vorgelegt von
Reena Maria Simone Viegas,
aus Heidelberg
Der Medizinischen Fakultät
der Friedrich-Alexander-Universität
Erlangen-Nürnberg
zur
Erlangung des Doktorgrades Dr. med.
Untersuchung zur Reliabilität und Validität
eines neu entwickelten Leistungstests zur
Erfassung fundamentaler Alltagsaktivitäten von
Demenzkranken im Pflegeheim
Als Dissertation genehmigt von der
Medizinischen Fakultät der Friedrich-Alexander-Universität
Erlangen-Nürnberg
Vorsitzender des Promotionsorgans: Prof. Dr. Dr. h.c. J. Schüttler
Gutachter: Prof. Dr. E. Gräßel
Gutachter: PD Dr. C. Donath
Tag der mündlichen Prüfung: 10. Dezember 2013
Inhaltsverzeichnis 1 Zusammenfassung .................................................................................................... 1
2 Summary ................................................................................................................... 3
3 Einleitung .................................................................................................................. 4
3.1 Epidemiologie ......................................................................................................... 4
3.2 Demenzdiagnostik ................................................................................................... 5
3.3 Zielsetzung .............................................................................................................. 9
4 Probanden und Methoden ..................................................................................... 10
4.1 Patientenrekrutierung ............................................................................................ 10
4.2 Patienten ................................................................................................................ 11
4.3 Der Erlangen Test of Activities of Daily Living (E-ADL-Test) ........................... 13
4.4 Skalen und Tests zur Validierung ......................................................................... 14
4.4.1 Global Deterioration Scale (GDS) ..................................................................... 14
4.4.2 Mini-Mental Status Test (MMST) ..................................................................... 15
4.4.3 Nurses’ Observation Scale for Geriatric Patients (NOSGER) ........................... 17
4.5 Statistische Verfahren ........................................................................................... 18
5 Ergebnisse ............................................................................................................... 19
5.1 Dauer der Testdurchführung ................................................................................. 19
5.2 Interindividuelle Variabilität ................................................................................. 19
5.3 Reliabilität ............................................................................................................. 22
5.4 Validität ................................................................................................................. 23
5.5 E-ADL-Test-Leistungen und Schweregrad der Demenz ...................................... 25
6 Diskussion ............................................................................................................... 26
7 Literaturverzeichnis ............................................................................................... 31
8 Abkürzungsverzeichnis ......................................................................................... 37
9 Tabellenverzeichnis ................................................................................................ 38
10 Abbildungsverzeichnis ......................................................................................... 39
11 Verzeichnis der Vorveröffentlichungen ............................................................. 40
12 Anhang .................................................................................................................. 41
12.1 E-ADL-Test......................................................................................................... 41
12.2 E-ADL-Test: Beschreibung, Durchführung und Bewertung .............................. 44
1
1 Zusammenfassung
Hintergrund und Ziele: Das Fortschreiten einer demenziellen Erkrankung führt zum
zunehmenden Verlust der Selbständigkeit der Betroffenen und damit zu einem
vermehrten Pflegeaufwand. Zur Erfassung der Einschränkung der Selbständigkeit
existieren diverse Fremdbeurteilungsskalen. Diese sind jedoch an eine betreuende
Bezugsperson geknüpft, die Auskunft über die Fähigkeiten des Betroffenen geben
kann. Dadurch sind die Ergebnisse immer durch die persönliche Einschätzung der
Bezugsperson subjektiv geprägt. In der vorliegenden Studie soll mit dem Erlangen
Test of Activities of Daily Living (E-ADL-Test) ein unabhängiges Testverfahren
eingeführt werden, mit dem die Leistungsfähigkeit eines Demenzkranken objektiv und
ohne persönliche Beziehung zum Patienten evaluiert werden kann.
Methoden: Der E-ADL-Test besteht aus fünf Einzelaufgaben, die jeweils einen
komplexen Handlungsablauf des täglichen Lebens abdecken: Einschenken eines
Getränks, Schneiden von Brot, Öffnen eines Schränkchens, Waschen der Hände und
Binden einer Schleife. Jede Einzelaufgabe wird mit 0–6 Punkten bewertet, insgesamt
können 30 Punkte erreicht werden. Zur Bestimmung der Test-Retest-Reliabilität
wurden zwei Messungen im Abstand von 14 Tagen durchgeführt. Die
Konstruktvalidität wurde durch Vergleiche mit der Global Deterioration Scale (GDS),
dem Mini-Mental Status Test (MMST) und der Nurses’ Observation Scale for Geriatric
Patients (NOSGER) ermittelt. Das Ausmaß der Korrelation wurde über den Spearman-
Rangkorrelationskoeffizient (rS) bestimmt.
An der Validierungsstudie nahmen 46 Bewohner zweier Erlanger Pflegeheime teil. Die
42 Frauen und 4 Männer waren im Durchschnitt 85,9 Jahre alt (Standardabweichung:
6,6 Jahre). Bei jeder dieser Person war zuvor ein Demenzsyndrom klinisch gesichert
worden.
Ergebnisse: Der E-ADL-Test zeigte sich insbesondere bei mittelschwerer und
schwerer Demenz als geeignetes Instrument zur interindividuellen Differenzierung der
alltagspraktischen Fähigkeiten der Demenzkranken. Für die interne Konsistenz
resultierte ein Cronbach Alpha-Wert von 0,77. Die Test-Retest-Werte nach 14 Tagen
korrelierten mit einem rS = 0,73. Die E-ADL Testergebnisse korrelierten mit
Ergebnissen der GDS (rS = -0,47), der NOSGER (rS = -0,60) und dem MMST (rS =
0,72).
2
Schlussfolgerungen: Mit dem E-ADL-Test liegt ein leicht handhabbarer, reliabler und
valider Leistungstest zur Messung von Aktivitäten des täglichen Lebens vor. Er wird
von Demenzkranken gut akzeptiert und kann insbesondere in mittelschweren bis
schweren Stadien eingesetzt werden.
3
2 Summary
Background: The progression of dementia leads to continuous loss of the affected
patient’s autonomy and to increased effort in patient care. A diversity of external
assessment scales is available for the purpose of determining the limitations of the
autonomy. These, however, require a caregiver, qualified to provide information on the
test subject’s abilities. Thus, the test results are always subjectively affected by the
caregiver’s personal assessment. The present study intends to introduce the Erlangen
Test of Activities of Daily Living (E-ADL-Test), an independent testing procedure
allowing an objective evaluation of the demented patient’s performance without prior
familiarity of the patient.
Method: The E-ADL-Test consists of five items, each corresponding to a complex
sequence of everyday life activities: pouring a drink, cutting a piece of bread, opening a
small cupboard, washing hands and tying a bow. Each test item was rated on a scale
from 0 to 6, a total maximum of 30 points can be reached. To determine test-retest
reliability each assessment was repeated at two-weekly intervals. The Global
Deterioration Scale (GDS), Mini-Mental State Examination (MMSE) and Nurses’
Observation Scale for Geriatric Patients (NOSGER) were used to assess construct
validity. Spearman’s rank correlation coefficient (rs) was applied in order to determine
the power of correlation. 46 residents from two nursing homes in Erlangen took part in
this validation study. The average age of the 42 women and 4 men was 85.9 years
(standard deviation: 6.6 years). Every participant had been clinically diagnosed with
dementia.
Results: The E-ADL-Test revealed good inter-individual differentiation ability of the
dementia patient’s skills performing ADL, particularly in cases of moderate to severe
dementia. The resulting Cronbach’s α value for internal consistency was 0.77. Test
results after 14 days correlated with rS = 0.73. The E-ADL results correlated with GDS
(rS = -0.47), NOSGER (rS = -0.60) and MMSE (rS = 0.72) scores.
Conclusions: The E-ADL-Test is a reliable and valid performance test with easy
handling for measuring activities of daily living. It displays a high level of acceptance
and is especially useful for testing subjects with moderate to severe dementia.
4
3 Einleitung
3.1 Epidemiologie
Demenz ist eine die Betroffenen und ihre Angehörigen schwer beeinträchtigende
Erkrankung, deren Bedeutung aktuell weltweit zunimmt. Nach den Ergebnissen einer
international angelegten Delphi-Studie aus dem Jahr 2005 leiden derzeit weltweit
schätzungsweise 24,3 Millionen Menschen an einer Demenz (Ferri et al. 2005). Jedes
Jahr kommen 4,6 Millionen neue Demenzfälle hinzu. Dies entspricht einer
Neuerkrankung alle sieben Sekunden. Unter der Voraussetzung, dass sich in Zukunft
weder die Prävention noch die kurative Therapie relevant weiterentwickelt, ist davon
auszugehen, dass sich die Anzahl der Erkrankungen weltweit alle zwanzig Jahre
verdoppeln wird. Somit ist im Jahr 2020 ein Anstieg auf 42,3 Millionen Erkrankungen
und im Jahr 2040 auf 81,1 Millionen zu erwarten. Im Jahr 2001 lebten 60,1 % der
demenzkranken Personen in Entwicklungsländern. Ihr Anteil wird auf 71,2 % im Jahr
2040 steigen. Die Zahl der Erkrankten in den Industrieländern soll sich zwischen 2001
und 2040 verdoppeln. In Indien, China und deren südasiatischen und westpazifischen
Nachbarländern erwartet man eine Vervierfachung des Anstieges.
Ferri et al. (2005) berichteten bei einer jährlichen Neuerkrankungsrate von 0,75 % über
eine weltweite Prävalenz von 3,9 % in der Altersgruppe der über 60-Jährigen. Für
Westeuropa reichen die berechneten Prävalenzraten der Demenz in der Gruppe der 65-
bis 69-Jährigen von 0,6 %–3,7 %. Diese Rate steigt in der Altersgruppe der über 90-
Jährigen auf 25,2 %–75,0 % (Rieder-Heller et al. 2006).
In Deutschland liegen die gemittelten Prävalenzraten unter den 65- bis 69-Jährigen bei
1,2 % (Bickel 2002). Unter den 70–74-Jährigen steigt die Rate auf 2,8 %, bei den 75-
bis 79-Jährigen auf 6 %. Im Alterskollektiv der 80- bis 84-Jährigen liegt die Prävalenz
bei 13,3 % und bei den 85- bis 89-Jährigen bei 23,9 %. In der Altersgruppe der über
90-Jährigen steigt die gemittelte Prävalenzrate auf 34,6 %. Somit wurden für
Deutschland im Jahr 2002 zwischen 0,8 und 1,1 Millionen an Demenz erkrankte
Patienten geschätzt. Eine auf die deutsche Bevölkerung standardisierte
Gesamtprävalenzrate beläuft sich im Mittel auf 7,2 % in der Gruppe der über 65-
Jährigen (Bickel 2002). Die Gesamtrate der jährlichen Neuerkrankungen, bezogen auf
die 65-Jährigen und Älteren liegt in Deutschland für die mittelschweren und schweren
5
Stadien bei 1,2 % und unter Einschluss sehr leichter Stadien bei 3,2 % (Bickel 2000).
Nach Bickel (2000) beträgt die jährliche Inzidenz in der Altersgruppe der 65- bis 69-
Jährigen 0,4 %. Bei den über 90-Jährigen steigt diese auf 10,1 %. Die absolute Zahl der
Neuerkrankungen bei den 65-Jährigen und Älteren wird auf 190.000 bis 230.000 pro
Jahr geschätzt. Bezieht man sehr leichte Erkrankungen mit ein, muss sogar von einer
Gesamtzahl von weit über 300.000 ausgegangen werden (Bickel 2000).
In den fortgeschrittenen Krankheitsstadien besteht bei den Betroffenen ein Pflegebedarf
(Bickel 2002). Der progrediente Krankheitsverlauf führt zum sukzessiven Verlust der
Selbstständigkeit. Während die Pflege in Frühstadien häufig noch durch Angehörige
gewährleistet werden kann, steigen mit dem Fortschreiten der Demenz auch die
Belastungen für die Angehörigen. Daher müssen jährlich etwa ein Viertel der in
Privathaushalten betreuten Patienten drei bis vier Jahre nach Diagnosestellung in einem
Heim untergebracht werden (Heyman et al. 1997).
Nach Bickel (1995) ist in mehr als 50 % der Fälle eine demenzielle Erkrankung
Ursache für eine Aufnahme in ein Alterspflegeheim. Sowohl bei Pflegeheim-
Neuzugängen als auch bei Bewohnern, die bereits seit vier Jahren in
Alterspflegeheimen wohnen, sind mehr als die Hälfte von einer mittelschweren oder
schweren Demenz betroffen (Weyerer et al. 2000).
Längsschnittstudien implizieren, dass eine Demenz bereits zum heutigen Zeitpunkt für
mindestens 40 % aller Langzeitpflegefälle verantwortlich ist (Bickel 1996, Agüero-
Torres et al. 1998).
Die epidemiologische Datenlage verdeutlicht eindrucksvoll, dass die Demenz eine auch
volkswirtschaftlich bedeutsame Erkrankung ist. In Anbetracht der zu erwartenden
Zunahme von Erkrankungen in der Zukunft wird die Demenz eine große
Herausforderung für die medizinischen und sozialen Versorgungssysteme darstellen.
3.2 Demenzdiagnostik
Zur Diagnose einer Demenzerkrankung existieren anerkannte Leitlinien. Dabei sind
eine genaue Anamnese und Fremdanamnese unverzichtbar. Außerdem bedarf es einer
kompetenten neurologischen und psychiatrischen Beurteilung sowie einer
differenzierten neuropsychologischen Diagnostik. Auch Laboruntersuchungen zur
Ausschlussdiagnostik und zerebrale Bildgebungsverfahren sind von zentraler
Bedeutung (DGN/DGPPN 2009).
6
Zu den Kernsymptomen der Demenz zählen nach der Internationalen statistischen
Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (engl.
International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems, ICD-
10) die Störung des Gedächtnisses, insbesondere des Kurzzeitgedächtnisses und des
Denkvermögens. Zudem kommt es zur Beeinträchtigung weiterer kortikaler Funktionen
(z. B. zur Verminderung des Urteilsvermögens, des Ideenflusses, der Rechenfähigkeit
und der Sprache).
Begleitet wird die kognitive Beeinträchtigung meist von einer Verschlechterung der
Affektkontrolle, des Sozialverhaltens oder des Antriebs. Das Bewusstsein selbst ist
nicht qualitativ gestört.
Mit dem Fortschreiten der Erkrankung werden die Aktivitäten des täglichen Lebens,
wie Waschen, Anziehen, Essen, Körperpflege und Toilettenbenutzung zunehmend
beeinträchtigt. Zur Unterscheidung von reversiblen depressiven Episoden bzw.
deliranten Zustandsbildern müssen die Symptome mindestens sechs Monate lang
andauern (WHO 1999).
Die Leitlinien fordern eine neuropsychologische Demenzdiagnostik. Psychometrische
Testverfahren erfüllen diese Funktion. Das Ziel dieser Tests ist es, tatsächliche
kognitive Störungen nachzuweisen. Darüber hinaus dienen sie der
Schweregradeinteilung, der Verlaufsbeobachtung und der Differentialdiagnostik
(Ivemeyer und Zerfaß 2006, Seite 19).
Der weltweit am häufigsten benutzte Test für das kognitive Screening des
Demenzsyndroms ist der Mini-Mental Status Test (MMST, Folstein et al. 1975). Er
wird in Kliniken und Praxen, aber auch in großen Medikamentenstudien eingesetzt. Der
MMST prüft die zeitliche und örtliche Orientierung, überdies die Merk- und
Erinnerungsfähigkeit, die Aufmerksamkeit und Flexibilität, die Sprache, die Fähigkeit
Anweisungen zu befolgen sowie das Lesen, Schreiben und Nachzeichnen. Der MMST
erlaubt die Differenzierung zwischen kognitiv gesunden und beeinträchtigten
Menschen.
Zusätzlich zur kognitiven Beeinträchtigung wird in den diagnostischen Leitlinien für
eine Demenz eine Beeinträchtigung der Aktivitäten des täglichen Lebens gefordert.
Ivemeyer und Zerfaß (2006, Seite 141) postulieren, dass dieser Parameter von größerer
praktischer Relevanz ist als die reine Beeinträchtigung der kognitiven Funktion. Dies
betrifft nicht nur das subjektive Empfinden des Patienten, sondern auch die Beurteilung
7
des Krankheitsverlaufes sowie den Erfolg etwaiger Therapien.
Die Überprüfung dieser Beeinträchtigung liefert Information darüber, in welchem
Ausmaß die Selbständigkeit des Patienten herabgesetzt ist. Hieraus lässt sich wiederum
ableiten, in welchem Umfang äußere Hilfe durch Angehörige oder Pflegepersonal
notwendig ist. Die quantitative Beurteilung der individuellen Stärken und Schwächen
des Patienten dient als Basis für gezielte therapeutische Maßnahmen, mit denen der
Patient gefördert werden kann (Ivemeyer und Zerfaß 2006, Seite 141).
Daher legen die Leitlinien nahe, dass neben einer kognitiven Testung immer eine
Beurteilung der Selbstständigkeit im Alltag zu erfolgen hat.
Generell unterscheidet man zwei Kategorien der Aktivitäten des täglichen Lebens.
Unter die fundamentalen Aktivitäten des täglichen Lebens (Activities of Daily Living,
ADL) fallen die selbstständige Nahrungsaufnahme, das Durchführen der
Körperhygiene sowie Toilettenbenutzung und eigenständiges Gehen. Die
instrumentellen Aktivitäten des täglichen Lebens (Instrumental Activities of Daily
Living, IADL) beinhalten komplexere Tätigkeiten. Hierunter fallen beispielsweise das
Benutzen eines Telefons und das Bedienen von anderen Geräten, das Zubereiten von
Speisen und die selbständige Haushaltsführung. Im Verlauf einer demenziellen
Entwicklung bereiten zuerst die IADL Schwierigkeiten (Ivemeyer und Zerfaß 2006,
Seite 141).
Zur Erfassung der ADL dienen standardisierte Beurteilungsverfahren, sogenannte
Skalen („Fragebogentests”). Man unterscheidet Selbst- und Fremdbeurteilungsskalen.
Gängige Fremdbeurteilungsskalen sind z. B. der Barthel-Index (Mahoney und Barthel
1965) und die Bayer-ADL-Skala (Hindmarch et al. 1998).
Der Barthel-Index ist das am häufigsten verwendete Verfahren. Er umfasst die
Beurteilung von zehn Funktionen. Diese Funktionen sind Essen, Bett- bzw.
Rollstuhltransfer, Waschen, Toilettenbenutzung, Baden, Gehen auf Flurebene bzw.
Rollstuhlfahren, Treppensteigen, An- und Auskleiden sowie die Kontrolle von Miktion
und Defäkation. Diese ADL-Skala dient im Allgemeinen zur Erfassung von
Basisfunktionen und zur Abschätzung des Bedarfs an pflegerischer Hilfe (Ivemeyer
und Zerfaß 2006, Seite 148–149).
Die Bayer-ADL-Skala erfasst ebenfalls alltägliche Aktivitäten, legt aber besonderes
Augenmerk auf Veränderungen, die als Frühsymptome einer Demenz interpretiert
werden können. Die vornehmliche Zielgruppe sind zu Hause lebende ältere Menschen,
8
die unter leichter bis mittelschwerer Demenz leiden. Die Skala besteht aus insgesamt
25 Fragen, die verschiedene Bereiche des Alltagslebens abdecken (Ivemeyer und
Zerfaß 2006, Seite 153–154). Zur Darstellung schwerer Beeinträchtigungen ist die
Bayer-ADL-Skala nicht geeignet.
Die Bayer-ADL-Skala wurde primär als Fremdbeurteilungsskala konzipiert. Sie wird
daher von dem pflegenden Angehörigen oder einer Person mit ausreichendem Einblick
in die Lebenssituation des Betroffenen ausgefüllt. Mittlerweile existiert auch eine
Version als Selbsteinschätzungsskala. In diesem Fall ist die Skala nur für maximal
leicht demente Personen geeignet. Eine Selbstbeurteilung der ADL ist ab mittleren
Demenzstadien wegen des durch die Krankheit eingeschränkten Urteilsvermögens
nicht mehr möglich.
Die Fremdbeurteilungsskala hat gegenüber Leistungstests entscheidende Nachteile. Die
beurteilende Person muss den Patienten genau kennen. Es besteht die Gefahr, dass sie
subjektive Angaben über den Patienten macht. Beispielsweise können Angehörige dem
kognitiv Beeinträchtigten bestimmte Fähigkeiten zugestehen, die seinen wirklichen
Fähigkeiten nicht entsprechen (Skurla et al. 1988). Zu den Hauptgütekriterien eines
Testes gehört jedoch seine Objektivität (Lienert und Raatz 1994, Seite 7).
Da bei Fremdbeurteilungsverfahren der Beurteilende den Patienten gut kennen muss,
ist auch die Wahrscheinlichkeit groß, dass er über die Behandlungsart informiert ist.
Eine Verblindung der Person, die die Fremdbeurteilung vornimmt, ist speziell bei
nicht-medikamentösen Therapieverfahren nicht durchführbar. Nach Weyers und Bock
(1997, Seite 8) wird aber die Unkenntnis der Therapiegruppe für eine Vermeidung
eines Untersucherbias vorausgesetzt.
Im Gegensatz zu Fremdbeurteilungsskalen bieten Leistungstests den Vorteil, dass sie
objektive Ergebnisse liefern und der Durchführende keine fallbezogenen Vorkenntnisse
benötigt (Skurla et al. 1988). Ein derartiger Test kann daher auch von Nicht-
Bezugspersonen durchgeführt werden.
Aktuell sind bereits einige funktionelle Leistungstests etabliert. Der Eurotest (Carnero-
Pardo et al. 2006) untersucht beispielsweise demenzkranke Patienten auf ihren Umgang
mit Geld. Der DAFA-Test (Direct Assessment of Functional Abilities, Karagiozis et al.
1998) bewertet die Fähigkeit der Patienten in Lebensbereichen wie Einkaufen und
Kochen. Die evaluierten Aktivitäten beider Tests gehören in den Bereich der IADL.
Leistungstests, welche die ADL suffizient testen, existieren nicht. Für Patienten in
9
Pflegeheimen mit häufig fortgeschrittener Demenz sind aber Fähigkeiten aus dem
Bereich der IADL irrelevant, da der Umgang mit Geld und Fähigkeiten, wie Einkaufen
und Kochen, für autonomes Verhalten im Pflegeheim kaum mehr bedeutsam sind. In
einer betreuten Umgebung sind Tätigkeiten, wie das Öffnen eines Schranks und das
Füllen eines Glases von Interesse, um die Selbstständigkeit des Patienten zu definieren
und den Pflegebedarf abzuschätzen. Der PADL-Test (Performance Test of Activities of
Daily Living, Kuriansky und Gurland 1976) konzentriert sich zwar auf die
Grundmotorik, indem er die Fähigkeiten, wie Kämmen oder das Heben einer Tasse,
analysiert, erfasst jedoch keine Handlungsprozesse. Die dafür notwendige Koordination
von Einzelhandlungen definiert jedoch maßgeblich das selbstständige Handeln im
Alltag. Deshalb wird der PADL-Test zur Abbildung des ADL-Bereichs als nicht
ausreichend erachtet (Skurla et al. 1988).
3.3 Zielsetzung
Zielsetzung der vorliegenden Studie war die Entwicklung eines ADL-Leistungstests
(Erlangen Test of Activities of Daily Living, E-ADL-Test), der relevante
Autonomiebereiche der Alltagsaktivität von Demenzkranken im Pflegeheim valide und
reliabel abbildet. Darüber hinaus soll dieser Test folgende Anforderungen erfüllen:
interindividuelle Differenzierbarkeit,
Veränderungssensitivität,
ökonomische Handhabbarkeit und
Akzeptanz durch den Demenzkranken.
10
4 Probanden und Methoden
4.1 Patientenrekrutierung
Die Vorgehensweise bei der Patientenrekrutierung einschließlich der schriftlichen
Einverständniserklärung der Patienten wurde von der Ethikkommission der
Medizinischen Fakultät der Universität Erlangen-Nürnberg geprüft und angenommen
(Nr. 3232).
Für die Studie wurden Demenzpatienten aus zwei Pflegeheimen in Erlangen (Bayern)
gewonnen: aus dem Seniorenstift des Diakonischen Werkes „Am Ohmplatz“ und aus
dem „AWO-Sozialzentrum Erlangen“. Beide Einrichtungen verfügen über einen
abgegrenzten Pflegebereich. In dem Pflegeheim „Am Ohmplatz“ lebten zum Zeitpunkt
der Untersuchung 69 Bewohner, im „AWO-Sozialzentrum“ 154 Bewohner (siehe Abb.
1). Die Heimleitungen wurden gebeten, mit Hilfe des Pflegepersonals Personen zu
identifizieren, bei denen Verdacht auf eine kognitive Leistungsminderung besteht. Als
Einschlusskriterien mussten die Probanden ein grundlegendes Maß an
Kommunikationsfähigkeiten (Hör-, Seh- und Sprechfähigkeit) und an Mobilität
besitzen, da dies technische Voraussetzungen für die Durchführung des entwickelten E-
ADL-Tests sind. Zudem durften die Patienten keine überlagernden psychiatrischen
Erkrankungen aufweisen (siehe Abb. 1).
Von den 70 aus Sicht des Pflegepersonals infrage kommenden Personen willigten 51
ein, an der Studie teilzunehmen. In dieser Gruppe wurde die Diagnose Demenz in 46
Fällen anhand der ICD-10-Kriterien auf einem schriftlichen Vordruck abgefragt und
vom behandelnden Hausarzt bestätigt. Keine dieser Demenzpatienten lehnte die
Testung ab oder konnte aufgrund einer akute Erkrankung nicht teilnehmen. Diese 46
Patienten bilden die untersuchte Stichprobe.
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Abbildung 1: Flussdiagramm der Probandenrekrutierung
4.2 Patienten
Von den 46 untersuchten Demenzpatienten waren 42 weiblich (91 %) und vier
männlich (9 %). Das durchschnittliche Alter betrug 85,9 Jahre (Standardabweichung (s)
6,6 Jahre). Die jüngste untersuchte Person war 68 Jahre alt, die älteste 100 Jahre. Die
Verteilung der Alterswerte wich nicht signifikant von der Normalverteilung ab (p =
0,77).
Der Schweregrad der Demenz nach der Global Deterioration Scale (GDS) verteilte sich
wie folgt:
GDS = 3 (geringe kognitive Leistungseinbußen): 15 Heimbewohner (33 %),
12
GDS = 4 (mäßige kognitive Leistungseinbußen): 10 Heimbewohner (22 %),
GDS = 5 (mittelschwere kognitive Leistungseinbußen): 14 Heimbewohner (30 %),
GDS = 6 (schwere kognitive Leistungseinbußen): 7 Heimbewohner (15 %).
Der Schweregrad der kognitiven Beeinträchtigung, gemessen mit dem MMST, war
ebenfalls annähernd normal verteilt (p = 0,75). Die MMST-Werte streuten zwischen 1
und 28 Punkten, bei einem Mittelwert von 16,0 mit einer Standardabweichung von 6,1
(siehe Abb. 2). Die Heimbewohner zeigten in allen sechs Dimensionen der Nurses’
Observation Scale for Geriatric Patients (NOSGER) Beeinträchtigungen. Die größte
durchschnittliche Beeinträchtigung mit dem Wert 19,0 (s = 5,7) wurde bei der
Dimension „instrumentelle Aktivitäten des täglichen Lebens IADL“ festgestellt, gefolgt
von „Gedächtnis“ 16,0 (s = 4,9), „Sozialverhalten“ 15,4 (s = 4,3), „Stimmung“ 12,2 (s
= 3,4), „Aktivitäten des täglichen Lebens ADL“ 11,9 (s = 4,3) und „störendes
Verhalten” 10,2 (s = 3,3).
Abbildung 2: MMST-Werte der 46 Demenzpatienten
13
4.3 Der Erlangen Test of Activities of Daily Living (E-
ADL-Test)
Der E-ADL-Test (siehe Kap. 12.1) ist als Leistungstest im Rahmen der
Demenzdiagnostik konzipiert. Mit seiner Hilfe soll quantifiziert werden, inwieweit
Demenzpatienten grundlegende pflegerelevante und alltagspraktische Fähigkeiten unter
standardisierten Bedingungen durchführen können. Der Test soll im Pflegeheim
einsetzbar sein und für die dortigen Lebensumstände aussagefähige Ergebnisse liefern.
Der Test besteht aus fünf Einzelaufgaben (Items):
Item 1: Einschenken eines Getränkes
Item 2: Schneiden von Brot
Item 3: Öffnen eines Schränkchens
Item 4: Waschen der Hände
Item 5: Binden einer Schleife.
Gewisse körperliche Beeinträchtigungen erschweren die technische Durchführung des
E-ADL-Tests. Hierzu gehören ein stark eingeschränktes Sehvermögen (auch mit
Brille), ein stark eingeschränktes Hörvermögen (auch mit Hörgerät) sowie krankhafte
Veränderungen der oberen Extremitäten (z. B. Tremor oder Paresen der Hände),
welche die Fähigkeit zum Greifen deutlich beeinträchtigen. Diese Einschränkungen
führen zu einer Verschlechterung des Testresultates ohne demenzassoziierte Ursache.
Bei Vorhandensein derartiger Störungen wurde der E-ADL-Test daher als nicht
geeignet erachtet, die betroffenen Patienten wurden aus der Studie ausgeschlossen.
In einer umfangreichen Erprobungsserie wurden die fünf Items des E-ADL-Tests als
die praktikabelsten Einzelaufgaben ermittelt. Ihre Teilschritte wurden analysiert und
ein Bewertungsschema in Abhängigkeit von den beobachteten Fehlern erarbeitet. Die
Bewertung erfolgt in Punkten für jeden Teilschritt eines Items. Die Bewertung der
Teilleistungen erfolgt in Abhängigkeit des Grads der korrekten Durchführung. Die
Punkte für jeden Teilschritt werden addiert, so dass sich für jedes Item eine Spannweite
von 0–6 Punkten ergibt. Sechs Punkte entsprechen einer kompletten, fehlerfreien
Leistung. 0 Punkte zeigen an, dass der Proband das Item gänzlich nicht bewältigen
kann. Das Gesamtergebnis wird ermittelt, indem wiederum die Punktwerte der
einzelnen Items addiert werden. Die Spannweite des Summenwertes reicht daher von 0
14
bis 30 Punkten. Je größer der Summenwert, desto besser sind die alltagspraktischen
Fähigkeiten (ADL-Leistung) des Demenzkranken. Die Analyse der Einzelaufgaben
liefert Hinweise darüber, in welchen Bereichen Defizite in den ADL bestehen.
Im dem beigefügten „Dokumentationsbogen des E-ADL-Tests: Beschreibung,
Durchführung und Bewertung“ sind Durchführung und Bewertung des E-ADL-Tests in
allen Einzelschritten beschrieben (siehe Kap. 12.2).
4.4 Skalen und Tests zur Validierung
Da aktuell kein etablierter Leistungstest zur Messung der Alltagsaktivitäten für
Demenzkranke verfügbar ist, der auch pflegerelevante Aspekte der Alltagsaktivitäten
im Pflegeheim abbildet, konnte keine direkte Untersuchung zur
Übereinstimmungsvalidität durchgeführt werden.
Die Korrelation des E-ADL-Test-Summenwertes mit dem Schweregrad der Demenz
(GDS und MMST) und den pflegerelevanten Störungsbereichen (NOSGER) liefern
Aussagen zur Konstruktvalidität.
4.4.1 Global Deterioration Scale (GDS)
Die GDS wurde zur Schweregradbestimmung der Demenz bei älteren Menschen
entwickelt (Reisberg et al. 1982; deutschsprachige Fassung: Ihl und Fröhlich 1991,
Seite 1–18). Hierbei wird im Fremdbeurteilungsverfahren der Schweregrad der
Demenz in einer siebenstufigen Skala erfasst. Die kognitive Leistungseinschränkung
reicht von GDS 1 (keine kognitive Leistungseinbußen) bis GDS 7 (sehr schwere
kognitive Leistungseinbußen) (siehe Tab. 1; Ivemeyer und Zerfaß 2006, Seite 145). Die
umfassende Demenzbeurteilung durch die GDS korreliert in vielen Bereichen
ausgezeichnet mit einer Reihe anderer kognitiver Leistungsmessungen. Kessler et al.
(1991a, Seite 1–10) untersuchten dies an einem Kollektiv von 106 hirngesunden und 96
dementen Probanden. Es ließ sich eine hohe Korrelation der GDS beispielsweise mit
Aufgaben zur räumlichen Orientierung (Pearson-Korrelationskoeffizient rp = -0,82),
verbalem Fluss (rp = -0,63) oder Gedächtnisleistung (rp = -0,70) nachweisen. Kessler et
al. (1991b) geben eine Korrelation von rp = -0,86 zwischen der GDS und der deutschen
Version des MMST an. Darüber hinaus wurde von Mavioglu et al. (2006) eine
hochsignifikante Korrelation (rp = 0,72) zu der kognitiven Subskala einer türkischen
Version der Alzheimer Disease Assessment Scale (ADAS-cog; Rosen et al. 1984)
15
detektiert.
Tabelle 1: Demenz-Staging nach der Global Deterioration Scale (GDS)
GDS-Stadium Ausmaß der kognitiven Beeinträchtigung
1 Keine kognitiven Leistungseinbußen (auch nicht subjektiv)
2 Zweifelhafte kognitive Leistungseinbußen (nur subjektiv)
3 Geringe kognitive Leistungseinbußen
4 Mäßige kognitive Leistungseinbußen
5 Mittelschwere kognitive Leistungseinbußen
6 Schwere kognitive Leistungseinbußen
7 Sehr schwere kognitive Leistungseinbußen
4.4.2 Mini-Mental Status Test (MMST)
Der MMST (Folstein et al. 1975; deutschsprachige Fassung: Kessler et al. (1990, Seite
1–6) ist das weltweit am häufigsten verwendete Instrument zum Demenz-Screening
und zur Einteilung des Schweregrades der Demenz. Der Leistungstest besteht aus fünf
Teilbereichen, in denen elf kognitive Fähigkeiten erfasst werden:
zeitliche und räumliche Orientierung,
Merkfähigkeit,
Aufmerksamkeit und Rechnen,
Erinnerungsfähigkeit (Kurzzeitgedächtnis),
Sprache,
Ausführung einer Anweisung,
Lesen und Schreiben
konstruktive Praxie
Die Teilleistungen werden mit Punkten bewertet. Die Spannweite reicht von 0–30
16
Punkten. Bei einem Punktwert von 30–24 liegt keine Demenz vor (Tombaugh und
McIntyre 1992). Die Grenzpunktzahl, der sogenannte Cut-Off-Score, kann laut
Literatur variieren. O’Bryant et al. (2008) postulieren, dass bei älteren, weißen, hoch
gebildeten Patienten bereits bei 26 Punkten schon eine demenzielle Erkrankung
bestehen kann. Anthony et al. (1982) erachten hingegen bei weniger gebildeten
Patienten Punktwerte von 21–22 für Anzeichen einer demenziellen Entwicklung.
Üblicherweise werden Punktwerte zwischen 18 und 23 als leichte Demenz, zwischen
10 und 17 als mittelschwere und 0–9 als schwere Demenz bezeichnet (Ivemeyer und
Zerfaß 2006, Seite 87).
Folstein et al. (1975) wiesen eine hohe Interrater-Reliabilität von rp = 0,83 nach. Die
Test-Retest-Reliabilität ergab nach 24 Stunden ein rp = 0,89 (Folstein et al. 1975). Eine
Studie mit Teilnehmern ohne Demenz im Alter von über 75 Jahren ergab eine
ausreichende (rp = 0,56) bis ausgezeichnete (rp = 0,80) Test-Retest-Reliabilität für ein
Zeitintervall von sechs, zwölf und 18 Monaten (Hopp et al. 1997). Es wurden
Cronbach-Alpha-Werte für die interne Konsistenz der Test-Items von 0,54 (Holzer et
al. 1984) und 0,96 (Foreman 1987) aufgezeigt, weitere Studien ermittelten Werte von
0,78 (McDowell 1997) und 0,91 (Marioni et al. 2011). Folstein et al. (1975) validierten
den MMST mit dem Wechsler-Intelligenztest (Wechsler 1945). Diese Analyse ergab
ein rp = 0,78 (p < 0,001) für den Verbal-Intelligenzquotienten-(IQ) und ein rp = 0,66 (p
< 0,001) für den Handlungs-IQ.
In einer Studie von Mishina et al. (2007) wurde die Hirnstoffwechselaktivität von
wahrscheinlich an Alzheimer erkrankten Patienten mittels Positronen-Emissions-
Tomographie und 18-Fluor-Desoxyglucose (18-FDG) gemessen und ein möglicher
Zusammenhang mit den Einzelaufgaben des MMST dokumentiert. Hierbei wurde eine
positive Korrelation zwischen der Gesamtpunktzahl im MMST und der Aufnahme von
18-FDG im linken temporalen Hirn- und Frontallappen nachgewiesen. Das heißt, dass
Patienten mit reduzierter Stoffwechselaktivität in den genannten Hirnarealen
schlechtere Testresultate im MMST erreichen als Patienten mit hohem Metabolismus.
Wehr et al. (2009) wiesen eine positive Korrelation zwischen der Gesamtpunktezahl im
MMST und der Serum-Paraoxonasereaktivität mit einem rp = 0,20 nach. Somit konnte
eine Abnahme der Serum-Paraoxonaseaktivität bei bestehender Alzheimer-Demenz
und demenziellen Mischformen gezeigt werden.
Der MMST hat sich in der Demenzforschung als Screening-Instrument bewährt.
Mitunter wird er auch zur Verlaufsbeurteilung demenzieller Erkrankungen unter
17
medikamentöser Therapie verwendet. López-Pousa et al. (2010) überprüften mit dem
MMST z. B. den Therapieerfolg der Behandlung mit Donezepil.
4.4.3 Nurses’ Observation Scale for Geriatric Patients (NOSGER)
In der NOSGER (Spiegel et al. 1991; deutschsprachige Fassung: Spiegel 1992) werden
mit 30 Items die am häufigsten vorkommenden Auffälligkeiten geriatrischer Patienten
in Form einer Fremdbeurteilung erfasst. Die sechs Störungsbereiche „Gedächtnis“,
„Instrumentelle Aktivitäten des täglichen Lebens (IADL)“, „Aktivitäten des täglichen
Lebens (ADL)“, „Stimmung“, „Sozialverhalten“ und „störendes Verhalten“ werden mit
jeweils fünf Items erfasst. Die Spannweite reicht von 5 Punkten (keinerlei Störung) bis
25 Punkte (maximal mögliche Störung).
Die NOSGER wurde von verschiedenen Forschergruppen validiert (Brunner und
Spiegel 1990, Spiegel et al. 1991, Wahle et al. 1996). Wahle et al. (1996) wiesen eine
Interrater-Reliabilität zwischen 0,68 („Sozialverhalten“) und 0,89 („IADL“) nach.
Dabei fiel vor allem in den kognitiven und alltagspraktischen Dimensionen
(„Gedächtnis“ 0,85, „IADL“ 0,89 und „ADL“ 0,88) eine hohe Interrater-Reliabilität
auf. Brunner und Spiegel (1990) wiesen in den einzelnen Störungsbereichen Interrater-
Reliabilitäten von 0,53 („störendes Verhalten“) bis 0,80 („IADL“) nach.
Wahle et al. (1996) ermittelte eine Test-Retest-Reliabilität nach zwei Wochen zwischen
0,84 („störendes Verhalten“) und 0,92 („IADL“). Auch hier war die Reliabilität in den
kognitiven und alltagspraktischen Dimensionen („Gedächtnis” 0,91, „IADL” 0,92,
„ADL” 0,88) tendenziell höher als in den übrigen Dimensionen („Stimmung” 0,85,
„Sozialverhalten” 0,87, „störendes Verhalten” 0,84). Bei Brunner und Spiegel (1990)
lag die Test-Retest-Reliabilität nach einem Monat zwischen 0,75 („Stimmung“) und
0,93 („IADL“).
Brunner und Spiegel (1990) führten umfassende Studien zur Validität der NOSGER
anhand der Korrelation mit verschiedenen Fremdbeurteilungsskalen,
Selbstbeurteilungsverfahren, Gedächtnis- und Leistungstests durch. Beispielsweise
lassen sich, wie erwartet, bei einem Vergleich mit der Geriatric Rating Scale (GRS;
Plutchik et al. 1970), einer Fremdbeurteilungsskala, Korrelationen zwischen den
Dimensionen „Soziales Verhalten“ und „Reduziertes soziales Verhalten“ (rp = 0,84)
oder zwischen „IADL“ und „Reduzierter Selbstversorgung“ (rp = 0,83) erkennen.
18
4.5 Statistische Verfahren
Untersuchungen auf Abweichung von der Normalverteilung wurden mit Hilfe des
Kolmogorov-Smirnov-Tests (K-S-Test) durchgeführt. Wegen Abweichungen von der
Normalverteilung bei den Werten des E-ADL-Tests wurde für die Berechnungen zur
Korrelation der Rangkorrelationskoeffizient von Spearman (rS) verwendet. Als
Reliabilitätsmaß im Sinne der internen Konsistenz des E-ADL-Tests wurde der
Cronbach-Alpha-Koeffizient berechnet. Dieser Wert wird umso größer, je mehr Items
ein Test aufweist und je stärker die Items untereinander korrelieren. Als
Signifikanzniveau wurde p < 0,05 definiert.
19
5 Ergebnisse
5.1 Dauer der Testdurchführung
Die Zeitspanne für die Durchführung des E-ADL-Tests – ohne Vor- und
Nachbereitung, also ohne Auf- und Abbau der Testmaterialien – reichte von minimal
drei Minuten bis maximal 20 Minuten. Im arithmetischen Mittel dauerte der Test acht
Minuten und 50 Sekunden (s = 4 Minuten und 12 Sekunden). Der häufigste Einzelwert
betrug mit 13 Fällen (28 %) fünf Minuten (siehe Abb. 3).
Abbildung 3: Testdauer bei den 46 Demenzpatienten in Minuten
5.2 Interindividuelle Variabilität
Die Ergebnisse zum Summenwert des E-ADL-Tests zeigen ein dichotomes Bild der
Gesamt-ADL-Leistung (siehe Abb. 4). Die Verteilung ist linksschief. Zehn
20
demenzkranke Heimbewohner (22 %) konnten sämtliche Teilaufgaben korrekt
durchführen (30 Punkte). Bei den anderen 36 Probanden (78 %) wurde die potentielle
Spannweite möglicher Leistungsbeeinträchtigungen von 0 Punkten (keine, auch nicht
in Teilen erreichte Leistung) bis 29 Punkten (bis auf 1 Fehlerpunkt alle Aufgaben
korrekt erfüllt), nahezu vollständig ausgeschöpft (Minimum 1 Punkt, Maximum 29
Punkte). Die Verteilung aller 46 E-ADL-Summenwerte zeigt eine Abweichung von der
Normalverteilung (p = 0,066), die vor allem durch die Werte in den Randbereichen
bedingt ist. Sieben demenzkranke Studienteilnehmer (15 %) repräsentieren eine Gruppe
mit erheblichen Leistungseinschränkungen im Bereich von 1–17 Punkten. Aus den
Einzeldaten resultiert ein arithmetisches Mittel des E-ADL-Summenwerts von 23,1
Punkten bei einer Standardabweichung von 7,1.
Bei der getrennten Analyse der fünf Einzelaufgaben ergab sich ein ähnliches Bild. Die
theoretisch mögliche Streuung der Leistungseinbußen (0 bis 5 Punkte) wurde bei allen
fünf Einzelaufgaben ausgeschöpft (siehe Tab. 2). Der Prozentsatz der demenzkranken
Heimbewohner mit Leistungseinbußen in den Teilaufgaben reichte von 20 % („Hände
waschen“) über 35 % („Schleife binden“, „Getränk einschenken“), 54 %
(„Schränkchen öffnen“) bis 63 % („Brot schneiden“).
0 5 10 15 20 25 30
24
68
10
E-ADL-Test Summenwert (Erstuntersuchung)
Häufigkeit
Abbildung 4: Summenwerte des E-ADL-Tests der 46 Demenzpatienten
21
Tabelle 2: Testergebnisse der Items des E-ADL-Tests (Erstuntersuchung, N = 46)
E-ADL-Test-
Einzelaufgabe
Testleistung
vollständig
erfüllt
Testleistung teilweise erfüllt Testleistung
nicht erfüllt
Durchschnittliche
Testleistung
m ± sa
K-S-
Testb
pc
6 Punkte 5 Punkte 4 Punkte 3 Punkte 2 Punkte 1 Punkt 0,5 Punkte 0 Punkte
Getränk
einschenken 30 (65 %) 3 ( 7 %) 2 ( 4%) 1 ( 2 % ) 3 ( 7 %) 5 (11 %) 0 ( 0 %) 2 ( 4 %) 4,7 ± 2,1 < 0,001
Brot schneiden 17 (37 %) 3 ( 7 %) 16 (35%) 4 ( 9 %) 2 ( 4 %) 1 ( 2 %) 0 ( 0 %) 3 ( 7 %) 4,3 ± 1,7 0,031
Schränkchen
öffnen 21 (46 %) 5 (11 %) 0 ( 0%) 3 ( 7 %) 14 (30 %) 1 ( 2 %) 0 ( 0 %) 2 ( 4 %) 4,1 ± 2,1 0,002
Hände waschen 37 (80 %) 1 ( 2 %) 0 ( 0%) 3 ( 7%) 0 ( 0 %) 2 ( 4 %) 1 ( 2 %) 2 ( 4 %) 5,2 ± 1,8 < 0,001
Schleife binden 30 (65 %) 5 (11 %) 1 ( 2%) 1 ( 2 %) 0 ( 0 %) 6 (13 %) 0 ( 0 %) 3 ( 7 %) 4,7 ± 2,1 < 0,001
a m ± s: arithmetisches Mittel ± Standardabweichung; Spannweite des Punktwertes bei jeder Einzelaufgabe 0 bis 6 Punkte
b Kolmogorov-Smirnov-Test
c Signifikanzwert des K-S-Tests: p-Werte kleiner als 0,05 bedeuten eine signifikante Abweichung von der Normalverteilung
22
5.3 Reliabilität
Für den E-ADL-Summenwert, berechnet aus den fünf Einzelaufgaben, errechnet sich
ein Cronbach-Alpha-Wert von 0,77. Außerdem lässt sich die interne Konsistenz des E-
ADL-Tests durch den Spearman-Korrelationskoeffizienten zwischen den Teilaufgaben
beschreiben (siehe Tab. 3). Die Werte reichen von rS = 0,18 („Schleife binden“ und
„Hände waschen“) bis rS = 0,51 („Schleife binden“ und „Getränk einschenken“). Der
Median beträgt rS = 0,40.
Tabelle 3: Zusammenhang der Einzelaufgaben des E-ADL-Tests (Erstuntersuchung, N = 46)
Getränk
einschenken
Brot
schneiden
Schränkchen
öffnen
Hände
waschen
Schleife
binden
rsa p
b rs p rs p rs p rs p
Getränk
einschenken 0,46 0,001 0,19 0,204 0,33 0,025 0,51 < 0,001
Brot
schneiden 0,44 0,003 0,41 0,005 0,49 0,001
Schränkchen
öffnen 0,30 0,043 0,39 0,224
Hände
waschen 0,18 0,224
Schleife
binden
Nach 14 Tagen wurde der Test wiederholt. Von den 46 demenzkranken
Heimbewohnern nahmen 42 (91 %) an der Wiederholungsuntersuchung teil. Gründe
für die Nichtteilnahme waren ein akuter pulmonaler Infekt (n = 1), ein Kranken-
hausaufenthalt (n = 2) und der Tod des Patienten (n = 1). Die Test-Retest-Reliabilität
war für die Einzelaufgaben, wie auch für den Gesamttest signifikant (siehe Tab. 4) und
erreichte Werte für die Einzelaufgaben von rS = 0,35 (p = 0,024) für „Getränk
einschenken“ bis rS = 0,63 (p < 0,001) für „Hände waschen“ bei einem Median von rS =
0,56. Für den Gesamttest betrug die Test-Retest-Reliabilität rS = 0,73 (p < 0,001).
a Spearman-Rangkorrelationskoeffizient
b Signifikanzwert des Spearman-Rangkorrelationskoeffizienten
23
Tabelle 4: Test-Retest-Reliabilität des E-ADL-Tests im Abstand von 14 Tagen (n = 42)
E-ADL-Test rs p
Getränk einschenken 0,35 0,024
Brot schneiden 0,56 < 0,001
Schränkchen öffnen 0,59 < 0,001
Hände waschen 0,63 < 0,001
Schleife binden 0,48 0,001
Gesamttest 0,73 < 0,001
5.4 Validität
Der E-ADL-Test-Summenwert korreliert hochsignifikant (p < 0,001) mit dem
Schweregrad der Demenz, bei abnehmender Punktzahl im E-ADL-Test (Zunahme der
Fehlerrate) nimmt der Grad der Demenz (Zunahme des GDS-Wertes) zu, respektive die
Punktzahl im MMST ab (rS = -0,47 (GDS) beziehungsweise 0,72 (MMST); siehe Tab.
5). Zu den Störungsbereichen der NOSGER bestehen ebenfalls signifikante
Zusammenhänge, bei Abnahme der Punktezahl (Abnahme der Leistung) im E-ADL-
Test steigt die Punktezahl (Zunahme der Störungen) in der NOSGER. Am
ausgeprägtesten ist der Zusammenhang mit dem NOSGER-Bereich „IADL-Störungen“
(rS = -0,57; p < 0,001), am geringsten mit dem NOSGER-Bereich „störendes
Verhalten“ (rS = -0,11; p = 0,464; siehe Tab. 5).
Bei der Betrachtung der Einzelaufgaben des E-ADL-Tests zeigt das Item „Schränkchen
öffnen“ in den meisten Fällen die besten Korrelationen (siehe Tab. 5). Diese Aufgabe
erwies sich als die schwierigste der fünf Einzelaufgaben (siehe Tab. 2). Dagegen sind
die rS-Werte für das Item „Hände waschen“, das noch von 80 % der Teilnehmer der
Stichprobe fehlerfrei absolviert werden konnte, am niedrigsten (siehe Tab. 5).
24
Tabelle 5: Konstruktvalidität des E-ADL-Tests (Erstuntersuchung, N = 46), signifikante p-Werte sind fett markiert
E-ADL-Test
GDS
a
MMST
b
NOSGER-
Gedächtnisc
NOSGER-
IADLd
NOSGER-
ADLe
NOSGER
Stimmungf
NOSGER-
Sozialverhalteng
NOSGER-
StörendesVerhaltenh
NOSGER-
Summenwert
rsi rs rs rs rs rs rs rs rs
pj p p p p p p p p
Getränk
einschenken
- 0,28 0,48 - 0,25 - 0,31 - 0,29 - 0,12 - 0,12 - 0,21 - 0,36
0,062 0,001 0,088 0,037 0,052 0,425 0,432 0,171 0,014
Brot schneiden - 0,43 0,58 - 0,34 - 0,43 - 0,22 - 0,24 - 0,31 - 0,08 - 0,48
0,003 < 0,001 0,021 0,003 0,135 0,103 0,039 0,613 0,001
Schränkchen
öffnen
- 0,44 0,63 - 0,38 0,70 - 0,31 - 0,15 - 0,46 - 0,07 - 0,55
0,002 < 0,001 0,009 < 0,001 0,038 0,318 0,001 0,663 < 0,001
Hände waschen - 0,04 0,47 - 0,04 - 0,23 - 0,19 - 0,20 - 0,25 0,04 - 0,25
0,774 0,001 0,807 0,129 0,201 0,194 0,093 0,806 0,097
Schleife binden - 0,39 0,43 - 0,34 - 0,40 - 0,37 - 0,19 - 0,32 0,06 - 0,46
0,008 0,003 0,020 0,006 0,011 0,217 0,032 0,674 0,001
Summenwert - 0,47 0,72 - 0,37 - 0,57 - 0,33 - 0,33 - 0,40 - 0,11 - 0,60
0,001 < 0,001 0,010 < 0,001 0,023 0,027 0,007 0,464 < 0,001
a Global Deterioration Scale
b Mini-Mental Status Test
c Subskala „Gedächtnis“ der Nurses’ Observation Scale for Geriatric Patients
d Subskala „IADL“ der Nurses’ Observation Scale for Geriatric Patients
e Subskala „ADL“ der Nurses’ Observation Scale for Geriatric Patients
f Subskala „Stimmung“ der Nurses’ Observation Scale for Geriatric Patients
g Subskala Sozialverhalten“ der Nurses’ Observation Scale for Geriatric Patients
h Subskala „Störendes Verhalten” der Nurses’ Observation Scale for Geriatric Patients
i Spearman-Rangkorrelationskoeffizient
j Signifikanzwert des Spearman-Rangkorrelationskoeffizienten (p-Werte < 0,05 fett gedruckt)
25
5.5 E-ADL-Test-Leistungen und Schweregrad der
Demenz
Die übliche Einteilung der Patienten nach dem Schweregrad der Demenz in
Abhängigkeit vom MMST-Wert in „leicht“, „mittelschwer“ und „schwer“ zeigt, dass
nur Personen mit leichter oder mittelschwerer Demenz in der Lage sind, die fünf E-
ADL-Test-Aufgaben fehlerfrei, also mit der maximalen Punktzahl von 30 Punkten, zu
absolvieren (siehe Tab. 6). Diese Personen haben nach den Ergebnissen der
vorliegenden Validierungsstichprobe mit hoher Wahrscheinlichkeit (80 %) eine leichte
Demenz. Nur wenige Patienten mit mittelschwerer Demenz waren in der Lage, den E-
ADL-Test fehlerfrei zu bewältigen (n = 2 von n = 21).
Bei leichter Demenz (n = 19) waren zwar 42 % in der Lage, den E-ADL-Test fehlerfrei
zu absolvieren, 58 % zeigten jedoch bereits geringgradige Leistungseinbußen (29–23
Punkte im E-ADL-Test). Gut differenziert der E-ADL-Test zwischen mittelschwerer
und schwerer Demenz (siehe Tab. 6). Eine Überschneidung war nur bei einem von 27
Patienten festzustellen (8 Punkte im MMST und 18 Punkte im E-ADL-Test). Die
restlichen Fälle von schwerer Demenz hatten sämtlich E-ADL-Testwerte unter 14 und
somit außerhalb des Wertebereichs der mittelschweren Demenz (14–30 Punkte).
Tabelle 6: Leistungen im E-ADL-Test in Abhängigkeit vom Schweregrad der Demenz
MMST-
Bereich
Schweregrad
der Demenz
na E-ADL-Test: m ± s
b
Min.c
Max.d
0–9 Punkte schwer 6 1 18 8,6 ± 6,0
10–17 Punkte mittelschwer 21 14 30 23,0 ± 3,9
≥ 18 Punkte leicht 19 23 30 27,7 ± 2,6
a Anzahl der Fälle in der Stichprobe
b arithmetisches Mittel ± Standardabweichung
c niedrigster Wert
d höchster Wert
26
6 Diskussion
Der Erlanger-ADL-Test wurde entwickelt, da bis dato noch kein einfach
durchführbarer Leistungstest zur Erfassung der ADL zur Verfügung stand, der
Alltagsfähigkeiten demenzkranker Patienten praxisnah und valide misst.
Mit dem Eurotest (Carnero-Pardo et al. 2006) und dem DAFA-Test (Karagiozis et al.
1998) existieren zwar zwei funktionelle Leistungstests. Mit diesen Instrumenten
werden jedoch nur die IADL, nicht aber die ADL erfasst.
Für die Beurteilung der Selbständigkeit der Lebensführung sind die ADL-Fähigkeiten
von entscheidender Bedeutung. Die ADL-Fähigkeiten sind insbesondere in
Pflegeheimen von großer Relevanz, da die Pflegebedürftigkeit eines Demenzpatienten
zum Großteil durch das Ausmaß, in dem die Person in der Lage ist, ihren Alltag zu
bewältigen, beurteilt wird (Ivemeyer und Zerfaß 2006, Seite 141).
Die IADL sind lediglich für die Beurteilung früher Stadien der demenziellen
Krankheitsentwicklung geeignet (Ivemeyer und Zerfaß 2006, Seite 148). Bei
fortgeschrittenen Stadien der Demenz sind die IADL-Testleistungen (wie im oben
genannten DAFA-Test) bereits erheblich eingeschränkt, so dass sich die Testwerte
interindividuell kaum mehr unterscheiden.
Der E-ADL-Test zeigt dagegen eine gute interindividuelle Differenzierungsfähigkeit,
vor allem zwischen Patienten mit einer mittelschweren und schweren Demenz (siehe
Tab. 6). Die Spannweite der zu vergebenden Punkte (0–30 Punkte) wurde nahezu
vollständig ausgeschöpft (1–30 Punkte). Allerdings ist der Summenwert nicht normal
verteilt. Dies resultiert aus dem Sachverhalt, dass bei leichter Demenz gemäß MMST
noch vier von zehn Testpersonen alle Aufgaben fehlerfrei, das heißt mit einem Testwert
von 30 Punkten, absolvieren konnten.
Die Einzelaufgaben im E-ADL-Test bestehen aus Handlungsabläufen. Das bedeutet
beispielsweise für die Aufgabe „Hände waschen“, dass der gesamte Handlungsvorgang
in einzelne Teilschritte (z. B. „das Nehmen der Seife und Nässen der Hände“, „die
Waschbewegung der Hände mit der Seife“, „das Abspülen der Seife von den Händen“,
das Trocknen der Hände“) aufgeteilt wird. Die Teilleistungen jedes Items werden in
Abhängigkeit des Grads der korrekten Durchführung mit Punkten bewertet. Durch die
27
Fähigkeit zur Koordination dieser einzelnen Handlungsschritte wird das selbständige
Handeln im Alltag entscheidend definiert (Skurla et al. 1988).
Auch einige bereits etablierte Verfahren, wie der Barthel-Index (Mahoney und Barthel
1965) und die Bayer-ADL-Skala (Hindmarch et al. 1998), lassen eine suffiziente
Beurteilung der ADL-Fähigkeiten zu. Bei diesen Tests handelt es sich aber im
Gegensatz zum E-ADL-Test um Fremdbeurteilungsskalen. Die Durchführung dieser
Tests setzt die Testbeteiligung einer Bezugsperson voraus, welche mit dem Probanden
vertraut ist, was Nachteile birgt. So ist zum einem das Testresultat von der subjektiven
Einschätzung und Erwartungshaltung der Bezugsperson abhängig, was eine zusätzliche
potentielle Fehlerquelle bedingt (Skurla et al. 1988). Zum anderen ist den
Bezugspersonen meist die bei den Demenzkranken angewandte Therapie bekannt.
Dadurch wird eine Verblindung in Bezug auf die Therapie nicht möglich. Dies führt
potenziell zur Verzerrung der Studienergebnisse (Untersucher-Bias), wenn dies im
Studienaufbau nicht gesondert berücksichtigt und ausgeglichen wird. Im Gegensatz
dazu liefert der als Leistungstest konzipierte E-ADL-Test objektivere Ergebnisse und
dürfte daher den Fremdbeurteilungen der ADL-Fähigkeiten durch das Fehlen des
Untersucher-Bias überlegen sein. Der E-ADL-Test ist daher insbesondere für
Verlaufsstudien geeignet, die Erfolge medikamentöser und vor allem nicht-
medikamentöser Therapien von an Demenz erkrankten Patienten objektiv beurteilen
sollen.
Ein weiterer Vorteil des E-ADL-Tests ist sein geringer Aufwand hinsichtlich Zeit und
Durchführung. Mit einer durchschnittlichen Testdauer von acht Minuten (reine
Erhebungszeit) ist der E-ADL-Test für das medizinische Personal zeitlich eine relativ
geringe Belastung. Zudem handelt es sich um einen standardisierten Leistungstest, der
beim durchführenden Pflegepersonal nur einen geringen Schulungsbedarf voraussetzt.
Im Gegensatz zu herkömmlichen ADL-Tests ist es nicht notwendig, dass der
Testdurchführende mit dem Probanden auf persönlicher Ebene vertraut ist. Damit
entfällt, wie oben schon beschrieben, das Bias der Fremdbeurteilungsskalen. Aufgrund
des geringen Zeitaufwandes wird der Proband zudem nicht überfordert und ist nicht zu
rasch erschöpft, was sich positiv auf seine Adhärenz auswirkt.
Nachteilig beim E-ADL-Test ist lediglich, dass die einmaligen Testvorbereitungen
(Vorbereiten des Raums und der Materialien, wie Waschschüssel und Handtuch,
Kästchen mit Schlüssel) relativ aufwendig sind.
Der E-ADL-Test ist leicht zu handhaben und kann in Pflegeheimen, medizinischen
28
Einrichtungen oder im häuslichen Umfeld einfach durchgeführt werden. Diese
„universelle Einsetzbarkeit“ ist sowohl auf seinen unmittelbaren Bezug zu den
alltäglichen Anforderungen des Lebens als auch auf die relativ kleine Anzahl von nur
fünf Items zurückzuführen.
Bei der Entwicklung des E-ADL-Tests wurde ein besonderes Augenmerk darauf gelegt,
dass Aufgaben gewählt wurden, die mit den Aktivitäten des täglichen Lebens direkt in
Verbindung stehen. Die erfassten ADL entsprechen Tätigkeiten, welche
Pflegeheimpatienten in ihrem Alltag häufig durchführen. Durch diese Alltagsnähe
können die Aufgaben direkt in den Arbeitsablauf des Pflegepersonals integriert werden.
Die Akzeptanz bei den Patienten in der Validierungsphase der Studie war
ausgezeichnet. Alle 42 Demenzpatienten, die zur Zweituntersuchung nach 14 Tagen
zur Verfügung standen, nahmen an dieser teil.
Eine hohe Test-Retest-Reliabilität (rS = 0,73) nach 14 Tagen spricht für die Eignung
des Tests zur Verlaufsuntersuchung. Allerdings muss die Sensitivität des Testes
bezüglich eventuell auftretender Symptomveränderungen noch in zukünftigen Studien
ermittelt werden.
Die interne Konsistenz mit einem Cronbach-Alpha-Koeffizient nahe bei 0,8 spricht für
eine hohe Reliabilität des Verfahrens.
Der E-ADL-Test ist kein Verfahren zur Diagnose einer kognitiven Einschränkung wie
der MMST. Vielmehr handelt es sich um einen Test, der das Symptom „Einschränkung
der Selbstständigkeit im ADL-Bereich“ zuverlässig erfassen soll. Die ADL-Fähigkeiten
werden als Handlungsabfolgen erfasst. Die standardisierte Durchführung und
Auswertung als Grundlage für die Durchführungs- und Auswertungsobjektivität ist
gewährleistet.
Es besteht ein starker Zusammenhang (rS = 0,72) zwischen den E-ADL-Testresultaten
und der kognitiven Funktionseinschränkung, welche mit dem MMST erfasst wurde.
Dies ist insofern nachvollziehbar, als das Verstehen der Testanweisungen und das
konsekutive Ausführen derselben von der kognitiven Leistung beziehungsweise der
Auffassungsgabe des Probanden abhängig sind. Die Korrelation zwischen ADL-
Fähigkeiten und Kognition ist bei leichtgradigen Demenzen deutlich geringer
ausgeprägt. Die Daten zeigen somit, dass Kognition und Alltagsfähigkeiten zwar
korrelieren, es sich jedoch um unterschiedliche Konzepte handelt.
Die Korrelation der Ergebnisse des E-ADL-Tests mit den verschiedenen
29
Störungsbereichen der NOSGER war unterschiedlich stark. Bei der Beurteilung der
Ergebnisse ist zu berücksichtigen, dass die E-ADL-Testung und die NOSGER-
Fremdbeurteilung unabhängig voneinander von verschiedenen Personen durchgeführt
wurden. Die eindeutigste Korrelation bestand mit dem Faktor „IADL“ der NOSGER
(rS = -0,57), die schwächste Korrelation dagegen mit dem Faktor „Störendes
Verhalten“ (rS = -0,11). Diese Ergebnisse liefern erste Hinweise auf eine diskriminante
Validität des E-ADL-Tests.
Das Differenzierungspotenzial der fünf E-ADL-Test-Aufgaben nimmt zu, je geringer
der Anteil der Demenzkranken ist, der in der Lage ist, die Aufgaben vollständig zu
bewältigen. Nahezu die gleiche Reihenfolge ergibt sich bei der für die
Konstruktvalidität wichtigen Korrelation mit dem Faktor „IADL“ der NOSGER (siehe
Tab. 5): von „Hände waschen“ (rS = -0,23) über „Getränk einschenken“ (rS = -0,31),
„Schleife binden“ (rS = -0,40) und „Brot schneiden“ (rS = -0,43) hin zu „Schränkchen
öffnen“ (rS = -0,70).
Der E-ADL-Test ist für ein weites Spektrum an Patienten einsetzbar, da es keine
generellen Ausschlusskriterien gibt. Beispielsweise ist der E-ADL-Test unabhängig
vom Bildungsniveau des Patienten, da es sich bei den überprüften Aktivitäten des
täglichen Lebens um Grundfähigkeiten (z. B. das Einschenken eines Getränkes)
handelt, die kulturunspezifisch und bildungsunabhängig erlernt werden. Allerdings
müssen individuelle Ausschlusskriterien erwogen werden. So wurden beispielsweise
keine Probanden einbezogen, die aufgrund körperlicher Defizite nicht in der Lage
waren, die gestellten Testaufgaben zu erfüllen. Aus diesem Grund mussten Patienten
mit starker Seh- oder Hörbehinderung ausgeschlossen werden, aber auch Patienten mit
entsprechenden motorischen Einschränkungen, wie infolge einer Halbseitenlähmung.
Auch schwere psychische Störungen, wie schwere Depressionen und eine daraus
resultierende Non-Adhärenz, machten eine Teilnahme am Test unmöglich.
Bei den untersuchten Probanden zeigt sich eine Abhängigkeit der E-ADL-Testresultate
vom Schweregrad der Demenzerkrankung (siehe Tab. 6). Eine auffallend gute
Diskriminierung gelingt zwischen Patienten mit schweren und mittelschweren
Demenzstadien. Hierbei war lediglich eine Diskrepanz bei einem von 27 Patienten
festzustellen (8 Punkte im MMST und 18 Punkte im E-ADL-Test). Ansonsten erzielten
alle Patienten mit schwerer Demenz E-ADL-Summenwerte von unter 14 Punkten.
Damit lagen diese Patienten außerhalb des erreichten Wertebereichs (14–30 Punkte),
der Patienten mit mittelschwerer Demenz. Da die E-ADL-Ergebnisse der Patienten mit
30
einer mittelschweren Demenz relativ gut waren, ist eine Abgrenzung von Patienten mit
leichter Demenz weniger eindeutig möglich.
Bei der Beurteilung der Aussagekraft der E-ADL-Testergebnisse hinsichtlich des
Schweregrades der Erkrankung ist aber zu beachten, dass es sich bei der vorliegenden
Untersuchung um eine pilotmäßige Erprobung des Verfahrens bei 46 Patienten handelt.
In der vorliegenden Stichprobe waren beispielsweise Patienten mit einer schweren
Demenz deutlich unterrepräsentiert (n = 6). Weitere Untersuchungen mit ausreichend
großen und bezüglich Geschlecht und Erkrankungsgrad gleichmäßig verteilten
Patientengruppen sind daher anzustreben, um die Aussagekraft des E-ADL-Tests
bezüglich des Schweregrades demenzieller Erkrankungen zu evaluieren.
Weiterer Forschungsbedarf besteht zur Klärung der Fragestellung, in welchem Ausmaß
die vom E-ADL-Test untersuchten Items Rückschlüsse auf die Fähigkeiten in anderen
Kategorien der Aktivitäten des täglichen Lebens erlauben. Zudem sollten weitere
Testkriterien, wie die Interrater-Reliabilität überprüft werden müssen.
31
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37
8 Abkürzungsverzeichnis
ADL Activities of Daily Living
DAFA Direct Assessment of Functional Abilities
E-ADL Erlanger Activities of Daily Living
GDS Global Deterioration Scale
m ± s arithmetisches Mittel ± Standardabweichung
IADL Instrumental Activities of Daily Living
ICD-10 International Statistical Classification of Diseases and Related Health
Problems
K-S-Test Kolmogorov-Smirnov-Test
MMST Mini-Mental Status Test
Min. Minimalwert
Max. Maximalwert
NOSGER Nurses’ Observation Scale for Geriatric Patients
n Anzahl der Fälle in der Stichprobe
p Signifikanzwert
PADL-Test Performance Test of Activities of Daily Living
rp Pearson-Korrelationskoeffizient
rs Spearman-Rangkorrelationskoeffizient
s Standardabweichung
18-FDG 18-Fluor-Desoxyglucose
38
9 Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Demenz-Staging nach der Global Deterioration Scale (GDS)...................... 15
Tabelle 2: Testergebnisse der Items des E-ADL-Tests (Erstuntersuchung, N = 46) ..... 21
Tabelle 3: Zusammenhang der Einzelaufgaben des E-ADL-Tests (Erstuntersuchung,
N = 46) ............................................................................................................. 22
Tabelle 4: Test-Retest-Reliabilität des E-ADL-Tests im Abstand von 14 Tagen (n =
42) .................................................................................................................... 23
Tabelle 5: Konstruktvalidität des E-ADL-Tests (Erstuntersuchung, N = 46),
signifikante p-Werte sind fett markiert ............................................................ 24
Tabelle 6: Leistungen im E-ADL-Test in Abhängigkeit vom Schweregrad der
Demenz ............................................................................................................ 25
39
10 Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Flussdiagramm der Probandenrekrutierung ............................................. 11
Abbildung 2: MMST-Werte der 46 Demenzpatienten................................................... 12
Abbildung 3: Testdauer bei den 46 Demenzpatienten in Minuten ................................ 19
Abbildung 4: Summenwerte des E-ADL-Tests der 46 Demenzpatienten ..................... 20
40
11 Verzeichnis der Vorveröffentlichungen
In folgender Fachzeitschrift wurden Ergebnisse dieser Arbeit vorgestellt:
Elmar Graessel, Reena Viegas, Renate Stemmer, Brita Küchly, Johannes Kornhuber,
Carolin Donath, (2009),
The Erlangen Test of Activities of Daily Living: first results on reliability and validity
of a short performance test to measure fundamental activities of daily living in
dementia patients
Int Psychogeriatr, 21 (1): 103-112.
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