................................................ 24

Abb. 4: In Folge des Ausbaus erneuerbarer Energien verschärft sich der Flächennutzungsdruck. .............................................................................. 25

Abb. 5: Methodische Schritte zur Auswahl der innerhalb des Konzepts behandelten Arten. ..................................................................................... 29

Abb. 6: In Folge eines veränderten Niederschlagsregimes ändert sich die Hochwasserdynamik in alpinen Fließgewässern. ....................................... 55

Abb. 7: Durch die Verringerung des Sommerniederschlags steigt das Aus-trocknungsrisiko für kleinere Stillgewässer wie etwa Altarme. ................. 85

Abb. 8: Für weite Teile Mitteleuropas wird ein Rückgang der Großen Moos-jungfer (Leucorrhinia pectoralis) prognostiziert. ...................................... 90

Abb. 9: In Folge der zunehmenden Sommertrockenheit erhöht sich das Risiko, dass ephemere Kleingewässer zu früh austrocknen. ...................... 92

Abb. 10: Die Anpassungskapazität der Gelbbauchunke (Bombina variegata) an veränderte Umweltbedingungen wird als relativ hoch eingeschätzt ..... 93

Abb. 11: Die terrestrische Lebensweise des Moorfroschs (Rana arvalis) ist noch unzureichend untersucht .................................................................... 94

Abb. 12: Zunehmend niedrige Wasserstände am Bodensee gefährden das Vor-kommen des Bodensee-Vergissmeinnichts (Myosotis rehsteineri) ........... 95

Abb. 13: Trockenheitsliebende Felsarten wie etwa der Nördliche Streifenfarn (Asplenium septentrionale) könnten von einer Erwärmung profitieren ... 101

Abb. 14: An bewaldeten Felsen besteht vor allem für hygrophile Arten ein Aussterberisiko durch die Klimaerwärmung............................................ 101

Abb. 15: Durch die Erwärmung besteht das Risiko, dass sich das klimatisch geeignete Areal für den Braungrünen Streifenfarn (Asplenium adulterinum) reduziert. ............................................................................. 105

Abb. 16: Die Zauneidechse (Lacerta agilis) wird als Klimawandelgewinner eingestuft, da sich die Erwärmung positiv auf die Reproduktion aus-wirkt. ........................................................................................................ 106

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Abb. 17: Extensiväcker (a) mit seltenen Ackerunkräutern wie der Kornrade (Agrostemma githago) und Ackerbrachen (b) sind in Folge der land-wirtschaftlichen Intensivierung stark gefährdet........................................ 115

Abb. 18: Für einige gefährdete Ackerarten wie die Kornrade (Agrostemma githago) werden Verluste des klimatisch geeigneten Areals prognostiziert. ........................................................................................... 118

Abb. 19: Feldvögel wie die Grauammer (Miliaria calandra, a) und die Wiesenweihe (Circus pygargus, b) sind besonders durch die land-wirtschaftliche Intensivierung im Zuge des Energiepflanzenanbaus bedroht. ..................................................................................................... 120

Abb. 20: Die strukturelle Aufwertung der Agrarlandschaft unter anderem durch die Ausweisung extensiv genutzter Ackerrandstreifen ist für den Schutz der gefährdeten Agrarbiodiversität besonders wichtig. ......... 122

Abb. 21: Berg-Mähwiesen sind besonders stark durch den Klimawandel gefährdet. .................................................................................................. 132

Abb. 22: Aufgrund der Sommertrockenheit wird das Gefährdungsrisiko von Feuchtwiesen wie Pfeifengraswiesen (a) und Sumpfdotterblumen-wiesen (b) als hoch gegenüber dem Klimawandel eingestuft................... 133

Abb. 23: Durch die Sommertrockenheit steigt das Austrocknungsrisiko trockenheitsempfindlicher Arten wie hier am Beispiel der Echten Schlüsselblume (Primula veris) dargestellt. ............................................. 134

Abb. 24: Für montan verbreitete Tagfalterarten wie den Dukatenfalter (Lycaena virgaureae, a) oder den Wundklee-Bläuling (Polyommatus dorylas, b) ist das Aussterberisiko durch den Klimawandel vor allem in tieferen Lagen hoch. ............................................................................. 142

Abb. 25: Für den Weißstorch (Ciconia ciconia) wird eine in Folge der Erwärmung frühere Rückkehr in die Brutgebiete beobachtet. ................. 143

Abb. 26: Durch die Sommertrockenheit erhöht sich das Aussterberisiko für seltene Feuchtwiesenarten wie die Sumpf-Siegwurz (Gladiolus palustris) ................................................................................................... 145

Abb. 27: In Folge der mikroklimatischen Abkühlung im Frühjahr durch den früheren Beginn der Vegetationsperiode und die Erhöhung der Produktivität durch Stickstoffeinträge gehen wichtige Offenhabitate für wärmebedürftige Insektenarten wie den Wegerich-Scheckenfalter (Melitaea cinxia) verloren. ....................................................................... 146

Abb. 28: Für montan verbreitete Pflanzenarten wie die Arnika (Arnica montana) wird in Folge der Ausbreitung von herbivoren Tiefland-schneckenarten eine hohe Gefährdung gesehen. ...................................... 147

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Abb. 29: Grünlandumbruch und landwirtschaftliche Nutzungsintensivierung haben in den vergangenen Jahrzehnten erhebliche Bestandsein-brüche von Wiesenvögeln wie den Wachtelkönig (Crex crex) hervor-gerufen. .................................................................................................... 149

Abb. 30: Der Aufbau einer Habitatvernetzung ist für die Erhaltung des Goldenen Scheckenfalters (Euphydryas aurinia) besonders wichtig....... 152

Abb. 31: Aufgrund der Niederschlagsabhängigkeit wird das Gefährdungs-risiko durch den Klimawandel für Hochmoore als besonders hoch eingestuft .................................................................................................. 157

Abb. 32: In Folge der Erwärmung wird die Ausbreitung mesophiler Arten in Moorlebensräumen wie Kalkflachmooren gefördert. .............................. 158

Abb. 33: Der Rückgang des Großen Wiesenvögelchens (Coenonympha tullia) wurde unter anderem durch regionale Klimaänderungen gefördert. ........ 164

Abb. 34: Nach ersten Beobachtungen zu urteilen, wirken sich wärmere und niederschlagsreichere Winter negativ auf die Überwinterung der Kreuzotter (Vipera berus) aus. ................................................................. 165

Abb. 35: Experimentelle Untersuchungen konnten nachweisen, dass sich das Prädationsrisiko von Larven der Kleinen Moosjungfer (Leucorrhinia dubia, s. Foto) durch die Ausbreitung der mediterranen Feuerlibelle (Crocothemis erythraea) erhöht ............................................................... 167

Abb. 36: Spätfrostschäden an der Heidelbeere (Vaccinium myrtillus) nehmen in Bergheiden aufgrund verkürzter Schneephasen zu. ............................. 174

Abb. 37: Für die Schlingnatter (Coronella austriaca) werden vor allem im Norden und Osten Deutschlands Arealrückgänge prognostiziert ............ 179

Abb. 38: Eine hohe Habitatheterogenität, hier dargestellt am Beispiel einer Tieflandsheide, verringert das Aussterberisiko von Arten ....................... 181

Abb. 39: Für Feuchtwälder wie Moor- (a) oder Erlenbruchwälder (b) wird das Gefährdungsrisiko durch den Klimawandel als besonders hoch eingestuft .................................................................................................. 191

Abb. 40: In Folge wärmerer Winter erhöht sich der Energieverbrauch für überwinternde Fledermäuse wie die Zwergfledermaus (Pipistrellus pipistrellus). ............................................................................................. 206

Abb. 41: Der Große Eisvogel (Limenitis populi) ist besonders auf winterkalte Gebiete angewiesen und wird daher als hochempfindlich gegenüber einer Erwärmung eingestuft. .................................................................... 207

Abb. 42: Viele lichtliebende Waldarten wie der Gelbringfalter (Lopinga achine) sind durch die Intensivierung der Fortwirtschaft bedroht. .......... 208

Abb. 43: Historische Waldnutzungsformen wie die Mittelwaldbewirtschaf-tung fördern lichtliebende Waldarten. ...................................................... 215

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Abb. 44: In Folge des Verlusts naturnaher, offener Waldstrukturen in Folge der Intensivierung der forstlichen Nutzung ist der Frauenschuh (Cypripedium calceolus) als typische Halbschattenpflanze gefährdet ..... 216

Abb. 45: Für das Alpen-Edelweiß (Leontopodium alpinum) wird in Folge des Klimawandels ein Verlust des geeigneten klimatischen Areals prognostiziert. ........................................................................................... 231

Abb. 46: Die Gefleckte Schnarrschrecke (Bryodemella tuberculata) präferiert vegetationsarme Kiesbänke und ist auf die Dynamik natürlicher Überflutungsereignisse angewiesen. ........................................................ 233

Abb. 47: Lange ökologische Gradienten auf kleinräumiger Ebene ermöglichen Ausweichbewegungen für Arten. ............................................................. 247

Tabellenverzeichnis Tab. 1: Habitattypen, die im Rahmen des Konzeptes betrachtet wurden und

verwendete Schlagwörter zur Recherche des Klimawandeleinflusses auf die ausgewählten Habitattypen. ............................................................ 28

Tab. 2: Gefährdungspotential der wichtigsten Laubbaumarten durch den Klimawandel............................................................................................. 186

Tab. 3: Gefährdungspotential der wichtigsten Nadelbaumarten durch den Klimawandel............................................................................................. 188

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Vorwort Seit dem Ende des letzten Jahrtausends steht die Bedeutung des anthropogen verur-sachten Klimawandels für die Gefährdung und das Aussterben von Arten zunehmend im wissenschaftlichen und naturschutzpolitischen Interesse. Die rezente Änderung des Klimas beeinflusst Arten und Lebensgemeinschaften auf vielfältige Art und Weise. Neben Temperatur- und Niederschlagsänderungen hat insbesondere die Zunahme kli-matischer Extremereignisse wie Starkregen oder lang anhaltende Trockenphasen er-hebliche Konsequenzen für die Biodiversität. Durch die zum Teil unaufhaltsamen Fol-gen des Klimawandels besteht nicht nur ein hoher Bedarf Anpassungsmaßnahmen seitens des Naturschutzes zu entwickeln und mit jenen anderer Politikbereiche abzu-gleichen, sondern auch Zielsetzungen neu zu definieren.

Um für den Artenschutz eine fundierte fachliche Basis zu schaffen, hat das BfN das Forschungs- und Entwicklungsvorhaben (F+E) �Strategien und Handlungskonzept für den Artenschutz in Deutschland unter Klimawandel� initiiert. Der vorliegende Band stellt die Ergebnisse des Vorhabens dar.

Der Schwerpunkt des Vorhabens lag auf einer Synthese relevanter Erkenntnisse der in den letzten 10 Jahren durch das BfN durchgeführten Ufoplan-Vorhaben, die sich mit den direkten und indirekten Auswirkungen des Klimawandels auf Arten und Natur-schutz beschäftigten. Ergänzt wurde die Synthese durch eine umfassende Literatur-recherche zum Themenbereich.

Die Forschungsnehmer zeigen auf, dass es in Folge des Klimawandels erhebliche An-strengungen erfordern wird, einzelne Lebensgemeinschaften in der gegenwärtigen Form zu erhalten. An den Naturschutz besteht daher die grundsätzliche Anforderung, die Ziele des Artenschutzes im Hinblick auf den Klimawandel zu überprüfen und zu konkretisieren. Eine Priorisierung bislang festgelegter Naturschutzziele wird unab-dingbar sein. Auch wenn die Erhaltung einer möglichst hohen habitatspezifischen Ar-tenzahl als oberstes Ziel weiter verfolgt wird, müssen Handlungsoptionen zur Errei-chung des Ziels hinreichend flexibel sein. Im Vordergrund sollte vor allem die Erhö-hung der Anpassungskapazität von Biotopen und Arten durch die Erhaltung ökosys-temtypischer Funktionen und Eigenschaften stehen. Damit zum Beispiel Arten ihre Verbreitungsareale den klimatischen Veränderungen anpassen und mögliche Arealver-schiebungen realisieren können, ist ein funktionierender, an einzelne Lebensraumtypen und Zielartenkollekti-ven ausgerichteter Biotopverbund wesentlich. Ein besonders hohes Gefährdungsrisiko besteht vor allem für Feuchtlebensräume (Feuchtwiesen und -wälder sowie Moore). Die Sicherung des natürlichen Wasserhaushaltes bzw. die Re-naturierung entwässerter Feuchthabitate stellen daher besonders wichtige Schutzmaß-nahmen der Ökosysteme dar.

Es ergeben sich auch spezielle Anforderungen an die Raum- bzw. Landschaftsplanung sowie an die jeweiligen Sektoren, die in für den Artenschutz bedeutsamen Habitaten agieren, die Belange des Arten- und Naturschutzes zu beachten. Durch die zunehmen-

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de Nutzung erneuerbarer Energien, vor allem durch den Anbau von Bioenergiepflan-zen, erhöht sich der Flächennutzungsdruck zusätzlich. Durch Anpassungsmaßnahmen seitens der Verkehrsplanung und des Hochwasserschutzes besteht ein hohes Risiko, dass bei unzureichender naturschutzfachlicher Planung Zerschneidungseffekte ver-stärkt werden oder Lebensräume verloren gehen.

Um Artenschutzbelange im Zuge des Klimawandels umfassend berücksichtigen zu können, besteht für Teilaspekte noch erheblicher Forschungsbedarf. Große Kenntnis-lücken in Bezug auf den direkten Einfluss des Klimawandels bestehen vor allem für viele gefährdete bzw. seltene Arten sowie insbesondere für Quellen, Feuchtheiden, Küstenhabitate und marine Lebensräume.

Wir hoffen, dass die vorliegende Studie mit Informationen und Empfehlungen in den nächsten Jahren einen wichtigen Beitrag bei der Diskussion, Abwägung und Imple-mentierung eines zukunftsfähigen Handlungskonzeptes für den Artenschutz unter Klimawandel leisten wird.

Prof. Dr. Beate Jessel

Präsidentin des Bundesamtes für Naturschutz

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Danksagung

Wir bedanken uns bei den folgenden externen Experten für die Begutachtung einzelner Kapitel und ihre konstruktiven Beiträge: Dr. Fabian Borchard (Kap. 3.8), Dr. Folkert de Jong (Kap. 3.1), Dr. Martin Erbs (Kap. 3.5), Matthias Hammer (Kap. 3.11), Prof. Dr. Joachim Hüppe (Kap. 3.5), Jana Lübbert (Kap. 3.11), Dr. Carsten Schmidt (Kap. 3.4), Dr. Torsten Vor (Kap. 3.9), Dr. Karsten Wesche (Kap. 3.6), Dr. Andreas Zahn (Kap. 3.11).

Des Weiteren möchten wir uns bei den zahlreichen BfN-Mitarbeiterinnen und Mit-arbeitern für die kritische Durchsicht des Konzeptes bedanken: Harald Dünnfelder, Dr. Thomas Ehlert, Götz Ellwanger, Stefan Hintersatz, Dr. Andreas Krüß, Carla Kuh-mann, Florian Mayer, Sascha Moritz, Jakob Pöllath, Dr. Uwe Riecken, Ulrike Seyfert, Christel Schmelzeisen, Christoph Strauß, Dr. Ulrich Sukopp.

Für die Bereitstellung von Fotos bedanken wir uns bei: Dr. Margret Bunzel-Drüke, Robert Fleck, Christian Höppner, Matthias Olthoff, Dr. Dominik Poniatowski, Dr. Gregor Stuhldreher und Sarah Weking.

Sven Trautmann danken wir für ergänzende Literaturhinweise. Die Autoren

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1 Einleitung 1.1 Klimawandel in Deutschland Durch die stetig ansteigende Emission von Treibhausgasen seit dem Beginn der In-dustrialisierung hat der Mensch maßgeblich Einfluss auf die Entwicklung des Klimas genommen. Die heutigen atmosphärischen Treibhausgas-Konzentrationen haben den höchsten Stand seit 800.000 Jahren erreicht (EEA 2012). Durch den anthropogenen Einfluss auf die Zusammensetzung der Atmosphäre hat sich die globale Jahresmittel-temperatur im Zeitraum von 1880 bis 2012 um 0,85 °C erhöht (IPCC 2013). In Folge anhaltender Treibhausgasemissionen ist von einer weiteren Erwärmung des Klimas auszugehen. Die Zukunft des Klimas wird vor allem abhängig von der gesellschaftspo-litischen Entwicklung und der damit zusammenhängenden Menge an Treibhausgas-emissionen sein. Je nachdem welches Entwicklungsszenario angenommen wird, wird eine globale Temperaturerhöhung von 0,3 bis 4,8 °C vorhergesagt (IPCC 2013).

In Deutschland stieg die durchschnittliche Jahrestemperatur um ca. 0,8�1 °C im Zeit-raum von 1901 bis 2000 an, wobei vor allem seit Ende der 1980er Jahre ein besonders rasanter Temperaturanstieg erfolgte (JONAS et al. 2005, RAPP 2000, UBA 2006a, b). Das Ausmaß der Erwärmung ist dabei allerdings regional unterschiedlich. Besonders innerhalb der wärmsten Landesteile wie zum Beispiel in Südwestdeutschland stieg die Temperatur überdurchschnittlich an (ZEBISCH et al. 2005). Hinsichtlich der Entwick-lung des Niederschlags konnten bislang keine Veränderungen statistisch belegt wer-den. Während die Summe des Jahresniederschlags mehr oder weniger konstant geblie-ben ist, scheint ein Trend zu bestehen, dass sich der Niederschlag zunehmend vom Sommer in den Winter verlagert (LEUSCHNER & SCHIPKA 2004, ZEBISCH et al. 2005).

Neben der spürbaren Erwärmung ist das Auftreten klimatischer Extremereignisse in den letzten Jahren häufiger geworden. Vor allem das Auftreten und die Dauer von Hitzewellen haben in Folge häufiger auftretender Sommertage zugenommen (GERS-TENGARBE & WERNER 2009). Dies gilt besonders für die wärmsten Regionen Deutsch-lands (v.a. den Südwesten und Nordosten Deutschlands). Bezüglich der Ände-rung der Windverhältnisse und des Auftretens von Starkregenereignissen ist hingegen noch kein eindeutiger Trend festgestellt worden (GERSTENGARBE & WERNER 2009).

Grundsätzlich ist von einer weiteren Erwärmung in Deutschland auszugehen. Je nach-dem welches Zukunftsszenario betrachtet wird, wird eine Erhöhung der Jahresmittel-temperatur von 1,5 bis 3,7 °C im Vergleich zum Referenzzeitraum 1951�2000 für das Ende des 21. Jahrhunderts vorhergesagt (SPEKAT et al. 2007, UBA 2006a). Dabei wird der Temperaturanstieg in den Wintermonaten stärker ausgeprägt sein als in den Som-mermonaten (SPEKAT et al. 2007). Die Erwärmung im Winterhalbjahr wird sich vor allem in den Gebirgsregionen und in Südostdeutschland durch zunehmend kürzere Kälteperioden bemerkbar machen (GERSTENGARBE & WERNER 2009). Für weite Teile des Landes wird auch ein verändertes Niederschlagsregime prognostiziert. Während für den Nordosten Deutschlands eine Abnahme der Niederschläge im gesamten Jahres-

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lauf vorhergesagt wird, werden für die Alpen und große Bereiche Süddeutschlands eine Zunahme der Winterniederschläge und ein Rückgang der Sommerniederschläge erwartet (DISTER & HENRICHFREISE 2009, HAASE et al. 2012, VERDONSCHOT et al. 2010). Je nach Szenario wird sich der Sommerniederschlag um etwa 20 bis 30 % ver-ringern (UBA 2006a). Die höheren Winterniederschläge werden aufgrund von gestie-genen Temperaturen in geringerem Umfang als bisher als Schnee gespeichert. So wird bis in hohe Gebirgslagen eine Abnahme der mittleren Schneedecke prognostiziert (CROCI-MASPOLI & ESSL 2013a). Nur im Gipfelbereich nimmt die Schneedecken-mächtigkeit aufgrund der höheren Niederschläge zu (CROCI-MASPOLI & ESSL 2013a). Die Vorhersagen der Niederschlagsentwicklung sind allerdings aufgrund der großen regionalen Variabilität noch mit höheren Unsicherheiten behaftet als Prognosen zur Temperaturentwicklung.

Im Zuge des Klimawandels ist ebenfalls mit einer weiteren Häufung klimatischer Ext-remereignisse wie etwa lang anhaltende Hitze- oder Dürreperioden zu rechnen. Für die Mitte des Jahrhunderts prognostizieren GERSTENGARBE & WERNER (2009) eine Zu-nahme von durchschnittlich etwa 24 Sommertagen im Jahr im Vergleich zur Refe-renzperiode (1951�2006). Vor allem innerhalb hitzebelasteter Regionen (Südwest- und Ostdeutschland) wird dies besonders ausgeprägt sein. Für die östliche Landeshälfte wird auch eine Häufung von Dürreperioden durch einen starken Rückgang sommerli-cher Niederschläge vorhergesagt. Starkregenereignisse (Tage mit Niederschlagsmen-gen ≥ 10,0 mm) werden hingegen vor allem im Nordwesten Deutschlands häufiger werden (GERSTENGARBE & WERNER 2009). Auch hinsichtlich der Zunahme von Or-kanen in Mitteleuropa wird eine zunehmende Tendenz prognostiziert (CROCI-MASPOLI & ESSL 2013b).

1.2 Auswirkungen des Klimawandels auf die Biodiversität Seit dem Ende des letzten Jahrtausends steht die Bedeutung des anthropogen induzier-ten Klimawandels für das weltweite Aussterben von Arten zunehmend im wissen-schaftlichen Interesse (vgl. LEUSCHNER & SCHIPKA 2004). Die rezente Änderung des Klimas beeinflusst Arten und Lebensgemeinschaften auf vielfältige Art und Weise. Neben Temperatur- und Niederschlagsänderungen hat insbesondere die Zunahme an klimatischen Extremereignissen wie Starkregen oder lang anhaltende Trockenphasen erhebliche Konsequenzen für die Biodiversität (vgl. BEIERKUHNLEIN & JENTSCH 2013). Vor allem die folgenden klimawandelbedingten Faktoren wirken sich auf die Biodiversität aus und rufen Veränderungen innerhalb von Lebensgemeinschaften her-vor (vgl. ESSL & RABITSCH 2013, MOSBRUGGER et al. 2014, PETERMANN et al. 2007, RABITSCH et al. 2010):

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Habitatveränderungen durch klimatische Änderungen,

physiologische Änderungen (z.B. durch die Beeinflussung des Stoffwechsels, der Reproduktion oder der Mortalität),

phänologische Änderungen,

Veränderungen biotischer Interaktionen (z.B. durch phänologische oder räumliche Entkopplungen von Interaktionspartnern [desynchronisation, mismatch]),

Arealverschiebungen (Veränderungen von Artengemeinschaften, Aussterben von Arten),

indirekte Auswirkungen auf Habitate und Arten (v.a. durch den Ausbau erneuer-barer Energien, Landnutzungsänderungen).

Aufgrund der folgenschweren Auswirkungen des Klimawandels wird erwartet, dass die Änderung des Klimas zukünftig bedeutender auf die Artenvielfalt einwirken wird als direkte Lebensraumveränderungen, die durch den Menschen ausgelöst werden (LEUSCHNER & SCHIPKA 2004).

Habitatveränderungen durch klimatische Änderungen

In Folge der Erwärmung und der Zunahme von Extremereignissen wie Dürreperioden kommt es zu erheblichen Veränderungen von Lebensräumen, was sich auf Artenge-meinschaften auswirkt. Vor allem Gewässerlebensräume sowie Feuchthabitate sind von den klimatischen Änderungen betroffen. In Folge der zunehmenden Gewässerer-wärmung wird beispielsweise in Fließgewässern eine �Potamalisierung� der Gewässer begünstigt, indem Arten des Potamals sich in höhere Gewässerabschnitte ausbreiten und montan bzw. kalt-stenotherme Arten zurückgedrängt werden (BUISSON & GRENOUILLET 2009, WOLF & ANGERSBACH 2010). Durch die Erwärmung wird außer-dem die Löslichkeit von Nährstoffen erleichtert, wodurch die Primärproduktion und die Ausbreitung von Makrophyten gefördert werden, so dass Eutrophierungstendenzen begünstigt werden (HERING et al. 2010, HAASE et al. 2014). Ein Rückgang von Arten, die an nährstoffarme und sauerstoffreiche Bedingungen gebunden sind wie zum Bei-spiel die Flussperlmuschel (Margaritifera margaritifera) oder die Gemeine Kahn-schnecke (Theodoxus fluviatilis), wird daher gefördert (BEHRENS et al. 2009b). Durch die Umverteilung des Niederschlags und des Rückgangs sommerlicher Niederschläge werden extreme Wasserstände häufiger, wodurch ein hohes Aussterberisiko für Arten besteht, die an konstante Wasserstände gebunden sind (VERDONSCHOT et al. 2010). Zugleich gehen Lebensräume für Arten verloren, die in bestimmten Lebensphasen temporär wasserführende Gewässer benötigen (z.B. Amphibien). Durch die zuneh-menden Trockenperioden im Sommerhalbjahr werden außerdem Feuchthabitate wie Feuchtgrünland oder Moore stark beeinträchtigt. In Folge der Austrocknung des Ober-bodens wird die Mineralisierung und Eutrophierung des Standorts begünstigt, so dass konkurrenzkräftige nährstoffliebende Arten gefördert und Arten nährstoffarmer Stand-orte zurückgedrängt werden (BEHRENS et al. 2009b).

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Physiologische Änderungen

Veränderte Temperatur- und Niederschlagsverhältnisse beeinflussen die Stoffwechsel-prozesse, Reproduktion oder Verhaltensweise von Arten. Abhängig von der physiolo-gischen Toleranzgrenze einzelner Arten und des Ausmaßes des Klimawandels wird sich der Einfluss klimatischer Veränderungen positiv oder negativ auf Arten auswir-ken. Die klimawandelbedingte Erwärmung und Verlängerung der Vegetationsperiode erhöhen die Reproduktion von Arten, die positiv auf diese Effekte reagieren. Dies be-trifft besonders wechselwarme Organismen. Am Beispiel der Roesels Beißschrecke (Metrioptera roeselii) konnte nachgewiesen werden, dass durch zunehmende Erwär-mung und Trockenheit im Frühjahr die Larvensterblichkeit verringert wird (PONI-ATOWSKI & FARTMANN 2011a). Durch den dadurch bedingten Dichtestress werden viele Individuen makropter (Abb. 1), wodurch eine Ausbreitung der Art gefördert wird (PONIATOWSKI & FARTMANN 2011b, PONIATOWSKI et al. 2012).

Abb. 1: Der Klimawandel begünstigt die Langflüglichkeit (Makropterie) bei der Roesels

Beißschrecke (Metrioptera roeselii) und trägt somit zur Ausbreitung der Art bei (Foto: Dominik Poniatowski).

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Des Weiteren konnte in Rheinland-Pfalz beobachtet werden, dass bei einigen Libellen-arten (z.B. Becher-Azurjungfer Enallagma cyathigerum) zunehmend eine zweite Ge-neration ausgebildet wird (OTT 2010). Die positiven Effekte des Klimawandels werden allerdings vom Ausmaß der Erwärmung und weiterer Einflussfaktoren abhängig sein. Durch zunehmende Trockenphasen besteht für Libellen ein erhöhtes Austrocknungs-risiko der Fortpflanzungsgewässer (OTT 2010), so dass positive Effekte des Klima-wandels möglicherweise durch die Verschlechterungen der Habitatqualität überlagert sein werden. Die additiven Effekte des Klimawandels auf Arten sind bislang weitge-hend unbekannt und noch unzureichend erforscht. Auch bezüglich vieler Reptilienar-ten konnte nachgewiesen werden, dass sich höhere Temperaturen positiv auf die Re-produktion der Arten auswirken (z.B. Zauneidechse Lacerta agilis, Waldeidechse Zoo-toca vivipara, s. CHAMAILLÉ-JAMMES et al. 2006, OLSSON et al. 2011a, b).

Im Gegensatz dazu wirken sich erhöhte Wintertemperaturen negativ auf die Überwin-terung vieler Arten aus (Abb. 2, s. STUHLDREHER et al. 2014). Durch wärmere Winter mit einer verringerten Anzahl an Frosttagen erhöht sich der Energieverbrauch über-winternder Tiere. Dies kann sich nachhaltig auf die Tiere auswirken, indem die Wachstums- oder Reproduktionsraten reduziert werden. An diversen Artengruppen wie Amphibien, Fledermäusen, Reptilien oder Tagfaltern wurde der negative Einfluss wärmerer Winter auf die Überwinterung bereits nachgewiesen (z.B. PODLOUCKY 2005, READING 2007, STUHLDREHER et al. 2014, WEISE & VOHLAND 2010).

Neben der schleichenden Veränderung der Jahresmitteltemperatur wirkt sich die Zu-nahme klimatischer Extremereignisse wie lang andauernde Trockenphasen besonders dramatisch auf die Biodiversität aus. Hierdurch sind besonders Arten betroffen, die eine enge physiologische Toleranzgrenze besitzen (RABITSCH & ESSL 2013a). Insbe-sondere zunehmende Trockenperioden in den Sommermonaten werden viele trocken-heitsempfindliche Arten negativ beeinflussen (vgl. BEHRENS et al. 2009a). Änderun-gen im Niederschlagsregime wirken sich besonders dramatisch auf feuchteabhängige Arten aus, indem die Habitatqualität beeinträchtigt wird. Erhebliche Rückgänge sind demnach für Arten mit Verbreitungsschwerpunkt in Feuchthabitaten zu erwarten (BEHRENS et al. 2009a, POMPE et al. 2011). Starkniederschläge wirken sich hingegen kurzfristig auf Arten aus, indem der Niederschlag die Arten direkt oder die Habitatqua-lität beeinträchtigt. Beispielsweise besteht durch zunehmende Starkregenereignisse im Frühjahr ein hohes Gefährdungsrisiko für Feuchtwiesenbrüter, indem Überflutungen und erhöhte Grundwasserstände die Jungensterblichkeit erhöhen (AUSDEN & BOLTON 2012).

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Abb. 2: Milde Winter wirken sich negativ auf die Überwinterung stenothermer Tagfalter-

arten wie den Rundaugen-Mohrenfalter (Erebia medusa) aus (Foto: Gregor Stuhl-dreher).

Phänologische Veränderungen

Die Zunahme der Jahrestemperatur bewirkt eine jahreszeitliche Verschiebung der Ent-wicklungs- bzw. Aktivitätsphasen von Pflanzen und Tieren. Anhand einer europawei-ten Meta-Studie konnten MENZEL et al. (2006) zeigen, dass etwa 80 % der über 125.000 ausgewerteten phänologischen Beobachtungsreihen im Zeitraum von 1971 bis 2000 eine Verfrühung der Entwicklungsphasen von Pflanzen im Frühjahr bestätigten. In Deutschland hat sich der Beginn der Vegetationsperiode in den letzten 30 Jahren im Vergleich zum Zeitraum von 1951 bis 1980 durchschnittlich um etwa 8 Tage vorver-lagert. Im Jahr 2012 setzte der Beginn der Vegetationsperiode 10 Tage früher ein als im Jahr 1951, wobei der Winterbeginn 2012 um 6 Tage später einsetzte (BMUB 2014). Die Verfrühung des Blühbeginns wirkt sich in Mitteleuropa unter anderem auf früh im Jahr blühende Arten aus, da die Temperaturänderung in den Winter- und Früh-jahrsmonaten besonders ausgeprägt ist (vgl. MENZEL et al. 2005). Wenn einzelne Ar-ten unterschiedlich auf die phänologischen Veränderungen reagieren, verändern sich die interspezifischen Konkurrenzverhältnisse, wodurch Artengemeinschaften beein-

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flusst werden. Beispielsweise profitieren spät blühende Arten innerhalb alpiner Hoch-lagen durch die Verlängerung der Vegetationsperiode und die verkürzte Schneephase im Winter, so dass hier langfristig mit Veränderungen typischer Artengemeinschaften zu rechnen ist (CORNELIUS et al. 2012, KUDERNATSCH 2007, KUDERNATSCH et al. 2008, THEURILLAT & GUISAN 2001).

Auch Tiere reagieren auf die verlängerte Vegetationsperiode durch eine Vorverlage-rung der Aktivitätsperiode. Verfrühte Erstbeobachtungen wurden in den letzten Jahren für diverse Tierartengruppen wie Amphibien, Libellen und Tagfalter dokumentiert (z.B. BEEBEE 1995, LOMANN 2014, OTT 2010, ROY & SPARKS 2000). Die klimawan-delbedingte Verlängerung der Vegetationsperiode verursacht außerdem ein verändertes Migrationsverhalten bei wandernden Arten. Viele Studien betätigen, dass Zugvögel zunehmend länger in den Brutgebieten verweilen und früher in diese zurückkehren (z.B. ANTHES et al. 2004, PRANGE 2010, TRYJANOWSKI & SPARKS 2008, VERGARA et al. 2007) oder sich die Zugwege verkürzen (VISSER et al. 2009). Auch ein früherer Brutbeginn konnte bei diversen Arten festgestellt werden (z.B. PORKERT et al. 2014, VISSER et al. 2012). Vor allem Arten, die mehrmals im Jahr brüten, reagieren auf den Klimawandel durch eine Vorverlegung des Bruttermins (DUNN & MØLLER 2014). Negative Auswirkungen auf den Reproduktionserfolg ergeben sich dann, wenn die Nahrungsverfügbarkeit zum Zeitpunkt des Brutbeginns reduziert ist (s.u.).

Veränderung biotischer Interaktionen

In Folge der komplexen Auswirkungen des Klimawandels auf einzelne Arten werden biotische Interaktionen auf vielfältige Art und Weise beeinflusst. Durch die zeitliche Entkoppelung von Interaktionspartnern, die phänologisch unterschiedlich auf den Kli-mawandel reagieren, werden Verluste einzelner Arten begünstigt. Beispielsweise be-steht durch die Verfrühung der Vegetationsperiode das Risiko, dass eine zeitliche De-synchronisation zwischen den Entwicklungsstadien pflanzenfressender Insekten und deren Wirtspflanzen erfolgt, wenn Insekten der Entwicklung der Wirtspflanzen zeitlich nicht folgen (VAN ASCH & VISSER 2007, SINGER & PARMESAN 2010). Zu zeitlichen Entkoppelungen kann es außerdem zwischen Zugvögeln und der maximalen Nah-rungsverfügbarkeit während des Brutzeitpunktes kommen. Vor allem für Lang-streckenzieher und Meeresvögel besteht ein hohes Risiko der zeitlichen Desynchroni-sation des Bruttermins und der Nahrungsverfügbarkeit (BOTH et al. 2010, PEARCE-HIGGINS & GREEN 2014, SAINO et al. 2011).

Neben der zeitlichen Entkopplung werden durch Arealverschiebungen räumliche Ent-kopplungen einzelner Interaktionspartner begünstigt. Ein hohes Gefährdungsrisiko besteht hierdurch vor allem für Arten, die sehr spezifische Ansprüche an ihre Inter-aktionspartner stellen. Dies trifft beispielsweise auf Arten zu, die eng auf bestimmte Wirtsarten für ihre Entwicklung angewiesen sind. So besteht für monophage Insekten-arten ein hohes Aussterberisiko, wenn sich der Klimawandel negativ auf die Wirts-pflanzen auswirkt. Dies gilt vor allem für Tagfalterarten, deren aktuelle Verbreitung

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bereits durch die Wirtspflanzenverbreitung bestimmt ist (SCHWEIGER et al. 2012). Andererseits wird durch den Klimawandel die Entstehung neuartiger Interaktionen gefördert. Im Falle des Kleinen Sonnenröschen-Bläulings (Aricia agestis) konnten THOMAS et al. (2001) nachweisen, dass die Art positiv auf den Klimawandel reagiert und neuerdings Geranium-Arten als Raupenfutterquelle innerhalb von Gebieten nutzt, in denen die Hauptwirtspflanze (Helianthemum nummularium) nicht vorkommt (s. auch FARTMANN et al. 2002). Veränderungen in Lebensgemeinschaften werden außer-dem durch die Ausbreitung südlich verbreiteter oder gebietsfremder Arten hervorgeru-fen (s.u.).

Durch die zunehmende Erwärmung wird die Ausbreitung von Krankheiten und Para-siten begünstigt. Zum einen werden bestimmte Krankheitsüberträger durch den Klima-wandel gefördert. Beispielsweise profitieren viele gebietsfremde Flusskrebsarten vom Klimawandel (CAPINHA et al. 2013). Somit besteht ein hohes Risiko, dass die Aus-breitung der Krebspest beschleunigt und ein weiterer Rückgang heimischer Flusskreb-se vorangetrieben wird. Des Weiteren profitieren viele Krankheitserreger selbst von den klimatischen Änderungen. Vor allem durch klimawandelbedingte Beeinträchti-gungen der Vitalität bzw. der Abwehrsysteme der Wirte wird die Ausbreitung vieler Krankheitserreger und Parasiten erleichtert. Dies wird insbesondere durch zunehmende Extremereignisse wie etwa lang andauernde Hitze- oder Trockenperioden begünstigt (MORLEY & LEWIS 2014).

Da vor allem viele invasive Arten eine hohe Toleranz gegenüber veränderten Umwelt-bedingungen aufweisen und die Fähigkeit besitzen, neue Gebiete schnell zu besiedeln, wird deren Ausbreitung Arten durch den Klimawandel weiter gefördert (BELLARD et al. 2013). Bei 63 % der derzeit in Deutschland vorkommenden invasiven Gefäßpflan-zenarten wird angenommen, dass sie vom Klimawandel profitieren und sich weiter ausbreiten werden (NEHRING et al. 2013). Dies trifft vor allem auf viele bereits weit verbreitete Arten zu wie etwa den Götterbaum (Ailanthus altissima) oder die Kanadi-sche Goldrute (Solidago canadensis) (KLEINBAUER et al. 2010). Die Förderung von gebietsfremden Arten durch den Klimawandel erfolgt zum einen direkt, indem die Konkurrenzkraft durch die klimatischen Veränderungen verstärkt wird oder in Folge von Extremereignissen, wodurch Ausbreitungsmöglichkeiten durch veränderte Habi-tatbedingungen geschaffen werden (WALTHER et al. 2009).

Arealverschiebungen

Aufgrund der gravierenden Einflüsse des Klimawandels auf die Artenvielfalt liegen viele Studien vor, die die Sensitivität von Arten hinsichtlich des Klimawandels be-werten oder die zukünftige Verbreitung von Arten durch statistische Verfahren unter diversen Klima- und Landnutzungswandelszenarien prognostizieren. Die Ergebnisse statistischer Modellierungen lassen sich in den meisten Fällen lediglich als erste Trends ansehen, da wichtige Wirkfaktoren oftmals nicht in die Modellberechnungen einfließen, wie etwa die Berücksichtigung biotischer Interaktionen (KÜHN et al. 2013).

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Statistische Verbreitungsmodellierungen hinsichtlich des Klimawandels liegen vor allem für gut untersuchte Artengruppen wie zum Beispiel Gefäßpflanzen, Amphibien und Reptilien, Säugetiere, Vögel oder Tagfalter vor (z.B. ARAÚJO et al. 2006, JAESCHKE et al. 2014, HUNTLEY et al. 2007, LEVINSKY et al. 2007, POMPE et al. 2011, SETTELE et al. 2008). Für Deutschland modellierten POMPE et al. (2011) die zukünfti-ge Verbreitung von 845 Gefäßpflanzenarten unter der Berücksichtigung unterschiedli-cher Klima- und Landnutzungswandelszenarien. Verluste geeigneter klimatischer Are-ale werden vor allem für montan verbreitete und gefährdete sowie feuchtigkeitslieben-de Arten prognostiziert, Arealerweiterungen hingegen für viele südlich verbreitete oder thermophile Arten. Inwieweit Arealerweiterungen tatsächlich stattfinden werden, ist abhängig von der Habitatkonnektivität und der Migrationsfähigkeit der Arten. Unter der Annahme einer uneingeschränkten Ausbreitung werden für viele Arten Arealver-größerungen prognostiziert. So modellierten LEVINSKY et al. (2007) bei etwa einem Drittel aller heimischen Säugetierarten eine Arealerweiterung bei der Annahme einer uneingeschränkten Ausbreitung der Arten. Erfolgt keine Ausbreitung, werden hin-gegen erhebliche Artverluste von bis zu 60 % prognostiziert. Bei der Annahme einer eingeschränkten Ausbreitung werden ebenfalls Arealverluste für einen Großteil der europäischen Amphibien- und Reptilienfauna hervorgesagt (ARAÚJO et al. 2006).

Arealverluste ereignen sich vor allem an den südlichen Verbreitungsgrenzen von Ar-ten, wenn diese empfindlich auf eine zunehmende Erwärmung reagieren (REBELO et al. 2010, SETTELE et al. 2008). Insbesondere mobile Arten reagieren schnell auf klima-tische Änderungen (WARREN et al. 2001), so dass vor allem bei flugfähigen Arten-gruppen bereits klimawandelbedingte Arealveränderungen nachgewiesen werden konnten. Nordwärts gerichtete Ausbreitungen wurden beispielsweise bei diversen Tag-falterarten in Großbritannien nachgewiesen (FOX et al. 2006). Allerdings ist zu erwar-ten, dass Habitatspezialisten zunehmend unter dem Klimawandel leiden werden (vgl. SETTELE et al. 2008). Außerdem konnten HICKLING et al. (2005) in Großbritannien eine nordwärts gerichtete Arealerweiterung bei einem Großteil der dort vorkommen-den Libellenarten feststellen. Insbesondere Arten mit einer südlichen Verbreitung pro-fitieren von der zunehmenden Erwärmung in Mitteleuropa und breiten sich hier aus. Bekannte Beispiele sind die mediterran verbreitete Feuerlibelle (Crocothemis eryth-raea) (OTT 2010) oder die Europäische Gottesanbeterin (Mantis religiosa, Abb. 3) (STÄRZ et al. 2010). Neben der nordwärts gerichteten Arealverschiebung kommt es durch eine zunehmende Erwärmung zu einer Vertikalverschiebung der Verbreitungen von Arten innerhalb von Gebirgen (KONVICKA et al. 2003, WILSON et al. 2007). Durch die zunehmende Erwärmung ziehen sich Arten, die empfindlich auf den Kli-mawandel reagieren, in Gebirgen in höhere Lagen zurück (FRANCO et al. 2006). Ein hohes Aussterberisiko besteht vor allem für montane Arten in Mittelgebirgsregionen bzw. für alpine und nivale Arten in Gipfellagen, wo eine Vertikalverschiebung auf-grund fehlender Höhenlagen nicht möglich ist (DIRNBÖCK et al. 2011, HERING et al. 2010, PAULI et al. 2003, SAUER et al. 2011).

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Abb. 3: Aufgrund der Erwärmung breiten sich zunehmend südlich verbreitete Arten wie die Europäische Gottesanbeterin (Mantis religiosa) in Mitteleuropa aus (Foto: Thomas Fartmann).

Indirekte Auswirkungen auf Habitate und Arten

Zusätzlich zu den direkten Auswirkungen des Klimawandels durch veränderte Tempe-ratur- bzw. Niederschlagsverhältnisse wirken sich die indirekten Folgen auf Arten aus. Diese ergeben sich vor allem durch klimawandelbedingte Landnutzungsänderungen und den Ausbau erneuerbarer Energien, welcher in Deutschland aufgrund der politi-schen Anpassungsstrategie an den Klimawandel mit möglichst CO2-neutraler Energie-gewinnung (und ohne Atomkraft) erfolgt und somit indirekt mit dem Klimawandel verbunden ist. Im Jahr 2013 deckten erneuerbare Energien bereits etwa 25 % des Brut-to-Stromverbrauchs (FRAUNHOFER IWES 2014). Durch die Ausbauziele des Bundes ist mit einem zunehmenden Flächenbedarf zur Erreichung der angestrebten Klima-schutzziele zu rechnen, wodurch Nutzungskonflikte verschärft werden. Vor allem der zunehmende Bau von Windenergieanlagen (Abb. 4) und Photovoltaik-Freiflächen-anlagen sowie der vermehrte Anbau von Bioenergiepflanzen haben erhebliche Konse-quenzen für den Schutz der Biodiversität (GFN & ZSW 2011). Durch die steigende Kultivierung von Energiepflanzen und den damit verbundenen hohen Flächenbedarf erhöht sich das Risiko, dass Lebensräume direkt zerstört werden und die Habitat-konnektivität beeinträchtigt wird (GFN & ZSW et al. 2011). Des Weiteren werden durch das Kollisionsrisiko mit Windenergieanlagen direkte Verluste von Fledermäu-sen und Vögeln hervorgerufen. Die Errichtung von Offshore-Anlagen hat erhebliche

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Konsequenzen für marine Lebensgemeinschaften, beispielsweise indem physiologi-sche Schäden von Meeresorganismen durch Rammarbeiten hervorgerufen werden (BSH & BMU 2014, ZUCCO et al. 2006).

Abb. 4: Infolge des Ausbaus erneuerbarer Energien verschärft sich der Flächennutzungs-druck (Foto: Margret Bunzel-Drüke).

1.3 Bedeutung des Klimawandels für den Artenschutz Der rezente Klimawandel erfordert Anpassungsmaßnahmen, um die negativen Aus-wirkungen abzumildern. Dies gilt ebenfalls für den Naturschutz (DAS 2008). Durch die zum Teil unaufhaltsamen Folgen des Klimawandels besteht nicht nur ein hoher Bedarf Anpassungsmaßnahmen seitens des Naturschutzes zu entwickeln, sondern auch die Zielsetzungen neu zu definieren. In Folge des Klimawandels wird es erhebliche Anstrengungen erfordern, einzelne Lebensgemeinschaften in der gegenwärtigen Form zu erhalten. Daher wird eine Priorisierung bislang festgelegter Naturschutzziele ver-langt (IBISCH & KREFT 2008, KUNZE et al. 2013, WILKE et al. 2011). Auch wenn die Erhaltung einer möglichst hohen Artenzahl als oberstes Ziel weiter verfolgt wird, müs-sen Handlungsoptionen zur Erreichung des Ziels dynamisiert werden. Im Vorder-grund sollte vor allem die Erhöhung der Anpassungskapazität von Ökosystemen und Arten durch die Erhaltung ökosystemtypischer Funktionen und Eigenschaften stehen (IBISCH & KREFT 2008, KERTH et al. 2014). Des Weiteren kommt dem Naturschutz � neben der Gesellschaft und der Politik � im hohen Maße die Aufgabe hinzu, denKlimawandel abzuschwächen, indem Ökosysteme, die im engen Austausch mit der

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Atmosphäre stehen, geschützt werden (v.a. Wälder, Moore) (IBISCH & KREFT 2008). Gleichzeitig sind auch andere Sektoren wie Land-, Forst- und Wasserwirtschaft ge-fordert, substanzielle Beiträge zu leisten, um die negativen Folgen des Klimawandels auf die Natur abzumildern (GRUTTKE et al. 2013). Hinsichtlich des Artenschutzes sind Maßnahmen erforderlich, die eine Anpassung der Arten an den Klimawandel unter-stützen. Dabei stellen der Ausbau eines Biotopverbunds auf lokaler und (über-)regio-naler Ebene sowie die Abwehr der herkömmlichen Gefährdung von Arten bedeutende Maßnahmen dar (BALZER et al. 2007, IBISCH & KREFT 2008). Insbesondere für seltene und hoch gefährdete Arten, die negativ vom Klimawandel betroffen sind, sind solche Maßnahmen erforderlich, um das Aussterberisiko der Arten zu reduzieren. Neben den direkten Auswirkungen des Klimawandels erhöhen der Ausbau erneuerbarer Energien sowie die Intensivierung der Landnutzung die Gefährdungsdisposition vieler Arten. Zur Minimierung des Aussterbepotentials betroffener Arten besteht daher ein drin-gender Bedarf, konkrete artspezifische Schutzmaßnahmen beim Ausbau erneuerbarer Energien zu berücksichtigen. Dies trifft vor allem auf Arten zu, die negativ vom Kli-mawandel betroffen sind und durch eine hohe Zahl anderweitiger Gefährdungen be-droht sind.

1.4 Ziele des Vorhabens Aufgrund der weitreichenden Folgen des rezenten Klimawandels für die Biodiversität wurde eine Vielzahl an Ufoplan-Vorhaben durch das Bundesamt für Naturschutz (BfN) durchgeführt, um die direkten und indirekten Auswirkungen des Klimawandels auf Arten und Lebensräume zu identifizieren und Handlungserfordernisse für den Na-turschutz abzuleiten. Das Ziel dieses Forschungs- und Entwicklungsvorhabens ist die Entwicklung und fachlich fundierte Erarbeitung eines für den Artenschutz unter dem Einfluss des Klimawandels zukunftsfähigen Handlungskonzeptes zum Schutz von durch den Klimawandel besonders gefährdeten Habitaten und Arten. Unter Klima-wandel wird dabei der rezente Klimawandel verstanden, der vor allem durch eine ste-tig ansteigende Erwärmung und veränderte Niederschlagsmuster gekennzeichnet ist. Die Ausarbeitung des Konzeptes erfolgt durch eine Synthese relevanter Erkenntnisse der in den letzten zehn Jahren durch das BfN durchgeführten Ufoplan-Vorhaben, die sich mit den direkten und indirekten Auswirkungen des Klimawandels auf Arten und Naturschutz beschäftigen. Ergänzt wird die Synthese durch eine umfassende Literatur-recherche zum Themenbereich. Das Handlungskonzept bezieht sich schwerpunktmä-ßig auf für den Artenschutz bedeutsame Habitate sowie auf Arten mit hoher Gefähr-dungsdisposition, für die es durch die Ufoplan-Vorhaben Hinweise auf eine Empfind-lichkeit gegenüber dem Klimawandel gibt. Neben den notwendigen Handlungserfor-dernissen zum Schutz der betrachteten Habitate und Arten werden die Sektoren be-nannt, für die ein besonderer Handlungsbedarf besteht. Des Weiteren werden Wis-sensdefizite und notwendige zukünftige Forschungsfelder zum Thema aufgeführt.

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2 Methoden Im Rahmen des Handlungskonzeptes wird der aktuelle Wissensstand zu den direkten und indirekten Auswirkungen des Klimawandels auf bedeutende Habitattypen (Tab. 1) und negativ vom Klimawandel betroffene Arten durch eine umfassende Literaturaus-wertung dargestellt. Die Recherche bestand zum einen aus einer Analyse der Veröf-fentlichungen relevanter, vom Bundesamt für Naturschutz durchgeführter Ufoplan-Vorhaben der letzten zehn Jahre, die sich mit den direkten und indirekten Auswirkun-gen des Klimawandels auf Habitate und Arten beschäftigen (relevante Vorhaben mit Bezug zu den direkten und indirekten Auswirkungen des Klimawandels für den Arten- oder Naturschutz s. Anhang 1). Zusätzlich wurde eine Literaturrecherche durchgeführt, um weitere Erkenntnisse zu den direkten Auswirkungen des Klimawandels auf die einzelnen Habitattypen zu sammeln. Dabei lag der Fokus der Recherche auf deutsch-sprachigen sowie internationalen Veröffentlichungen der letzten zehn Jahre mit Schwerpunkt auf Mitteleuropa. Die Literaturrecherche erfolgte mit den Literatur-Datenbanken isi web of science sowie DNL-online. Für jeden Habitattyp wurden Schlagwörter zur Beschreibung der Habitate in Kombination mit den Begriffen climate change bzw. Klimawandel in den Datenbanken eingegeben (s. Tab. 1). Zur Recherche des Einflusses erneuerbarer Energien auf den Artenschutz wurden bei den oben er-wähnten Suchmaschinen die für den Artenschutz bedeutsamsten Technologien mit den folgenden Schlagwörtern in Kombination mit dem Stichwort Artenschutz bzw. species conservation eingegeben: erneuerbare Energien/renewable energy; Windenergie/wind energy, wind farming; Kurzumtriebsplantage/short rotation coppice plantation; Ener-giepflanze/energy crop; Photovoltaikanlage/photovoltaic energy system.

Des Weiteren erfolgte eine Auswahl von Arten mit hoher Gefährdungsdisposition so-wie von Arten, für die Deutschland eine hohe Schutzverantwortung besitzt, für die es Hinweise durch die analysierten Ufoplan-Vorhaben gibt, dass für die Arten ein poten-tielles Gefährdungsrisiko durch den Klimawandel in Deutschland besteht. Diese Arten werden im Rahmen des Konzeptes näher betrachtet. Die Auswahl beschränkte sich dabei auf die folgenden Artengruppen: Farn- und Blütenpflanzen, Fische, Amphibien, Repilien, Vögel, Säugetiere, Libellen, Heuschrecken, Laufkäfer und Sandlaufkäfer, Tagfalter und Widderchen, Binnenmollusken (Schritt 1, Abb. 5). Aus diesen Arten-gruppen wurden alle Arten ausgewählt, die mindestens einer der folgenden Gefähr-dungs- bzw. Schutzkategorien zugeordnet werden konnten: vom Aussterben bedrohte oder stark gefährdete Art (Rote Liste 1 und 2), gefährdete Art (Rote Liste 3) mit natio-naler Verantwortlichkeit zum weltweiten Erhalt der Art (vgl. GRUTTKE et al. 2004), Art des Anhangs II und IV der Fauna-Flora-Habitatrichtlinie (FFH-Richtlinie) oder Art des Anhangs I der Vogelschutzrichtlinie (Schritt 2, Abb. 5). Zur Beurteilung des Ge-fährdungsstatus und der Schutzverantwortung wurden die folgenden Quellen verwen-det: BFN (1996, 2014a, in Vorber.), FREYHOFF (2009), JUNGBLUTH & KNORRE von (2011), KÜHNEL et al. (2009 a, b), MAAS et al. (2011), MEINIG et al. (2009), MÜLLER-MOTZFELD et al. (2004), OTT & PIPER (1998), REINHARDT & BOLZ (2011), RENN-

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WALD et al. (2011), SÜDBECK et al. (2009) und TRAUTNER et al. (1998). Ausgestorbe-ne Arten wurden nicht im Rahmen des Konzepts behandelt.

Tab. 1: Habitattypen, die im Rahmen des Konzeptes betrachtet wurden und verwendete Schlagwörter zur Recherche des Klimawandeleinflusses auf die ausgewählten Habi-tattypen.

Verwendete Schlagwörter für die Literaturrecherche Habitattyp DNL-online isi web of science Meere und Küsten Meere, Küste, Küsten-

gewässer ocean, coast, coastal eco-system

Fließgewässer und Quellen

Fließgewässer, Quelle river, stream, spring, crenobiology

Stillgewässer Stillgewässer lake, standing water body Felsen, Block- und Schutthalden, Geröll-felder, offene Bereiche mit sandigem oder bindigem Substrata

Fels, Blockschutthalde, Geröll, Rohboden

rock, scree, cliff, open soil

Äcker- und Ackerbrachen

Ackerland, Agro- biodiversität

arable land, agroecology, arable biodiversity

Grünland Grünland grassland, semi-natural grassland

Moore Hochmoore, Niedermoore

bog, fen

Zwergstrauchheiden Heide Sandheide, Ericetum tetralicis

heathland

Wälder Wälder forest Alpine Habitateb Alpines Ökosystem,

alpine Habitate alpine grassland, alpine ecosystem

Bauwerkea Gebäudesanierung � a Recherche auch ohne das Stichwort climate change b Das Kapitel beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit alpinen Rasengesellschaften.

Zur Auswahl des endgültig zu untersuchenden Artenpools, der alle negativ vom Kli-mawandel betroffenen Arten enthält, die den oben genannten Kriterien entsprechen, wurden relevante Ufoplan-Vorhaben herangezogen. Es wurden alle Vorhaben ausge-wählt, die die Klimaempfindlichkeiten von Arten bewerten bzw. die zukünftige Ver-breitung der Arten unter Klimawandeleinfluss in Deutschland modellieren (Schritt 3, Abb. 5). Die folgenden Quellen relevanter Vorhaben wurden zur Auswahl der Tierar-ten herangezogen: JAESCHKE et al. (2014), KERTH et al. (2014), KREFT & IBISCH (2013), RABITSCH et al. (2010), SCHLUMPRECHT et al. (2010) und TRAUTMANN et al. (2013). Des Weiteren wurden die Ergebnisse von BEHRENS et al. (2009) berücksich-

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Abb. 5: Methodische Schritte zur Auswahl der innerhalb des Konzepts behandelten Arten.

tigt. In die Auswahl wurden alle Arten einbezogen, die in den genannten Studien an-hand einer Empfindlichkeitsanalyse als negativ vom Klimawandel betroffen bewertet wurden (BEHRENS et al. 2009) bzw. für die durch den Klimawandel ein hohes Gefähr-dungsrisiko besteht (KERTH et al. 2014, KREFT & IBISCH 2013, RABITSCH et al. 2010, SCHLUMPRECHT et al. 2010) oder ein Arealrückgang in Deutschland prognostiziert wurde (JAESCHKE et al. 2014: Berücksichtigung der Ergebnisse nach dem Szenario A2 des Klimamodells HadCM3, TRAUTMANN et al. 2013). Die Auswahl der Farn- und Blütenpflanzen erfolgte in Anlehnung an BEHRENS et al. (2009), HANSPACH et al. (2013) und POMPE et al. (2011). Nach BEHRENS et al. (2009) wurden alle Arten aus-gewählt, die als negativ vom Klimawandel betroffen bewertet wurden. Nach HANSPACH et al. (2013) sowie POMPE et al. (2011) wurden alle Pflanzenarten ausge-wählt, für die ein negativer Klimawandeleinfluss durch Untersuchungen und Literatur-recherche identifiziert wurde (s. POMPE et al. 2011) bzw. für die bereits beim mil-desten Klimawandelszenario ein Arealrückgang in Deutschland prognostiziert wurde

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(s. HANSPACH et al. 2013, POMPE et al. 2011). Insgesamt wurden 256 Arten ausge-wählt, die den oben genannten Gefährdungskategorien entsprechen und gleichzeitig in mindestens einer der analysierten Studien als negativ vom Klimawandel betroffen identifiziert wurden (s. Anhang 2). Arten, für die sowohl ein positiver wie negativer Einfluss des Klimawandels in unterschiedlichen Studien identifiziert wurde, wurden in der Auswahl belassen. Ausgewählte Arten mit Schwerpunktvorkommen in urbanen Habitaten (Chenopodium urbicum, Galerida cristata) wurden nicht behandelt, da urba-ne Habitate aufgrund der geringen Bedeutung als Lebensraum für den Großteil der ausgewählten Arten nicht im Rahmen des Konzeptes betrachtet werden. Neben den Angaben aus den Studien wurden Erkenntnisse zum Klimawandeleinfluss auf die aus-gewählten Arten recherchiert, um den aktuellen Wissensstand wiederzugeben. Dazu wurde der Artname in Kombination mit den Stichwörtern Klimawandel bzw. climate change in den oben genannten Suchmaschinen eingegeben.

Die Ausarbeitung des Handlungskonzeptes basierte auf den oben genannten Habitatty-pen. Für jeden Habitattyp wurden die Auswirkungen des Klimawandels auf Habitat-ebene zusammengefasst. Zusätzlich wurden die ausgewählten Arten den Habitattypen zugeordnet, die den Haupt-Lebensraumgruppen der Arten entsprechen (s. Anhang 3). Die Zuordnung orientierte sich dabei an den Habitatangaben der ausgewählten Studien (BEHRENS et al. 2009, JAESCHKE et al. 2014, KERTH et al. 2014, RABITSCH et al. 2010). Bei den Pflanzen- und Vogelarten, zu denen keine Habitatangaben innerhalb der Studien vorlagen, erfolgte die Habitatzuordnung in Anlehnung an OBERDORFER (2001) bzw. BAUER et al. (2005). Die Auswirkungen des Klimawandels auf die aus-gewählten Arten sind in den entsprechenden Teilkapiteln der einzelnen Habitate dar-gestellt. Bei überschaubaren Artenzahlen werden die Arten im Kapitel aufgelistet (Kap. 3.4; 3.5; 3.8; 3.9; 3.10; 3.11), ansonsten wird auf die Anhänge 2 bzw. 3 verwie-sen (Kap. 3.1; 3.2; 3.3; 3.6; 3.7).

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3 Ergebnisse: Auswirkungen des Klimawandels auf die ausgewählten Habitate und Arten

3.1 Meere und Küsten 3.1.1 Auswirkungen des Klimawandels auf Meere und Küsten

Direkte Auswirkungen des Klimawandels auf Meere

�Wärmer, höher, saurer� sind die Stichworte, mit denen sich die direkten Auswirkun-gen des Klimawandels auf Meere beschreiben lassen (SCHMIDT & ZELLER 2012). Zum einen wirken sich die höhere Temperatur des Meerwassers, insbesondere im Bereich der Meeresoberfläche, zum anderen der Anstieg des Meeresspiegels und schließlich die Verringerung des pH-Werts des Meerwassers auf den Habitattyp aus. Außerdem wird prognostiziert, dass sich durch den Meeresspiegelanstieg und die leichte Zunah-me der Windgeschwindigkeit, die Intensität von Sturmfluten verstärken wird (vgl. WOTH et al. 2005). Vor allem für die Ostseeregion sind die Prognosen allerdings noch mit großen Unsicherheiten behaftet und je nach Zukunftsszenario bzw. Modell varia-bel (vgl. BACC 2008). Es ist zu erwarten, dass eine Zunahme von Sturmereignissen weitreichende Konsequenzen für die Lebensräume der Nord- und Ostsee nach sich ziehen wird: der Wasserkörper wird durchmischt, durch Sedimentaufwirbelungen wird das Wasser getrübt und es kommt zu verstärkter Erosion, was wiederum zu Sediment- und Habitatverlust führt. BIJMA et al. (2013) sprechen vom �tödlichen Trio�, das ne-ben der Erwärmung und der Versauerung noch den Sauerstoffentzug als wesentlichen Belastungsfaktor beinhaltet. Die Zukunft mariner Arten wird vor allem von der phy-siologischen Anpassungskapazität bestimmt sein. Auch wenn es bereits Unter-suchungen zu klimwandelbedingten Veränderungen von Lebensgemeinschaft gibt, ist vor allem der Wissensstand zur Anpassungsfähigkeit mariner Arten an veränderte klimatische bzw. hydrologische und hydrochemische Bedingungen noch sehr gering. Dennoch wird dieser Aspekt zunehmend von der Forschung berücksichtigt. Zum Bei-spiel konnten FORM & RIEBESELL (2012) nachweisen, dass bei der Kaltwasser-Korallenart Lophelia pertusa eine Anpassung an eine zunehmende Versauerung erfol-gen kann.

Die genannten Auswirkungen müssen allerdings als Trends betrachtet werden, da die Unsicherheiten in den verschiedenen Klimamodellen groß sind und somit die Intensität von Änderungen noch nicht voraussagbar ist (vgl. SCHMIDT & ZELLER 2012). Im Ost-seeraum zeichnet sich seit 1871 ein leichter Anstieg der Lufttemperatur um 0,85 °C ab, der im Norden stärker ausgeprägt ist als im Süden (diese und alle weiteren Anga-ben zur Ost- und Nordsee stammen im Wesentlichen aus einer Zusammenfassung des Wissenstands zum Klimawandel dieser Regionen in SCHMIDT & ZELLER 2012). Bis 2100 muss nach globalen Klimamodellen aber von einem Temperaturanstieg um 3�5 °C ausgegangen werden, regional und für bestimmte Jahreszeiten können noch höhere Anstiege möglich sein. Aktuell ist bei der Wassertemperatur der letzten 40 Jahre kein klarer Trend erkennbar, erwartet wird nach den IPCC-Klimaszenarien

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jedoch ein Anstieg um 2�4 °C. Der Salzgehalt der Ostsee als Brackwassergebiet unter-liegt größeren Schwankungen, die vor allem von dem unregelmäßigen Einströmen von Nordseewasser abhängen. Diese scheinen seltener zu werden, aber Prognosen hierfür sind derzeit nicht möglich. Man vermutet in der Folge zunehmender Niederschläge im gesamten Ostseeraum eine Abnahme des Salzgehalts. Während global von einem An-stieg der Meeresspiegelhöhe bis zu 60 cm ausgegangen wird (IPCC 2013), wird dieser in der Ostsee wegen der Landhebung der Skandinavischen Platte vermutlich geringer ausfallen. Weiterhin nimmt man an, dass Sauerstoffdefizite und Schwefelwasserstoff-bildung im Sommer in Flachwassergebieten häufiger auftreten als bisher. Schließlich geht man auch von einer weiteren Abnahme des derzeit sinkenden pH-Werts durch Absorption von Kohlenstoffdioxid aus (nach HJALMARSSON et al. 2008 bisher 0,1 Einheiten seit der Industrialisierung), wobei der pH-Wert aber auch natürlicherweise Schwankungen unterliegt. Bis Ende des 21. Jahrhunderts wird eine durchschnittliche Verringerung des pH-Werts der Meere um bis zu 0,3 Einheiten erwartet (IPCC 2013). Allerdings ist es zurzeit noch schwierig, die Auswirkungen der Versauerung vorherzu-sagen (HAVENHAND 2012).

Eine Reduktion der Nährstoffbelastung ist im Zuge der Umsetzung des Baltic Sea Action Plan (BSAP, HELCOM 2007) zu erwarten, wenn auch bei wärmerem und sau-erstoffärmerem Wasser mit erhöhten Phosphorflüssen aus dem Sediment, einer gerin-geren Denitrifikation und einer höheren Stickstofffixierung zu rechnen ist (MEIER et al. 2012). Nach Modellrechnungen von ARHEIMER et al. (2012) wird für die Ostsee prognostiziert, dass in Folge des Klimawandels die Stickstoffbelastung im Wasser insgesamt geringfügig zurückgehen und die Phosphorgehalte geringfügig steigen wer-den. HÄGG et al. (2012) prognostizieren hingegen erhöhte Nährstoffeinträge in die Ostsee für das Ende des 21. Jahrhunderts unter diversen Emmissions- bzw. gesell-schaftlichen Szenarien. Neben dem Klimawandel ist vor allem die Zukuft des Kon-sumverhaltens des Menschen ein entscheidender Faktor, welcher die zukünftigen Stickstoff- und Phosphoreinträge in die Ostsee bestimmt. Vor allem durch die erwarte-te Verbesserung der Lebensstandards und des damit verbundenen erhöhten Lebensmit-telkonsums werden bedeutende Stickstoffeinträge erwartet (HÄGG et al. 2012).

In der Nordsee wurde in der Deutschen Bucht in den letzten ca. 100 Jahren ein An-stieg der Lufttemperatur um ca. 1 °C beobachtet. Nach den IPCC-Szenarien wird er bis 2100 ca. 3 °C erreichen. Im Gegensatz zur Ostsee ist in der Nordsee das Wasser seit etwas mehr als 50 Jahren im Mittel bereits um 1,7 °C wärmer geworden (AWI 2014). Ausgegangen werden muss von einem weiteren Anstieg um 3 °C in der südlichen Nordsee (SHEPPARD 2004). Der Anstieg des Meeresspiegels um bis zu 60 cm wird sich insbesondere auf das Wattenmeer und die Sandbänke auswirken (s.u.). Dadurch könnten großflächige Wattgebiete, die regelmäßig trockenfallen, zukünftig dauerhaft überschwemmt sein, was für die Arten des Schlickwatts und der Salzwiesen allmählich zu großflächigen Verlusten des Lebensraums führen kann. Durch die Meereserwär-mung wird außerdem die Ausbreitung südlich verbreiteter bzw. gebietsfremder Arten

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gefördert, wodurch biotische Interaktionen beeinflusst und Lebensgemeinschaften der Meere und Küsten verändert werden (s.u.).

Im Gegensatz zu Binnenlandhabitaten sind die ökologischen Zusammenhänge in den Meeren noch viel komplexer, so dass konkrete Prognosen erschwert sind. Aufgrund der weitgehend ungestörten Vernetzung der verschiedenen Lebensräume und Arten der verschiedenen Trophieebenen können sich abiotische Änderungen direkt oder indirekt auf alle Lebewesen auswirken. Sicher feststellbar sind jetzt bereits Arealverschiebun-gen nach Norden, die PERRY et al. (2005) für 30 Fischarten in der Nordsee nachweisen konnten.

Direkte Auswirkungen des Klimawandels auf Küsten

Innerhalb von Küstenhabitaten wirken sich vor allem die zunehmende Erwärmung und Versauerung sowie veränderte Salzkonzentrationen negativ auf die Biodiversität aus. Diese Faktoren bewirken eine Veränderung habitattypischer Artengemeinschaften und haben komplexe Auswirkungen auf abiotischer Ebene (s. NARBERHAUS et al. 2012). Zusätzlich sind Küstenhabitate besonders stark durch den Meeresspiegelanstieg und zunehmende mechanische Störung in Folge verstärkter Sturmereignisse bedroht. Wie sich der Anstieg des Meeresspiegels auf Küstenhabitate auswirken wird, ist vor allem abhängig von der Küstenbebauung und dem Ausmaß des Anstiegs (CLAUSEN & CLAUSEN 2014). Generell ist eine Kompensation des Meeresspiegelanstiegs möglich, wenn die Sedimentationsrate hoch genug ist und so eine landwärtige Verlagerung der Küstenzonierung ermöglicht wird (DOODY 2008). Durch Eindeichung und Küsten-bauwerke sowie Erosion durch zunehmende Sturmfluten und Sedimentdefizite er-scheint dies heutzutage allerdings unwahrscheinlich (METZING 2006, SCHÄFER et al. 2008). Besonders Flachküstenhabitate wie das Wattenmeer und supra- und epilitorale Habitate wie Küstendünen und Salzwiesen sind durch einen Flächenverlust in Folge des Meeresspiegelanstiegs bedroht (METZING 2006, WILTSHIRE & KRABERG 2013). Durch verstärkte Kantenerosion werden vor allem Verluste der unteren Salzwiese prognostiziert (SEIBERLING 2003). In Folge des Meeresspiegelanstiegs wird erwartet, dass sich insbesondere die veränderte Überflutungsdauer, die veränderte räumliche Ausdehnung des Überflutungsgebiets und die verstärkte Küstenerosion auf das Wat-tenmeerökosystem auswirken und erhebliche Veränderung des Lebensraums bewirken (CPSL 2001). Bei einem Meeresspiegelanstieg um 25 cm wird eine Verlängerung der Überflutungsdauer um 2,5 bis 7,5 % erwartet (CPSL 2001). Bei dem extremsten Sze-nario mit einem Anstieg von 50 cm wird sogar eine Zunahme der Dauer um bis zu 15 % prognostiziert (CPSL 2001). Durch den Anstieg verkleinert sich die räumliche Ausdehnung der Gezeitenzone. Bei einem Anstieg von 50 cm wird ein Rückgang der Fläche um 15 % (720 km²) erwartet. Auch für Salzwiesen ist bei einem Meeresspie-gelanstieg von 50 cm mit erheblichen Flächenverlusten zu rechnen. Insbesondere in-nerhalb von Salzwiesen mit sehr geringer Sedimentationsrate besteht ein hohes Risiko, dass diese überflutet werden. Allerdings sind starke Unterschiede je nach Tidebecken und Sedimentverfügbarkeit zu erwarten (CPSL 2001). Verschärft werden würde die

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Problematik durch die Zunahme von Sturmfluten. Häufigere Sturmfluten erhöhen das Erosionsrisiko vor allem für die untere Salzwiesenzone. Prognosen zum Einfluss er-höhter Sturmfluten auf Küstenhabitate sind allerdings mit großen Unsicherheiten be-haftet, da abhängig von der Morphologie und Exposition der Küste lokale Unterschie-de erwartet werden (CPSL 2001).

Neben dem direkten Flächenverlust wird sich ein Meeresspiegelanstieg auch durch veränderte Hydrodynamik und Sedimentations- sowie Erosionsprozesse bemerkbar machen. Innerhalb vieler Küstenhabitate werden sich zunehmende Stürme und Stö-rungsereignisse negativ auf Lebensräume und dominante Arten auswirken. Durch ver-stärkte Erosion und verringerte Sedimentation wird beispielsweise die Abnahme des Schlickwatts gefördert (KRÖNCKE et al. 2014). Dauerbeobachtungen an Sandbänken an der Königshafener Küste auf Sylt haben gezeigt, dass durch stärkere Versandung in Folge des Meeresspiegelanstiegs Arten zurückgegangen sind, die an feinere Partikel gebunden sind (SCHUMACHER et al. 2014). Diverse Studien konnten außerdem nach-weisen, dass Seegräser äußerst empfindlich gegenüber mechanischer Störung sind (DAVISON & HUGHES 1998, CABAÇO & SANTOS 2007). Ein Rückgang von Seegräsern und Arten, die an Seegraswiesen gebunden sind, ist daher bei einer Zunahme von Sturmereignissen zu erwarten. HIEBENTHAL et al. (2012a) stufen auch die Empfind-lichkeit von Sabellaria-Riffen als hoch gegenüber mechanischer Störung ein.

Durch die klimatischen Änderungen werden sich die Verbreitungsschwerpunkte kli-maempfindlicher Arten ändern, so dass sich Habitate und Artengemeinschaften lang-fristig verändern werden. Generell gefördert werden Arten, die unter den veränderten Temperaturbedingungen konkurrenzkräftiger sind. WILTSHIRE et al. (2010) konnten beispielsweise an Hand von Dauerbeobachtungen entlang der Küste Helgolands nach-weisen, dass größere und südlich verbreitete Planktonarten durch die Meereserwär-mung gefördert wurden. Besonders bedroht sind Küstenhabitate, die aus Schlüsseldo-minanten aufgebaut werden, die empfindlich gegenüber einer Erwärmung sind wie etwa Seegraswiesen (s. NEJRUP & PEDERSEN 2008, VALLE et al. 2014). Daher ist bei einer zunehmenden Erwärmung ein Rückgang von Seegraswiesen zu erwarten. Inner-halb von Salzwiesen werden eine zunehmende Erwärmung und Trockenheit Pflanzen-arten der oberen Salzwiese fördern und einen Rückgang von Arten hervorrufen, die generell empfindlich gegenüber Trockenheit und sommerlichen Salinitätsspitzen sind (SEIBERLING 2003). An der Ostseeküste wird durch zunehmende Trockenheit und verringertes Torfwachstum eine Umwandlung von Küstenüberflutungsmooren in mi-nerogene Salzwiesen gefördert (SEIBERLING 2003). Durch großräumige Klimaände-rung wird es vermutlich auch zu Arealverschiebungen kommen. Allerdings ist dies ein sehr langsamer Prozess (SCHÄFER et al. 2008). Für 17 % von 223 Gefäßpflanzen des deutschen Küstenraumes wird ein Arealverlust durch eine zunehmende Erwärmung prognostiziert (METZING 2005). Dieser wird sich vermutlich an der Nordsee stärker auswirken, da viele Arten eine Arealverschiebung in Richtung Osten aufweisen wer-den (METZING 2005). Prognostiziert werden vor allem Rückgänge sehr seltener und

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borealer Arten innerhalb von Dünen und Dünentälern der Nord- und Ostseeküste (METZING 2002). Starke klimawandelbedingte Rückgänge werden unter anderem für die Schlüsseldominante Krähenbeere (Empetrum nigrum) vorhergesagt, so dass für Braundünenhabitate von einem hohen Gefährdungsrisiko durch den Klimawandel auszugehen ist. Auch lokal werden sich Arealverschiebungen oder Aussterbeereignisse ergeben. Beispielsweise wird erwartet, dass eine weitere Aussüßung der östlichen Ost-see eine Verschiebung halophiler Arten in Richtung Westen bewirkt, wo höhere Salz-gehalte vorherrschen werden (SCHÄFER et al. 2008).

Eine zunehmende Erwärmung wirkt sich außerdem auf biogeochemische Prozesse innerhalb von Küstenhabitaten aus und bewirkt so veränderte Habitatbedingungen. Hierzu gibt es allerdings noch wenige Erkenntnisse. Denkbar ist beispielsweise, dass sich im Salzgrünland vergleichbare Einflüsse des Klimawandels auswirken werden wie generell im Grünland etwa durch die Förderung der Produktivität durch Erwär-mung oder durch erhöhte atmosphärische CO2-Gehalte sowie interne Eutrophierung durch erhöhte Mineralisation (s. Kap. 3.6). Innerhalb von Küstendünen ist zu erwarten, dass eine zunehmende Erwärmung eine beschleunigte Mineralisation hervorrufen wird und sich so die Nährstoffverfügbarkeit verändert. GERLACH (1993) konnte beispiels-weise zeigen, dass die Stickstoff-Mineralisation innerhalb von Küstendünen stark vom Mikroklima abhängig ist. Langfristig könnten sich daher in Folge der Erwärmung und der dadurch bedigten Eutrophierung Änderungen der Artengemeinschaften ergeben, da Dünenstandorte von Natur aus nährstoffarme Habitate darstellen. MÜLLER-THOMSON (2002) stellte fest, dass eine Erwärmung innerhalb eines Übergangsmisch-watts eine erhöhte NH3-Emittierung bewirkte und Mineralisationsprozesse somit beschleunigt wurden. Durch die zunehmende Verdunstung kam es zu einer verstärkten Austrock-nung des Bodens und einer erhöhten Salzkonzentration. Wie sich derartige Prozesse auf habitattypische Artengemeinschaften auswirken, ist noch unzureichend geklärt. Es ist davon auszugehen, dass sich die verstärkte Austrocknung und die da-durch beding-te erhöhte Salzkonzentration temporär vor allem während sommerlicher Trockenpha-sen auf eu- und supralitorale Habitate auswirken werden, indem salz- oder trocken-heitsempfindliche Arten beeinträchtigt werden. Diese Faktoren dürften sich auch be-sonders stark auf semiterrestrische und kleine bzw. flache Gewässer, wie etwa Küsten-lagunen, auswirken (HIEBENTHAL et al. 2012a). Eine hohe Gefahr des Flächenrück-gangs durch zunehmende Trockenperioden besteht auch für feuchte Dünentäler (HOUSTON 2008, CLARKE & AYUTTHAYA 2010, CURELLI et al. 2013).

Im Gegensatz dazu ist zu erwarten, dass sich der verringerte Salzgehalt der Ostsee negativ auf Arten auswirken wird, die empfindlich gegenüber veränderten Salzgehal-ten sind. Beispielsweise ist das Gewöhnliche Seegras (Zostera marina) sehr empfind-lich gegenüber niedrigen Salzgehalten (NEJRUP & PEDERSEN 2008). Ein Rückgang von Seegraswiesen an der deutschen Ostseeküste ist bei anhaltender Aussüßung daher denkbar. Außerdem ist hier mit einem Rückgang der Miesmuschelbestände (Mytilus edulis) zu rechnen, da sich eine verringerte Salinität negativ auf die Schalenstabilität

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und das Wachstum auswirkt (KOSSAK 2006). Dies trifft vor allem auf die östliche Ost-see zu. Innerhalb der westlichen Ostsee könnte die Art durch Erwärmung und ausrei-chend hohe Salzgehalte hingegen gefördert werden. Zusätzlich wirkt sich eine Versau-erung der Ozeane negativ auf viele marine Organismen aus, indem die Kalzifizie-rungsrate reduziert wird oder Körperflüssigkeiten versauern (FABRY et al. 2008). Ne-gative Auswirkungen der Versauerung wurden an diversen Meeresorganismen bereits festgestellt, so unter anderem auch bei der Miesmuschel (FABRY et al. 2008).

Selbst wenn Arten bei höheren Temperaturen in den gleichen Lebensräumen verblei-ben können, werden im Zuge der Erwärmung südlich verbreitete Arten einwandern bzw. gebietsfremde Arten gefördert, wodurch die interspezifische Konkurrenzsituation für Arten verändert wird. Innerhalb von Salzwiesen ist zum Beispiel im Zuge des Kli-mawandels mit einer weiteren Ausbreitung des invasiven gebietsfremden Salz-Schlickgrases (Spartina anglica) zu rechnen, da die Produktivität und generative Aus-breitung der Art durch Erwärmung gefördert werden (vgl. NEHRING & HESSE 2008). Am Meeresboden bei Helgoland wurden beispielsweise in den letzten 25 Jahren fast 60 neue Tierarten entdeckt, was u.a. auf die Erwärmung des Meerwassers zurückge-führt wird (AWI 2014). Innerhalb von Küstenhabitaten um Sylt wurden im Vergleich zu 20 Jahre alten Untersuchungen über 50 % neue Arten der Makrofauna entdeckt (BÜTTGER 2008). Durch eine anhaltende Erwärmung des Meeres wird es vermutlich immer mehr Fälle geben, in denen neu auftauchende Arten bei den höheren Tempera-turen konkurrenzkräftiger sind als die angestammten Arten und diese dadurch ver-drängen bzw. Veränderungen von Lebensgemeinschaften und Ökosystemdienstleis-tungen hervorrufen (KATSANEVAKIS et al. 2014). Durch eine Meta-Studie konnten KATSANEVAKIS et al. (2014) 87 invasive gebietsfremde marine Arten identifizieren, die starke Veränderungen der Artenvielfalt oder von Ökosystemen in Europa hervorru-fen. Eine Art, die sich innerhalb sublitoraler Bereiche besonders stark ausbreitet und durch Erwärmung gefördert wird, ist die Pazifische Auster (Crassostrea gigas). Die Ausbreitung der Pazifischen Auster bewirkt eine Verdrängung schlüsseldominanter Arten wie etwa der Europäischen Auster (Ostrea edulis) oder der Miesmuschel (BÜTTGER 2008, HIEBENTHAL et al. 2012 a, b, JONES et al. 2013). Durch die Riffbil-dung der Pazifischen Auster werden habitattypische Nahrungsnetze und Artengemein-schaften verändert (u.a. durch Förderung von Seepockenarten) und Sedimentations-prozesse beeinflusst (BÜTTGER et al. 2008, NEHRING 2011, REISE et al. 2005). KATS-ANEVAKIS et al. (2014) konnten nachweisen, dass 49 der invasivsten Meeresarten als Ökosystem-Ingenieure fungieren und somit erhebliche Veränderungen von Ökosyste-men hervorrufen können.

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Page 38: Perspektiven für ein zukunftsfähiges Handlungskonzept · 2016-11-15 · Naturschutz und Biologische Vielfalt Heft 147 Bundesamt für Naturschutz Bonn - Bad Godesberg 2016 Artenschutz

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Indirekte Auswirkungen des Klimawandels auf Meere und Küsten

Aufgrund des Ausbaus der Offshore-Windenergie wird der Nutzungsdruck innerhalb der Meere und Küstengebiete steigen. Des Weiteren befindet sich eine Vielzahl neuer Technologien, wie etwa die Nutzung von Geothermie oder Wellenenergie im Erpro-bungsprozess und werden zukünftig möglicherweise zunehmen (BLA�AUSKAS 2013, DENGLER 2013). Auch wenn langfristige Untersuchungen bislang noch fehlen, liegen diverse kurzfristige Vorher-Nachher-Studien vor, die verdeutlichen, dass sich der Aus-bau der Offshore-Windenergie auf Habitate und Arten der Meere auswirkt. Beispiels-weise wird die Ausbildung riffartiger Strukturen im Bereich der Mastfundamente der Windenergieanlagen gefördert, indem sich sessile Arten der Hartsubstratfauna ver-stärkt ansiedeln (LANGHAMER 2012). Somit kommt es zu einer Diversifizierung der Struktur- und Habitatvielfalt und der Förderung einzelner Arten. Anhand einer Model-lierung konnten JANSSEN et al. (2013) beispielsweise nachweisen, dass die Ausbrei-tung der Ohrenqualle (Aurelia aurita) durch einen Ausbau von Offshore-Windenergie-anlagen gefördert wird, da die Fundamente der Anlagen als Habitate für das benthische Polypenstadium dienen. Dieser Riff-Effekt wirkt sich vielfältig auf marine Artenge-meinschaften aus. Neben sessilen Arten werden durch die Fundamente von Offshore-Anlagen weitere Artengruppen, wie etwa Dekapoden oder demersale Fische angelockt, da sie hier Schutz vor Wellen und Prädatoren finden und das Nahrungsangebot größer ist (LANGHAMER 2012). Dieser Effekt konnte auch im Rahmen von ökologischen Un-tersuchungen am Offshore-Windpark alpha ventus, dem ersten Offshore-Windpark in der deutschen Ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ), nachgewiesen werden. In-nerhalb von zwei Jahren nach der Fertigstellung des Windparks haben sich typische Arten der Hartsubstratfauna angesiedelt (z.B. Gemeiner Sestern Asteria rubens, Mies-muschel) (GUTOW et al. 2014). Außerdem konnten im Bereich der Anlagen zahlreiche mobile, demersale Arten in höherer Abundanz im Vergleich zum umliegenden Fein-substrat nachgewiesen werden (z.B. Taschenkrebs Cancer pagurus, Gemeiner Einsied-lerkrebs Pagurus bernhardus, Langstachliger Seeskorpion Taurulus bubalis). In Folge der Förderung von Muscheln wie die Miesmuschel werden zumindest auf lokaler Ebe-ne erhebliche Veränderungen der Energie- und Stoffumsätze erwartet (GUTOW et al. 2014).

Mit der zunehmenden Nutzung der Meeres- und Küstenregionen als Energie-Standorte wird der Ausbau von Stromleitungen erforderlich, wodurch der Flächennutzungsdruck im Küstenbereich verschärft wird und sich negative Auswirkungen auf die Natur erge-ben können. Dabei besteht eine erhebliche Beeinträchtigung nicht nur während der Betriebsphase, sondern auch während der Konstruktionsphase (s. BRAKELMANN et al. 2009). Beispielsweise können durch die Errichtung von Baustraßen ein Lebensraum-verlust und eine Zerschneidung von Habitaten sowie eine direkte Störung küstentypi-scher Arten (v.a. Vögel) und eine Beeinträchtigung von Bodenfunktionen durch Ver-dichtung begünstigt werden (BRAKELMANN et al. 2009). Durch Wasserhaltungsmaß-nahmen zur Absenkung des Grundwasserspiegels besteht ein hohes Risiko, dass

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