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Wie man Sponsoring im Journalismus bewerten kann

Über die Grenzen der Wissenschaftsfreiheit

Ein Nachruf auf den New Scientist Deutschland

Die Wissenschaftsjournalisten

Anstoß

Ausgabe II / 2013Sponsoring des Journalismus

Freistoß

Abpfiff

Der Sündenfall?

Alternative Finanzierung im Wissenschaftsjournalismus

DAS MAGAZIN DER WISSENSCHAFTS-PRESSEKONFERENZ e.V.

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2 II/2013WPK-Quarterly

EDITORIAL

Was ist professioneller Journalismus wert?

„Versuchsstation des Weltunter-gangs.“ So nannte Karl Kraus in einem Beitrag für Die Fackel 1915 Österreich. Der Wiener Journalistik-Professor Han-nes Haas zitierte 2010 dieses Wort von Kraus zu Beginn eines Buchkapitels über die Krise des Journalismus.* War-um er das tat, ist unklar. Denn die Rede von der „Versuchsstation des Welt-untergangs“, schreibt Haas, sei mög-licherweise passend für manches in Österreich, für den Medienbereich aller-dings nicht, weil der sich nur verzögert entwickele. Die Österreicher machten die Fehler der anderen erst mit siche-rem Abstand.

Hannes Haas hat so wenig wie Karl Kraus bei seinen Ausführungen an die so genannten „Medienkooperationen“ gedacht, die eine Reihe von Qualitäts-medien in Österreich zur Finanzierung des spezialisierten Wissenschaftsjour-nalismus unterhalten, darunter Der Standard und Die Presse. Unter an-deren diese beiden lassen sich ihren Wissenschaftsjournalismus finanzieren durch diverse Hochschulen und For-schungsorganisationen, und zwar zu erklecklichen Anteilen. Und damit nicht genug: Sie lassen sich ihren Journalis-mus darüber hinaus finanzieren durch Bundesministerien, zuvörderst zu nen-nen das Ministerium für Wissenschaft und Forschung.

Man muss sicher nicht gleich vom Weltuntergang reden, aber zu einer Versuchsstation wird Österreich durch diese Praxis gleichwohl. Die Versuchs-anordnung: Man lotet aus, wie viel Un-abhängigkeit und Glaubwürdigkeit, wie viel Staatsferne man einbüßen kann, bevor der Journalismus untergeht. Ein sehr riskanter Versuch, so viel steht fest.

Es gibt jedoch keinen Grund, mit dem Finger auf Österreich zu zeigen. Erstens deshalb, weil wir auf der Suche nach alternativen Finanzierungsmodel-len der skizzierten Art nicht allein in Ös-terreich fündig geworden sind, sondern auch in der Schweiz, in Tschechien, in Spanien, Griechenland, Irland und Est-land. Und zweitens deshalb, weil diese Medienkooperationen durchaus ver-gleichbar sind mit dem Geschäftsmo-dell einer Vielzahl freier Journalisten, die ihre Rechnungen nur begleichen können, weil sie zu erklecklichen Antei-len auch Wissenschafts-PR machen. Diese Kooperationen von Hundert-schaften freier Autoren bleiben aber vollständig verdeckt. Nur deshalb ber-gen sie geringere Risiken für die Glaub-würdigkeit ganzer Medientitel, die auf die Dienste von Freien angewiesen sind, diese aber in aller Regel schlecht bis sehr schlecht bezahlen. Eine Ge-fahr für den Journalismus sind diese Zustände gleichwohl.

Auch deshalb war die Situation der Freien und ihre Abhängigkeit von der Wissenschafts-PR ein wichtiges Thema auf der diesjährigen Weltkonferenz der Wissenschaftsjournalisten in Helsinki. Hristio Boytchev bezeichnet die Sessi-on dazu in seinem Bericht als ein High-light und fordert von den Verlagen mit Blick auf die geringen Honorare etwas, das eigentlich eine Selbstverständlich-keit sein sollte. Eine einleuchtende Ant-wort auf die Frage, was professioneller Journalismus denn wert ist.

Unwissentlich sekundiert er damit dem in Zürich lehrenden Journalismus-forscher Otfried Jarren, der in der „Kom-munikationsverweigerung“ der Verlage und ihrer Journalisten den Kernpunkt der Krise auszumachen glaubt.* Gere-det werde über Technik, über Techno-logien, über neue Geschäftsfelder und Geschäftsmodelle, über das Zusam-menwachsen von Print und Online... . Über eines werde aber nicht gespro-chen: Über den Sinn und den sozia-len Zweck von publizistischen Ange-boten. Und wer darüber nicht spreche, ätzt Jarren, der könne auch keine Zah-lungsbereitschaft aktivieren. „Und wer zudem niemals seine Finanzquellen offen legt, wer sich aus allen nur denk-baren Quellen finanzieren lässt, aber für die publizistischen Kernprodukte und echte journalistische Leistungen

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WPK-Quarterly 3II/2013

Markus Lehmkuhl

ist wissenschaft-licher Mitarbeiter an der FU Berlin.

Er leitet die WPK-Quarterly

Redaktion.

Editorial

Milde Gaben für den JournalismusEine Übersicht

Wie man die Risiken des Sponsoring abschätzen kann:Ein Vorschlag

Auf den Geldgeber kommt es an!Eine Replik

Eindrücke von der Weltkonferenz der WissenschaftsjournalistenEin Bericht

Das Ende für den New Scientist DeutschlandEine Analyse

Soll man den Murks von Kollegen korrigieren oder ignorieren?Ein Standpunkt

H5N1: Neue Regeln für die biologische Forschung?Eine Expertise

Zum 10. Geburtstag des WPK-QuarterlyEin Rückblick und Ausblick

WPKNeue Mitglieder

Impressum

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uns keinen Preis zu nennen vermag, dessen Probleme werden größer. Das ist umso problematischer dann, wenn man für dieses Tun auch noch öffentli-che Anerkennung verlangt oder gar auf die Wahrnehmung eines öffentlichen Auftrages, den man habe, hinweist. Es leidet die Glaubwürdigkeit.“

4,50 € kostete ein Heft des New Scientist Deutschland, nicht allzu viel, wenn man den Inhalt in Rechnung stellt, den die Redaktion für diesen Preis lie-ferte, findet Annette Leßmöllmann. Au-ßer ihr fanden das offenbar zu wenige andere Leserinnen und Leser. Deshalb muss sie für uns die Geschichte eines Scheiterns erzählen. Und sie muss sich fragen, warum ein Magazin, das vieles richtig gemacht hat, schon nach kurzer Zeit wieder verschwand.

In dieser Ausgabe machen wir etwas, das wir aus guten Gründen gewöhnlich nicht tun. Wir sprechen über uns, ohne eigentlich recht zu wissen, wer wir sind. Der Anlass: Wir haben Geburtstag. Das WPK-Quarterly gibt es seit 10 Jahren. Volker Stollorz, der dieses Magazin maßgeblich geprägt hat und dies nach wie vor tut, blickt zurück auf das Projekt Quarterly, das wir weiter verfolgen wol-len. Dazu suchen wir Mitstreiter. Einzige Anforderung: Lust, sich mal zwischen alle Stühle zu setzen; zwischen Wis-senschaft und Journalismus, zwischen Popularität und Anspruch, zwischen Objektivität und Meinung. Denn, so sagt es Volker Stollorz: Zwischen allen Stüh-len ist auch zukünftig der richtige Platz für das WPK-Quarterly.

Markus Lehmkuhl

*Beide zitierten Beiträge finden sich in Bartelt-Kircher, G., H. Bohrmann, et al. (2010). Krise der Printmedien: eine Krise des Journalismus?, De Gruyter Saur.

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Inhalt

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4 II/2013WPK-Quarterly

In vielen europäischen Ländern lässt sich der Wissenschaftsjournalismus von Geldgebern unterstützen. Wissenschaftsförderer, Stiftungen, selbst Ministerien öffnen ihre Börsen. Eine Übersicht

Von Markus Lehmkuhl

Milde Gaben!

Es ist ein deutlich sichtbarer Kasten, der immer mittwochs in der Beilage „Forschung spezial“ des Wiener Stan-dard erscheint. Daraus geht hervor, dass die Produktion der Beilage finan-ziell unterstützt wird durch zahlreiche Forschungsinstitutionen, darunter der Wissenschaftsförderfond (FWF), der der Deutschen Forschungsgemein-schaft (DFG) vergleichbar ist. Darunter auch das Forschungsministerium, die Österreichische Akademie der Wis-senschaften sowie zahlreiche einzelne Hochschulen wie etwa die FH Vorarl-berg. Die Auflistung endet mit einer Versicherung des Verlages: „Die re-daktionelle Verantwortung liegt bei Der Standard“.

Unterstützung bedeutet ganz kon-kret: Allein im ersten Quartal 2013 flos-sen nur aus den vier genannten Quel-len gut 55.500 € auf das Konto des Standard. Davon entfielen 14.000 € auf den FWF, 23.445 auf das Forschungs-ministerium, 8.000 auf die Österreichi-sche Akademie der Wissenschaften und gut 10.000 € auf die FH Vorarlberg. Die Zahlen gehen aus einer Auflistung der Kommunikationsbehörde Austria hervor, der mit öffentlichem Geld fi-nanzierte Organisationen den Betrag melden müssen, den sie für Medien-kooperationen pro Quartal ausgege-ben haben. Geregelt ist das im § 3 des Medientransparenzgesetzes, das seit 2012 in Österreich in Kraft ist.

Ohne dieses Gesetz wäre der tat-sächliche Umfang der Unterstützung nur schwer ermittelbar gewesen. Denn der Verlag will über die Höhe der Zu-wendungen „aus Wettbewerbsgründen“ keine Angaben machen. Immerhin teilt der Verlag aber mit, dass diese Beilage

komplett durch Sponsorengelder finan-ziert werde. Der Umfang der Beilage schwanke je nach Sponsorvolumen. Ohne die Sponsoren gäbe es diese mehrseitige wöchentliche Beilage nicht. Der Standard hätte zwei bis zweiein-halb Wissenschaftsredakteure weniger.

Der Hinweis auf den Wettbewerb erscheint gerechtfertigt. Denn ganz ähnliche Kästchen finden sich bei der zweiten überregional erscheinenden Tageszeitung Die Presse. Der Umfang der Unterstützung, den etwa Die Pres-se allein durch den FWF und das For-schungsministerium erhielt, deckt sich fast genau mit dem des Standard. Der Presse flossen im ersten Quartal 2013 aus beiden Quellen gut 38.000 € zu.

Außerdem profitieren das Magazin Falter, das seine fünf Mal jährlich er-scheinende Beilage Heureka durch Sponsoren finanziert und die APA, die nationale Presseagentur Österreichs, deren Wissenschafts-Dossiers durch Zuwendungen einer ganzen Gruppe von Bundesministerien ermöglicht wer-den, darunter auch das Forschungs-ministerium. Mit im Boot ist auch das ORF-Fernsehen, das über Medien-kooperationen Produktionskostenzu-schüsse erlöst. So für Produktionen, die in Deutschland regelmäßig montags um 19.30 Uhr in der Reihe Akademie über BR alpha verbreitet werden.

Daraus ergibt sich, dass nennens-werte Teile der spezialisierten Wis-senschaftsberichterstattung in Öster-reichs Qualitätsmedien mit nationaler Verbreitung nicht klassisch finanziert sind. Ein Problembewusstsein ist min-destens in der Redaktion des Standard nicht auszumachen. Aus der Redaktion verlautet, man sei über die Details der

Finanzierung nicht genau im Bilde und verweist auf die Geschäftsstelle. Die Art der Finanzierung habe auf die redaktio-nelle Arbeit aber keinen Einfluss. Finan-zierung und Redaktion erscheinen als getrennt voneinander.

Dies deckt sich mit den Angaben von maßgeblichen Förderern nur zum Teil. Eine Einmischung in redaktionel-le Entscheidungen ist nach Angaben des FWF nicht vorgesehen. Man sehe sich in der Rolle des „Ermöglichers“ eines qualitativ ansprechenden Wis-senschaftsjournalismus, sagt Stefan Bernhardt, zuständig für Öffentlichkeits-arbeit und Wissenschaftskommunika-tion beim FWF. Die Zahlungen an den Standard stünden allerdings dann auf dem Prüfstand, sollte die Redaktion auf eine grundsätzlich wissenschaftskriti-sche Linie umschwenken. Ausdrücklich nicht gemeint damit sei „berechtigte Kri-tik“ an wissenschaftlichem Fehlverhal-ten Einzelner. Der Freiraum der Redak-tion finde allenfalls dort seine Grenze, wo die gesamte redaktionelle Linie des Standard auf eine kritische Betrach-tung des Wissenschaftsbetriebes um-schwenke, sagt Bernhard.

Bei Marianne Baumgart von der Ös-terreichischen Akademie der Wissen-schaften klingt das anders. So sei das finanzielle Engagement der Akademie an die Erwartung gekoppelt, dass „wir da auch vorkommen, wir bezahlen ja nicht ins Blaue“, sagt Baumgart. Mit dieser Haltung steht Baumgart nicht allein. Auch die Fachhochschule Vor-arlberg erwartet konkrete Gegenleis-tungen. Offenbar reagiert Der Standard auf Ansprüche von Geldgebern nicht nur dadurch, dass bestimmte Themen redaktionell aufgegriffen werden. Ih-

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nen wird zuweilen wohl auch dadurch begegnet, dass Anzeigen geschaltet werden. So weiß man bei der Fach-hochschule Vorarlberg auf Anfrage nicht genau zu sagen, welcher Anteil der Zahlung in Höhe von gut 10.000 € im ersten Quartal 2013 auf eine Anzei-ge entfiel und welcher der Forschungs-beilage zufloss.

Dies verweist auf eine Schwierig-keit bei der Deutung der Zahlungen für Medienkooperationen, die laut Medien-transparenzgesetz ausgewiesen wer-den müssen. Ausgaben für Anzeigen werden nicht von jenen unterschieden, die etwa Wissenschaftsredaktionen zu-fließen. Nicht jede Gutschrift der vom Standard aufgeführten Institutionen lässt sich eins zu eins der Forschungs-beilage zurechnen. Deshalb lässt sich auch nicht verlässlich abschätzen, ob dem Standard für seine Forschungsbei-lage mehr Geld zufließt, als er für de-ren Produktion tatsächlich aufwendet. Angesichts der Höhe der Zahlungen ist dieser Verdacht nicht ganz abwegig. Die Geschäftsführung des Standard will sich nicht dazu äußern, ob Überschüs-se erzielt werden. Nach Angaben sei-nes Sprechers, Stefan Bernhardt, hat der FWF als einer der Unterstützer kei-ne Kenntnis davon, ob seine Zahlungen tatsächlich in vollem Umfang allein der Forschungsbeilage zufließen. „Als Ko-operationspartner geht mich das nichts an“, sagt Bernhardt.

Die Zahlungen sind für die Unterstüt-zer im Einzelfall mehr als ein Almosen. So steckt die Österreichische Akade-mie der Wissenschaften pro Quartal gut 30.000 € in Medienkooperationen mit dem Standard, der Presse am Sonntag (8500 €) und dem ORF (knapp 15.000 €). Dies ist nach Angaben von Marianne Baumgart ein „ordentlicher Posten“ des Sachmittelbudgets. Entsprechend kann sie sich durchaus vorstellen, sich vom Standard anders als bisher vertraglich zusichern zu lassen, dass die Mittel allein der Forschungsbeilage zugutekommen.

Medienkooperationen dieser Art bestehen in Österreich seit etwa zehn Jahren. Es scheint, als hätte sich das als eine gängige Form etabliert, um Wissenschaftliches durch spezialisier-te Redaktionen in die Öffentlichkeit zu bringen. Wie unsere Recherchen zei-gen, ist Österreich kein Sonderfall.

Auch in der Schweiz, in Irland, Griechenland, Spanien, Finnland,

Tschechien und in Estland finden oder fanden sich Beispiele für die „Ermög-lichung“ von Wissenschaftsberichter-stattung durch mehr oder weniger wis-senschaftsnahe Geldgeber: Nationale Wissenschaftsförderorganisationen, Universitäten und private Stiftungen sind es, die für wissenschaftsjourna-listische Produkte ihre Börse öffnen. Selbst die Unterstützung konkreter Medienprodukte durch staatliche Stel-len ist nicht beispiellos. Nach Anga-ben von Kostas Dimopoulos, der die griechische Szene seit Jahren beob-achtet, sei die Stiftungsfinanzierung in Griechenland die Regel, allerdings komme es gelegentlich auch zu Zah-lungen staatlicher Stellen an bestimm-te Medienprodukte.

In Irland und Estland finden sich mehrere Beispiele der Unterstützung von Radio- und Fernsehsendungen durch die nationalen Wissenschafts-förderorganisationen. Diese Unterstüt-zung ist prinzipiell mit der beim Wiener Standard vergleichbar, allerdings mit einem wesentlichen Unterschied: Nicht staatliche Stellen treten als Förderer auf, sondern ausschließlich Wissen-schaftsförderorganisationen. Mindes-tens im Falle von Estland mischen die Förderer anders als in Österreich im operativen Geschäft kräftig mit und nehmen Einfluss auf Themenwahl und auch die Gestaltung einzelner Beiträge.

In Spanien engagieren sich sowohl staatliche Stellen als auch private Stif-tungen, um einzelne journalistische Angebote zu unterstützen. Nach An-gaben von Gema Revuelta, die seit vielen Jahren an der Universität in Barcelona Wissenschaftskommunika-toren ausbildet, treten einzelne Wis-senschaftsorganisationen anders als in Österreich oder der Schweiz nicht auf den Plan, was sie darauf zurück-führt, dass Universitäten und zentrale Wissenschaftsförderer nicht über die nötigen Ressourcen verfügen.

Der Wissenschaftsjournalismus in Finnland kommt nach Einschätzung von Esa Väliverronen, Professor für Wissenschaftsjournalismus an der Uni-versität in Helsinki, derzeit weitgehend ohne externe Unterstützung aus. Aller-dings gab es auch in Finnland in den 90er Jahren einzelne Medienprodukte, die entweder durch Zusammenschlüs-se einzelner Universitäten ermöglicht wurden oder durch private Stiftungen.

Recherchen des Schweizer Maga-zinjournalisten Yves Demuth zufolge, gibt es in der Schweiz drei Modelle der finanziellen Unterstützung des Wissen-schaftsjournalismus durch Externe.

Modell 1 Die privaten Stiftungen Mercator und Gebert Rüf finanzieren gemeinsam die Produktion einer wö-chentlich erscheinenden Doppelseite im profitablen Gratisblatt 20 Minuten. Das Geld fließt nicht direkt in die Kasse des Verlegers, der Tamedia AG, sondern in die Kasse der Agentur für Wissen-schaftskommunikation scitec-media, die der Schweizer Wissenschaftskom-munikator Beat Glogger betreibt. Diese Agentur, die auch wissenschaftsnahe PR-Aufträge ausführt, liefert die Dop-pelseite der Tamedia AG zu.

Modell 2 Die Hochschulrektoren-konferenz, also der Zusammenschluss der Schweizer Universitäten, zahlt zwei Drittel der Gehälter für zwei Wissen-schaftsredakteure der Schweizerischen Depeschenagentur (SDA).

Modell 3 Es unterscheidet sich vom zweiten Modell dadurch, dass ein Universitäten-Trio (Genf, Lausanne und Neuenburg) eine von ihnen selbst direkt finanzierte Mitarbeiterin an den West-schweizer öffentlich-rechtlichen Radio- und Fernsehsender RTS abgestellt hat. In diesem Sender betreut die Mitarbei-terin hauptsächlich eine von zwei auf Wissenschaftsthemen spezialisierten Online-Plattformen. Man kann diesen Beschäftigungstyp vielleicht am ehes-ten als „embedded scientist“ bezeich-nen, weil die Universitätsbeschäftigte mit RTS E-Mail-Adresse für Außenste-hende nicht von den regulär Beschäf-tigten zu unterscheiden ist.

Aus dieser Übersicht ergibt sich, dass solche Finanzierungsmodelle nicht unüblich sind im europäischen Ausland. In allen acht Ländern, in de-nen wir nachgefragt haben, existieren oder existierten solche Modelle. Auch in Deutschland gab es einen solchen Fall. So wurde vor mehr als 10 Jahren die ZDF Sendereihe Humboldts Erben üppig mit Mitteln der DFG unterstützt. Derzeit gibt es solche Kooperationen wahrscheinlich nicht. Elisabeth Hoff-mann jedenfalls, Vorsitzende des Ver-bandes der Hochschulsprecher, kennt keine vergleichbaren Beispiele. Ihrer Einschätzung nach werde man aber über kurz oder lang auch in Deutsch-land über solche Modelle diskutieren. }

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Geld zu nehmen, um Journalismus zu finanzieren, ist riskant. Aber wie lassen sich die Risiken abschätzen? Ein Vorschlag

Von Markus Lehmkuhl

Gefahr erkannt! Problem gebannt?

Wohl kaum ein Thema weckt derzeit im Journalismus mehr Interesse als die Erosion des klassischen Geschäfts-modells, unter der fast die gesamte Branche zu ächzen scheint. Entspre-chend vital ist die Diskussion über neue Erlösmodelle, die insbesondere teure „Spezialjournalismen“ wie den Investi-gativjournalismus oder auch den Wis-senschaftsjournalismus über Wasser halten könnten. Wie unsere Recher-chen zeigen (siehe Beitrag „Milde Ga-ben“) existieren alternative Erlösmodel-le im Wissenschaftsjournalismus längst, wenn auch nicht in Deutschland. Relativ prominente Beispiele: Die wöchentlich erscheinende Beilage Forschung Spe-zial des Wiener Standard wird seit über zehn Jahren maßgeblich getragen un-ter anderem durch Zuwendungen des Österreichischen Wissenschaftsfonds FWF und dem Ministerium für Wissen-schaft und Forschung. Diese Beilage existiert nur, weil sie Unterstützer hat. Gleiches gilt für die wöchentliche Wis-senschafts-Doppelseite im Schweizer Gratis-Blatt 20 Minuten, die von der Agentur scitec-media zugeliefert wird. Die Kosten tragen die beiden Schwei-zer Stiftungen Gebert Rüf und Mercator.

Zwanglos erklären lässt sich die Exis-tenz dieser und auch anderer Modelle damit, dass der Wissenschaftsjournalis-mus ebenso wie der Sportjournalismus nicht im Ruf steht, große Distanz zu seinem Berichterstattungsgegenstand zu wahren. Wissenschaftsjournalismus ist nach wie vor dominiert von Erfolgs-

geschichten, weil er für Wissenschafts-kritisches bislang jedenfalls kein großes Publikum begeistern kann. Und selbst da, wo er Pseudo-Science als Pseudo-Science anprangert, dort, wo er auf die Limitationen oder Ambivalenzen wis-senschaftlicher Studien hinweist, dort, wo er kritisch nach wissenschaftlicher Evidenz fragt, darf er grundsätzlich auf die Wertschätzung wissenschaftsnaher Akteure bauen. Grenzen findet diese Wertschätzung dort, wo Journalismus ganz „unwissenschaftlich“ oder aber ganz grundsätzlich Wissenschaft at-tackiert oder kritisiert. Grenzen findet die Wertschätzung aber auch dort, wo Journalismus übervereinfachend wis-senschaftliche Sachverhalte verzerrt. Solche journalistischen Produkte findet man aber eher selten im spezialisierten Wissenschaftsjournalismus. Denn zum Selbstverständnis und zur Professio-nalität eines Wissenschaftsjournalisten gehört es ja gerade, die Wissenschaft mit wissenschaftlichen Ellen zu messen.

Im Ergebnis existieren große Schnitt-mengen zwischen dem real existieren-den Wissenschaftsjournalismus und dem, was wissenschaftsnahe Förde-rer wollen. Vielleicht auch deshalb gibt es keinen Konsens darüber, wie das Schweizer und das Österreichische Modell zu bewerten sind. Solche Mo-delle scheinen aber das Zeug zu ha-ben, die Szene zu emotionalisieren. Dies gilt mindestens in der Schweiz. Die Zeitschrift Saldo attackierte im Mai diesen Jahres das stiftungsfinanzierte

Modell von 20 Minuten: Das sei kein unabhängiger Journalismus, sondern allenfalls unkritische Verlautbarung wissenschaftsfreundlicher Botschaften. Diese Bewertung wies der angespro-chene Chef von scitec-media, Beat Glogger, der die Inhalte im Auftrag der Stiftungen für 20 Minuten erstellt, ent-schieden zurück.

Zwei Positionen trafen in dem Dis-put unvereinbar aufeinander: Eine, die auch im Wissenschaftsjournalis-mus vor allem den unabhängigen und neutralen Beobachter und Kontrolleur sehen will. Eine andere, die sich un-ter Wissenschaftsjournalismus kaum mehr vorstellen will oder kann als eine Art Erklärbären für das Komplizierte, das er einfachen und möglichst jungen Leuten durch die Anwendung gängiger Vermittlungsstrategien näher zu brin-gen versucht. Das Ergebnis: Konfron-tation, nicht Verständigung. Gut - Böse - Rhetorik statt Suche nach belastbaren Faktoren, um das Sponsoring konkreter journalistischer Produkte zu beurteilen.

Jede Art der Finanzierung

birgt Risiken

Um die Freund-Feind-Rhetorik von vorneherein zu durchbrechen und kon-

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WPK-Quarterly 7II/2013

struktiv über Für und Wider von Spon-soring zu diskutieren, kann man sich ei-nen Vorschlag von zwei Neuseeländern zunutze machen. Peter Adams und Fio-na Rossen schlagen vor, sich zunächst auf eins zu verständigen: Jede Art von Finanzierung birgt Risiken für den Jour-nalismus. Das gilt für die erodierende „klassische“ Finanzierung aus Abo und Werbung ebenso wie für das Crowd-sourcing oder die Finanzierung aus öf-fentlich-rechtlichen Stiftungen. Abhän-gig vom Finanzierungsmodell lauern Risiken allerdings an unterschiedlichen Orten. Öffentlich-rechtliche Finanzie-rungen stärken die journalistische Un-abhängigkeit, sie schwächen aber unter Umständen die Publikumsorientierung. Sponsormodelle schwächen die jour-nalistische Unabhängigkeit, können aber grundsätzlich einer Verflachung Vorschub leisten, die unter Umstän-den eine große Abhängigkeit vom Markt nach sich zieht.

Wenn man sich darauf verständigt hat, sollte man nach Auffassung der beiden Neuseeländischen Philosophen daran gehen und zu analysieren versu-chen, welche relevanten Risikoquellen es gibt. Ausgehend davon schließlich braucht man Faktoren, die für eine schnelle Risikoabwägung brauchbar sind. Adams und Rossen haben das im Auftrag von gemeinnützigen sozialen Organisationen versucht. Diese Orga-nisationen fragten sich, ob sie Geld, das direkt oder indirekt aus Profiten mit Spielautomaten, Wetten oder Casi-nos stammt, für die Finanzierung ihrer Organisationen annehmen sollten. Sie sahen sich dem ethischen Dilemma gegenüber, Gutes nur dann tun zu kön-nen, wenn sie Geld aus Quellen anneh-men, die aus ihrer Sicht Schlechtes tun, nämlich Glücksspiele organisieren.

Auf Verlage und Rundfunkanbieter angewendet, stellt sich die Situation an-gesichts eines starken Kostendruckes etwa so dar: Sie müssen sich fragen, ob sie Geld von Dritten annehmen oder besser auf ein wissenschaftsjournalis-tisches Angebot verzichten. Sie müs-sen also zwei Risiken gegeneinander abwägen: das Risiko, kein Angebot zu machen, gegen das Risiko, Geld von Externen anzunehmen.

Bezogen auf den Journalismus gibt es mindestens drei Risikoquellen, die für die Abwägung des Sponsoring ganz besonders relevant sind:

1. Verlust oder Einschränkung der Unabhängigkeit

Sowohl der Wiener Standard als auch das stiftungsfinanzierte Angebot von 20 Minuten legen Wert darauf, ihre Unabhängigkeit zu betonen. Bei-de beziehen ihre Rede von der Un-abhängigkeit darauf, dass sich die Fi-nanziers nicht ins operative Geschäft einmischen, etwa Themen vorgeben oder Einfluss nehmen auf die Gestal-tung der Beiträge. Also, so das Signal, alles in Ordnung!

Maßgeblich für die Abschätzung der Risiken für die Unabhängigkeit der journalistischen Arbeit ist aber sicherlich nicht nur der Umstand, ob ein Geldgeber sich in die Auswahl der Themen und deren konkrete Umset-zung einmischt. Das ist allenfalls die allerletzte Stufe einer Verwandlung des Journalisten in ein Mietmaul. Maß-geblich ist auch der Anteil der Kosten, die ein einzelner Sponsor oder Unter-stützer beisteuert. Je höher die Anteile Einzelner sind, desto größer wird das Abhängigkeits-Risiko. Trotz reklamier-ter oder tatsächlicher Unabhängigkeit, die sich auf das operative Geschäft der Auswahl und Aufbereitung von Wissenschaftsthemen bezieht und trotz der Tatsache, dass es relativ vie-le Unterstützer gibt, ist dieses Risiko im Falle der Beilage des Standard ganz erheblich.

Angesichts der Zahlungen an den Verlag muss man davon ausgehen, dass die Refinanzierung der gesam-ten Beilage ganz maßgeblich vom FWF und vom Forschungsministerium abhängt. Sollte eine der beiden Insti-tutionen solche Unterstützungen nicht mehr für adäquat halten, dürften die anderen dieser Haltung folgen. Es ist deshalb schwer vorstellbar, dass die Wissenschaftsredaktion ihr Produkt durch Kritik an den wichtigen Förde-rern existenziell gefährdete. Diese Be-schränkung fällt im Falle des Standard besonders ins Gewicht, weil es sich bei den Förderern um Institutionen handelt, die den eigentlichen Bericht-erstattungsgegenstand – aktuelles Wissenschaftsgeschehen – maßgeb-lich gestalten und deshalb mindestens indirekt die Berichterstattung über sich selbst finanzieren. Dass dies zu Prob-lemen führt, ist im Medienjournalismus zu besichtigen.

Risiko verschärfend hinzu kommt, dass sich eine Gefährdung der Un-abhängigkeit anders als beim Me-dienjournalismus nicht weitgehend auf eine ganz kleine redaktionelle Untereinheit beschränken lässt. Wis-senschaft ist ein Querschnittsthema, sie ist in allen Ressorts periodisch von hoher Relevanz. Dadurch, dass die Untereinheit Wissenschaft beim Standard von der Gesamtredaktion organisatorisch nicht klar getrennt ist, besteht ein moderates Risiko, dass die „Beißhemmung“ sich auch auf an-dere Ressorts des Standard ausdehnt, die von der Unterstützung gar nicht profitieren. Besonders groß ist dieses Risiko bei der klassisch finanzierten Wissenschaftsberichterstattung des Standard, die Teil des Kulturressorts ist. Es ist nur schwer vorstellbar, dass ein „klassisch“ finanzierter Redakteur durch Angriffe auf einen maßgebli-chen Förderer die Arbeitsgrundlage seiner Kollegen aufs Spiel setzt.

Im Falle von 20 Minuten ist das Ab-hängigkeitsrisiko anders gelagert und deshalb schwieriger zu beurteilen, und zwar im Wesentlichen aus zwei Grün-den: Erstens handelt es sich bei den Förderern, den Stiftungen Gebert Rüf und Mercator, nicht gleichzeitig um maßgebliche Player in der Schweizer Wissenschaftsszene. Es ist also weit weniger wahrscheinlich, dass diese Stiftungen selbst zu Gegenständen der Berichterstattung werden. Und zweitens sind die Mitarbeiter der Agen-tur, die diese Doppelseite zuliefert, or-ganisatorisch von der Produktion der sonstigen Inhalte von 20 Minuten ge-trennt. Es ist zwar nicht unwahrschein-lich, dass auch die anzeigenfinanzier-te Redaktion eine „Beißhemmung“ gegenüber den beiden Stiftungen aus-prägen dürfte. Es ist aber nicht wahr-scheinlich, dass diese Beißhemmung von größerer Relevanz ist.

Ein Abhängigkeitsrisiko lässt sich bei diesem Modell eher auf der Ebe-ne der Agentur scitec-media vermu-ten. Diese Agentur produziert nicht nur die Doppelseite, sie betreibt auch Wissenschafts-PR. Dadurch besteht das Risiko für 20 Minuten, dass die Ab-hängigkeit der Agentur von ihren Wis-senschafts-Kunden Einfluss gewinnt auf das, was auf der Doppelseite wie thematisiert wird. Dieses Risiko lässt sich aber nur dann qualitativ abschät-

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zen, wenn man genauere Kenntnis hat über das Business-Modell der Agentur scitec-media. Grundsätzlich gilt aber: Je größer die Abhängigkeit dieser Agentur von den PR-Erlösen aus der Wissenschaft, desto größer ist auch hier die Wahrscheinlichkeit, dass man über die berichtet, von denen man fi-nanziell abhängig ist.

2. Verlust von Reputation und Glaubwürdigkeit

Neben einem Risiko für die journa-listische Unabhängigkeit, das man be-zogen auf die beiden hier diskutierten Beispiele zwischen den Polen sehr groß und moderat ansiedeln kann, birgt das Sponsoring Reputations-Risiken. Und zwar prinzipiell für beide Seiten, sowohl für den Geldgeber als auch für den, der das Geld annimmt. Seinen guten Ruf riskiert ein Verlag dann, wenn eine Finanzierungspra-xis von seinen Lesern etwa nicht in Einklang zu bringen ist mit dem, was den guten Ruf begründet hat. So birgt die Annahme von Geld speziell vom Forschungsministerium für die Refi-nanzierung von etwas, das Der Stan-dard selbst als unabhängigen Wis-senschaftsjournalismus bezeichnet, ein erhebliches Risiko. Leser könnten diese Praxis für unvereinbar halten mit dem, was sie aus guten Gründen mit den Eigenschaften eines unabhängi-gen Qualitätsjournalismus in Verbin-dung bringen, nämlich Staatsferne.

Im Ergebnis besteht ein erhebli-ches Risiko, dass die Glaubwürdig-keit des Standard Schaden nimmt. Glaubwürdigkeit dürfte aber eine ganz wesentliche Voraussetzung für die Wertschätzung des Standard dar-stellen. Wieso sollte man Geld aus-geben für ein Produkt, dessen Inte-grität in Frage steht? Dabei kommt es in der Außenwahrnehmung nicht unbedingt darauf an, dass ja nur ein winziger Teil der Text-Produktion des Standard mit Geld einer staatlichen Institution ermöglicht wird. Es kommt auch nicht unbedingt darauf an, dass man beim Standard die Aufgabe spe-ziell des Wissenschaftsjournalismus offensichtlich nicht darin sieht, maß-gebliche Wissenschaftsförderer zu kontrollieren oder zu kritisieren. Ein Reputations-Risiko birgt allein die Tat-

sache, dass der Verlag zur Erstellung redaktioneller Inhalte überhaupt Geld einer staatlichen Institution annimmt.

Im Falle von 20 Minuten liegen die Dinge anders. Denn um einen guten Ruf zu verlieren, muss man einen sol-chen haben. Um ein erhebliches Re-putationsrisiko anzunehmen, müsste man davon ausgehen, dass Leser dem Journalismus dieses Gratis-Blat-tes Vertrauen entgegenbringen. Eine solche Annahme liegt nicht eben nahe, weil ja der Verlag klarmacht, dass sein Produkt (geld-)wertlos ist. Entsprechend wird man das Reputati-onsrisiko für die Tamedia AG als klein einschätzen dürfen. Im Gegenteil wird man argumentieren können, dass die Reputation von 20 Minuten durch das Engagement zweier gemeinnütziger privater Stiftungen potentiell aufge-wertet wird. Dieser Fall birgt entspre-chend mutmaßlich höhere Reputa-tions-Risiken für die Stifter als für den Nutznießer, die Tamedia AG.

Dies gilt aus meiner Sicht auch dann, wenn sich Abhängigkeiten der Agentur scitec-media von der PR in der Berichterstattung niederschlagen sollten und dies bekannt würde. Die Rufschädigung wäre für die Stiftun-gen mutmaßlich größer als für 20 Mi-nuten, ein Produkt, das nichts kostet und bei dem sich Leser nicht über-rascht zeigen dürften, wenn Vermi-schungen von PR und Journalismus bekannt würden.

3. Risiken für den Zusammenhalt innerhalb einer Redaktion

Die Unterstützung durch Dritte, die sich auf ganz bestimmte Organi-sationseinheiten eines Verlages be-schränkt, birgt Risiken für den inneren Zusammenhalt einer Redaktion. Dies bezieht sich einerseits auf die Mög-lichkeit der Ausgrenzung „gesponser-ter“ Kollegen aus dem Kreis der Kern-beschäftigten, die sich ihren Kollegen überlegen fühlen. Andererseits sind auch innere Konflikte klassisch finan-zierter Journalisten desselben Hauses vorprogrammiert, wenn deren Bericht-erstattung die Existenzgrundlage eini-ger Kollegen gefährden könnte.

Ein solches Risiko ist im Falle von 20 Minuten wiederum nicht zu erken-nen, weil die Doppelseiten von Mit-

arbeitern einer Agentur zugeliefert werden, die trotz der anzunehmenden engen Zusammenarbeit mit einzelnen Tamedia-Mitarbeitern keinen Kolle-genstatus haben.

Drei Faktoren für die Abschätzung von Risiken

Aus diesen Überlegungen lassen sich drei Faktoren ableiten, die eine schnelle und relativ differenzierte Abschätzung ermöglichen, wie groß das Risiko für die Unabhängigkeit, die Reputation bzw. Glaubwürdigkeit und den inneren Zusammenhalt einer Redaktion sind. Sämtliche Faktoren lassen sich gestuft abschätzen (sehr hoch/groß – sehr niedrig/klein).

Faktor 1: Die „Wissenschaftsnähe“ eines Sponsors

Risiken für Unabhängigkeit, Re-putation und inneren Zusammenhalt einer Redaktion erscheinen umso größer, je wahrscheinlicher es ist, dass ein Unterstützer Gegenstand der Berichterstattung wird. Je wis-senschaftsnäher ein Förderer, desto wahrscheinlicher werden Konflikte zwischen den Absichten einer Redak-tion und denen des Sponsors. Sehr wissenschaftsnahe Förderer können weiter differenziert werden. Das Risi-ko erscheint umso höher, je konkreter Bezüge zwischen Berichterstattung und Förderer ausfallen. Das Sponso-ring durch einzelne Universitäten birgt deshalb noch größere Risiken, dass es zu Konflikten kommt, als die För-derung durch große Wissenschafts-fördererorganisationen.

Faktor 2: Der Anteil einzelner Sponsoren an den Gesamtkosten

Es kommt bei dieser Abschätzung auf die Anteile an, die einzelne Spon-soren zur Finanzierung eines Pro-duktes beisteuern. Je größer dieser Anteil ist, desto größer ist das Risiko besonders für die Unabhängigkeit einer Redaktion. Es kommt darüber

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hinaus aber auch darauf an, wie eine Sponsorengruppe zusammengesetzt ist. Es ist für die Risikoabschätzung wesentlich, ob Sponsoren einem einzigen gesellschaftlichen Kontext zuzuordnen sind. Wenn sich ein An-gebot etwa zu nicht mehr als fünf Pro-zent aus den Anteilen eines einzelnen Sponsors finanzieren lässt wie das etwa beim Science Media Center in Großbritannien der Fall ist, dann ist darüber hinaus relevant, ob es sich bei den einzelnen Sponsoren sämt-lich um Wissenschaftsorganisationen handelt, bei denen man von einer gleichgerichteten Meinungsbildung ausgehen kann. In einem solchen Fall ist die Wahrscheinlichkeit grö-ßer, dass der Rückzug eines einzel-nen Sponsors den Rückzug weiterer Sponsoren nach sich zieht.

Faktor 3: Der Grad der organisatio-nellen und inhaltlichen Einbindung unterstützter Teile in ein größeres Ganzes

Risiken für Unabhängigkeit, Re-putation/Glaubwürdigkeit und den inneren Zusammenhalt einer Redak-tion erscheinen umso größer, je we-

niger abgetrennt ein unterstützter Teil wie eine Beilage oder eine einzelne Sendung von einem Gesamtprodukt inhaltlich und organisatorisch ist. Re-levante konkrete Kriterien sind etwa, ob fremdfinanzierte Mitarbeiter ein-gebunden sind in die Gesamtredakti-on und auch anderen redaktionellen Organisationseinheiten zuarbeiten. Dies ist zum Beispiel beim Standard der Fall. Relevant ist darüber hinaus, wie stark sich ein Produkt optisch und inhaltlich von einem Gesamtangebot abhebt.

Das Risiko im Einzelfall

Ausgehend davon lassen sich die Sponsoring Modelle im Wissen-schaftsjournalismus bezogen auf ihr Risiko differenziert abschätzen. Die Abschätzung selbst lässt sich gra-fisch darstellen, so dass die Höhe ei-nes Risikos prinzipiell auf einen Blick erfasst werden kann. Eine solche Ab-schätzung ist natürlich nicht „objek-tiv“. Man kann die einzelnen Modelle aber einer subjektiven Abschätzung

durch sehr viele relevante Außen-stehende unterziehen lassen und so einen Eindruck gewinnen, wie eine größere Gruppe von Menschen das Risiko abschätzt.

Risiken einzelner Finanzierungsmodelle im

Vergleich

Wir haben eine solche Abschätzung bei vier Finanzierungsmodellen ge-macht. Wenn man die Risikoabschät-zungen der drei Faktoren miteinander kombiniert, ergibt sich, dass das Risi-ko der Stiftungsfinanzierung (Gruppe 1) vergleichsweise kleiner ist als das Modell, das in Österreich verbreitet ist (Gruppe 4). Am größten ist das Risi-ko einzustufen bei einem Modell, das ebenfalls in der Schweiz vorzufinden ist (siehe Beitrag „Milde Gaben“): Ein Zusammenschluss von Universitäten bezahlt Wissenschaftsredakteure, die voll eingebunden sind in die Gesamt-redaktion.

Die Graphik zeigt die Risiken ausgewählter Finanzierungsmodelle im Wissenschaftsjournalismus im Vergleich.

Graphik: © M. L.

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Page 10: WPK Quarterly 2013 II

10 II/2013WPK-Quarterly

Wissenschaftsjournalismus, der von Dritten unterstützt wird, verliert nicht automatisch die Fähigkeit zur Kritik. Eine Replik

Von Beat Glogger

Auf den Geldgeber kommt es an!

In der Kritik stehen wir, seit wir die Wissen-Seiten für 20 Minuten produ-zieren, also seit vier Jahren. Man ge-wöhnt sich daran, aber man wundert sich auch. Vorgeworfen wird uns, in ei-nem finanziellen Abhängigkeitsverhält-nis könne man keinen unabhängigen Wissenschaftsjournalismus betreiben. Die Gewöhnung an diesen Vorwurf tritt natürlich durch dessen fortwährende Wiederholung ein. Interessanter ist die Verwunderung: Sie rührt daher, dass unsere Kritiker immer nur prinzipielle Bedenken vorzubringen haben – ob-schon ich sie eins übers andere Mal auffordere, konkrete Fälle zu nennen, wo meine Redaktion befangen gewe-sen sei, wo wir zu wenig kritisch be-richtet haben, zu wissenschaftsnah. Gefunden wurde ein solches Beispiel bis jetzt nicht.

Natürlich kann es nicht das journa-listische Ziel sein, in einem Gratisblatt, das frühmorgens in überfüllten S-Bah-nen gelesen wird, die prinzipielle Sys-temkritik an der Wissenschaft zu üben. Wir verstehen unsere Aufgabe primär im Erklären. Denn, wenn das Publikum nicht weiß, was Nanotechnologie ist, kann ich es schwer mit Kritik an dersel-ben zum Lesen animieren.

Aber wenn wir kritisch sein wollen, dann sind wir es. Dies belegte ich kürzlich auf der „ScienceComm13“, der jährlichen in der Schweiz stattfin-denden Konferenz der Wissenschafts-kommunikatoren und -journalisten. Präsentiert habe ich eine Analyse der Berichterstattung von Sonntagszei-tung, NZZ, Tagesanzeiger und 20 Mi-nuten zur Premiere eines humanoiden Roboters der Universität Zürich. Die meisten kritischen Fragen, die meisten Quellen, die höchste Quellentranspa-renz und die meisten Beispiele lieferten die Sonntagszeitung und wir in 20 Mi-nuten. Gefolgt vom Tagesanzeiger. Die NZZ begnügte sich mit einer Ein-Quel-len-Geschichte ohne jeden kritischen Ansatz. Während das Zürcher Traditi-onsblatt von Weltruf sich also gerne zur

Wächterin über den Qualitätsjournalis-mus aufschwingt, kann ich zumindest für unseren Wissensteil mit Fug und Recht behaupten: Wir liefern Qualität.

Trotzdem reißt die Kritik nicht ab. «Man beißt doch nicht die Hand, die ei-nen füttert», hielt mir eine Kollegin vom Radio einmal vor. Dem stimme ich zu – im Prinzip. Doch meine Maxime lautet anders: «Man läßt sich nicht von einer Hand füttern, in die man gerne beißen möchte.» Will heißen: Nicht von jeder Quelle nehme ich Geld für Journalis-mus. Ein Ministerium, eine Hochschu-le, eine Firma? Ausgeschlossen.

Und nun bestätigt die Risikoab-schätzung von Markus Lehmkuhl mich erst recht in meiner Haltung. Stif-tungsfinanzierter Wissenschaftsjour-nalismus ist von allen Modellen der Fremdfinanzierung das am wenigsten problematische. Das werden meine kritischen Kollegen zähneknirschend zur Kenntnis nehmen (müssen). Ohne-hin schulden sie mir noch die Antwort auf eine Frage, die ich ihnen ebenfalls an der ScienceComm13 gestellt habe: Wenn Wissen in 20 Minuten tatsäch-lich zu wenig kritisch ist, WEIL die Seiten fremdfinanziert sind und/oder WEIL die verantwortliche Agentur auch Kommunikationsaufgaben übernimmt, warum ist dann der Wissenschaftsjour-nalismus der so genannten unabhän-gigen Redaktionen nicht kritischer?

Was ich vor Lehmkuhls Artikel nicht

gewusst habe: dass Österreich ein Me-dientransparenzgesetz hat , das die mit öffentlichem Geld finanzierten Organi-sationen zwingt, den Betrag zu nen-nen, den sie für Medienkooperationen aufbringen. Was wohl so ein Gesetz in der Schweiz auslösen würde? Man erführe vielleicht, warum der Tagesan-zeiger, der sich unabhängig nennt, das Patronat für eine Wissenschaftsaus-stellung übernimmt, dazu eine mehr-seitige Berichterstattung liefert und verhindert, dass die veranstaltende Uni anderen Medien Hintergrundinformati-

onen zu der Ausstellung liefert. Oder interessieren diese „kleinen Abhängig-keiten“ die Branche etwa nicht?

Und warum schreit niemand, wenn ein Redakteur einer ebenfalls un-abhängigen Zeitung in der Jury des Schweizer Buchpreises sitzt, gleich-zeitig das Porträt über den Gewinner schreibt, die Präsentation des Buches moderiert – und seine Zeitung die Ver-anstaltung als Medienpartner unter-stützt und bewirbt? Na gut, das ist Kul-turjournalismus. Aber muss der nicht auch unabhängig sein?

Wo ich mit Lehmkuhl nicht ganz

einverstanden bin, ist sein Fazit, dass Verleger zwei Risiken gegeneinander abwägen müssen. Das Risiko, kein Angebot im Wissenschaftsbereich zu machen, mit dem Risiko, Geld von Ex-ternen anzunehmen. Es gibt noch eine dritte Möglichkeit: Die Verlage finan-zieren eine Wissensseite selbst, weil die Leserschaft sie will. Denn Wissen steht bei Publikumsbefragungen im-mer ganz oben auf der Prioritätenliste. In der Sonntagszeitung hat das Buch Wissen am zweitmeisten Lesende. Bei der NZZ am Sonntag steht Wissen auf Rang drei. Trotzdem publiziert zum Beispiel das Blatt meiner Heimatstadt lieber drei Seiten Kultur – unter ande-rem mit Berichten zu Opernpremieren in Bayreuth – als einmal wöchentlich Wissenschaft.

Doch vielleicht ist das ganz einfach die Schuld der Wissenschaftsjourna-listen selbst, wie Irène Dietschi, die ehemalige Präsidentin des Schwei-zer Klubs für Wissenschaftsjourna-lismus in dessen letztem Bulletin zur Diskussion stellte. Was machen wir Journalisten falsch, dass Verleger und Chefredaktoren Wissenschaft nur als Special Interest und nicht als Pflicht-stoff sehen?

ist Inhaber der Agentur scitec-

media, welche die Doppelseite

Wissen in 20 Minuten produziert.

Beat Glogger

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Page 11: WPK Quarterly 2013 II

WPK-Quarterly 11II/2013

Eindrücke von der Weltkonferenz der Wissenschaftsjournalisten. Ein Bericht

Von Hristio Boytchev

Was ist Journalismus wert?

“Es ist eine gute Zeit für den Journa-lismus, aber eine schlechte für Journa-listen”, sagte Ivan Oransky in seinem Vortrag auf der Schlusssitzung der WCSJ 2013. Damit traf er die Stim-mung auf dem Welttreffen der Wissen-schaftsjournalisten in Helsinki ganz gut.

Einerseits zeigte sich hier, dass sich sehr viel tut auf unserem Feld. Ses-sions zu neuen Darstellungsformen, Geschäftsmodellen und zur Rolle des Wissenschaftsjournalismus überhaupt buhlten um Aufmerksamkeit. Trotzdem war die Medienkrise – in den USA weiter fortgeschritten als hier – als Bedrohung für den professionellen Journalismus immer spürbar. Eine überzeugende Antwort, wie ihr zu begegnen ist, fehlt.

Doch was ist professioneller Journa-lismus überhaupt? Die Veranstaltung, die sich am deutlichsten mit dieser Frage beschäftigte, war die Debatte „Wearing many hats? How to preserve independence“. Initiator war der Nie-derländer Peter Vermij, der selbst viele Jahre als Wissenschaftsjournalist gear-beitet hatte, bis er zur Wissenschafts-kommunikation wechselte. Er habe dann auch aufgehört, sich als Wissen-schaftsjournalist zu bezeichnen. Aller-dings habe er gemerkt, dass viele Kol-legen es nicht so handhaben und sich trotz Neben- und Hauptbeschäftigung an Universitäten oder in der Industrie weiterhin als Journalisten ausgeben. Um das genauer zu untersuchen, hat er eine Umfrage gemacht, deren Ergeb-nisse er auf der Session vorstellte.

Insgesamt hatten sich rund 400 Menschen beteiligt, die angaben, sich mit Wissenschaftsjournalismus zu be-schäftigen. Etwa 50 davon kamen aus Deutschland. Drei Viertel präsentierten sich ausschließlich als Journalisten, ein Fünftel gab sich gleichzeitig als Journalist und Öffentlichkeitsarbeiter aus. Doch nur 30 Prozent bezogen ihr

Einkommen allein von Medienhäusern, neun Prozent der Befragten erzielten gar kein solches Einkommen.

Ob das nun ein Problem ist, darüber wurde diskutiert. Bora Zivkovic, zu der Zeit noch Blogredakteur bei Scienti-fic American, sah das als harmlos an. “Journalismus ist kein Beruf, sondern eine Handlung. Jeder kann Journalis-mus ausüben, wenn er zum Beispiel über einen Verkehrsunfall berichtet”. Diese Ansicht ist in den USA beliebt, auch der New-Media-Guru Jeff Jarvis hat sie in ähnlicher Form geäußert. Dass sich jemand, der sich für Blogs stark macht, diese Meinung vertritt, ver-wundert nicht. Trotzdem lohnt es sich, über die Aussage und ihre Konsequen-zen genauer nachzudenken.

Ist Journalismus wie Kochen?

Ist Journalismus also wie Kochen und jeder, der ein Omelett rührt, kann sich Koch nennen? Oder ist die Tatsa-che, dass man nur von Medienhäusern Einkommen bezieht, etwas Besonderes und Schützenwertes? Ich glaube, wir brauchen eine überzeugende Antwort auf diese Frage, ob und warum profes-sioneller Journalismus einen Wert hat. Sie sollte dann klar und selbstbewusst kommuniziert werden.

Was kann also eine Zeitung leisten, das das Greenpeace Magazin oder Max Planck Forschung nicht kann? Ist es Unabhängigkeit? Wie sieht es damit aber dann im Detail aus: Ist ein Journalist noch unabhängig, wenn eine Forschungseinrichtung eine Reise be-

zahlt oder eine Stiftung eine einwöchi-ge Segeltour – Eigenbeteiligung 150 € für WPK-Mitglieder? Es wäre hilfreich, wenn die WPK hier klare Regeln oder Empfehlungen hätte. Das würde die Entscheidung einfacher machen.

Die Medienhäuser sollten sich fra-gen, was für einen Journalismus sie von ihren festen und freien Mitarbeitern er-warten. Geringe Honorare und die Wei-gerung, Reisekosten zu übernehmen, befördern es eben, dass freie Journa-listen gern Nebenjobs annehmen, z.B. mal etwas für die Leopoldina schreiben. Oder auf Pressereisen mit geringer Ei-genbeteiligung mitfahren, weil sie sonst überhaupt keine Geschichten machen könnten. Das mag man OK finden, oder nicht. Es sollte aber klar sein: Wenn man findet, dass die FAS doch etwas anderes ist als Helmholtz Perspektiven und Journalismus ein Beruf, dann soll-te man darüber nachdenken, ob man durch niedrige Honorare möglicherwei-se nicht selbst diesen Unterschied zu-nichte macht und damit auch ein Stück der eigenen Daseinsberechtigung.

Die Session “Blurring Lines” war nicht nur aufgrund des Inhalts, sondern auch wegen der Form ein Highlight. Zu-erst gab es zwei Eingangsstatements. Kai Kupferschmidt vertrat die ‚reine‘ Lehre: “Wir schreiben als Wissen-schaftsjournalisten ständig, wie alles al-les beeinflusst, tun aber bei uns selbst so, als ob Geld von außen unsere Mei-nung nicht ändert.” Anne Sasso stand für den pragmatischen Ansatz. Danach stellte Vermij Fragen an das Publikum: Geben Sie eine Teilfinanzierung einer Geschichte immer in der Zeitung an? Ist es OK, für eine Hochschulzeitschrift zu schreiben und gleichzeitig für eine Zeitung ein Interview mit dem Präsiden-ten dieser Uni zu führen? Diejenigen, die mit “Ja” antworteten, gingen zur ei-nen Seite des Raumes, die anderen zur

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12 II/2013WPK-Quarterly

gegenüberliegenden Seite. Dann sollte man durch Argumente die Gegenseite überzeugen oder seine Position erläu-tern. Der große Vorteil dieses Formats ist, dass man zu jedem Punkt Stellung beziehen muss. So entsteht ein sinnvol-ler Dialog. Auch die WISSENSWERTE könnte davon profitieren.

Es gab natürlich viele andere inte-ressante Sessions. Die meisten von ihnen sind immer noch nachvollzieh-bar. Es wurde eifrig unter dem Hashtag #wcsj2013 getwittert, auf der Home-page des Kongresses gibt es Links zu Storify, wo die Tweets verewigt sind. Wie bei der WISSENSWERTE wurde es meist dort spannend, wo es nicht um Wissensvermittlung durch Forscher, sondern um Journalismus ging. Gut fand ich den Workshop “Investigative journalism in science journalism” von Mark Lee Hunter. Er vertritt den Ansatz, dass eine journalistische Recherche stärker einer wissenschaftlichen Metho-de gleichen sollte. Dazu ist sein Buch “Story-Based Inquiry” zu empfehlen.

Leisten Multi-Media-Geschichten mehr als

konventionelle?

“The killer science journalists of the future” war der vielversprechende Name einer Session, die von Bora Ziv-kovic organisiert wurde. Die Wissen-schaftsjournalisten der Zukunft wären, ginge es nach dem Podium, weiblich, jung und amerikanisch – und nicht jour-nalistisch im klassischen Sinne. Erin Podolak etwa schreibt für das Dana-Farber Cancer Institute, Rose Eveleth macht Videos für TED-Ed. Die Session vermittelte viel Enthusiasmus für neue multimediale Erzählformen. Doch auf die Frage von Deborah Blum, was denn multimediale Geschichten schaffen, was konventionelle nicht können, kam vom Podium leider nur die Antwort, dass Erzählen immer noch sehr wichtig sei.

Darum ging es spezifisch in “Narra-tives in science writing”. Alok Jha vom Guardian, Ed Yong und Helen Pearson von Nature erzählten von ihren Erfah-

rungen bei der Komposition längerer Stücke. Der Raum war übervoll, die Veranstalter hatten offenbar die Anzie-hungskraft des altmodischen Schrei-bens unterschätzt. Am Ende glich der Workshop eher einem Treffen einer Selbsthilfegruppe. Die Sprecher beton-ten alle, wie schwer das Schreiben ge-rade längerer Stücke sei. Es gab zwar ein paar Tipps, die dankbar angenom-men wurden, z.B. es doch mal chrono-logisch zu versuchen, Brüche im Text nicht zu scheuen, immer wieder zur Ur-sprungsidee zurückzugehen – für mehr blieb trotz deutlichen Überziehens der vorgesehenen Dauer aber keine Zeit mehr. Dafür ist das Format auch nicht wirklich geeignet. Hier könnte die WPK vielen deutschen Kollegen mit einem Workshop einen großen Dienst erwei-sen. Bei einem zweitägigen Seminar zum Thema „Lange Textformen“ könnte man gemeinsam Geschichten planen und auswerten. Die Zeit braucht man, um Tiefe zu erreichen. Auf dem Repor-terforum etwa gibt es auch einstündige Workshops, die sich mit langen Stücken beschäftigen – über Allgemeinplätze gehen sie aber selten hinaus.

Überhaupt ist aus deutscher Per-spektive zu sagen, dass der hiesige Journalismus den internationalen Ver-gleich überhaupt nicht scheuen sollte. Allerdings könnten wir uns auf solchen Veranstaltungen besser verkaufen. Hel-sinki war eigentlich ein Heimspiel, da

hätte es mehr Sessions mit deutscher Beteiligung geben können. Das nächs-te Treffen wird 2015 in Seoul stattfin-den, das wurde auf der Abschlusssit-zung verkündet. Die Stadt hatte sich gegen den Mitfavoriten aus Kapstadt durchgesetzt, ausschlaggebend soll das bessere Programm gewesen sein.

Die letzte Sitzung diskutierte noch-mals die Zukunft des Wissenschafts-journalismus. Alok Jha erntete viel Ap-plaus für seine Bemerkung, er habe auf dem Kongress viel versteckten Hohn gegenüber konventionellem Journa-lismus gespürt, der nicht gerechtfertigt sei. Abschließend ging es auch noch um Finanzierungsmodelle. Ivan Orans-ky berichtete stolz von Crowdfunding-Projekten seiner Studenten, die hier und da einige Tausend Dollar gesam-melt hatten. Es war Peter Evans von General Electric, der die Frage stellte, wie nachhaltig das eigentlich sei.

Hristio Boytchev

ist freier Wissen-schaftsjournalist. Er hat Biologie und Journalis-mus studiert und arbeitet für Spiegel online, Focus und Nature.

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Workshop ‚Narratives in science writing‘. Der Raum war übervoll, die Veranstalter hatten offenbar die Anziehungskraft des altmodischen Schreibens unterschätzt.

Quelle: Flickr

Page 13: WPK Quarterly 2013 II

WPK-Quarterly 13II/2013

Nach 31 Ausgaben wurde der deutsche Ableger des britischen New Scientist wieder eingestellt. Warum hat das Konzept nicht funktioniert? Eine Analyse

Von Annette Leßmöllmann

Mit einer guten Idee zwischen allen Stühlen

Als die Nachricht durch die Twitter-Timeline huschte, dass der deutsche New Scientist nach nicht mal einem Jahr Bestehen Ende Mai 2013 einge-stellt werden soll, habe ich spontan einen Kondolenz-Tweet abgesetzt: „Schade“, befand ich. Und meinte das ernst. Sofort antwortete mir einer mei-ner Absolventen, Online-Journalist und Herausgeber eines hoffnungsfrohen crossmedialen Magazins, Tenor: Wie-so? Die haben es nicht anders verdient. Kein innovatives Konzept, keine On-line-Impulse, keine Zukunft.

War der New Scientist Deutschland (NewSD) einfach nur altbacken, print-lastig, Community-fern, zu wenig inno-vativ, für junge Leute uninteressant? Welche Innovation wäre denn überzeu-gender gewesen? Und: Geben Leserin-nen und Leser für innovative Konzepte im Wissenschaftsbereich Geld aus? Das Scheitern des deutschen New Scientist führt uns mitten hinein in die Debatte um Geschäftsmodelle und ver-änderte Nutzungsgewohnheiten. Und es führt zur Frage, was „Innovation“ ei-gentlich sein kann.

Tatsächlich war der deutsche New Scientist als Printprodukt konzipiert. Er war zwar online als Tablet-Version ver-fügbar, aber nicht mit einem wirklich ei-genständigen Konzept. Im Web wurde er von einem freundlich gestalteten, aber nicht übermäßig lebendigen Redaktions-blog begleitet. Man lernte die Redaktion kennen. Und das Blog schöpfte unter dem Etikett „Gute Frage“ sporadisch Le-serinput ab. Zudem war die Redaktion auf Facebook und Twitter aktiv und be-stückte einen eigenständigen Webauf-tritt mit redaktionellen Inhalten.

Dies alles ist heute Standard – das In-novative im Heft muss demnach woan-ders erwartet werden, nämlich im Inhalt. Und das ist erst einmal nichts Schlim-mes, zumindest, was ein Viertel der an-gepeilten Zielgruppe der NewSD-Leser betrifft, die Studierenden: Eine nicht-repräsentative Umfrage unter 200 Jour-nalismus-Studierenden, die Onlinejour-

nalismus-Student Daniel Höly für seine Diplomarbeit in Darmstadt gemacht hat, ergab, dass die meisten Befragten Print-produkte lesen wollen – „wenn sie rele-vante Inhalte für uns liefern“. Vorsichtige Schlussfolgerung: Print allein hält die Zielgruppe nicht ab, zuzugreifen. Aber der Inhalt muss ihnen etwas liefern, das sie woanders nicht bekommen.

Die Innovation muss im Inhalt liegen

Das gilt für die anderen Zielgruppen des NewSD vermutlich auch, die Mat-thias Urbach nennt, der als Redaktions-leiter die „Hard Sciences“ im Heft ver-antwortete: Naturwissenschaftlerinnen und Naturwissenschaftler, insbesonde-re solche, die inzwischen in anderen Bereichen arbeiten, aber Kontakt mit ihrem Feld halten wollen, sowie interes-sierte Laien. Also eine Überschneidung mit Geo-, Spektrum-der-Wissenschaft- oder Bild-der-Wissenschaft-Lesern, aber auch Lesern der wöchentlichen Wissensressorts bei Spiegel und ande-ren. Sie alle sollten mit einer anspruchs-vollen, aber dennoch allgemeinver-ständlichen Sprache erreicht werden.

Auf der Suche nach Besonderheiten

Was also war das Besondere am NewSD? Die Reihung beginnen kann man beim Economist-artigen Under-statement (dünn, Klammerbindung, Papier wie ein billiges Comic-Heft), aber mit 66 vollgepackten Seiten, hand-werklich überzeugend gemacht und offensichtlich von einem engagierten

Team erstellt, gut getextet und recher-chiert, mit zurückgenommenem Layout und Konzentration ganz auf die Sache; wöchentlich und aktuell (gut ein Drittel spielte sich allein in der Rubrik „Die-se Woche“ ab), mit gesellschaftlichem Dreh – und Humor. Von den Themen her war es breit aufgestellt, auch Sozi-al- und Geisteswissenschaften kamen vor, hinzu kam Technologisches oder Grundlagenforschung, oft mit besonde-rem Zuschnitt.

Es war ein Heft, das sofort auf das Zeitgeschehen reagieren konnte, an-statt sich in der monatlichen Rückschau in einer Art aktuellen Zeitlosigkeit zu verrenken. Dafür lieferte es aber deut-lich mehr Input, als es die Wochentitel auf ihren Wissenschaftsseiten bringen können. Der deutsche New Scientist hatte es sich zum Programm gemacht, gesellschaftliche Debatten wissen-schaftlich zu unterfüttern, „auch einer gewissen Wissenschaftsferne in sol-chen Debatten entgegenzuwirken“, so Matthias Urbach – ganz wie das briti-sche Mutter-Magazin, das sich derzeit inhaltlich auf den amerikanischen Markt ausrichtet und dort der Wissenschafts-feindlichkeit entgegenwirken will. So war das deutsche Heft also eben gera-de nicht „noch so ein Wissenschaftsma-gazin“, so Urbach.

Was war falsch daran? Ich kann das traurige Schulterzucken von Michael Plasse fast durchs Telefon sehen. Der Verlagsleiter der Manager Magazin Ver-lagsgesellschaft mbH verantwortete den deutschen New Scientist und sagt: „Wir sind gescheitert. Das muss man sich ehrlich eingestehen.“ Das publizistische Konzept habe nicht funktioniert. Obwohl bis zu 30 000 Probe-Abos abgeschlos-sen wurden, haben viel zu wenige diese in Bezahl-Abos gewandelt. Die für den Businessplan wichtige Abo-Auflage ist nach wenigen Monaten nicht mehr ge-wachsen. Da hätte es auch nicht gehol-fen, noch ein Jahr länger weiterzuma-chen. Hatte der Verlag einen zu kurzen Atem? Michael Plasse glaubt nicht dar-

Page 14: WPK Quarterly 2013 II

14 II/2013WPK-Quarterly

an, dass sich die Abonnentenzahlen von selbst erhöhen, nur weil man abwartet. Allerdings sei auch die Zeit des jahre-langen Päppelns und Querfinanzierens in den Verlagen vorbei.

Stichprobenartige Umfragen erge-ben den Eindruck, dass der Titel nicht so recht zu seinen Leserinnen und Lesern fand. Manche kannten das Heft gar nicht, manche lasen bereits das britische Heft und wussten nicht, warum sie zum deutschen wechseln sollten; viele wollten sich das Heft erst einmal ansehen und bekamen es im Handel nicht, und nur die Allerwenigs-ten griffen zum Hörer oder gingen ins Internet und bestellten sofort ein Abo. „Der New Scientist Deutschland sollte sich über den Vertrieb finanzieren“, sagt Michael Plasse. „In diesem Spitzen-Marktsegment muss ein solcher Titel ohne große Image-Etats auskommen.“ Die Bekanntheit muss sich also über Leseproben und „Heftkontakte in der Zielgruppe“ aufbauen.

„Wir sind gescheitert“ – am publizistischen

Konzept

Als reines Kiosk-Produkt funktioniert ein Nischenobjekt wie der NewSD auch nicht, obwohl dort die Platzierung dank des Spiegel-Umfelds schon viel besser war als ein Heft ohne diesen Kontext. Man müsse also in klassisches Abo-Mar-keting investieren, sprich: Günstige oder sogar kostenlose Probe-Abos, damit die Leser sich ein Bild machen können. Bei kleinen, aber feinen Publikationen aus Plasses Revier, den Wirtschaftstiteln – etwa dem Harvard Business Manager – funktioniere das doch auch.

Bleibt die Frage, ob das in den heu-tigen Zeiten reicht, und ob sich ein Ge-schäftsmodell eines Wirtschaftstitels auf den Wissenschaftsbereich übertra-gen lässt. Und ob das „hoch-saturierte Marktumfeld“ der Qualitäts-Wissen-schaftstitel den NewSD überhaupt hi-neingelassen hätte – obwohl in einem solchen Umfeld „Innovation durchaus möglich ist“, wie Plasse betont. Aber da das Heft nun mal eine Abozeitschrift sei, die man nicht in Massen über den Kiosk

vertreibt, helfe also nur das klassische Direktmarketing. Es sei heute aber viel schwieriger als noch vor 15 Jahren, Leser dazu zu bewegen, für das Gele-sene regelmäßig zu bezahlen, das gibt auch Michael Plasse zu. Und es bleibt die Frage: Erreichte die Botschaft des Besonderen, Gesellschaftsbezogenen, Kritischen des deutschen New Scientist potentielle Leser überhaupt? Haben sie erkannt, dass sie hier für sie relevante Informationen bekommen?

Ein Heft, das nicht den Weg zur Zielgruppe fand

Das Portemonnaie zückt, wer Nutz-wert im besten Sinne bekommt, z.B. exklusive Wirtschaftsinformationen (Wall Street Journal), Einordnungswis-sen, das die tägliche Quälerei durch die dicke Tageszeitung ersetzt (Die Zeit), soziale Aufwertung und Bestätigung eines Lebensstils (Landlust). Ob der New Scientist Deutschland irgendeine Form dieses durchaus intellektuellen Nutzwerts, mindestens aber die ge-forderte Exklusivität bedient hat, bleibt die Frage. Immerhin sind die Wochen-magazine, allen voran der Spiegel aus dem gleichen Haus, mit ihren Wissen-schaftsteilen eben doch auch aktuell und gesellschaftsnah aufgestellt. Sie sah Michael Plasse dann auch durch-aus als Konkurrenz. „Was habe ich da-von, das zu lesen?“ – diese Frage des Lesers müssten sich Zeitschriftenma-cher heute doch immer wieder ehrlich vorlegen, das konzedieren auch die Heftmacher Lothar Kuhn und Matthias Urbach. Es zwingt dazu, bei jedem Text und jedem Titel den ganz besonderen Dreh herauszuarbeiten.

Selbstgesteckte Ziele nicht erreicht?

Ich habe keine vergleichende empi-rische Untersuchung gemacht, stich-probenartig allerdings festgestellt: Viele Themen im NewSD standen auch wo-

anders – und nicht jeder Dreh war der ganz besondere, überraschende; er kam manchmal einfach durch die briti-sche oder amerikanische Perspektive eines übersetzten Textes hinein, die in-teressant zu lesen, aber nicht notwendi-gerweise für mich relevant war.

Aber es zählt nicht nur Exklusivität, sondern auch ein bestimmtes Lebens-gefühl oder ein spezieller Zugang zu einem Themenbereich, der Magazine erfolgreich machen kann. „Ein Maga-zinkauf hat mit Emotionen zu tun“, dem stimmt auch Michael Plasse zu. Viel-leicht punktet hier der britische New Scientist bei seinen Lesern, der einen bestimmten Umgang mit Wissenschaft aufgreifen kann. „Er lebt von diesem speziellen Humor und der Wissen-schaftskultur, die es schafft, sich hoch-wertig und doch populär zu geben: diese spezielle angelsächsische Mischung“, sagt Christoph Koch, Ressortleiter Wis-sen beim Stern und einer, der den New Scientist gerne im Original liest. Das britische Originalrezept funktioniert seit 1956, und das Magazin steht unter an-derem für kontroverse Themen und eine mutige Themenwahl, die Forschung als intellektuelles Abenteuer erleben lässt.

Hat dieser Zugang in der deutschen Zeitschrift funktioniert? Im deutschspra-chigen Raum lesen immerhin bis zu 8000 Menschen wöchentlich den briti-schen New Scientist. Anstatt nun 8,50 € für diesen am Kiosk auszugeben, soll-ten sie mit der deutschen Ausgabe für 4,50 € glücklich werden; das war das Geschäftsmodell. Hierfür übernahm die deutsche Redaktion etwa 70 Prozent der Inhalte des Mutterblatts und versah sie mit einem „deutschen Dreh“, der Rest waren eigene Geschichten. Die-se redaktionelle Aufgabe war nicht im-mer einfach: „Manchmal“, gibt Matthias Urbach zu, „mussten wir die englische Perspektive mühsam wieder heraus re-digieren“, oder die Texte waren für den „deutschen Dreh“ einfach unpassend: Ein Jubeltext über die tolle Möglichkeit, Abwärme energetisch zu nutzen, hätte hier nur irritiert, weil das für deutsche Verhältnisse ein alter Hut ist.

„Auch das Übersetzen war nicht immer einfach“, sagt Urbach. Weil die britischen Geschichten ein anderes Storytelling verwenden, wurde aus einer tollen englischen Geschichte plötzlich eine fade deutsche, die ohne Redigatur und Nachrecherche nicht

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WPK-Quarterly 15II/2013

gedruckt werden konnte. Daher habe die Redaktion darauf gedrängt, mehr Eigenes zu machen, um besser auf das Zeitgeschehen reagieren zu kön-nen. Waren anfangs noch drei Viertel der Geschichten „importiert“, blieben es am Ende zwei Drittel. Doch das Hu-morige sei beim deutschen Leser gut angekommen, sagt Chefredakteur Lo-thar Kuhn. Überschätzt habe man aber die Bekanntheit der Marke New Scien-tist, mit der deutsche Leser eben doch nicht automatisch das verbanden, was sich die Macher gedacht hatten. „Der englischsprachige Titel signalisiert: ‚Eli-tepublikation‘“, sagt zudem Christoph Koch. Er vermutet, dass das diejenigen abschreckt, die damit nichts anfangen können – und die anderen, die den bri-tischen New Scientist sowieso schon lesen, sehen oder akzeptieren den Sinn der Eindeutschung nicht.

Zu wenig eigener Wiedererkennungswert

Es stellt sich die Frage, ob der New Scientist Deutschland sich nicht mit Verve zwischen alle Stühle gesetzt hat. Elitär (was in Deutschland schnell nach hinten losgeht) und mit wenig Marken-Wiedererkennungswert, aber inhaltlich im Lizenz-Korsett des britischen Mutter-Magazins und mit wenig Spielraum für die Redaktion. Ein wissenschaftsjour-nalistisches Konzept, das im vollbesetz-ten Marktsegment erst gegen die Etab-lierten aufgebaut und mit Kraft auch als Image kommuniziert werden müsste. Zu dünn, um schick zu sein, was sich wieder mit dem elitären Anspruch beißt. Zu teuer, um mal eben mitgenommen zu werden. Zu früh dran, um konse-quent als schickes Tablet-Magazin zu erscheinen und auf den komplizierten und teuren Printweg zu verzichten. Viel-leicht geht das in zwei, drei Jahren. Zu klein (und vielleicht doch einen Tick zu traditionell), um offensiv einen Social-Media-Buzz zu inszenieren oder zumin-dest eine stabile, hochwertige Commu-nity aufzubauen.

Was hat die Redaktion falsch ge-macht? Aus Verlagssicht nichts! Micha-el Plasse singt geradezu Lobeshym-

nen auf den Chefredakteur und sein Team. Sie ist mit einer nur 20-köpfigen Mannschaft (inklusive Art Direktion und Schlussredaktion) nach minimaler Vor-bereitungszeit an den Start gegangen, hat aufgeräumte Cover produziert, die zu Recht Preise gewonnen haben – und die auch auf dem Tablet wirken (http://blog.new-scientist.de/wp-content/up-loads/Cover_47_12.jpg). Und sie zeigt Humor, auch im Untergang, wie das letz-te Cover mit dem Spruch für alle „Per An-halter…“-Liebhaber zeigt: http://blog.new-scientist.de/wp-content/uploads/NewScientist_Cover_Vor_Rueck_23.jpg.

Aber es fehlte der „Buzz“. Auch wenn man ein Magazin vielleicht nicht allein mit Sozialen Medien an den Start brin-gen kann (wobei hippe Publikationen wie Business Punk sehr erfolgreich mit Social-Media-Marketing auf den Markt gingen), mit zu geringer Unterstüt-zung durch Facebook etc. funktioniert es garantiert nicht. Außerdem vergibt man sich damit die Möglichkeit, die Be-dürfnisse seiner Zielgruppe genauer kennen zu lernen – will sie denn über-haupt gesellschaftlichen Bezug? Wel-chen Kritikstil braucht sie – die ätzende Spiegel-Manier, oder lieber doch konst-ruktiv und etwas wellnessartig wie neu-erdings bei der Zeit? Lechzt sie nach evidenzbasiertem Wissen und fundier-ten Entscheidungen? Und wenn ja, wie bereitet man das so auf, dass sie auch versteht, was sie da bekommt?

Wie diese Marktlücke füllen?

Zwar hat der deutsche New Scien-tist „eine solide Social Media-Arbeit gemacht“, wie Bloggerin und Wissen-schaftsjournalistin Beatrice Lugger ihm bescheinigt, die unter anderem das deutsche Scienceblogs-Portal aufge-baut hat. Aber trotzdem: Zeit Wissen „liken“ bei Facebook über 20.000 Per-sonen, Geo 37 000, der New Scientist Deutschland hat gut 2500, was immer-hin deutlich mehr ist als Facebook-Muf-fel P.M. (alle Zahlen vom 8.10.2013), aber doch vergleichsweise wenig. Der Twitter-Kanal hatte 600 Follower. Auch wenn Masse nicht alles ist und redak-

tionelles Marketing natürlich immer am Zeitbudget der Redakteure nagt – hier wäre noch Luft drin.

Was nützt es, wenn man im Aboshop schon Anfang Oktober 2012 alle Pro-dukte, Print oder online, kaufen konnte – wenn von dieser Möglichkeit zu wenige Menschen wissen. Ein einziger Leser-kommentar findet sich im Redaktions-blog zu der Ankündigung, dass der Abo-shop geöffnet ist – und der weist höflich darauf hin, dass man das Blog nicht per RSS-Feed abonnieren kann. Antwort der Redaktion? Keine. Immerhin gab es ein wenig Bewegung auf der Seite, als es darum ging, eine „Gute Frage“ zu posten (und die Antwort gleich mit) http://blog.new-scientist.de/gute_fra-ge/, eine gute Idee, „die wir gerne noch ausgebaut hätten“, so Matthias Urbach.

Der – inzwischen abgeschaltete – ei-genständige Web-Auftritt mit einer Viel-zahl redaktioneller Beiträge erbrach-te „in guten Wochen 150 000 bis 200 000 Seitenaufrufe“, sagt Lothar Kuhn. Doch die Zersplitterung der Commu-nity zwischen Facebook und eigenem Auftritt machte wohl auch dem NewSD zu schaffen. Vielleicht wäre ein ausge-prägterer Community-Aufbau angezeigt gewesen – nicht, um sich innovativ zu geben, sondern, um das tatsächlich vorhandene, inhaltlich innovative Kon-zept auch zu kommunizieren.

Denn eigentlich braucht der Wissen-schaftsjournalismus genau das: Ein Magazin, das evidenzbasiertes und wis-senschaftsgefüttertes Weltverständnis vermittelt; eine Wissenschaftsbericht-erstattung, die aktuell und geballt daher kommt und thematisch breit aufgestellt ist; einen Wissenschaftsjournalismus, der nicht auf politischem, wirtschaftli-chem und technischem Auge blind ist. Aber dieses Konzept muss vermittelt werden – das ist nicht geglückt. Scha-de eigentlich.

ist Professorin für Wissen-

schaftskom-munikation

am Karlsruher Institut für Tech-

nologie (KIT).

Annette Leßmöllmann

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16 II/2013WPK-Quarterly

Murks aus der Feder von Kollegen oder von Wissenschaftlern ist nicht selten. Soll man das korrigieren oder ignorieren? Ein Standpunkt

Von Alexander Mäder

Schokolade macht schlank

Das sei ein schwarzer Tag für den Wissenschaftsjournalismus gewesen, schrieb der Statistiker Gerd Antes in einer Rundmail. Der Fall liegt schon anderthalb Jahre zurück, doch er eig-net sich so gut wie andere, um zu fra-gen, ob der Journalismus nicht manch-mal still halten sollte. Ende März 2012 gab die University of California in San Diego eine Pressemitteilung mit der Überschrift „Regular Chocolate Eaters are Thinner“ heraus, die in Deutsch-land hohe Wellen schlug. Nicht alle, aber doch viele Medien brachten die Nachricht mit einer Überschrift der Art „Schokolade macht schlank“ heraus. Das Netzwerk für Evidenzbasierte Me-dizin kritisierte das später in einer ei-genen Pressemitteilung: Journalisten hätten die Bürgerinnen und Bürger – unabsichtlich oder bewusst – in die Irre geführt.

Die Studie ist im Journal „JAMA Internal Medicine“ (Band 172, Seiten 519 – 521) erschienen und geht auf eine ordentliche Befragung zurück. Die Medizinerin Beatrice Golomb un-tersucht eigentlich die Wirkung von Statinen, doch sie hatte in ihren Fra-gebögen zu den Lebensgewohnheiten der rund 1000 Teilnehmer auch nach dem wöchentlichen Schokoladenkon-sum gefragt. So war es möglich, den statistischen Zusammenhang mit dem

Body Mass Index zu berechnen. Er ist leicht negativ, das heißt: Wenn der Body Mass Index steigt, dann sinkt tendenziell der Schokoladenkonsum. Der Einwand der Statistiker und Me-diziner ist aus Büchern und Journa-listen-Fortbildungen bekannt: Eine Korrelation reicht nicht aus, um einen kausalen Zusammenhang zu begrün-den – also in diesem Fall die Aussage, dass die Schokolade den Body Mass Index beeinflusst. Es könnte schließ-lich genauso gut umgekehrt sein: Wer dünn ist, isst häufiger Schokolade, gerade weil sie oder er glaubt, es sich leisten zu können. Der statistische Zusammenhang ist mit beiden Erklä-rungsansätzen vereinbar und belegt daher keinen von ihnen. Die kausale These, dass Schokolade schlank ma-che, ist spekulativ.

Journalisten haben die frisch ver-öffentlichte Studie nicht nach ihrer wissenschaftlichen Qualität für die Berichterstattung ausgewählt, son-dern weil sie eine Frage betrifft, die viele umtreibt: Wie viel Schokolade ist gut für mich? Eine solche Auswahl ist grundsätzlich berechtigt, weil sich Journalismus nicht an dem orientieren sollte, was wissenschaftlich relevant ist, sondern an dem, was aus der Wis-senschaft für sein Publikum relevant ist. Doch in diesem Fall hätte man zum

Ergebnis kommen müssen, dass die Studie die Frage, wie viel Schokolade gut für einen ist, nicht beantwortet.

Studien: Fehlinterpretation hochwillkommen?

Nun kann man einwenden, dass Beatrice Golomb und ihre Hochschule wenig unternommen haben, um Jour-nalisten darauf hinzuweisen, dass die kausale These spekulativ ist. Im Ge-genteil: In einem Youtube-Video, das die Pressemitteilung ergänzt, sitzt Bea-trice Golomb in einem Pralinengeschäft und erläutert dort die angeblich posi-tiven Wirkungen der Schokolade auf den Stoffwechsel. Man darf wohl unter-stellen, dass es ihr ganz recht war, wie die Studie von deutschen Journalisten aufgenommen worden ist. Ein Teil des Problems liegt also im Wissenschafts-betrieb.

Doch das hilft dem Journalismus nicht weiter, denn er muss aufpassen, dass er nicht in die Irre geleitet wird. Im Normalfall sollte es so laufen: Der kritische Journalist erkennt die Ein-

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WPK-Quarterly 17II/2013

schränkungen der Studie und legt sie zur Seite. Sie oder er überlegt vielleicht noch, ob sich ein Beitrag zum Hype der Pressearbeit lohnen würde. Aber dazu müsste es eine Universität in der Nähe sein oder eine bekannte Autorin. Und dann schlägt die Studie doch so hohe Wellen, dass das Thema wieder aufkommt: Sollte sie oder er die Studie doch noch aufgreifen, um sie richtig ein-zuordnen – und dabei die Berichte der Kollegen zu relativieren oder zu korri-gieren? Dann wären die Medienberich-te der Anlass und nicht mehr die Studie. Ist das in Ordnung?

Widerwille regt sich, denn dafür bin ich jedenfalls nicht Journalist gewor-den. Was gibt man als Berufsstand für ein Bild ab, wenn man sich mit den Be-richten der Kollegen befasst statt mit dem echten Leben? Man vergeudet Ressourcen für letztlich uninteressan-te Ergebnisse und bestätigt womög-lich den Verdacht des Publikums, dass viele Journalisten unkritisch sind. Es mag zwar schwer zu ertragen sein, den kausalen Schluss „Schokolade macht schlank“ unkommentiert stehen zu las-sen – und er war so oft zu hören und zu lesen, dass man befürchten muss-te, dass er hängen bleibt. Doch es wird schon niemand so dumm gewesen sein, nach Lektüre einer entsprechen-den Meldung eine Schokoladendiät zu beginnen. Die Meldung hatte einen Schön-wär’s!-Klang und dürfte das Publikum kaum über den Augenblick hinaus beschäftigt haben. Und selbst wenn: Wer sich tatsächlich ernsthaft gefragt hat, ob Schokolade schlank macht, würde richtige Einordnungen im Internet rasch finden.

Die Tücken der Themenwahl

Manche Journalisten werden sich hingegen über die Gelegenheit gefreut haben, die Aussagekraft von Korrelati-onsstudien zu erläutern, denn einen gu-ten Anlass dazu hat man nicht oft. Das Netzwerk für Evidenzbasierte Medizin kritisiert zwar, dass immer wieder Kor-

relationsstudien für kausale Schlüsse missbraucht würden, doch nur selten werden sie so stark verbreitet wie im Fall der Schokoladenstudie. Die The-menauswahl der tagesaktuellen Medien unterscheidet sich in der Regel so deut-lich, dass Studien eher selten überein-stimmend von mehreren Medien aus-gewählt werden. Doch das mindert den Widerwillen nicht wirklich. Man steht vor einem Dilemma. Mein Publikum hat aus anderen Quellen von der Studie gehört, steht ihr möglicherweise skeptisch ge-genüber und erwartet nun von mir eine Einordnung. Sich dem zu verweigern, wirkt so, als hätte man zu diesem The-ma nichts zu sagen. Deshalb fügt man sich womöglich zähneknirschend. In anderen Ressorts mag das gang und gäbe sein. Aber das macht es für den Wissenschaftsjournalismus nicht er-strebenswert. Denn Übereinstimmung in der Themenwahl ist nicht viel wert, wenn es keine gute Wahl ist.

Die Alternative wäre mehr Mut zum Profil: Wofür steht mein Medium? Will ich wissenschaftliche Erkenntnisse als Service aufbereiten, will ich beeindru-ckende Geschichten erzählen oder will ich aufklären und vor falschen Schlüs-sen warnen? Nicht jedes Medium muss alle Aufgaben erfüllen, und deshalb muss sich auch nicht jeder Journalist unter Druck fühlen, die Schokoladen-studie einzuordnen. Für den einen sind forschungspolitische Entscheidungen wichtig, weil es um Geld geht, für an-dere stehen Expertisen zu politischen Fragen im Vordergrund. Wieder andere setzen auf gehobene Unterhaltung und zeigen die überraschenden Phänome-ne der Tierwelt oder der Quantenwelt auf. Und im großen Feld der Medizin gibt es diejenigen, die den besten ärzt-lichen Rat zusammentragen, und die-jenigen, die sich mehr für die Grundla-genforschung und neue Medikamente interessieren, und diejenigen, die Fehl-entwicklungen im Gesundheitssystem herausarbeiten. Die Relativierung der Schokoladenstudie ist nur für Medien interessant, in denen regelmäßig Er-nährungstipps gegeben werden oder wissenschaftstheoretische Reflexi-on betrieben wird, denn nur bei ihnen dürfte das Publikum eine Einordnung erwarten.

Aber in der Regel erwarten Chefre-dakteure von ihren Wissenschaftsres-

sorts das volle Programm. Und wenn eine Meldung wie die über die Schoko-ladenstudie überall auftaucht, dann gilt das als Beleg dafür, dass sie wichtig ist. Dann folgt die Frage: Warum haben wir nichts dazu gemacht? Doch diese Fra-ge sollten Wissenschaftsjournalisten lernen, selbstbewusst zu beantworten. Hier könnte sich zeigen, wie ernst es ein Medium mit dem oft geäußerten Wunsch nach eigenen Geschichten meint: Traut es sich, gegen den jour-nalistischen Mainstream zu entschei-den und auf ein anderes Thema als die Schokoladenstudie zu setzen?

Orientierung durch das Science Media Center?

Das Science Media Center Deutsch-land (SMC), das die WPK mit Partnern aus Wirtschaft und Wissenschaft plant, könnte dabei helfen. Denn diese Ein-richtung soll Journalisten auch vor irre-führender Berichterstattung schützen. Bei der Schokoladenstudie könnte das Center zum Beispiel Experten bitten, die Aussagekraft der Studie einzuschätzen, und den Journalisten damit nahelegen, die Studie lieber zu ignorieren. Doch auch das SMC wird sich entscheiden müssen, wie es seine Kapazitäten ein-teilt. Wäre seine Hilfe nicht wichtiger bei Studien, die schwieriger einzuschätzen sind als die Korrelation zwischen Body Mass Index und Schokoladenkonsum? Bisher ist das SMC nur darauf festgelegt worden, seine Themen nach journalisti-schen Gesichtspunkten auszuwählen. Es hat daher noch den Spielraum, die Ziele genauer zu bestimmen.

Alexander Mäder

leitet das Wis-senschaftsres-sort der Stuttgar-ter Zeitung.

}

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18 II/2013WPK-Quarterly

Die Experimente mit den angeschärften Vogelgrippe-Viren H5N1 haben vor zwei Jahren öffentlich für Aufsehen gesorgt. Sie beschäftigen Institutionen wie den Deutschen Ethikrat nach wie vor. Dessen stellvertretenden Vorsitzenden haben wir gebeten, seine Haltung zur Einschränkung der Forschung darzulegen. Eine Expertise

Von Wolf-Michael Catenhusen

H5N1: Die biologische Forschung braucht neue Regeln

Im Jahr 2011 begannen zwei For-schergruppen in den USA und in den Niederlanden mit Arbeiten an einer neuen Variante des Vogelgrippevirus H5N1. Ziel der breit diskutierten Versu-che war es, die Gefährlichkeit des Er-regers durch gezielte Mutation deutlich zu steigern. Die Forscher wollten ver-stehen, mittels welcher Eigenschaft der Erreger durch die Luft zwischen Säu-getieren übertragen werden kann. Bei den Experimenten im Hochsicherheits-laboratorium sollten also in der Natur bisher nicht vorkommende, womöglich auch für Säugetiere hochansteckende Varianten des Vogelgrippevirus H5N1 erschaffen werden.

Begründet wurden diese Experimen-te damit, dass man Erkenntnisse über die Struktur von Viren mit Pandemiepo-tential benötige. Auch stärker anwen-dungsbezogene Gründe wurden vor-gebracht: So sollten die Versuche bei der Entwicklung von Impfstoffen und Überwachungsmethoden helfen. In den Diskussionen blieb schon der Beitrag solcher Projekte für den Erkenntnisge-winn in der Forschung umstritten. Auch der anwendungsbezogene Nutzen ist umstritten: Einzelne Experten stellen den Sinn solcher Experimente für die Impfstoffentwicklung in Frage. Sie ver-weisen darauf, dass etwa Beiträge der Genomsequenzierung einen ungleich relevanteren Beitrag zur Entwicklung wirksamer Impfstoffe gegen neu auftre-tende Krankheitserreger leisten.

Grundsätzliche Bedenken werden vor allem deshalb vorgebracht, weil solche „optimierten“ Krankheitserreger besonders gut als Waffe von Terroristen missbraucht werden könnten – genau das gilt auch für den gezielt optimierten H5N1-Virus. Die Veröffentlichung der Forschungsergebnisse, so die Kritik,

könne eine Bauanleitung liefern, zu der weltweit „interessierte Kreise“ Zugang erhielten. Solche „Biosecurity“-Fragen beschäftigen unsere Gesellschaften verstärkt, seitdem Briefe mit gefähr-lichen Bioagenzien wie Anthrax ver-schickt wurden. Unter dem Eindruck solcher Attacken stellte die EU-Kom-mission 2008 fest, dass „Biologische Waffen vermutlich besonders attraktiv für Terroristen sind.“

Das Dilemma Dual - Use

Bei den Experimenten in den Nieder-landen und den USA geht es keines-falls um die Herstellung biologischer Waffen, die durch die weltweite B-Waf-fen-Konvention verboten ist. Es geht vielmehr um das Grundproblem der doppelten Verwendung, dem „Dual-Use in der biologischen Forschung“. Das Dilemma tritt immer dann auf, wenn im Labor Organismen mit toxischen oder pathogenen Eigenschaften entstehen. Bei solchen Experimenten stellt sich aus politischer Perspektive die folgen-de Frage: Unterliegen Forschungsvor-haben an Krankheitserregern, Viren oder Bakterien, die auf bloßen Erkennt-nisgewinn oder auf konkreten medizini-schen Nutzen abzielen, auch dann der Forschungsfreiheit, wenn deren Ergeb-nisse direkt durch Dritte zur Herstellung von „Biowaffen“ genutzt werden könn-ten? Dürfen solche Experimente der freien Entscheidung des Wissenschaft-lers überlassen bleiben oder braucht die Wissenschaft Vorgaben für ver-antwortliches Handeln? Wären solche Überlegungen mit der starken Stellung

der Wissenschaftsfreiheit in unserem Grundgesetz vereinbar?

Die Wissenschaftsfreiheit kann in Deutschland nur dann eingeschränkt werden, wenn sie in Konflikt mit kon-kurrierenden Schutzgütern der Verfas-sung gerät. Dazu zählen insbesondere der Schutz der Menschenwürde sowie der Schutz von Gesundheit und Leben von Menschen. Die Zahl der Schutz-güter wurde vor gut 10 Jahren durch die Aufnahme des Tierschutzes und des Umweltschutzes als Staatsziele im Grundgesetz ausgeweitet. Hinzu kommt, dass die Verpflichtung des Staates mittlerweile nicht nur die Gefah-renabwehr umfasst, sondern auch die Risikovorsorge. Beispielhaft für diese Erweiterung der Schutzpflichten ist eine Entscheidung des Bundesverfassungs-gerichts vom November 2010: Der Ge-setzgeber hat danach „gleichermaßen den in Art. 20a GG enthaltenen Auftrag zu beachten, auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürli-chen Lebensgrundlagen zu schützen. Dieser Auftrag kann sowohl die Gefah-renabwehr als auch die Risikovorsorge gebieten. Zu den nach dieser Maßgabe von Art. 20a GG geschützten Umwelt-gütern gehören auch die Erhaltung der biologischen Vielfalt und die Sicherung eines artgerechten Lebens bedrohter Tier- und Pflanzenarten.“

Die biologische Forschung braucht neue Maßstäbe

Braucht die biologische Forschung also neue Regeln und Maßstäbe für

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WPK-Quarterly 19II/2013

einen verantwortlichen Umgang mit „Biosecurity“-Fragen? Meine Antwort lautet mit Blick auf das Vorsorge-Gebot staatlichen Handelns: Ja!

Offen bleibt damit allerdings die Fra-ge, ob diese Regeln und Maßstäbe im Rahmen einer Selbstverpflichtung der Wissenschaft ausgestaltet werden, also zum Beispiel durch einen Verhaltens-Kodex. Und wenn ja: Soll es sich dabei um Ratschläge handeln oder Regeln mit verbindlichem Charakter? Müssen die „Biosecurity“-Risiken in den Pro-zess der Entscheidung über Anträge auf Forschungsförderung einbezogen werden?

Oder brauchen wir hier weitere gesetzliche Vorgaben, um Schaden abzuwenden? Die geltenden Bestim-mungen im Gentechnikgesetz und der Biostoffverordnung beziehen sich auf den Schutz der Gesundheit, des Le-bens von Menschen, aber auch der Umwelt vor gefährlichem biologischem Material in der Forschung oder am Ar-beitsplatz. Die Frage lautet nun: Soll, ja kann dieser Schutz auch auf mög-licherweise rein hypothetische Risi-ken des Missbrauchs der Ergebnisse biologischer Forschung zu terroristi-schen Zwecken ausgeweitet werden? Denkbare Schadensausmaße bei ei-ner Epidemie abzuschätzen ist das Eine. Entscheidender scheint mir aber die Frage, ob man Aussagen über die Wahrscheinlichkeit des Eintretens eines Missbrauchs von Forschungs-ergebnissen überhaupt treffen kann. Solche neuartigen Fragen an Verant-wortung von Grundlagenwissenschaft in der Gesellschaft sind nicht nur in Deutschland klärungsbedürftig.

Immerhin hat das deutsche Wis-senschaftssystem erste Schritte voll-zogen. Schon 2008 hat die Deutsche Forschungsgemeinschaft Richtlinien zur Berücksichtigung von „Biosecurity“-Fragen im Antrags- und Entscheidungs-verfahren über die Finanzierung von Forschungs-Projekten beschlossen. Hier stellen sich Fragen nach den bis-herigen Praxiserfahrungen. Und: Wel-che Forschungsorganisation außer der DFG kann und muss handeln?

Vor einem Jahr hat die Leibniz-Gemeinschaft in Wahrnehmung ihrer

Verantwortung Verhaltensregeln für Fragen der Biosicherheit für Einrich-tungen im Umgang mit biologischen Ressourcen erlassen, mit Vorgaben für eine Verbesserung des Informati-onsstandes, Fragen des Datenschut-zes, darunter auch die Einführung von Zugangskontrollen zu gelagerten bio-logischen Ressourcen mit „Dual-Use“ Relevanz. Das auf diesem Gebiet vorbildlich tätige Robert-Koch-Institut begleitet diesen Prozess mit eigenen Aktivitäten.

Es besteht Handlungsbedarf

Unternommen wurden erste Schritte auf dem Weg zur Minderung des „Dual-Use“-Risikos, ob sie ausreichen, bleibt die Frage: Ein elementarer erster Schritt ist die Verbesserung des Informati-onsstandes in der Wissenschaft selbst über „Dual-Use“-relevante Forschung in den Biowissenschaften zum Beispiel im Feld der Synthetischen Biologie. In Deutschland sollte zudem ein Studium, eine Promotion in den Biowissenschaf-ten verpflichtend eine Aufklärung zu „Dual-Use“-Aspekten beinhalten. Ande-re Länder wie Großbritannien verfügen über hochqualifiziertes Informationsma-terial zu diesen Fragen. Solches Ma-terial ist in Deutschland zentral für alle Forscher in den Biowissenschaften zu erstellen.

Die Amerikaner verfügen als bisher einziges Land seit 2004 über eine un-abhängige zentrale Expertenkommis-sion zu Fragen der „Biosecurity“, den National Science Advisory Board of Biosecurity (NSABB). Das Gremium einschlägiger Experten berät Regie-rung, aber auch Wissenschaft, Medien und Gesellschaft. Es ist aus Experten der biologischen Forschung, aber auch Experten für die Bewertung von Fragen des Terrorismus zusammengesetzt. Eine solche Kommission in Deutsch-land, oder auf EU-Ebene ist von stra-tegischer Bedeutung für Klärungs- und Entscheidungsprozesse in der Wissen-schaft und in der Politik.

Seit 2005 wird versucht, das Feld „biosecurity“-relevanter Forschung in den Biowissenschaften auf das Gebiet „Dual-Use-Research of Concern“ zu begrenzen, auf Forschung, „die nach gegenwärtigem Verständnis voraus-sichtlich Wissen, Produkte oder Tech-nologien zur Verfügung stellt, die direkt von Anderen missbraucht werden kön-nen, um die öffentliche Gesundheit und Sicherheit, Landwirtschaft, Pflanzen, Tieren, die Umwelt oder Güter zu be-drohen“. Eine solche Definition hat auch die DFG ihren Richtlinien zugrunde ge-legt, wobei zu klären wäre, was „direkt“ in diesem Zusammenhang bedeuten soll, wenn schon die Publikation der genetischen Sequenz eines neuartigen Erregers Dual-Use-Potenzial besitzt.

Eine weitere Schlüsselfrage lautet: In welchen Fällen halten wir vor dem Start von Forschungsprojekten eine Risiko-Nutzen-Bewertung für sinnvoll oder gar für erforderlich? Wer besitzt die er-forderlichen Informationen und Metho-den für eine solche Bewertung? Was müsste die Politik gegebenenfalls tun? „Dual-Use“-Forschungsprojekte sind in Deutschland bisher nicht bekannt geworden. Es gibt vermutlich nur sehr wenige hierzulande.

In diesem Sommer wurde in „Sci-ence“ und „Nature“ angekündigt, die Forschung an Vogelgrippe Viren vom Typ H7N9 weiterzuführen. Zugleich wurde ein neues Regelwerk der US-Regierung für solche Forschungen angekündigt. Es soll Vorgaben für das Antrags- und Entscheidungsverfahren und weitere Regeln für die Förderun-gen solcher Forschung enthalten. Der-weil geht die Entwicklung in den bio-logischen Wissenschaften mit hohem Tempo voran. Es besteht unverändert Handlungsbedarf.

ist Staatssekretär des BMBF a.D.

und stell-vertretender Vorsitzender

des Deutschen Ethikrates

Wolf-Michael Catenhusen

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20 II/2013WPK-Quarterly

Vor zehn Jahren ging das WPK-Quarterly zum ersten Mal online. Ein Rückblick und Ausblick

Von Volker Stollorz

Es war eine kleine Revolution

Es war der 27. Oktober 2003. Da-mals startete nach intensiven Planun-gen die neue Kommunikationsplattform der Wissenschafts-Pressekonferenz. Als das „Baby“ endlich „online“ war, begann für mich als damaliger Internet-Vorstand der Wissenschafts-Presse-konferenz (WPK) eine kleine Revoluti-on. Ihre Spuren reichen bis heute. Die Initiative hin zu mehr Vernetzung und Sichtbarkeit der WPK war im Novem-ber 2002 von einer kleinen Gruppe von Mitgliedern um Michael Lange, Claudia Ruby, Thomas Liesen und mir ausge-gangen. Die Erneuerer wollten dem damals leicht sklerotischen Verband mit einem „Plädoyer für frischen Wind“ wieder mehr Leben einhauchen und so neue Mitglieder werben.

Dazu sollte sich der Verein als Netz-werk zur Förderung des Wissenschafts-journalismus in allen seinen Facetten positionieren. Nicht nur persönlich, son-dern auch online sollten sich Interes-sierte über Themen und Entwicklungen informieren können, Mitglieder konnten „crossmedial“, d.h. über alle Medienfor-mate hinweg, voneinander lernen.

Das WPK-Quarterly wollte seine Leser immer über das

Internet erreichen

Für den neuen Internetauftritt wurde schon damals ein Diskussionsforum eingeplant, es wurde aber damals wie heute kaum genutzt für Beiträge und Kommentare. Es gab schon damals – dank des unermüdlichen und findigen Webentwicklers Thilo Bauer – ein inno-vatives Videostreaming von WPK-Pres-

sekonferenzen, bei dem sich Mitglieder bundesweit in lokale Veranstaltungen ihres Verbandes einwählen konnten. Es gab schon damals intensive Diskussi-onen, welchen Stellenwert eine solche Mediathek und Internetplattform im Ver-band der WPK haben sollte.

Auf der neuen Webseite präsen-tierte sich im Oktober 2003 auch ein „ambitioniertes neues Magazin für Wissenschaftsjournalisten.“ Die Artikel im WPK-Quarterly konnte man im Voll-text online oder als PDF lesen. Mit der Gründung des Online-Magazins wollte die „Frische Wind“-Gruppe das sich „rasch wandelnde Feld des Wissen-schaftsjournalismus kritisch begleiten.“

Die Redaktion war von Beginn an winzig, redigiert wurden die Texte in einem einfachen Redaktionssystem online, Thomas Kamp besorgte das schlanke Layout der ersten PDF-Ver-sion, das Quarterly wurde ein Klassiker der Selbstorganisation.

Einzelne Schwerpunkt-themen sind bis heute

lesenswert

Schon der Schwerpunkt der ersten Ausgabe, sie zählte 14 Seiten, bleibt bis heute lesenswert. Das heiße The-ma lautete: „Forscher am Pranger!“ Im Editorial diskutierte ich die ambivalente Rolle von Journalisten bei der Aufklä-rung von Verdachtsfällen. Hintergrund war ein Beispiel von mutmaßlichem Fehlverhalten eines französischen For-schers, der einem falschen Verdacht zum Opfer gefallen war. Der Stoff wur-de in mehreren Perspektiven vertieft. Die Kollegen Hubert Rehm (Laborjour-

nal), Ulrich Schnabel (Die Zeit) und Hol-ger Wormer (SZ), berichteten aus der Praxis ihrer Berichterstattung. Siegfried Großmann, damals Ombudsman der DFG, steuerte Überlegungen über juris-tische Minenfelder medialer Aufklärung von Fehlverhalten aus der Sicht einer Wissenschaftsförderorganisation bei.

Das Thema Forschungsfälschung und Verdachtsberichterstattung ge-hört heute zum Mainstream. Sogar die deutsche Forschungsministerin stürz-te über ein angebliches Plagiat. Aber es war das Team des Quarterly, dass die Brisanz des Themas früh erkannte und den Kollegen den Austausch über die journalistischen, ethischen und ju-ristischen Fallstricke ermöglichte. Es ist schade, dass die frühen Ausgaben des WPK-Quarterly nicht mehr im Netz zu finden sind, erzählen sie doch ein Stück Geschichte im deutschen Wis-senschaftsjournalismus. Einige Artikel dienten als Grundlage für das Buch „Fakt, Fiktion, Fälschung – Trends im Wissenschaftsjournalismus“ aus dem uvk-Verlag, andere werden bis heute in der Ausbildung junger Wissenschafts-journalisten eingesetzt.

Schon in der ersten Ausgabe des WPK-Quarterly findet sich eine weiter-hin aktuelle Sicht eines Außenseiters auf den Wissenschaftsjournalismus. Damals kritisierte Jens Katzek – in der Rubrik „Unter der Lupe“ – den Umgang der Medien mit der „Grünen Gentech-nik“ aus der Sicht der Wirtschaft. Schon der Titel „Warnen ja, aber wo bleibt die Entwarnung?“ war bewusst provokant gewählt. Immer wieder widmete das WPK-Quarterly dem „Wann-und-wie-richtig-warnen“ inspirierende Beiträge, frühzeitig übrigens auch über die Risi-kokommunikation durch Klimawissen-schaftler im Weltklimarat IPCC.

Wer die Kurzporträts der neuen WPK-Mitglieder in der ersten Quarterly-

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WPK-Quarterly 21II/2013

Ausgabe überfliegt, der erfährt, dass der Verein 2003 für Talente attraktiv wurde. Unter anderen Sascha Karberg, Klaus Koch, Volkart Wildermuth und Kathrin Zinkant prägen den Wissen-schaftsjournalismus mit ihren Arbeiten und Aktivitäten bis heute mit.

Bereits in der zweiten Ausgabe wagte das WPK-Quarterly eine Positi-onsbestimmung und erkundete unbe-scheiden den wachsenden Trend hin zu mehr Entertainment: „Wissen statt Wissenschaft: Wo steht der Wissen-schaftsjournalismus heute?“ lautete das Thema des Schwerpunkts. Dar-in stellte Michael Lange eine damals mutige und bis heute virulente Frage an seine Kollegen im Radio: „Ran an den Experten oder ran an die Oma?“ Früh erspähte die Redaktion auch den Trend hin zu einem „politischen Wis-senschaftsjournalismus“, bei dem sich der Wissenschaftsjournalist „quasi als Experte oder Anwalt des Lesers oder der Leserin in klinische Studien ver-tieft.“ Ein Novum, das sich zu einer Zeit ereignete, als die Risiken der Hormon-ersatztherapie für Frauen in den Wech-seljahren kritischer bewertet wurden. Und zwar entgegen dem Rat ärztlicher Fachgesellschaften, deren Experten damals weiterhin Werbebotschaften verbreiteten und verschwiegen, dass sie in Lohn und Brot der Hersteller von Hormonpillen standen.

Das WPK-Quarterly als Forum für

interdisziplinären Dialog

Bereits im zweiten Heft tauchte erst-mals auch ein Kommunikationswissen-schaftler mit seinem analytischen Blick auf unsere Zunft auf. Matthias Kohring, Autor des Buches „Vertrauen in Jour-nalismus“, provozierte mit seinen Kon-zepten zur „Symbolischen Leistung der Wissenschaftsberichterstattung“. Es gehe für das Publikum nicht um die For-mel „Vertrauen durch Wissen“, sondern stattdessen um „Vertrauen statt Wis-sen.“ Kohring forderte folgerichtig schon damals und zu Recht, der Journalismus sei für die Gesellschaft „viel zu wichtig, als dass er sich vor den Karren der Wis-

senschaft spannen lassen sollte.“ Die Redaktion hoffte damals in ihrem

Editorial, dass WPK-Quarterly möge „den interdisziplinären Dialog“ voran-bringen, immerhin sei das Magazin „selbst Ergebnis eines solchen.“ Die originelle und eigenwillige Verbindung zwischen Praxis und Theorie des Wis-senschaftsjournalismus sollte eines der Alleinstellungsmerkmale des Quarterly werden.

In der dritten Ausgabe, in der Redak-tion arbeiteten nun Thomas Kamp, Grit Kienzlen, Thomas Liesen und Volker Stollorz mit, hieß der Schwerpunkt „Ra-dioreporter unter Druck.“ Es ging nicht das letzte Mal um die Krise im Journa-lismus, Sparzwänge und das Problem der Qualitätssicherung im Wissen-schaftsjournalismus.

Schon diese kurze Wiederlektüre der ersten Ausgaben – im Quarterly gab es seither viele weitere erstaunli-che Themen und Initiativen bis hin zu kleinen „Forschungsprojekten“ – um-reißt klar das programmatische Ziel der damaligen WPK-Quarterly-Redaktion. Es sollte um „heiße Eisen“ gehen, den interdisziplinären Austausch, einen analytischen Blick von außen auf den Wissenschaftsjournalismus, aber auch um praktische Fragen der Recherche, das Sichern von Qualität und frische Ideen, wie Wissenschaftsjournalisten aus ihrem Ghetto ausbrechen und mit Krisen im Verhältnis von Wissenschaft, Wissenschaftsjournalismus und Öf-fentlichkeit umgehen sollten. Kurzum, das Quarterly wollte Wissenschafts-journalisten Orientierung bieten bei der journalistischen Beobachtung der Wis-senschaft und dabei Publikumserwar-tungen im Blick behalten.

Der Name „Quarterly“ entstand übri-gens, weil der ehrenamtlichen Redak-tion kein besserer einfiel und sie sich selbst unter Druck setzen wollte, in je-dem Jahr vier Ausgaben zu stemmen. Das gelang nicht immer, weil der Kreis der komplett ehrenamtlich arbeitenden Mitarbeiter stets zu klein blieb.

Das ist heute noch so, zum Glück stoßen immer wieder junge Talente ins Team, die eine Zeit lang mitarbeiten und dabei Erfahrungen sammeln, die wiederum die eigene Karriere befördern können.

Wer mir 2003 vorhergesagt hätte, dass das WPK-Quarterly zehn Jahre später noch existieren würde, den hätte

ich für verrückt erklärt. Ich fragte mich damals und frage mich noch immer, ob und wenn ja welchen Wissenschafts-journalismus es in zehn Jahren noch geben wird, in Zeiten der „Digital Dis-ruption.“

Der richtige Platz des WPK-Quarterly ist der zwischen allen Stühlen

Was also kann die Redaktion heu-te noch von den Anfängen des WPK-Quarterly lernen auf dem Weg in die Zukunft? Zunächst einmal sollte die Re-daktion weiter als Wanderer zwischen verschiedenen Welten agieren, ihr richti-ger Platz ist der zwischen allen Stühlen. Das Quarterly ist insofern ein prekäres Projekt. Es verdankt dem Engagement und der inneren Freiheit seiner Macher alles. Seit Jahren prägt Markus Lehm-kuhl das Magazin mit großem Engage-ment und einzigartiger interdisziplinä-rer Kompetenz als Chefredakteur. Die angestrebte Professionalisierung hin zu einer „echten“ Zeitschrift mit Abon-nenten ist trotz aller Ideen nicht gelun-gen, eine ISSN-Nummer etwa hat das Quarterly erst seit kurzem. Die richtige strukturelle und finanzielle Verortung des Magazins im Verband ist weiterhin nicht wirklich geklärt. Nach wie vor weiß die Redaktion nicht, wie viel seines Budgets der Verband diesem Magazin dauerhaft einräumen will, welchen Wert dieses Magazin hat im Vergleich zu Rei-sen und Fortbildungen.

Man muss in der Zukunft der Versuchung

widerstehen, das Rad neu erfinden zu wollen

Sein Bekanntheitsgrad könnte sicher höher sein, aber das Quarterly hat sich inzwischen Reputation erworben über den Wissenschaftsjournalismus hinaus. Es wird sogar in der wissenschaftlichen Literatur zum Wissenschaftsjournalis-

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22 II/2013WPK-Quarterly

mus als Quelle zitiert. Das engagierte Magazin bleibt eine Insel der Seligen, gelegentlich wurde sie von heftigen Stürmen umtobt, zuletzt nach der Be-richterstattung über die Causa Stefan Rahmstorf. In diesen Krisenmomenten zeigen sich die Grenzen der Ressour-cen einer ehrenamtlichen Redaktion, vor allem dann, wenn die am Quarterly Beteiligten selber zur Zielscheibe von Kritik werden. Um das zu ändern, wäre eine stärkere institutionelle Veranke-rung in einem starken Verband von Kol-leginnen und Kollegen wünschenswert. Mit mehr Ressourcen könnte sich das Quarterly zu einer zentralen Kommuni-kationsplattform für Wissenschaftsjour-nalisten im deutschsprachigen Raum fortentwickeln.

Was die künftige Quarterly Strategie angeht, sollte die WPK meiner Meinung nach der Versuchung widerstehen, das Rad ständig neu zu erfinden. Sie sollte

lieber gute Straßen bauen, auf denen es rollen kann. Mit Strategien für das Web 2.0 und mehr Interaktivität durch Social- und Mobil Media könnte die Le-serschaft über das bisherige Stamm-publikum hinaus sicher ausgedehnt werden. Entscheidend aber bleiben letztlich die Inhalte des Magazins und die werden weiterhin von zu wenigen Autoren geliefert, die was zu sagen haben und bereit sind, ihre Ideen und Anregungen honorarfrei aufzuschrei-ben. Professioneller wird das Magazin nur mit mehr finanziellen und perso-nellen Ressourcen werden. Hier ist künftig auch die jüngere Generation der Wissenschaftsjournalisten gefragt. Sie könnte dabei von den Erfahrungen der älteren Kollegen manches lernen und dann eigene Wege gehen. Alle Erneuerer sollten wissen, dass das WPK-Quarterly als Online-Magazin ge-startet ist und alle seine Leser – nicht

nur Wissenschaftsjournalisten – immer schon vor allem über das Internet er-reichen wollte. Wie das heute cleverer gelingen könnte, darüber lohnt sich zu diskutieren. Ambitioniert über Trends im Wissenschaftsjournalismus zu reflek-tieren, sollte die Agenda des Quarterly bleiben. Die Redaktion freut sich über jeden engagierten Mitstreiter und Autor, der den Wissenschaftsjournalismus be-schreiben oder ihn neu erfinden will.

Neue Mitglieder

BonnBerlin

düsseldorf

Was ich an meiner Arbeit als freie Journalistin liebe? In so viele spannende wissenschaftliche Projekte auf der ganzen Welt Einblick zu bekommen – und auch mal vor Ort in Afrika zu recherchieren! Von der Ausbildung Chemikerin, berichte ich über „mein“ Fach mit den wunderbaren Atomen und Mo-lekülen, über Medizin, Tiere und Artenschutz – jeweils für Hörfunk, Print und Online, auf Deutsch und auf Englisch. Ich freue mich auf die Seminare bei der WPK und darauf, viele andere Wissenschaftsjournalisten kennenzulernen.

Nach meinem Wissenschaftsjournalismus-Studium (Schwerpunkt Biowissenschaften/Medizin) in Dort-mund habe ich bei FOCUS volontiert. Dort arbeite ich als Redakteur. Vom Hauptstadtbüro aus verfolge ich Themen aus den Bereichen Medizin, Chemie und Um-welt. Mich fasziniert, wie Forschung den Alltag und das Leben von Menschen prägt. Von den Workshops und der Diskussion mit Kollegen bei der WPK erhoffe ich mir viele Anregungen.

Schon während des Chemiestudiums habe ich freibe-ruflich als Journalist gearbeitet. Meine Themen stammen aus allen Bereichen der Naturwissenschaften. Als ich zur Rheinischen Post wechselte, diskutierte Deutschland über Gentechnik, wurde unsere DNA entschlüsselt, und der Bundestag debattierte über Stammzellen. Diese noch heute aktuellen Beispiele bestätigen, dass guter Wissen-schaftsjournalismus für unsere Gesellschaft wichtig ist. Die WPK spielt dabei eine zentrale Rolle. Nach 14 Jahren bei der RP und bei rp-online.de möchte ich meine Leiden-schaft jetzt als Freiberufler verwirklichen.

Brigitte osterathPaul Klammer

Rainer Kurlemann

Volker Stollorz

}

arbeitet als freier Journalist

in Köln.

Berlin

Erst kam die Biologie, dann der Wissenschafts-Journa-lismus. Vor allem im Radio, manchmal aber schreibe ich „für das Papier“, nicht „für das Mikro“. Fast immer über Medizin und Gesundheit, manchmal auch über Zellbiolo-gisches – das hatte mich schon während des Studiums fasziniert. Nach acht Jahren als Redakteurin in der WDR5 Wissenschafts-Redaktion bin ich 2010 zurück nach Ber-lin gezogen und arbeite seitdem als freie Journalistin. Ich freue mich, jetzt in der WPK zu sein und hoffe, dadurch wieder engeren Kontakt mit anderen Wissenschafts-Jour-nalisten zu bekommen.

Christina Sartori

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WPK-Quarterly 23II/2013

Layout, Design und Titelbild

ISSN

Katja LöscheTitelbild unter Verwendung des Fotos “Money in Hands“ von 401(K)2013/flickr.com

2197 - 5558

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