Prof. Dr. Birgit Lütje -Klose
Inklusion in der Schule –Potentiale der Psychomotorik
15.05.2012
Vortrag im Rahmen der Ringvorlesung
„Gemeinsam in Bewegung kommen –Chancen der Inklusion im Sport“
Gliederung
1. Einleitung: Psychomotorik in inklusiven Schulen
2. Stand der schulischen Inklusion in Deutschland und NRW
3. Forschungsergebnisse zum Unterricht in heterogenen Lerngruppen
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heterogenen Lerngruppen
4. Potentiale der Psychomotorik im Rahmen einer inklusiven Didaktik
5. Perspektiven
3Titelfoto zum Film „Klassenleben“ von Hubertus Sieg ert
Kennzeichen psychomotorischer Situationen
� Ganzheitliche Entwicklungsförderung durch Bewegung, Wahrnehmung, Denken, Fühlen und Kommunizieren im Spiel mit anderen
� Komplexe Handlungssituationen
� Gestaltung einer Spielwelt, eines eigenen Kosmos
� großer Aufforderungscharakter, hohe Motivation� großer Aufforderungscharakter, hohe Motivation
� Motorisches und sprachliches Handeln
� Erfahrung von Sprache als effektives Kommunikationsmittel
� Handlungsfähigkeit und
� Partizipation in der Lebenswelt
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Kognition
Wahrnehmung
Sozialverhalten
Gespro-chene
Sprache
phonetischer u. phonologischer
Bereich
syntaktischer u.
Kom
munikation
Basale Entwicklungsdimensionen Ebenen von Sprache
Dimensionen menschlicher Entwicklung
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Motorik
EmotionMotivation
Konzentration
Schrift-sprache
nonverbaleKommunikation
morphologischerBereich
semantischer u.lexikalischer
Bereich
pragmatischer u.kommunikativer
Bereich
Kom
munikation
Schlüsselbegriffe der Psychomotorik (Fischer 2009, 57 ff):
-Bewegung und Wahrnehmung als Grundkategorien-Bedeutung und Entwicklung emotionaler Kompetenzen-Selbstkonzept und Körpererfahrung- Bedeutung sozialer Kompetenzen-Soziomotorik
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Informelles Lernen in psychomotorischen Situationen
� Lernen im sozialen Umfeld einer stabilen Kleingruppe
� Situations- und kontextbezogenes Lernen
� Selbst bestimmte Inhalte in gestalteter und unterstützender Lernumgebung (Dewey)
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� Selbst bestimmte Inhalte in gestalteter und unterstützender Lernumgebung (Dewey)
� Subjektiv bedeutsame und lebensweltlich relevante Kontexte
� Lernpartnerschaften, kooperatives Lernen durch Ko-Konstruktion
Xandi und das Ungeheuer
Elisabeth: I bin die Mächen!
Lehrerin: Welches Mädchen möchtest du denn sein ?
Elisabeth: Die Mächen vonne Geschichte, Kandi.
Lehrerin: Ach so, du meinst unsere Geschichte vom letzten Mal, Xandi und das Ungeheuer.
Nico: Das is kein Mädchen, Xandi is ´n Junge.Nico: Das is kein Mädchen, Xandi is ´n Junge.
Elisabeth: Nein, auch ´n Mächen.
Emre (holt das Bilderbuch): Guck doch, hier, ´n Jun ge.
Lehrerin: So genau sieht man das nicht, Xandi könnt e vielleicht auch ein Mädchen sein.
Elisabeth: Ja, ein Mädchen, i will die sein.
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Empirische Untersuchungsergebnisse
� Triviale Förderhypothese: motorische Entwicklung wird durch motorische Förderung beeinflusst.
� Transferhypothese: kognitive und sprachliche Entwicklung wird durch Bewegungs- und
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Entwicklung wird durch Bewegungs- und Wahrnehmungsförderung beeinflusst.
� Stabilisierungshypothese: Gesamtpersönlichkeit wird im emotionalen und sozialen Bereich durch psychomotorische Förderung stabilisiert
� Gestärktes Selbstkonzept wirkt positiv auf die sprachliche Entwicklung.
2. Stand der Inklusion in Deutschland und NRW
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Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarfin Förderschulen und in allgemeinen Schulen in D un d NRW
(KMK-Doku 189, 2010; Klemm/Preuss-Lausitz 2011)
Förderschwerpunkt Förderquote in % in D
Davon inklusiv
Förderquo-te in NRW
Davon inklusiv
Lernen 2,64 21,0 2,5 17,1
Sehen 0.09 27,9 0,1 14,0
Hören 0,19 27,0 0,2 14,5
Sprache 0,67 28,0 0,8 16,9
Körperliche und motorische Entwicklung
0,40 21,2 0,5 17,3
Geistige Entwicklung 1,01 4,5 1,1 7,1
Emotionale und soziale Entwicklung
0,76 38,2 1,0 20,6
Übergreifend 0,31 1,80 0,0 0,0
Kranke 0,14 3,40 0,1 2,6
insgesamt 6,20 20,1 6,30 15,5 13
7,1
20,6
Sonderpädagogische Förderung in Europa (European Agency 2010)
UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen
� Soziale Partizipation aller Menschen als Leitbild
� Recht auf „Zugang zu einem inklusiven, hoch-wertigen und unentgeldlichen Unterricht an Grund-schulen und weiterführenden Schulen “ (Art. 24)
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� Recht auf „wirksame individuell angepasste Unterstützungsangebote in einem Umfeld, das die bestmögliche schulische und soziale Entwicklung gestattet “ (Art. 24)
Inklusion als Aufgabe für das gesamte Schulsystem
Inklusion – ein neues Leitbildfür die Schulentwicklung
� Verändertes Verständnis von Normalität und Vielfalt:
� De-Kategorisierung und De-Institutionalisierung
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� Nicht auf Menschen mit Behinderungen beschränkt:
� Der Begriff Inklusion „bezieht sich auf alle Menschen, die mit Lernbarrieren konfrontiert sind, ob diese mit Geschlechterrollen, sozialen Milieus, Religion oder Behinderung zu tun haben“ (Hinz 2009, 172)
Inklusion - ein Perspektivenwechsel
Traditional Approach Integration - Focus on student- Assessment of student byspecialist- Diagnostic/ prescriptiveoutcomes
Inclusionary approach
- Focus on classroom
- Examine teaching/ learning factors
- Collaborative problemsolving
- Strategies for teachers- Student programme
- Placement in appropriateprogramme
- Strategies for teachers
- Adaptive und supportiveregular classroomenvironment
Feste Verankerung von besonderen pädagogischen Unte rstützungs-systemen in allen Schulformen und Unterrichtsfächer n der allgemeinen Schule, Keine Delegation von Verantwortung für einze lne Kinder mehr
Porter 1997; siehe auch Hinz 2009
3. Forschungsergebnisse zum Unterricht in heterogenen Lerngruppen
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Stigmatisierungseffekte
� Je mehr verbesondert wird, desto stärker fällt die Stigmatisierung aus (Ritterfeld & Lüke 2011):
(1) In der Förderschule stärker als bei Förderklassen
(2) In Förderklassen stärker als bei Förderung in äußerer Differenzierung des gU
(3) In Förderung in äußerer Differenzierung stärker als bei klassenintegrierter Förderung
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Ergebnisse der Integrationsforschung
Schulleistung:
- mindestens „Patt“ der Fördererfolge im Vergleich Rege l- und Sonderschule
- Keine Nachteile für Schüler/innen ohne besonderen F örderbedarf
Selbstkonzept:
- Bezugsgruppeneffekte versus Stigmatisierungseffekte
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- Positiveres Leistungsselbstkonzept und höheres Selbs twertgefühl bei SchülerInnen mit Förderbedarf
Soziale Integration:
- Meistens günstigeres Klassenklima im gU als in Para llelklassen
- Z.T. Größeres Wohlbefinden der SchülerInnen mit und ohne Förderbedarfe in gU-Klassen als in parallelen Regel klassen
- Allerdings: niedrige soziale Rangpositionen für Kind er mit Förderbedarf
Hildeschmidt/Sander 1996, Schuck/ Wocken/ Hinz 1998, Preuss-Lausitz 2005, Wocken 2005, 2007, Bless/ Mohr 2007, Hinz 2007, Textor 2007, Huber 2009
Ergebnisse der Integrationsforschung
� Soziale Integration von Kindern mit Behinderungen ge ht nicht auf Kosten der gut begabten SchülerInnen
• Höheres Maß an Individualisierung im GU als in Parallelklassen
• Deutlich bessere Berufsaussichten für SchulabgängerInnen aus GU -KlassenSchulabgängerInnen aus GU -Klassen
• stabilere und größere soziale Netzwerke im Erwachsenenalter
Dumke / Schäfer 1993, Biewer 2006, Feyerer/ Prammer 2009,Eckhart/ Haeberlin 2011, Myklebust 2006, Meijer et al. 2006 u.a.
Untersuchungsergebnisse Forschungsprojekt EmSoz Berlin (Preuss-Lausitz 2005, Textor 2007)
Schüler mit dem FSP esE verhalten sich im Grundschulunterricht aufgabenorientiert:
Differenzierung
1. zu 37 % in einem Unterricht ohne Binnendifferenzierung
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Binnendifferenzierung
2. zu 64 % bzw. 62 % in einem Unterricht mit Differenzierung im Anforderungsniveau bzw. im Niveau und in der Sozialform
3. zu 26 % in einem Unterricht mit drei und mehr Differenzierungsaspekten
Textor 2007
Forschungsprojekt EmSoz Berlin
Schüler mit dem FSP Emotionale und Soziale Entwicklung verhalten sich im Grundschulunterricht aufgabenorientiert:
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Sozialform
1. zu 38 % in einem Unterricht mit Einzelarbeit
2. zu 61 % in einem Unterricht mit Partner- oder Gruppenarbeit
Textor 2007
Forschungsprojekt EmSoz Berlin
Schüler mit dem FSP Emotionale und soziale Entwicklung verhalten im Grundschulunterricht aufgabenorientiert:
Mitentscheidungsmöglichkeiten:
1. zu 43 % in einem Unterricht ohne 1. zu 43 % in einem Unterricht ohne Mitentscheidungsmöglichkeiten
2. zu 60 % in einem Unterricht mit organisatorischen Mitentscheidungsmöglichkeiten
Entscheidungsspielräume der Klnder
Chancen der Psychomotorik :
- in Bezug auf Themen- Handlungsmöglichkeiten- Rollenübernahme im Spiel- Ausagieren von
Foto: Amara Eckert
- Ausagieren von Wünschen, Bedürfnissen, Ängsten
- in einem geschützten Raum- Aushandeln von Regeln
Aushandeln von Interessen und Regeln
4. Potentiale der Psychomotorik im Rahmen einer inklusiven Didaktik
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1. Unterricht mit hohen Freiheitsspielräumen
2. Individuelle Bezugsnormorientierung
3. Strukturierung und hohes Anregungsmilieu
Prinzipien und Strategien inklusiver Didaktik
� Pädagogik der Vielfalt (Prengel 1995, 1998; Hinz 1996, 2007):
� Heterogenität jeder Lerngruppe als Normalfall,
� Individualisierung und innere Differenzierung
� bewusste Herstellung von Gemeinsamkeit
� Unterstützung und die Gewährleistung fachkompetenter � Unterstützung und die Gewährleistung fachkompetenter spezifischer Hilfen für Kinder mit besonderen Bedürfnissen
� Inklusive Didaktik nicht als eine spezifische, sondern als „gute allgemeine Didaktik“ (Hinz 1993, 117; Feuser 1987, 1995 u.a.; Werning 1997; Graumann 2003)
Kriterien „guten Unterrichts“
Konzeptionen inklusiver Didaktik
� Didaktische Theorie der „allgemeinen, basalen, kindzentrierten Pädagogik “ (Feuser 1982, 1995, 2011):
– Förderdiagnostische Grundhaltung
– „Kooperation am gemeinsamen Gegenstand“
� Gemeinsame Lernsituationen (Reiser 1991, 2006; Wocken 1998, 2011):
a) Koexistente Lernsituationen
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a) Koexistente Lernsituationen
b) Kommunikative Lernsituationen: „gemeinsame Themen“ statt „gemeinsamer Gegenstand“;
c) Subsidiäre Lernsituationen: Kinder als Helfer
d) Kooperative Lernsituationen: Kooperation am gemeinsamen Gegenstand (Feuser)
-> Transparenz als zentrales Prinzip zur Herstellung von Gemeinsamkeit, Pädagogik der Vielfalt (Prengel 1995, 2006)
Bausteine lern- und entwicklungsfördernden Unterrich ts
(nach Werning/ Lütje-Klose 2006)
Handlungsorientierter Unterricht
Entdeckendes
Wochenplan/Freiarbeit
Kooperative
KOOP
INDIVID
OFFENHEIT
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Entdeckendes Lernen
Individuelle Förderpläne
Kooperatives Lernen
Kooperative Lernbegleitung
PERATION
DUALISIERUNGSTRUKTURIERUNG
GesprächskreiseKlassenrat
„Kooperatives Lernen verringertnicht nur Barrieren für das Lernen und die Teilhabe, es steigert beides beträchtlich und wird vielfach als „best practice“ bezeichnet.“
(Hinz/ Boban 2007, 124)
Prinzipien und Strategien inklusiver Didaktik
(Hinz/ Boban 2007, 124)
Kooperatives Lernen als
Königsweg für inklusiven
Unterricht. (Wocken 2011)
Entdeckendes und kooperatives Lernen (Werning/ Lütje-Klose 2006, 2007)
� Entdeckendes Lernen : schließt „alle Formen des Wissenserwerbs mit Hilfe des eigenen Verstandes“ ein (Bruner 1981, 16)
� Schüler erschließen sich die relevanten Bereiche eines Wissensgebiets selbstständig, allein oder in Gruppen, mit mehr
� Konzipiert für die Arbeit in sehr heterogenen Gruppen im Kontext von inclusive education und multi-ethnischen Gruppen
allein oder in Gruppen, mit mehr oder weniger Unterstützung durch die Lehrkraft
� Kooperatives Lernen : Form der Unterrichtsorganisation, „bei der die Schüler in kleinen Gruppen arbeiten, um sich beim Lernen des Stoffs gegenseitig zu unterstützen“ (Slavin 1989)
Kooperatives Lernen: Untersuchungsergebnisse(Avci-Werning 2004, Klicpera/Gasteiger-Klicpera 1998 , Neber 2001 Brüning/ Saum 2011)
� Bereitschaft zu prosozialem Verhalten nimmt zu: soziale Akzeptanz, gegenseitige Unterstützung, psychische Stabilität
� Beziehungen zwischen Gruppen von Kindern unterschiedlicher ethnischer Herkunft verbessern sich
� Selbstwertgefühl verbessert sich
� Lernmotivation nimmt zu
� Selbstverantwortung für eigenes Lernen wird gesteigert
� Schulleistungen insbesondere leistungsschwacher Schüler verbessern sich
Umgang mit Störungen (Textor 2007, 219; Klemm/Preuss-Lausitz 2011, 35) )
� Zügiger Stundenbeginn mit gemeinsam erarbeiteten Ritualen
� Schnelle, nonverbale Reaktion auf Störungen
� Einführungen einfacher, gemeinsam erarbeiteter Regeln bei Störungen und Beleidigungenbei Störungen und Beleidigungen
� Einbeziehung von Freunden und Klasse bei Verhaltensabsprachen
� Steuerung der Partner- und Gruppenzusammensetzung
� Vermeidung zu vieler und diffuser Wahlmöglichkeiten
� Beratung einzelner Schüler/innen, die Probleme haben
6. Perspektiven
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Chancen inklusiver Schulentwicklung
� Größere soziale Teilhabe für alle SchülerInnen: Chancengleichheit
� Vermeidung einer frühzeitigen schulischen Trennung und Etikettierung
� Verlässlichkeit einer vertrauten Umgebung in der wohnortnahen Schule, kein belastender Schulwechsel
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wohnortnahen Schule, kein belastender Schulwechsel
� Anregungsreichere Umgebung in einer heterogenen Gruppe, Gelegenheiten zum kooperativen Lernen
� Individuelle Stärken und Schwächen anstelle von labels als Anknüpfungspunkt für Fördermaßnahmen
� Kooperation und gegenseitige Unterstützung für Lehrkräfte
Hildeschmidt/Sander 1996, Hinz u.a. 1998, Wocken 2000, 2010
Widersprüche
� Inklusive Schule widerspricht der Systemlogik des gegliederten Schulsystems und der zunehmenden Output-Orientierung
� Widersprüchliche Rollenanforderungen an Lehrkräfte:
- Leistungsbewertung und Selektion
- Individuelle Förderung und soziale Partizipation
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- Individuelle Förderung und soziale Partizipation
� Hohe Anforderungen, geringe Ressourcen
� Gießkannenprinzip bei der Ressourcenverteilung
Inklusion bleibt eine Vision, solange Klassen mit gemeinsamem Unterricht Inseln bleiben!
Amrhein, B. (2011): Inklusion in der Sekundarstufe. Bad Heilbrunn: Klinkhardt
Potentiale der Psychomotorik für eine inklusive Schule
� Körpererfahrungen, Kompetenzerfahrungen, selbstbestimmte Spielhandlungen
� Innere Vorstellungen: interessante, emotional ansprechende, herausfordernde Themen, die sprachlich und handelnd zu bewältigen sind
� gemeinsame Gestaltung bedeutsamer
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� gemeinsame Gestaltung bedeutsamer problemlösender Situationen
� Soziale Situation, in der gemeinsames Handeln mit anderen Kindern und Erwachsenen durch aktive Beziehungsgestaltung unterstützt wird
� großes entwicklungsförderndes Potential durch Anregungen zum impliziten Lernen
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