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ARTHUR DREWS

DIE PETRUSLEGENDE

DRITTES BIS FÜNFTES TAUSEND VÖLLIG UMGEARBEITETE AUSGABE

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS IN JENA

1924

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DIE MENSCHHEIT LEBT VON WAHNVOR- STELLUNGEN UND WILL BETROGEN WERDEN

ALLE RECHTE, INSBESONDERE DAS DER ÜBERSET- ZUNG IN FREMDE SPRACHEN VORBEHALTEN/COPY- RIGHT 1924 BY EUGEN DIEDERICHS VERLAG IN JENA

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VORWORT

Zum drittenmal erscheint hiermit die Petruslegende, und zwar diesmal in vollständig umgearbeiteter Gestalt, nachdem sie seit Jahren im Buchhandel vergriffen war. Ihr erstes Er- scheinen im Jahre 1910 hat ihr heftige Angriffe: nicht nur, wie zu erwarten war, von römisch-katholischer, sondern auch von protestantischer Seite zugetragen, offenbar vorwiegend aus der Befürchtung heraus, daß mit der Leugnung der Ge- schichtlichkeit des Petrus auch die Jesu ins Wanken geraten könne. Nachdem sich im Kampfe um die „Christusmythe" inzwischen herausgestellt hat, auf wie schwachen Füßen die Annahme eines geschichtlichen Jesus ruht, und nachdem meine Werke „Das Markusevangelium als Zeugnis gegen die Geschichtlichkeit Jesu" (1921), „Der Sternhimmel in der Dichtung und Religion der alten Völker und des Christen- tums" (1923) und „Die Entstehung des Christentums aus dem Gnostizismus" (1924) das rein erdichtete Gepräge der Evan- gelien, wie ich glaube, für jeden, der nur sehen will, außer Zweifel gestellt haben, dürfte die Behauptung, daß auch hin- ter der Gestalt des Apostels Petrus keine irgendwie geschicht- liche Persönlichkeit steht, und die Aufdeckung ihres mythi- schen Hintergrundes nicht mehr als so gewagt erscheinen. Was insbesondere von theologischer Seite gegen meine be- züglichen Ausführungen, z. B. gegen die Gleichsetzung von Petrus mit Petros (Mithra, Proteus, Petra) eingewendet wor- den ist, beruht teils auf einer verkehrten Auffassung meiner Darlegungen — als ob ich einen sprachlichen Zusammenhang zwischenjenenNamenhättebehaupten wollen — teilsauf offen- barer Unkenntnis und hat, wenn irgend etwas, nur die Hilf- losigkeit der betreffenden Kritiker gegenüber den mythologi- schen Tatsachen enthüllt. Ich habe in dieser Beziehung von meinen Aufstellungen nichts zurückzunehmen. Was aber meine Ausführungen über den Aufenthalt des Petrus in Rom und die Stiftung des Papsttums durch den „Apostelfürsten" anbetrifft, so weiß ich mich hier mit so vielen vortrefflichen Forschern einig und stützt sich diese Ansicht auf so un-

1 Drews Petruslegende 1

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widerlegliche Gründe, daß die Gegner erst dann werden be- anspruchen können, mit ihrer gegenteiligen Annahme ernst genommen zu werden, wenn sie bessere Beweise als bisher für ihre Meinung vorzubr ingen haben. Ihre neuerdings so be- liebte Berufung auf die jüngsten römischen Ausgrabungen vermag ich als einen solchen Beweis jedenfalls nicht anzu- sehen. Denn die Ergebnisse dieser Ausgrabungen sind der- artig, daß nur theologische Verbohrtheit oder Gedankenlosig- keit und der fromme Glaube, der bekanntlich selbst Berge zu versetzen imstande ist, sie für die Wahrheit der Überlieferung in Anspruch nehmen kann. Im übrigen weiß ich nur zu wohl, wie groß die Leichtgläubigkeit auf religiösem Gebiete ist, wo das Seelenheil in Frage kommt, und "wie sicher die Kirche gerade auf diesem Grunde ruht: in der Tat ein „Felsen", auf dem man eine Kirche errichten kann. Mag sie also auch in Zukunft ruhig weiter auf ihren „Felsen Petri" pochen: wenn ich im folgenden den Nachweis zu liefern unternommen habe, daß dieser „Felsen" nicht Granit, sondern — Pappe ist, so zähle ich dabei auf solche Leser, denen wirklich an der ge- schichtlichen Wahrheit und nicht bloß an der Aufrechterhal- tung der Überlieferung um des Glaubens willen gelegen ist. Karlsruhe, im Juni 1924 Arthur Drews

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PETRUS IM NEUEN TESTAMENT I. IN DEN EVANGELIEN

Matthäus 16,18 u. 19 spricht Jesus zu seinem Jünger Petrus, als dieser auf die Frage, wer er sei, ihn für den Christus, den Sohn des lebendigen Gottes, erklärt: „Du bist Petrus, und auf diesen Felsen will ich meine Gemeinde (ekklesia = Kirche) bauen, und die Pforten der Hölle sollen sie nicht überwälti- gen. Ich will dir die Schlüssel des Reichs der Himmel geben, und was du bindest auf der Erde, soll in den Himmeln ge- bunden sein, und was du lösest auf der Erde, soll in den Him- meln gelöst sein."

Die Stelle hat die verschiedenartigste Beurteilung erfahren. Die römisch-katholische Kirche gründet auf sie den sog. Primat des Petrus, die Ansicht von dem Vorrang dieses Jün- gers vor allen übrigen, und damit ihre Rechtsansprüche auf die Herrschaft über die anderen Kirchenbildungen nicht bloß, sondern auch über die Seelen. Hingegen stimmt die prote- stantische Kritik im allgemeinen darin überein, daß die Stelle das Einschiebsel einer späteren Zeit im Interesse der kirch- lichen Machtansprüche darstelle und die angeführten Worte im Munde Jesu eine offenbare Unmöglichkeit seien.

Und in der Tat, wenn irgend etwas über Jesus, wie die Evangelien ihn uns schildern, feststeht, so jedenfalls dies, daß ihm nichts ferner gelegen haben kann, als eine Gemeinde- oder Kirchengründung im Sinne des römischen Katholizismus. Jesus glaubte nach den Evangelien an das nahe bevorstehende Weltende. Mit dieser Verkündigung soll er seine Sendung an- getreten haben. Sie bildet den durchgehenden Gegenstand aller seiner Lehren, die Voraussetzung, die seiner gesamten Ethik zugrunde liegt und die allein seinen Sittensprüchen erst ihre erschütternde Kraft und „einzigartige" Färbung ver- leiht, ohne die sie zu Gemeinplätzen einer bloßen volkstüm- lichen Moralpredigt herabsinken. Der evangelische Jesus zeigt sich aufs tiefste überzeugt von der unmittelbaren Nähe des sog. Himmelreiches, d. h. der messianischen Endzeit und sei- ner eigene n Wiederkunft in den Wolken des Himmels zur

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Aufrichtung der von allen so sehnsüchtig erwarteten Gottes- herrschaft. Er zweifelt nicht, daß der Untergang des gegen- wärtigen Zustandes hereinbrechen und diese Welt zugrunde gehen werde, noch bevor das gegenwärtige Geschlecht aus- gestorben sein, ja, vielleicht alsbald, nachdem sein eigenes Geschick auf Erden sich erfüllt haben würde: und da hätte er noch kurz vor Toresschluß so etwas wie eine Gemeinde, eine Kirche gründen sollen ? Das ist genau so unwahrschein- lich, wie daß er das Abendmahl „zu seinem Gedächtnis" ein - gesetzt haben sollte, wo er das Ende doch bereits so nahe vor der Türe sah, daß er mit einer solchen Einsetzung sich selbst aufs schroffste widersprochen haben würde.

Es kommt hinzu, daß die angeführten Matthäusworte auch nicht im Einklang stehen mit anderen Äußerungen Jesu, in denen er nicht nur einem Jünger allein, sondern allen die Vollmacht zuspricht, zu binden und zu lösen. So heißt es in demselben Evangelium des Matthäus 18, 18: „Wahrlich, ich sage euch, was ihr auf Erden bindet, wird im Himmel ge- bunden sein, und was ihr löset auf der Erde, wird im Himmel gelöst sein."1 Es handelt sich dabei dem Zusammenhange nach um den Erlaß der Sündenschuld. Matth. 19, 28 stellt Jesus seinen Jüngern zwar die feierliche Ausübung des höch- sten Richteramtes über Israel bei seiner Verherrlichung in Aussicht, allein wiederum ohne irgendeinen der Jünger be- sonders zu bevorzugen. Ja, nach Matth. 20, 20ff. weist er die Ansprüche der Söhne des Zebedäus oder ihrer Mutter, es möchte in seinem Reiche einer von ihnen zu seiner Rechten, der andere zur Linken sitzen, sogar ausdrücklich mit den Worten ab: „Das Sitzen zu meiner Rechten und Linken habe ich nicht zu verleihen; das kommt an die, welchen es bereitet ist von meinem Vater", und er fügt hinzu: „Ihr wisset, daß die weltlichen Völker herrschen und die Oberherrn Gewalt haben. Nicht also soll es bei euch sein. Sondern wer unter euch groß werden will, der soll euer Diener sein, und wer unter euch der erste sein will, der soll euer Knecht sein."

Jesus verwahrt sich also entschieden gegen jede Rangord- 1 Vgl. Joh. 20, 23. 4

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nung unter seinen Jüngern und wird nicht müde, die Seinigen zur Demut zu ermahnen: „Ihr sollt euch nicht Rabbi nennen lassen; denn einer ist euer Meister, ihr aber seid alle Brüder. Auch Führer sollt ihr euch nicht nennen lassen; denn einer ist euer Führer, der Christus. Der größte unter euch soll euer Diener sein. Denn wer sich selbst erhöht, der wird erniedrigt werden, und wer sich selbst erniedrigt, der wird erhöht wer- den,"1 Es ist schlechterdings unmöglich, zu glauben, daß je - mand, der dies seinen Jüngern eingeschärft hat, trotzdem einem einzigen von ihnen eine besondere Stellung über den anderen sollte zugesprochen haben. Jesus weist nach dem Evangelium des Johannes den Petrus sogar ausdrücklich in seine Schranken, als dieser, einen besonderen Vorrang bean- spruchend, auf den Johannes hindeutet und ihn fragt: ,,Herr, was soll dieser?" „So ich will," antwortet er ihm, „daß er bleibe, bis ic h komme, was geht es dich an? Folge du mir nach." Ähnlich aber weist auch Paulus darauf hin, daß im Garten Gottes alle gleich seien, Diener des Höchsten, und Christus der einzige Grund sei, auf den die Seinen bauen sollten: „Darum rühme sich niemand eines Menschen. Es ist alles euer. Es sei Paulus oder Apollos, es sei Kephas (Petrus) oder die Welt, es sei das Leben oder der Tod, es sei das Gegen- wärtige oder Zukünftige: alles ist euer. Ihr aber seid Christi, Christus aber ist Gottes."2

Wer ist eigentlich dieser Petrus, der nach der angeführten Matthäusstelle so merkwürdig über seinesgleichen erhöht wird?

Nach der Darstellung des ältesten und angeblich zuver- lässigsten Evangelisten Markus führt er ursprünglich den Namen Simon, ist ein Bruder des Andreas und übt mit die- sem zusammen das Fischerhandwerk am See Genezareth aus. Ein offenbar sehr gutgläubiges Menschenpaar. Denn als die Brüder eines Tages gerade ihre Netze auswerfen und Jesus an beiden vorbeigeht und ihnen zuruft: „Folget mir nach, so will ich euch Menschenfischer werden lassen", da lassen Simon und Andreas alsbald ihre Netze im Stich und folgen

l Matth. 23, 18ff. 2 I. Kor. 3,21 ff.

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ihm ohne weiteres Besinnen nach, wie magnetisch von ihm angezogen.1 Leider ist nur die ganze Geschichte samt dem Worte von den Menschenfischern dem Alten Testament ent- lehnt und geht auf die Geschichte des Elisa zurück, der dem Elias gleichfalls ohne Säumen nachfolgt, als dieser ihn vom Pflügen fortruft.2 Wir brauchen ihr also keinen Glauben zu schenken. Abermals tritt Petrus bei Markus hervor, als Jesus zu Kapernaum seine am Fieber erkrankte Schwiegermutter heilt.3 Aber auch diese Geschichte verdient kein Vertrauen. Sie ist, abgesehen davon, daß sie vom Sternhimmel abgelesen ist, der Heilung des Vaters des Publius durch Paulus in der Apg. 28, 6ff. nachgebildet.4 Dann erfahren wir Mk. 3, 13ff., daß Jesus zwölf Männer um sich versammelt, um sie zur Verkündigung und mit der Vollmacht auszusenden, die Dä- monen auszutreiben, bei welcher Gelegenheit er dem Simon den Namen Petrus, d. h. Fels, gibt. Mk. 5, 37 ist Petrus der- jenige, der zusammen mit Jakobus und dessen Bruder Jo- hannes, der Auferweckung der Tochter des Jairus beiwohnen darf. Da indessen diese ganze Geschichte gleichfalls nur aus der ähnlichen Totenerweckung des Elias und Elisa5 zusam- mengesponnen ist,6 so braucht man sich auch hierbei nicht weiter aufzuhalten. Dann erzählt auch Markus7 die Ge- schichte des Petrusbekenntnisses, aber bedeutend kürzer und schlichter als Matthäus. Auf die Frage Jesu, wer er sei, ant- wortet Petrus nur einfach: ,,Du bist der Christus." Der wei- tere Verlauf der Erzählung ist dann freilich ebenso wie bei Matthäus. Die Leidensweissagung Jesu veranlaßt Petrus, die - sen zu schelten. Dafür wird er von Jesus zurechtgewiesen und sogar „Satan" genannt, ohne daß dies recht verständ- lich wird. Gleich darauf darf er dann allerdings Jesus mit Jakobus und Johannes auf den Berg begleiten und Jesu Ver- klärung zuschauen. Dabei erscheinen ihnen die Gestalten des Moses und Elias, und Petrus ge rät darüber so außer sich, 1 Mk. 1, 16ff. 2 S. mein Werk: Das Markusevangelium als Zeugnis gegen die Geschichtlichkeit Jesu 1921, 77ff. 3 Mk. 1, 29ff. 4 Mar- kusevg. 88. 6 1. Kge. 17, 17ff.; 2. Kge. 4, 8ff. 6 Markusevg. 135ff. 7 8, 27 ff.

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daß er nicht weiß, was er sagen soll, und Unsinn redet, wenn er vorschlägt, für Jesus, Moses und Elias je ein Zelt zu bauen. Wir erfahren indessen nicht, daß Jesus ihn wegen dieser Torheit tadelt,1 und entnehmen aus einem Blick auf das Alte Testament, daß auch die ganze Verklärungsgeschichte in die - sem ihre Quelle hat: nämlich in der Verklärung des Moses auf dem Berge Sinai.2 Wohl aber muß Petrus sich eine solche Zurechtweisung gefallen lassen, als er auf die Bemerkung Jesu, alle seine Jünger würden ihn in der Stunde der Gefahr verlassen, auf das kräftigste beteuert, daß er dies niemals tun werde.3 Allein auch diese Geschichte ist teils auf Grund des Weissagungsbeweises des Alten Testaments zustande ge- kommen, teils im Hinblick auf die petra skandalou, den „Fel- sen des Ärgernisses" und „Stein des Anstoßes", wie Paulus Rom. 9, 33 das Jesaiawort 8, 14 wiedergibt, das der Evan- gelist auf den Namen Petrus, d. h. Felsen oder Stein, be- zieht.4 Auch die Gethsemanegeschichte mit dem Schlaf der drei Jünger Petrus, Jakobus und Johannes ist teils dem Alten Testament, teils der Verklärungsgeschichte sowie dem Gleich- nis vom Türhüter5 nachgebildet und entbehrt aller geschicht- lichen Tatsächlichkeit.6 Und dasselbe gilt auch von der Ver- leugnung des Petrus,7 die der petra skandalo u des Paulus und Jesaia nur einen neuen Ausdruck gibt.8 Zuletzt wird der Name des Petrus im Markusevangelium von dem Engel am Grabe Jesu erwähnt, der den Weibern aufträgt, „seinen Jüngern und dem Petrus" mitzuteilen, daß Jesus ihnen nach Galiläa vorangegangen sei und sie ihn dort wiedersehen wür- den. Man wird indessen auch dies wohl kaum für eine „ge- schichtliche Notiz" erachten wollen.

Die Untersuchung des ältesten Evangeliums ergibt also hiernach nichts, was als „geschichtliche Erinnerung" an Pe- trus angesehen werden könnte. Sehen wir zu, was die übrigen Evangelisten dem hinzuzufügen haben.

Da ist zunächst bei Matthäus der Zusatz zur Geschichte 1 Mk. 9, 2ff. 2 Ex. 24; vgl. Markusevg. 182ff. 3 Mk. 14, 26ff. 4 Markusevg. 258. 5 Mk. 13, 33ff. 8 Markusevg. 14, 32ff. 7 Mk. 14, 66 ff. 8 Markusevg. 275ff.

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des zur Nachtzeit auf dem See wandelnden Jesus, daß Petrus sich erbietet, zu ihm zu kommen, aber alsbald auf dem Wasser von Kleinmut befallen wird und zu sinken droht, von Jesus jedoch bei der Hand gefaßt und wegen seines Klein- glaubens gescholten wird.1 Die Geschichte ist zu offenkun- dig nur eine dichterische Veranschaulichung der Kraft des Glaubens und trägt auch ein zu märchenhaftes Gepräge, um für geschichtlich angesehen werden zu können. Als Jesus sich über die Reinheit ausspricht und sich dabei eines für jeden gewöhnlichen Menschen ohne weiteres verständlichen Gleichnisses bedient, bittet Petrus ihn, dieses Gleichnis zu deuten.2 Dann fordert Jesus Matth. 17,24 ff. ihn auf, die Angel in den See auszuwerfen, den ersten Fisch, der heraufkommt, zu nehmen und ihm das Maul zu öffnen; da werde er das für die Steuer nötige Geldstück finden: es ist das aber ganz gewiß doch nur ein — Märchen.3 Matth. 18, 21 stellt Petrus die Frage an den Herrn, wie oft er seinem Bruder zu vergeben habe, um Jesus die Gelegenheit zur Erzählung des Gleich- nisses vom mitleidslosen Schuldner zu liefern. Man sieht, unsere geschichtliche Kenntnis der Person des Petrus wird selbst durch Matthäus, trotz seiner offenbaren Vorliebe für diesen Jünger, die sich u. a. auch darin äußert, daß er mit Nachdruck den Petrus als den ersten unter allen Aposteln aufzählt,4 nicht bereichert.

Als eine solche Bereicherung wird man auch die Geschichte vom wunderbaren Fischzug bei Lukas 5, 1 ff. nicht ansehen wollen, gelegentlich dessen Jesus ihn zum „Menschen- fischer" bestimmt. Handelt es sich doch auch hier nur um ein uraltes Märchenmotiv, wie es sich u. a. auch in Tausend- undeiner Nacht verwertet findet. Aber auch die Worte, die Jesus im Hinblick auf die bevorstehende Verleugnung durch Petrus nach dem Lukasevangelium 22, 31 an diesen Jünger richtet, bringen uns nicht weiter: „Simon, Simon, siehe der Satan hat sich ausgebeten, euch zu sichten wie den Weizen. 1 Matth. 14, 25ff. 2 15, 15. 3 S. mein Werk: Der Sternhimmel in der Dichtung u. Religion d. alten Völker u. d. Christentums, eine Einführung in die Astralmythologie 1923, 268. 4 Matth. 10, 2.

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Ich aber habe für dich gebeten, daß dein Glaube nicht aus- gehe, und du, wenn du dereinst dich bekehrt, stärke deine Brüder." Sie besagen nur einfach, daß Petrus nach seiner Verleugnung kraft des Gebetes Jesu bald wieder zu sich selbst kommen und dann seine Brüder, die noch verzagter sein werden als er selbst, trösten und aufrichten werde. Sie mit der Übertragung der Schlüsselgewalt an Petrus zusammen- zubringen und wohl gar in ihnen die Unerschütterlichkeit und Unantastbarkeit des kirchlichen Glaubens ausgesprochen zu finden, blieb wohl nur der katholischen Auslegekunst und solchen, die das Gras wachsen hören können, vorbehalten.1

Das ist aber auch alles, was Lukas zu den Berichten des Matthäus und Markus über Petrus hinzufügt.

Man wird hiernach auch auf den vierten Evangelisten keine große Hoffnung setzen dürfen. Sein Werk ist zuge- standenermaßen ganz dogmatisch, und was er an geschicht- lichen Tatsachen berichtet, das hat er nur einfach den übrigen drei Evangelien entnommen und sich nach seinen Zwecken zurechtgelegt, wobei er ganz und gar willkürlich zu Werke geht. Es ist daher auch keinerlei Gewicht darauf zu legen, daß Petrus bei Johannes geflissentlich in den Hintergrund gedrängt wird, um den Lieblings jünger des Herrn, Johannes, dafür um so entschiedener herauszustreichen. So wird Petrus hier nicht, wie nach den Synoptikern, an erster, sondern erst an dritter Stelle von Jesus berufen, und zwar durch Vermittlung seines Bruders Andreas.2 Bei der Fußwaschung kommt der Herr erst an zweiter Stelle zu Petrus, und dieser weigert sich, seine Füße von Jesus waschen zu lassen, um aber, als dieser ihm erwidert, daß er dann auch keinen Teil an ihm habe, sich um so eifriger zur Waschung heranzudrän- gen.3 Als Jesus seinen Jüngern mitteilt, daß einer von ihnen ihn verraten werde, muß Petrus, um zu erfragen, wen er meint, sich der Vermittlung des Jüngers bedienen, „welchen Jesus lieb hatte".4 Dafür zeigt sich Petrus zwar als der mu- tigste unter allen Jüngern, indem er es nach Johannes ge- 1 J. Schnitzler: Hat Jesus das Papsttum gestiftet? 1910, 40ff. 2 Joh. I, 35ff. 3 13, 5ff 4 13,21ff.

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wesen sein soll, der bei der Gefangennahme Jesu dem Knechte Malchus das rechte Ohr abhaut, weswegen er freilich von Jesus zurechtgewiesen wird.1 Allein am Ostermorgen wird Petrus beim Gange nach dem Grabe vom Lieblingsjünger Jesu über- holt:2 eine freilich recht kindliche Erfindung, um diesen Jün- ger über Petrus zu erheben. Und auch im Nachtrag des Evan- geliums, wo der fischende Petrus beim Anblick des Herrn sich ohne weiteres in den See stürzt, um zu diesem hinzuschwim- men, und abermals einen wunderbaren Fischzug tut, muß er sich wegen einer Bemerkung über den Lieblingsjünger einen Tadel von Seiten Jesu zuziehen.3

Man hört soviel vom evangelischen Petrus reden. Wenn man aber die Evangelien daraufhin ansieht, so erstaunt man, wie wenig sie uns eigentlich über diesen mitzuteilen haben, ganz zu schweigen davon, daß dies alles reine Erfindung ohne jegliche geschichtliche Wahrheit ist.

2. IN DER APOSTELGESCHICHTE

Zunächst stimmt auch die Apostelgeschichte darin mit den Evangelien überein, daß sie zwar in ihrem ersten Teile dem Petrus ihr Hauptinteresse zuwendet und seine Reden und wunderbaren Taten schildert, ihn aber doch nicht selbst als obersten Leiter der Gemeinde zeigt, sondern ihn hierin hinter Jakobus, dem „Bruder des Herrn", zurückstehen und ihn auch sonst keine Ausnahmestellung einnehmen läßt. Denn als er den heidnischen Hauptmann Cornelius und dessen Familie getauft und ohne vorherige Aufnahme in die jüdi- sche Gemeinde dem Christentum zugeführt hat, da muß er sich gefallen lassen, von den anderen Aposteln und Brüdern hierfür zur Rechenschaft gezogen zu werden, und er beruft sich nicht etwa auf die ihm von Jesus übertragene Gewalt, zu binden und zu lösen, sondern rechtfertigt sich durch sach- liche Gründe.4 Auch gibt beim sog. Apostelkonzil, wo über die Frage der Heidenmission entschieden wird, nicht seine Rede, sondern die des Jakobus den Ausschlag.6 1 Joh. 18, 10. 2 20, 3f. 3 ,21,22 4 Apg. 11. 5 15.

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Im übrigen begegnen wir in der Apostelgeschichte dem Petrus zunächst als dem Anstifter der Wahl des Matthias, der an Judas' Stelle zum Apostel gewählt wird.1 Da indes die ganze Geschichte vom Verrat des Judas, ebenso wie die Ge- schichte von seinem schrecklichen Tode, auf Erfindung be- ruht, 2 so ist auch jene Nachricht wertlos. Und ebenso wertlos ist die Erzählung von der Rede, die Petrus bei Gelegenheit des Pfingstwunders hält,3 da das ganze Wunder auf Grund von Joel 3, 1 ff. zusammengefabelt worden und aller geschicht- lichen Wirklichkeit bar ist. Und sollen wir die zahllosen Wunder und Zeichen glauben, die der Verfasser der Apostel- geschichte uns zum besten gibt ? Sie sind ja ganz offensichtlich nur den Wundern Jesu nachgebildet und dienen blos zur Ver- anschaulichung der Heilungen und Wundertaten, zu denen der Heiland in den Evangelien den Seinigen die Vollmacht er- teilt. So, wenn Petrus und Johannes einen Lahmen am Tor des Tempels im Namen von Jesus Christus dem Nazaräer hei- len4 und Petrus dabei wieder eine Rede hält, um diese als- dann vor den Hohenpriestern und Schriftgelehrten, von denen sie zur Verantwortung gezogen werden, durch eine weitere Rede zu ergänzen.5 Oder wenn er den Ananias, weil er bei der kommunistischen Lebensweise der Anhänger Jesu etwas von seinem Gute zurückbehält, durch seine Strafrede tötet und gleich darauf auch dessen Frau Sapphira auf dieselbe einfache Weise vom Leben zum Tode befördert6—eine höchst unwahrscheinliche Geschichte, die noch dazu ein böses Licht auf den Apostel wirft, der andere so streng für ein Vergehen bestraft, das zum mindesten nicht schlimmer ist als das, wel- ches er selbst durch dessen Verleugnung an seinem Herrn und Meister begangen hat.

Überhaupt ein merkwürdiger Mann, dieser Petrus! Er heilt Kranke sogar durch seinen bloßen Schatten!7 Und als er mitsamt den übrigen Aposteln eingesperrt wird, da öffnet ihnen ein Engel bei Nacht die Türen des Gefängnisses, und sie verkündigen ruhig nach wie vor im Tempel ihre Lehre 1 Apg.1, 15ff. 2 Markusevg. 245ff., 251 ff.; Der Sternhimmel 278ff. 3 Apg. 2, 14ff. 4 3, 1ff. 5 4, 1ff. 6 5, 1ff. 7 5, 15.

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von Jesus. Als sie aber daraufhin von neuem ergriffen und vor den Hohen Rat gebracht werden, da hält Petrus wieder eine seiner bekannten Reden, wobei er nicht nur sich selbst sowie die übrigen Jünger, sondern sogar den heiligen Geist als Zeugen für die Auferstehung Jesu anführt!1 Dadurch veranlaßt er den weisen Gamaliel dazu, ebensowohl seine weissagerische Kraft wie seine völlige Unkenntnis der Ge- schichte zu offenbaren: denn dieser spricht von Theudas, der in Wahrheit erst zehn Jahre später unter Claudius seine Em- pörerrolle gegen Rom gespielt hat, als einem kürzlich er- schienenen Aufrührer, und läßt Judas den Galiläer, der be- reits vierzig Jahre vorher einen Aufstand hervorgerufen hatte, erst nach dem Theudas auftreten.2 Ja, so mutig sind die Jün- ger jetzt geworden, daß sie sich auch nichts daraus machen, mit Ruten gezüchtigt zu werden, weil sie „auf den Namen Jesu" reden, über ihr Märtyrertum sogar noch froh sind und nicht ablassen, im Tempel wie zu Hause die frohe Botschaft von Christus Jesus zu verkündigen.3

Sogar in Samarien, diesem den Juden wegen seines Götzen- dienstes so sehr verhaßten Lande, wird jetzt das Evangelium mit Erfolg gepredigt. Der Zauberer Simon selbst, dem alles anhängt, weil er sich die ,,große Kraft Gottes" nennt, und der das Volk mit seinen Zaubereien verführt, nimmt den neuen Glauben an, und Petrus und Johannes taufen die Bekehrten auf den heiligen Geist, nachdem sie vorher nur auf den Namen des Herrn Jesus getauft waren. Dabei weist der sitten- strenge Petrus den Simon zurecht, weil er ihn darum angeht, auf die gleiche einfache Weise, nämlich durch bloßes Hand- auflegen, den heiligen Geist verleihen zu können, und ihm da- für Geld anbietet.4 Dann setzt Petrus seine Heiltätigkeit fort, und der heilige Geist, von dem er vorher nur zu oft verfassen zu sein schien, ist auch ferner mit ihm. Zu Lydda macht er den gelähmten Äneas von seinem Bette aufstehen. In Joppe weckt er die verstorbene Tabitha, die so schöne Röcke und Überkleider anfertigen konnte, vom Tode auf, und zwar ganz nach dem berühmten Muster der Auferweckung der Tochter

1 Apg. 5, 17ff. 2 5, 36f. 3 5. 40ff. 4 8, 4ff.

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des Jairus durch Jesus. Tabitha, wird uns gesagt, heißt Reh. Wir haben jedoch alle Veranlassung, anzunehmen, daß der Name bloß aus dem Talita kumi (Mädchen, stehe auf) ge- bildet ist, mit welchem Jesus nach Markus die Jairustochter ins Leben zurückruft, und daß somit auch diese ganze Ge- schichte ein kleiner sog. „frommer" Betrug ist.1

Es folgt nun die Geschichte vom Hauptmann Cornelius. Dieser, ein frommer und gottesfürchtiger Mann, wird durch einen Engel im Traume aufgefordert, den Petrus zu sich kom- men zu lassen. Die Abgesandten treffen diesen Petrus nach einem wunderlichen Gesichte, das er auf dem Dache seines Hauses gehabt hat, an und führen ihn zu dem heidnischen Hauptmann. Hier tut er wieder den Mund zu einer seiner be- rühmten Reden auf, bei welcher der heilige Geist auf alle Zuhörer, ja, zum großen Erstaunen der gläubigen Juden sogar auf die ungetauften Heiden fällt, was sich bei ihnen in der Weise äußert, daß sie Zungen reden und Gott preisen. Darauf- hin werden sie eiligst von Petrus getauft. Dieser aber wird von den Aposteln und Brüdern in Judäa dafür zur Rechen- schaft gezogen, daß er bei unbeschnittenen Männern ein- getreten sei und mit ihnen zusammen gegessen habe. Als er ihnen jedoch erzählt, wie alles zugegangen sei, da beruhigen sie sich und preisen Gott, daß nun auch den Heiden die Buße zum Leben verliehen sei.2 Daß wir es auch bei dieser Erzäh- lung wieder nur mit einer Dichtung zu tun haben, geht u. a. auch daraus hervor, daß sie der Geschichte des Propheten Jona im Alten Testamente3 nachgebildet ist. Hier wird der Prophet von Jahwe aufgefordert, den Heiden in Ninive zu predigen, weigert sich anfangs, wird aber alsdann durch ein Wunder gezwungen, dem Willen Gottes zu gehorchen. Dort weigert Petrus sich im Traume, von den unreinen Tieren zu essen, die vom Himmel zu ihm herabgelassen werden, wird aber durch die Stimme aus der Höhe alsbald trotzdem hierzu veranlaßt — eine Vorwegnahme seines Verhaltens zu dem heidnischen Hauptmann. Und der Vater des Petrus führt bei den Synoptikern den Namen Jona!

1 Apg 9, 32ff. 2 10 u. 11. 3 Jos. 1 u. 2.

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Jetzt aber ergeht es dem Petrus wirklich schlecht. Der König Herodes läßt ihn ergreifen und ins Gefängnis werfen, wo er unter strenger Bewachung gehalten wird: offenbar da- mit nicht abermals ein Engel ihn entwischen lasse. Aber der König hat die Rechnung ohne den — Engel gemacht. In der Nacht erscheint dieser trotzdem, weckt den schlafenden Petrus durch einen Stoß in die Seite und befiehlt ihm, auf- zustehen. Und siehe! alsbald fallen ihm die Fesseln von den Händen ab, und nachdem er sich angekleidet, spaziert er in aller Seelenruhe mit dem Engel durch die Posten hin- durch ins Freie. Die eisernen Tore des Gefängnisses sprin- gen von selbst auf. Petrus aber begibt sich, nachdem er sich von seinem nur zu berechtigten Erstaunen erholt hat, zum Hause der Maria, der Mutter des Johannes Markus, wo die Gläubigen in zahlreicher Versammlung im Gebete be- griffen sind, und erscheint, zuerst von der erfreuten Magd erblickt, plötzlich mitten unter ihnen. Er hat es seinem Meister Jesus offenbar gut abgesehen, wie man es machen muß. Denn die ganze kindische Geschichte ist ganz offen- sichtlich eine bloße geistlose Nachbildung der Auferstehungs- geschichte Jesu und seines Erscheinens vor den Jüngern und weist zugleich auf jene bekannte Geschichte in den „Meta- morphosen" des Ovid zurück, wo der Fischer Acoetes wegen seiner Anhänglichkeit an den neuen Gott Dionysos ins Ge- fängnis gesperrt, aber durch ein Wunder seines Gottes aus diesem befreit wird.1

Mit dem Erscheinen unter den Seinigen bzw. mit dem Be- merken, daß er diesen nach Galiläa vorangegangen sei, und der Aufforderung, dies den Jüngern mitzuteilen, bricht die Darstellung des Lebens Jesu in den Evangelien ab. Und in der Apostelgeschichte sagt Petrus zu den Versammelten: „Meldet dies dem Jakobus und den Brüdern", „und", heißt es dann weiter, „ging hinaus und zog an einen andern Ort."2

Es scheint, daß dem Verfasser der Apostelgeschichte, nach- dem er das Leben des Petrus in der Hauptsache dem Leben Jesu nacherzählt hat, der Stoff ebenso ausgegangen ist, wie

1 Markusevg. 80. 2 Apg. 12, 17. 14

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dem Verfasser des Markusevangeliums, nachdem er die Ge- schichte Jesu an der Hand des Lebens eines Moses, Elias und Elisa erdichtet hat. Denn hinfort ist von ihm in der Apostel- geschichte nur noch einmal die Rede: nämlich gelegentlich der Apostelversammlung im Jahre 53 (?), wo er wieder einmal als der erste das Wort nimmt, unter Hinweis auf den Haupt- mann Cornelius für sich den Ruhm beansprucht, die Heiden- mission eröffnet zu haben, und sich im übrigen in dieser Frage als vernünftiger und weitherziger Mann erweist. Man weiß nur nicht, worüber man sich mehr wundern soll: über die Keckheit, mit welcher hier die Wahrheit auf den Kopf ge- stellt ist, wenigstens unter der Voraussetzung, daß dasjenige, was von Paulus berichtet wird, nur irgendwelche geschicht- liche Tatsächlichkeit besitzt, oder über die Gedankenlosig- keit des Schreibers der Apostelgeschichte, der uns glauben machen will, Petrus hätte sich nur so einfach wieder in einer Stadt einfinden dürfen, in welcher er kürzlich aus dem Ge- fängnis entkommen war! Oder sollen wir vielleicht glauben, daß der gütige Engel dem Herodes und seinen Beamten den Vergessenheitstrank im Interesse des biederen Petrus ge- reicht habe?1

Nein, auch das, was die Apostelgeschichte uns über ihn be- richtet, ist nichts als reine Dichtung. Nichts, schlechterdings gar nichts wissen wir aus den angeführten neutestament- lichen Quellen, den Evangelien und der Apostelgeschichte, von ihm und haben daher, wenn es keine weiteren Zeugnisse über ihn gibt, das gute Recht, zu sagen: dieser Petrus ist eine genau so mythische Persönlichkeit, wie sein Herr und Meister Jesus. Man müßte denn etwa annehmen, daß Hera- kles zwar dem Mythos, sein Wagenlenker und Gefährte Iolaos jedoch der Geschichte angehöre.

3. IN DEN PAULUSBRIEFEN

Nun begegnet uns Petrus aber auch in den Briefen des Apostels Paulus, und zwar hier unter dem aramäischen 1 Apg. 15.

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Namen Kephas für Fels: 1. Kor. 3, 22; 9, 5; 15, 5. Im Ga- laterbrief 2, 9 erscheint er zusammen mit Jakobus und Jo- hannes unter den „Säulen" der jerusalemischen Urgemeinde und empfängt den Besuch des Paulus, als dieser drei Jahre nach seiner Bekehrung aus Arabien wieder nach Jerusalem zurückkehrt.1 Vor allem aber tritt er zu diesem in eine nähere Beziehung, als sich, vierzehn Jahre nach diesem ersten Zu- sammentreffen mit ihm, unter den Aposteln eine Meinungs- verschiedenheit über die Art der Missionstätigkeit entwickelt und zu ärgerlichen Streitigkeiten führt, die alsdann auf dem bereits mehrfach erwähnten „Apostelkonzil" zu Jerusalem geschlichtet werden. Auf Grund der hier erzielten Einigung nimmt Petrus nach dem Galaterbriefe keinen Anstand, mit den Heidenchristen in Antiochia zusammen zu Tische zu sitzen. Als indessen Leute des zelotischen Jakobus nach Antiochia kommen, zieht er sich von den Heidenchristen zurück, aus Furcht, von jenen gescholten zu werden, und verführt dadurch auch andere, sogar den Barnabas, den Ge- nossen des Paulus bei seiner Missionstätigkeit, dazu, sich gleichfalls von den Tischen der Heidenchristen fernzuhalten. Dafür bezichtigt Paulus ihn der Heuchelei und hält ihm Öffentlich wegen seiner Unzuverlässigkeit und seines Wankel- mutes eine harte Strafpredigt.3

Der Galaterbrief gilt als die älteste Urkunde, die wir über den Apostel Petrus besitzen, da er der älteste Brief des Paulus und gegen Ende der vierziger oder zu Beginn der fünfziger Jahre des ersten Jahrhunderts geschrieben sein soll. Das „Echteste des Echten" versichern uns treuherzig die Theo- logen. Die Sache ist indessen mehr als zweifelhaft. Der Ga- laterbrief ist offensichtlich zur Verherrlichung des Apostels Paulus, und zwar in der besonderen Absicht geschrieben, dessen vollständige Selbständigkeit, Ursprünglichkeit und Unabhängigkeit von der Gemeinde in Jerusalem zu erweisen. Er richtet sich gegen die Apostelgeschichte oder doch wenig- stens deren Quellenschrift, die von Petrus handelte, und in welcher Petrus vor allem herausgestrichen war, in der un-

1 Ebd. 1, 18 2 Gal. 2, 11ff.

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verkennbaren Absicht, den Paulus über Petrus zu erheben und diesen in den Augen der Leser möglichst herabzusetzen. Daher der erregte Ton zu Beginn des Briefes mit seinen Flü- chen, seinen gereizten Ausfällen gegen die Gegner und Be- teuerungen. Sein Verfasser will den Glauben erwecken, als habe er sein Evangelium unmittelbar von Jesus Christus selbst auf dem Wege einer göttlichen Offenbarung empfangen, nicht durch menschliche Vermittlung der Jesusanhänger zu Jerusalem oder Damaskus, wie die Apostelgeschichte es dar- stellt. Daher die ungeheuere Unwahrscheinlichkeit, daß Pau- lus nach seiner Bekehrung sich nicht nach Jerusalem be- geben haben will, wo er Näheres über Jesus hätte erfahren können, sondern auf drei Jahre nach Arabien verschwindet und auch bei seiner Rückkehr nach Jerusalem außer Petrus und Jakobus, dem „Bruder des Herrn", keinen der anderen Jünger gesehen zu haben behauptet.1 Die Apostelgeschichte hatte es so dargestellt, daß Paulus und Barnabas von der Ur- gemeinde zu Jerusalem vor ihre Schranken geladen werden, um sich wegen ihrer Missionstätigkeit unter unbeschnittenen Heiden zu verantworten.2 Demgegenüber läßt der Galater- brief den Paulus auf Grund einer Offenbarung sich freiwillig nach Jerusalem begeben, seine Sache aus eigenem freien Willen verfechten und ihn einen glänzenden Sieg über seine Gegner davontragen, und er weist es ab, daß die dortigen „Säulen", nämlich Petrus, Jakobus und Johannes, ihm irgendwie etwas zu befehlen gehabt hätten. Die Apostelge- schichte hatte den Petrus als den hingestellt, der die Heiden- mission begonnen habe, und ihn selbst sich dessen auch ge- legentlich des Apostelkonzils rühmen lassen. Dafür stellt der Paulus des Galaterbriefes den Petrus im Hinblick auf sein Auftreten zu Antiochia bloß und geißelt den großen Apostel wegen seines wankelmütigen und gesinnungslosen Verhal- tens in der Frage des Zutischesitzens mit den Heiden, ein Verhalten, das übrigens um so wunderlicher erscheint, als Jesus ja selbst mit Zöllnern und Sündern zu Tische gesessen haben soll und Petrus sich hierauf hätte berufen können. 1 Gal. 1, 19. 2 Apg. 15, 1ff.

2 Drews, Petruslegende 17

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Die ganze Erfindung ist wenig geschickt und mehr boshaft als wahrscheinlich. Sie richtet sich zugleich gegen die Ge- schichte vom Hauptmann Cornelius in der Apostelgeschichte, nach welcher Petrus durch eine göttliche Offenbarung die Erlaubnis zu einem solchen Verhalten empfangen haben soll. Der Gegensatz ist offenkundig; aber die Behauptungen des Galaterbriefes sind durchweg so geartet, daß sie schwer- lich von Paulus selbst zu dem angegebenen Zeitpunkte ge- schrieben sein können. Man denke auch an die wunderliche Abmachung, die der Brief auf dem Apostelkonzil getroffen werden läßt, und nach welcher Paulus den Heiden, die übrigen Apostel den Juden das Evangelium verkündigen sollen. Als ob eine solche Unterscheidung sich in der Wirk- lichkeit hätte durchführen lassen, da doch auch Paulus zu- meist in den Synagogen vor jüdischen Zuhörern gepredigt haben soll! Wir haben es für jeden, der nur sehen will, mit einem ganz späten Machwerk einer Schule oder Rich- tung zu tun, die auf den Namen des Paulus schwor, so wie andere auf den des Petrus schworen, und die sich gegen- seitig darin zu überbieten suchten, ihren Lieblingsapostel als den hervorragendsten herauszustreichen, ganz unbe- kümmert um die geschichtliche Wahrheit, aus der sich die alten Christen überhaupt nichts gemacht zu haben scheinen. Gibt uns die Apostelgeschichte doch auch beider Schilderung der Bekehrung des Paulus nur eine Dichtung auf Grund des Alten Testaments, aber keine Geschichte, wenn diese Dichtung auch immerhin wahrscheinlicher aus- gefallen ist als die grobdrähtige Erfindung des Galater- briefes. Beide können jedenfalls erst zu einer Zeit geschrieben worden sein, als wirkliche Zeugen der Ereignisse nicht mehr am Leben waren: im zweiten Jahrhundert, in dessen erstem Viertel, vielle icht sogar erst um die Mitte dieses Jahrhun- derts; beide sehen sich für die Lebensereignisse ihrer Hel- den auf bloße Dichtung angewiesen. Ist doch die Apostel- geschichte in ihrer heute vorliegenden Gestalt zugestan- denermaßen ein sehr spätes Werk. Ihre Quellenschrift, die von Taten des Petrus handelt, braucht darum jedoch nicht

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viel früher zustande gekommen zu sein. Wenn aber von theologischer Seite hier nach wie vor kein Problem gesehen und der Galaterbrief als ältestes und echtes Schreiben des Apostels, für die allein maßgebende Urkunde der ältesten Christenheit erachtet und gepriesen wird, dies aus dem Römer- und den beiden Korintherbriefen so ungeschickt zu- sammengestöppelte Machwerk, das ohne jene ganz unver- ständlich bleibt, am unverständlichsten aber für die Gemeinde hätte sein müssen, an die er gerichtet gewesen sein soll: so ist darüber nicht weiter zu streiten. Die Holländer haben den wahren geschichtlichen Wert oder vielmehr Unwert dieses sog. Paulusbriefes längst durchschaut,1 und ihnen hat sich der Schweizer Steck mit seinem Werke „Der Galaterbrief nach seiner Echtheit untersucht" (1888) angeschlossen.2

Hat es überhaupt einen Paulus, hat es einen Petrus ge- geben? Die Frage ist nach dem, was wir bisher über beide vernommen haben, nur allzu berechtigt. Und die Antwort? Vielleicht, vielleicht auch nicht. Wir wissen es nicht. Möglich, daß Männer dieses Namens in der urchrist- lichen Bewegung irgendwelche Rolle gespielt haben. Eine auch nur halbwegs zuverlässige Nachricht darüber besitzen wir jedenfalls nicht. Am ersten läßt sich noch die Geschichtlich- keit des Paulus behaupten, die durch die sogenannten „Wir- stücke“,den zu seiner Verherrlichung geschriebenen „Reise- bericht" der Apostelgeschichte allenfalls beglaubigt zu sein scheint. Indessen ohne Bedenken ist auch dies nicht, da auch der Reisebericht gehörig zurechtgemacht ist. Wenn es einen Paulus gegeben hat, so wird er kaum etwas mehr als der Gründer kleiner Winkelgemeinden gewesen sein und sich von den übrigen Aposteln höchstens durch eine freiere Stel- lung zum jüdischen Gesetze unterschieden haben. Wir wissen nur, daß es im zweiten Jahrhundert zwei Richtungen unter

1 S. auch Whittaker: The Origins of Christianity, 1904. 2 Vgl. van den Berg van Eysinga: Die holländische radikale Kritik des Neuen Testaments, 1912, sowie dessen gegen den katholischen Theologen Valentin Weber gerichteten Aufsatz „Pro domo" in Nieuw Theolo- gisch Tijdschrift 1923 Heft 5.

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den Jesusgläubigen gegeben haben muß, die sich gegenseitig als Juden- und Heidenchristen bekämpften, von denen diese sich auf den Apostel Paulus, jene sich auf den Apostel Petrus berief, und daß der Verfasser der Apostelgeschichte in seiner Darstellung sie miteinander auszugleichen versucht hat. Was dabei Wahrheit, was Dichtung ist, läßt sich heute nicht mehr mit Sicherheit feststellen. Allzu schroff kann aber der Gegensatz jedenfalls nicht gewesen sein, sonst hatte man sich von Petrus wohl nicht erzählen können, daß er mit Heiden zusammen gegessen, von Paulus nicht, daß er zu Jerusalem die kultischen Gebräuche im Tempel vollzogen habe.1 Es scheint, daß in den bezüglichen Erzählungen aus dem Leben der beiden Apostel nur Vorfälle zum Ausdruck gekommen sind, wie man sie damals vielfach erlebte, und wie sie die eine Richtung der anderen zum Vorwurf machte.

4. MATTHÄUS 16, 18 f. Immerhin steht so viel fest, daß die Briefe des Paulus, zum mindesten der Galaterbrief nebst dem Römer- und den beiden Korintherbriefen, vor den Evangelien oder doch vor ihrer end- gültigen Fassung, in der sie uns heute vorliegen, geschrieben sind. Denn nicht nur liegen die beiden zuletzt genannten dem Galaterbrief zugrunde, sondern der Galaterbrief mitsamt dem Römer- und ersten Korintherbrief hat auch auf die Erzählung des Petrusbekenntnisses in den synoptischen Evangelien eingewirkt. Diese Beeinflussung der Evangelien durch die genannten Briefe des Paulus ist so offenkundig, der Wortlaut gerade auch in der Erzählung vom Petrusbekennt- nis sowohl bei Markus wie bei Matthäus so unbestreitbar übereinstimmend, daß der hiermit gegebene Zusammenhang auch von theologischer Seite anerkannt wird.2 Der Verfasser der Evangelien hat die Paulusbriefe vor Augen gehabt, als er seine Geschichte vom Petrusbekenntnis niederschrieb. Das wird besonders bei Matthäus sichtbar, wo die Worte: „Selig 1 Apg. 21, 26; 24, 17f. 2 S. mein Markusevg. I78f.; Sternhimmel 261 ff.

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bist du, Simon Bar-Jona, denn Fleisch und Blut hat es dir nicht offenbart, sondern mein Vater in den Himmeln" usw. den Worten des Galaterbriefes 1,15f. nachgebildet sind: ,,Als es Gott gefiel, seinen Sohn in mir zu offenbaren, wendete ich mich nicht an Fleisch und Blut." Und wenn der Evangelist zu den Worten: „Du bist der Christus" den Petrus hinzu- setzen läßt: ,,der Sohn des lebendigen Gottes", so ist er auch hierzu durch den Galaterbrief veranlaßt, in dem es sich an der genannten Stelle ja ebenfalls um die Erkenntnis des „Sohnes Gottes" handelt. Paulus sollte nach dem Galaterbrief eine Offenbarung über Jesus unmittelbar durch Gott selbst erhalten haben. Also mußte nach dem petrinisch gesinnten Evangelisten auch Petrus eine solche empfangen haben. Vielleicht meinte der Evangelist mit den Worten „der Sohn des lebendigen Gottes" wirklich eine Steigerung gegenüber dem einfachen „Du bist der Christus" bei seiner Vorlage Markus auszudrücken, wie dies Grill („Das Primat des Petrus." 1904, 7) behauptet. Im Interesse der Logik wäre es jedenfalls zu wünschen, da es Matth. 16, 16 ja keineswegs das erstemal ist, daß Jesus von anderer Seite als der Christus angesprochen wird. So sagen die Jünger nach der eigenen Dar- stellung des Matth. 14, 33 schon gelegentlich seines Wandeins auf dem See zu ihm: „Du bist wahrhaftig Gottes Sohn". Und auch andere, wie die beiden Blinden, die ihm nachlaufen mit den Worten: „Erbarme dich unser, du Sohn Davids1 sowie die Massen2 erkennen ihn als den erwarteten Messias. Viel- leicht hat der Evangelist dies aber auch nur selbst vergessen gehabt und sich einfach ohne Hintergedanken durch die Worte des Galaterbriefes zu jenem Zusatz bestimmen lassen. In jedem Falle kann die Abhängigkeit des Matthäus vom Galaterbrief nicht dazu dienen, unser Vertrauen zur Ge- schichtlichkeit der Jesusworte Matth. 16, 18ff. zu erwecken. Und dieses Vertrauen schwindet noch mehr, wenn sich herausstellt, daß auch die folgenden Worte von Petrus als dem „Fels" der Kirche durch ganz andere Gründe nahe- gelegt sind als durch irgendwelche geschichtliche Erinne- 1 Matth. 8, 27. 2Matth. 12, 23.

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rung, von welcher noch dazu weder Markus, der Urevange- list, der doch der Dolmetscher des Petrus, sein unmittelbarer Vertrauter, gewesen sein soll, noch Lukas, noch Johannes etwas wissen. Das Wort „Kirche" (ekklesia), dessen der Evangelist Jesus sich bei dieser Gelegenheit bedienen läßt, kommt in keinem anderen Evangelium, „meine Kirche" so- gar im ganzen Neuen Testamente sonst nicht vor. Wohl aber findet sich ersteres bei Paulus, wo i. Kor. 3, 11 Christus selbst als der einzige Felsengrund hingestellt wird, auf wel- chem der Bau der Gemeinde als „Gottes Bau" errichtet wer- den soll.1 Und nun sollte Jesus den Simon im Hinblick auf seinen Namen Petrus, den er nach Matthäus seinem Jünger bei dieser Gelegenheit verliehen haben soll, für den Fels der Kirche erklärt haben? Aber daß der Jünger diesen Namen erst jetzt erhalten habe, widerspricht nicht bloß den Angaben des Markus (3, 16), Lukas (6, 14) und Johannes (1, 42): es stimmt auch nicht mit der eigenen Angabe des Matthäus 10, 2 überein, wonach Simon bereits bei der Aufzählung der Jünger Petrus genannt wird.2 Es ist nur das Wortspiel mit dem Namen Petros und petra (Fels), das den Evangelisten zu dem Ausspruch vom „Felsen der Kirche" veranlaßt hat. Bei Paulus fand er den Namen Kephas für Simon, und Röm. 9, 33 las er den Hinweis auf Jes. 8, 14 von dem „Stein des Anstoßes" und „Felsen des Ärgernisses", den der Herr in Zion setzen werde, und an welchem die Bewohner Jerusalems straucheln würden. Dabei dachte er an die Gemeinde Christi, und dies gab ihm den Einfall ein, diese Gemeinde auf dem „Felsen-Petrus" errichten zu lassen. Hat doch der Petrus der Evangelien von einem Felsen gerade am wenigsten an sich, da sein Charakterbild, wenn man bei der blassen und verwaschenen Darstellungsweise der Evangelien über- haupt von einem solchen sprechen kann, zwischen Vermes- senheit und Verzagtheit, zwischen rascher Entschlossenheit und kläglicher Willensschwäche in einem solchen Maße schwankt, daß er im Angesichte der dem Meister drohenden Gefahr und trotz dessen Bitte, wach zu bleiben, im Garten 1Vgl. auch Eph. 2,20ff. 2 S . G r i l l ; a . a . O . 21ff.

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von Gethsemane schläft, ja, sich geradezu der Untreue schul- dig macht, indem er seinen Meister in der entscheidenden Stunde seines Lebens dreimal verleugnet! Daß Jesus unter allen Jüngern ausgerechnet ihn ganz besonders ausgezeich- net, ja, ihm die Führerrolle in der zukünftigen Gemeinde zugewiesen haben soll, wirft kein gutes Licht auf seine Menschenkenntnis und die Persönlichkeit der übrigen Jünger. Und daß er dies getan haben sollte, weil Petrus allein unter allen ihn zuerst als den Christus erkannt haben soll, ist bei dem sonstigen „Blödsinn" (Volkmar) auch dieses Jüngers so unwahrscheinlich, daß sich jedes Wort darüber erübrigt. Die ganze Geschichte vom „Felsen Petri" ist eine nicht ein- mal geschickte Erfindung auf Grund der angeführten Paulus- briefe.

Aber auch die „Pforten der Hölle" sowie die „Schlüssel- gewalt" stammen nicht aus dem Munde eines geschichtlichen Jesus, sondern, wie ich in meinem „Markusevangelium" und „Sternhimmel" gezeigt habe, vom Himmelsglobus. Sie sind dadurch zustande gekommen, daß die Reihenfolge der evan- gelischen Erzählungen durch den Gang der Sonne durch die Tierkreiszeichen bestimmt ist und das Petrusbekenntnis sich hierbei im Zeichen des Skorpions abspielt: im Skorpion aber befinden sich nach astralmythologischer Denkweise die, »Pfor- ten der Hölle", und das im Skorpion zugleich mit dem Altar- Stein auf steigende Sternbild des Kepheus (Kephas) greift nach der Kassiopeia; Kassiopeia aber galt nach Aratus und Theon als himmlischer Riegel oder Schlüssel.1 Und jetzt verstehen wir auch die merkwürdige Gereiztheit Jesu, wenn er den Pe- trus, unmittelbar nachdem er ihn wegen seiner Glaubenskraft gelobt hat, „Satan" schilt und hinzufügt: „Du bist mir ein Ärgernis, du denkst nicht, was Gott ansteht, sondern was den Menschen":2 der Skorpion ist das himmlische Zeichen des Satans,3 und der „Fels" der Kirche ist nach Paulus zugleich der „Fels des Ärgernisses"!

Daß in der Tat eine genauere Untersuchung der berühmten Matthäusstelle nichts, auch nicht ein Körnchen von Ge -

1 Sternhimmel 263ff. 2 Matth. 16, 23. 3 Markusevg. 132, 177.

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schichtlichkeit übrigläßt, ist in meinem „Markusevangelium" und „Sternhimmel" mit vollster Sicherheit nachgewiesen. Es ist einfach lächerlich, um kein schlimmeres Wort zu ge- brauchen, wenn die angestellten Verteidiger der Kirche trotz ihrer offenkundig erdichteten Beschaffenheit noch immer fortfahren, sich gegen die klar zutage liegende Wahrheit zu verschließen. Wenn dies von katholischer Seite geschieht, so ist das am Ende verständlich aus der Erwägung heraus, daß auf Matthäus 16, 17ff. die ganze weltgeschichtliche Stellung der römischen Kirche beruht und mit ihr steht und fällt. Daß jedoch sogar auch protestantische Theologen, wie Keim, Zahn, Bernhard Weiß, Bolliger und andere, an der Geschicht- lichkeit jener Stelle festhalten, ist ein trauriges Zeugnis für die methodische Unklarheit und Verworrenheit, wie sie auch hier die angeblich rein geschichtlich verfahrende Theologie entwertet. Man höre nur, wie z. B. Bolliger sich daüber ausspricht und es ablehnt, die Worte Matth. 16, I7ff. für einen Zusatz des ersten Evangelisten zu der entsprechenden Stelle bei Markus anzusehen. Eine solche Annahme soll „aller gesunden Psychologie", die, wie es scheint, immer auf Seiten der Gläubigen ist, widersprechen: „Wann haben Interpola - toren solche Arbeit geleistet ? Die Verse stehen in ihrem Zu- sammenhang bei Matthäus so trefflich, wie ein Glied an einem Leibe; sie tragen auch den schlechthin unnachahm- lichen Duft (!) einer historisch großen Stunde; sie sind auch in der Form so, wie sie nur den Größten der Erde und auch ihnen nur in den größten Stunden ihres Lebens gelingt (!). So etwas macht kein Interpolator." (!)1 Wir kennen diesen Ton zur Genüge aus dem Kampfe um die Christusmythe und erinnern uns dabei des Rousseauschen „So vermag man nicht zu dichten" und des „palästinensischen Erdgeruchs" des Herrn v. Soden. Es scheint, daß ein Theologe diese Wendun- gen immer nur einfach einer dem anderen nachschreibt und mit solchen Redensarten um sich wirft, ohne sich überhaupt noch etwas dabei zu denken. Und das nennt man theologische „Wissenschaft"! 1 Bolliger: Markus der Bearbeiter des Matthäusevangeliums 1902, 86f.

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DER A P O S T E L F Ü R S T

Petrus soll nach Matth. 16, 18f. von Jesus an die Spitze sei- ner Sendboten gestellt worden sein und insofern der „Apostel- fürst" sein. Davon wissen die ältesten christlichen Zeugnisse, wie gesagt, noch nichts. Nach der Apostelgeschichte steht, wie es scheint, nicht Petrus, sondern Jakobus, der „Bruder des Herrn", als Leiter an der Spitze der jungen Gemeinde zu Jerusalem. Und auch Paulus weiß noch nichts von einem „Apostelfürsten". Er nennt den Petrus unter den Gemeinde- häuptern neben Jakobus und Johannes nicht einmal an erster Stelle.1 Wo er sich des Ausdrucks „Apostel" bedient, da ver- steht er darunter durchaus nichts anderes als einen Missio - nar, einen Sendboten des Jesusglaubens, und nichts deutet in seinen Briefen darauf hin, daß er von einer Zwölfzahl der Apostel, als ursprünglichen Jüngern Jesu, überhaupt etwas gewußt habe.2 Denn die vielberufene Stelle 1. Kor. 15, 5, wo es heißt, daß der Auferstandene von den „Zwölfen" gesehen worden sei, erscheint so verdächtig und ist von so vielen ein- sichtigen Forschern für ein späteres Einschiebsel erklärt worden, daß sie als Gegenzeugnis nicht in Betracht kommen kann.3 Bekanntlich herrscht auch in den Evangelien hin - sichtlich der Berufung der ersten Jünger, ihrer Zahl und ihrer Namen nichts weniger als Einstimmigkeit. Am meisten gibt aber auch hier die Zwölfzahl zu denken. Denn die Art, wie diese in die Evangelien eingeführt wird,4 erweckt den drin- genden Verdacht eines nachträglichen Zusatzes zu dem Grundtexte, der überhaupt noch nichts von ihr wußte. Und dieser wird noch dadurch verstärkt, daß die meisten Jünger in den Evangelien und der Apostelgeschichte überhaupt keine Rolle spielen, keinerlei Individualität besitzen, sondern bloß 1 Gal. 2, 9. 2 Holsten: Das Evangelium des Paulus 1880, 224f. Vgl. auch W. Seufert: Der Ursprung und die Bedeutung des Apostolates in der christl. Kirche der ersten zwei Jahrhunderte, 1887, 46ff. 3 Seufert: a. a.0. 157; vgl. 47f.; 14—23; ferner Brandt: Die evangel. Geschichte 1893, I4f., 418, 421; P, W. Schmidt: Die Geschichte Jesu erläutert, 1904, 304f. 4 Matth. 10, 1; Mark. 3, 13ff.; Luk. 6, 12f.; Joh. 6, 67, 70.

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als Namen zur Vervollständigung der Zwölfzahl dastehen. Sieht sich doch sogar der sonst so gläubige Geschichtsschrei- ber Ed. Meyer veranlaßt, eine besondere „Zwölf er quelle" bei Markus anzunehmen, was ebenfalls nichts anderes heißen kann, als daß die Zwölfzahl der Jünger keinen ursprüng- lichen Bestandteil der Überlieferung bildet.

Nun kennt schon das Alte Testament zwölf priesterliche Teilnehmer beim Genuß der Schaubrote, der dem Abend- mahle in den Evangelien entspricht.1 Zwölf „Fürsten der Stämme" werden von Moses, dem alttestamentlichen Vor- bilde Jesu, erwählt, um ihn in seinem Richteramt zu unter- stützen,2 und die Erzählung von der Wahl der Zwölf bei Markus ist unverkennbar dieser Geschichte nachgebildet.3

Mit zwölf von ihm erwählten Helfern durchschreitet Josua, der sich schon durch seinen Namen als einen Vorgänger Jesu zu erkennen gibt, den Jordan,4 und dem Josua sollen zwölf Männer gefolgt sein, die unter dem Namen von Richtern Israel regierten. Ja, Jesus erwählt, wie das Matthäusevan- gelium angibt, die Zwölfe ausdrücklich als Vertreter der zwölf Stämme Israels.5 Die Zwölfzahl der Stämme Israels aber hängt nachweislich mit den zwölf Tierkreiszeichen zu- sammen, wie denn im Jakobssegen die zwölf Söhne des Erz- vaters Jakob auf die Tierkreiszeichen bezogen werden.6 So spricht auch die Offenbarung des Johannes, die aller Wahr- scheinlichkeit nach eine vorchristliche Anschauung zur Dar- stellung bringt, von „zwölf Aposteln des Lammes",7 und diese beziehen sich deutlich auf die zwölf Zeichen des Tier- kreises. Augustinus stellt die zwölf Jünger des Herrn sogar ausdrücklich mit den Tierkreisbildern im Umkreis der Sonne zusammen.8 Und so erscheinen sie auch auf den Kunstuhren des Mittelalters, z. B. im Münster zu Straßburg, während der Valentinianer Theodoret bemerkt: „Die zwölf Apostel füllen in der Kirche denselben Platz aus, welchen die zwölf Tier-

1 Lev. 24, 5ff. 2 Num. 1, 44; Ex. 18, 21ff. 3 Mein Marküsevg. 108ff. 4 Jos. 3, 12; 4, 1ff. 5 a. a. O. 19, 28. 6 Gen. 49. Vgl. Jeremias: Das Alte Testament im Lichte des alten Orients, 3. Aufl., 1916, 343ff. 7 a. a. O. 31, 14. 8 Civ. Dei XV 20.

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kreiszeichen in der körperlichen Welt einnehmen; wie diese ihren Einfluß auf die Zeugung äußern, so jene auf die Geburt der Seelen.1

Mit dieser Zurückführung der zwölf Jünger auf die Tier- kreiszeichen befinden wir uns also mitten in der altmorgen- ländischen Mythenwelt, der, wie wir sehen werden, auch die Gestalt des Apostelfürsten Petrus entstammt. Ist aber die Zwölfzahl der Jünger jedenfalls ungeschichtlich und offenbar nur aus der Beziehung des Jesusgottes zur astralen Weltan- schauung des Morgenlandes hervorgegangen,2 so ist dem Verdachte nicht mehr auszuweichen, daß die ganze Annahme von Jüngern Jesu überhaupt keinen geschichtlichen Hinter- grund besitzt: zumal da die Jünger, abgesehen höchstens von Petrus, Jakobus und Johannes nur als Nullen hinter dem Einer Christus hermarschieren und eigentlich auch gar nicht recht einzusehen ist, was für eine Rolle sie in der Jesus- geschichte spielen und wozu der Heiland sie eigentlich brauchte. Die Zwölfe heißen in den Evangelien „Apostel" oder Sendboten und werden von Jesus auf eine Reise zur Verkündigung des nahen Messiasreiches und zur Heilung von Krankheiten ausgeschickt, während sie sonst eigentlich nur dazu dienen, gewisse Aussprüche Jesu anzuregen und ihm Gelegenheit zu Gleichnissen und Verhaltungsregeln zu liefern. Aber wie soll man es verstehen, daß Jesus ihnen die „Voll- macht" zu solchen Heilungen verleiht, und was kann ihm daran gelegen gewesen sein, durch zwölf augenscheinlich sehr unbedeutende, bis zum „Blödsinn" verständnislose Männer die „frohe Botschaft" verkündigen zu lassen, deren tieferen Sinn er selbst seinen Zuhörern vorenthalten haben soll? Die ganze Geschichte der Zwölf hat in den Evangelien gar keinen Grund und Boden. Sie gibt sich deutlich als eine reine Dich- tung zu erkennen.3

Nun war aber „Apostel" nach Epiphanius lange vor Chri- stus der gebräuchliche Name für die Gehilfen des Hohen- priesters, die mit diesem eine Körperschaft bildeten, mit ihm über das Gesetz berieten und vor allem die Aufgabe hatten,

1 Eclog 26. 2 Der Sternhimmel, 1923. 3 S. Christusmythe 1924 52 f

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die Weisungen ihres Vorgesetzten den übrigen Gläubigen mitzuteilen und von den auswärtigen Judengemeinden die kirchlichen Steuern einzutreiben.1 Und Jesus galt als der himmlische Hohepriester! Dabei erklärte der Hohepriester, um seinen Forderungen den gehörigen Nachdruck zu ver- leihen, sich ebenso für den Nachfolger des Moses, wie der Papst in Rom, der „Stellvertreter Christi auf Erden", sich für den „Nachfolger des Apostels Petrus" und damit Jesu aus- gibt, und verlangte für seine Sendboten die gleiche Achtung, wie Moses sie für die zwölf Fürsten der Stämme, der Papst für seine Kardinale und Bischöfe fordert. Mit der Ausbrei- tung der jüdischen Religion mußte die Zahl der Apostel auf siebzig oder zweiundsiebzig erhöht werden, die den ersteren als Gehilfen an die Seite gestellt oder ihnen untergeordnet wurden. Sollte doch auch Moses selbst siebzig Älteste als Ge- hilfen erwählt haben.2 Auch hatte das Synedrium siebzig Mitglieder und wurde das Alte Testament angeblich von sieb- zig Übersetzern aus dem Hebräischen ins Griechische über- tragen. Daher tritt auch in den Evangelien zu den zwölf Aposteln ein weiterer Jüngerkreis von siebzig oder zweiund- siebzig Jüngern hinzu, und Jesus sendet diese nach Luk. 10 zur Verkündigung des Evangeliums in die Welt hinaus, wo- bei noch der Gedanke mitgespielt haben wird, daß es nach jüdischer und altchristlicher Vorstellung siebzig oder zwei- undsiebzig Völker mit ebensoviel verschiedenen Sprachen auf der Erde geben sollte und somit die entsprechende Zahl der Jünger auf die weltumfassende Bedeutung Jesu und seines Reiches hinzudeuten schien.3 In der sog. „Lehre der zwölf Apostel" oder Didache, wie sie 1873 aufgefunden und zehn Jahre später veröffentlicht worden ist, haben wir ein unmittel- bares Zeugnis der ursprünglich rein jüdischen Apostel vor uns.4 Sie zeigt uns in einer von späterer Hand christlich über- 1 Gfrörer: Das Jahrhundert des Heils, 1838 II 371ff.; Schürer: Ge- schichte des jüd. Volkes im Zeitalter Jesu Christi, 3. Aufl., 1898—1902, I 659; III 77—101; Seufert: a. a. O. 8ff., 152 ff. 2 Num. 11,16, 25. 3 Strauß: Leben Jesu, 1835, I § 71. 4 Abgedr. in Henneckes Neu- testamentl. Apokryphen; vgl. Harnack: Lehre der 12 Apostel. Texte und Untersuchungen zur Gesch. der altchristl. Literatur II 14, 27.

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arbeiteten Form eine Vorstellungsart, die ein überraschendes Licht auf die Annahme eines vorchristlichen Jesuskultes wirft, und läßt erkennen, wie es bereits bei diesem ein Abend- mahl mit einem Weinsakrament gab, das von zwölf Teil- nehmern eingenommen wurde.1

Nach alledem kann weder die Zwölfzahl der Jünger noch die Behauptung, daß Jesus überhaupt Jünger gehabt hat, auf geschichtliche Wahrheit Anspruch erheben, und damit fällt auch aus diesem Grunde die Annahme einer Führerschaft des Petrus unter den Jüngern, sowie einer Erhebung zum „Apostelfürsten", in sich selbst zusammen, und dieser ent- hüllt sich als das, was er in Wirklichkeit ist, nämlich als ein reines Phantasiegebilde im Interesse der Herrschafts- ansprüche des römischen „Oberhirten".

Aber die Anhänger der „Felsenkirche" sind nicht so leicht zu überzeugen. Sie weisen auf Joh. 21, 15 ff. hin, wo Jesus auf die Beteuerung des Petrus, daß er ihn Hebe, sagt: „Weide meine Lämmer" und dies sogar zweimal wiederholt. Das soll, so behaupten die Lohnschreiber der römischen Kirche, die „Stiftungsurkunde" des Primats des Petrus, die „Ver- leihung des obersten Hirtenamtes" sein! Und das vatika- nische Konzil hat, wie auf Matth. 16, 17ff. und Luk. 22,31 f., so auch auf die angeführte Johannesstelle die päpstliche Un- fehlbarkeit gegründet. (!) Nun, die Beteiligten müssen es gewußt haben. Sie waren ja in jenem Augenblick „vom hei- ligen Geist erleuchtet". Uns anderen aber, die wir nur un- seren menschlichen Verstand zur Verfügung haben, droht dieser bei einer solchen, sagen wir einmal — sonderbaren Auslegung stillzustehen. Denn erstlich soll Petrus durch jenen Ausspruch ja offenbar von Jesus nur wieder zu Gnaden in seine Liebe aufgenommen werden, nachdem er durch seine schmähliche Verleugnung die ihm verliehene Stellung eines Seelenhirten verscherzt hatte; sodann aber ist die Stelle zugestandenermaßen ein späterer Nachtrag zum Johannes- evangelium, das „Weide meine Lämmer" also sicher kein Ausspruch des geschichtlichen Jesus; und endlich ist auch

1 S. mein Werk: Die Entstehung des Christentums, 1924, 132ff.

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dieser Ausspruch nur einfach dem Sternhimmel entnommen, da Kepheus, der astrale Stellvertreter des Kephas = Petrus, öfters als ein Hirte mit seinen Schäfchen dargestellt wurde! Für gewöhnlich erblickte man in ihm den Vater der Andro- meda, den Beherrscher des Sonnenlandes Äthiopien, und stellte ihn als bärtigen Mann in langem gegürtetem Ärmel- kleide, die Tiara (phrygische Mütze) auf dem Haupte, mit ausgebreiteten Armen schwebend dar. Darauf spielen die weiteren Worte des Johannesevangeliums an, wenn Jesus 21, 18 zu Petrus sagt: „Wahrlich, ich sage dir: als du jung wärest, gürtetest du dich selbst und wandeltest, wohin du wolltest. Wenn du aber alt wirst, so wirst du deine Hände ausstrecken, und ein anderer wird dich gürten und führen, wohin du nicht willst." „Das sagte er aber," fügt der Ver- fasser hinzu, „um zu bezeichnen, mit welchem Tode er Gott verherrlichen werde." Wie wir noch genauer sehen werden, soll Petrus zu Rom bei Gelegenheit der neronischen Christen- verfolgung, und zwar mit dem Kopfe nach unten, gekreuzigt worden sein. Und Kepheus hat mit seinen ausgebreiteten Armen die Gestalt eines Kreuzes und hängt am nördlichen Sternhimmel mit dem Kopf nach unten!1

Es ist also hiernach wirklich nichts mit der biblischen Be- gründung des Primats des Petrus. Sie gehört zu jenen un- geheuerlichen Fälschungen und Täuschungen, wie die Men- schen sie sich von jeher auf religiösem Gebiete nur zu ruhig haben gefallen lassen, weil die Gedankenlosigkeit hier, wie nirgends, um des sog. Seelenheiles willen zu Hause ist und die Priester infolge hiervon immer leichtes Spiel gehabt haben, sie zu ihren Zwecken auszunutzen.

1 Markusevg. 265 f.; siehe dort auch die Abbildung auf dem Atlas Farnese: Abb. 8.

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DER MYTHISCHE HINTERGRUND DER PETRUSGESTALT

Die Frage erhebt sich, wie wir uns die Entstehung der Petrus- gestalt in den Evangelien zu erklären haben. Daß sie im Hin- blick auf den Gegensatz der Petriner und Pauliner erdichtet ist, und zwar eine recht späte Dichtung darstellt, braucht nicht noch einmal wiederholt zu werden. Nun hat die Chri- stusmythe(s.auch mein ,,Markusevangelium" und „Der Stern- himmel") gezeigt, daß Jesus eine erdichtete Figur ist. Was dieser Figur zugrunde liegt, ist der Mythus des uralten ephrai- mitischen Sonnengottes Josua, der zum Passah sowie zur Be- schneidung in Beziehung stand und in den sog. gnostischen Sekten, die sich einer besonderen Gottesschau und Kenntnis der himmlischen Geheimnisse rühmten, als Gekreuzigter ver- ehrt wurde. Da taucht sofort die Vermutung auf, ob nicht gewisse mythische Vorstellungen auch auf die Erfindung der Petrusgestalt eingewirkt haben könnten.

Der Apostel begegnet uns in dem ältesten Evangelium, wie gesagt, zuerst bei der Berufung des Fischers Simon durch den vorüberwandelnden Jesus. Die Geschichte spielt unter dem Gesichtspunkte der Astralmythologie in den Fischen, ent- sprechend den beiden Fischern Simon und Andreas. Zu diesem Zeichen stehen die Zwillinge im Geviert, d. h. sie sind von ihm um 90 Grad entfernt und können daher für sie ein- treten. Von den Zwillingen, die im Jakobssegen1 mit den Zwillingssöhnen des Patriarchen gleichgesetzt werden, führt der eine den Namen Simon oder Simeon und kulminiert oder befindet sich im oberen Meridian, wenn der östliche oder nördliche Tierkreisfisch, der Vertreter des Fischers Simon, untergeht, während Kepheus-Kephas beim Untergang der Zwillinge aufgeht. Damit ist die Namengebung des Fischer- jüngers nach astralmythologischer Denkweise unmittelbar durch den Sternhimmel selbst gegeben.2

1 Gen. 49, 5 ff. 2 Markusevg. 99; Sternhimmel 14 f.

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I. SIMON – HERAKLES – MELKART

Die himmlischen Zwillinge sind in allen Mythologien ur- sprünglich Sonnengötter, nämlich im Hinblick auf die Zeit, wo die Sonne zur Zeit der Frühlingsgleiche in das Sternbild der Zwillinge eintrat (sog. Zwillingszeitalter). Wir werden uns daher nicht wundern, wenn eine der ältesten Götter- gestalten des vorderasiatischen Kulturkreises gleichfalls den Namen Simon führt. Es ist der Schamas der Babylonier, der auch unter dem Namen Sem, Sehern, Samdan, Semen verehrt wurde, im Alten Testament in vermenschlichter Gestalt als Simson oder Samson („das Sönnchen") auftritt, und von welchem die Semiten ihren Namen haben. Das Wort Sem bedeutet nach Ed. Meyer auch „der Name"; danach wären also die Semiten nur einfach die Leute mit Namen,1 und das Schemhamphorasch, das heilige Tetragrammaton, war der Name der vier Buchstaben I E U E, d. h. Jahwe.

In Phönizien war Sem ein anderer Name des Melkart, den die Griechen Herakles nannten, und der auch in Ägypten und ganz Nordafrika verehrt wurde. In dem halbheidnischen Samaria, das gleichfalls von dem Sonnengotte seinen Namen hat, und dessen Bevölkerung nicht bloß mit den Phöniziern in lebhaftem Handelsverkehre stand, sondern seit der baby- lonischen Gefangenschaft stark mit phönizischen Bestand- teilen durchsetzt war, galt Simon (Semo) mit dem Beinamen ho Megas, d. h. der große, also der große Semo oder große Name, auch noch zu Jesu Zeiten als der höchste Gott.2 Der Gott war also insofern ohne Namen, und das gibt die Er- klärung des seltsamen Ausspruchs Jesu zu der Samarita- nerin: „Ihr verehrt, was ihr nicht kennt."3 Daraus hat als- dann die Apostelgeschichte einen „Magier" (Megas!) oder Zauberer Simon gemacht, der die Köpfe der Leute verwirrt, dem alle nachlaufen, klein wie groß, und der sich selbst für „etwas Großes" (!), die „große Kraft Gottes", ja, für einen Gott erklärt haben und in Wettbewerb mit dem Evangelium 1E.Meyer: Geschichte des Altertums, 1884, 214. 2 Justin: Apologie I 26, 14. 3 Joh. 4, 22; Robertson: The Jesus Problem, 1917, 251.

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getreten sein soll.1 Nach Hieronymus2 wurde dem Simon der Ausspruch zugeschrieben: „Ich bin das Wort Gottes, der Paraklet (der Anwalt, s. Joh. 14, 26; 15,26), allmächtig, Gott alles in allem." Nach Irenäus3 soll er von sich gesagt haben, er sei derselbe, der in Judäa als „Sohn" erschienen, in Sa- marien als „Vater" herabgestiegen und zu den übrigen Völ- kern als „heiliger Geist" gekommen sei. Nach Justin4 und Irenäus5 soll Simon Magus mit einer gewissen Helena herum- gezogen sein, die er für eine Verkörperung der göttlichen Weisheit oder seines ersten Gedankens (ennoia) ausgab. Nach den pseudoclementinischen Homilien (Predigten) soll er von ihr behauptet haben, sie sei vom Himmel auf die Erde herabgekommen, sei die Herrin, die Allmutter, die Substanz des Daseins, sie in Wirklichkeit jedoch einem Bordell in Tyrus entnommen haben. Tatsächlich ist die Helena des Simon Magus keine andere als Selene, die syrische Mond- göttin Aschera-Astarte, die durch ihren unzüchtigen Kultus im ganzen Altertum berüchtigt war und vor allem auch in Tyrus verehrt wurde (daher die Erzählung, daß sie einem Bordelle dieser Stadt entstamme). In den sog. Rekognitionen6

wird sie selbst geradezu als Luna (Mond) bezeichnet, und ihre Gemeinschaft mit Simon Magus entspricht nur einfach dem Umstände, daß dem Sonnengotte des syrisch-phöni- zischen Glaubens die Mondgöttin als die göttliche Vernunft, als Ennoia oder Sophia zugeordnet war und beide erst zu- sammen das ganze Wesen der Gottheit ausdrückten: genau wie Philo auch vom Logos die Sophia als dessen Mutter unter- schied. Ebenso war der babylonische Samas mit der Göttin Gula verknüpft, und zu Simson gesellt sich nach Richter 16, 1 die „Hure".

Wenn hiernach vom „Geschichtsschreiber" der Apostel- geschichte tatsächlich ein ursprünglicher Gott in einen bloßen Menschen umgewandelt und zu Petrus in Beziehung gesetzt ist, berechtigt dies uns in der Tat dazu, zu fragen, ob nicht auch der christliche Simon in ähnlicher Weise ursprünglich 1 Apg. 8, 9 ff. 2 Komment. in Matth. 24. 3 Adv. haer. I 23 4 a.a.O. 26 u. 56. 5 a. a. O. 6 II 14. 3 Drews. Petruslegende 33

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eine Art Gott gewesen sein könnte. Geschieht es doch in der mythologischen Vorstellungsweise nur zu oft, daß die mythi- sche Verjüngung oder der Doppelgänger eines Gottes, der von seinen Anhängern an dessen Stelle gesetzt werden soll, im Kampfe mit seinem älteren Vertreter dargestellt wird. So wenn Kronos gegen Uranos, Zeus gegen Kronos, Herakles gegen Zeus oder den Riesen Thurios (den germanischen Thor) streitet. Und wirklich bekämpft auch der christliche Simon den heidnischen Semo, der Apostel und Vertreter eines neuen Erlösungsglaubens denjenigen des alten, nunmehr als falsch, als Ketzerei erscheinenden Glaubens, und besiegt ihn, nicht ohne daß der letztere hierbei gezwungen wird, die höhere Wahrheit des Neuen anzuerkennen. Simon Magus soll nach der Überlieferung dem Simon Petrus, dem Ver- kündiger des neuen Glaubens, nach Westen, also der Sonne nach, vorangegangen und dieser ihm bis nach Rom gefolgt sein. Die sog. Petrusakten, eines jener zahlreichen kindischen christlichen Machwerke frühestens aus dem Beginn des drit- ten, vielleicht sogar erst des vierten Jahrhunderts, erzählen von dem Wettkampf zwischen Simon Magus und dem Apostel, bei welchem jener gen Himmel fliegt und auf das Gebet des Petrus hin kläglich zu Boden stürzt und umkommt. Dabei wird also Petrus als das „wahre Licht", der Samarita- ner hingegen als „Finsternis", als ein unwissender Betrüger hingestellt, der sich nur mit dem von Petrus erborgten Lichte brüstet. Jedenfalls muß der Kultus des samaritanischen Simon eine Zeitlang dem Christentum in gewissen Gegenden ernstliche Schwierigkeiten bereitet haben. Darauf deutet es u. a. auch hin, wenn Irenäus1 den Magier Simon als den „Meister und Urvater aller Ketzereien" bezeichnet und schriftgläubige Theologen bis auf den heutigen Tag von ihm nur mit dem Ausdrucke des tiefsten Abscheus sprechen können.2

1 a. a. O. I 27. 2 Vgl. über Simon Magus: Chr. Fr. Baur: Die christ- liche Gnosis, 1835, 302ff.; E. Zeller: Die Apostelgeschichte nach ihrem Inhalt und Ursprung kritisch untersucht, 1854, 158ff.; Robertson a. a. O. 238 ff.

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Nun war mit dem vorderasiatischen Sonnengotte das Sinn- bild der Himmelssäule verknüpft, wovon der Gott selbst den Namen Chon, Chijun, Chewan oder Keiwan, d. h. der auf- recht Stehende (Gestellte) oder die „Säule" (griech. kion), führte und als Gründer, Stütze und Erhalter des Himmels- gewölbes, als Träger der Weltordnung angesehen wurde. So hieß auch Simon Magus nach den Clementinen ho Hestos, d. h. der Stehende, und wurde in Gestalt einer Steinsäule auf dem Berge Garizim in Samaria verehrt. In den Petrus - akten 31 sagt er von sich: „Morgen werde ich euch Gottlose und Frevler verlassen und werde droben bei Gott meine Zu- flucht nehmen, dessen Kraft ich bin. Wenn ihr nun gefallen seid, siehe, ich bin der Stehende. Und ich gehe empor zum Vater und werde zu ihm sagen: Auch mich, deinen stehen - den Sohn, haben sie zu Falle bringen wollen; aber ich habe mich mit ihnen nicht eingelassen, sondern bin zu mir selbst zurückgekehrt." Sollte es da ohne Bedeutung sein, daß bei Jo- hannes (18,16,25) auch Simon Petrus ausdrücklich als hestos (stehend) bezeichnet wird, während die übrigen Evangelisten ihn bei der gleichen Gelegenheit, nämlich seines Aufenthaltes im Hofe des großen Rats, als kathemenos (sitzend) darstellen ?2 1W. B. Smith: Der vorchristliche Jesus, 1905, 2. Aufl. 1910,14 Anm. Bekanntlich spielt die Säule auch eine eigentümliche Rolle in der Geschichte Simsons. Als die Männer von Gaza ihn bedrohen, reißt er die Pfosten (Säulen) ihrer Stadttore aus und trägt sie auf seinen Schultern hinauf auf die Höhe des Berges vor Hebron (Ri. 16, 3). Und als er geblendet und gefangen sich in der Gewalt der Philister befindet und diese ihn zu Gaza zwischen die zwei Säulen der Halle stellen, in welcher sie das Fest ihres Sieges über den furchtbaren Gegner feiern, da umschlingt er die eine Säule mit dem rechten, die andere mit dem linken Arm und reißt sie mitsamt dem Hause, das auf ihnen ruht, zusammen (ebd. 21 ff.). Wie Simson in Gaza, soll der tyrische Herakles (Melkart) in Gades (Gaza?) sein Ende gefunden haben, wo seine Gebeine aufbewahrt wurden (Arnobius: Adv. gentes I 25, Mela III 6). In Gades aber befanden sich jene berühmten beiden Säulen, die der tyrische Sonnengott nach Apollodor (II5,10) und anderen dorthin getragen und an den Grenzen der Erde auf- gerichtet haben sollte, dort, wo die Sonne untergeht. In Wahrheit waren die beiden Säulen das Sinnbild des Gottes, und Herakles- Melkart war der phönizische „Säulengott" schlechthin. Nach Herodot

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2. PETROS — MITHRA — ATLAS — PROTEUS — PETRA

Der zweite Name des „Säulenapostels" Simon ist Petrus oder Kephas, d. h. Fels oder Stein (griech. petros oder petra). auch dies erinnert an ein göttliches Wesen: nämlich an den Mittler und Erlösergott der Perser Mithra (Mithras), den die Juden durch die babylonische Gefangenschaft kennen lern- ten, und der um die Wende u, Z. in ganz Vorderasien verehrt (II 44) befanden sich in seinem Tempel zu Tyrus zwei Säulen, die eine von Gold, die andere von Smaragd, von denen jene bei Tag, diese bei Nacht geleuchtet habe: Sinnbilder der Sonne und des Mondes oder der beiden Wendepunkte im Jahreskreislauf der Sonne, wie diese am Himmel durch die beiden Äste der dort befindlichen Milch- straße bezeichnet wurden (Sternhimmel Abb. 2 u. 17). Und auch im Tempel Salomos, der dem des Melkart zu Tyrus nachgebildet war, kehren die beiden Säulen wieder: die eine von ihnen führte den Namen Boas (Kraft), die andere hieß Jachin, d. h. er richtet auf, er gründet, er erhält. Wahrscheinlich waren diese Säulen zugleich nichts anderes als ungeheure Phallen, die gewöhnlich vor den Tempeln standen, so auch vor dem der Atargatis zu Hierapolis in Syrien: die Urbilder der christlichen Kirchtürme 1 Der säulentra- gende Herakles war im Altertum ein beliebtes Sinnbild schwerer, niederdrückender Arbeit. Dabei verknüpfte sich mit den Säulen eine ähnliche mystische Bedeutung, wie mit dem Kreuze Christi. Ja, der Gott, der unter dem Gewicht der Säulen gebückt einherschwankt, findet sich sogar im Neuen Testamente selbst in der Vorstellung des Heilands wieder, der sein Kreuz trägt und unter dessen Last zu- sammenbricht. Das zweiarmige Kreuz ist aber auch im Christentume ganz ebenso ein Sonnenzeichen, das Sinnbild des neuen Lebens und der göttlichen, durch den Tod Jesu begründeten neuen Weltordnung, wie die beiden Säulen im Kultus des tyrischen oder libyschen Herakles, des Schamas oder Simon (Der Sternhimmel 174).'Kein Wunder, wenn die synoptischen Evangelien dem kreuztragenden Heiland einen anderen Kreuzträger unterschieben und dieser gleichfalls Simon heißt und aus Kyrene, d. h. aus Libyen, stammen soll, wo der Mythus vom säulentragenden Herakles recht eigentlich seine Heimat hatte. Auf einer antiken Darstellung (abgebildet in Montfaucons „L'antiquité expliquée" Bd. I Teil 2, 210) sieht man den Herakles die beiden Säulen dergestalt tragen, daß sie die Form eines (schrägen) Kreuzes bilden. Da hat man den Ursprung der Erzählung vom kreuztragen- den Simon von Kyrene! (Mark. 15, 21). Über Simson siehe „Der Sternhimmel" 140—152.

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wurde. Auch er war ein Sonnengott (Deus Sol invictus), der Vertreter des gegen die Finsternis kämpfenden und siegen- den Himmelslichtes, zugleich ein Gott der Heiligkeit, der Wahrheit und des Lebens. Auch mit seinem Kultus war ein Weinsakrament, ein „geistlicher Trank", wie Jesus bei Pau- lus1 heißt, verbunden: genau wie nach der Apostellehre mit dem des samaritanischen Josua. Und Mithra selbst hieß der „Felsgott" schlechthin, der „Felsengeborene" (Petrogenes, ho ek petras, saxigenus), ja, er wurde wohl geradezu schlecht- hin als ,,der Fels" (Petros) bezeichnet; teils weil er seinem ursprünglichen Wesen nach ein Feuergott, der aus dem Felsen geschlagene Funke, also gleichsam aus dem Felsen geboren war, teils weil die Sonne des Morgens hinter den medischen Bergen aufging und dadurch den Gedanken wach- rief, daß der Gott aus dem Felsen selbst geboren werde, teils endlich aus astralen Gründen.2 Und dieser Gott oder genauer der aufs engste mit ihm verbundene und zur Einheit zu- sammenfließende Zeitgott, Aeon, Zervan akarana, trägt die Himmelsschlüssel, um, genau wie Jesus, als himmlischer Heiland und Mittlergott, den Menschen durch die Offen- barung des göttlichen Erlösungswortes die Himmelspforten aufzuschließen!

Wie Mithra den Zeitgott, der eigentlich älter ist als er, ursprünglich die höchste Gottheit, darstellt, neben sich hat und beide vielfach als ein und dasselbe Wesen erscheinen, so wird auch Baal-Chon oder Melkart mit dem Himmelsbaal (Baal samim), dem „Urvater des Alls", zusammengefaßt, den die Alten wegen seiner Beziehung zur Zeit, als Vernich- ter alles Daseins, auch wohl Kronos (Chronos = Zeit) ge- nannt und auf den Planeten Saturn bezogen haben. So wurde er mit einem Löwenkopfe abgebildet, von einer Schlange um- ringelt, die ihren Kopf auf den des Gottes legt, mithin als ein doppelköpfiges Wesen.3 Zugleich aber hat die Mithrareligion mit dieser Vorstellung des tyrischen Herakles oder Melkart 1 I. Kor. 10, 4. 2 Sternhimmel 179. 3 Über den Sinn dieser Dar- stellung s. Sternhimmel 176f.; dort auch die bezüglichen Abbil- dungen 18.

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auch dessen Sinnbild, die Steinsäule, in sich aufgenommen, und Mithra, der Felsgott, erscheint als der das Himmelsge- wölbe tragende Säulengott oder als Himmelssäule, die das ge- samte Weltgebäude stützt. Nach griechischer Vorstellung ist Atlas der Träger des Himmelsgewölbes. Das aber ist nur ein anderer Name des Chronos oder Kronos, da dieser auch wohl mit dem Sternbilde des Drachen gleichgesetzt und an den Himmelspol versetzt wurde, wo die das Weltgebäude tra- gende Säule, die Himmelsachse, sich befindet.1 So wundern wir uns nicht, im Bilderreigen der Mithrareligion neben der Gestalt des Herakles, dessen zwölf Arbeiten durch die bekann- ten Zeichen des Tierkreises versinnbildlicht werden,2 auch derjenigen des Atlas zu begegnen, wie er die Weltkugel trägt, und dies zwar um so weniger, als Herakles und Atlas auch sonst in der Vorstellung der Alten vielfach zusammenflössen. Sollte doch Herakles auf seiner Fahrt zu den Hesperiden dem Himrnelsriesen seine Last zeitweilig abgenommen und von diesem nach Clemens Alexandrinus3 die Kenntnis der himm- lischen Dinge empfangen haben, die auf den Säulen nieder- geschrieben war.4 Und verknüpfte sich doch auch mit der Vorstellung des Atlas die der Säulen: bekanntlich heißt es bei Homer von Atlas, daß er die ragenden Säulen unter seiner Aufsicht habe, die Himmel und Erde auseinander halten.5 Bei den Griechen galt Atlas als Vater der Plejaden, deren Aufgang am Morgen den Frühling ankündigte, und die Phryger schrieben ihm die Erfindung der Sternkunde zu. So galt er auch in dieser Beziehung als der Vertreter des Anfangs aller Dinge, als der Beginner des Jahres und insofern als eine Form des Himmelsbaales selbst, der die göttliche Weltord- nung stützt und trägt und die Zeiteinteilung des Jahres be- gründet.6 Nach Lucian7 befand sich demgemäß auch seine Bildsäule im Tempel zu Hierapolis neben dem Bilde der Atargatis (Simon-Helena), und die Juden in Assyrien setzten ihn mit ihrem mythischen Henoc h8 gleich, den sie für den 1 R. Eisler: Weltenmantel und Himmelszelt, 1910,392. 2 Sternhimmel 153—162. 3 Strom. 115, 73. 4Movers: Die Phönizier, 1841 I 98,294. 5 Od. I 52. 6 Movers a. a. O. 659f. 7 De Dea Syria 38. 8 Gen. 5,18 ff.

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Erfinder der Sternkunde ansahen.1 Als Gott des Anfangs aller Dinge aber war Atlas nicht bloß der Träger des Himmels- gewölbes und, als Säulengott, das griechische Gegenbild des Chijun-Herakles, sondern er war zugleich eine Art Wasser- gott: in der angeführten Stelle der Odyssee heißt es von ihm, daß er die Tiefe des gesamten Meeres kenne.2 So aber floß er wieder mit Proteus, dem Meergott zusammen, der auch wohl selbst als Träger des Himmelsgewölbes angesehen wurde; wie denn z. B. bei Virgil in seiner Aeneis XI 262 von den „Säulen des Proteus" die Rede ist, die im Osten den Säulen des Atlas oder Herakles im Norden oder Westen ent- sprechen sollten.

Übrigens ist der griechische Proteus keineswegs erst durch Vermittlung des Atlas mit dem mithrischen Kronos und phönizischen Baal samim (Saturn, Kronos) zu einer und der- selben Gestalt verschmolzen worden. Sein Name, der ihn nach Preller als das „Uranfängliche der Flut" (die Urflut, apsu der Babylonier) kennzeichnet, Entspricht dem des ,,Ur- vaters des Alls", wie der phönizische Himmelsgott, und dem des Zervan akarana, der „alterslosen Zeit", des ungeschaffe- nen Allerschaffers, wie der älteste Gott des persischen Götter- himmels heißt. Die Orphiker stellten ihn mit goldenen Flü - geln, mannweiblich, stier- oder doppelköpfig, mit einer Schlange auf seinem Löwenhaupte dar, wie der mithrische Kronos und phönizische Melkart uns auf den Abbildungen entgegentritt.4 Dabei gaben sie ihm gleichfalls die Himmels- schlüssel in die Hand, die bei ihm auf die „Schlüssel des Meeres" gedeutet wurden.5 Zu Memphis in Ägypten genoß er nach Herodot eine besondere Verehrung und, wie Simon Magus die Helena neben sich gehabt haben soll, so bringt der griechische Geschichtsschreiber den ägyptischen Proteus mit der „fremden Aphrodite", d. h. der Aschera, in Zusam- menhang, deren Tempel sich im Umkreis seines Heiligtums befunden habe. Hiernach war Proteus ursprünglich nur ein 1 Cumont: Textes et monuments figures relatifs aux mystères de Mithra, 1898 I 90. 2 Preller: Griech. Mythologie, 1894, 561. 3 a. a. 0. 609. 4 Sternhimmel: Abb. 18. 5 Orph. hymn. 25, 1.

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griechischer Name des phönizischen Himmels- oder Sonnen- gottes. Und wenn die Griechen ihn vorzugsweise als einen Gott des Wassers auffaßten, als eine Art Meergreis, der im Auftrage des Poseidon dessen Herde, die Seetiere, weidete, so pflegten auch schon die Phönizier ihn mit dem uranfäng- lichen Wasser, dem Ozean (Okeanos oder Poseidon) gleich- zusetzen.1 Freundlich und zutraulich, wie er war, galt Pro- teus den Griechen doch vor allem als ein unzuverlässiger und wandelbarer Geist, dessen Launenhaftigkeit und beständiger Gestaltenwechsel ihn nach Homer zu einem schwer zu fassen- den Wesen machten. Dabei dachten sie jedoch weniger an die Launenhaftigkeit und Unbeständigkeit des Meeres als an die Sonne, die nach astralmythologischer Ansicht sich jeweils in dasjenige Tierkreisbild verwandelt, in dessen Bereich sie eintritt. Proteus ist mithin infolge seiner Einerleiheit mit dem Sonnengotte der große Verwandler und Gestalten Wechsler, und seine Beziehung zum Wasser schreibt sich daher, daß die Sonne beim Beginn des Jahres im Zeichen des Wasser- mannes (Stierzeitalter) stand und ihr Wandern durch die übrigen Tierkreisbilder als ein Sichverwandeln des Wasser- mannes in die verschiedenen Gestalten des Tierkreises ge- deutet wurde.

Nun kennt auch das 68. Kapitel des ägyptischen Toten- buches einen Gott, der das Amt des Seelenpförtners im Reiche der Abgeschiedenen versieht und der als solcher den Schlüssel der Unterwelt besitzt: es ist Petra (Fels), eine Form des Toten- führers Anubis. Das leitet uns wieder zu Petrus zurück.

Dieser führt, wie gesagt, auch den Namen Simon, den- jenigen des vorderasiatischen Säulengottes. Er heißt bei Pau- lus eine „Säule" der Gemeinde zu Jerusalem, und Jesus be- zeichnet ihn als den „Fels", auf den er seine Gemeinde, das „Reich der Himmel" gründen will — „die Pforten der Hölle (Unterwelt) sollen sie nicht überwältigen" — und gibt ihm den Auftrag: „Weide meine Schäfchen!" Erinnern wir uns nun des Charakters des Petrus, wie die Evangelien und Paulus diesen schildern, seiner Zutraulichkeit, aber auch

1 Movers a. a. O. II 1, 112.

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seiner Unbeständigkeit, Unzuverlässigkeit und seines Wan- kelmutes, wie seiner Wandlungsfähigkeit, so tritt die Ver- wandtschaft zwischen Petrus und Proteus (die natürlich keine etymologische der Namen sein soll, wie die Gegner, um diese ganze Überlegung lächerlich zu machen, ihren Gläu- bigen einzureden versucht haben!) noch deutlicher hervor. Ja, der innere Zusammenhang des Petrus, Petra, Proteus, Herakles oder Simon wird augenscheinlich angesichts des Umstandes, daß der phönizische Simon ein Fischer (sid; Baal-Sidon ist Verkleinerungsform von Baal-Sid) genannt wird,1 zugleich aber ein Schaf- und Rinderhirt ist, und Petrus, ein Fischer aus Bethsaida (Fisch- oder Fischerhaus, gleich- bedeutend mit Beth-Sidon), der Stadt des phönizischen Simon oder Sidon, den Jesus zum „Menschenfischer" ernennt, zum Wasser in Beziehung steht und das Wunder vollbringt, wie ein Meergott auf den Wogen zu wandeln!

Auf den Mithrasteinen der ersten Jahrhunderte u. Z. finden sich neben Herakles auch Atlas und Okeanos (Poseidon) ab- gebildet. Diese sind aber, wie gesagt, nur andere Formen des Proteus, des schöpferischen Urstoffs oder der Urkraft, wäh- rend der tyrische Herakles, der Sohn des „Wassermannes" Baal-Kronos (Saturn), bei den Griechen als ein Sohn des Poseidon (Baal-Sidon!) galt und nach Nonnus2 die Phönizier den Schiffbau gelehrt haben soll. So berichtet Clemens Alex- andrmus,3 daß auch Atlas das erste Schiff gezimmert und hiermit das nach ihm benannte Meer befahren habe. In Ägypten war Herakles unter dem Namen Horus der Seelen- schiffer, der die Abgeschiedenen über den Totenstrom ins Jenseits hinübersetzt, zugleich aber auch der Licht- und Tagesgott, der mit den auserlesensten Helden in der Sonnen- barke durch die zwölf Tagesstunden steuert und hierbei gegen die Ungetüme kämpft, welche die Wasser des Verderbens und die Pforten der Hölle ausspeien; eine Vorstellung, die in der Fahrt der Argonauten unter der Führung Jasons, d. h. des Heilands, ihr griechisches Seitenstück erhalten hat. Das er- innert an das „Schifflein Petri" oder die „Arche der Kirche",

1 Eisler a. a. O. 731. 2 Dionys XL. 3 Strom. I 75.

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wie sie die Gläubigen durch die Sintflut dieser Welt ans Ufer des Jenseits steuert, und deren Mastbaum das Kreuz ist.1

Bekanntlich besitzt auch Herakles von Zeus die Macht, zu binden und zu lösen, denn er bindet den grausigen Höllen- hund (Kerberos) und löst den Prometheus aus seinen Fes- seln, d. h. er besiegt den Tod und entbindet das Leben. Nun steht Petrus auch noch im heutigen Volksglauben zum Was- ser in Beziehung. Er gilt als Wettermacher, da auch das Wetter so launenhaft und unbeständig ist, wie der Himmels- pförtner. Am Tage Peter und Paul darf man nicht in offenen Gewässern baden, da an diesem Tage das Wasser ein Opfer zu fordern pflegt. Ja, der Volksglaube hat Petrus geradezu an die Stelle des Gewittergottes Thor gesetzt, der ja auch das Wetter macht, die Wolkenschleusen öffnet, also gleich- falls eine Art göttlicher Pförtner ist, als solcher den Him- melsschlüssel in Gestalt seines Hammers führt und zu Odin eine ähnliche Stellung einnimmt, wie der persische Zeitgott eu Mithra, wie der phönizische Herakles zu Baal samim wie Petrus zu seinem (jüngeren) Meister Jesus. So kommt es, daß überall die dem germanischen Himmels- und Wettergott geweihten heiligen Bäume oder Steinsäulen, wie die Donars- eiche in Hessen, die Irminsäule auf der Eresburg, durch Peterskirchen ersetzt worden sind, offenbar weil man sich hierdurch an den Säulengott Herakles erinnert fühlte, den schon Tacitus mit Thor gleichgesetzt hat,2 und der christliche Wasser- und Felsenmann, die „Säule" der Gemeinde zu Jeru- salem, mit diesem in der Tat auf das innigste verwandt ist.3

3. JANUS Alle bisher hervorgehobenen Verwandtschaftszüge zwischen Petrus und den angeführten Göttern fassen sich zusammen in der Gestalt des römischen Gottes Janus. Schon Dupuis hat in seinem Werke „Origine de tous les cultes" (1794) auf 1 Sepp: Das Heidentum und dessen Bedeutung für das Christentum, 1853, II 467. 2Germ.34. 3Simrock: Handbuch der deutschen Mytho- logie, 4. Aufl., 1874, 269 ff.

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die Dieselbigkeit des Petrus und des Janus hingewiesen,1 und ihm hat sich auch Volney in den späteren Ausgaben seiner „Ruinen" (1791) angeschlossen.2 Seinem Wesen nach, wie schon sein Name sagt, ein alter Licht- und Tagesgott (Dius, Dianus: Maskulinform von Diana), wie der persische Zeit- gott und phönizische Himmelsbaal, und zugleich ein gött- licher Vertreter des Sonne, die siegreich die nächtliche Fin- sternis verscheucht, galt Janus als der himmlische Schlüssel- inhaber, als Öffner (Patulcius) wie als Schließer (Clusius), indem er sowohl im Himmel wie auf Erden über allen Aus- und Eingang gebietet. Alle zum Himmel empor- und von ihm herabsteigenden Erscheinungen, die Wolken und die Winde, aber auch das Meer und die Erde hat er nach Ovid3

unter seiner Oberaufsicht. Er heißt der „Herr über alle Türen", von welchem die Türe im Lateinischen ebenso ihren Namen (janua) hat, wie der Monat, der das Jahr eröffnet (Januar). Durch ihn allein geht der Weg zu den Göttern des Lichtes; darum ist er der allgemeine Vermittler zwischen der Erde und dem Himmel. Er geleitet nicht nur die ab- geschiedenen Seelen gen Himmel: auch den Gebeten der Menschen schließt der Gott die Tore des Himmels auf und verschafft ihnen Eingang bei den übrigen Göttern.4 So sitzt er mit den Hören an der Himmelspforte, und selbst der Götterkönig Jupiter kann ohne seine Erlaubnis nicht in den Himmel eingehen.

Dabei spielen auch in diese Auffassung des Janus, wie bei seinen vorderasiatischen Verwandten, einem Kronos (Saturn und Herakles (Melkart) .astrale Vorstellungen hinein. Janus hieß bei den Römern ein Stern im Bilde der Jungfrau, und zwar nahe deren Füßen, der um die Mitternacht der Winter- sonnenwende, wo die Sonne im Steinbock ihren Jahreskreis- lauf durch die zwölf Zeichen des Tierkreises antrat, am öst- lichen Himmel emporstieg und damit den Beginn eines neuen Zeitabschnitts verkündigte. Der Gott öffnete die Him- melspforte im Steinbock, und die Sonne trat zunächst in das 1 Dreibändige Ausgabe I 292, III 47, III 2, 59. 2 Reclamausgabe 297.

3Fasti 117ff. 4a.a.O. 171 ff.

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Zeichen des Wassermannes, der die himmlischen Gewässer aus seiner Urne ausgießt, und sodann in dasjenige der Fische ein. Es ist die winterliche Regenzeit, die Zeit der Wasser- überschwemmung. Um über die Flut hinüberzukommen, be- darf die Sonne eines Schiffes. Und wirklich befand sich das „Schiff des Janus" (Argo) um die Mitternacht der Winter- sonnenwende an seiner höchsten Stelle im oberen Meridian.1

Es ist das Seelenschiff des Horus, die Sonnenbarke, die Herakles durch die Tagesstunden steuert, und auf deren Ver- wandtschaft mit dem „Schifflein Petri" wir schon hinge- wiesen haben. Im Zeichen der Fische, in welchem Simon durch Jesus berufen wurde (s. o.) befand sie sich im unteren Meridian. In der Tat ist ja auch Petrus, als Fischer, ein Wassermann und, wie Janus, im Besitz des Schiffleins, von dem aus sich durch ihn, den „Menschenfischer", das Heil über die ganze Welt verbreitet.2 Auf der anderen Seite gibt auch Janus, als Zeitgott sowie durch seine Beziehung zum Wasser, sich als einen Verwandten des Herakles und Proteus oder des mit ihm gleichen mithrischen Kronos oder Baal samim (Saturn) zu erkennen, wie denn übrigens die Ge- stalten des Saturn und Janus im römischen Glauben auch sonst vielfach ineinander flössen. Wie Herakles, so soll auch er die Seinigen den Schiffsbau gelehrt haben und galt aus diesem Grunde zugleich als Gott der Häfen (Portumnus), und weil der Untergang des Sternes Janus mit dem Beginne des Frühlings, sein Aufgang mit demjenigen des Winters zu- sammenfiel, als Eröffner und Beschließer der Schiffahrt, weswegen er ein Schiff als Kennzeichen hatte. Als Himmels- schließer wird Janus mit dem Schlüssel in der Linken ab- gebildet; davon führt er den Namen Claviger: der Schlüssel- träger, Auch Herakles aber heißt Claviger, nur daß bei ihm dies Wort der Keulenträger bedeutet, weil clavis im Latei- nischen der Schlüssel, clava die Keule heißt.

Nun schließt aber Janus nicht bloß die Himmelspforte des Abends zu und Öffnet sie am Morgen und beim Beginn des neuen Jahres: als Schließer und Beschließer trifft er auch

1 Sternenhimmel: Tafel X 2 Luk. 5, 1 ff

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über die Eröffnung der Kriege und den Schluß des Friedens die Entscheidung. Hier steht selbst Jupiter, der Himmels- könig, hinter ihm zurück und handelt lediglich in seinem Auftrag. Daher pflegt Janus beim Gebete noch vor Jupiter genannt und bei allen Opfern zuerst bedacht zu werden; ja, der „Vater Janus", der „Gott des Anfangs", der „Gott aller Götter", diese älteste aller italischen Göttergestalten, ist, obwohl sie im späteren Glauben hinter Jupiter, als Ver- treter des römischen Staates, zurückgetreten ist, doch eine so bedeutsame Persönlichkeit, daß Janus im Grunde das wirkliche Haupt, der lenkende Geist des Staates bleibt: wie dies auch im Namen seines Priesters, des „rex sacrorum", zum Ausdruck kommt. Wie sehr diese Stellung des „Vaters (pater, papa) Janus" im römischen Götterhimmel derjenigen des Papstes, des angeblichen „Nachfolgers des Apostels Petrus", innerhalb der römisch-katholischen Kirche entspricht, ist in die Augen fallend. Janus ist der Anführer der zwölf Monate oder der ihnen entsprechenden Tierkreiszeichen. Petrus führt die zwölf Apostel an. Und wie sein „Nachfolger auf dem Bischofsstuhl zu Rom" die Oberherrschaft über die zwölf ur- sprünglichen Bistümer und damit die Führung der gesamten Kirchenherrschaft beansprucht, so soll nach Makrobius I 9 auch Janus, als er sich auf dem Janiculum niederließ, zwölf Altäre, die sich auf die zwölf Monate bezogen, errichtet und Rom hierauf den Anspruch auf die Oberleitung des italischen Bundes gegründet haben, weil es die gemeinsamen Heilig- tümer in seinen Mauern beherbergte.

Janus wird, wie gesagt, mit dem Himmelsschlüssel in der Linken abgebildet, während er, als Wegegott, in seiner Rech- ten den Wanderstab, den Krummstab des Osiris, trägt: wie leicht ließ sich dieser nicht in den Hirtenstab des sog. „Völker- hirten" umdeuten! Janus ist doppelköpfig, weil er nach Ovid, als himmlischer Türhüter, gen Morgen wie gen Abend schaut: wie nahe lag es nicht für solche, die den eigentlichen Sinn dieser Doppelköpfigkeit nicht verstanden oder nicht ver- stehen wollten, diese Eigentümlichkeit des Gottes, die er, wie gezeigt, mit dem mithrischen Kronos und lyrischen Herakles

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teilte, auf eine Doppelheit, eine Zwiespältigkeit oder Zwei- deutigkeit in seinem Charakter zu beziehen und den „Janus bifrons", zumal im Hinblick auf den mit ihm gleichen Proteus, als ein zweideutiges, wandelbares und wankelmütiges Wesen aufzufassen! Während Paulus und die übrigen Jünger Jesu in der christlichen Kunst im Vollbesitze ihres Haarschmuckes dargestellt zu werden pflegen, erscheint Petrus als ein kahl- köpfiger Greis. Auch darin gleicht er dem römischen Janus. Am 18. Januar pflegte in Rom das Fest der „Stuhlfeier Petri" gefeiert zu werden; angeblich zur Erinnerung an den Tag an welchem Petrus zu Rom das Bischofsamt angetreten habe.1

Es ist der Tag, an welchem das Sternbild der Kassiopeia zu- gleich mit dem Steinbock des Morgens aus der Dämmerung emporkam; Kassiopeia aber wurde von den Alten als eine Art Stuhl (Gebärstuhl) oder Thron angesehen und galt zu- gleich als der Schlüssel des Janus (Petrus).2

4. JESUS Wenn Petrus nach Matth. 16, 19 die Schlüssel des Reiches der Himmel von Jesus übertragen bekommt, so muß dieser ur- sprünglich in deren Besitz gewesen sein. Und in der Tat wird Jesus Joh. 10 gleichfalls als ein ,,Herr der Türen" aufgefaßt. 1 H. Lietzmann: Petrus und Paulus in Rom. Liturgische und archäo- logische Studien, 1915, 3, 20, 71, 81. 2 In ähnlicher Weise sind auch noch andere kirchliche Feste durch Vermittlung des Sternhimmels zustande gekommen. So, wenn die ältere morgenländische Kirche das Gedächtnis der Apostel Petrus und Paulus am 28. Dezember, die römische Kirche dieses am 29. Juni feierte. Es sind die Tage, wo die Zwillinge, sei es am Abend beim Untergange des Steinbocks, sei es am Morgen beim Aufgang des Krebses über den Horizont herauf- steigen. Aus demselben Grunde feierte man in der syrischen und arme- nischen Kirche am 27. Dezember das Fest der Apostel Johannes und Jakobus und in Rom am 28. Dezember das Gedächtnis der unschul- digen Kinder von Bethlehem, da die Zwillinge vielfach als Kinder dargestellt zu werden pflegten (Markusevg. 164), während am 26. Dezember das Fest des ersten Märtyrers Stephanus begangen wurde, weil das Sternbild der nördlichen Krone oder des Kranzes (gr. stephanos) beim Aufgang des Steinbocks gegen Ende des De- zember kulminierte.

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Joh. 10, 3, 7, 9 nennt er sich selbst die Türe zu den Schafen: „So jemand durch mich eingehet, der wird selig werden und wird ein- und ausgehen und Weide finden." In der Offen- barung des Johannes, vielleicht der ältesten Schrift des Neuen Testaments, die ursprünglich einem vorchristlichen jüdi- schen Jesusglauben angehört, spricht der Erlöser: „Ich bin der Erste und der Letzte. Ich bin der Lebendige. Ich war tot. Und siehe, ich bin lebendig von Ewigkeit zu Ewigkeit und habe die Schlüssel der Hölle und des Todes."1 Es ist also auch hier der Sonnengott, der ursprünglich die himmlischen Schlüssel führt; die Sonne als abwärts und aufwärts sich bewegendes Gestirn, als leidendes, sterbendes und wieder - auferstehendes Wesen, als der Gott, der sich selbst in den Tod gibt und begraben wird, um durch seinen eigenen Unter- gang den übrigen Geschöpfen das Leben zu gewinnen. Durch die Pforte des himmlischen Feuers im Krebse, wo die Sonne (während des Widderzeitalters) sich auf der Höhe ihrer Macht befindet und ihre größte Kraft entfaltet, steigt er in die himmlische Unterwelt, den unteren Bogen des Tierkreises hinab, um durch die Wasserpforte im Steinbock durch die Zeichen des Wassermannes und der Fische hindurch, wieder emporzusteigen.2 Als solcher führt er auch den Namen Dod, Dodo, Dadu, Däud oder David: der Geliebte, und so heißt es in der Offenbarung vom „Heiligen", dem „Wahr- haftigen", er habe „den Schlüssel Davids, der auf tut und nie - mandem zuschließt, der zuschließt und niemandem auftut".3

Der Sonnengott, der aus der Pforte des himmlischen Feuers hinausschreitet, um seinen schweren Gang durch das Erden- leben anzutreten, der in die Pforte der Sintflut und der Wasserüberschwemmung, d. h. in die Hölle, eingeht, um die Seelen aus der Dunkelheit und Not des Winters zu erlösen, dieser Gott ist in der Tat der rechtmäßige Besitzer der Him- melsschlüssel, d. h. der beiden Pforten am Sternhimmel, und es entspricht nur seinem Wesen, wenn er im vorderasia - tischen Kultus als himmlischer Öffner und Schließer dar- gestellt wird. 1 a. a. 0. I, 17f. 2 Makrobius: Somn. Scip. I 12. 3 a. a. O. 3, 7.

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Aber nicht bloß als ursprünglicher Schlüsselbewahrer er- scheint Jesus im Neuen Testamente: er ist es auch, auf den die Bezeichnung des Steines Anwendung findet, von dem Jes. 8, 14 spricht. Matth. 21, 42, Mark. 12, 10, Luk. 22, 17 bezieht Jesus selbst das Psalmwort 118, 22 f. vom Stein, den die Bauleute verworfen haben, und der zum Eckstein gewor- den ist, auf sich. Paulus nennt Christus einen „geistlichen Felsen" im Hinblick auf den wasser spendenden Felsen, der Israel in der Wüste erfrischte.1 Und der Verfasser des ersten Petrusbriefes spricht von ihm als dem „lebendigen Stein", den Gott zum Eckstein auserlesen habe, und auf dem die Gläubigen, als gleichfalls lebendige Steine, sich zu einem gei- stigen Hause aufbauen sollen,2 sowie auch Paulus Christus als den „Grundstein des Baues Gottes" bezeichnet hatte, den er zunächst in der Gemeinde von Korinth, sodann aber in der gesamten Christenheit erblicken wollte.3 Und hatte nicht auch der Prophet Sacharja von dem mystischen Stein mit sieben Augen gesprochen, auf welchem das Heil der Zukunft beruhen sollte ? Und zwar im Zusammenhange mit einem Jesus oder Josua, jenem Hohenpriester dieses Namens näm- lich, der die Juden aus der babylonischen Gefangenschaft in ihre alte Heimat nach Jerusalem zurückgeführt haben sollte und der im Bewußtsein der Juden nur zu leicht mit dem gleichnamigen Nachfolger des Moses im Führeramte und weiterhin mit Jesus zusammenfloß?4 Handelt es sich doch hier um den sog. Eben Schetijja der Rabbinen, jenen vier- eckigen „Grundstein", der im zweiten Tempel seit der Rück- kehr der Juden aus der Gefangenschaft die Stelle der früheren Bundeslade einnahm,5 und den die Rabbinen auf den Messias bezogen.6

Man wird es nach alledem nicht so unbegreiflich finden, wenn alle diese verschiedenen Vorstellungen, die sich an die höchstverehrten göttlichen Wesen knüpften, schließlich zu

1 1. Kor. 10, 4. 2 a. a. O. 2, 5f. 3 1. Kor. 3, 9, 11. 4 Sach. 3, 9. 5 Jes. 28, 16. 6 Vgl. zum ganzen: Robertson: Christianity and Mythology, 2. Aufl., 1910, 347—352; Pagan Christs: Studies in comparative hierology, 2. Aufl., 1911, 332f.; Evangelienmythen, 1910, 101ff.

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einem Ganzen verschmolzen und im Zeitalter der allgemeinen Religionsvermischung dahin führten, daß alle Glaubensrich- tungen gegenseitig aneinander abgaben. Keine der damals vorhandenen Religionsformen aber war so sehr geneigt, die Vorstellungen aller übrigen in sich aufzunehmen, wie der Mithraismus, die Religion des persischen Stein- und Schlüssel- gottes.

4 Drews. Petruslegende 4 9

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P E T R U S ALS M I T H R A Wir wissen, welche ungeheure Rolle der Mithraismus wäh- rend der ersten Jahrhunderte u. Z. im religiösen Leben des Altertums gespielt hat. Seitdem er zur Zeit des Pompejus (um 70 v. u. Z.) zum ersten Male in den Gesichtskreis des Abendlandes getreten war, drang der persische „Deus Sol invictus", der sich damals bereits ganz Vorderasien unter- worfen hatte, in unaufhaltsamem Siegeszuge nach Westen vor und verdunkelte mit seinem Glänze alle übrigen Götter, die er auf seinem Wege antraf, zumal davor allem die Soldaten dem kriegerischen Mithra zugetan waren und ihm überall dort Aufnahme verschafften, wo römische Legionen standen. Besonders nachdem er in Rom seine Verschmelzung mit dem des phrygischen Attis vollzogen und außerdem noch die Züge des altitalischen Janus und damit römische Eigenart ange- nommen hatte, war Mithra der gefährlichste Gegner, den das Christentum in den ersten Jahrhunderten seiner Entwick- lung zu bestehen hatte. So groß war die Anziehungskraft, die der Mithraismus auf hoch und niedrig ausübte, daß es eine Zeitlang zweifelhaft erscheinen konnte, ob er oder das Chri- stentum den endgültigen Sieg über die Geister davontragen sollte. Ja, die Zuneigung einer Reihe von Kaisern, wie Com- modus (180—192) und Aurelian(27O—275), der den Mithra- ismus zur Staatsreligion erhob, verschaffte ihm ein solches Ansehen, daß das Christentum lange nicht dagegen aufzu- kommen vermochte. Wenn diese Religion trotzdem schließ- lich der Kirche doch unterlegen ist, so weniger aus inneren Gründen, als vielmehr aus Gründen teils der Organisation — der Mithraismus schloß die Frauen vom Kultus aus und war im ganzen mehr eine Art antiker Freimaurerei, als eine öffentliche Religionsgemeinschaft —, teils aber auch aus Gründen der Staatsvernunft, die es in einem entscheidenden Augenblicke wünschenswert erscheinen ließ, dem jüdischen Christus den Vorzug vor dem persischen Mithra einzuräumen. Vor allem war es der Tod des Kaisers Julianus, der, wie kein anderer Herrscher, dem Mithradienste zugeneigt war,

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was dem Mithrakultus im Abendlande verhängnisvoll wurde. Denn dieser Tod im Kampfe gegen die Perser, die furchtbar- sten Feinde des späteren Kaiserreiches (363), wurde als ein Zeichen dafür angesehen, daß der persische Gott die Ver- ehrung von Seiten der Fremden nicht wollte, und mußte ihm vor allem die Anhängerschaft der Soldaten entziehen. Eine der ersten Regierungshandlungen seines Nachfolgers Jovianus war die endgültige Wiedereinsetzung des Christentums in seine früheren Rechte, nachdem schon vorher Constantius (340) die heidnischen Tempel geschlossen hatte. Damit war die Rolle des Mithraismus im Abendlande ausgespielt. Mit einem Fana- tismus, der an Rücksichtslosigkeit und Grausamkeit jeder Art ihrer eigenen Verfolgung durch die Heiden nichts nachgab, stürzten jetzt die Christen sich über den am Boden liegenden Gegner und setzten alles daran, dessen Spuren möglichst aus- zulöschen. Und dies ist ihnen denn auch so gut gelungen, daß der Mithraismus fast anderthalb Jahrtausende aus dem Ge- dächtnis der Menschen so gut wie gänzlich verschwunden war und wir erst heute, nach dem grundlegenden und er- schöpfenden Werke von Cumont über den Mithraismus wieder anfangen, einen genaueren Einblick in das Wesen und die Bedeutung des Mithra und des mit ihm verwandten und verschmolzenen Attis zu gewinnen.1

Mithra hatte in Rom sein Hauptheiligtum auf dem Vatikan an der Stelle der heutigen Peterskirche. Dort wurde er zu- sammen mit dem schon vorher staatlich anerkannten Attis, dem sterbenden und wiederauferstehenden jungen Gotte des phrygischen Mysterienglaubens, und dessen Mutter Kybele verehrt. Bei den dortigen Ausgrabungen der Jahre 1608 und 1609 sind noch Inschriften über Taurobolien und Kriobolien (Stier- und Widderopfer) gefunden worden, die vom Jahre 305 bis 390 heraufreichen.2 Mithra-Attis führte hier den 1 S. über ihn außer dem genannten Werk von Cumont und dem Aus- zug aus demselben, im Deutschen unter dem Titel: Die Mysterien des Mithra, 1903 erschienen, 2. Aufl. 1911, die vortreffliche Dar- stellung dieser Religion bei Robertson in dessen „Pagan Christs" 288—338; ferner Sternhimmel 163—186. 2 H. Geiser: Rom beim Ausgang der antiken Welt, 1901, 11; Lietzmann a. a. O. 127.

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Namen Papa: Vater. Und Vater, pater, pater patrum, pater patratus: Vater der Väter nannte sich zugleich der Ober- priester dieses Gottes: genau wie der sog. „Heilige Vater", sein „Nachfolger auf dem Stuhle Petri". Wie jener, trägt auch er die Tiara oder Mithra, die Kopfbedeckung des Mi- thra-Attis, als „Krone" auf dem Haupte, ist er angetan mit den roten Soldatenschuhen der Mithrapriester, im Besitze der Schlüsselgewalt des Felsgottes, und auch er schreibt sich die Kraft zu, zu binden und zu lösen, entsprechend dem Umstände, daß auf dem vatikanischen Hügel die Gläubigen durch die feierliche Bluttaufe des angeführten Stier- und Widderopfers von ihren Sünden losgesprochen wurden.

Kein Zweifel: der christliche Petrus ist nur eine Verdoppe- lung und Vermenschlichung des persischen Petros oder Mithra, der so in die Evangelien hineingelangt ist.1 Die Papst- kirche ist nur die unmittelbare Fortsetzung oder der christ- liche Ersatz des alten Petroskultus. Dem Erz- oder Ober- priester der gesamten katholischen Christenheit entsprach der Archigallus, der höchste Priester oder heidnische Papst des Mithra-Attiskultus. Dieser hatte seinen Sitz auf dem Vatikan, verehrte die Sonne als Erlöser und in der Kybele die „jungfräuliche" Gottesmutter, die man sitzend, mit einem Knäblein auf dem Schöße darzustellen pflegte, und die in der Jungfrau Maria ihr christliches Seitenstück besitzt. Er war ein Eunuch, wie auch die übrigen Gallen oder Attispriester, und es scheint, daß die Erinnerung hieran in dem kirchlichen Verbote an die Priester, sich zu verheiraten und Kinder zu zeugen, wiederaufgelebt ist. Sind doch auch sonst zahlreiche alte Kultgebräuche des Mithradienstes in denjenigen der Kirche übergegangen: so vor allem die Lehre vom Fege- feuer, der Gebrauch des Weihbeckens, die Sitte des Sich- bekreuzigens. Nicht bloß in der Anrufung von Heiligen und Schutzpatronen, den persischen Fervers (Fravaschis), zu denen auch verstorbene Fromme erhoben werden konnten, 1 Auch Grill weist auf die Verwandtschaft des Petrus mit Mithra hin, jedoch ohne daraus irgendwelche Folgerungen zu ziehen (a. a. O. 61f . )

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und die jeweils einem besonderen Wirkungskreise vorstan- den: auch in der Art des Gebetes, der Kindertaufe und Firme- lung sowie dem Abendmahle stimmt das Christentum mit dem Mithraismus überein. Die Form des Gottesdienstes, besonders der Messe, (ein Wort, das mit dem persischen myazd oder mizd, der Bezeichnung des heiligen Kuchens, zusam- menzuhängen scheint,1) die Gebete des Priesters vor dem Altar, wobei der Priester bald allein, bald mit seinem Diener zusammen den Gott anruft, das Händefalten und -ausbreiten, das Niederknien, das Schwingen von Rauchfahnen, der Vor- trag der Liturgie in einer dem Volke unbekannten toten Sprache (Zend), der Gebrauch der Hostie sowie Einzelheiten der priesterliehen Kleidung (Meßgewand, der Ärmelrock, der breite Gürtel und die Bischofsmütze (Mithra)), der Zehnte usw. — dies alles hat die christliche Kirche der persischen Religion entlehnt.2 Aber auch die christliche Kunst der Kata- komben steht ganz und gar unter mithrischem Einfluß. Und schließlich hat das Christentum, wie gesagt, auch den persi- schen Felsgott selbst in seinen eigenen Himmel aufgenom- men, indem es ihm in der Gestalt des Petrus einen christ- lichen Mantel umgehängt und den sog. „Apostelfürsten" un- mittelbar mit Jesus als dessen ersten Jünger und Nachfolger im Lehramte, als eine ihm untergeordnete Persönlichkeit in Zusammenhang gebracht hat.

Eine Kirche, die von Rom aus die Welt zu beherrschen strebte, wie Mithra-Janus es versucht hatte, bedurfte eines Gottes, der, wie jener, im römischen Erdreich wurzelte und zu Rom eine nähere Beziehung hatte. Dazu mußte ihr die Gestalt des Simon Petrus dienen. Die Gläubigen hatten ihn bisher nur als den sinnbildlichen Vertreter des Judenchristen- tums gegenüber dem Heidenchristentum des Paulus gekannt. Jetzt nahm, was vorher ein bloßer Name gewesen war, unter mithrischem Einfluß bestimmtere Gestalt an: der Gott wurde zu einem bloßen Menschen, sowie Jesus aus einem ursprüng- lichen Gotte zu einem Menschen geworden war, um ihn da- 1 Robertson: Pagan Christs 332. 2 Nork: Mythen der alten Perser als Quellen christlicher Glaubenslehren und Ritualien, 1835, 153 f.

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durch dem Herzen der Gläubigen näherzubringen, und wie die Kirche später aus Göttern des Heidentums ihre Heiligen und Märtyrer gemacht hat: ich erinnere an den hl. Dionysius, den hl. Georg, die hl. Brigitte, an Cosmas und Damian, die den griechischen Dioskuren entsprechen usw., wie dies schon der Manichäer Faustus dem Augustinus entgegengehalten hat.1 So trat Petrus dem christlichen Heiland als dessen erster Gehilfe an die Seite, und alles, was man sich von Simon, Pro- teus, Petra, Atlas, Janus und Mithra erzählte, wurde, wenn auch in noch so abgeblaßter Form, in die Gestalt des Simon Petrus hineingespiegelt. Denn noch lebte man ja in den Vor- stellungen der alten Heidengötter, und es war unvermeid- lich, daß diese mit denjenigen des Christentums die innigste Verbindung eingingen. Petrus der ,,Fels der Kirche"! Petrus der Inhaber der Himmelsschlüssel! Auf den Darstellungen des mithrischen Kronos findet sich neben diesem wohl ein Hahn abgebildet.2 Den Persern galt dieser als ein besonders heiliges Tier, wohl wegen seiner Beziehung zum Sonnenauf- gang, und er gehört aus demselben Grunde auch zur Gestalt des Janus. So setzt auch das Evangelium den Hahn zu Petrus in Beziehung: es läßt ihn krähen, als dieser seinen Herrn dreimal verleugnet. Und dabei gab es nach der Mischna in Jerusalem gar keine Hühnerzucht eben wegen jener Be- ziehung des Hahns zum phönizischen Herakles und Mithra.3

Es kann dort also auch kein Hahn gekräht haben!

1 Opp c. F. XX 4. 2 Sternhimmel Tafel XVIII. 3 Brandt a. a. 0. 32f.

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P E T R U S I N R O M

Die Apostelgeschichte hatte den Petrus nach seiner Befreiung aus dem Gefängnis des Herodes sich „an einen anderen Ort" begeben lassen und ihn in der Folge nur noch einmal, bei Ge- legenheit der Apostelversammlung als ersten das Wort neh- men lassen, ohne zu sagen, wie er dorthin gekommen und wo er nachher geblieben sei. Das Apostelkonzil soll im Jahre 53 stattgefunden haben. Auch der Galaterbrief setzt die An- wesenheit des Petrus auf dieser Versammlung voraus und berichtet von seinem späteren Aufenthalt in Antiochia. Aber schon vorher, im Jahre 42, soll Petrus unter Claudius (41 bis 54) nach Rom gekommen sein, und man nimmt an, daß unter jenem,»anderen Orte" der Apostelgeschichte eben Rom zu verstehen sei.Hier soll nach Eusebius und Hieronymus1Pet- rus später zusammen mit Paulus, der im Jahre 61 als Gefan- gener nach Rom gebracht sein soll, gewirkt, die römische Kirche oder Gemeinde gegründet und während eines Viertel- jahrhunderts (42—63) das Amt des ersten Bischofs verwaltet haben, um sodann im Zusammenhange mit der ersten Chri- stenverfolgung unter Nero gemeinsam mit Paulus den Tod des Märtyrers zu erleiden.2 Merkwürdigerweise weiß jedoch die Apostelgeschichte nichts von einem Zusammenwirken des Petrus und Paulus in Rom. Sie schließt mit den Worten: „Paulus blieb zwei Jahre (in Rom) in seiner eigenen Miets- wohnung, empfing alle, die ihn besuchten, und verkündete das Reich Gottes und lehrte von dem Herrn Jesus ganz offen, ungehindert."3 Nun erzählt aber die Apostelgeschichte die Wirksamkeit des Paulus nur einfach derjenigen des Petrus nach und dichtet beiden Aposteln denselben Lebenslauf an. Sie würde somit sicher nicht verfehlt haben, die Wirksam- keit des Petrus neben der des Paulus zu erwähnen, falls eine solche tatsächlich stattgefunden hätte.

Dagegen sucht der erste Petrusbrief den Glauben an einen Aufenthalt des Petrus in Rom und einen Zusammenhang mit Paulus zu erwecken. Er will nämlich durch Silvanus, „den be-

1 De vir. illustr. I. 2 Grill a. a. O. 64f. 3 a. a. 0. 28, 30 f.

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währten Bruder", von welchem bei Paulus 2. Kor. 1, 19 die Rede ist, geschrieben sein, übersendet Grüße des Petrus von seinem „Sohn" Markus, auf den das älteste Evangelium zu- rückgeführt wird, und ist datiert aus „Babylon"; darunter wurde vielfach Rom verstanden. Aber gerade dies verrät die unechte Beschaffenheit des Briefes, denn der Name Babylon für Rom konnte erst aufkommen nach der völligen Zerstörung Jerusalems durch Hadrian und der gänzlichen Zerstreuung der Juden in den dreißiger Jahren des zweiten Jahrhunderts. Auch ist der Brief derartig geschrieben und trägt so deutliche Spuren der paulinischen Denkweise zur Schau, läßt so wenig die judenchristliche Auffassung des angeblichen Petrus er- kennen und ist überdies auch stilistisch so weit davon entfernt, von dem armen ungebildeten galiläischen Fischer Petrus ver- faßt sein zu können, daß, von wenigen ganz vernagelten Köpfen abgesehen, der sog. erste Petrusbrief heute wohl von niemandem mehr für echt angesehen wird. Er ist offensicht- lich nur geschrieben, um glauben zu machen, Petrus sei in Rom gleichzeitig mit Paulus und dessen Anhängern gewesen und habe Beziehungen zum ältesten Evangelisten gehabt, um dessen Darstellung dadurch eine um so höhere Glaub- würdigkeit zu verleihen.

Noch weniger als der erste kann der zweite Petrusbrief der Feder des Apostels entstammen. Der Verfasser nennt sich hier „Simeon Petrus, Knecht und Apostel Jesu Christi", tut, als ob er schon recht alt sei, und erinnert seine Leser daran, wie er mit Jesus zusammen auf dem Berge der Verklärung geweilt und die himmlische Stimme vernommen habe, die Jesus für den Sohn Gottes erklärte. Nun ist aber, wenn irgend etwas, gerade die Verklärungsgeschichte zugestandener- maßen rein erfunden und bloß alttestamentlichen Vorbildern nachgedichtet.1 Petrus kann also davon auch nichts berichtet haben. Der Verfasser erinnert daran, daß er auch den ersten Petrusbrief geschrieben habe, und sucht ebenfalls den An- schein zu erwecken, als ob er sich gleichzeitig mit Paulus in Rom befände, indem er dabei zugleich auf dessen Brief an-

1 Markusevg, 182ff.

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spielt. Man darf jedoch zweifeln, ob die beiden Briefe über- haupt von demselben Verfasser herstammen. Denn während der erste Petrusbrief in gewohnter Weise das Ende als nahe herbeigekommen hinstellt,1 sucht der zweite die Gläubigen mit sonderbaren Ausflüchten darüber hinwegzutrösten, daß die von allen ersehnte Wiederkunft des Herrn solange auf sich warten läßt. Es handelt sich offensichtlich um plumpe Fälschungen aus der letzten Hälfte des zweiten Jahrhunderts, wenn nicht aus noch späterer Zeit. Und von derselben Art sind auch die Bruchstücke, die unter dem Titel „Offenbarung des Petrus" in den Neutestamentl. Apokryphen, hrsg. von Hennecke, abgedruckt sind.

Aber auch was die Kirchenschriftsteller uns sonst über den Aufenthalt des Petrus in Rom mitzuteilen haben, verdient keinerlei Glauben: weder dessen Zusammenkunft mit dem alexandrinischen Juden Philo, der ein Freund des Petrus ge- wesen sein soll (!), noch die mehrfachen Reisen, die der Apo- stel nach und von Rom unternommen haben soll, und die nur erfunden sind, um seine Anwesenheit auf der Apostelver- sammlung zu Jerusalem und in Antiochia zu erklären, noch endlich sein Verhältnis zu Markus und dessen Evangelium. Das stammt alles bloß von Eusebius, der damit eine kirch- liche Überlieferung zu begründen und einen Zusammenhang zwischen Rom und der angeblichen Stiftung des Christen- tums durch Jesus herzustellen suchte, und sein geschicht- licher Wert ist von derselben Güte wie das, was die Apostel-, geschichte über die Reisen und persönlichen Beziehungen des Paulus mitteilt. Vielleicht kann man die Vorlesung eines Halb- jahrs mit diesen Fabeleien ausfüllen, nur soll man nicht meinen, damit irgendwie wissenschaftliche Arbeit zu leisten. Man könnte mit demselben Rechte etwa auch Sindbads Reisen und Taten in Tausendundeiner Nacht „wissenschaft- lich" vor Studenten behandeln.

Welches Zeugnis haben wir denn nun aber für den Auf- enthalt des Petrus in Rom und seinen dortigen Märtyrertod zusammen mit dem Apostel Paulus ?

1 a. a. 0. 4, 7.

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Es soll im sog. ersten Brie f des Römers Clemens an die Korinther enthalten sein, der um 95 geschrieben sein soll. Unterrichten wir uns zunächst über die Persönlichkeit dieses Mannes. Nach den sog. pseudoclementinischen Rekogni- tionen soll er der Sohn eines vornehmen Römers gewesen sein, der, um die christliche Lehre kennenzulernen (!), nach Palästina reiste und sich von Petrus im Christentume unter- richten ließ. Nach dem — übrigens zugestandenermaßen un- echten — Brief des Clemens an den Apostel Jakobus soll Petrus ihn zu seinem Nachfolger auf dem römischen Bischofs- stuhl erwählt haben. Bald soll er dieses Amt tatsächlich aus- geübt haben, bald auch nur einfach, wie nach Eusebius,1 der Sekretär des Petrus in Rom gewesen sein. Die Nachrichten über ihn lauten alle sehr verworren, und die übrigen unter seinem Namen erhaltenen Schriften, Briefe, Predigten sind so offenkundige Fälschungen, daß sie selbst bei den Theo- logen kein Ansehen besitzen. Was aber den angezogenen Brief betrifft, so soll er diesen bei Gelegenheit eines Streites geschrieben haben, der in der Gemeinde zu Korinth aus- gebrochen war, um sie im Namen der römischen Brüder zur Eintracht zu ermahnen. Das klingt nun freilich nicht gerade sehr wahrscheinlich. Denn daß die römische Gemeinde gegen Ende des ersten Jahrhunderts bereits ein solches Ansehen besessen haben sollte, um durch ein in ihrem Namen ver- faßtes amtsförmliches Sendschreiben den Korinthern Vor- schriften zu machen und ihnen, wenn auch in aller Liebe und Güte, Anweisungen und Rat zu geben, wie sie sich verhalten sollten, muß Bedenken erregen. Sollte hier nicht viel- mehr bereits die Kirche der späteren Jahrhunderte sprechen ? Und blickt nicht durch das ganze Schreiben nur zu deutlich die Absicht hervor, der römischen Gemeinde einen beson- deren Vorrang vor allen übrigen zuzuschreiben? Hervor- ragende Forscher, wie Semler, Baur, Schwegler, Zeller, Volk- mar,2 Hausrath,3 Loman,4 van Manen,5 Steck,6 van den 1 Kirchengesch. III 16. 2 Vgl. dessen Abhandlung über Clemens von Rom und die nächste Folgezeit, Tüb. theol. Jahrb. 1856, 287—369. Vgl. auch Jesus und die neutestamentl. Schriftsteller II 1909, 239

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Bergh van Eysinga1 u. a., haben denn auch die Echtheit des Briefes überhaupt bestritten. Volkmar setzt den Brief in das Jahr 125, Loman, van Manen und Steck lassen ihn erst um 140 abgefaßt sein, und Hausrath versetzt ihn in die Regie - rungszeit Hadrians (117—138), wenn nicht erst des Anto- ninus Pius um die Mitte des zweiten Jahrhunderts, womit aber nicht gesagt ist, daß er nicht auch noch späterer Her- kunft sein könnte, was vielmehr sehr wahrscheinlich ist. „Wahrheitsliebe", sagt der Geschichtsschreiber Seeck, „war eine Tugend, die das Christentum sehr niedrig schätzte."2

Die Kirche hat so viele Fälschungen auf dem Gewissen, daß sie sich nicht wundern darf, wenn man ihren bezüglichen Angaben überhaupt keinen Glauben mehr entgegenbringt. Stellt doch auch das ganze Neue Testament insofern eine Fälschung dar, als keine seiner Schriften vor dem zweiten Jahrhundert entstanden ist, während diese doch den Anschein zu erwecken suchen, als gehörten sie bereits der Mitte des ersten an.

Und was erfahren wir nun aus dem ersten Clemensbrief über die Person des Petrus? „Aus Eifersucht und Neid", schreibt er den Korinthern, „wurden die größten und gerech- testen Säulen verfolgt und kämpften bis zum Tode. Stellen wir uns die guten Apostel vor Augen: den Petrus, der wegen ungerechter Eifersucht nicht eine oder zwei, sondern viele Fährlichkeiten ertrug und so nach Ablegung seiner Zeugen- schaft zu dem ihm gebührenden Orte der Herrlichkeit wan- derte. Wegen Eifersucht und Streitsucht zeigte Paulus den Weg zum Kampfpreise geduldigen Ausharrens: in Banden war er siebenmal, in die Verbannung floh er, gesteinigt wurde er, als Herold trat er im Osten und im Westen auf und des- wegen hat er herrlichen Ruhm für seinen Glauben geerntet. Denn die ganze Welt hat er Gerechtigkeit gelehrt, bis zum

3 Neutestamentl. Zeitgesch. III 99. 4 Quaestiones Paulinae in Theol. Tijdschrift 1883, 14ff. 5 Oudchristl. Literaturkund 78. 6 a.a.O. 294fr. 1 Onderzook naar de echtheid von Clemens' eersten brief aan de Co- rinthiers, 1908. 2 Seeck: Entwicklungsgeschichte des Christentums, 1921, 497.

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äußersten Westen ist er vorgedrungen und vor den Macht- habern hat er sein Zeugnis abgelegt. So ward er denn aus der Welt genommen und wanderte an den heiligen Ort, das größte Vorbild von Geduld."1

Wo ist nun in diesen Worten gesagt, daß Petrus in Rom gewesen sei ? Man weist darauf hin, daß beide Apostel un- mittelbar hintereinander erwähnt würden und der römische Aufenthalt des Paulus aus der Apostelgeschichte feststünde: also müsse der Schreiber des Briefes die Anwesenheit des Petrus in Rom vorausgesetzt haben (!). Und was war das für eine „ungerechte Eifersucht", wegen deren der gute Apostel so viele Fährlichkeiten ertragen mußte ? Und was für eine Zeugenschaft hat er abgelegt? Das Wort martyresas gibt uns hierüber keinen Aufschluß. Denn martys heißt ur- sprünglich nur einfach soviel wie Zeuge oder Bezeuger (con- fessor) und bezeichnet nur jemanden, der für die Wahrheit des christlichen Glaubens zeugt; sei es auf Grund einer per- sönlichen Beziehung zu Jesus, sei es infolge einer Erschei- nung des Auferstandenen, durch welche die Wahrheit seines Evangeliums bestätigt wird, sei es auch nur auf Grund der Fähigkeit, Weissagungen zu erteilen und damit einen Be- weis für die Wirksamkeit des heiligen Geistes in der christ- lichen Gemeinde zu liefern. Martys war somit eine Rang- stufe, eine Würde innerhalb der Gemeinde, und jemand konnte ebenso ein martys heißen, der für seinen Glauben gelitten hatte, wie jemand umgekehrt gelitten haben konnte, ohne darum als martys angesehen zu werden. So heißt der mythische Stephanos, der für seinen Glauben gestorben sein soll, ein martys (Märtyrer): aber nicht deshalb, weil er für seinen Glauben gestorben sein soll, sondern weil er Christus geschaut und von ihm gezeugt haben soll, und er würde auch dann ein Märtyrer genannt worden sein, wenn er nicht an- geblich von den Juden gesteinigt worden wäre. Erst später, zur Zeit der staatlich angeordneten Christen Verfolgungen, im Wettbewerb mit den übrigen Religionen und der ihnen feindlichen Philosophie, als die Christen die höhere Wahr-

1 Neutestamentl. Apokryph., 1904, 91.

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heit ihres Glaubens durch ihre Standhaftigkeit und ihre Kraft im Leiden zu bezeugen suchten, verschmolzen die beiden Begriffe des martys und des Blutzeugen miteinander; und nun gelangte man naturgemäß dahin, zu denken, auch die - jenigen, die in früherer Zeit von Christus gezeugt, hätten dies Zeugnis mit ihrem Tode besiegeln müssen.1 Es ist demnach nichts weniger als sicher, daß der Verfasser des ersten Cle - mensbriefes bei seiner Erwähnung der Märtyrerschaft des Petrus an eine Blutzeugenschaft des letzteren gedacht hat. Denn wenn er auch von Verfolgungen spricht, denen die Apostel ausgesetzt gewesen seien, und bemerkt, daß sie „bis zum Tode kämpften", so sagt er doch nicht, daß sie den Tod wegen ihres Glaubens erlitten hätten. Den Märtyrertod er- leiden und bis zum Tode kämpfen, sind aber doch wohl zwei sehr verschiedene Dinge. Und wenn man aus der angeführten Stelle herausliest, daß Petrus mit Paulus zusammen den Märtyrertod erlitten habe, so doch wohl nur, weil Paulus, der gleich hinter ihm erwähnt wird, nach der Überlieferung unter Nero umgekommen sein soll; diese Überlieferung, aber ist eine ganz späte, und tritt mit Bestimmtheit erst in den sog. Akten des Paulus auf. Ihr Herausgeber in den Neutestamentl. Apokryphen setzt sie in das Ende des zweiten Jahrhunderts; möglicherweise aber sind sie noch jünger und gehören in ihrer vorliegenden Form vielleicht erst dem fünften Jahrhundert an.2 Übrigens läßt die Über- lieferung den Paulus zwar unter Nero, aber durchaus nicht als ein Opfer der aus Tacitus Annalen XV 44 bekannten nero- nischen Christenverfolgung sterben.3 Clemens kann also gegen Ende des ersten Jahrhunderts den Tod der beiden Apostel auch noch nicht mit der neronischen Verfolgung in Beziehung gebracht und gemeint haben, daß sie zusammen gestorben seien.

Aber da heißt es nun an der genannten Stelle weiter: „Zu

1 Hochart: Etudes au sujet de la persécution des chrétiens sous Néron, 1885, 287ff. 2 Geiser: Geschichte Roms und der Päpste im Mittelalter I 180; Lietzmann a. a. O. 125. 3 Frey: Die letzten Lebensjahre des Paulus; biblische Zeit- und Streitfragen, 1910.

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diesen Männern (Petrus und Paulus), die einen heiligen Lebenswandel geführt haben, ward eine große Menge von Auserwählten versammelt, die wegen Eifersucht vielfach Schmach und Qual erduldeten und so zu überaus herrlichen Vorbildern in unserer Mitte wurden. Wegen Eifersucht wur- den Frauen verfolgt, die, Danaiden und Dirken, gräßliche und gottlose Mißhandlungen erduldeten und dadurch zum sicheren Ziel im Glaubenswettlaufe gelangten und herrlichen Ehrenpreis empfingen, obwohl sie doch schwach am Leibe waren." Was mögen sich die Empfänger, an die der Brief gerichtet gewesen sein soll, bei diesen Worten wohl gedacht haben? Die gelehrtesten Männer wissen nichts mit ihnen anzufangen. „Diese Worte", sagt Arnold in seiner Schrift über „Die neronische Christenverfolgung" (1888), „erschei- nen gleich auf den ersten Blick (!) als christliches Gegen- stück der Schilderungen des Tacitus; auch jener redet ja von ,ganz ausgesuchten Strafen', von Schmach und Hohn, mit dem die Unglücklichen in ihrem Tode mißhandelt wurden, und von einer Befriedigung der Schaulust der Menge dabei."1

Aber sollte Tacitus bei seiner bekannten Vorliebe für der- artige Schauergeschichten sich das grausige Bild der auf den Hörnern der Stiere geschleiften Dirken haben entgehen lassen? Und was bedeuten jene Danaiden, in deren Gestalt christliche Frauen verhöhnt und gemartert seien ? Kann man im Ernste glauben, die langweiligen wasserschöpfenden Töchter des Danaos hätten ein anziehendes Bild zur Be- friedigung der Schaulust und des Blutdurstes der Menge ab- gegeben? Oder wollte der Schreiber des Briefes mit den Worten „Danaiden und Dirken", die ohne Zusammenhang mit dem Vorangegangenen und Folgenden im Texte dastehen, vielleicht nur die christlichen Märtyrer innen in einen Gegen- satz zu den Frevlerinnen des antiken Mythus stellen? Und ferner: was bedeutet es, daß jene vielen Männer und Frauen „aus Eifersucht und Neid" mißhandelt sein sollen und daß der Fall der Christen in dieser Beziehung mit dem Falle Kains und Abels, Jakobs und Esaus, Josephs und seiner Brüder, 1 a. a. O. 37 62

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Moses' und des Ägypters, Aarons und Mirjams, Dathams und Abirams, Davids und Sauls auf eine Linie gestellt wird? Renan denkt hierbei an den Hass der Juden gegen die Christen, wogegen jedoch Joel seine Glaubensgenossen erfolgreich ver- teidigt hat, zumal da auch Tacitus zu einer solchen Auffassung nicht die geringste Handhabe bietet.1 Arnold denkt an „De- nunziationen parteiverblendeter Christen".2 Nach Lactantius soll gar die Eifersucht Neros auf die Erfolge ihrer Werbe- tätigkeit es gewesen sein, was dem Kaiser zur Verfolgung der Apostel die Veranlassung gegeben habe. Ob aber nicht dem Schreiber des Clemensbriefes die Ansicht der sehr späten Petrusakten und anderer apokrypher Schriften vorgeschwebt hat, wonach der Zauberer Simon, der sich aus Eifersucht und Neid gegen Petrus mit diesem in einen Wettkampf ein- ließ, die Christenverfolgung verursacht haben soll ? Und ob sich diese ganze Stelle mit ihren nichtssagenden Wendungen und plattrednerischen Allgemeinheiten überhaupt auf die neronische Verfolgung bezieht und nicht vielmehr Marter, die christliche Männer und Frauen bei den späteren Verfolgun- gen zu erdulden hatten, in die Zeit des Nero zurückverlegt sind? Geht doch nicht einmal das aus dem Clemensbriefe hervor, daß die „Menge von Auserwählten", die „wegen Eifersucht vielfache Schmach und Qual erduldeten" und zu den Aposteln Petrus und Paulus „versammelt" wurden, mit diesen zur selben Zeit gestorben seien. Die Annahme ent- springt ja bloß der üblichen gedanklichen Verknüpfung zwi- schen dem Tode der Apostel und der angeblichen neronischen Verfolgung: einer Gedankenverbindung, von der es also sehr zweifelhaft ist, ob sie zur Zeit des Clemens überhaupt schon bestand, ganz abgesehen davon, daß Paulus und Petrus doch eben erst im Jahre 66 hingerichtet sein sollen, die neronische Verfolgung aber bereits im Jahre 64 stattgefun- den haben soll und überdies eine bloße Legende darstellt.3

Da die Beziehung der angeführten Stelle auf die nero- 1 Manuel Joel: Blicke in die Religionsgeschichte des zweiten christl. Jahrhunderts II 1183. 2 a. a. 0. 69. 3 Christusmythe II 28—75; ferner Christusmythe 1924, 145 ff.

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nische Verfolgung so ziemlich die einzige Handhabe zur Be- stimmung der Entstehungszeit des Briefes bietet und jene ganz und gar zweifelhaft ist, so schwebt das Datum des Briefes völlig in der Luft, und der Brief kann ebensogut dem ersten wie dem vierten Jahrhundert angehören, dem „großen Jahrhundert literarischer Fälschungen", wie Edwin Johnson es genannt hat,1 was nur insofern ungenau ist, als das Fäl- schen im Christentum von jeher eine große Rolle gespielt hat und wir überhaupt keine andere urchristliche Literatur als ’unechte, untergeschobene oder gefälschte’ besitzen, nur daß man diese, weil es sich um das Christentum handelt, höflicherweise mit den schönen Fremdwörtern „pseudepi- graphisch" oder „apokryph" zu bezeichnen pflegt. Denn auch die Beziehung der Eingangsworte des Briefes, wo von Fähr- lichkeiten und Drangsalen die Rede ist, die plötzlich über die Gemeinde gekommen seien, auf die domitianische Verfol- gung im Jahre 93 ist nichts weniger als sicher. War doch die domitianische Verfolgung überhaupt keine Christenverfol- gung. Der Text des Dio Cassius,2 auf den man sich dafür stützt, läßt höchstens auf eine Verfolgung solcher schließen, die, wie Flavius Clemens, der Vetter des Kaisers, zum „Atheismus" oder zum jüdischen Glauben hinneigten. „Hört man nur die römischen Quellen, so hat man gar keine Christenverfolgung unter Domitian; hört man die christ- lichen, so geht diese Verfolgung weit über Rom hinaus, da nach Hegesipp auch die Enkel des Judas, als Verwandte Christi, aus Palästina nach Rom beschieden und verhört wurden, und nach Eusebius, vielleicht auch schon Irenäus, damals der Apostel Johannes nach Patmos verbannt wurde. In diesem Falle kann man nicht sagen, nur Rom sei von der Heimsuchung betroffen worden, und die Analogie mit der Schilderung unseres Briefes fällt dahin."3 Es scheint dem- nach, als ob auch hier erst die blühende Phantasie der Ver- teidiger des Christentums und der Kirchenväter, die eine möglichst frühe Leidensgeschichte des Christentums brauch- ten, eine Verfolgung der Christen als solcher hieraus gemacht 1 Antiqua mater 1887, 304. 2 67, 14. 3 Steck a. a. O. 297.

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hat.1 Und so kann das Endurteil über den ersten Clemens- brief nur lauten, daß aus ihm weder ein Auf enthalt des Petrus in Rom, noch sein gewaltsames Ende bei Gelegenheit der Christen Verfolgung unter Nero erschlossen werden kann.2

Aber vielleicht leistet uns der Brief des antiochenischen Bischofs Ignatius an die Römer in dieser Beziehung bessere Dienste? Der Brief soll etwa im Jahre 107, kurz vor dem Tode des Ignatius auf seiner Reise nach Rom geschrieben sein und atmet die Stimmung eines Mannes, der sich bewußt ist, demnächst wegen seines Glaubens den wilden Tieren vor- geworfen zu werden. Ob der Verfasser aber wirklich Ver- anlassung hatte, solches anzunehmen? Von Christen Verfol- gungen unter Trajan berichtet uns allerdings der berühm- te Brief des Plinius an seinen Kaiser. Aber dieser Brief ist unecht. Er entstammt der Feder des Jucundus von Verona aus dem Ende des 15. Jahrhunderts, wie Hochart eingehend nachgewiesen hat.3 Und jedenfalls haben wir keine Veran- lassung anzunehmen, daß schon unter Trajan die Christen wegen ihres Glaubens den wilden Tie ren vorgeworfen wur- den. Die Echtheit des Ignatiusbriefes ist daher auch mit Recht von den verschiedensten Seiten her bestritten worden.4

Gesetzt aber auch, er wäre unanfechtbar, was erfahren wir aus ihm über den Aufenthalt des Petrus in Rom? „Nicht wie Petrus und Paulus befehle ich euch", schreibt Ignatius an die römische Gemeinde.3 Das ist offenbar zu wenig, um daraus irgendwelche Schlüsse ziehen zu können.

Und nun gar die Nachricht des Bischofs Dionysius von Korinth (um 170); Petrus und Paulus hätten zusammen die Gemeinde zu Korinth gegründet und belehrt, seien nach 1 Vgl. Br. Bauer: Christus und die Cäsaren, 1877, 238ff.; ferner Joel a. a. 0. 45f. 2 Vgl. Schmiedel: art. Simon Peter in Enzyklop. biblica IV. Sonderbarerweise weiß Justin (um 150) nichts von einem Aufenthalt des Petrus in Rom, und Schmiedel rät auch aus diesem Grunde zur Vor- sicht gegenüber dem Briefe des römischen Clemens und warnt davor, in diesem ein Zeugnis für einen solchen Aufenthalt finden zu wollen. 3 Hochart a. a. O. 79—143. 4 Vgl. z. B. van den Bergh van Eysinga: Zur Echtheitsfrage der ignatianischen Briefe, Prot. Monatshefte, 11. Jahrg., 1907, Heft 7 u. 8, 258ff.; 301 ff. 6 a. a. O. 4.

5 Drews, Petruslegende 65

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Italien gekommen, hätten dort das Evangelium verkündet und beide zugleich den Märtyrertod erlitten! Die Nachricht steht in schroffstem Widerspruche zu dem, was Paulus selbst uns i. Kor. 3, 5 ff. über die Gründung der korinthischen Ge- meinde mitteilt Sie verfolgt offensichtlich nur den Zweck, die beiden Apostel mit der römischen Kirche in eine nähere Beziehung zu bringen, und gehört zu jenen zahllosen Fäl- schungen und Zurechtmachungen, die Eusebius, der uns jene Nachricht mitteilt, dieser „durch und durch unehrliche Geschichtsschreiber des Altertums", wie Jakob Burckhardt ihn genannt hat,1 sich im Interesse der kirchlichen Über- lieferung gestattet hat.2

So gibt uns auch das Zeugnis des Presbyters Gaius aus der Zeit des Bischofs Zephyr inus (um 210) keine größere Gewißheit, der nach demselben trüben Gewährsmann Euse- bius3 geschrieben haben soll: „Ich will dir die Trophäen (?) der Apostel zeigen. Wenn du auf den Vatikan gehst oder auf die Straße nach Ostia, wirst du die Trophäen derer finden, die diese Kirche gegründet haben." Die Angabe pflegt allgemein so gedeutet zu werden, daß Paulus auf der Straße nach Ostia, Petrus auf dem vatikanischen Hügel den Märtyrertod er- litten und dort sein Grab (tropaion) besessen habe. Nun findet sich die erste genauere Darstellung des Todes der beiden Apostel, wie gesagt, in den Akten des Petrus und Paulus. Hiernach soll Paulus auf Befehl des Nero enthauptet wor- den sein, und zwar wie es heißt, auf der Straße nach Ostia, Petrus aber soll, weil er den Simon Magus in einem vom Kaiser angeordneten Wettkampf besiegte, dessen Tod her- beiführte und die Kebsweiber des Agrippa, des Präfekten Neros, durch seine Predigt zur Keuschheit veranlaßte (!), auf Anstiften des Agrippa, gekreuzigt worden sein, und zwar mit dem Kopf nach unten:gemäss seiner eigenen Bitte.Dabei wis- sen jedoch die Petrusakten nichts von einer allgemeinen Chri- stenverfolgung unter Nero. Zwar beabsichtigt der Kaiser an- fangs, alle Schüler des Petrus zu verderben; allein eine nächt- 1 Leben Konstantins, 2. Aufl., 1860, 335, 347. 2 Kirchengesch. 2, 25. 3 a. a. O. II 25, 7.

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liehe Erscheinung bringt ihn hiervon ab, so daß die Jünger in der Zeit, in welcher Petrus das Leben verlassen hatte, „einmü- tig zusammenblieben, sich freuten und jauchzten in dem Herrn und ungestört ihrem Glauben lebten".1 Wohl aber erzählen die Paulusakten, wie gleichzeitig mit dem Apostel viele Chri- sten, die mit jenem gefangen waren, den Tod durch Feuer erlitten hätten und deren Zahl so groß gewesen sei, daß durch das Morden selbst die Römer aufgebracht worden seien, weil sie hiervon eine Schwächung der Volkskraft befürchtet hät- ten (!).2 Man wird nicht sagen können, daß eine auf diese phantastische Überlieferung gestützte Nachricht auch nur den geringsten Glauben verdiene.

Was nun die weiteren Zeugnisse für einen Aufenthalt des Petrus in Rom betrifft, so sind auch sie ohne jeden Wert. So, wenn Irenäus, Bischof von Lyon, in der zweiten Hälfte des zweiten Jahrhunderts die römische, „jene größte und älteste, allbekannte Kirche" von Petrus und Paulus begrün- det und errichtet sein läßt und hinzufügt, die seligen Apo- stel hätten die Leitung jener Kirche dem Linus übertra- gen. 3 Auch hier ist die Absicht, die in der Kirche niedergelegte christliche Lehre unmittelbar auf die Apostel selbst zurückzu- führen und im Interesse der Einheit des Glaubens eine lückenlose römische Überlieferung herzustellen, zu un- verkennbar, als daß auf diese Angabe irgendwelches Gewicht zu legen wäre.

Ein rein im Dienste der Kirche schreibender Mann, wie Tertullian, zu Beginn des dritten Jahrhunderts, läßt sich folgendermaßen vernehmen: „Oh, wie glücklich ist diese Kirche, in welche die Apostel mit ihrem Blute den Schatz ihrer Lehre niedergesenkt haben, wo Petrus seinem Herrn in der Todesart (durch das Kreuz) ähnlich ward, wo Paulus die Krone des Johannes (des Täufers, den Tod durch das Schwert) erwirbt!"4 An einer anderen Stelle 5 schreibt er: „Zuerst hat Nero den beginnenden Glauben mit Blut befleckt. Damals wurde Petrus (nach Christi Wort) von einem andern

1 a. a. Ö. 41. 2 a . a . O . 2 f f . 3 Adv. haer. III 3,1 u. 2. 4 De~praesr.36 und Adv. Marcionem 4 , 5 . 5 Scorp iace 15 .

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gegürtet, als er ans Kreuz geheftet ward; damals hat Paulus das Bürgerrecht von Rom in höherem Sinne erworben, als er durch sein erhabenes Martyrium daselbst wiedergeboren wurde." Allein was ist bei der bekannten Unzuverlässigkeit und Leichtgläubigkeit jenes Mannes, den Robertson mit Recht den „närrischsten aller christlichen Väter" genannt hat, darauf für ein Gewicht zu legen ? Tertullian wiederholt hier nur einfach die Legenden, die über den Tod der beiden Apostel zu seiner Zeit im Schwange waren und die in den Akten des Petrus und Paulus ihre romanhafte Ausschmük- kung erhalten haben. Aber auch der Alexandriner Clemens, nach dessen Angabe das Markusevangelium auf Grund der Predigt des Petrus in Rom entstanden sein soll, kann nicht als zuverlässiger Zeuge in Frage kommen, schon deshalb nicht, weil jene Angabe uns wieder nur bei Eusebius1 auf- bewahrt ist und dieser sich durch seine Lohnschreiberei im Dienste der Kirche um alles wissenschaftliche Ansehen ge- bracht hat.

Es gibt also hiernach kein einziges wirkliches Zeugnis, durch welches die Anwesenheit des Petrus in Rom bewiesen würde, und am wenigsten hat er dort als erster das Bischofs- amt verwaltet. Denn dies widerspricht nicht bloß der Apostel- geschichte und den Paulusbriefen, die nirgends auf einen römischen Aufenthalt des Petrus anspielen: es ist auch un- vereinbar mit der Angabe des Irenäus und der Nachricht des Eusebius, wonach die Reihe der Vorsteher der römischen Ge- meinde nicht mit Petrus, sondern mit Linus begonnen habe, ganz abgesehen davon, daß es während des ersten Jahrhun- derts in Rom überhaupt noch keinen Bischof gegeben hat. Was will es demgegenüber besagen, wenn von Seiten der römischen Altertumsforschung doch immer wieder der Ver- such gemacht wird, die Gräber der beiden Apostel Petrus und Paulus an Ort und Stelle nachzuweisen? H. Lietzmann hat in seiner Schrift „Petrus und Paulus in Rom" (1915) eine mit vieler höchst überflüssiger Gelehrsamkeit angefüllte Abhand- lung über den Gegenstand geliefert und darin die Richtigkeit

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der römischen Funde zu bestätigen unternommen. Und was ist das Ergebnis ? Daß man um 200 in Rom zwei Gräber als die des Petrus und des Paulus zeigte und daß die Überlieferung die Gebeine der Apostel im Jahre 258 den beiden Gräbern entnehmen läßt, um sie ad Catacumbas, d. h. an der via Appia in der heutigen Kirche St. Sebastiano, beizusetzen, von wo sie alsdann unter Konstantin wieder an ihren alten. Ort zurückgebracht und seit der Zeit unberührt daselbst ge- blieben sein sollen. Die Sache ist so zweifelhaft, daß Lietz- mann selbst sein Mißtrauen gegen die ersterwähnte Nach- richt nicht unterdrücken kann. Die Zeit um 200 ist diejenige des erstarkenden Selbstbewußtseins der römischen Kirche. Damals hat im sog. Osterstreite ein römischer Bischof zum ersten Male seine heimische Praxis als für alle Kirchen maß- gebend hingestellt. Im Kampfe mit der montanistischen Ketzerei und der Gnosis berief man sich damals mit steigen- dem Nachdruck auf die apostolische Überlieferung, als deren Bürgen im Abendlande Petrus und Paulus, die angeblichen Begründer der Christengemeinde in Rom, angesehen wurden. „Wenn nun im theologischen Streit eine morgenländische Kirche ihre besonderen apostolischen Zeugen vorführte und zur Verstärkung des Eindrucks auf deren noch vorhandene Gräber hinweisen konnte — wie wir es im Osterstreite sehen — was lag da näher, als auch in Rom nach den Gräbern des Petrus und Paulus zu suchen und sie schließlich zu finden? Die Forderungen einer dogmatisch beeinflußten Praxis haben in der Kirche noch immer über historische Be- denklichkeiten den Sieg davongetragen (!). Als Ambrosius im Kampf gegen die Kaiserin Justina eine volkserregende Hilfe brauchte, fand er die Gebeine des hl. Protasius und Gervasius. Als Kyrill den. Isiskult zu Menuthis bei Alexandria lahmlegen wollte, entdeckte er die Reliquien der hl. Kyros und Johannes sogar unter erschwerenden Umständen. Und wenn man auch im zweiten Jahrhundert sicher noch nicht diese unbekümmerte Großzügigkeit des Findens (so !) von bis dahin unbekannten Heiligen samt ihren Gräbern, besaß, die wir im vierten und fünften Jahrhundert staunend vermerken:

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es bleibt doch eine recht naheliegende Vermutung, daß die Römer, um den Orientalen nicht nachzustehen, gegen Ende des zweiten Jahrhunderts das Bedürfnis empfunden haben, auch die Gräber ihrer Apostel vorweisen zu können. Von diesem Wunsche bis zu seiner Erfüllung ist dann nur ein kleiner Schritt. Wo die Lokaltradition fehlte, konnten Kom- binationen oder auch Visionen helfend eintreten und zur — rein historisch gesprochen — völlig willkürlichen Fest- legung zweier beliebigen Grabstellen führen."1

Nun aber hat man bei den Nachgrabungen in S. Sebastiano neuerdings Inschriften an den Wänden eingekritzelt gefunden, die ein sicheres Zeugnis dafür liefern sollen, daß die Gebeine der beiden Apostel dort wirklich eine Zeitlang geruht haben. Da heißt es etwa„Petre et Paule in mente noshabeatis!"und ähnlich. Wir wissen nicht, wann diese Inschriften zustande- gekommen sind. Es sind bloße Anrufungen an die Apostel. Aber seit wann bedeuten solche, daß der Leichnam der An- gerufenen an der betreffenden Stelle beigesetzt sei? Die Zeugnisse sagen bestenfalls, daß man im dritten oder vierten Jahrhundert an den zeitweiligen Aufenthalt der Apostel- leichname ad Catacumbas geglaubt hat.2 Es ist nur die Dienst- 1 Lietzmann a. a. O. 166. 2 Es scheint, daß die Zusammenstellung der beiden Apostel und ihre Beziehung auf Rom im letzten Grunde astral bedingt ist. Ihr Fest wurde, wie früher schon bemerkt, am 29. Juni gefeiert. Es ist der Tag des Frühaufgangs der Zwillinge Castor und PoIlux, der „lucida sidera", die nach Horaz für die Schutz- geister Roms angesehen wurden. Und wirklich feiert auch der Bischof Damasus in einer bekannten Inschrift zu St. Sebastiano den Petrus und Paulus als die „neuen Gestirne" (nova sidera) und spricht von ihnen in Ausdrücken, die, wie dies auch La Piana bemerkt, den Ge- danken an die Zwillinge nahelegen:

„Hie abitasse prius sanetos cognoscere debes Nomina quisque Petri pariter Paulique requiris. Discipulos oriens misit quod sponte fatemur, Sanguinis ob meritum Christumque per astra secuti. Aetherios petiere sinus regnaqua piorum, Roma suos potius meruit defendere cives. Haec Damasus vestras referat nova sidera laudes."

(„Wisse, daß hier einstmals Heilige gewohnt haben, und ihre Namen, wenn du sie erfragen willst, sind die von Petrus und Paulus. Wir

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Willigkeit der römischen Altertumsforscher, die im Interesse ihres Glaubens aus solchen Dingen Kapital für die Kirche zu schlagen sucht und unverantwortliche Schlüsse aus närri- schen Nichtigkeiten zieht. Und derartiges wird alsdann von der gesamten katholischen Presse als großartige Entdeckung ausgegeben und als sicherstes Zeugnis für die Wahrheit der Überlieferung unter die gedankenlose Menge gebracht, und katholische Geistliche, wie der Konstanzer Pfarrer Gröber, entblöden sich nicht, zu schreiben, „daß die uralte römische Tradition vom Aufenthalt und Tod der beiden (Apostel) zu Rom durch die erfolgreiche Forschungsarbeit der allerletzten Zeit nicht etwa erschüttert, sondern in überraschender Weise glänzend bestätigt wurde".1

Und Lietzmann ? Er hält es auf Grund des ersten Clemens- briefes (!) für erwiesen, daß Petrus und Paulus in Rom ge- wesen und unter Nero daselbst den Märtyrertod gestorben seien. Ja, er glaubt sich durch die Überlieferung, wonach die Gräber der beiden Apostel nicht zusammen, sondern getrennt auf rein heidnischen Friedhöfen (an der Straße nach Ostia und auf dem vatikanischen Hügel) liegen sollen, berechtigt, die Annahme einer bloßen späteren Erfindung abzuweisen. Nun, wir wissen nicht, warum man die beiden Gräber an getrennten Orten hat liegen lassen — man wird schon seine Gründe gehabt haben. Daß aber die von Lietzmann zu- gunsten der kirchlichen Überlieferung angeführten Gründe keine sind und Lietzmann sich ganz einfach von seinen rö- mischen Gewährsmännern hat auf den Le im locken lassen, das haben Adolf Bauer in den Wiener Studien (1916) und George la Piana in „The Harvard Theological Review", 1921, 53—94» sowie in seinem Aufsatz über „The Tombs of Peter

gestehen gern, daß der Orient uns diese Jünger gesandt hat. Durch das Verdienst ihres Blutes sind sie Christus durch die Sterne gefolgt und haben die himmlische Zufluchtstätte und das Reich der From- men erreicht, Rom hat sich das Vorrecht verdient, sie als seine Bürger zu verteidigen. Damasus berichtet dies zu eurem Preise, ihr neuen Sterne.") Ob nicht die Kirche St. Sebastiano) am Ende auf der Stelle eines alten Heiligtums des Castor und Pollux errichtet wor- den ist? 1 Gröber: Christus lebte, 1923, 37.

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and Paul ad Catacumbas" so überzeugend nachgewiesen, daß Lietzma nns Entgegnung darauf1 sich überaus klein- laut und dürftig ausnimmt „Ich stimme", sagt er, „meinem Kritiker (La Piana) in seiner Schlußfolgerung zu, daß wir noch weit entfernt sind, einen positiven Beweis für die an- genommene Überlieferung zu haben. Aber ich glaube noch, daß durch die jüngsten Ausgrabungen ad Catacumbas die Wahrscheinlichkeit der von mir ausgesprochenen Ansicht er- heblich gewachsen ist, und ich hoffe, daß die zukünftige Ar- beit des Spatens die Ergebnisse befestigen wird, die durch das Studium der geschriebenen Urkunden gewonnen ist."2

Die ganze Geschichte vom Aufenthalt des Petrus und Paulus in Rom, von ihrem dortigen Märtyrertod, ihrer zeitweiligen Beisetzung ad Catacumbas und der endgültigen des Petrus in St. Peter ist ein großer weltgeschichtlicher — Schwindel. Ebensogut, wie aus der Überlieferung der Apostelgräber auf die Anwesenheit des Petrus und Paulus in Rom, kann man aus dem Umstände, daß man auf Kreta das Grab des Zeus, in Gades das des Herakles zeigte, schließen, diese Götter hätten einmal wirklich auf der Erde gelebt und seien an den genannten Stätten begraben. Von einem Grabe des Petrus in Rom sprechen ist nicht anders, als wenn man jemandem das Grab des Jolaos zeigen und ihm einreden wollte, daß an dieser Stelle die Gebeine des Gefährten des Herakles beigesetzt seien. Wir wissen nichts von einem ge- schichtlichen Jesus, nichts von Petrus. Das Grab des „Apostel- fürsten" unter der Kuppel von St. Peter in Rom ist genau so erdichtet, wie das sog. „heilige Grab", die Grabstätte Jesu in Jerusalem.

Und die sonstigen Überbleibsel des Apostels in Rom ? Da ist zunächst der sog. „Stuhl des Petrus". Er soll angeblich zum „ersten römischen Bischof" in Beziehung gestanden haben, gibt sich jedoch in Wahrheit durch seinen Schmuck als zum Mithrakultus gehörig zu erkennen. Er zeigt nämlich den Tierkreis sowie die Arbeiten des Sonnengottes (Herakles- 1 The Tomb of the Apostles ad Catacumbas, ebd. 147—162. a a. a. 0. 162.

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Mithra) auf seiner Vorderseite, ist im Laufe der Jahrhunderte vielfach erneuert und von de Rossi für den Amtssessel eines römischen Senators erklärt worden.1 Man wird aber wohl kaum fehlgehen, wenn man mit Robertson annimmt, daß es sich hierbei ursprünglich um den Sessel des mithrischen „Pater patrum" handelt und daß er eben aus dem Grunde über die Jahrhunderte hinübergerettet worden ist, weil man ihn dem römischen Papste zuschrieb, der sich auch hiermit als Nachfolger des mithrischen Papstes einfach auf dessen Stuhl gesetzt hat.2

Man hat den „Stuhl des Petrus" in den sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts eine Zeitlang öffentlich aus- gestellt, aber ihn seither den Blicken der neugierigen Menge wieder entzogen, und man hat gewiß sehr recht daran getan. Statt dessen zeigt man in Rom, um die Herzen derer zu erfreuen, die nicht alle werden, die Richtstätte auf dem Vatikan und den Kerker, in welchem der Apostel wegen seines Glaubens geschmachtet haben soll. Man zeigt die Kirche Santa Pudenziana an der Stelle des Hauses des Sena- tors Pudens, der Petrus zeitweilig bei sich beherbergt haben und von ihm mit seiner ganzen Familie getauft sein soll. Sogar der Tisch ist noch vorhanden, an welchem der Apostel bei jener Gelegenheit das hl. Meßopfer dargebracht, sowie das Gefäß, mit welchem er die Taufe an Aquila, Priscilla und anderen vorgenommen haben soll. An der Stelle, wo dem aus dem Gefängnis geflüchteten Petrus — wir wissen aus der Apostelgeschichte: er besaß Übung in dieser Sache—Christus erschienen und ihn dadurch zur Umkehr bewogen haben soll, befindet sich das Kirchlein „Domine quo vadis". In der Kirche S. Pietro in vinculis werden die Ketten aufbewahrt, mit denen er im Kerker gefesselt war. Ja, sogar die Köpfe der beiden Apostel Petrus und Paulus soll Papst Urban V. im 14. Jahrhundert (!) wieder aufgefunden haben, und der Sakristan zeigt heute gegen ein entsprechendes Trinkgeld am Querschiff der Laterankirche das Ciborium, in dem sie auf- 1 S. die Abbildung bei Kraus: Roma sotteranea 505. a Robertson: Pagan Christis 336 f.

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bewahrt werden. Und endlich haben wir in der Peterskirche, unmittelbar unter der großen Kuppel des Michelangelo, das „Grab des Apostelfürsten" vor uns! Leider sind alle diese schonen Dinge nur für große und kleine — Kinder, für alle diejenigen da, die betrogen sein wollen, und sie zeugen für den römischen Petrus und Stifter des Papsttums ungefähr so viel, wie der ungenähte Rock zu Trier, die Präputien und Kreuzüberbleibsel an anderen Orten für die Geschichtlichkeit Jesu oder wie der Eindruck des Pferdehufes auf der Roßtrappe im Harz für das Dasein eines leibhaftigen Teufels.

Inzwischen beweist der protestantische Theologe Lietz- mann die Wahrheit der Petrusüberlieferung, und ein Harnack schreibt in seiner „Chronologie der altchristlichen Literatur" (1897): „Der Märtyrertod des Petrus in Rom ist einst aus tendenziös-protestantischen, dann aus tendenz-kritischen Vorurteilen bestritten worden. In beiden Fällen hat der Irr- tum der Erkenntnis wichtiger geschichtlicher Wahrheiten (welcher?) Vorschub geleistet, also seine Dienste getan. Daß er aber ein Irrtum war, liegt heute für jeden Forscher, der sich nicht verblendet, am Tage. Der ganze kritische Appa- rat, mit dem Baur die alte Tradition bestritten hat, gilt heute mit Recht für wertlos." (!) Sollte es hiernach nicht für die protestantischen Theologen an der Zeit sein, so bald als mög- lich wieder in den Schoß der alleinseligmachenden Kirche zurückzukehren und dem Papst ihre Huldigungen darzu- bringen?1 1 Über die Art, wie die erwähnten Dinge in römisch-katholischen Gelehrtenkreisen bebandelt zu werden pflegen, lese man den bezüg- lichen Abschnitt über Petrus in Wetzers und Weltes großem Kirchen- lexikon. Zum ganzen: außer den bereits erwähnten Schriften von Schnitzer und Grill, besonders auch Lipsius: Die Quellen der römi- schen Petrussage (1872); ferner Zeller: Vorträge und Abhandlungen, 1877,213 ff.; W, Soltau: Petrus und der päpstliche Primat. Sammlung gemeinverständlicher wissenschaftlicher Vorträge, 1900; G. I. P. I. Bolland: Petrus en Rome (Leiden 1899) sowie die bezügliche Dar- stellung bei Hausrath a. a. O. 26—43 und Griffith-Thomas: The Apostle Peter, Outline studies in his life, charakter and writings, 2. Aufl. 1910; Ch. Guignebert: La primauté de St. Pierre et la venue de Pierre a Rome, 1909.

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PETRUS UND DAS PAPSTTUM Ein Aufenthalt des Petrus in Rom ist nach alledem nicht nachweisbar. Wir wissen von Petrus überhaupt rein gar nichts: er ist eine ganz und gar im Nebel des Mythus ver- schwimmende Gestalt. Damit ist auch schon die Frage be- antwortet, ob Jesus das Papsttum gestiftet hat. Schnitzer hat in einer eingehenden Untersuchung nachgewiesen, daß nichts, schlechterdings nichts zu dieser Annahme berechtige, und was seine katholischen Kollegen hiergegen eingewendet haben, ist derartig, daß man sich fragt, wie es möglich ist, so etwas für Wissenschaft auszugeben.

Die älteste Kirchengeschichte weiß nichts davon, daß Petrus eine besonders überragende und führende Stellung in der christlichen Gemeinde eingenommen habe: weder die Apo- stelgeschichte, noch die Paulusbriefe, noch selbst der erste Clemensbrief, der nicht im Namen eines Bischofs Petrus, son- dern der römischen Gemeinde abgefaßt ist und ein römisches Bistum überhaupt noch nicht kennt. Ein solches ist erst etwa von der Mitte des zweiten Jahrhunderts an nachweisbar, wo Anicet (155—166) als dessen erster Vertreter erscheint. Selbst Irenäus räumt den ganz besonderen Vorrang nicht dem römischen Bischof als Nachfolger des Petrus, sondern der römischen Gemeinde und zwar deshalb ein, weil sie von Petrus und Paulus begründet sein soll. Auch den „Felsen- mann" und „Schlüsselverwalter" kennt Irenäus noch nicht. Er erwähnt das Petrusbekenntnis nur erst im Sinne des Mar- kusevangeliums und liefert durch die Art seiner Anführung dieser Evangelienstelle den schlagenden Beweis dafür, daß er von Matth,16,18 u.19, jene Verse, die vom „Felsen" und der „Schlüsselgewalt" handeln, noch keine Ahnung gehabt hat. Und dasselbe gilt auch von Justin und Clemens Alexandrinus (um 210), Erst unter dem Bischof Victor im letzten Jahr- zehnt des zweiten Jahrhunderts oder Zephyrinus (198—217) scheint die Legende aufgekommen zu sein, daß Petrus der erste Bischof von Rom gewesen sei und 25 Jahre lang das Bischofsamt daselbst verwaltet habe. Und hiermit im Zu-

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sammenhange verschwindet die Person des Paulus, der bis dahin als Mitbegründer der römischen Gemeinde gegolten hatte, aus der Überlieferung, um allen Glanz und Ruhm da- für auf dem Haupte des Petrus zurückzulassen. Aber erst Kallistus (217—222) hat sich selbst ausdrücklich für den Nachfolger des „Apostelfürsten" Petrus ausgegeben, indem er dabei die Matthäusworte von Petrus dem Felsenmanne und von der Binde- und Lösegewalt unmittelbar auf sich be- zogen und für seine Persönlichkeit in Anspruch genommen hat. Darüber entrüstet sich zwar der Afrikaner Tertullian, verweist ihm sein selbstherrliches Auftreten als unerhörte Anmaßung und verspottet den „apostolischen", den „Ober- priester", den „Bischof der Bischöfe",1 jedoch ohne selbst an der Annahme zu rütteln, daß Jesus wirklich die Schlüssel- gewalt dem Petrus verliehen habe, worauf er selbst schon um 200 in seiner Schrift „De praescriptione haereticorum" (22) verwiesen hatte.2

Damals also, um die Wende vom zweiten zum dritten Jahrhundert muß die bezügliche Matthäusstelle 16, 18, 19 zustandegekommen sein, und zwar im Hinblick auf ge- wisse Vorgänge und ketzerische Regungen innerhalb der Kirche, die es wünschenswert erscheinen ließen, das römi- sche Bistum offenbarungsgeschichtlich und schriftgemäß durch ein Wort des Heilands selbst zu befestigen und zu unterbauen und der dortigen Kirche dadurch zugleich den Vorrang vor allen übrigen zu sichern. Es war die Zeit des Commodus (gest. 192), desjenigen unter den Kaisern, der ein so lebhaftes Interesse für den Mithrakult bekundete, daß dieser von jetzt an in Rom geradezu zur Modesache wurde, während seine dem Christentume günstig gesinnte Nebenfrau Marcia mit dem Bischof Victor in innigster persönlicher Be- ziehung stand.3 Da mag sich wohl leicht der Gedanke des persischen Petros demjenigen des christlichen Petrus und umgekehrt untergeschoben haben und eine Art Ausgleich zwischen beiden Religionen dadurch hergestellt sein, daß 1 De pudicitia I 13, 21. 2 Schnitzer a. a. O. 45ff.; Grill a.a.O. 65ff. 3 Dio Cassius LXXII 4.

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Petros-Mithra dem christlichen Gedankenkreise eingeglie - dert und in der Gestalt des Felsenmannes und Schlüssel- bewahrers Petrus zum unmittelbaren Nachfolger Jesu und „Apostelfürsten" in Rom erhöht wurde. Von jeher hat ja die Kirche sich dadurch am einfachsten der heidnischen Götter zu erwehren gewußt, daß sie ihnen ein christliches Mäntel- chen umgehängt und sie unter Zuhilfenahme einer erfunde- nen Geschichte in die Schar ihrer Heiligen auf genommen hat. Der römische Kaiser Commodes selbst hat sich als Claviger, d. h. als Herakles-Mithra, mit dem Löwenfell als Kopfbedeckung und der clava (Keule) auf der Schulter in einer der schönsten auf dem Esquilin gefundenen Porträtbüsten aus dem Alter- tume darstellen lassen. Wurde doch auch Mithra selbst mit der Keule in Zusammenhang gebracht: „Hoch erhob sich Mithras ewige Keule, die Wüstenbefruchterin", heißt es im Jescht Mithra, und „mit der Keule schlug Mithra die Dämonen", und der christliche Apostelfürst Petrus, als der wahre Fels, wurde zu seinem Gegenbilde in der Gestalt des den Himmels- schlüssel (clavis) tragenden Petros-Mithra. So ist der Papst allerdings der unmittelbare Nachfolger des Petrus als des Oberhauptes der römischen Kirche, aber nicht eines ge- schichtlichen Apostels Petrus, sondern des persischen Mitla - gottes, und der Mithraismus hat in der römisch-katholischen Kirche nur in christlicher Aufmachung seine Fortsetzung gefunden, um in dieser Gestalt das alte Ziel des römischen Reiches, die Gewinnung der Weltherrschaft, zu erreichen.

Die Petruslegende ist, wie Adolf Bauer gegen Lietzmann bemerkt, ein schlagendes Beispiel dafür, wie auch rein er- dichtete Geschichten nichtsdestoweniger von weltgeschicht- licher Bedeutung werden und die Geschicke der Menschheit durch Jahrtausende hindurch bestimmen können. Mundus vult decipi: die Welt will betrogen werden. Das muß uns auch vorsichtig gegen die Annahme eines geschichtlichen Jesus machen. Es gibt keinen wirklichen Beweis dafür, daß dieser etwas anderes war als einer der übrigen vielen Heilsgötter des Altertums. Seine Geschichte ist genau so erdichtet, wie diejenige des Petrus und des Paulus. „Tu es Petrus et super

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hanc petram aedificabo ecclesiam meaml" „Du bist Petrus, der Fels, und auf diesen Felsen will ich meine Kirche bauen!" In Riesenbuchstaben stehen diese Worte in der Kuppel über dem angeblichen Grabe des Apostelfürsten in Rom geschrie - ben, und die Gläubigen lesen es erschauernd und ersterben in Ehrfurcht vor dem Anblick der geheiligten Stätte. Aber diese Ehrfurcht ist auch hier geschichtlich genau so unbe- gründet, wie die vor dem heiligen Grabe in Jerusalem. Denn so wenig, wie Jesus an der bezeichneten Stätte beigesetzt ist, so wenig auch Petrus in der nach ihm genannten Peterskirche. Die Übertragung der Schlüsselgewalt hat niemals stattgefun- den. Der Petrus der katholischen Christenheit hat nie gelebt. Seine Statue in der Peterskirche zu Rom, dessen vorgestrekte Zehe von den Küssen der Gläubigen erglänzt, ist nur ein Sinnbild frommer Einfalt und Gedankenlosigkeit. Der angeb- liche „Fels der Kirche" besteht nicht. Das hindert freilich nicht, daß er nicht noch weiterhin jahrhundertelang für wirk- lich angesehen und als solcher von den Gläubigen verehrt werden wird. Auch die Kaaba zu Mekka ist nur ein schwar- zer Stein, zu dem die Frommen aus allen Teilen des Mor- genlandes gepilgert kommen, ihm ihre Huldigungen darzu- bringen. Und solange es noch Gläubige gibt, wird er auch nichts von seinem alten Glanz verlieren und sich als eine Art wundertätiger Gott erweisen. Fragt sich nur, wie lange die Menschheit noch Glauben und Aberglauben miteinander verwechseln, sich von Priestern gängeln und ihre Andacht an Dinge verschwenden wird, die das Zeichen der Täuschung so deutlich zur Schau tragen, wie das Grab des Petrus und alles, was mit diesem zusammenhängt. Aber schon beginnt die Wissenschaft auch hier mit ihrem unbeirrbaren Lichte im- mer deutlicher die Grabesfinsternis zu erhellen, und siehe da! es zeigt sich, daß auch dies Grab — leer ist

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INHALTSÜBERSICHT Seite

VORWORT. . ........................................................................... 1

PETRUS IM NEUEN TESTAMENT........................................ 3 1. In den Evangelien ............................................................... 3 2. In der Apostelgeschichte .................................................. 10 3. In den Paulusbriefen .......................................................... 15 4. Matthäus 16, 18 f ................................................................. 20

DER APOSTELFÜRST .............................................................. 25

DER MYTHISCHE HINTERGRUND DER PETRUS- GESTALT ............................................................................. 31

I.Simon — Herakles — Melkart ........................................ 32 2. Petros — Mithra — Atlas — Proteus — Petra . . 36 3. Janus ....................................................................................... 42 4. Jesus ........................................................................................ 46

PETRUS ALS MITHRA ........................................................... 50

PETRUS IN ROM ........................................................................ 55

PET RUS UND DAS PAPSTTUM ........................................ 75

DRUCK DER ROSSBERG'SCHEN BUCHDRUCKEREI / LEIPZIG

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