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Page 1: TechQuartier– WoZukunftentstehtFonds. Ersterem hat sich das Tech Quartier bereits ausführlich an-genommen: „Wir haben die Growth Alliance AI als Boot-Camp und ein AI-Event mit

Das offene Büro im Tech Quartier. An jedem Tisch sitzen die Mitarbeiter eines anderen Start-ups.

Was kann künstliche Intelligenz (KI)?Journalismus-Studierende der Hoch-schule für Medien, Kommunikation undWirtschaft (HMKW) in Frankfurt fragenExperten aus Wirtschaft und For-schung: Wo und wie kommt KI zum Ein-satz? Worin liegen Chancen und Risi-ken? Die Serie in der FR gibt Antworten– im Rahmen eines Projekts des Wis-senschaftsjahres 2019.

WAS KANN KI?STUDIERENDE FRAGEN NACH

Der Eingangsbereich des Tech Quartiers am Standort neben der Frankfurter Messe. ANNA STÜCKEL (4)

VON B E N N E T T R A M P E LT

Ein großes, offenes Büro.Schreibtischreihe hinter

Schreibtischreihe und an jedemTisch sitzt ein anderes Tech-Start-up. Zum Telefonieren oder Redenziehen sich die jungen Mitarbeiterin eine der Nischen zurück undnehmen auf einem FlugzeugsesselPlatz – abgeschirmt von schalliso-lierten Glastüren. Wir sind in derMainmetropole Frankfurt, darankann kein Zweifel sein. An der„Bembel-Bar“ gibt es in der Pausenicht unbedingt Apfelwein, son-dern eher mal eine Fritz-Kola. Die„Bar“ ist vielmehr eine Küchen-

zeile mit Theke, die so cool aus-sieht, wie sie heißt. Daran grenztdas „Waldstadion“ an. Nein, nichtdie echte Arena, sondern derEvent-Space, in dem – wie derName schon sagt – Veranstaltun-gen stattfinden. Das Repertoirereicht von „Pitch Events“, bei de-nen junge Gründer ihre Ideen er-fahrenen Investoren präsentieren,bis hin zu regelmäßigen „Mee-tups“ und „Bootcamps“.

Hier entsteht also Innovation.Zumindest war das die Intentionvon CEO Sebastian Schäfer, als erdas Tech Quartier 2016 gründete.Und diese Innovation ist, genauwie die Mitarbeiter, vor allemjung, frisch und entsprechend dy-namisch. Nur so konnte es dasTech Quartier schaffen, innerhalbvon knapp drei Jahren zum hessi-schen Dreh- und Angelpunkt zuwerden für – na ja, für was ei-gentlich? Denn das Tech Quartierstellt nicht einfach nur Start-upsBüroflächen zur Verfügung, in-zwischen an vier Standorten inFrankfurt. Es handelt sich viel-mehr um ein großes Netzwerk.Vernetzt wird jeder, der Lust hatmitzumachen und die unterneh-merischen Voraussetzungen mit-bringt: in erster Linie Start-upsmit Unternehmen, Technologie-firmen und Investoren, aber auchRegierungspartnern und akade-mischen Institutionen. Eben alles,

was Teil des Ökosystems ist – ge-meint sind alle relevanten Akteu-re der Start-up-Szene. Rund umden Globus gestaltet man die Zu-kunft in den verschiedenstentechnologischen Bereichen. Dasgeschieht über Programme, Pro-jekte und Veranstaltungen, bei de-nen auch immer stärker das The-ma künstliche Intelligenz in denFokus rückt.

Doch das, was heute ist,musste erst mit viel Kraft aufge-baut werden. Einer der erstenMieter war das Start-up Intelli-gent Data Analytics (IDA). „Alswir im November 2016 einzogen,war das Tech Quartier noch eineBaustelle“, erinnert sich IDA-Ge-schäftsführer Hamedo Ayadi. Zudieser Zeit sei es noch in der Fin-dungsphase gewesen. „Bis auf dieRäume und ein paar Unterneh-men gab es nicht viel. Jedermusste mit anpacken“, sagt Ayadi.Seine Firma habe mitgeholfen,Veranstaltungen zu organisieren,die Community aufzubauen undneue Netzwerke zu bilden. Unteranderem habe sie Workshops zuDeep Learning KI mitgestaltet.

Ein Thema, mit dem man sichbei IDA besonders gut auskennt.Moira heißt eine der Lösungen,die IDA seinen Kunden zur Verfü-gung stellt. Der Name kommt ausder griechischen Mythologie. DieSchicksalsgöttin Moira spinnt bei

der Geburt den Faden des Lebensund weiß, wie es verläuft. Moirabei IDA ist eine Software-Platt-form, die es schafft, mit Hilfekünstlicher Intelligenz Daten ausden unterschiedlichsten Quellenzu verbinden und somit für einUnternehmen nutzbar zu ma-chen.

In einem aktuellen Projektsoll Moira in Züge der DeutschenBahn eingebaut werden und diesevoll digitalisieren. Ein breitgefä-chertes System an Kameras undSensoren erhebt Daten aller Art,die Moira nutzt. Zusätzlich wirdMoira mit den Datenbanken desUnternehmens verknüpft undkann auf diese Weise zum Bei-spiel das Problem eines Klimaan-lagenausfalls lösen. Denn Klima-anlagen fallen nicht plötzlich aus,sondern es gibt vorher Anzeichenfür diese Störung. Mittels Senso-ren an der Anlage erkennt Moiradie Systemleistung bei 100 Pro-zent. Fällt der Wert ab, schlägt sieAlarm.

Die Verknüpfung mit den Da-ten des Fahrplans lässt erkennen,wo und wie lange der Zug alsnächstes hält. Daten der Schicht-pläne der Servicemitarbeiter wie-derum könnten dann automati-siert einen Termin vorschlagen,an dem die Anlage repariert wer-den soll. Ist der Termin akzep-tiert, geht eine Benachrichtigung

an die Beteiligten raus. Das Logis-tikzentrum wäre informiert, wel-ches Produkt gebraucht wird, derServicemitarbeiter wüsste, wanner welche Klimaanlage in wel-chem Zug reparieren soll. Und derZug kennt ohnehin seine Strecke.

Auch Sensoren in den Fahr-gasträumen könnten Moira nütz-lich sein. So liefern Daten vomDruck im Innenraum, der Luft-feuchtigkeit, des Geräuschpegelsund von freien Sitzplätzen wert-volle Informationen. Der Passa-gier könnte über eine App sehen,wo ein Platz frei ist, ohne suchendvon Abteil zu Abteil gehen zumüssen. Über das Nutzerverhal-ten des Passagiers könnte Moirazudem Sitzplatzvorschläge ma-chen. Angenommen, ein Fahrgastsitzt gerne am Fenster, an wärme-ren Plätzen mit wenig Geräu-schen, würde Moira schon beimTicketkauf eine entsprechendeEmpfehlung abgeben.

Das könnte also die Zukunftdes Bahnfahrens sein. Das IDA-Projekt ist in Zusammenarbeitmit Cisco und SAP entstanden.Derzeit verhandelt das Unterneh-men noch mit der DeutschenBahn. Und wie so oft, wenn Ent-scheidungen von Kolossen getrof-fen werden sollen, ist es mühse-lig. Denn Kolosse sind vor allemeines: langsam.

Das, was trägen Unternehmenfehlt, findet sich im Tech Quartierim Überfluss: Agilität, Spontanei-tät und der Wille zur Verände-rung. Auch deshalb steht Sebasti-an Schäfer seit der Gründung imsteten Austausch mit dem LandHessen, das sich als Taktgeber in

Sachen digitale Innovation sehenmöchte. Erst Ende vorigen Jahreserarbeitete man ein gemeinsamesKonzept, um das Thema künstli-che Intelligenz am StandortFrankfurt voranzutreiben. ImVorfeld gab es Untersuchungen,die ein enormes Potenzial imFrankfurter Ökosystem für KI di-agnostizierten. Lediglich die Akti-vierung des Potenzials und diestrukturierte Verknüpfung tra-gender Akteure fehlte. An dieseStelle tritt nun das Tech Quartier,das in den kommenden Jahrendie KI-Initiative antreiben soll. Esstützt sich auf drei primäre Kon-zeptsäulen: Community Building,eine umfassende Datenbank undFonds.

Ersterem hat sich das TechQuartier bereits ausführlich an-genommen: „Wir haben dieGrowth Alliance AI als Boot-Camp und ein AI-Event mit derGoethe-Universität veranstaltet,und auch im zweiten Halbjahr2019 ist eine ganze Serie von AI-Events mit unterschiedlichen In-

dustrievertretern geplant“, erklärtSchäfer. Intern sei man jetzt da-bei, das zweite Thema aufzugrei-fen: eine Cloud-basierte Finanz-datenbank. Doch um von hier ausweiter in Richtung Fonds und ge-zielte Unterstützung zu gehen,müsse Kapital fließen. Und dafürmüsse auch das Budget, nicht nuraus dem Landes-, sondern auchaus dem Bundeshaushalt einge-bunden werden.

Noch ist das Tech Quartier al-lerdings kein Teil der Bundesstra-tegie Künstliche Intelligenz, dieim November 2018 von der Bun-desregierung vorgestellt wurde.Mit ihr soll Deutschland, zusam-men mit Europa, zu einem füh-renden Standort für KI-Technolo-gien werden. Mit der Nennungder Finanzindustrie in der Bun-desstrategie ist dem Finanzstand-ort Frankfurt allerdings ein ersterwichtiger Schritt gelungen. „Nochgeht es sehr regional zu“, findetGemma Ferst, Ökosystem-Mana-gerin des Tech Quartiers und desLandes Hessen. Sie ist zum einen

dafür verantwortlich, das hessi-sche Ökosystem für Start-upsaufzubauen und zum anderenProgramme und Partnerschaftenfür den Aufbau der KI-Initiativezu entwickeln. Für sie sei es ganznormal, zuerst regional, auf einBundesland bezogen, zu untersu-chen, welche Projekte man ange-hen möchte. „Ich halte es fürwichtig, gerade beim Thema KI,sogenannte Bold Pilots“ zu ma-chen. Also eine gewisse Faktenla-ge zu schaffen, Dinge zu versu-chen und offen zu sein für ge-meinsame Innovationen mit denPartnern“, sagt Ferst.

Trotz dieser Regionalitätspricht Ferst nicht von einer Kon-kurrenzsituation der Bundeslän-der, sondern eher von „strongertogether“. Auch deshalb versuchedas Tech Quartier als Teil der DE-Hub-Initiative, sich schon jetztmit anderen Bundesländern aus-zutauschen. Von diesen könneman zwar einiges lernen, zentralsei es aber, Hessen nach vorne zubringen: „Wir müssen jetzt schon

an übermorgen denken. Undnicht gucken, was zum BeispielNordrhein-Westfalen macht, son-dern was richtig für Hessen istund was Hessen voranbringt.Auch nach internationalen ‚bestpractices‘“.

Dass die internationale Kon-kurrenz – allen voran USA undChina – beim Thema künstlicheIntelligenz sehr weit voraus ist,darüber sind sich Schäfer, Ferstund Ayadi im Klaren. Allerdingsgebe es auch Bereiche, in denenman einiges an Boden gutmachenkönne. „Es bietet sich an, mit derFinanzbranche zu beginnen. Hierhat Frankfurt seinen Wettbe-werbsvorteil. Dass man sich dannauch für die anderen Industrienöffnet, steht außer Frage“, erklärtSchäfer. Ferst sieht auch in Fragender Ethik ein enormes Potenzialfür den deutschen KI-Sektor:„Wir können vielleicht nicht denVorsprung von USA und Chinaaufholen, wir können aber fürMenschenrechte und Datenschutzstehen.“ So lasse sich eine gewisseAttraktivität für deutsche KI-Lö-sungen schaffen.

Das Wichtigste sei jedoch,einfach anzufangen und Dingeumzusetzen, findet Ayadi: „Wirdürfen nicht so viel nach linksund rechts schauen. Die anderenLänder sind uns meilenweit vo-raus. Das fängt schon bei der In-vestitionsbereitschaft an. Hier tutsich Deutschland durch Bürokra-tie und langsame Entscheidungennoch schwer.“ Schäfer ist sich je-doch sicher, dass die „Zutaten“,die KI möglich machen, heute be-reitstehen – auch in Frankfurt.

Tech Quartier –Wo Zukunft entstehtEin Ort voller innovativer Ideen, mitten in Frankfurt an der Messe:Das drei Jahre junge Unternehmen ist Hessens Hoffnungsträger in Sachen künstlicheIntelligenz. Ziel: mit der internationalen Konkurrenz mitzuhalten

Sebastian Schäfer managt das Tech Quartier.

Modell eines Zugs, der mit der künstlichen Intelligenz „Moira“ ausgestattet ist.

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