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Hausarbeit

Erstellt von: Sebastian Häger (360108)

Studiengang: Gesellschafts- Wirtschaftskommunikation

[„lost in a postmodern world“] Postmodernes Erzählen in der US-Serie LOST.

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Seminar: 05s AV-Konzeption und Dramaturgie Dozent: Michael Dörfler

Lost in a Postmodern World. Postmodernes Erzählen in der US-Serie LOST. Student: Sebastian Häger (360108)

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_Gliederung

1. Einleitung

2. Postmoderne und Film

3. Merkmale postmoderner Serien

3.1. Intertextualität

3.2. Multiperspektivisches Erzählen

3.3. Dekonstruktion

3.4. Selbstreferentialität

4. Die US-Serie LOST

4.1. Kurzbeschreibung der Serie

4.2. Dramaturgische Spezifika der Serie Lost

4.2.1. Intertextualität in LOST

4.2.2. Lineare Diskontinuität in LOST

5. Fazit

6. Literatur

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_1. Einleitung Die Struktur der Fernsehlandschaft hat sich aufgrund von ständigem Wettbewerb um

Einschaltquoten in den vergangenen Jahren verändert, und zwar in Richtung eines

Programms, das einerseits scheinbar stets Neues bietet, andererseits aber auch

konstante Zuschauererwartungen bedient. Die Prinzipien der Wiederholung, der

Regelmäßigkeit, der Dauer und Gewöhnung sind wesentliche Elemente einer

Serialität des Programms. “Das Strukturprinzip des Programms wird zum Strukturprinzip

der Produkte.” (Hickethier 1991, S.12, zit. nach Ehrenspeck 2003, S.178)

Auffallend ist dabei, dass es auf dem expandierenden Serienmarkt immer mehr

Formate gibt, die sich als „postmodern“ bezeichnen lassen. Ich interessiere mich in

der vorliegenden Arbeit für das postmoderne, serielle Erzählen. Deshalb möchte ich

anhand einer der erfolgreichsten Fernsehserien, „LOST“, bestimmte Spezifika

postmodernen Erzählens näher untersuchen und überprüfen, ob und wie weit diese

sich auch dort wiederfinden lassen. Dabei werde ich mich aus Gründen des Umfangs

dieser Arbeit einmal auf den Aspekt der Intertextualität, als einem der dominantesten

Merkmale im postmodernen Erzählen konzentrieren und zum anderen, der

Auflösung der linear-kausalen Erzählweise.

Wird im einleitenden Teil vom Verständnis und den Ausformungen von

Postmodernem Film gesprochen, lassen sich diese Merkmale bezogen auf den Fokus

der vorliegenden Arbeit, der nicht auf dem strukturellen Aufbau von Serien liegt,

sondern diesem übergeordnet, der Narration im Hinblick auf die Vermittlung von

Welt, unproblematisch übertragen.

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_2. Postmoderne und Film

Was genau ist unter „postmodernem Film“ zu verstehen und was macht einen Film

„postmodern“?

Die Postmoderne ist ein diffuser und heterogener Sammelbegriff, der

„Postmoderne“ als Stilrichtung oder Epoche, als philosophisches, ästhetisches oder

als Zeitgeistphänomen umfasst. Die philosophische Ebene kann in den Worten Jean

Francois Lyotards zusammengefasst werden:

„'Postmoderne' […] definiere sich nun vor allem durch das Ende [der] 'Meta-

Erzählungen'1 und philosophischen Leitideen der Moderne. Dieses konstatierte Ende der

Meta-Erzählungen bedeute aber nicht nur die Abkehr von den Inhalten bestimmter

philosophischer oder politischer Ideen, sondern letztlich auch eine Absage an die

grundlegende Bedeutung einheitlicher Werte und Ganzheitsvorstellungen überhaupt und

stattdessen die Bejahung und Akzeptanz eines radikalen Pluralismus von Werten.“

(Bühler 2002, 37)

Was bedeutet dieser festgestellte Pluralismus an Werten für das Kino? Welche sind

die Charakteristika dieser- im philosophischen Kontext dargestellten-, die sich auf

Film übertragen lassen?

Bleicher zufolge beschreibt der Begriff Postmoderne für das Kino „vor allem

Veränderungen stilistischer Darstellungselemente und spezifischer Narrationsformen.“ (Bleicher

2002, S.113) Hierzu zählt sie intertextuelle Selbstreferenz, die zuweilen einen

„spielerisch-ironischen Charakter annehmen“ (ebd.).

Weitere Charakteristika nennt Jens Eder. Das postmoderne Kino kennzeichne sich

durch „Intertextualität, Spektularität und Ästhetisierung, Selbstreferentialität,

Antikonventionalität und dekonstruktive Erzählverfahren.“ (Eder 2002, S.11) Weiterhin

könne die schwerpunktmäßige Beschäftigung mit Themen wie der Verunsicherung

der Identität, hinzugerechnet werden- das Aufgreifen von Diskursen, die für die

Epoche kennzeichnend seien. (vgl. Eder 2002, S.24)

1Gemeint sind „Leitideen“ oder die „Großen Erzählungen“, die die Moderne prägten und „die das

kenzeichnende Charakteristikum jeder Moderne darstellten. Die Herrschaft dieser Meta-Erzählungen […] bestand in der Konzentration und Fokussierung aller Wissens- und Erkenntnisbemühungen sowie die Ausrichtung des praktischen Alltags dieser Zeit auf bestimmte festumrissene Ziele und Ideale wie: 'Die Emanzipation der Menschen in der Aufklärung, […] die Beglückung aller Menschen durch Reichtum im Kapitalismus, die Befreiung der Menschen zur Autonomie im Marxismus' oder für das 20. Jahrhundert die Lösung der Probleme der Menschen im globalen Maßstab durch den technischen Fortschritt.“ (Gehr, Herbert in: Schobert, Walter (Hrsg.), zit. n. Bühler 2002, 37)

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(vgl. Eder 2002, S.25)

Schließlich kann eine Tendenz postmodernen Kinos zur Verwendung von

Ersatzstücken verschiedener traditioneller Erzählformen erwähnt werden.

Dementsprechend nimmt Felix folgende Beschreibung postmodernen Kinos vor:

„Ein Kino der Zitate, als ironisierendes Spiel mit tradierten Genrekonventionen und

medialen Versatzstücken oder als die Wahrnehmung überwältigendes audiovisuelles

Spektakel, als eklektizistisches 'Formenflimmern' oder homogenisierende

'Patchworkdramaturgie'“ (Felix 1996, S.408, zit. nach Bleicher 2002, S.113)

Ungeachtet der Tatsache, dass es keine Übereinstimmung, keinen Konsens bezüglich

der Existenz bzw. der Charakteristika postmodernen Kinos gibt, bleibt festzustellen,

dass sich der Begriff trotz seiner Heterogenität und Widersprüchlichkeit fest im

Filmdiskurs etabliert hat- was vermuten lässt dass es sich tatsächlich um ein neues

Genre handelt, „denn wo sich […] ein neuer Begriff so hartnäckig hält, da ist meist auch ein

neues Phänomen.“ (Eder 2002, S.10)

Entsprechende Imperative oder Richtlinien führt der New Yorker Künstler Andrew

Boyd für das Verhalten in der Postmoderne an:

„Expose depth as another surface.

Pose reality as an interesting hypothesis.

Be profoundly superficial.

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Look at, not into.

Collect world views.” (Boyd 1996, zit. n. Eder 2002, S. 41)

_3. Merkmale postmoderner Serien

_3.1. Intertextualität

Das Konzept der Intertextualität entstammt der Literaturwissenschaft und es gibt

zahlreiche begriffliche Definitionen und Theoreme. Grundsätzlich geht es dabei um

das Verhältnis verschiedener Texte untereinander und deren Bezüge sowie

Kontextualisierung.

„In der Begriffsgeschichte von Intertextualität geht es immer darum, dass sich ein aktueller

Text im Verhältnis zu anderen Texten positioniert. Dadurch schafft er einen Intertext,

einen Raum zwischen Texten, der damit neben dem eigentlichen Text einen zweiten

semantischen Raum schafft,…“ (Mikos 2003, S.261)

Für den Gegenstand meiner Arbeit ist das Intertextualitätskonzept Julia Kristevas,

die den Begriff in den späten sechziger Jahren prägte, von Bedeutung. Sie erweiterte

darin das Dialogizitätsmodell Michail Bachtins, das an dieser Stelle nur benannt

bleiben soll.

Wesentlich für ihr erweitertes „globales“ Verständnis von Intertextualität ist, dass sie

den Text als Bild versteht, welches aus vielen Mosaikstücken, den Zitaten besteht.

Indem sie Text dadurch außerhalb seiner in Sprache oder Schrift manifestierten

Form versteht, können bei ihr auch kulturelle Phänomene wie bspw. Geschichte

oder Gesellschaft als Texte gelten.

Somit verliert der Inhalt seine Form und kann frei interpretiert werden.

Indem sie dem Text eine bedeutungsproduzierende Eigenständigkeit zuspricht, löst

sie den Autor als alleinigen Sinn- und Gestaltgeber heraus und verabschiedet sich

von der monologistischen bzw. dialogistischen Vorstellung eines abgeschlossenen

Werkes.

„Kristeva benutzt Bachtins Emphase der Dialogizität von Sprache, um den Wunsch des

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Lesers nach Einheit beim Lesevorgang anzugreifen, den sie in Verbindung setzt mit dem

Streben nach Autorität, unbezweifelbarer Wahrheit, problemloser Kommunikation und

dem Hang von Gesellschaften, Pluralität zu unterdrücken.“ (Hartz 2007, S.8ff.)

Bedeutung wird also nicht mehr von einem Autor in den Text hineingelegt, sondern

sie wird durch Interpretation hervorgebracht. So können Texte, so sagt Sabine

Holthuis, zwar intertextuelle Qualitäten motivieren, vollzogen werden diese aber in

der Interaktion zwischen Text und Leser, seinen Kenntnismengen und

Rezeptionserwartungen (vgl. Holthuis 1993, S.31). Wird hier im Kern der Akt des

Intertextualisierungsvollzuges beschrieben, so führt Mikos diesen weiter, indem er

gleichen Texten die Potentialität, einer divergierenden Lesart durch die Rezipienten

zuspricht und sagt:

„In Rezeption und Aneignung vollzieht sich der Prozess der Intertextualität zwischen

intertextuell gelenktem Textverstehen und intertextueller Disposition der Rezipienten. Das

bedeutet, dass die tatsächliche Realisation von intertextuellen Bezügen anhand des gleichen

Textes unterschiedlich ausfallen kann, entsprechend dem Wissen und den Erwartungen der

jeweiligen Rezipienten.“ (Mikos 2003, S.262)

Dieses Rezeptionsschema wird auch als Doppelcodierung bezeichnet und ist dem

Anspruch des postmodernen Kinos geschuldet, gleichzeitig verschiedene und andere

Zuschauergruppen zu erreichen und der Diversifikation des Publikums gerecht zu

werden, deren Medienkompetenz in den vergangenen Jahren, im Zuge eines

reichhaltigen und sich nicht erschöpfen wollendem Medienangebots wesentlich

gestiegen ist (vgl. Eder 2002, S16ff.). Dabei ist aber nicht ausgeschlossen, dass die

Zuschauer den Inhalten Bedeutung zuweisen können, ohne die intertextuellen

Bezüge zu realisieren.

Es gibt also kein richtig oder falsch mehr. Die Wahrnehmung bedient sich der

Zeichen die dem Konsumierenden zur Verfügung stehen und spinnt daraus ihren

eigenen Horizont (vgl. dazu Stuart Halls Encoding-Decoding Modell).

Lachmann bezeichnet dies als „semantische Explosion“. (Lachmann 1984, S.134, zit.

nach Mikos 2003, S.262)

Nämlich einmal die Generierung einer Bedeutungsebene durch die Kohärenz der

Erzählung, diese dann aber durch die Intertexte zusätzlich erweitert wird. (ebd.)

Daraus entsteht einerseits die Möglichkeit eines Betrachtens zwischen den Extremen

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Oberfläche und ästhetisches Spektakel und andererseits dem Vergnügen am Text im

Text über die Realisierung der intertextuellen Bezüge (ebd.); somit gleichermaßen

eine immense Potentialität, „eine Art Schizophrenie-Maschine…“. (Seeßlen 1994, S.138,

zit. nach Eder 2002, S.17)

Zur begrifflichen Vervollständigung sei nun noch kurz der Begriff der Intermedialität

erwähnt, der im zeitgenössischen Diskurs immer wieder im Zusammenhang mit

Intertextualität genannt wird und der eng in Verbindung mit Kristevas weitgefasster

Definition von Text als kulturellem Phänomen steht. Er beschreibt die Beziehungen

zwischen verschiedenen Medien (bspw. audiovisuellen Medien und Literatur) und

grenzt sich eben dadurch vom klassischen (homomedialen) Theorem, von Text im

Sinne von „nur“ sprachlichem Text ab.

Der Begriff der Intermedialität findet sich auch in Eders Verständnis von

Intertextualität wieder, wenn er die Vielfalt der Formen intertextueller Bezüge u.a.

auf den Ebenen der Hochkultur (Oper, Literatur oder Malerei) und der Popkultur

(Trivialliteratur, Werbung, Musikvideos, Videospiele) repräsentiert sieht. (ebd.)

_3.2. Multiperspektisches Erzählen

Multiperspektivität ist ein Begriff aus der Erzähltheorie, der eine Sonderform

perspektivischen Erzählens und einen Aspekt des postmodernen Films darstellt (vgl.

Mahne 2007, S.41).

Im Zusammenhang mit diesem Begriff und als erstes filmisches Beispiel gilt der Film

„Rashomon“ von Akira Kurosawa. Ohne hier weiter auf den Inhalt eingehen zu

wollen, wird darin ein Ereignis mehrfach ausgeführt und aus Perspektive des

jeweiligen Erzählers beschrieben. Dieses als „Rashomon-Effekt“ bezeichnete

Phänomen besagt, „dass Augenzeugen ein und desselben Vorgangs höchst unterschiedliche, aber

in sich stringente und schlüssige Berichte abgeben können, die alle wahr sein können, obwohl sie sich

gegenseitig widersprechen.“ ( http://de.wikipedia.org/wiki/Rajomon)

In der Definition von Kerstin Stutterheim liegt Multi- oder Polyperspektivik vor,

„wenn das erzählte sowie dargestellte Geschehen in mehrere Versionen aufgefächtert wird und

zusätzlich entweder aus der Perspektive von zwei oder mehreren Erzählern bzw. Figuren geführt

wird, die das Geschehen jeweils von ihrem Standpunkt aus schildern.“ (Stutterheim 2009,

S.224)

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Beiden wohnt als quantitative Maßgabe einmal eine Mindestzahl an

Perspektiventrägern inne und dazu ein gemeinsames Fokalisierungsobjekt, bspw. ein

Ereignis oder Schicksal, um die perspektivische Brechung zu ermöglichen. (vgl.

Mahne 2007, S.41).

Wichtig ist noch einmal die Erkenntnis, dass der rein nummerische Effekt mehrerer

Perspektivträger in einem Werk nicht ausreicht um von Multiperspektivität zu

sprechen, denn dann wäre fast jeder Text multiperspektivisch. (vgl. Nünning 2000,

S.18)

Zurückgehend auf den Perspektivismus, der zur Auffassung hat, dass alle Erkenntnis

von der Perspektive des erkennenden Subjekts bedingt sei, schließt dies die

Möglichkeit einer subjektunabhängigen und allgemeingültigen Wahrheit aus.

„Wenn „Welt“ für den Menschen nur von seinem individuellem Standort aus verstehbar

und erkennbar ist, dann ist die Perspektive des wahrnehmenden Subjekts die alles

entscheidende Bezugsgröße.“ (Nünning 2000, S.9)

Dies bedeutet, dass das Verständnis von Wirklichkeit immer mit der eigenen

Perspektive variiert und daher Wirklichkeit nur als ganzheitliches Konstrukt

innerhalb einer eingenommenen Perspektive verstanden werden kann. Somit ist

Wirklichkeit im Sinne des philosophischen Perspektivismus von geometrischer

Objektivität und Exaktheit auf Subjektivität, Relativität und Konstruktivität jeder

Wirklichkeitserfahrung verlagert. (vgl. Nünning 2000, S.12)

Die postmoderne Erzählweise der Multiperspektivität basiert auf der

philosophischen Strömung des radikalen Konstruktivismus, der zufolge

„Wirklichkeit“ immer das Ergebnis einer subjektiven Konstruktion ist und kein

Erkenntnisprozess „objektiver Gegebenheiten“.

Es wird sich verabschiedet von der Vorstellung eines kohärenten, geschlossenem

Ganzen, einer Obrigkeit die den Elementen einen festen Platz innerhalb eines

formalen Zusammenhangs zuweist.

Während der Interpretations- und Rezeptionsspielraum innerhalb der

konventionellen Erzählweise, der geschlossenen Form relativ begrenzt ist

(Zusammenhänge auf sinnhafter und logischer Ebene sind vorgegeben und einfach

nachvollziehbar), entlässt die postmoderne Erzählweise der Multiperspektivität den

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Rezipienten in einen subjektiven Produktionsprozess einzelner Sinnelemente, die

individuell zusammengesetzt werden müssen.

„Eine multiperspektivische Auffächerung eines Geschehens gewinnt insbesondere dann an

Relevanz, wenn es deutliche Divergenzen in der Beurteilung derselben Ereignisse, Figuren,

Räume, Sachverhalte, Themen oder Weltanschauungen gibt und die Einzelperspektive

deshalb nicht ohne weiteres synthetisierbar sind. Erst durch die Konfrontation

unterschiedlicher Perspektiven und das Vorhandensein eines gemeinsamen Bezugspunktes

entsteht jener „Reibungseffekt“ bzw. Dissonanzeffekt, indem das besondere Wirkungs- und

Funktionspotential des multiperspektivischen Erzählens gründet.“

Diese Dialogizität, also das Verweben verschiedener Perspektiven miteinander kann

als Teil eines postmodernen Anspruches verstanden werden, das sich von einer

traditionellen Ausdrucksästhetik, repräsentiert durch Formalismus und Ideologismus

löst (vgl. Bachtin in Stutterheim 2007, S225) und damit gesellschaftlichen

Wandlungsprozessen wie zunehmender Ausdifferenzierung und Pluralisierung

entgegenkommt. „Die Kontrastierung verschiedener Perspektiven in einem Text erzeugt eine

Vorstellung von Komplexität und Mannigfaltigkeit und Widersprüchlichkeit von

Wirklichkeitserfahrung.“ (vgl. Nünning 2000, S.12)

_3.3. Dekonstruktion

Ein weiterer Aspekt der postmodernen Neuerung des Erzählens ist der Bruch mit

der konventionellen linearen Handlungsfolge, die Auflösung der „Konvention kausal

strukturierter Linearität filmischen Erzählens“ (Bleicher 2002, S.117). Der Begriff der

Dekonstruktion beschreibt ein Vorgehen postmodernen filmischen Erzählens, bei dem

die klassische kausal-lineare Erzählweise zugunsten einer Multioptionalität

aufgebrochen wird. Dies bedeutet, dass der Rezipient sich die jeweilige Bedeutung

aus einem Konglomerat an Handlungs- und Bildelementen selbst erschließen muss:

„Es gilt, die mosaikartige Erzählung in einen Kausalzusammenhang zu bringen. Die filmische

Erzählung selbst verweigert sich der einfachen Sinnzuweisung.“ (Bleicher 2002, S.118)

Damit einhergehend findet eine Auflösung von Raum und Zeit statt- das eine

strukturiert nicht mehr notwendigerweise das andere:

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„Es wird kein linearer Prozess der Veränderung mehr abgebildet, sondern der postmoderne

Film bewegt sich in mehrere Richtungen gleichzeitig- in eine barbarische Vergangenheit und

in eine technische Zukunft; in einen Bereich des Unterbewusstseins und einen des

Hyperbewusstseins. […] Vermehrt wird mit Ellipsen, Richtungswechseln und

Verlangsamungen gearbeitet...“ (Stutterheim 2007, S.229)

Im Gegensatz zu geschlossenen Erzählformen, die sich durch strikte dramaturgische

Regeln in Bezug auf Chronologie auszeichnen, bricht der postmoderne Film diesen

Aufbau. Das Geschehen wird nicht durch eine zeitlich aufeinander folgende

Erzählung dargestellt, sondern konstituiert sich aus unterschiedlichen Fragmenten,

die in ihrer jeweiligen Relevanz nicht voneinander zu unterscheiden sind- alles

erscheint gleich wichtig bzw. unwichtig. In unterschiedlicher Weise verstößt der

postmoderne Film gegen das Prinzip der nachvollziehbaren Chronologie der

geschlossenen Erzählform: „So kommt es zu Verflechtung, Überlagerung, Verkettungen oder

Einbettungen unterschiedlicher Zeitebenen. Dies führt zum Beispiel zu einer Form der Zirkularität,

bei der die Ereignisse einer Erzählung einen Kreis beschreiben...“ (Stutterheim 2007, S.230)

Figuren ist es möglich, sich mühelos auf verschiedenen Zeitebenen zu bewegen und

zwischen diesen hin und her zu wechseln: „Sie können die Perspektive aus der vorgestellten

Welt in die reale Welt und zurück verlagern und sie können zwischen Vergangenheit und Zukunft

wechseln, ohne dass dies besonders gekennzeichnet wird oder begründet werden müsste.“ (ebd.)

_3.4. Selbstreferentialität

Eng zusammenhängend mit dem Merkmal der Intertextualität ist das der

Selbstreferentialität. Wie bereits erwähnt, macht der postmoderne Film keinen Hehl

daraus, sich unterschiedlicher Quellen, unterschiedlicher „Texte“ zu bedienen-

gerade die Verweise auf „Hochkultur“ sowie „Popkultur“ sowie seine

„Selbstthematisierung“ machen seine Intertextualität aus. Das Zusammenbringen

unterschiedlicher Welten ist vielmehr eine bewusste Strategie; Bestandteile und

Versatzstücke, mit denen der postmoderne Film spielt werden nicht „aus Gründen der

Erzählökonomie und leichten Verständlichkeit- und deshalb möglichst unauffällig- verwendet. [Er]

versucht nicht, seine Anleihen und Erzählmuster zu verbergen, sondern stellt sie bewusst heraus.“

(Eder 2002, S.21) Bei aller Heterogenität was die Definition und Beschreibung der

„Postmoderne“ und seine Relevanz für den Film anbelangt, besteht Einigkeit

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darüber, dass „intertextuelle Selbstreferentialität […] eines der grundlegenden Kennzeichen des

postmodernen Films [darstellt]“. (Bleicher 2002, S.113) Während der Schwerpunkt der

Auseinandersetzung der Moderne noch in einem Innovations- und

reflektionsbestreben zu verorten ist, in einer Auseinandersetzung mit (der

Erweiterung von) Möglichkeiten der Darstellung,

„…legt der postmoderne Film seinen Schwerpunkt nicht auf die Thematisierung des

Produktionsprozesses und -betriebes, also darauf, dass und wie Filme gemacht werden,

sondern auf die Thematisierung der Stilmittel und Inhalte, also darauf, was Filme erzählen

und wie sie es tun- also auf die Intertextualität.“ (Bleicher 2002, S.114f.)

_4. Die US-Serie Lost

_4.1. Kurzbeschreibung der Serie

Lost ist eine US-amerikanische Fernsehserie und als Mystery-Serie mit einer

durchgängigen Handlung in 6 Staffeln konzipiert.

Die Serie startete am 22.September 2004 auf dem US-amerikanischen Network ABC

und endete in den USA am 23.Mai 2010.

Show Runner der Serie und somit Hauptverantwortliche sind Damon Lindelof und

Carlton Cuse. Produziert wurde LOST von den ABC Studios, J.J.Abrams´

Produktionsfirma Bad Robot Productions und Grass Skirt Productions.

Die Geschichte handelt von den 48 Überlebenden des Passagierflugzeugabsturzes

„Oceanic 815“ und dessen Folgen auf einer Insel im Pazifik.

Nach dem Absturz sind die Überlebenden auf sich alleingestellt und müssen ohne

eine Chance auf vermeintliche Rettung versuchen auf der Insel ihr Überleben zu

sichern. Sie beginnen sich zu organisieren und Überlebensstrategien zu entwickeln,

werden aber sehr schnell mit der kompromisslosen Realität auf der Insel in Form

eines schwarzen Rauchmonsters konfrontiert, das ihren Glauben an Mögliches

drastisch verändert. Bald sehen sie sich auch einer weiteren Bedrohung ausgesetzt,

nämlich den ursprünglichen Bewohnern der Insel, den „Anderen“, die sich ihnen als

vermeintliche „Natives“ vorstellen, in Wahrheit aber seit Dekaden eine zivilisierte

Daseinsform mit fortschrittlicher technischer Ausrüstung auf der Insel führen und

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zum Großteil ausgebildete Wissenschaftler mit unterschiedlichen

Forschungsschwerpunkten sind. Aus dem Aufeinanderprallen unterschiedlichster

Charaktere mit mentalen, wie biografischen Dispositionen und Altlasten ergibt sich

ein weiteres immenses Spannungsfeld innerhalb der einzelnen Figuren, aber vor

allem auch in Bezug auf die Gruppendynamik. Fortwährend entpuppt sich die Insel

als unergründliches, eigenes Mysterium fernab jedweder logischer Vorstellungskraft.

Staffel 1 konzentriert sich auf die Überlebenden des Mittelteils und ihren

Kampf um Überleben und Rettung.

Staffel 2 konzentriert sich auf die Mysterien auf der Insel.

Staffel 3 konzentriert sich auf die Anderen

Staffel 4 konzentriert sich auf die Ereignisse um das Schiff, das sich der Insel

nähert

Staffel 5 konzentriert sich auf die Rückkehr der „Oceanic 6“

Staffel 6 konzentriert sich darauf, was passiert wäre wenn Flug 815 nicht

abgestürzt wäre

_4.2. Dramaturgische Spezifika der Serie

_4.2.1. Intertextualität in LOST

Als intertextuelle Bezüge in LOST möchte ich beispielhaft die kulturellen

Referenzen, speziell die philosophischen und literarischen anhand einer tragenden

Figur darstellen.

Desmond Hume ist dabei nur exemplarisch für eine weitere unzählige Vielfalt an

Charakteren mit intertextuellen Bezügen, wie bspw. John Locke, Mikhail Bakunin,

Jeremy Bentham, Edmund Burke uvm.

Die Figur des Desmond David Hume bezieht sich dabei auf David Hume, einen

schottischen Philosophen und Anhänger des Skeptizismus. Beide stammen aus

Schottland. Was die Figur vom Philosophen übernimmt ist dessen Prämisse für

menschliches Handeln und sein altruistisches Verhältnis seinen Mitmenschen

gegenüber:

„Der Mensch ist nach Hume ein empathisches Wesen. Er besitzt die Fähigkeit und die

Bereitschaft, als soziales Wesen die Befindlichkeit seiner Mitmenschen nachzuvollziehen.

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Diese Eigenschaft der Anteilnahme an den Gefühlen und Interessen der Mitmenschen

nennt Hume die „Sympathie“. Der Mensch freut sich also am Glück seiner Mitmenschen

– ja der Menschheit als ganzer, und leidet an deren Unglück.“ (Rolle 2005, S.75)

Dieses wird in der Erzählung bspw. durch Desmonds zahlreiche Versuche, Charlie

vor dessen Schicksal zu bewahren deutlich. Entgegen den zahlreichen egozentrischen

Haltungen und Motivationen der anderen Überlebenden verfolgt er stets das Wohl

der Allgemeinheit, was u.U. aber auch darin begründet sein kann, dass er seine

Schuld am Absturz von Flug 815 begleichen will, indem er sich selbst dem Wohl der

Gemeinschaft unterordnet und diese am Ende dann zusammenführt.

Zahlreiche weitere Haltungen und Attitüden der Historienfigur sind in Desmond

repräsentiert, wie bspw. das „Induktionsproblem“, repetitiv in Staffel 2 vorkommend

und das Verständnis von Schicksal und freien Willen.

Außerhalb der biografischen Bezüge auf geschichtshistorischer Ebene gibt es in

seiner Geschichte zudem Parallelen zu Odysseus. Beide sind auf dem Meer verloren

(Staffel 2, Folge 23 „Zusammen leben - Alleine sterben, Teil 1“) und von ihrer Liebe

Penelope getrennt. Charles Widmore, Penelopes Vater symbolisiert dabei den

Meeresgott Poseidon, der gegen die Bindung zwischen den beiden ist und versucht,

Odysseus´ Rückkehr mit allen Mitteln zu verhindern. (vgl.

http://de.lostpedia.wikia.com/wiki/Desmond_Hume)

Weitere Bezüge lassen sich auf Ebene einzelner Episoden finden. So z.B. in Staffel 4,

Folge 5 „Die Konstante“. In dieser Episode ist Desmond „unstuck in time“ (von der

Zeit gelöst). Darin lassen sich Verweise auf Kurt Vonnegut´s „Slaughterhouse Five“

finden. Desmonds Freund zu dem er während seiner Zeitreisen spricht heißt ebenso

Billy wie der Protagonist in Vonneguts Roman, Billy Pilgrim. „Listen: Billy Pilgrim has

come unstuck in time” (Vonnegut 1969, S.11), so leitet das zweite Kapitel im Buch ein.

Beiden ist gemein, dass sie desorientiert in der Zeit springen und unterschiedliche

Abschnitte ihres Lebens noch einmal durchleben. Unsicherheit generiert bei beiden

die Tatsache diesen Sprüngen willkürlich ausgeliefert zu sein. Während Desmond

zwischen den Jahren 1996 und 2004 springt weiß Billy Pilgrim nicht welcher Teil

seines Lebens als nächster folgt. Dies kann auch wiederum als Odyssee durch die

Zeit gedeutet werden und greift somit wiederum zurück auf o.g. Gleichnis aus der

griechischen Mythologie.

„'How-how does the Universe end?' said Billy.

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'We blow it up, experimenting with new fuels for our flying saucers. A Tralfamadorian test pilot presses a starter button, and the whole Universe disappears.' So it goes. ``If You know this," said Billy, 'isn't there some way you can prevent it? Can't you keep the pilot from pressing the button?' ``He has always pressed it, and he always will. We always let him and we always will let him. The moment is structured that way.'”

(Vonnegut 1969, S.76)

Ebenso schicksalshaft ist es laut Mrs. Hawking Desmonds Zweck, den Schlüssel zu

drehen und er kann dem nicht entkommen (so geschehen in Staffel 2, Folge 24

„Zusammen Leben – Allein Sterben“) Der Moment ist so vorherbestimmt. (vgl.

http://de.lostpedia.wikia.com/wiki/4.05_Die_Konstante)

Hier überhaupt alle intertextuellen Bezüge der Person Desmond David Hume

aufzuzählen würde den Rahmen dieser Hausarbeit bei weitem Sprengen und man

hätte Lachmanns versinnbildlichte Form der „semantischen Explosion“.

_4.2.2. Lineare Diskontinuität

Zur Beschreibung eines Elementes linearer Diskontinuität und dem Spiel mit

Raum und Zeit in LOST sei hier das Beispiel von Richard Alpert herangezogen.

Richard Alpert ist einer der Bewohner, welche schon vor dem Absturz von 815 auf

der Insel lebten und ein hochrangiges Mitglied der „Anderen“. In einer Rückblende

in der 6 .Staffel erfahren wir, dass er weit vor der Zeit aller anderen dort lebte.

Schätzungsweise kam er zwischen 1867 und 1875 auf die Insel. Das Phänomen an

ihm ist, das er nicht altert. An jedem Zeitpunkt innerhalb der Erzählung, sei es in

seinen Flashbacks ins 19.Jahrhundert, den Geschehnissen des erzählten Jetzt nach

dem Absturz oder in den Flashbacks der anderen Figuren scheint er gleich alt zu

sein.

Innerhalb der vorwärtsschreitenden Chronologie der Erzählung aller anderen

Figuren in filmischer Gegenwart, den Flashbacks und auch den Flash Forwards läuft

die physikalische Zeit jedoch parallel zur biografischen Zeit oder übersetzt, sie altern

entlang des erzählten Bezugspunktes. Somit erweitert Richards Erzählzeit die

eigentliche um eine außerzeitliche Spanne.

„..., diese achronische Periode, in der die physikalische Zeit weiterläuft, aber die biografische Zeit des

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Protagonisten angehalten wird, nennt Bachtin den Chronotopos der Zeit.“ (Schmidt 2010, S.130)

Der Ausgangspunkt seiner Überlegung ist der Erkenntis einer kohärenten Einheit

von Raum und Zeit in literarischen Werken geschuldet. Mit dem Raum als Ordnung

der Dinge und der Zeit als Möglichkeit der Veränderung dieser Ordnung. In diesem

Raum verstreicht Zeit nach künstlichen, ästhetischen Gesetzmäßigkeiten. (vgl.

Schmidt 2010, S.131)

„Bachtins entscheidender Schritt besteht nun darin, Raum und Zeit nicht als neutrale

Abstraktionen zu betrachten, sondern als variabel in ihren Qualitäten.“ (vgl. ebd., S131)

Bildet die Einheit von Raum und Zeit die Basis der Repräsentierbarkeit typischer

Plots und Genremuster, überlagert der Chronotopos dieses Organisationssystem um

eine Dimension die danach fragt:

„welche Handlungsmöglichkeiten ein dargestellter Raum den Personen bietet, welche

Konsequenzen der räumliche Kontext für die handelnden Personen und deren Handlungen

wiederum für den sie umgebenden Raum haben und – daraus folgernd – wie abstrakt

Menschen als handelnde Wesen in einer fiktiven Genrewelt grundsätzlich konzipiert sind

und welche spezifische Logik diesen Welten innewohnt.“ (Schmidt 2010, S.135)

Die Frage danach, warum er nun nicht altert ist eines der unzähligen Mysterien von

LOST und ein spekulatives Moment der LOST-Fanbase „Lostpedia“ und kann

letztendlich nicht eindeutig beantwortet werden. Festzuhalten bleibt aber, dass im

Finale der 6. Staffel und dem „Auflösen“ der Erzählung auch seine biografische Zeit

wieder weiterzulaufen scheint, denn er entdeckt sein erstes graue Haar- symbolisches

Objekt für den Alterungsprozess.

„Wenn sich eine Begebenheit zeitlich nicht situieren lässt, wenn nicht klar ist, was nachher,

was Vergangenheit, was Gegenwart und was Zukunft ist, wie soll dann erkennbar werden,

was Ursache und was Wirkung ist.“ (Volland 2009, S.82)

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_5. Fazit

Wie gezeigt werden sollte, lässt sich LOST zweifelsfrei als postmodern erzählte Serie

einordnen. Indem sie alle Vielfalt dieser Erzählform gekonnt miteinander verbindet,

hat die Serie es geschafft einen mythischen Kosmos aufzubauen, dessen Rätsel auch

jetzt noch, nach Auslaufen der Serie, tausende ehemalige Zuschauer in unzähligen

Foren nach den vielen kleinen Wahrheiten suchen lässt. Ein pulsierender,

mythologischer Organismus der es auch durch das visionäre Verständnis der Macher,

sich monotonen, linearen Erzählstrukturen zu widersetzen geschafft hat, die

Grenzen der Fiktionalität aufzulösen und einen Diskurs um Potentialität im Rahmen

von vermeintlich verdammten „Mainstream“-Medien und Hollywood-Kino.

Ebenso sollte auch klar werden, dass der zeitgenössische Rezipient, entgegen

zahlreicher zu wider laufender Theorien nicht als jemand begriffen wird, der in der

Rezeptionssituation abschaltet und alles über sich ergehen lässt, in der Gewissheit

seiner Fernbedienung in der Hand, die ihm die Option zur Flucht offenlässt. Durch

Dekonstruktion und Perspektivenvielfalt wird hier der Versuch unternommen, den

Rezipienten nicht zu steuern, sondern herauszufordern und zu beanspruchen- er

wird aktiviert. Postmodernes Kino (und darunter lassen sich aufgrund ihrer hohen

Produktionsstandards mittlerweile auch Serien verstehen) ist nicht versucht, sich

abzugrenzen, indem es nur „Mainstream“ ist oder nur „Arthaus“. Somit ist keine

ausschließende, sondern eine einschließende Form, die das Ganze als etwas offenes

versteht, zu dem jeder aus seiner Perspektive einen Zugang finden kann oder sich

einer Stimme aus der Vielfalt an verfügbaren und frei wählbaren bedient.

Postmoderne verstanden nicht als Fass ohne Boden, sondern als pluralistisches

Rhizom.

______

Hiermit erkläre ich an Eides statt gegenüber dem Prüfungsausschuss

des Studienganges GWK, dass die vorliegende, dieser Erklärung beigefügte

Arbeit selbständig und nur unter Zuhilfenahme der im Literaturverzeichnis

genannten Quellen und Hilfsmittel angefertigt wurde.

Alle Stellen der Arbeit, die anderen Werken dem Wortlaut oder dem

Sinn nach entnommen wurden, sind kenntlich gemacht.

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_6. Quellenverzeichnis

_Literatur:

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Perspektivenstruktur narrativer Texte: Überlegungen zur Definition, Konzeptualisierung und

Untersuchbarkeit von Multiperspektivität. In: ders.: Multiperspektivisches Erzählen. Trier. (S. 3-

39)

Kerstin Stutterheim / Silke Kaiser (2009): Handbuch der Filmdramaturgie: Das Bauchgefühl

und seine Ursachen. Frankfurt

Eder, Jens (Hrsg.) (2002): Oberflächenrausch. Postmoderne und Postklassik im Kino der 90er

Jahre. Münster / Hamburg / London

Felix, Jürgen (2002): Die Postmoderne im Kino. Ein Reader. Marburg

Rolle, Robert (2005): Homo oeconomicus: Wirtschaftsanthropologie in philosophischer

Perspektive.

Yvonne Ehrenspeck (2003): Film- und Fotoanalyse in der Erziehungswissenschaft.

Vonnegut, Kurt (1969): Slaughterhouse Five or The Children’s Crusade

Volland, Kerstin (2009): Zeitspieler: Inszenierungen des Temporalen bei Bergson, Deleuze und

Lynch. Wiesbaden

Bühler, Gerhard (2002): Postmoderne. Sankt Augustin

Mikos, Lothar (2003): Film- und Fernsehanalyse. Konstanz

Bleicher, Joan Kristin: Zurück in die Zukunft. Formen intertextueller Selbsreferentialität im

postmodernen Film in: Eder, Jens (Hrsg.) (2002): Oberflächenrausch. Postmoderne und

Postklassik im Kino der 90er Jahre. Münster / Hamburg / London (S.113-133)

Hartz, Cornelius (2007): Catulls Epigramme im Kontext hellenistischer Dichtung. Berlin

Holthuis, Sabine (1993): Intertextualität: Aspekte einer rezeptionsorientierten Konzeption.

Tübingen

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Mahne, Nicole (2007): Transmediale Erzähltheorie: eine Einführung. Göttingen

Schmidt, Oliver: Zwischen Raumzeit und Spielzeit: Anmerkungen zu Bachtins Chronotopos als

Kategorie filmischer Analyse in Grossmann, Stefanie und Klimczak, Peter (Hrsg.) (2010):

Medien Texte Kontexte. Marburg

_Internetquellen:

http://de.wikipedia.org/wiki/Rajomon, Zugriff: 20.02.2011

Lostpedia

http://de.lostpedia.wikia.com/wiki/Richard_Alpert, Zugriff: 23.02.2011

http://de.lostpedia.wikia.com/wiki/Desmond_Hume, Zugriff: 23.02.2011

http://de.lostpedia.wikia.com/wiki/Philosophie, Zugriff: 23.02.2011

http://de.lostpedia.wikia.com/wiki/4.05_Die_Konstante, Zugriff: 23.02.2011