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  • SEMANTIK DER METAPHER

    HARALD WEINRICH

    Seit gut hundert Jahren gibt es eine Semantik. Seit ber zweitausendJahren gibt es jedoch eine Metaphorik. Aristoteles, Cicero und Quin-tilian haben bereits die Metapher definiert, und die Schulrhetorik hatdiese Definitionen durch die Jahrhunderte weitergereicht. Noch heuteverstehen manche die Metapher mit Quintilian als 'verkrztes Gleichnis'.1Das ist eine schlechte Definition, die alle Prioritten umkehrt. Aber esist eine bequeme Definition. Mit ihrer Hilfe konnten sich die Logikerleicht des ganzen Metaphernproblems erwehren. Denn wenn die Metapherein verkrztes Gleichnis ist, braucht man einen metaphorischen Satznicht mehr auf seinen Wahrheitsgehalt zu prfen. Er ist dann wederwahr noch falsch, sondern poetisch. Als sich dann seit Breal dieSemantik des Metaphernproblems annahm, trat an die Seite der rheto-rischen die linguistische Metapherndefinition, meist in sprachgeschicht-licher oder sprachpsychologischer Gestalt. Seitdem ist die Metapher einsemantisches Problem.2

    Die Entwicklung der Semantik ist nun in der letzten Zeit nicht immerso strmisch verlaufen, wie mir zu berichten angenehm wre. Im Unter-schied zu anderen Bereichen unserer Wissenschaft ist die Semantiknmlich bisher vor dem Reformeifer jener linguistischen Schule ziemlichverschont geblieben, welche die Sprache auf Strukturen hin analysierenwill. Von der strengen Formalitt der formalen Logik fasziniert, habeneinige Struktur allsten sogar in geradezu heroischen Denkanstrengungenversucht, eine asemantische Sprachwissenschaft aufzubauen. Diese Ver-suche knnen heute als gescheitert gelten und sind fast allgemein abge-brochen worden. Auch die strukturale Sprachwissenschaft kommt nichtohne Semantik aus. So bleibt viel Versumtes nachzuholen. Eine struk-turale Semantik ist zu entwickeln. In ihr mu auch fr die Metaphorik1 "Metaphora brevior est similitudo" (Institutio Oratoria 8, 6, 8).

    2 Man kann sich ber die Entwicklung des abendlndischen Metaphernverstnd-

    nisses gut informieren bei Hugo Meier, Die Metapher (Diss. Zrich 1963) und beiHans-Heinrich Lieb, Der Umfang des historischen Metaphernbegriffs (Diss. Kln 1964),

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    ein neuer Platz ausgemessen werden. Die folgenden berlegungen sollendazu ein Beitrag sein.

    Ein Gedicht von Verlaine beginnt: Votre me est unpaysage choisL DerVers lebt von der Metapher, die der Form nach eine Identifikations-metapher ist. Die Seele wird einer erlesenen Landschaft gleichgesetzt,und bald, in den weiteren Versen des Gedichtes Clair de Lune aus derSammlung FStes galantes, wird sich die Landschaft mit maskiertenSngern und Tnzern bevlkern. Nachdem man die Metaphorik ge-bhrend bewundert hat, darf man vielleicht analysierend fragen, wasmit den sechs Wrtern des zitierten Verses geschehen ist, da wir vonMetaphorik sprechen. Welches der sechs Wrter trgt diese Metaphorik?Unser Blick richtet sich auf das Wortpaysage. Denn 'eigentlich' (proprie)ist die Seele ja keine Landschaft. Nur im 'uneigentlichen', bertragenenSinne (improprie, metaphorice) ist die Seele eine Landschaft, wenn derDichter es so will. Dennoch ist das VJortpaysage, rein fr sich genommen,keine Metapher, sondern ebendieses Wort der franzsischen Sprache,dessen Bedeutung wir kennen und das ungefhr dem deutschen Wort'Landschaft' entspricht. Darber kann man sich in einem Wrterbuchunterrichten. Doch welches Wrterbuch man auch befragen mag,'Seele' gehrt nicht zur Bedeutung des Wortes paysage. Allerdings be-lehrt uns das Wrterbuch oder besser unser Sprachbewutseindarber, da der Bedeutungsumfang dieses Wortes wie auch der meistenanderen Wrter WEIT ist. Alle Arten Landschaft, die unser Auge ge-sehen oder unsere Phantasie ausgedacht hat, haben darin Platz. DasWort bezeichnet nur die Klasse, nicht die ihr zugehrigen Gegenstndeselber. Es ist ein Abstractum. Kann man sich dennoch mit einem solchenWort przise verstndigen, oder soll man hier sogleich in die beliebteKlage ausbrechen, die Sprache bleibe hoffnungslos weit hinter demDenken zurck? Nein, die Sprache bleibt keinen Schritt hinter demDenken zurck, und mit solchen Wrtern wie paysage verstndigen wiruns so przise, wie das Denken nur wnschen mag. Wir gebrauchennmlich die Wrter der Sprache nicht in der Isolierung, sondern zusam-men mit anderen Wrtern in Texten. Hier geben sich die Wrter gegen-seitig Kontext und determinieren einander, d.h. sie reduzieren gegen-seitig ihren Bedeutungsumfang. Bei dem bloen Wort 'Landschaft',wenn man es sich einmal isoliert denkt, bleibt unentschieden, ob bei-

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    Spiels weise eine Sommer- oder Winterlandschaft gemeint ist, aber wenndann der Kontext von Schnee spricht, dann fllt wahrscheinlich aus derweiten Bedeutung 'Landschaft' schon die Mglichkeit 'Sommerlandschaft'aus. Je mehr Kontext ich hinzugebe, um so mehr Mglichkeiten fallenaus. Determinatio est negatio, hat bereits Spinoza gelehrt (50. Brief). ImText hat daher ein Wort nicht mehr seine weite Bedeutung, sondern nurnoch eine gegenber seiner Bedeutung dem Umfang nach reduzierte undrelativ enge Meinung.

    Das alles ist elementare Semantik. Elementar mag weiterhin dieFeststellung sein, da alles Gesagte auch fr Metaphern gilt. DennMetaphern, und ich verstehe darunter alle Arten des sprachlichen Bildesvon der Alltagsmetapher bis zum poetischen Symbol, werden aus Wr-tern gemacht. Weniger elementar wird dann allerdings schon die Beob-achtung sein, da Metaphern, im Unterschied zu Normalwrtern, unterkeinen Umstnden von den Kontextbedingungen entbunden werdenknnen. Ein beliebiges Wort KANN isoliert gebraucht werden, z.B. ineiner wortgeschichtlichen Untersuchung, also metasprachlich. Wer jedocheine Metapher von jeglichem Kontext (und dazu ist natrlich immer auchein Situationskontext zu rechnen) zu entblen versucht, zerstrt damitdie Metapher. Eine Metapher ist folglich nie ein einfaches Wort, immerein wenn auch kleines Stck Text. Man darf sich freilich nicht vonder ewigen Feindin der linguistischen Analyse, der Orthographie,tuschen lassen: * Windrose', obwohl nach der deutschen Orthographiein einem Wort geschrieben, ist ein Stck Text, in dem das Element 'Wind'dem Element 'Rose' Kontext gibt und es zur Metapher hin determiniert.Methodisch ergibt sich daraus, da das Phnomen der Metapher ineiner bloen Wortsemantik und die ltere Semantik ist Wortseman-tik nicht adquat in den Blick kommen kann. Wir haben daher dieWortsemantik notwendig zu einer Textsemantik hin zu berschreiten.(Und es wre ein groer Irrtum zu glauben, Textsemantik sei dasselbewie Syntax.)

    Wir knnen nun die eingangs gestellte Frage nach dem genauen Ortder Metapher in dem Satz Votre me est un paysage choisi wieder auf-nehmen. Keines der sechs Wrter dieses Satzes ist identisch mit derMetapher, sondern der ganze Satz und im weiteren Verstande derganze Text des Gedichts IST die Metapher. Der Kontext determiniertnmlich das Wort paysage in einer besonderen Weise, und ebendadurchentsteht die Metapher. Wort und Kontext machen zusammen dieMetapher.

    Wir wollen Schritt um Schritt im folgenden nher zu bestimmen

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