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Page 1: Spirit 9/10 2014

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AdvaitaSowohl als auch:

Mit Texten von Konstantin Wecker, Eli Jaxon Bear, Torsten Brügge, Pyar Troll, Christian Meyer und anderen

Wenn der Tropfen in den Ozean

gefallen ist, was dann?

Page 2: Spirit 9/10 2014

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18.11.2014 | 20:00 UhrAlte OperFrankfurt am Main

19.11.2014 | 20:00 UhrGewandhaus zu LeipzigLeipzig

20.11.2014 | 20:00 UhrSteintor VarieteHalle Saale

21.11.2014 | 20:00 UhrMeistersingerhalle N rnberg

23.11.2014 | 19:00 UhrStadttheater Festsaal Ingolstadt

24.11.2014 | 20:00 UhrZentrum am ParkEmmelshausen

26.11.2014 | 20:00 UhrMathias-Jakobs- StadthalleGladbeck

27.11.2014 | 19:30 UhrKonzerthausBad Pyrmont

28.11.2014 | 20:00 UhrBeethovenhalleBonn

29.11.2014 | 20:00 UhrFabrikHamburg

05.12.2014 | 20:00 UhrUdK Konzertsaal HardenbergstraßeBerlin-

Charlottenburg

07.12.2014 | 19:00 UhrAlte OperErfurt

10.12.2014 | 20:30 UhrSeidenweberhausKrefeld

12.12.2014 | 19:30 UhrFORUMLeverkusen

13.12.2014 | 20:00 UhrStadthalleKreuztal

14.12.2014 | 20:30 UhrHörsaal H1der Universität M nster

20.02.2015 | 20:00 UhrStadtsaalA Vöcklabruck

21.02.2015 | 20:00 UhrKultur- und Kongresszentrum KuKoRosenheim

04.03.2015 | 20:00 UhrKölner Philharmonie K ln

06.03.2015 | 20:00 UhrBürgerzentrum - RechbergsaalBruchsal

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www.connection.de · September-Oktober 9-10/2014 3

sraels Bombardierung des Ga-za-Streifens, der Konflikt umdie Ukraine und die Kriege und

Stellvertreterkriege in Syrien unddem Irak haben dazu geführt, dassnun in Deutschland wieder dis-kutiert wird, ob man in Kriegsge-biete Waffen liefern sollte, wennes denn »ein guter Krieg« ist. Ein»guter« Krieg??? Das Thema be-wegt uns auch deshalb wie schonlange nicht mehr, weil die Medienuns mit Berichten über den 100Jahre zurückliegenden, mit so vielEnthusiasmus begonnenen erstenWeltkrieg überschüttet haben, die-se Urkatastrophe des 20. Jahrhun -derts, in dessen Folge Hitler an dieMacht kam, der dann den zweiten,noch schrecklicheren begann, dengrößten und schlimmsten Krieg al-ler Zeiten.

Özdemir und die Yogamatte

»Nie wieder Krieg« war der inne-re Schwur so vieler von uns nachdiesen Katastrophen, doch dieseSchwüre erodieren allmählich.»Mit der Yogamatte unterm Arm«würde man den im Irak verfolgtenJesiden nicht helfen können, sag-te Cem Özdemir, der Chef dereinst strikt pazifistischen Partei derGrü nen kürzlich, sondern mit Waf-fen, und setzt damit Yoga, die po-pulärste der heutigen spirituellenPraktiken, in Gegensatz zu den an-geblich realistischeren Befürwor-tern von Waffen.Hat die Friedensbewegung nach6.000 Jahren von Kriegen be-stimmter Menschheitsgeschichteüberhaupt eine Chance? Ja, mei-nen wir – wenn die Politik nach Lö-sungen endlich nicht mehr nur imKampf sucht oder in der Vorberei-tung auf einen solchen, sondern inder Liebe, Menschlichkeit, Weis-heit. Und wenn andererseits dieden Weisheitswegen verschriebe-nen, spirituellen Menschen endlichauch den täglichen Einfluss derAußenwelt auf unser Inneres an-

erkennen: Auch das Sein bestimmtdas Bewusstsein, nicht nur umge-kehrt.

Sowohl als auch

Dieses Heft von Connection Spi-rit ist in mindestens zweierlei Hin-sicht ein Novum. Zum einen wid-met es sich dem »Sowohl als auch«,der »Nicht-Zwei« der nondualenspirituellen Bewegung des Advai-ta, die uns Gelegenheit gibt, hiermal wieder das Weltliche und An-dersweltliche als voneinander un-trennbar zu erklären. Zum anderen beginnt hier eine Zu-sammenarbeit zwischen Konstan-tin Wecker und Wolf Schneider –zweier Menschen, die einander seitje sehr schätzen, von denen aberdoch jeder ›sein Ding‹ gemacht hat(was sie auch weiterhin tun wer-den) und die nun, an einem schö-nen Tag im Juli 2014, beschlossen,sich für einige publizistische Pro-jekte zusammenzutun. Weil wir unsmögen, das ist das eine. Aber auch,weil man zusammen weiter kommtals allein. Und weil drittens das po-litische Engagement, für das Kons -tantin seit Jahren mit seinen Lie-dern, seinem Pazifismus und sei-nen Aktionen gegen Rechts steht,sehr gut zusammenpasst mit demspirituellen Engagement und dembeschönigungslosen Blick ins ei-gene Innenleben, wofür Wolf stehtmit seiner Zeitschrift Connection.

Mönch und Krieger,Autor und Aktivist

Es gibt seit diesem Frühjahr auchein Buch von Konstantin, das ge-nau diesen Spannungsbogen zumThema hat: Mönch und Kriegerheißt es. Mit »Mönch« ist der Teilvon Konstantin gemeint, der dasandere, Andersweltliche sucht, dieTranszendenz, die Mystik; und mit»Krieger« ist der Teil von ihm ge-meint, der die Verhältnisse, so wiesie sind, mit all ihrem Leiden, nichteinfach hinnehmen will, sondern

sich für eine bessere Welt einsetztund dabei auch mal wütend wird,wie er es in seinem Lied »Wut undZärtlichkeit« ausdrückt.Trotz seinem eher spirituell ausge -richteten Lebensweg vom Philo so -phiestudenten über den bud dhis -tischen Mönch und Osho-San n - yasin zum Herausgeber dieserZeitschrift ist auch Wolf immer einpolitischer Mensch gewesen. Seingroßes Vorbild als Blattmacher,Aktivist und Humorist ist noch im-mer Kurt Tucholsky mit dessenZeitschrift Weltbühne.Ab jetzt findet ihr in jeder Ausga-be von Connection Spirit einenText von Konstantin oder über ihn,außerdem seine Tourdaten (meistauf Seite 2). Diesmal ist sein re-daktioneller Beitrag das Interview,das Michaela Doepke mit ihm zumThema Mitgefühl gemacht hat (S.22–25). Konstantin ist nun Teil derConnection-Redaktion, und Wolfwird sich auf Konstantins Websei-te hinter-den-schlagzeilen.de be-merkbar machen. Das Thema derVerbindung von Politik und Spiri-tualität bleibt bei uns also weiter-hin lebendig!

Mit herzlichem Gruß,Konstantin Wecker und Wolf Schneider

Editor

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Wolf Schneider, [email protected]

Konstantin [email protected]

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Spiritualität Politik

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4 September-Oktober 9-10/2014 · www.connection.de

SEPTEMBER–OKTOBER 9–10/2014

S. 7 – 11

Viele Jahre lang haben wir in jedem Heftvon Connection Spirit drei unechte

Anzeigen versteckt. Aber was ist schonecht? Zur weiteren Vertiefung dieser Frage bringen wir nun am Anfang unseres Heftes jeweils drei Seiten mit Kurzmeldungen von wirklichen

Ereignissen – obwohl man den Eindruck haben könnte, als hätte

ein Irrer sie erfunden –, und dann zweiSeiten mit Nachrichten, die zwar

erfunden sind, die aber wahr werdenkönnten, wenn wir das wollen.

Sowohl als auch:

AdvaitaDie aus dem alten Indien stam mendeAdvaita-Lehre breitet sich heute auchim Westen aus und ist dort neben dem

Buddhismus in avant gardistischenKreisen die bekannteste nonduale

Lehre. Für die ist die Welt »nicht zwei«,sie ist eines, und das gilt auch für

unsere Zweiteilungen in das Profaneund das Heilige, das Weltliche und dasReligiöse, Politik und Spiritualität. Wirsind sowohl gebunden wie frei, sowohl

verletzbar und leidend wie auch – in unserer tiefsten Tiefe, die jederzeit

erreichbar ist – glückselig, still,unbewegt.

Diese Ausgabe von Connection Spiritstellt 22 der Lehrer dieser »Nicht-

Zweiheit« vor, eingeleitet von Autoren,die diese Szene durchaus kritisch

sehen, aber auch voller Hoffnung füreine Welt, die dabei ist, sich in

Kriegen, Naturvernichtung, Wachstums wahn und dem

Gegen einander unerbittlicherFundamen talismen selbst zu zerstören.

S. 14 – 69

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www.connection.de · September-Oktober 9-10/2014 5

3 Editorial von Konstantin Wecker und Wolf Schneider

6 Tom de Toys über die Ewige Gegenwart

7 Wie es ist: Nachrichten

10 Wie es sein könnte: Utopien

12 Collage von Christina von Puttkamer

Schwerpunkt: Advaita14 Diesseits und Jenseits sind eines – endlich stimmt auch Wolf Schneider John Lennon

zu: Above us only sky!

22 »Zum Mitgefühl gehört tiefe Selbsterkenntnis«, sagte Konstantin Wecker im Gesprächmit Michaela Doepke

26 Mystik und Weltverantwortung – Gerhard Breidenstein fasst beides zusammen

30 Tiefe Stille, weite Sicht – Torsten Brügge erklärt Grunddimensionen des Erwachens

36 »Man kann überall Satsang haben«, auch auf dem Klo, sagte Mooji, als Rani ihn in seinem Ashram in Portugal besuchte

38 Den Job des zweiten Helfers übt Eli Jaxon Bear aus, nachdem nun Spiritualität Mode geworden ist

40 Der Reisepass – Evelyn Stierle hatte ihn vor ihrem Retreat leichtsinnig abgegeben und sorgte sich dann über ihre verlorene Identität

42 Gedichte spucken Wahrheit aus, behauptet der mystische Dichter Tom de Toys – und spuckt sie aus

46 Woran man Erwachen erkennt, versucht Pyar zu erklären

47 Kriterien des Aufwachens hat auch Christian Meyer gefunden

48 Portraits von 22 Advaitalehrern

48 Samarpan, 49 Nabala, 50 Rama, 51 Aktu, 52 Daniel Stötter, 53 Nabhya,

54 Uwe Lilienthal, 55 Maria Anna Groß, Romen Banerjee, 57 Ho Gerhard Strauß,

58 Torsten Brügge, 59 Padma Wolff, 60 Pyar Troll, 61 Muni, 62 Edgar Hofer,

63 Martin Erdmann, 64 Gaia, 65 Christian Meyer, 66 John de Ruiter, 67 Premdas,

68 Jörg Wedereit, 69 Om C. Parkin

72 WerWasWo

76 Liebeserklärung an die Suche und an eine Stadt – Wolf Schneider über den Film »SpiritBerlin«

78 Zwei Filme über die Beziehung zwischen Vater und Sohn

80 Bücher über Flow, Wie vor Was, Würde, Mann-Frau-Beziehungen und Kapitalismus

84 Leserbriefe

87 Marktplatz

88 Veranstaltungskalender und Inserentenverzeichnis

90 Vorschau/Impressum

, Zeitschrift für Lebenskunst, Weisheit, Humor und ein integrales Verständnis des menschlichen Lebens. Erscheint alle zwei Monate mit einem starken Schwerpunkt. Gegründet1985, ist Connection Spirit die älteste transkonfessionelle spirituelle Zeitschrift auf deutsch.Fachmagazine über Tantra und Schamanismus aus demselben Verlag ergänzen sie.

I N H A LT

“...wunderschön erzählt.““Bin gerade wieder aus Samarpans Leben aufgetaucht. Es hatte mich wie ein Zauberband umfasst.“ “Diese Buch ist Satsang auf neue Weise.“ “Leicht, poetisch und berührend.““Vielen Dank Rani, dass du das Buch geschrieben hast. Es ist ein Geschenk für uns alle.“

geliebtersamarpan.de

Lebensgeschichteeines modernen

Bodhisattva

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14 September-Oktober 9-10/2014 · www.connection.de

ADVAITA

or hundert Jahren begann der ersteWeltkrieg, die Urkatastrophe deszwan zigsten Jahrhunderts. Die Welt

von heute ist, was die Entwicklung unseresBewusstseins anbelangt, nicht so viel anders.Auch wenn es grad keinen Weltkrieg gibt(außer dem gegen die Natur), gibt es Kon-flikte und Kriege ohne Ende, Parteien undSpaltungen, Hass, Rassismus, Hexenverfol-gungen, Hunger und Unterernährung, inskla venähnlichen Zuständen gehaltene Ar-beiter (darunter viele Kinder) und Frauen,über die Männer glauben verfügen zu kön-

nen, maßlose Gier und Naturzerstörung, Re-ligionskriege und als ethnische »Säuberun-gen« beschönigte Massaker an vermeintlichFremden. Die Religionen, die Worte wie Frie-den, Liebe und Freiheit im Zentrum ihrerLehren haben, scheinen dem nichts entge-gensetzen zu können. Vielleicht wollen sie esauch gar nicht, sind sie doch meist selbst Par-tei, verbunden mit weltlichen Mächten, undpartizipieren so am Erhalt der alten, denMenschen entwürdigenden und missbrau-chenden ausbeuterischen Strukturen.

Aufgeben gilt nicht

Die Profile der politischen und religiösen,der weltlichen und andersweltlichen Erlö-serfiguren und -konzepte ähneln einander.In ihrem Scheitern – je nach Philosophie ander menschlichen Natur oder der wirtschaft -lichen Ordnung – sind sie einander danndoch wieder gleich. An wen oder was sollman da seine Hoffnung noch klammern?Aufgeben gilt nicht, das wäre dann ja nichtnur der Tod jeder Chance auf äußere Ver-änderung, sondern auch ein seelischer

Selbstmord, wie ihn etwa Kurt Tucholsky1935 begangen (oder sagen wir besser erlit-ten?) hat, als er gegen den erstarkenden Fa-schismus in Europa jegliche Hoffnung ver-lor: »Gegen einen Ozean pfeift man nichtan.«Ist es wirklich so schlimm? Ja, für die vomUnglück Getroffenen ist es das, und für unsin dem Maße, wie wir mitleiden, uns damitidentifizieren und uns dann die Beschränkt -heit unserer Wirkungsmöglichkeiten vor Au-gen halten. Aber Pessimismus ist für mich

V

Paradise Now hieß das Stück des Living Theatre, einer der anarcho-pazifistischen Theatergruppen der Gegenkultur in den 60er und 70erJahren. Das Paradies ist jetzt – oder nie. Himmel und Hölle gibt es nur hier, in dieser einen Welt. Politik und Spiritualität sind eines, auch wenn sie noch immer so tun, als lebten sie in zweiverschiedenen Welten

VON WOLF SCHNEIDER

Diesseits und Jenseits sind einesÜber die Einheit von Außen- und Innenweltengagement, von Politik und Andersweltlichkeit

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IIn ihrem Scheitern sind die weltlichen

und andersweltlichen Erlöserfiguren und -konzepte

einander sehr ähnlich

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www.connection.de · September-Oktober 9-10/2014 15

ADVAITA

lang publizistisch unterstützt habe. Wir stel-len sie hier mit mehr als zwanzig ihrer Re-präsentanten und Akteure vor, darunter ei-nige, die diese Szene entscheidend geprägthaben und das noch immer tun.

Ramana, Osho, Poonja

Diese religiöse, philosophische, inzwischengroßenteils auch ökologische und politischaktive Bewegung beruft sich in ihren spiri-tuellen Wurzeln vor allem auf drei indischeMystiker: den südindischen Weisen RamanaMaharshi (1879–1950), den religiösen An-archisten Osho (früher Bhagwan genannt,1931–1990) und den ebenso unbezähmbarenPoonja (der »Löwe von Lucknow«, 1910–1997), den seine Anhänger liebevoll Poon-jaji oder Papaji nennen.

keine Option, deshalb wende ich mich denenzu, die mir Hoffnung machen, und freue michan dem, was es inmitten von all dem Unglückzu bejubeln gibt. Und ich weiß ja: Wenn ichmein Leid durch Mitleiden dem anderer hin-zufüge, vergrößert sich das gesamte Unglücknur. Mitleid, Mitgefühl, Empathie sind nurinsoweit etwas Gutes, als sie es uns ermögli-chen, gemeinsam Verbesserungen zu bewir-ken.

Gründe zur Freude

Und es gibt ja auch das Glück der kleinenFreu den: Sonnenlicht und Regen, der Duftfrisch geernteter Früchte, das Atmen derHerbstluft, eine ums Haus streunende Kat-ze und das Lachen spielender Kinder. Unddann die sozialen, politischen und religiö-sen Bewegungen, die nicht aufgeben, son-

dern aus Mitgefühl Gutes tun, auch in schierausweglos scheinenden Situationen. Wie zumBeispiel die hier im Heft vorgestellte Sat -sang-Bewegung, die zu Unrecht den Ruf hat,nur an ihrer eigenen Erleuchtung interessiertzu sein, sondern die in ihrer Entwicklunggerade dabei ist, die Außenwelt nicht mehrals irrelevant abzutun, nach dem in der Eso-Szene so beliebten Motto: Die Außenwelt istdas, was deine Gedanken erschaffen haben.Seit mehr als zwanzig Jahren verfolge undbegleite ich nun als Journalist und Akteurdiese Szene, die einen Ansatz verfolgt, dertatsächlich historisch neu ist. Sie hat Seiten,bei denen mein Herz jubelt und für die ganzeWelt neue Hoffnung schöpfen möchte ob die-ser Lichtgestalten. Und sie hat Schattensei-ten, angesichts derer ich mich manchmal ver-schämt zurückziehen möchte und es mirpeinlich ist, wie sehr ich diese Szene jahre-

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Die Impulsgeber der heutigen Advaita-Bewegung

Ramana

Osho

Poonja

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16 September-Oktober 9-10/2014 · www.connection.de

ADVAITA

Bevor ich zu einer Kritik der Paradigmendieser Szene ansetze, möchte ich sagen, wasich an diesen Menschen bewundere und anihren Konzepten für gut halte. Allem ande-ren voran haben diese Leute mit der Ideeaufgeräumt, dass es zwischen dem einzelnenMenschen, wie er hier auf der Erde lebt, undjedweder Art von Jenseits oder Anderswelt– nennen wir sie nun Gott, das Göttliche,höhere Ebenen oder sonstwie – einen Ver-mittler bräuchte. Einen vermittelnden Men-schen oder ein vermittelndes, einweihendesRitual oder sonst eine Gnade oder Erlösungbringende Methode. Was uns zu glücklichen,reifen, weisen und guten Menschen macht,ist nicht die Aufnahme in einen Club in ir-gendeiner Hinsicht besserer Menschen, son-dern allein Einsicht, und die kann durch In-nenschau gewonnen werden. Priester, Brah -manen oder Schamanen braucht es nicht,und schon gar nicht irgendwelche Hierar-chien. »Erkenne dich selbst« ist das Motto dieserSzene, also das, was schon Heraklit, der Mys -tiker unter den Vorsokratikern der griechi-schen Antike, forderte, und dann Sokratesund mit ihm die philosophische Elite desMittelmeerraums und Europas viele Jahr-hunderte lang, teils bis heute. Die Forderungnach Selbsterkenntnis ist nichts spezifischAsiatisches, sie ist nur in den vergangenen500 Jahren, in denen Europa die Welt er-oberte und unterjochte, stark in den Hin-tergrund getreten.

Die mystische Erfahrung

Als der deutsche Liedermacher ReinhardMey 1996 in seinem Lied »Sei wachsam«sang: »Der Minister nimmt flüsternd den Bi-schof beim Arm: Halt‘ du sie dumm, ich halt‘sie arm« brachte er das gut auf den Punkt,wogegen der 1990 verstorbene indischeMeis ter und schonungslose SystemkritikerOsho jahrzehntelang unter der Überschrift»Priester und Politiker« gewettert hatte: Dieweltlichen Institutionen halten uns ebensogefangen wie die »andersweltlichen«, die re-ligiösen. Es liegt am einzelnen, sich zu be-freien, und dieser Befreiungsweg ist zunächstdie Innenschau, die Mystik. Kollektive »Be-freiungen« sind immer eine Art von Massen -hypnose. Erst wenn es ein paar wirklich ra-dikal innerlich Befreite gibt, macht es Sinn,dass sich diese wieder gruppieren und poli-tische Aktionen starten, weil sie dann in derAußenwelt nicht mehr bloß ihre inneren Dä-monen bekämpfen – das zumindest ist derAnsatz der Advaita-Bewegung. Die übrigensnicht durchweg mit unnötigen Hierarchienaufgeräumt hat, was sich in einigen Einzel-fällen auch in der Arbeit an diesem Heft alsstörend erwies.Der Mensch auf seiner Suche nach Wahr-heit, Glück, Liebe oder Erkenntnis ist »sichselbst ein Licht«, wie Buddha einst sagte. An-

dernfalls bleibt er weiterhin im Dunkel. Das,was wir heute »spirituelle Erfahrung« nen-nen, hat nichts mit Geistern zu tun, in denmeisten Fällen auch nicht mit Licht im en-

geren, sinnlichen Sinn, sondern ist in derEs senz eine mystische Erfahrung, eine Ver-schmelzung des Beobachters mit dem Beob -achteten, ein Verschwinden des Ichs, wobeidas Ich hier verstanden wird als der blindeFleck jedweder Beobachtung, von dem ausbetrachtet wird, ohne dass diese Stelle selbstbetrachtet wird. Die mystische Erfahrung ge-schieht also zwischen dem Individuum unddem Ganzen, aus dem sich das Individuumdurch seine Ich-Instanz vermeintlich her-ausgelöst hat.

Die Rückkehr auf den Marktplatz

So weit, so gut. Religiöse Institutionen undHierarchien sind nun als überflüssig erkanntoder sogar als mehr als nur das, als störend.Transzendenz, Weisheit, Glück, Liebe, Un-sterblichkeit, Erleuchtung geschehen hierund jetzt oder gar nicht. »Imagine there is noheaven, … above us only sky«, sang JohnLennon. Wir brauchen keine Jenseitsmythen.Sie sind »Opium fürs Volk«, wie Karl Marxes einst nannte. Und ganze Industrien ver-dienen an diesem Handel mit Opium, über-wiegend gesteuert von Menschen, die selbstnicht an diese Mythen glauben, sondern ausder Tatsache, dass andere daran glauben,ihren Nutzen ziehen. Aber etwas fehlt noch bei dieser radikalenSys tem kritik, und das ist das, was in den zehnZenbildern (Ten Bulls) aus dem japanischenBuddhismus (die Ursprünge liegen im chi-nesischen Chan) das zehnte Bild ist: Es stelltdie Rückkehr des Weisen auf den Marktplatzdar. Dort geht es dann wieder um das ganznormale, ethisch motivierte Engagement füreine bessere Welt. Diesen Schritt haben diemeisten der heute aktiven spirituellen Leh-rer (einige auch der hier vorgestellten) nochnicht wirklich vollzogen. Immer nur zu wie-derholen, dass das Ich eine Illusion sei undschon alles ist, wie es ist, das ist das Wilber-sche Flachland oder auch: spirituelle Kita,ein Kurs für Anfänger. Obwohl unsere Hel-den Ramana und Papaji sich fast ausschließ -lich für die Innenwelterforschung stark ge-macht haben – wir wollen hier doch nichtKopien von Ramana oder Papaji werden undnur deren Sprüche wiederholen. Nun ist et-

was anderes dran: die Berücksichtigung auchder Außenwelt, die wir durch weitere Pilger -fahrten zum Arunachala nicht werden rettenkönnen, sondern nur durch ein parallel zur

Innenwelterforschung erfolgendes ökologi-sches und politisches Engagement.

Kinderkrankheiten

Die heutige Advaita-Szene hat Schwächen.Die würde ich »Kinderkrankheiten« nennen,denn ich meine, dass diese Szene eine Avant-garde ist, eine Vorhut. Sie probiert etwas aus,das andere vor ihr noch nie so gemacht ha-ben, und ist insofern viel fehleranfälliger alsan dere, alte spirituelle Bewegungen (dieda für andere Schwächen haben – Verkrus -tung). Sie ist ein Labor, eine Werkstatt spi-ritueller, ökologischer und sozial-politischerPraxis. Trotz Ausreißern in den Mainstreamwie etwa Eckhart Tolles Auftritt bei OprahWinfrey im Jahr 2000 ist die Szene, die sichso intensiv und radikal mit der Selbsterfor-schung beschäftigt, bis jetzt noch eine sozia-le Randgruppe. In ihr keimt jedoch die Chan-ce, mit den religiösen Hierarchien, mit Pries -tertum, Klerus und anderen ähnlich an-maßenden Institutionen der alten Welt auf-zuräumen in einer Weise, wie die französi-sche Revolution von 1789 mit der Stände-gesellschaft aufgeräumt hat. So wie heuteKannibalismus und Sklaverei als obsolet er-scheinen – man kann es sich einfach nichtmehr vorstellen, dass man einen anderenMen schen essen oder wie ein Ding besitzenkann –, so wird man sich in fünfzig Jahrennicht mehr vorstellen können, dass ein an-derer Mensch einem den Zugang zum »ReichGottes«, zur Transzendenz oder Erleuchtungverwehren kann. Das Gros der religiös aus-gerichteten Gesellschaften der Welt glaubtja heute noch, dass gewisse Menschen quaEinweihung (die Priester) oder qua Geburt(die Brahmanen) dazu befähigt seien, unsdiesen Zugang zu ermöglichen oder zu ver-wehren. Im Weltlichen entspricht das demDünkel von Adel, Rasse, Ethnie.

Was heißt da »Erwachen«?

Viele Außenstehende, die diese Szene beob -achten, fremdeln bei dem hier verwendetenBegriff des »Erwachens«, und auch inner-halb der buddhistischen, Sannyas- und Ad-vaita-Szenen, die sich untereinander starkvermischen, ist der Umgang damit sehr un-

»Der Minister nimmt flüsternd den Bischof beim Arm:

Halt’ du sie dumm, ich halt’ sie arm«

Reinhard Mey

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www.connection.de · September-Oktober 9-10/2014 17

terschiedlich. Im Buddhismus wird am we-nigsten vom Erwachen gesprochen. Unterden Sannyasins schon etwas mehr, aber dieangeblich Erwachten werden dort eher belä -chelt als Möchtegern-Erwachte oder Osho-Schüler mit besonders großem Ego. In derAdvaita-Szene hingegen hat man manchmalden Eindruck, dass es trotz Advaita, was ja»nicht zwei« bedeutet, nun doch wieder ei-

ne Zweiteilung gibt zwischen schon Er-wachten (es werden immer mehr) und dennoch nicht Erwachten, die überwiegend da-nach fiebern, auch endlich zu erwachen. Gibt es überhaupt sowas wie ein Erwachen?Oder ist es doch eher so, wie dieser alteSpruch es ausdrückt: Erwachen gibt es nurfür nicht Erwachte – für die Erwachten sindalle erwacht (wobei einige allerdings Ver-stecken spielen). Ich meine, dass es auf demWeg der menschlichen und insbesondere spi-rituellen Entwicklung einen solchen Knickin der Biografie durchaus geben kann, eineWende, nach der alles als anders erscheint.Aber es muss diesen Knick nicht geben. Auchdie Biografien, in denen die Entwicklung hin

zur Weisheit und Reife undramatischer ver-läuft, kann man wertschätzen, so wie dasder Soto-Zen in Japan seit Jahrhunderten tut,bei dem im Gegensatz zum Rinzai-Zen dasErwachen (dort Satori genannt) keine großeRolle spielt. Und Soto ist nicht der schlech-tere Zen, sondern nur anders. Und auch wenndas Erwachen ein Ereignis ist: Es kann aufleisen Pfoten daher spaziert kommen oder

mit einem lauten Schrei. Es kann die Per-son, der es passiert, in Depression stürzenoder bleibende Glücksgefühle auslösen. Eskann fast unbemerkt passieren, oder »es istdanach alles anders«. So verschieden wie dasLachen der Menschen sind auch ihre Erwa-chenserlebnisse, vom Giggeln und Kichernüber das Explodieren in schallendem Geläch-ter. Und es gibt auch das Schmunzeln.

Es ist leer

Noch bevor ich meine spirituelle Reise imengeren Sinne begann, studierte ich in Mün-chen am Philosophischen Seminar II derLMU Sprachwissenschaft. Buchtitel wie

»Das Sein und das Nichts« (das Hauptwerkvon Jean-Paul Sartre) und die Äußerungenvon Heidegger waren für uns Quelle nichtendender Belustigung, denn als kritischeAna lytiker von Sprache war für uns das Wort»Sein« nichts als die Versubstantivierung von»ist« – was wir als = verstanden, als Gleich-heit, oder als Zugehörigkeit zu einer größe-ren Menge, wie man sie in der Mengenlehreversteht, etwa in dem Satz »Der Apfel ist ei-ne Frucht«. »Nichts« bedeutete für uns nurdie Abwesenheit von etwas. Beide Begriffewaren also leer. Anders gesagt: Sie warensinn los und beruhten auf einem Missver-ständnis dessen, was Sprache leisten kann.Ludwig Wittgenstein, mit seinem Diktum»Worüber man nicht sprechen kann, darübersoll man schweigen«, war da also schon ei-nen Schritt weiter als Heidegger & Co.Heute lese ich in der Wikipedia, dass Wortewie »hier«, »jetzt« und »ich« in der Sprach-wissenschaft als deiktische Begriffe (vongriechisch »zeigen«) gelten. Sie ändern ihreBedeutung je nach Standpunkt des Spre-chers. Je nachdem, wer »ich« sagt, ist jedes-mal ein anderer gemeint, und je nachdem,wann jemand »jetzt« sagt, ist ein andererZeitpunkt gemeint. Ebenso mit »hier«. Wassind wir doch für Idioten, wenn wir aus die-sen schlicht rückbezüglichen, auf uns selbstoder den gegenwärtigen Ort oder Zeitpunktverweisenden Begriffen eine ganze Philoso-phie machen! Es gibt da nichts zu philoso-phieren. Wir können diese Begriffe allerdingsals Wegweiser in eine sprachfreie Tiefe ver-wenden, indem wir uns in sie hineinfallen las-sen, denn sie sind tatsächlich leer. Es gibt we-der das Hier noch das Jetzt noch das Ich. Al-le drei Begriffe verweisen nur auf etwas, dasständig anders ist, sich nicht fassen lässt unddeshalb nicht beschrieben und bezeichnetwerden kann – das ewige Hier& Jetzt, wiedie spirituellen Sucher es nennen.

Ist das komisch?

Für Außenstehende mag die Satsang-Bewe-gung in ihren Formen bizarr aussehen. Ist sielächerlich? Kommt drauf an, wie man hin-schaut. Wie überall liegt auch hier die Komikim Auge des Betrachters. Auch die Tä tigkeitder heutigen politischen und wirtschaftlichenEliten kann man so betrachten, als würdeman ein Theaterstück anschauen, in demdie Figuren sich bemühen, als Karikaturenihrer selbst aufzutreten, dabei aber die Zäh-ne zusammenbeißen, um ernst zu bleiben,so dass keiner merkt, dass das Stück nur ei-ne Komödie ist. Man kann die Ereignisse in der Welt und sichselbst als etwas Tragisches betrachten –Grundgenug gibt es reichlich –, aber man kann sieauch als etwas Komisches ansehen. Insbe-sondere sich selbst kann man als komischeebenso wie tragische Figur ansehen. WelcheVariante wir wählen, die komische Art der

ADVAITA

Kollektive »Befreiungen« sind immer eine Art

von Massenhypnose. Erst wenn es ein paar

radikal innerlich Befreite gibt, macht es Sinn,

dass sich die wieder gruppieren und

politische Aktionen starten

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Ist der Erwachte einer, der über die Tragik des menschlichen

Daseins lachen kann?

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18 September-Oktober 9-10/2014 · www.connection.de

Betrachtung oder die tragische, liegt weit-gehend an uns selbst. Im Idealfall geht esuns wie mit dem Schieberegler einer Audio-Anlage, wo wir einstellen können, wie sehrwir den linken oder den rechten Kanalhören: Alles nur tragisch? Dann schieb einbisschen weiter nach rechts rüber, da wirdes komisch. Mitgefühl mit den Leidenden verleitet uns,die Ereignisse in der Welt als etwas Tragi-sches anzusehen. Das ist insofern gut, als esuns motiviert, daran etwas zu ändern unduns für gute Zwecke zu engagieren. Daskann aber auch in Fatalismus enden, dennwas können wir schon tun angesichts desAusmaßes von all diesem Leiden? Da hilftes dann vielleicht, die Möglichkeit der Be-trachtung der Ereignisse als etwas Komi-sches ins Auge zu fassen – und vor allem sichselbst als eine komische Figur zu sehen, nachdem Motto von Osho: »Sei dir selbst einWitz«. Das hatte er, hier ganz der crazy wis-dom master (Meister der verrückten Weis-heit), in Abwandlung von »Sei dir selbst einLicht«, Buddhas letzten Worten, formuliert.Dann hört erstens das Selbstmitleid auf,das in der Regel jedwede Aktion behindert.Zwei tens hören auch die Streits zwischenzum Beispiel den politischen Aktivisten auf,von denen jeder der klügere und illusions-losere Weltverbesserer sein will – wenn siesich auch ein bisschen als komische Figu-ren empfinden können, entspannt das im

Miteinander und erleichtert die Koordina-tion der Aktionen.Wenn ich auf der Bühne, wo ich gelegent-lich als Satsanglehrer Shri Shitananda auf-trete, mich dort von meiner Mitarbeiterinmit dem Nirvanometer testen lasse und siedann feststellt, dass meine Ausstrahlung ak-tuell nur 35 Lux aufweist, obwohl man dochin der EU erst ab 55 Lux Satsang geben darf,dann ist das eine solche Selbstkarikatur.Ich bewahre mich so davor, von anderenfür weise gehalten und dann entsprechendangeglotzt zu werden. Nein, nicht wirk-lich…, in meinem Falle genügt doch, dassdie Leute ein bisschen was von mir aus mei-nem Alltag wissen, dann hält mich keinermehr für weise. Ich wollte mit dieser Num-mer nur sicherstellen, dass mich niemand imErnst für einen spirituellen Lehrer hält.Pures Sicherheitsdenken. Vielleicht bin ichim Enneagramm doch eine Sechs und kei-ne Fünf?

Ist das Kitsch?

Unter den Erleuchteten und Erwachten gibtes Lebensbeschreibungen, die ich als kitschigempfinde. So wie es kitschige christliche Reli -giosität gibt, mit Jesuskindlein, Barockengelnund dem lieben Gott, so gibt es auch kitschi-ge Erleuchtungs- und Erwachensreligiosität.Das heißt nicht, dass Erleuchtung eine un-sinnige Fiktion wäre und Jesus wie BuddhaIdioten waren, sondern nur, dass es in derKunst einerseits Kitsch und andererseitshohe Kunst gibt, und in der Religiosität istes ebenso. Dass es Liebesschnulzen gibt, diebei Schlagerwettbewerben vorgetragen wer-den, beweist ja nicht, dass unser Glauben andie Liebe nur ein kitschiger Unsinn wäre,sondern es zeigt, dass es solche und solcheArten des Ausdrucks gibt und Unterschiedein der Tiefe des Verständnisses. Die soge-nannte »Volksfrömmigkeit«, wie Ethnologieund Religionswissenschaft sie beschreiben,ist nicht etwa eine per se zu verurteilende Artder Religiosität. Oft wird sie sogar ethischhöher bewertet, was die Aufrichtigkeit undGüte im Miteinander anbelangt, als die Re-ligiosität der Gebildeten und Gelehrten, diedoch viel besser wissen müssten, was Jesusund Buddha nun genau meinten. Die es abernicht im Alltag umsetzen können. Und soist es auch mit den Fans von Ramana, Oshound Papaji und den Verehrern der Advaita-Lehrer im Allgemeinen. Man ist begeistert

von Ramana (Oh, dieses Gesicht, diese Au-gen!) und der Tiefe seiner Frage »Wer bistdu?«. Man ist fasziniert von Eckhart TollesBotschaft »Die einzige Wirklichkeit istjetzt!«, kann es aber beides nicht realisieren,sondern nur verehren, weil es irgendwie alsrichtig erscheint, und plappert diese Sprüchedann nach. Ja, es gibt diese Unterschiede. Dieganze Bandbreite zwischen tiefer Religio-sität und Flachland gibt es auch im Advaita.

Politik und Spiritualität

Als Grünen-Chef Cem Özdemir Anfang Au-gust in der ARD sich für eine Bewaffnungder Peshmerga stark machte, die den von denKämpfern der IS verfolgten Jesiden gehol-fen hatten zu entkommen, sagte er: »Dashaben sie nicht mit der Yogamatte untermArm gemacht, sondern mit Waffen.« Damitbrachte er den landläufigen Gegensatz zwi-schen dem Klischee der gutwillig meditie-

renden und Yoga übenden Spiris und den ver-meintlich realistischeren, sogenannte Real -politik praktizierenden politisch Aktiven gutauf den Punkt. Jedenfalls aus der Sicht einesPolitikers, für den Yoga eine eher egoistischeBeschäftigung mit sich selbst und der eige-nen Innenwelt oder Körperfitness ist, und fürden spirituelle Praktiken angesichts rollen-der Panzer nur schöngeistige Illusionen sind.Jakob Augstein, der Herausgeber der Wo-chenzeitung Freitag, schrieb dazu auf spie-gel.de: »Und was ist mit Srebrenica, mitRuanda oder eben jetzt mit den leidendenJesiden? Dazu hat die frühere Bischöfin Mar-got Käßmann im Spiegel alles gesagt: ›Es istinteressant, dass Sie immer vom Ende herdenken, wenn es keine gewaltfreie Lösungmehr zu geben scheint. Heute existieren vie-le Friedensforschungsinstitute, die Strate gienentwickelt haben, um Konflikte zu vermei-den oder zu schlichten. Aber am Willen ha-pert es. Das sehen Sie schon daran, dassDeutschland pro Jahr über 30 Milliarden Eu-ro für Militär ausgibt, aber nur 29 Millionenfür den Friedensdienst.‹« Fürs Militär gibt man tausendmalso viel auswie für den Frieden. Kein Wunder, dass mannach dieser Saat am Ende Krieg erntet undnicht Frieden.

Verschwörungen

Nun noch ein paar Worte zu den Verschwö -rungsgläubigen, deren Theorien und ver-meintliche Fakten dieser Tage mehr denn jedas Internet überschwemmen. Sie pflegendurch fleißigen Online-Austausch ihre Ver-mutungen über geheime Absprachen undPläne politischer Herrschaft, die angeblich»die Medien« nicht publizieren dürften. Ei-ner ihrer Standardsätze ist: »Das darf manja nicht sagen!«. Das Fatale an dieser an-schwellenden Bewegung ist, dass es ja tat -sächlich geheime Absprachen und in gewis-ser Weise als »böse« zu bezeichnende Mäch-te gibt. Es gibt politische Zwecklügen ohneEnde und massenhaft verdeckte politischewie wirtschaftliche Kriegführung. Nur ver-hindert der Fanatismus dieser Gläubigen lei-der ein kühles Untersuchen der Tatsachen,was zur Folge hat, dass diesen überwiegendhöchst idealistisch motivierten und einsatz-bereiten Menschen wirklich positive Verän-derungen in der Welt kaum je gelingen, dennsie sind nicht im Besitz geheim gehaltenerTatsachen, sondern es sind umgekehrt diesenur vermeintlich geheimen Tatsachen, dieman ja überall im Internet nachlesen kann,im Besitz dieser Menschen – sie sind von ih-nen besessen. Die meisten von ihnen – nichtalle – sind der beste Beweis dafür, dass eineeinseitige Außenweltorientierung ohne scho-nungslose Prüfung der eigenen Innenwel-ten zu keinen guten Ergebnissen führt.

ADVAITA

»Imagine there is no heaven, above us only sky«

(John Lennon). Wir brauchen keine Jenseitsmythen.

Sie sind Opium fürs Volk

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Innere Arbeit

Hier kann die innere Arbeit ansetzen, wie sieetwa Byron Katies »The Work« anbietet mitder Frage »Wer wäre ich, wenn ich das nichtglauben würde?«. Oder die Methoden vonHar ry Palmers Avatar, die in tage-, wochen-,jahrelangen introspektiven und interaktivenÜbungen akribisch untersuchen, wie weit un-sere Überzeugungen die Brillen erschaffen,durch die wir die Welt betrachten. Wir sindja nicht diese Überzeugungen, das ist dieEssenz aller dieser tief gehenden spirituel-len Lehren – wir sind die Leinwand, auf de-nen diese Überzeugen kommen und gehen.Manchmal wollen sie schier nicht weggehen,diese alten Überzeugungen, wir haften an ih-nen, klammern uns an sie und fühlen uns ver-loren, wenn wir sie nicht mehr haben. Bisdann die Erfahrung der Leere, der wir in derMeditation begegnen können – in diesemHeft von vielen als »Erwachen« beschrie-ben –, uns davon befreit. Erst nach solcherbefreienden Erfahrung können wir uns Ge-wissheiten zulegen, die wir besitzen und nichtmehr sie uns. Dann können wir uns Über-zeugungen, Meinungen, Haltungen zulegen,die uns und der Welt gut tun, und über diewir auch lachen können, wenn wir von an-deren Überzeugungen und Weltanschauun-gen geistig angegriffen werden.

Die Bösen da draußen

Die Überzeugung dass eine Clique bösarti-ger Individuen, Gruppen oder Mächte dieWelt im Griff hat, tut niemandem gut. Sie istüberwiegend – nicht nur, aber überwiegend– die Projektion bösartiger Anteile der eige -nen Persönlichkeit in die Welt hinaus. Erstwer seine Hausaufgaben gemacht hat, seineErforschung der inneren Schatten und blin-den Flecke, erst wer sich mit den inneren Dä-monen auseinandergesetzt hat, kann unbe-fangen auf die Außenwelt schauen, wer dortwirklich eine böse Kraft ist – ja, die gibt es!– und wer nicht. Wenn ich mir die gefilmten Interviews mitEdward Snowden ansehe, habe ich den Ein-druck von einem Menschen, der keine inne-

ren Dämonen auf die Leinwand der politi-schen Ereignisse wirft. Er weiß um die rea-len Verschwörungen, die es gibt. Die sindschlimm genug. Da müssen wir nicht auchnoch unsere inneren Dämonen mit ins Spielbringen und Bosheit am Werk vermuten,wo nur Dummheit am Werk ist. Die Dumm-heit der Weltmacht USA im Umgang mit Is-rael, Irak, Afghanistan und vielem anderen– sie schadet sich selbst in krasser Weisedurch ihr, was das Innere anbelangt, blindesVorgehen. Diese Menschen »wissen nicht,was sie tun«, wie Jesus es nannte. Hättenböse, aber hochintelligente Strategen dieseAktionen entworfen, dann hätte das Vorge-hen der Weltmacht nützen müssen, die dochnach 1989 in der Pole Position war und wienie vorher eine andere Macht der Welt in denJahren nach dem Auseinanderfallen der Sow -

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Man kann die heutigen politischen und

wirtschaftlichen Eliten so betrachten, als würde

man ein Theaterstück anschauen, in dem die Figuren sich

bemühen, als Karikaturen ihrer selbst aufzutreten

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Das Private ist politisch, und die Politik wirkt mächtig ins Private hinein

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jetunion die Welt beherrschen konnte. DasGegenteil ist der Fall, es hat den USA ge-schadet. Solchen Schaden kann nur Dumm-heit anrichten.

Das Böse in mir

Als Bruno Ganz in »Der Untergang« Hit-ler spielte, gab er dem Bösen ein menschli-ches Gesicht. Er enthüllte den Bösen, erdeckte seine menschliche, biedere Seite auf,er entdämonisierte ihn. Mit solcher Art derEnthüllung sollten wir »Innenweltbewuss -te« auch an die banalen Schreckensherr-scher der heutigen Welt herangehen, umsie von innen heraus zu verstehen, so dasswir ihnen nicht erliegen und auch nicht imKampf gegen sie ihnen ähnlich werden. DieChefs von Weltbank, Monsanto und Nestlésind als Men schen eher biedere Charakte-re, aber ihr Wirken ist in ungeheurer Weiseschädlich, anscheinend ohne dass das ihr Ge-wissen erreicht. Wenn wir sie allerdings zuUngeheuern machen, wie es die vermeint-lich aufgeklärten Verschwörungsentdeckertenden ziell tun (mehr noch von den un-sichtbaren Hintermännern glauben sie das),dann sind sie damit nicht aufgeklärt, son-dern unrealis tisch. Menschen sollten wirals Menschen verstehen. Wer aus ihnen we-gen unverarbei teter eigener GeschichtenUngeheuer macht, erliegt ihrer Magie auchdann in gewisser Weise, wenn er in ihnenFeinde sieht.

Die Gefahr der Ego-Entsorgung

Mooji, einer der in diesem Heft von Connec-tion vorgestellten Advaitalehrer, zitiert sei-nen Lehrer Papaji, auf den sich auch die meis -ten der heutigen Satsanglehrer als Quellebeziehen: »Wenn du mit der Wahrheit einssein willst, musst ›du‹ völlig verschwinden.«Das Ego, das Ich muss verschwinden, derTropfen muss in den Ozean fallen, um danndort ohne Unterschied zu all den anderenMilliarden von Tropfen im Großen Ganzendes grenzenlosen Wassers weiterzuexistie-ren. Böse Zungen könnten nun sagen, Sat -sang sei »die Endlösung der Ego-Frage«.Auch wenn solch eine Anspielung politischhöchst unkorrekt ist: Mich erschreckt derans Totalitäre grenzende Eifer, mit demman che Anhänger des Advaita ihr Ego einfür allemal entsorgen wollen. Die Satsang-Bewegung führt die Menschenin die Stille, in Meditation und Gewahrseinund die Vollkommenheit des gegenwärtigenAugenblicks, in dem alles schon da ist undnichts erreicht werden muss. Gut so. Aberdiese Praxis – eigentlich ist es eher die siebegleitende Denkweise, nicht die Praxis –hat eine Schattenseite, und das ist ihr Um-gang mit dem Ego. So sehr wie der Glaubean die Festigkeit der Ich-Identität eine Il-

lusion ist, so sehr ist auch der Glaube an dieFreiheit vom Ich als Pforte zu himmlischemGlück (oder irdischen Ekstasen) eine Illusi-on. Das Loslassen des Egos kann sehr schnellin Zustände führen, die zu Recht als patho-logisch gelten. Auch die Beschreibung deserwachten Zustandes als ein Dasein ohneIch-Identität finde ich höchst gefährlich. Esstimmt schlichtweg nicht, dass die Erwach-ten ohne Ich oder ohne Ego oder Persön-lichkeit existieren würden. Dazu habe ich

zu viele von ihnen getroffen mit Eigen -schaften, die jeder normale Mensch als Egobezeichnen würde. Zu sagen, in der Persondieses oder jenes Erwachten stimme das Uni-versum mir zu oder lehne Gott mich ab, istGrößenwahn. Nein, du bist es, der da Ja sagtoder Nein, dem das Essen schmeckt oder einAnblick gefällt, dem die Matratze zum Schla-fen behagt oder eben nicht behagt, und nichtdas durch dich transpersonal wirkende Uni-versum – es sei denn, wir einigen uns darauf,dass das Universum auch durch mich und al-le anderen Menschen wirkt, nur eben auf je-weils individuell ein bisschen andere Weise.Das Ego kann man nicht entsorgen und auchnicht überwinden. Jeder Versuch, das zu tun,ist wieder ein Versuch derselben Instanz,die da überwunden werden soll, und ver-schlimmert die Situation deshalb nur noch.Warum wird in den Therapien eine stabile,»gefestigte«, Persönlichkeit für gut befun-den? Warum gilt in den Körpertherapien das»Kollabieren« als etwas Negatives? Weil esbei der ungefestigten oder kollabierendenPerson keinen mehr gibt, der ein klares Jaoder Nein sagen kann. Keinen, der Grenzensetzt, Würde bewahrt und sich nicht miss -brauchen lässt. Gemäß der Theorie der Ego -überwindung müsste ein erwachter, egoloserMensch eigentlich ohne Festigkeit sein undständig gegenüber Impulsen aus der Umweltkollabieren – das kann es doch wohl nichtsein.

… und der Anti-Ego-Terror

Damit will ich den Begriff »Ego« für den All-tagsgebrauch in Fällen von Arroganz, Eitel-keit oder manipulativer Gekränktheit nichtgenerell ablehnen. Dort kann er ein egoisti-sches Verhalten beschreiben, das der Um-welt dieses Menschen schadet und so früher

oder später auch ihm selbst. In allen diesenFällen ist das »egoistisch« genannte Verhal-ten ein unintelligent eigennütziges. Der Feh-ler ist dabei nicht das Erstreben von Eigen-nutz, sondern das Fehlen von Intelligenz imDurchsetzen des Eigennutzes alias des Egos.Das Entsorgen des Ich-Gefühls, der Ich-Identität, die da als Ego beschimpft wird, istnicht die Lösung, geschweige denn ein All-heilmittel. Im Gegenteil: Die Anti-Ego-Phi-losophie ist perfekt geeignet für die verschie -

densten Arten von Unterdrückung: Wenn icherleuchtet bin, also egolos, und du tust etwas,das mir stinkt, dann kommt das natürlich ausdeinem Ego; und wenn ich dann aus meinerunendlichen göttlichen Liebe heraus dir dasklarzumachen versuche, ist das ein Zen-Stock, den dein Ego natürlich nicht akzep-tieren kann – und schon haben wir die Or-well’sche Vision einer spirituellen Schre -ckensherrschaft.

Das spirituelle Ego

Tschögyam Trungpas Buch Cutting throughSpiritual Materialism von 1973 (auf DeutschSpiritueller Materialismus, 1975) brachteEinsicht in das Problem des spirituellen Egosauch unter den spirituellen Suchern die serZeit. Im Buddhismus wird diese Art der Ar-roganz »Gestank der Erleuchtung« genannt.Sie ist so schwer zu erkennen, sagt der Sat -sanglehrer und Bodhisattva-Ausbilder Tor-sten Brügge (in diesem Heft auf S. 33), weilsie sich so gut als »tief erleuchtet« tarnt. UndEli Jaxon Bear, der Advaita-Lehrer und Aus-bilder so vieler der heutigen Advaitalehrer,spricht (hier auf S. 38/39) über seine Aufga-be als »zweiter Helfer« beim Abschlagen derSchlacken, die sich nach der Erleuchtungim nun runderneuerten Ego doch wiederfest gesetzt haben.

Der leere Stuhl

Für die Zeit nach seinem Tod hinterließ Os-ho bewusst keinen Nachfolger, sondern wiesan, dass bei den Meditationen und demAbspie len der Filme seiner Reden in denSannyas-Zentren ein leerer Stuhl auf derBühne stehen sollte als Symbol der Leere,aus der he raus der Erwachte spricht, frei vonpersönlichen Anhänglichkeiten. Einige der

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So wie es kitschige christliche Religiosität gibt,

mit Jesuskindlein, Barockengeln und dem

lieben Gott, so gibt es auch kitschige

Erleuchtungs- und Erwachensreligiosität

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heutigen Satsanglehrer haben damit experi-mentiert, indem sie im Satsang den Stuhl ver-ließen, von dem aus sie »Satsang gaben«(merkwürdiger Begriff), und die »Satsang-nehmer« (die nirgends so genannt werden,man spricht nur vom »Satsang geben«) ba-ten, sich in den Stuhl zu setzen. Die meistenmachten dann die Erfahrung, dass sie vondort aus genauso weise sprechen konntenwie vorher ihr Lehrer. Es ist eben nicht die Person entscheidend fürdas, was gesagt wird, sondern der Raum, ausdem heraus sie spricht. Dieser Raum ist zwarein innerer, aber die Inszenierung der Sat -sangs (Bühne mit Stuhl, meist erhöht, davordie Reihen der niedriger Sitzenden) machtden inneren Raum zu einem äußeren und –sieh da, von dort oben aus sprechend bistauch du mit Weisheit gesegnet! Präsenz isteine Sache der Inszenierung. Nicht nur un-

sere politischen und wirtschaftlichen Ver-anstaltungen sind eine Show, auch Satsangist Theater – es kommt nur darauf an, ob esein gutes Stück ist, das wir da spielen, oderein schlechtes.

Es braucht Geduld

Die Satsang-Bewegung ist noch jung. DerBuddhismus hat trotz der vielen, die nochzu Lebzeiten des Buddha erwachten, 300 Jah-re gebraucht, um den Mahayana zu ent-wickeln mit dem Bodhisattva-Gelübde, derhohen Bedeutung des Mitgefühls und derLoslösung von der Regelverhaftung des frü -hen Buddhismus. Die Satsang-Bewegungscheint in weniger als einem Fünftel der Zeitzu schaffen, was der Buddhismus damals in300 Jahren schaffte und die meisten ande-ren Religionen nie schaffen. Es ist also Ge-

duld angesagt gegenüber den Kinderkrank-heiten einer spirituellen Bewegung, diemanch mal so tut, als würde es genügen ein-zusehen, dass das Ich eine Illusion ist und dasichfreie Dasein im Hier&Jetzt die Lösungsei. Menschliche Reifung spielt auch bei de-nen eine Rolle, die den Advaita-Weg gehen,in den Fußstapfen von Ramana, Osho, Pa-paji oder einem der neuen Lehrer. Manchesbraucht eben Zeit, und die Aneignung einesneuen Jargons ist noch nicht die ersehnte spi-rituelle Befreiung.

www.jetzt-tv.com ist eine Plattform für Satsang-Videos,Festival-Filmberichte und Interviews mit spirituellenLehrern und weisen Menschen. Ihr engagierter Gründerund Leiter Devasetu Wolfram Umlauf hat es sich mitdieser viel genutzten Webseite zur Aufgabe gemacht,den Erwachten, Weisen und Aufgeweckten aus derAdvaita-Szene als Sprachrohr zu dienen, damit ihre oftleisen Töne in der heutigen Informationsflut nichtüberhört werden.

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Fürs Militär gibt man das Tausendfache

aus wie für den Frieden.

Kein Wunder, dass man nach dieser Saat

am Ende Krieg erntet und nicht Frieden

WOLF SCHNEIDER, Jg. 1952. Autor, Redakteur,Kursleiter. Studium der Naturwissenschaften undPhilosophie (1971–75) in München. 1975–77 inAsien. 1985 Gründung der Zeitschrift Connection.Seit 2008 Theaterspiel & Kabarett. Kontakt: [email protected]

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Keinen anderen Menschen hat diese Zeitschrift so oft interviewt wie Konstantin Wecker. Kein Wunder,wenn man bedenkt, dass Wecker wie kaum ein anderer die Schnittstelle verkörpert zwischen derEhrlichkeit sich selbst gegenüber, also wahrhaftiger Innenschau, und andererseits einem mutigenpolitischen Engagement, das in seiner Systemkritik kein Blatt vor den Mund nimmt – und der bei

alledem als Liedermacher, Sänger und Dichter auch noch ein begnadeter Künstler ist. Michaela Doepkewar viele Jahre lang Chefredakteurin von Buddhismus aktuell. Kürzlich führte sie für die Webseitewww.ethik-heute.org das folgende Gespräch mit Konstantin, den sie noch aus Jugendzeiten kennt,

über ein zentrales Thema unsere Zeit: den Verlust des Mitgefühls.

Michaela Doepke sprach mit Konstantin Wecker

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»Zum Mitgefühlgehört tiefe

Selbsterkenntnis«

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Die Verantwortung wird in unserer Gesellschafteher auf einzelne Personen wie die Eltern über-tragen als auf die gesamte Gemeinschaft.Ja, und dann bin ich plötzlich nicht mehr ver-antwortlich für andere Kinder. Ich werde nie

as stellt für dich im Moment das größ-te ethische Problem in unserer Ge-sellschaft dar?

Das dringlichste ethische Problem ist fürmich zurzeit der »Verlust des Mitgefühls« –so der Titel eines Buches von Arno Gruen (1).Wir leben in einer Gesellschaft, die das Mit-gefühl fast schon aus der Sprache ausge-klammert hat. In den letzten Jahren ist mirvor allem beim Schreiben aufgefallen: Jemehr ich in der Lage bin, mich selbst undmeine Schattenseiten zu reflektieren, destomehr bin ich fähig, mitzufühlen.Wichtig finde ich es in diesem Prozess, mei-ne Ängste und meine Schwermut zuzulas-sen. Schon der Buddha sagt völlig zu Recht,dass das Leben Leiden sei. Auch eine Ab-lenkung durch Dauerparty kann nicht wirk-lich von dieser Erkenntnis befreien. Nur in-dem wir unseren eigenen Schmerz zulassen,ihn nicht verdrängen, können wir auch denSchmerz des anderen verstehen. Zum Mit-gefühl gehört eine ganz tiefe Selbsterkennt-nis.Kleine Kinder haben von Natur aus Mitgefühl– das ist ja die These von Arno Gruen –, aberes wird ihnen aberzogen. Als ich mit ihmauf einem Pazifismuskongress war, hat einJournalist diese Aussage so kommentiert:»Aber Herr Professor Gruen, das ist dochschon seit Jahrtausenden so.« Daraufhin hatGruen mit dem coolen Satz gekontert: »Ja,ungefähr seit 6000 Jahren macht die Mensch-heit das schon falsch.«In diesem Zusammenhang kommt einemauch der Gedanke, dass es die Menschheitschon viel länger gibt als das Patriarchat. ImEndeffekt geht der Verlust des MitgefühlsHand in Hand mit dem Einsetzen des Mo-notheismus und des Patriarchats. Dem Er-scheinen eines männlichen Gottes in derWeltgeschichte …

Interessant, dass du das als Mann so siehst.Ein Beispiel, das mich immer wieder beein-druckt: In matriarchalen Gesellschaften, diees vereinzelt noch in Afrika und Südameri-ka gibt, werden Kinder vom ganzen Dorfgroßgezogen. Manchmal ist gar nicht klar,

wer der Vater ist. Aus meiner Sicht beginntdas Patriarchat in dem Moment, wo manunbedingt wissen muss: Ist das mein Kind?Eigentlich ist das gar nicht so wichtig. Es istein Kind. Es gehört sich selbst.

Als Wolf von Michaela dieses Interview angeboten bekam, sagte er im Spaß: »Dann können wir ja gleich dieHauszeitung von Konstantin Wecker werden!« Und so wie das Ernste seine komischen Seiten hat, so birgt auchmanchmal das im Spaß Gesagte Chancen, ernsthaft realisiert zu werden – es resultierten hieraus im Lauf der

darauffolgenden Wochen Mails, Telefonate und ein Treffen in München zwischen Konstantin und Wolf, wo beschlossen wurde: Wir arbeiten künftig zusammen! In jeder Ausgabe von Connection soll also nun

etwas von Konstantin Wecker stehen, und Wolf will sich im Gegenzug auf Konstantins Webseite www.hinter-den-schlagzeilen.de bemerkbar machen, deren verantwortlicher Redakteur seit Jahren eh schon Ex-Connection-Redakteur Roland Rottenfußer ist. Es ist also eine Invasion in beide

Richtungen, wir infiltrieren und unterwandern uns nun gegenseitig

»Schwermut ist die Schwester des Glücks.

Wenn wir die Schwermut nicht zulassen,

dann werden wir keine Chance haben,

mitfühlende Menschen zu werden«

Eugen Drewermann

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Wer nie melancholisch ist,hat kein Mitgefühl

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vergessen, wie mein Vater einmal zu mir sag-te, als ich zwölf, dreizehn Jahre alt war: »Kon-stantin, du musst eines wissen. Ich liebe dichsehr. Aber wenn jetzt ein anderes Kind daist, das meiner Hilfe bedarf, dann helfe ichdem ganz genauso. Ich helfe dir nicht mehr,bin nicht mehr für dich da, nur weil du meinSohn bist.«Diese Aussage meines Vaters war zunächstsehr schmerzhaft für mich. Erst viele Jahrespäter habe ich verstanden, was das für eingroßartiger Satz war. An dieses bedin-

gungslose Mitgefühl habe ich mich bei derBegegnung mit Eugen Drewermann (2) wie-der erinnert. Er nennt die Schwermut dieSchwes ter des Glücks. Diese Thematik ha-be ich in meinem Lied über die Schwermut– »Alles das und mehr« – verarbeitet.Eugen Drewermann sagt – und das sehe ichmittlerweile genauso: »Wenn wir die Schwer-mut nicht zulassen, dann werden wir keineChance haben, mitfühlende Menschen zuwerden.« Die Schwermut bringt uns über-

haupt erst auf die Ideedes Mitgefühls.Also dieser Verlustdes Mitgefühls, denwir alle spüren, machtmir eigentlich am al-lermeisten zu schaf-fen. »Ich kümmeremich jetzt mal in ersterLinie nur um meineFamilie und Freunde,die mir am nächstensind, dann noch ummeine Nation, allesandere ist mir egal.« –Solche Sätze hört manimmer häufiger. Ich se-he in ihnen ein faschi-stisches Potenzial.

Aber beobachtest du inunserer Gesellschaft undbesonders bei Jugendli-chen nicht ähnliche Ten-denzen zu einem Rück-zug auf Freizeit und Pri-vatleben?Ja, das sind alles Vor-stufen eines reak-tionären und undemo-kratischen Systems,das vom Neoliberalis-mus in den letztenzwanzig Jahren syste-matisch eingefädeltwurde – durch Think-tanks erdacht, durchPromotion, durchWerbung lanciert inden Medien. »DieDiktatur ist nicht ganzausgereift, sie übt

noch«, habe ich in meinem Lied mit dem Ti-tel »Empört euch!« geschrieben.

Aber wie siehst du die jüngste Entwicklung,dass renommierte Neurowissenschaftler/innenwie Tania Singer Empathie und Meditation wis-senschaftlich erforschen? Diese Erkenntnissewerden heute bereits in Ansätzen etwa beim The-ma Stressbewältigung im Gesundheitswesen, inMedizin, Pädagogik, Forschung und Arbeitsweltheilbringend umgesetzt. In dieser Richtung gibtes doch eine Bewegung.Ja, es ist überhaupt eine Bewegung da. Wasich am spannendsten finde: Diejenigen, diesich selbst aus rein spirituellen Gründen nochvor zehn Jahren am liebsten zurückgezogenhaben, sind jetzt plötzlich viel mehr bereit,sich zu engagieren. Bei den Themen »Spiri-tualität und politisches Engagement«, diemich seit langem stark beschäftigen, tut sichwirklich etwas zurzeit. Sowohl bei den eherspi rituellen Menschen als auch bei strengmarxistischen Freunden ist heute eine ganzandere Offenheit da. Vor zehn, fünfzehn Jah-ren hätte es den meisten meiner marxisti-schen Freunde schon die Zehennägel auf-gerollt, wenn ich nur das Wort Spiritualitäterwähnt hätte.

Diese Offenheit kann man neuerdings auch beireligiösen Führern wie zum Beispiel dem DalaiLama beobachten. Seiner Ansicht nach ist es auf-grund der Situation auf unserem Planeten heutewichtig, sich vermehrt für eine säkulare Ethikbzw. menschliche Werte unabhängig von Reli-gion einzusetzen, weil sie alle Menschen verei-nen können.So ähnlich sehe ich das auch. Ich fand es auchinteressant, wie die Reaktionen waren, alsich neulich etwas über den neuen Papst ge-postet und meine Bewunderung für seinemutigen Sätze über den kriegstreibendenKapitalismus ausgesprochen habe. Er wirdmich zwar nicht zum Wiedereintritt in dieKirche bewegen, aber er bewegt mich.Ich dachte, da bekomme ich vielleicht einpaar Likes oder so und war sehr überrascht,wie viele Menschen das Thema bewegt hat.

»Vor zehn, fünfzehn Jahren hätte es den

meisten meiner marxistischen Freunde

schon die Zehennägel aufgerollt,

wenn ich nur das Wort Spiritualität erwähnt hätte«

Konstantin Wecker

»Deswegen bin ich furchtlos:

Weil meine Texte klüger sind als ich«

Konstantin Wecker

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Jesus als Christus: bedingungslose Liebe in

einer Welt der Soziopathen

Page 17: Spirit 9/10 2014

www.connection.de · September-Oktober 9-10/2014 25

Ich habe da eine Sehnsucht von den Leutengespürt, christliche Werte wieder zu entde -cken, selbst wenn sie aus guten Gründenmit der Institution Kirche nichts mehr zu tunhaben wollen.In meinem neuen Buch »Mönch und Krie-ger« habe ich darüber geschrieben. Großar-tig finde ich in dieser Hinsicht Renate WindsBonhoeffer-Biografie (3). Sie schreibt, dassdieser anfangs sehr konservative Kirchen-mann kurz vor seiner Inhaftierung durchdie Nazis für ein Christentum ohne Kircheplädiert habe. Für mich ist das Erstaunlichean Christus, dem Mann aus Nazareth, dasser die Idee der bedingungs losen Liebe in ei-ne Welt trägt, die über Jahrtausende vonSozio pathen regiert wurde – das ist das wirk-lich Revolutionäre dieses Mannes Jesus.Ich glaube, es gibt ganz wenige Ausnahmenunserer Staatenlenker oder Armeeführer, dienicht in Wirklichkeit echte Soziopathen wa-ren. Also Menschen, die keine Ahnung da-von hatten, wie man mit Menschen mensch-lich und mitfühlend umgeht. Ich denke dar-an, wie uns noch in der Schule Alexander derGroße als Supertyp präsentiert wurde, dermit 24 Jahren die halbe Welt erobert hat.Dass er währenddessen Hunderttausendevon Menschen abgeschlachtet hat, das wur-de uns eher nebenbei erzählt und sachlich alsnotwendig hingestellt …So wurden mir in der Schule die großen Füh-rer der Geschichte als vorbildhafte Heldendargestellt. Es waren keine Helden, es wa-ren Soziopathen. In diese Menschheitsge-schichte kommt dann die Idee von JesusChristus hinein, der die Frauen gleichwertigbehandelt, der zu den Aussätzigen geht – wasdamals ein unerhörter Tabubruch gewesensein muss – und die Idee der Nächstenliebe,des Mitgefühls in die Welt trägt.

Siehst du Jesus als einen Revolutionär in seinerZeit?Absolut. Vor allem in Bezug auf das Mitlie-ben und Mitfühlen, die ursprünglich christ-lichen Werte.

Du transportierst diese Botschaften von Liebe undMitgefühl als Liedermacher sehr engagiert durchdeine Musik. Auch die Inhalte deiner politi-schen Texte bewegen deine Fans sehr emotional.Die Menschen hören dir zu, und es imponiert ih-nen, weil du mutig deine Meinung sagst, vielenaus dem Herzen sprichst und keine Angst zu ha-ben scheinst.Also die Angst – das ist wirklich wahr. Ichkann mich erinnern, dass ich als Schüler da-mals im Wilhelms-Gymnasium von ebenfallsdichtenden Freunden und Bekannten häufiggefragt wurde, ob ich denn keine Angst hät-te, mich in meinen Texten so bloßzustellen.Und das Seltsame war: Ich habe immer ge-dacht, das tut jeder andere auch.In dieser Hinsicht hatte ich wirklich nieAngst. Heute ahne ich, weshalb ich mich nievon diesem Weg habe abbringen lassen: Icherfahre durch meine Texte einfach so vielüber mich, weil ich sie mir nicht ausdenke,sondern weil sie mir passieren. Zu 90 Pro-zent ist mir alles, was ich schreibe, passiert.Und dadurch glaube ich ihnen auch. Und des-wegen bin ich auch furchtlos. Weil meine Tex-te definitiv immer klüger sind als ich.

Dir ist als Künstler sicher auch eine Metaebenezugänglich, die sich nicht allen Menschen er-schließt. Wie jeder große Künstler hast du jawahrscheinlich auch Zugang zu einer Intuition,die in dich einfließt.Dazu möchte ich kurz ausholen. In einemBuch von Josef Weinreb, einem 1980 in Ber-lin verstorbenen Kabbalisten, habe ich gele-

sen, dass man das Alte Testament nicht alsHistorie verstehen darf. Es seien nur innereVorgänge, die beschrieben werden. Weinrebhat mir eigentlich als Erster das Alte Testa-ment erklärt, bei dessen Lektüre ich immergedacht habe, was soll denn der Quatsch, die-se blutrünstige Kämpferei.Und dann erinnert mich Weinreb daran, dassdas Alte Testament Dichtung ist, Poesie, sowie die Odyssee, die Ilias und die DivinaComedia, ja wie alle großen Werke derMenschheitsgeschichte: Dichtung, Poesie, ausder Intuition erschaffen. Alle diese Kriegeund oft so grausame Geschichten – das pas-siert in uns selbst. Das Alte Testament ist al-so nichts anderes als ein weises Psycho-gramm der Menschheit.Übrigens gibt es dieses schöne Beispiel beiWeinreb über David im Alten Testament. Ge-meint ist nicht der aus der berühmten Ge-schichte von »David und Goliath«, sondernDavid, der Harfenspieler, der bekannt warfür seinen Tanz und seine himmlischen Me-lodien. Dieser David hat seine Harfe nachtsimmer in den Wind gehängt. Am nächstenMorgen verfügte er über die Melodien, dieihm der Wind in die Harfe gespielt hat. Dasist genau das Gefühl, das ich habe, wenn ichdas Glück habe, wieder kreativ sein zu dür-fen. Für das Beste, was man als Künstler er-schafft, kann man nichts, weil man es nichtselbst geschrieben hat. Es ist vom Wind indie Harfe gespielt worden.

Weitere Infos über Konstantin Wecker: www.wecker.de

Buchtipp:Konstantin Wecker, Mönch und Krieger, GütersloherVerlagshaus, München 2014

Hinweise:(1) Arno Gruen: Der Verlust des Mitgefühls – Über die

Politik der Gleichgültigkeit. Deutscher TaschenbuchVerlag

(2) Eugen Drewermann ist ein katholischer Theologe,suspendierter Priester, Psychoanalytiker undSchriftsteller. Er ist als kirchenkritischer Publizistregelmäßig in den Medien präsent.

(3) Dietrich Bonhoeffer (* 4. Februar 1906 in Breslau; † 9. April 1945 im KZ Flossenbürg) war ein lutheri -scher Theologe, profilierter Vertreter derBekennenden Kirche und am deutschen Widerstandgegen den Nationalsozialismus beteiligt.

ADVAITA

KONSTANTIN WECKER, geb.1947 in München, istverheiratet und Vater zwei-er Söhne. Er komponiertund singt seine selbstgetexteten Lieder überLiebe, den Menschen unddie Welt und ist dabei ein

scharfer Gesellschaftskritiker und unerschütterli-cher Pazifist. www.wecker.de

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Das neue Netzwerk Ethik heute bietet eine Plattform für den gesellschaftlichen Dialog über ethi-sche Fragen und menschliche Werte, unabhängig von Religion, Weltanschauung und politischerÜberzeugung. Es fördert den interdisziplinären und interkulturellen Austausch zu ethischen Fragenund vernetzt Menschen, die an einem Bewusstseinswandel interessiert sind. Derzeit präsentiert essich mit regelmäßigen Veranstaltungen wie den Ethik-Dialogen und einer Website unter www.ethik-heute.org

Das Netzwerk Ethik heute wurde im Dezember 2013 in Hamburg gegründet und ist eine ge -meinnützige GmbH. Es unterstützt ge -meinnützige Projekte, keine seinerAktivitäten dient dem Profit. Der DalaiLama, der sich seit Jahren für das Themasäkulare Ethik engagiert, hat dieGründung dieses Netzwerks über seineStiftung mit einer Spende von 10.000 Eurounterstützt. Dennoch ist das Netzwerk aufweitere Sponsoren angewiesen. Mehrunter: www.ethik-heute.org

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