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RESTAURATION UND ERNEUERUNG

DIE LATEINISCHE LITERATUR

VON 284 BIS 374 N. CHR.

HERAUSGEGEBEN VON

REINHART HERZOG

UNTER MITARBEIT VON

Johannes Divjak, Jean Doignon, Klaus-Dietrich Fischer, Jacques Fontaine,

Manfred Fuh=ann, Reinhart Herzog, Wolfgang Hübner, Fridolf Kudlien,

Wolf-Lüder Liebe=ann, DetlefLiebs, Goulven Madec, Willy Schetter,

Peter Lebrecht Schmidt, Kurt Smolak, Antonie Wlosok

C. H. BECK'SCHE VERLAGSBUCHHANDLUNG

MÜNCHEN

manuehoze
Comentario en el texto
Handbuch der lateinischen Literatur der Antike, Parte 8,Volumen 5
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§ 552. Tiberianus 263

B. Rezeption

In der Spätantike zitiert nur Fulgentius (§ 710) das Pervigilium Veneris (myth. 1 pr. p.7

Helm entspricht mit leichten Veränderungen Pervig. Yen. 19 f.); vielleicht nimmt auch

Paul. Nol. carm. 23, 1-27 auf die Schlußverse des Pervigilium Veneris in Form einer

Kontrastierung Bezug. Ungewiß bleibt, ob Dracontius das Gedicht kannte,22 doch

könnte die Partie Romul. 8, 435-439 dafür sprechen,23 da diese Stelle neben dem Per­

vig. Yen. 9-11 die einzige ist, an der eine Geburtstagsfeier für Venus erwähnt wird.

Trotz der tatsächlichen oder vermuteten Nähe mittelalterlicher Lyrik zum Pervigilium Venerisläßt sich für die Zeit zwischen der Spätantike und dem 16. Jh. Kenntnis des Ge­

dichts schwer nachweisen. Umso intensiver setzte die Rezeption nach der Erstedition

ein, zunächst in Form von Ausgaben und Übersetzungen.24 Wie bekannt das Pervigili­

um Veneris zwischen dem 17. und dem 19. Jh. war, zeigt die Tatsache, daß Jakob Balde

es in seinem lateinischen Gedicht Philomela weitgehend verwendete, in einem Ballett

,Arethuse' der Pariser Musikakademie, aufgeführt am 17.Juli 1701, der Kehrvers para­

phrasiert wird, Chateaubriand eine Kurzdarstellung bietet (Les Martyrs, Ed. 1810, Bd. 3,

92-94) und G. A. Bürger in seiner ,Nachtfeier der Venus' eine deutsche Nachdichtung

schuf. Der Höhepunkt in der Wertschätzung des Pervigilium Veneris in Walter Paters

,Marius the Epicurean' (1885) - hier gedichtet von einer todkranken Römerin aus dem

2.Jh.; Pater fügt eine ausführliche Würdigung an - markiert auch die Zuwendung des

l'art pour l'art zur Spätantike im 19. Jh. T. S. Eliot baute in seinem cento-ähnlichen Werk

,The waste Land' (1922) die erste Hälfte von v.90 (quando fiam uti ehelidon) zwischen Zi­

taten aus Dantes ,Divina Commedia' (Purg. 26, 148) bzw. aus Gerard de Nervals ,EI

Desdichado' ein.

Lit. 4: B.HoENIG, G.A.Bürgers ,Nachtfeier der Venus' und Schillers ,Triumph der Liebe' in ihrem Ver­hältnis zu dem lateinischen Pervigilium Veneris, NJPhP 150, 1894, 177-192.223-231. 321-332, hier 177-192; F.J.E.RABY, Philomela, praevia temporis amoeni, in: Melanges JGHELLINCK 2, Gembloux 1951,435-448; P.PASCAL, The conclusion ofthe Pervigilium Veneris, NPh 19,1965,1-5; A.JVAN WOLFEREN, Lentelied. Een Nederlandse bewerking van het Pervigilinm Veneris, Hermeneus 42, 1971, 238ff.; I. GUALANDRI, Problemi draconziani, RIL 108, 1974, 872-890; D.RoMANO, La genesi ed il significato del Pervigilium Veneris nella interpretazione di Walter Pater, ALGP 11-13, 1974-76, 289-295; A.THILL, La Philomela de Jacobus Balde, creation poetique dans une paraphrase neolatine, REL 58, 1980, 428-448; L. L.ALBERTSEN, Pervigilium Veneris und Nachtfeier der Venus. G. A. Bürgers Liedliste und sein lateinisches Vorbild, Arcadia 16,1981,1-12; CAMERON, a.O., 228-231.

§ 552. Tiberianus

Lit.l: Ed.: U.ZUCCARELLI, Neapel 1987 (Einl., TÜbers.Komm.); M.HAUPT, Ovidii Halieutica, Gratii et Nemesiani Cynegetica, Leipzig 1838, XXVI. 65 (Ed. prine. von carm. 4); A.HOLDER, Mittheilungen aus Handschriften, NA 1,1876,413-416, hier 415 (Ed. prine. von carm. 2 nach Hs. P, Kurzfassung von

22 Vgl. GUALANDRI (Lit.4), 876-880; Romul. 7, 18-24 erinnert nur sehr vage an Pervig. Yen. 69-74, ebenso Romul. 7,1-6 an Pervig. Yen. 90; eher ist Romul. 7, 5 mit Pervig. Yen. 35 zu ver­gleichen.

23 Von GUALANDRI nicht erwähnt. 24 Vgl. SCHILLING, XIIf.; CAMERON, 209 (bei­

de Lit.1).

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Resaltado
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264 IX. Poesie

9 Versen); E.BAEHRENs, Unedirte lateinische Gedichte, Leipzig 1877, 27ff. (Ed. princ. von ca=. 1-3 nach Hs. H); PLM BAEHRENs 3, 263-269; AL RIESE 490. 719b. 809f.; MLP, 555-569. - PLit.: ROEHLER, De Tiberiani quae ferunter fragmentis, Diss. Halle 1879; ELENZ, s. v. Tiberianus 1, RE VI A, 1936,766-777; PLRE 1,911 (s.v. Tiberianus 1 bzw.4).

A Biographie

T.: 1 Hier. chron. ab Abr. 2380 (233 HELM): Tiberianus vir disertus praeJectus praetorio Gallias regit. 2 Cod. Theod. 12, 1, 15 (vom J. 327); 12,5,1 (vom J. 325: Tiberianus als comes per Africam); 3, 5, 6 (als vicarius Hispaniarum) 3 Cod. lust. 6,1,6 (vom J. 323: als comes Hispaniarum). 4 ILT 814 (vom J. 337, aus Ain Tebemoc/Tubemuc: als praeJ. praet.).

Die Identifizierung des Dichters Tiberianus (Tiberian.) mit dem hohen Beamten C.An­nius T. (so genannt in T. 4)1 beruht allein auf der Angabe des Hieronymus vir disertus. In den Handschriften und den Zitaten bei späteren Autoren erscheint der bloße Name Ti­berian. Andererseits passen die erhaltenen Dichtungen zu einer hohen gesellschaftli­chen Stellung in der Spätantike: man vergleiche Avien (§ 557) und Naucellius (§ 620). Einen sicheren t. a. bieten Servius und Fulgentius, die Tiberian namentlich anführen, ein sehr vager t. p. könnte in einer gewissen Popularisierung des Neuplatonismus in spätkonstantinischer Zeit gefunden werden.

CAMERON (Lit. 2), 224, denkt sogar an direkten Einfluß des Porphyrios in Rom und erwägt eine Identi­fizierung des Dichters mit Iunius T., praeJectus urbi 303/304, oder dessen gleichnamigem Vater, praeJec­tus urbi 291/292, cos. 281, 291 (PLRE 1, 912, s. v. Tiberianus 7 bzw. 8). Jedenfalls weist der früheste Be­leg des nach dem 4.Jh. nicht mehr gebrauchten Namens auf 280 n.Chr. (PLRE 1,912, s.v. Tiberianus 5).2 Nicht sehr tragfahig für die Dat. ist die von SCHENKL in der Ausoniusausgabe (MGH. AA 5, 2, 1883, 303) angenommene Abhängigkeit der Oratio aus der Ephemeris des Ausonius von Tiberian. ca=. 4 (s. LENZ, 766), da es sich in beiden Gedichten um typisch hymnische Elemente oder um auch anderweitig belegte Wendungen handelt? Von der Struktur her stehen die Gebete einander freilich na­he, auch christianisiert Ausonius ganz bewußt neuplatonisch-gnostische Gedanken.

B. Das Werk

Von Tiberian sind mit Sicherheit drei Gedichte vollständig erhalten, ein viertes (carm. 3) kann ihm gehören. Carm. 1 (AL Riese 809) bietet in 20 trochäischen Tetrametern ei­ne kunstgemäße Schilderung eines loeus amoenusmit allen Elementen, die diesbezügli­che rhetorische Übungen dafür erfordem4 und die im letzten Vers resümiert sind: ales,

amnis, aura,jlos et umbra. Die mit deskriptiven Nomina arbeitende, trotz der reihenden Anordnung sehr beziehungsreich durchgeführte Schilderung wird durch die konse-

1 Zu diesem vgl. W. ENSSLIN, s. v. Tiberianus 3, RE VI A, 1936, 778f.

2 Der Statthalter von Judäa, Tiberianus, von dem Johannes Malalas, Chron. 11 im Zusam­menhang mit Trajan berichtet, ist sicher fingiert, vgl. W. SPEYER, Die literarische Fälschung im heidnischen und christlichen Altertum, München 1971, 253f.

3 Am ehesten kommen Auson. eph. 2, 5 (7 PRETE) nec mens complecti poterit nec lingua profari bzw. Tiberian. carm. 4, 3 nec numero quisquam pot­erit pensare nec aevo in Frage, doch vgl. Ps. Greg. Naz. ca=. 1, 1,29 (PG 37,507).

4 Vgl. Liban. or. 11, 200. Unter diesem Ge­sichtspunkt behandelt das Gedicht CURTIUS, 202-206 (Übers., 203).

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§ 552. Tiberianus 265

quenten Vergangenheitstempora der sparsam gesetzten Prädikate und die erst in v. 19 angedeutete Präsenz eines die Landschaft genießenden Subjekts (euntem per virecta

pulchra, odora et musica), das wohl der Dichter selbst ist, zu einer konkreten Situation.5

Trotz des gleichen Metrums bleibt der Versuch von BAEHRENS und CAMERON (Lit. 2), Tiberian das Per­vigilium Veneris (§ 551) zuzuschreiben, Hypothese, ebenso die von FORT (Lit. 2) im Anschluß daran vor­genommene Einteilung in vierzeilige Strophen.

In carm. 2 (AL Riese 719b) wird der alte popularphilosophische Gedanke der Goldver­fluchung (vgl. schon Tib. 1, 10, 7 f.) in 28 Hexametern behandelt, in Form eines Schet­liasmos, der, seiner Funktion als Antihymnus entsprechend, hymnische Struktur- und Formelemente (Anapher, Relativstil, negative Aretalogie, Bitten) enthält. Gerade in Goldschelten ist die Anapher des Zentralbegriffs üblich. Anhand mythologischer Exempel, Z.T. nach Vergil (v. 1 lehnt sich an georg. 2,137 an, v. 8 nennt Polydorus nach Aen. 3, 49-57), wird die demoralisierende Wirkung des Goldes vorgeführt und mit der Sentenz abgeschlossen: omne nefas auro tegitur, Jas proditur auro (v. 21). Im Parisinus ist das Stück anonym überliefert, im Harleianus als versus Sogratis (das ist Socratis) philoso­phi betitelt. Durch das Zeugnis des Servius, der zu Verg. Aen. 6, 136 Vers 3 als von Tibe­rian zitiert, ist die Zuschreibung gesichert. Doch kann der Angabe des Harleianus ent­nommen werden, daß es sich um eine Philosophenethopoiie handelt (s. zu carm. 4).

Von carm. 3 (AL Riese 810), anonym und nur im Harleianus überliefert, muß die Autorschaft fraglich bleiben. Es handelt in zwölf Hendekasyllaben von einem Vogel, der, obwohl von Feuchtigkeit beschwert, fliegen möchte, bei diesem Versuch zu Boden fällt und umkommt. Die moralisierende Deutung auf jene Menschen, qui ventis tumidi volant secundis (v. 12), wird mitgegeben. Das Stück ist im Epigrammstil gehalten und ge­braucht, wohl in kynischer Tradition, ein Tierexempel als Warnung, der Fortuna zu trauen. Es fügt sich inhaltlich zu carm. 2, weswegen die von Riese erwogene Autor­schaft des Luxorius (§ 788) nicht in Betracht gezogen werden muß. Sollte es sich auch hier um eine Philosophenethopoiie (Diogenes?) gehandelt haben?

Carm. 4 (AL Riese 490), das interessanteste, auch in der Überlieferung am besten be­zeugte Gedicht des Tiberian, ist in der lateinischen Literatur das älteste Beispiel eines philosophischen Hymnus im Stil des größeren Zeushymnus des Kleanthes (SVF 1, 121-124). Es weist die traditionelle Hymnenform (Epiklesen, Aretalogie, Bitten; He­xameter) auf und wendet sich an die namenlose Gottheit, den transzendenten Ursprung der Seelen und der Zeit. Tiberian spricht die Bitte um Erkenntnis von Werden und We­sen des Kosmos in eigener Person aus (v. 27 da nosse volenti). Wie die Titel in den Handschriften zeigen, versetzt er sich in Platon.6 Es liegt also, wie in carm. 2, eine

Philosophenethopoiie vor, was einer Usance späterer philosophisch-theologischer Dichtung zu entsprechen scheint: der griechische Physis-Hymnus des Mesomedes aus hadrianischer Zeit trägt den Titel TIu,say6pou? Die pythagoreischen Gedichte aus den

5 Die nächste Parallele findet sich in einem fragmentarisch erhaltenen gr. Gedicht (Tebtunis­Pap. I 1, U.V.WlLAMOWITZ-MöLLENDORFF, Ti­motheus, Leipzig 1903, 68 f., Anm. 3) und Petron. 131.

6 Versus Platonis de deo (Vat. Reg. 215) dürfte die ursprüngliche Form sein, Vind. 143 und Paris. 2772 erweitern zu Versus Platonis a quodam tybe­riano de greco in latinum translati.

7 Ed. HEITSCH (§ 542 Lit.), 26f.

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266 IX. Poesie

Eclogae des Ausonius (92-98 Prete) gehören ebenfalls zu dieser Werkgruppe. Die Got­

tesvorstellung des Hymnus kommt im wesentlichen jener des neuplatonischen Synkre­

tismus gleich, der sich stoischer und orphischer Elemente bediente.8 Dem jenseitigen

,unbekannten Gott' (v. 3. 5) steht der Himmelskosmos als zweiter Gott (v. 24 hic deus,

hic mundus) gegenüber; vgl. die Summe der sichtbaren Götter bei Plat. Tim. 40d bzw.

den gottähnlichen Kosmos bei Manil. 2, 704 und in der hermetischen Schrift Asclepius

8.31 (§ 565). Auffallig ist, daß die Hervorbringung des Kosmos, gewissermaßen eines

,Gottessohnes', mit drei annähernd synonymen Verben ausgesagt wird: creatus, genitus

Jactusve. Die beiden letzten, formal zusammengerückt, erinnern an dogmatisch brisante

Termini der Christologie gerade der Zeit des Konzils von Nicäa (325). In sprachlicher

Hinsicht orientiert sich der Hymnus an Lukrez (vgl. auch das Pontica-Fragment, § 558),

wenn auch spätlateinische Poetismen vorkommen (v. 31 congrege).

Weitere Frgg. finden sich bei Servius und Fulgentius: Servo Aen. 6, 532 erwähnt einen von Tiberian fingierten Brief der Antipoden mit der Überschrift superi inferis salutem; PLM BAEHRENS 3, 269, wollte das bei Servo Aen. 8, 96 unter dem Namen Terentianus überlieferte Zitat dem Tiberian zuweisen, worin ihm die Serviuseditoren nicht folgten. Fulg. se=. ant. 183 MÜLLER zitiert den Tiberianvers subducit ig­nes sudus ara Lucifer; Fulg. myth. 1,26 führt Tiberian im Zusammenhang mit dem Pegasus-Mythos an und erwähnt (myth. 3, 7) eine Schrift Prometheus (Gedicht? ,Tragödie' im Sinne des Orestes des Dra­contius?). Nach CAMERON (Lit. 2),223, handelt es sich um dasselbe Stück, aus dem Aug. mus. 3, 2, 3 elf Verse zitiert. Fulg. virg. cont. 154 MÜLLER nennt einen liber de Socrate, vielleicht ähnlich der Schrift De deo Socratis des Apuleius. Ob carm. 2 damit in Verbindung zu bringen ist (LENZ, 772 f), bleibt unsicher. Über Tiberian als mutmaßlichen Verfasser des Pervigilium Veneris s. § 551.

Lit. 2: Spr. und Metr. des Tiberian sind im allgemeinen klassizistisch (LENZ, 775 f), an Vulgarismen fallen auf: ein (durch das Metrum bedingter?) indirekter Fragesatz im Indikativ (carm. 2, 18) und potest fürjieri potest (carm. 1, 15, andere Deutung bei LENZ, 768).

Trad.: H.j.WILLIAMS, Observations on the manuscript tradition of Tiberianus, PACA 14, 1978, 11-14. Die Trad. stützt sich auf folgende Hss.: Harleianus 3685, s.XV (ca=. 1-3); Par. 7972, s. IX ex. (carm. 2 in Kurzfassung); Vat. Reg. 215, s.IX; Par. 2772, s.X/XI; Par. 17160, s.XII; Vind. 143, s.XIII (carm. 4). - TKrit.: H. W. GARROD, Notes on the Poetae Latini Minores, JPh 32, 1913,72-78; SHACK­LETON BAILEY, Towards a text (§ 545 Lit.), 65.70; ID., Notes (§ 546.3 Lit.), 113-132, hier 117. 124; die Konjektur zn carm. 4, 20 (paris statt premis) verstärkt die Aussage im Sinne der neuplatonischen Theo­logie (vg!. Mart. Cap. 2, 185). - Caml. 1: j. A. FORT, The Pervigilium Veneris and the Tiberiani Amnis in quatrains, CQ 14,1920,173-185; W.KILLY, Elemente der Lyrik, München 21972, 35ff, bietet, teils in Auseinandersetzung mit CURTIUS (s. Anm.4), Interpr. nnd Paralleltexte. Cann. 4: E. NORDEN, Agnostos Theos, Leipzig/Berlin 1913, 78, Anm. 1 (zum platonisierenden Inhalt). 155, Anm.l (zum hymnischen Stil); H.LEWY, A Latin hymn to the creator ascribed to Plato, HThR31, 1946,243-258 (Quellenanalyse, Komm.); H. P. ESSER, Untersuchungen zu Gebet und Gottesverehrung der Neuplato­niker, Diss. Köln 1967; T. ACOZZINo, Una preghiera gnostica pagana e 10 stile lucreziano nel IV secolo, in: Dignam dis, a G. VALLOT, Venedig 1972, 169-210 (mitunter zu weitgehende Quellen- und Stilana­lyse; die 179 geäußerte Hypothese, der Hymnus sei als Ein!. zu Ciceros Timaios-Übers. gedacht und entspreche dem Gebet des Timaios bei Platon, Tim. 29 d, ist kaum beweisbar, die versus Socratis wider­sprechen ihr eher); CAMERON (§ 551 Lit.l).

8 Dazu ist wohl die Aion-Formel "Anfang, Mitte und Ende" zu zählen (v. 7 f), die sich auch im orphischen Zeushymnus findet (Orph. Frgg. 21 a KERN) und die Plato, Nom. 4, 715 e auf "den Gott" anwendet. Auch die Zweigeschlechtigkeit

des Gottes (v. 23) begegnet im Zeushymnus so­wie in dem bei Aug. civ. 7, 9 überlieferten Juppi­terhymnus des Valerius Soranus; vgl. auch Ascle­pius 20 (§ 565).

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§ 553.1. Gebet an Oceanus 267

C. Rezeption

Tiberian wurde in der Spätantike zunächst durch christliche Kontrafaktur rezipiert. Soll­

te Ausonius in der Oratio der Ephemeris wirklich Tiberian imitiert haben, dann wäre er

der erste Zeuge für diesen Vorgang. Für das Prooemium der Aratea Aviens (§ 557) fehlt

es an wörtlichen Evozierungen; die gedanklichen Parallelen ergeben sich aus der reli­

giösen Vorstellungswelt des späten Heidentums. Möglicherweise kannte Sulpicius Lu­

percus (§ 546.4) den Tiberian (carm. 2, 7 ist ähnlich carm. 2, 8 des Lupercus). Dagegen

finden sich deutliche Spuren der Kenntnis des Tiberian in der precatio zu dem didak­

tischen Bibelepos Alethia des Marius Victorius (§ 794): in v. 21 ist der zweite Halbvers

identisch mit Tiberian. carm. 4, 21 (vgl. die bezeichnende Modifikation in v. 3 da nosse precanti gegenüber volenti bei Tiberian. carm. 4, 27). Wohl nicht zufällig wird hier Tibe­

rian neben dem Hauptbezugsautor Lukrez imitiert.9 Möglicherweise kennt auch Pru­

dentius (psych. 64 erinnert an carm. 2, 24) Tiberian. Sicher spielt Boeth. cons. 3, carm. 9,

22 auf Tiberian. carm. 4, 27 an (Kombination mit einem Zitat aus dem Sonnenhymnus

bei Mart. Cap. 2, 193). Ein Zeugnis für die Verarbeitung von carm. 2 im Frühmittelalter

findet sich in dem Co lumb an zugeschriebenen Gedicht Fidolio fratvi suo.

Lit. 3: P. F. HOVINGH, Claudius Marius Victorius, Alethia, Groningen 1955 (= CC 128, 1960, 125-193); KRoSSBERG, NJPhP 127, 1883, 771 (Tiberianus und Prudentius); NORDEN, a.O., 176, Anm.1; SMOLAK (§ 546.4 Lit.), 125-137.

§ 553.1. Gebet an Oceanus

Lit.: Ed.: G.B.PIGHI, La poesia religiosa romana, Bologna 1958, 202f. 212f (mit it. Übers.); PLM WERNSDORF 4, 314f; M.HAUPT, Opuscula 1, Leipzig 1875, 309f; PLM BAEHRENS 3, 165; AL RIESE 718. - FLit.: S.TIMPANARO, Note all' Anthologia Latina, Maia 15,1963, 391ff; VERDIERE (§ 555 Lit.1); SHACKLETON BAILEY, Notes (§ 546.3 Lit.) , 124.

Das allein im Par. Lat. 13026, s.IX, überlieferte Gebet - neben Orph. hym. 83 das einzige erhaltene an diese Gottheit - hat mit 28 Hexametern den durchschnittlichen Umfang eines Hymnus, dem es auch formal entspricht (Epiklesen, Aretalogie, Bitte). Es preist Oceanus im homerischen Sinn als Vater jegli­chen Gewässers (vgl. H.HERTER, s.v. Okeanos, mythisch, REXVII 2, 1937, 2311ff), dehnt dessen Machtbereich, hellenistischem Pantheismus folgend, aber geschickt auf die beiden anderen Bereiche des Kosmos aus (v. 2 tu legem tenis ... signas; v. 6 te potant nubes; v. 12 si mare, si taras caelu111 mundum­que gubernas; 1 v. 14 alme pa rens raum, nach Il. 14, 246). Im Sinn popularstoischer, selbst von den Chri­sten übernommener Auffassung bittet der Verfasser als ein "Teil des Alls" (vgl. Aug. conf 1, 1, 1) in v.13 um Errettung vor der feindlichen Ananke (v. 17 sortisfera iussa), die sich in den Gefahren des Meeres konkretisiert, und stellt ein Dankopfer in Aussicht. Vom Text nicht gedeckt ist die Ansicht PIGHIS, die Schiffahrt gebe hier ein Symbol für den Lebensweg ab. Das Gebet wird bei SCHANZ 3, 52, wegen seiner heidnischen Vorstellungen ins 3.Jh. datiert; PIGHI, 201, stellt falschlich einen themati­schen Bezug zu Nemesian her, dessen Halieutica er als gegeben annimmt (s. aber § 555). VERDIERE, 23-27, mächte sogar in dem Gebet das Prooemium zu Nemesians Nautica erkennen. Eine sprachliche Parallele - in v. 2 camp/ectens omnia gy ra - zu Sedul. carm. pasch. 2, 65 beruht auf einer Konjektur HUE-

9 V gl. K SMOLAK, Unentdeckte Lukrezspuren, WS 86, 1973,216-239, hier 236f.

1 Zu der Formulierung und inhaltlichen Par­allelen s. K SMOLAK, Der dreifache Zusammen­klang, WS 84,1971,180-194.