Einfuehrung in Das Alte Testament

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    ALTES TESTAMENT 1LINZER F ERNKURSE  

    Das Alte Testament als Reden von Gott

    1. Das Erste Testament als Reden von Gott und Mensch 3 1.1 Der Name: Altes Testament oder Erstes Testament 31.2 Schwierigkeiten mit dem Ersten Testament 3

    2. Die Bibel - das Wort Gottes 42.1 Im Ersten Testament kommen Menschen zu Wort 52.2 Im Ersten Testament reden Menschen von Gott 52.3 Die Bibel redet in einmaliger Weise über Gott 5

    2.4 Zum Verständnis der Inspiration der Hl. Schrift 63. Der Kanon der Heiligen Schrift 73.1 Das Entstehen des Kanons der Hebräischen Bibel 73.2 Der Text des Ersten Testaments 113.3 Die Kapitel- und Verseinteilung der Bibel 113.4 Die alten Übersetzungen des Ersten Testaments 11

    4. Der Kulturraum des Ersten Testaments 124.1. Das Klima 154.2 Die Pflanzenwelt 154.3 Die Tierwelt 16

    5. Die Geschichte Israels 16 

    5.1 Von der Vorgeschichte zur Geschichte 165.2 Die Geschichte Ägyptens 165.3 Die Geschichte der Bevölkerung Mesopotamiens 175.4 Die Geschichte Israels 185.5 Ursprungssituationen biblischen Glaubens 21

    6. Einige Grundzüge zu einer biblischen Theologie 246.1 Biblisches Reden von Gott 246.2 Biblisches Reden vom Schöpfergott 256.3 Biblisches Reden vom Bundesgott 256.4 Biblisches Reden von Gott in verschiedenen Zeiten/Kulturen 266.5 Textbeispiel: Psalm 23 26

    6.6 Die „Mitte“ des Ersten Testaments 28

    Verfasserin: Dr. Roswitha UnfriedHerausgeber: Dr. Franz Kogler

      0732/7610-3232; Fax DW 3239,e-mail: [email protected]

    9. Auflage: 2002

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    2  LINZER FERNKURS - ERSTES TESTAMENT I: 1. Aussendung 

    „Dein Wort ist meinem Fuß eine Leuchte, ein Licht für meine Pfade“ (Ps 119,105) 

    VorwortGanz herzlich möchte ich Sie als Teilnehmerin bzw. Teilnehmer des Fernkurses zumAlten Testament begrüßen. Neben einem Überblick über alle Schriften des ErstenTestaments wird eine Besprechung wichtiger Bibelstellen angeboten. Dies soll einer-

    seits einen Zugang zu anderen Texten ermöglichen und andererseits zum Ver-ständnis der Bibel beitragen. Innerhalb von zwei Kursjahren werden Sie sich einenguten Einblick in das Erste Testament verschaffen können.

    Die fortlaufende Lesung des Ersten Testaments scheitert oftmals am Umfangund an der Weitläufigkeit der Texte oder auch daran, dass es in anderen Kulturenund zu anderen Zeiten entstanden ist. Und doch ist dieses sogenannte Alte Testa-ment eine unaufgebbare Wurzel unseres Glaubens. So manche Person ist zur Glau-bensgestalt geworden: Abraham als Vater des Glaubens; Mose als der gottgesandteFührer aus der Unterdrückung und Not oder David als der gesalbte König = Messias.

    Das Erste Testament ist die Heilige Schrift für Jesus und die Urkirchen. DieBücher des Neuen Testaments wurden ja erst 20-80 Jahre nach dem Tod Jesu ge-schrieben. Wenn ein Verweis auf die Schrift, auf das Gesetz oder die Propheten im

    Neuen Testament gemacht wird, dann ist damit die Heilige Schrift, das  Buch der Bü-cher zur Zeit Jesu gemeint. Im Neuen Testament und im Gottesdienst der frühchrist-lichen Gemeinden wurden selbstverständlich Texte und Begriffe wie Bund, Schöpfer,Gnade, Gerechtigkeit, Erlösung aus dem Ersten Testament verwendet.

    Für manche wird der Kurs zum Teil auch eine ungewohnte Sicht der Bibel undviele neue Erkenntnisse bringen. Auch wenn es Sie Mühe kosten wird und Sie ent-weder wegen dieser neuen Sichtweisen oder auch wegen der Fülle des Stoffes auf-geben möchten, so bitte ich Sie dennoch: Lassen Sie sich nicht vorschnell entmuti-gen und arbeiten Sie die Unterlagen weiter durch. Immer wieder machen Teilnehme-rinnen und Teilnehmer die Erfahrung, dass Auseinandersetzungen und Krisen fürden Glauben eine Bereicherung sind.

    Diese erste Aussendung wird von vielen als sehr trocken und wenig inspirie-rend empfunden. Dennoch meine ich, dass die Einleitungsfragen einmal geklärt seinsollen und dann im Lauf des Kurses eine Hilfe sein werden, um auftauchendeSchwierigkeiten zu überwinden.

    „Dein Wort ist meinem Fuß eine Leuchte, ein Licht für meine Pfade.“ Mit die-sem Wort aus Ps 119,105, das gleichzeitig auch Motto für diesen Kurs sein könnte,wollen wir die Hinführung zum Ersten Testament beginnen.

    Dr. Roswitha Unfried

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    LINZER FERNKURS - ERSTES TESTAMENT I: 1. Aussendung  3

    1. Das Erste Testament als Reden von Gott und MenschDie Hl. Schrift der Christen ist eine Einheit, die aus zwei Teilen besteht: Dem soge-nannten Alten Testament (AT) und dem Neuen Testament (NT). Das Christentumverwendet den Namen AT für den ersten Teil der Bibel. Christen berufen sich dafürbesonders auf Jer 31,31-34 und das Zeugnis des NT (2 Kor 3,6; Lk 24,27) oder aufdie sogenannten Erfüllungszitate (z. B. Mt 2,15). Darum haben für viele Christen vorallem die Verheißungen des AT keine Bedeutung mehr, weil sie ja in Jesus von Na-

    zaret erfüllt sind.

    1.1 Der Name: Altes Testament oder Erstes TestamentWenn Christen so denken, dann müssen sie sich auch die Frage gefallen lassen, obdas zweitausendjährige Christentum tatsächlich als Erfüllung der Verheißungen desAT gesehen werden kann. Ist es nicht eher so, dass die Verheißungen der ganzenHl. Schrift Wirklichkeit wurden, und dass trotzdem ihre endgültige Erfüllung nochaussteht? So sind für Lk 2,29-32 die Worte von Jes 2,2-4; 25,6-8 bezüglich Je-rusalem und von Jes 42,6; 49,6 bezüglich des Gesandten erfüllt - und trotzdem er-warten wir die Verwirklichung und Vollendung dieser Verheißungen (vgl. Offb 21,1-5;22,10.20).

    Weiters wird das Wort „alt“ von den meisten Christen verstanden als überholt,abgeschlossen, veraltet: Bedeutung hat dann eigentlich nur das NT. Dagegen stehtdie Erfahrung und das Wissen des Christentums, dass AT und NT die eine   Hl.Schrift bilden. Nur das NT als Bibel zu bezeichnen, ist eigentlich eine Unmöglichkeit.Die Kirche hat während der 2000-jährigen Kirchengeschichte gegen jeden Versucheines Auseinanderreißens an dieser Einheit festgehalten. Schließlich hat das jü-disch-christliche Gespräch zur Einsicht geführt, dass die Bezeichnung AT missver-ständlich und verletzend ist.

    Deshalb wird in letzter Zeit für das sogenannte Alte Testament der Ausdruck„Hebräische Bibel“ oder „Erstes Testament“ verwendet. In diesem Fernkurs wird derName Erstes Testament  (ET) bevorzugt.

    Anregung: Was fällt Ihnen zu ET ein? Gibt es einen Leitsatz, der für Ihr Glaubensle- ben Bedeutung hat?

    1.2 Schwierigkeiten mit dem Ersten TestamentSchwierigkeiten sind vor allem darauf zurückzuführen, dass das ET in einem ande-ren Lebensraum  entstanden ist. Der hebräische Mensch spricht anders von der Erdeals der Mitteleuropäer, der geprägt ist durch die griechisch-römische Kultur. Wäh-rend dieser berichtet, bestimmt, abgrenzt, begreift, sieht (eine Theorie hat) und reinbegrifflich (= abstrakt) denkt, so erzählt, umschreibt, erfährt, hört, denkt der hebräi-sche Mensch in Beziehungen (d. h. er lobt, rühmt, bittet und klagt). Das ET kenntkeine Abhandlungen oder Lehren, z. B. über den Mann, die Frau, über Gott. Gottes-offenbarungen sind keine Wesensangaben Gottes, wie er in sich ist, sondern wie ersich in dieser Welt dem Abraham, Elija, Jeremia, dem Beter, usw. zu erkennen gibt.Er ist kein Gott der Philosophen „an und für sich“, sondern ein Gott, der den Men-schen anspricht und auf Antwort wartet, den Menschen zum Handeln bewegen will.

    Schwierigkeiten können sich deswegen ergeben, weil das ET in seiner schriftli-chen Form 2000-3000 Jahre alt ist; mündliche Überlieferungen sind oft noch älter (z.B. das Lamechlied in Gen 4,23f, die Gestalt des Melchisedek in Gen 14,18-20; derBundesschlussritus in Gen 15). Oft stehen Texte aus verschiedenen Zeiten, die den-selben Inhalt haben, nebeneinander (z. B. Gen 15 und 17; Ex 3,9-14 und Ex 6,2-8)

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    oder sind miteinander verwoben (z. B. Gen 6-8; Ex 14,10-31). Wichtige Texte wurdennämlich einerseits stets neu erzählt, um Antwort zu geben auf die Fragen und Nöte derbetreffenden Zeit, andererseits wollte man nichts vom Überlieferten weglassen.

    Jedes menschliche Reden hat eine bestimmte Form (z. B. Predigt, Vortrag,Unterricht, usw. oder Begrüßungen). Im Alten Orient ist die Sprache ungleich mehrgebunden an feste Formen als in modernen Sprachen, z. B. die Botenspruchformel„So spricht ...“ bedeutet, dass nicht mehr der Bote spricht, sondern der, welcher denBoten geschickt hat. Hört ein Israelit „So spricht Jahwe“, dann weiß er: Was folgt, istWort Gottes .

    Das ET ist ein Geschichtsbuch, das wohl weltliche Geschichte erzählt, abernur insofern diese für den Glauben wichtig ist. In geschichtlichen Ereignissen wirdsichtbar, dass Gott an uns Menschen handelt. Geschichte in der Bibel ist also ge- deutete  Geschichte. Ebenso wie die Bibel keine geschichtlichen Tatsachen vermit-teln will, so macht sie auch keine naturwissenschaftlichen Aussagen. Sie sagt, dass  Gott handelt; das wie  (z. B. der Schöpfung) wird entsprechend dem Stand der betref-fenden Zeit ausgedrückt.

    Viele Christen stoßen sich an den anderen religiösen und sittlichen Ansichtendes ET (z. B. die vielen Frauen Davids [2 Sam 3,2-5] oder Salomos [1 Kön 11,3]; der„Betrüger“ Jakob [Gen 27]; der jähzornige Mose [Ex 2,11f] oder die Flüche in den

    Psalmen [Ps 137,7-9], usw.).  Es wird eine Aufgabe dieses Kurses sein, solche und ähnliche Aussagen verstehen zu lernen und

    die Glaubensaussagen ins eigene Leben einzubinden. Zum Verständnis der Hl. Schrift trägt wesent-lich bei, dass der Leser/die Leserin den eigenen Standpunkt kennt. Jeder hat gleichsam eine Brillevor den Augen, mit welcher Texte gelesen werden. Ein Mensch, der nie Vergebung erfahren hat,wird Ps 103 schwer nachempfinden können. Wem es schwerfällt zu vertrauen, wird zu Vertrauens-psalmen wie Ps 91 keinen Zugang finden. Wer tiefe Angst nicht kennt, dem sind Rettungserfahrun-gen und Dankbarkeit wie im Ps 124 unbekannt. Krieg wird erst dann zur Realität, wenn wir selbstoder unsere Nachbarn davon betroffen sind. Vielen ist dieses Wissen um den eigenen Standpunktnie zum Problem geworden. Es kann eine Brücke sein, sich selbst, andere und nicht zuletzt den bib-lischen Text besser zu verstehen.

    Anregung: Es ist hilfreich, eigene Schwierigkeiten zu erkennen. Welche Schwierig- 

    keiten habe ich mit dem ET?

    2. Die Bibel - das Wort Gottes„Das von Gott Geoffenbarte, das in der Hl. Schrift enthalten ist und vorliegt, ist unterdem Anhauch des Heiligen Geistes aufgezeichnet worden.“

    So hat zuletzt das 2. Vatikanische Konzil in der Dogmatischen Konstitutionüber die göttliche Offenbarung „Dei Verbum“ (= Wort Gottes) Nr. 11 dargelegt, dassdie biblischen Schriften von Gott geoffenbartes Wort   sind. Die Kirche glaubt, dassdie Bibel nicht irgendeine Sammlung von Büchern aus vergangenen Zeiten und Kul-turen ist. Vielmehr haben diese Bücher sowohl Gott als auch Menschen bzw. Men-

    schengruppen zum Urheber bzw. Verfasser. Die Bibel ist Gottes- und Menschenwort.Das Gotteswort ist in der menschlichen Sprache „gebrochen“, wie sich ver-gleichsweise ein Lichtstrahl in einem Prisma bricht.

    Das Wort der Bibel ist ein Wort aus der Vergangenheit, aber es bringt nichtein vergangenes Wort, sondern weist in die Zukunft. Das ET sagt über das Gottes-wort im Menschenwort ein Dreifaches:

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    2.1 Im Ersten Testament kommen Menschen zu WortDenken wir an das Hohelied. Wir stoßen auf eine Runde junger Mädchen (Hld 5,8).Eine von ihnen beschwört die anderen, ihrem Geliebten zu sagen, dass sie von Lie-be krank sei. Darauf wird eines der schönsten Liebeslieder der Weltliteratur ange-stimmt. Hier spricht sich die Freude des Menschen am Menschen aus. So treffen wirim ET auf Menschenwort, das sich am Menschen begeistert. Das ET kann menschli-che Schönheit und Größe besingen, doch weit mehr weiß es uns zu erzählen über

    menschliche Not, Versagen und Elend (Klgl, Ps, Ijob, Spr, u.a.). So kommt im ET derganze Mensch zur Sprache: von der Freude über alles Schöne bis hin zur menschli-chen Verzweiflung.

    2.2 Im Ersten Testament reden Menschen von GottWenn die biblischen Verfasser von Gott reden, dann tun sie dies in der Sprache undmit den Vorstellungen der damaligen Menschen und ihres Weltbildes. So erzähltGen 2,4b-25 von der Schöpfung in Bildern aus der kleinbäuerlichen Welt Palästinas;ca. 400 Jahre später wird das gleiche Thema wieder dargestellt (Gen 1,1-2,4a), aber jetzt im naturwissenschaftlichen Horizont des 6. Jhd. v. Chr.

    Wenn auch alle biblischen Zeugnisse vom Menschen reden, sie weisen immer

    wieder hin auf jenen Gott, der sich Israel verpflichtet und der Israel in Verpflichtunggenommen hat. In der Bibel sprechen Menschen nie ausschließlich über sich selbst,sondern letztlich weisen sie von sich weg - hin auf Gott.

    2.3 Die Bibel redet in einmaliger Weise über GottDer Anspruch, den biblische Verfasser an die Menschen stellen, ist oft sehr groß. Sowaren z. B. die Schriftpropheten Menschen, die ganz eingebunden waren in ihr Volk.Aber sie haben sich vom Auftrag ihres Gottes genötigt gesehen, gegen Israel zu re-den. Propheten sind Menschen im Dienst Gottes. Ihr Anspruch an Israel ist nicht in ih-rer menschlichen Größe oder religiösen Begabung zu sehen. Gott hat sie ergriffen undgeläutert, überwältigt, damit sie so von ihm reden können, wie es für die damalige Zeit

    und Kultur nicht üblich war: Jahwe zu verkünden als den alleinigen Gott, der die Vor-stellung des Menschen übersteigt, sich aber dem Menschen zuneigt.Ähnliches begegnet im ersten Gebot: „Ich bin Jahwe, dein Gott, der dich aus

    Ägypten geführt hat, aus dem Sklavenhaus. Du sollst neben mir keine anderen Göt-ter haben“ (Ex 20,2f). So verschiedenartig alle Stimmen im hebräischen Kanon auchsein mögen, so einig sind sie sich in diesem einmaligen Bekenntnis.

    Nirgendwo in der Umwelt Israels findet sich Vergleichbares. Der Alte Orienthat völlig anders gedacht. Er neigte zur Religionsmischung und stellte fremde Götternie in Frage, sondern setzte sie mit seinen eigenen Göttern gleich. Das Volk Israelhat durchwegs und durchschnittlich ebenso gedacht wie die übrigen Völker: Es neig-te zur Religionsmischung und ließ sich von den kanaanäischen Kulten beeindrucken,so dass die Propheten von einem „Weghuren von Jahwe“ sprechen. Das Bekenntnis

    von Ex 20,2 ist also nicht aus der Vorstellungskraft Israels zu erklären. Der Anspruchdieser alten Gotteszeugen bis hin zu Jesus und seinen Jüngern kann nur verstandenwerden von der bezwingenden Anrede Gottes, wenn auch der Hintergrund ihrer anti-ken Umwelt oder ihre Persönlichkeit beachtet werden muss.

    Merksatz: Man kann die Menschen der Bibel nicht verstehen, ohne dem „ganz An- deren“ zu begegnen, der sich als Du dem Menschen geoffenbart hat.

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    2.4 Zum Verständnis der Inspiration der Heiligen SchriftNeben diesen Beispielen aus der Hl. Schrift selbst gibt es verschiedene Modelle, dieden Glaubenssatz, dass die Hl. Schrift inspiriert, also Gotteswort im Menschenwortist, verdeutlichen.

    Im Zentrum der schematischen Darstellungsteht die Bibel. Das ET ist hineingestellt in dieGeschichte (10. bis 2. Jhd. v. Chr.) und in die

    Kulturen des vorderasiatisch-ägyptischen Rau-mes. Das Land, wo es entstand, war Kanaan(Palästina), eine Brücke zwischen dem afrikani-schen Ägypten und Vorderasien.Alle Kulturen und Religionen dieses Raumes ha-ben auf irgendeine Weise Spuren im ET hinter-lassen, sei es, dass die biblischen Menschensehr vieles aus den anderen Religionen über-nommen und in den Jahweglauben eingegliederthaben, sei es, dass sie sich kritisch damit aus-einandersetzten, sei es, dass sie es ablehnten.

    Den stärksten Einfluss haben auf das ET die nomadischen  Überlieferungen und Reli-gionen ausgeübt, weil die hebräischen Stämme aus diesem Milieu kamen. Aberauch die kanaanäischen Kulte und Religionen haben den Glauben Israels beein-flusst. In der positiven und negativen Auseinandersetzung mit der bodenständigenkanaanäischen Religion, ihren Sitten und Bräuchen, wurde das ET sehr stark mitge-prägt und hat viele Vorstellungen übernommen, z. B. den Königstitel für Jahwe. Aberauch alle anderen Kulturen und Religionen in diesem Raum haben - meist über ka-naanäische Vermittlung - auf das ET eingewirkt.

    Diese altorientalischen Religionen sind Versuche, das unendliche Geheimnis -Gott und seine Schöpfung - dem Menschen nahezubringen und ihm zu einem sinn-erfüllten Leben zu verhelfen. Diese Religionen sind daher nicht Ausgeburt menschli-cher Phantasie, sondern Zeugen, dass Gott die Menschheit unter vielerlei Gestalten

    und Vorstellungen seit jeher begleitet hat (deshalb auf der Skizze der Pfeil von Gotther in diese Religionen).

    Merksatz: Der Geist Gottes ist nicht nur in der Bibel, sondern auch in den Umwelt- religionen der Bibel zu spüren.

    Wohl ist sehr vieles im ET von den Umweltreligionen her verständlich. Aber wir fin-den Aussagen in der Bibel, die sich von der Umwelt her nicht erklären lassen (des-halb der Pfeil von Gott her direkt zum ET). Das deutlichste Beispiel dafür ist das ers-te Gebot (Ex 20,2f) oder die Offenbarung des Gottesnamens in Ex 3,14. 

    Das ET ist nach unserer katholischen Glaubensüberzeugung der richtigeWeg, den die Menschheit vor Christus gegangen ist, der aber auch neben dem Chri-

    stentum weiterhin zu Recht besteht (vgl. Röm 11,1-24). Das heißt, wir Christen glau-ben, dass die Bibel dem unendlichen Geheimnis Gott am nächsten gekommen istund das mit der Hilfe Gottes. Aber es ist ebenso darauf zu verweisen, dass Gott derHeilige, der ganz Andere, ist. Die Bibel kann das unendliche Geheimnis Gott wederendgültig darstellen noch erklären; denn jede menschliche Rede von Gott bleibtMenschenwort, auch das Gotteswort der Hl. Schrift. Gott will in der Hl. Schrift nichtneugieriges Wissen stillen, sondern den Menschen sein göttliches Du schenken.

    Gott 

    Gott

    Gott

    Gott

    kanaanäischeReligion

    nomadischeReligion

    ET

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    Merksatz: Wir können Inspiration als den Weg verstehen, auf dem der Geist Gottesdie Menschen des Alten Israel geführt hat, um ein bleibendes und ver- pflichtendes Vermächtnis zu schaffen.

    3. Der Kanon der Heiligen Schrift

    Kanon bedeutet Regel, Maßstab. Der biblische Kanon ist die Liste jener Schriften,die von der Glaubensgemeinschaft als inspiriertes Gotteswort anerkannt sind. Siesind Richtschnur und Norm für den Glauben, für Lehre und Praxis. Voraussetzungfür den Kanon ist die Überzeugung, dass sich die Offenbarung Gottes im Men-schenwort ereignet, d. h. dass bestimmte Menschenworte Gotteswort sind. Für dasET sind diese Gottesworte in menschlicher Sprache: die tora (= Weisung) des Pries-ters, der mišpat (= Entscheid) des Richters, der dabar (= Wort) des Propheten, deršir (= Lied) des Sängers und der mašal (= Spruch) des Weisen.

    Die katholische Kirche zählt 46 Bücher des ET und 27 Bücher des NT. Die Bi-bel ist also nicht ein Buch, sondern eine Bibliothek von 73 Büchern. Es gibt auch an-dere Zählungen. Die Hebräische Bibel zählt 24 bzw. 39 Bücher; die griechische Ü-bersetzung (= Septuaginta) und in deren Folge die lateinische (= Vulgata) zählen zu

    diesen noch sieben weitere Bücher, die lange nur in griechischer Sprache überliefertwaren (= deuterokanonisch), zur Hl. Schrift. Außerdem reiht die Hebräische Bibelentsprechend der Entstehungszeit und der Wichtigkeit der Schriften (Tora - Vordere[Frühere] und Hintere [Spätere] Propheten - Schriften). Die Übersetzungen ordnendagegen nach der Zeitfolge: Vergangenheit (Pentateuch, geschichtliche Bücher) -Gegenwart (Psalmen, Lehrbücher) - Zukunft (Schriftpropheten).

      Die Übersichtstafel auf der folgenden Seite bringt dies gut zum Ausdruck.

    3.1 Das Entstehen des Kanons der Hebräischen BibelDer erste Teil, die Tora, ist im Zeitraum vom 10. Jhd. bis zum 5. Jhd. v. Chr. ent-

    standen. Ihr Inhalt ist so wichtig und tiefgreifend, dass er nicht nur einmal, sondernöfter erzählt wurde. Heute wird allgemein angenommen, dass die älteste Erzähl-schicht aus dem 10. Jhd. v. Chr. stammt. Da in ihr der Gottesname Jahwe vom An-fang an verwendet wird, nennt man sie die  jahwistische Überlieferung   (= J). Im 8.Jhd. v. Chr. entstand die zweitälteste Schicht, genannt: die elohistische Überliefe- rung  (= E). Der Verfasser verwendet bis Ex 3,14 die Gottesbezeichnung Elohim. ImLaufe des 7. Jhd. v. Chr. wurden dann beide Schichten vereinigt. Zugleich entstandim 7. Jhd. v. Chr. ein predigtartiges Erzählwerk, das ein Jahrhundert später eine Be-arbeitung erhielt. Es ist dies das sogenannte Deuteronomium   (= Dtn, „zweites“ Ge-setz, besser: Zweitschrift des Gesetzes, vgl. Dtn 17,18). Und im 6. Jhd. v. Chr. ent-stand die jüngste Erzählschicht des Pentateuchs, die Priesterschrift  (= P). Diese ver-schiedenen Quellschriften wurden schließlich von einer oder mehreren uns nicht

    mehr bekannten Personen ineinandergeschachtelt und verwoben.Die Tora lag gegen Ende des 6. Jh. v. Chr. im wesentlichen in der heutigenForm vor. Die verschiedenen Schichten des Pentateuchs wurden sicherlich nicht ausGeschichtsinteresse oder aus rein literarischem Interesse zusammengearbeitet, son-dern um die heiligen Überlieferungen des Volkes Israel als eine Einheit zu haben.

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     ÜbersichtstafelHebräischer Kanon(= Kanon der Juden und der Kirchen der Reformation) 1 1 Gen2 2 Ex3 3 Lev Tora4 4 Num

    5 5 Dtn6 6 Jos7 7 Ri8 8 1 Sam Vordere

    9 2 Sam9 10 1 Kön

    11 2 Kön10 12 Jes11 13 Jer Propheten 12 14 Ez

    15 Hos

    16 Joël17 Am18 Obd Hintere19 Jon

    13 20 Mich21 Nah22 Hab23 Zef24 Hag25 Sach26 Mal

    14 27 Ps

    15 28 Ijob16 29 Spr17 30 Rut18 31 Hld19 32 Koh Schriften20 33 Klgl21 34 Est22 35 Dan

    36 Esr23 37 Neh

    38 1 Chr24 39 2 Chr

    Kanon der Septuaginta (= katholisches. Verzeichnis der Hl. Schriften) 

    1 Gen2 Ex3 Lev Pentateuch oder4 Num 5 Bücher Mose

    5 Dtn6 Jos7 Ri8 Rut9 1 Sam (1 Kön)

    10 2 Sam (2 Kön)11 1 Kön (3 Kön)12 2 Kön (4 Kön)13 1 Chr14 2 Chr15 Esr

    16 Neh17 Tob (deuterokanonisch)18 Jdt (deuterokanonisch)19 Est20 1 Makk (deuterokanonisch)21 2 Makk (deuterokanonisch)

    22 Ijob23 Ps24 Spr25 Koh26 Hld27 Weish (deuterokanonisch)

    28 Sir (deuterokanonisch)29 Jes30 Jer

    31 Klgl32 31 Bar (deuterokanonisch)33 32 Ez34 33 Dan35 34 Hos36 35 Joël37 36 Am38 37 Obd

    39 38 Jon40 39 Mich41 40 Nah42 41 Hab43 42 Zef44 43 Hag45 44 Sach46 45 Mal

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    LINZER FERNKURS - ERSTES TESTAMENT I: 1. Aussendung  9

    Das ganze Werk hatte für die Jerusalemer Kultgemeinde nach 500 v. Chr. kanoni-sches Ansehen. Nach dem Exil (587-538 v. Chr.) wurden die Gegensätze zwischenJerusalem und Mittelpalästina immer schärfer, bis sich schließlich die Samaritanervon der Jerusalemer Kultgemeinde überhaupt trennten und ihren eigenen Tempelauf dem Berg Garizim errichteten. Für sie sind nur die fünf Bücher des Mose HeiligeSchrift. Das bedeutet, dass spätestens das Jahr 300 v. Chr. für die Kanonisierungdes Pentateuch als Endpunkt anzusehen ist.

    Der zweite Teil der Hebräischen Bibel besteht aus den Vorderen und Hinte-ren Propheten . Zu den Vorderen Propheten, die im christlichen Kanon als ge- schichtliche Bücher bezeichnet werden, zählen Josua - Richter - 1 und 2 Samuel - 1und 2 Könige. Die Hinteren Propheten oder Schriftpropheten sind: Jesaja - Jeremia -Ezechiel - das Zwölf-Prophetenbuch (das sind: Hosea - Joël - Amos - Obadja - Jona- Micha - Nahum - Habakuk - Zefanja - Haggai - Sacharja - Maleachi).

    Die Vorderen  Propheten  erzählen die Geschichte Israels von der Landnahme umca. 1200 v. Chr. bis zum Untergang Jerusalems im Jahre 587/86 v. Chr. In der heutigenFassung wurde dieses Erzählwerk um 550 v. Chr. unter Einarbeitung der verschie-densten volkstümlichen, prophetischen und offiziellen Überlieferungen abgeschlossen.

    Die Hinteren Propheten   umfassen 15 Einzelpropheten. Sie wirkten vom 8.Jhd. v. Chr. bis in die Zeit nach dem Exil hinein. Die Worte dieser charismatischen (=mit Gottes Geist ausgestatteten) Persönlichkeiten wurden durchwegs von ihrenSchülern und ihnen nahestehenden Kreisen aufgeschrieben und gesammelt. Bis dieSchriften jedoch allgemein Anerkennung gefunden hatten, verging oftmals eine ge-raume Zeit. Der erste markante Zeitpunkt für die Wertschätzung prophetischerSchriften als Hl. Schrift wird im Exil gewesen sein. Damals erkannte man, dass diePropheten des 8. und 7. Jhd. v. Chr. mit ihrer Geschichtsdeutung recht hatten: dort,wo Israel Jahwe verlässt, rennt es ins Verderben (z. B. Jes 7,9). Die nachexilischeKultgemeinde konnte aus den gleichen Prophetenschriften die Hoffnung empfangen,dass Jahwe die Herzen der Menschen umkehren und ein neues Israel schaffen wird(z. B. Jer 31,31-34).

    Spätestens um das Jahr 200 v. Chr. lagen die prophetischen Bücher in ihrer

    heutigen Fassung vor, wie z. B. die um 190 v. Chr. entstandene Stelle Sir 48,22-49,10bezeugt. Die kanonische Anerkennung dieser Schriften war jedoch damit noch nichtfür alle gegeben. So wissen wir aus der Zeit Jesu, dass die Sadduzäer (= Priesterpar-tei in Jerusalem) nur die Tora als Heilige Schrift anerkannten, dagegen die Pharisäer(= Laien, Schriftgelehrte) auch die Propheten bereits zur Heiligen Schrift rechneten.

    Den dritten Teil des ET nennen die Juden die „Schriften“, die Christen „Lehr- bücher“ und Psalmen. Dieser Teil besteht aus Psalmen - Ijob - Buch der Sprichwör-ter - Rut - Hohelied - Kohelet - Klagelieder - Ester - Daniel - Esra - Nehemia - 1Chronik - 2 Chronik.

    Er umfasst erzählende und prophetische Literatur, die Gebets- und Weisheitsli-teratur Israels. Die einzelnen Bücher sind zu unterschiedlichen Zeiten entstanden undhaben zum Teil auch sehr alte Texte verarbeitet. Gemeinsam ist allen diesen Büchern,

    dass ihre endgültige Fassung sehr spät in der nachexilischen Zeit erfolgte.Zur Zeit Jesu war der Kanon noch im Fluss. Als im Jahre 70 n. Chr. der Jerusa-

    lemer Tempel von den Römern zerstört wurde, war das Judentum bis auf die Wurzelgetroffen. Von den jüdischen Religionsparteien (= Sadduzäer, Pharisäer, Essener, Ze-loten, Herodianer) überstanden nur die Pharisäer die Katastrophe. Der Rest war einJudentum ohne Priester mit Schriftgelehrten (= Rabbinen) als führender Schicht. Eskam zu einer völligen Neuorientierung. Von 70 - 135 n. Chr. war Jamnia, 20 km südlichvon Jaffa, das geistige Zentrum des Judentums. Hier schloss man auf der soge-nannten „Synode“ von Jamnia gegen 100 n. Chr. den Prozess der Kanonwerdung ab.

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    Merksätze: Der jüdische Kanon umfasst die drei Teile Tora, Propheten, Schriften. Jenach Zusammenordnung kann man 39, 24 oder 22 Bücher zählen. Dieevangelischen Christen haben auf diesen Kanon wieder zurückgegriffenund zählen 39 Schriften des ET.

    Wie wir bereits gesehen haben, ist der Kanon von Jamnia nicht das einzige bei denJuden entstandene Verzeichnis der Hl. Schriften. In der Septuaginta (= griechische

    Übersetzung) hat sich eine andere Kanonform entwickelt, welche nicht nur jene 39Bücher umfasst, die in Jamnia als kanonisch anerkannt wurden, sondern auch sie-ben weitere Schriften hinzunimmt:

    Baruch - Tobit - Judit - 1 Makkabäer - 2 Makkabäer - Weisheit - Sirach.

    Diese werden von der katholischen Kirche deuterokanonische  Bücher, von der evan-gelischen Kirche und den Juden apokryphe   Bücher genannt. In der frühen Kirchewurde sowohl der enger gefasste Kanon als auch der erweiterte verwendet. In derabendländischen oder lateinischen Kirche setzte sich das erweiterte Verzeichnis von45 bzw. 46 Schriften durch. (Die Zahl 45 erreicht man, wenn man die Klageliederoder Baruch zu Jeremia dazuzählt).

    Der hl. Hieronymus (= Übersetzer, der die Vulgata schuf) wollte um 400 n.

    Chr. auf den hebräischen Kanon zurückgreifen. Er konnte sich jedoch nicht durch-setzen. In den östlichen Kirchen dagegen war der hebräische Kanon vorherrschend.Erst am Ende des 7. Jhd. n. Chr. wurde der erweiterte Kanon übernommen. Auf demKonzil von Trient (1546 n. Chr.) wurde für die röm.-kath. Kirche der Kanon mit 45bzw. 46 Schriften endgültig festgelegt.

    Merksätze: Die Liste der Texte zur Hl. Schrift entstand in einem langen Prozess. Esdauerte oft lange, bis eine geschichtliche Erzählung, eine Weisung, einprophetisches Wort oder ein Weisheitsspruch Hl. Schrift wurde.

    3.2 Der Text des Ersten Testaments

    Außer der Entstehungsgeschichte des Kanons ist auch jene des vorliegenden Tex-tes der im 20. Jhd. gedruckten Bibeln interessant. Fast alle Schriften des ET wurdenin hebräischer Sprache verfaßt. Hebräisch ist die Sprache der Stämme, die ab dem12. Jhd. in Kanaan sesshaft wurden. Dan 2,4-7,28 und Esra 4,8-6,12 sind in einerWeiterentwicklung des Hebräischen, in Aramäisch geschrieben. Das war zur auchzur Zeit Jesu die Umgangssprache; Hebräisch blieb die Kultsprache.

    Die deutero-kanonischen Bücher sind in griechischer Sprache überliefert. Erstim 20. Jhd. hat man Teile in hebräischer Sprache entdeckt, z. B. von Jesus Sirach inQumran und auf Massada.

    Vom Text des ET gibt es keine Originale, nur handschriftliche Abschriften.Trotzdem kann heute mit größerer Sicherheit als bei jedem anderen Buch aus dem

    Altertum gesagt werden, dass der überlieferte Text im wesentlichen mit den Origina-len gleich ist. Unterschiede von dem aus den Handschriften gewonnenen Text undden letzten großen Funden in Qumran zeigten sich zum allergrößten Teil nur inRechtschreibvarianten.

    Wichtige hebräische Handschriften (zunächst   Schriftrollen, später erst Co-dices [= aufeinandergelegte und zusammengeheftete Blätter]), sind:•  Papyrus Nash (Ende 2. Jhd. v. Chr.): enthält die 10 Gebote und das „Höre Israel“•  zwei Jesajarollen von Qumran (ca. 80 v. Chr.)•  Codex Cairensis (895 n. Chr.)•  Petersburger Prophetenkodex (916 n. Chr.)

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    •  Leningrader Codex (1008 n. Chr.): Grundlage für die hebräischen Bibeln unserer Zeit•  Aleppo Codex (1. Hälfte des 10. Jhd. n. Chr.)•  Abischa-Rolle (11. Jhd. n. Chr., Pentateuch-Handschrift der Samaritaner [Nablus])

    3.3 Die Kapitel- und Verseinteilung der BibelUnsere heute gebräuchliche Kapiteleinteilung des ET stammt von Stephan Langton

    (1150-1228 n. Chr.), der sie für die lateinische Übersetzung des ET geschaffen hat.Die Juden Palästinas teilten das ET in 452 Sedarim (= Ordnungen), die Juden Baby-loniens in 54 (53) Paraschen (= Wochenabschnitte). Etwa im 15. Jhd. n. Chr. wurdedie christliche Kapiteleinteilung von den Juden zu ihren Einteilungen hinzugenom-men, so dass sie die Bibel heute genau so zitieren wie wir.

      Gen 2,4-25 ist zu lesen: Buch Genesis, Kapitel 2, Vers 4 bis 25.Gen 1,1-11,9 ist zu lesen: Buch Genesis, Kapitel 1, Vers 1 bis Kapitel 11, Vers 9.Die einzelnen Verse werden mit Kleinbuchstaben unterteilt.z. B.: Gen 2,4a = Buch Genesis, 2. Kapitel, erste Hälfte des 4. Verses.Gen 2,4b = Buch Genesis, Kapitel 2, 2. Hälfte des Verses 4Gen 4,1-5,5.7-9 = Genesis, Kap. 4, Vers 1 bis Kap. 5, Vers 5 und die Verse 7 bis 9f = auch der folgende Vers: z. B.: Gen 1,1f = Gen 1,1-2ff = auch die folgenden Verse: Gen 1,1ff = der mit Gen 1,1 beginnende Abschnitt

    V. = Vers; VV. = mehrere Verse

    3.4 Die alten Übersetzungen des Ersten TestamentesJede Übersetzung ist mit großen Schwierigkeiten verbunden. Wer einen Text von ei-ner Sprache in eine andere übersetzt, wird durch seine Bildung, den Kulturkreis, ausdem er stammt, seine Weltanschauung und Sprachkenntnisse bewusst oder unbe-wusst geprägt sein.

    Zusätzlich stellt sich das Problem, dass es verschiedene Wörter in einer altenSprache gibt, die bei uns nicht gebräuchlich sind oder vielleicht etwas anderes be-deuten - und umgekehrt. Auch der Satzbau ist oftmals sehr verschieden von jenemeiner modernen Sprache. Obendrein ist Hebräisch keine indogermanische, sondern

    eine semitische Sprache. Daher bringt jede Übersetzung eines Schriftstückes vonder originalen Sprache in eine andere bereits eine gewisse Auslegung mit sich.

    Die wichtigsten Übersetzungen sind:

    •  Septuaginta (= LXX oder G):  Die Juden in der Zerstreuung (= Diaspora) nahmenzumeist die Landessprache an. Es mussten daher für den Gebrauch im Gottes-dienst Übersetzungen geschaffen werden. Als erste jüdische Gemeinde stand dieGemeinschaft von Alexandrien in Ägypten (ein Zentrum griechisch-hellenistischerKultur) vor dieser Notwendigkeit. Der Legende nach sollen 72 gelehrte Juden inAlexandrien um 200 v. Chr. die Bibel übersetzt haben. Darum trägt diese Überset-zung den Namen Septuaginta. Sie wurde unterschiedlich übersetzt: Manche Bü-

    cher sind buchstäblich, manche sinngemäß, manche sehr frei wiedergegeben. DieBedeutung dieser Übersetzung liegt darin, dass zum ersten Mal die nichtjüdischeWelt die biblische Offenbarung kennenlernen konnte. Die Frühkirche bestandgroßteils aus Heidenchristen. Das NT ist Griechisch geschrieben. Stellen aus demET werden im Wortlaut der Septuaginta ins Christentum übernommen. Die Septu-aginta ist also für die junge Kirche maßgebend. Weitere griechische Übersetzun-gen aus dem 2. Jhd. n. Chr. sind von Aquila, Symmachus und Theodotion.

    •  Die Hexapla wurde von Origenes, einem großen christlichen Gelehrten, in Zusam-menarbeit mit vielen Mitarbeitern in den Jahren 230 - 240 geschaffen. Sie brachte

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    in sechs Spalten (darum der Name Hexapla) den biblischen Text in folgendenSprachen und Übersetzungen: Hebräisch - Hebräisch in griechischer Umschrift -Übersetzung des Aquila - Übersetzung des Symmachus - Septuaginta - Überset-zung des Theodotion. Dieses Werk von unschätzbarem Wert, das aus 6000 Blät-tern in 50 Bänden bestand, wurde 638 n. Chr. bei einem Brand Caesareas amMeer vernichtet. Einige wenige Stellen kennen wir aus anderen Werken frühchrist-

    licher Schriftsteller.•  Ab 500 v. Chr. war Aramäisch die Volkssprache. Darum fügte man im Gottes-

    dienst nach dem Verlesen des Bibeltextes aramäische Übersetzungen an. Diesewurden mit der Zeit sehr frei, bzw. man fügte Erläuterungen zum Verständnis bei.Ein solcher Text heißt Targum  (= Übersetzung). Die großen jüdischen Bibeln füh-ren bis heute die verschiedenen Targumim neben dem hebräischen Text an.

    •  Auch lateinische Übersetzungen wurden bald notwendig. Sie wurden zusammen-gefasst mit dem Sammelnamen „Vetus Latina“ (= Alte Lateinische).

    •  Papst Damasus I. (366 - 384 n. Chr.) beauftragte Hieronymus, eine neue, ein-heitliche Übersetzung zu schaffen. Hieronymus arbeitete einen Großteil seines

    Lebens in Betlehem an dieser Aufgabe. Die zwischen 390 - 405 n. Chr. entstan-dene Vulgata (= die Allgemein-Gebräuchliche) ist für die lateinische Kirche der of-fizielle Bibeltext geworden. Erst 1979 erschien ein überarbeiteter Text, die „Neo- Vulgata“ . Weitere wichtige Übersetzungen sind die syrische (= Peschitta), die kop-tische, die äthiopische, die armenische und die arabische.

    Merksätze: Das ET ist fast ausschließlich in hebräischer Sprache geschrieben. Über- setzungen wurden und werden sehr sorgfältig angefertigt.

    4. Der Kulturraum des ET

    Im Ostjordanland  hat das Tafelland seine ursprüngliche Gestalt noch am besten er-halten. Durch die Tätigkeit des Wassers bildete sich ein verzweigtes Talsystem, dassich nach Westen, zum Jordan hin, entwässert. Dabei sind vier große Talsysteme zuunterscheiden:

    Im Norden zwischen Yarmuk und Hermonmassiv schiebt sich das Kulturlandam weitesten nach Osten vor. Die Grenze ist das vulkanische Haurangebirge. Heutegehört das Gebiet zu Syrien. Im ET heißt es ‘Baschan’. Das Gebiet zwischen Yar-muk und dem Nordende des Toten Meeres heißt im ET ‘Gilead’. Das Gebiet zwi-schen Jabbok und Arnon ist das atl. ‘Mischor’ = ‘Ebene’. Gegen Süden folgt dannMoab bis etwa zum Sered und vom Sered bis zum Golf von Aqaba erstreckt sich dasLand ‘Edom’, eine gewaltige Gebirgslandschaft mit Höhen bis zu 1600 m. Im ETheißt das Gebiet oft ‘Seïr’.

    Der Jordan  entsteht aus drei Quellflüssen (Hasbani, Banjas und Dan).

    Es lassen sich in seinem Verlauf mehrere Landschaften unterscheiden:I. Das Hule-Tal : Es war ehemals ein sumpfiges Schwemmland, das heute kultiviert

    ist. Der See Gennesaret liegt bereits 200 m unter dem Meeresspiegel.II. Das Gebiet von Bet-Schean : Der Graben erreicht hier eine Breite von 15 - 20 km.III. Hier ist der Graben  nur 2 km breit. Die Enge endet mit der Einmündung des Jab-

    bok im Osten und des Wadi Fara im Westen.IV. Es folgt der breiteste Teil des Jordangrabens , ca. 20 km.

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    Schließlich mündet der Jordan ins Tote Meer. Es liegt 400 m unter dem Meeres-spiegel und ist 85 km lang, bis zu 15 km breit und bis 400 m tief. Lebewesen feh-len völlig, da das Meer keinen Abfluss hat, das Wasser verdunstet und die Salzezurückbleiben. Im ET heißt das Tote Meer ‘Salzmeer’ (z. B. Jos 3,16).

    Das Westjordanland   ist der am stärksten durchgliederte Teil Palästinas. Galiläa   istein Kalksteingebirge, das im Norden durch das Leontestal vom Libanon getrennt ist.Im Osten, Westen und Süden fällt es in Verwerfungen ab. Zu unterscheiden sindObergaliläa mit dem Dschebel Dschermaq (1208 m) als höchstem Berg Palästinasund Untergaliläa mit dem Tabor (588 m) als höchster Erhebung. Im Mittelteil und imWesten gibt es mehrere Ebenen, z. B. die Ebene von Megiddo (= Jesreel-Ebene).Sie ist eine der fruchtbarsten Ebenen Palästinas und obendrein von ver-kehrsgeographischer Bedeutung. Durch sie verläuft nördlich die Ost-West-Verbin-dung, die sich mit der Nord-Süd-Verbindung, der alten Küstenstraße (= Via Maris),kreuzt. Im Altertum war diese Ebene daher der klassische Kriegsschauplatz (Ri4,6.12.15; 2 Kön 23,29f; Offb 16,16).

    Das samarische Gebirge bildet mit dem judäischen Gebirge einen geschlosse-nen Zug, auf dessen Rücken die Wasserscheide zwischen Mittelmeer und Jordanverläuft. Auf dem Rücken des samarischen Gebirges liegen die wichtigen biblischen

    Orte Samaria, Tirza, Sichem, Schilo und Bet-El.Das  judäische Gebirge   ist schroff und steigt im Süden bis 1028 m an. Im ETheißt es ‘Gebirge Juda’.

    Die Küstenebene   ist ca. 200 km lang und 3 - 40 km breit. Der bedeutendsteHafen ist heute Haifa; früher waren die Häfen Akko, Caesarea und Jafo wichtig.

    Das Gebiet von Beerscheba: Das Land fällt von einer Höhe von 1000 m beiHebron auf 250 m bei Beerscheba ab. Hier beginnt die Negev-Wüste.

    Palästina liegt auf der Landbrücke zwischen Afrika und Asien/Europa im „Fruchtba-ren Halbmond“, zwischen Ägypten und dem Zweistromland. Diese Lage lässt es ver-ständlich erscheinen, dass die politischen Mächte ihren Einfluss in diesem Gebietgeltend machen.

    Palästina ist der moderne geographische Name für das Land, das im ET „Ka-naan“ genannt wird. Es ist der äußerste Westrand der arabischen Wüste und ge-prägt durch den Beginn des syrisch-afrikanischen Grabenbruchs in der Nord-Süd-Richtung.

    Merksätze: Palästina besteht aus vielen verschiedenen Landschaften. Sie bietenzum Teil gute Voraussetzungen für menschliche Besiedlung.

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    4.1 Das KlimaDer Unterlauf des Jordan, der Negev und das Tote Meer haben tropisches Klima.Die Temperaturen können hier mehr als 40 Grad betragen. Der überwiegende TeilPalästinas hat Mittelmeerklima, d. h. subtropisches Klima. Der Sommer ist regenlos,der Winter regenreich. Die Regenzeit beginnt im Oktober und endet im April. DerRegen kommt ausschließlich vom Westen. In höheren Lagen gibt es auch Schnee-fälle. Der Jänner ist der kälteste Monat, Minusgrade kommen aber selten vor. Juliund August sind die heißesten Monate.

    Heiße Ostwinde (= el-chamsin) führen schwüle Luft mit sich und bringen beimÜbergang vom Winter zum Sommer die Vegetation zu plötzlichem Erliegen.

    Die durchschnittliche jährliche Niederschlagsmenge beträgt im palästinischenKulturland rund 400-500 mm (vgl. Österreich 750-800 mm).

    4.2 Die PflanzenweltUrlandschaften waren:•  Wüste: Wenn die jährliche Niederschlagsmenge weniger als 200 mm beträgt und

    weniger als die Hälfte des Bodens mit Pflanzenwuchs bedeckt ist, spricht man vonWüste. Palästina ist im Osten und Süden von Wüste umgeben. Dazu kommt dasWüstengebiet des Jordangrabens. Es handelt sich durchwegs um Kalksteinwüs-ten. Gelegentlich kommen Oasen vor (z. B. En-Gedi, Jericho).

    •  Steppe:  Niederschlagsmenge beträgt 300-400 mm pro Jahr. Niedrige Sträucherund Gräser ermöglichen Weidewirtschaft. Der Steppengürtel ist relativ schmal.Wüste und Steppe gehen ineinander über.

    •  Wald: Bei einer jährlichen Niederschlagsmenge von 500 mm waren die meistenGebiete Palästinas ursprünglich durchgehend bewaldet. Die Gewinnung von Ak-kerland und Nutzholz während Jahrtausenden führte zur Verkarstung der ehemalsbewaldeten Gebirgsgegenden. Zusammenhängende Waldgebiete gibt es heutenoch am West-Rand des judäischen und samarischen Gebirges, am Karmel undin Obergaliläa. Ansonsten trifft man auf Haine, Baumgruppen und einzelne Bäu-

    me, die oft Namen tragen und seit altersher als Behausung von Göttern und Dä-monen galten. Heute bemüht man sich, verkarstete Gebiete wieder aufzuforsten.

    Diese Gliederung des Landes in drei Urlandschaften hat geschichtliche Folgen. DieWüste kommt für menschliche Besiedlung nicht in Frage, dafür die Steppe. Sie istUrsprungsland menschlicher Ackerbaukultur. Man nützte sie, noch bevor man Wäl-der rodete und in Oasen Besiedlungskulturen errichtete.

    Wildwachsende Pflanzen sind: Eichen, Föhren, Aleppokiefern, Johannisbrot-bäume, Mastixbäume, Weißdorn, Tamarisken, Weißpappel, Ginster, Christusdorn,Gräser, Anemonen, Herbstzeitlose.

    Pflanzen, die heute wirtschaftlich genutzt werden, sind: Weizen, Gerste,Baumwolle, Mohrenhirse, Oliven, Feigen, Wein, Granatapfel, Sykomoren, Datteln,

    Bananen, Feigenkaktus, Zitronen, Orangen, Äpfel, Birnen, Kirschen.Merksätze: Den geographischen Verhältnissen entsprechend gibt es drei Urland- 

    schaften: Wüste, Steppe, Wald. Heute wird auch die Wüste unter großenAnstrengungen bewässert und bewirtschaftet.

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    4.3 Die TierweltIn früher Zeit  gab es viele wilde Tiere, die heute ausgestorben sind oder sich in an-dere Gegenden zurückgezogen haben: Bär, Elefant, Löwe, Leopard, Panther, Ge-pard, Strauß, Krokodil, Wildochse.

    Heute  noch gibt es: Wolf, Schakal, Hyäne, Fuchs, Hund, zahllose Arten vonEidechsen, Skorpione, Spinnen, Bienen, Wespen, Hornissen, Mücken, Fliegen,mehr als 50 Arten von Heuschrecken.

    Jagdtiere:  Gazelle, Hase, Steinbock, Wildschwein, Rebhuhn.Weitere Tiere:  Hamster, Ratten, Mäuse, Klippschliefer, verschiedenste Vögel.Haustiere:  Esel, Rind, Kamel, Pferd, Schaf, Ziege, Hund, Katze.

    5. Die Geschichte IsraelsDie Heilige Schrift ist nicht in einem geschichtlichen und kulturellen Leerraum ent-standen. Das ET ist als Literatur Teil des reichen Kulturerbes, das uns vom soge-nannten ‘fruchtbaren Halbmond’, dem Gebiet zwischen Ägypten im Südwesten undMesopotamien im Nordosten vermittelt wurde. Deshalb ist es notwendig, neben derGeschichte und Kultur des Gottesvolkes Israel auch die Völker und Kulturen seiner

    Umwelt ins Auge zu fassen.

    5.1 Von der Vorgeschichte zur GeschichteDas Gebiet des ‘fruchtbaren Halbmonds’ ist eines der ältesten Siedlungsgebiete derErde. Spuren menschlicher Besiedlung in Palästina (am Berg Karmel) reichen bis indie frühe Altsteinzeit (200.000 - 150.000 v. Chr.). Vom vorgeschichtlichen Menschenwissen wir sehr wenig. Doch lässt sich mit Sicherheit feststellen, dass er an ein Wei-terleben nach dem Tod glaubt: Man gibt einem Toten Gegenstände und Nahrungmit, die ihm bei seinem Leben nach dem Tod nützlich sein sollen.

    In Palästina liegt auch die älteste bis jetzt entdeckte Stadt der Welt: Jericho(Besiedlungsreste ab ungefähr 8.000 v. Chr.).

    Merksätze: Palästina liegt im fruchtbarsten Gebiet des Vorderen Orients. Wir findenhier einige der ältesten Anzeichen menschlicher Zivilisation.

    5.2 Die Geschichte ÄgyptensEnde des 4. Jahrtausends v. Chr. beginnt man Ereignisse in Hieroglyphenschrift auf-zuzeichnen. Der Nil wird zur Bewässerung genutzt, auf der Sinaihalbinsel werdenKupfer und Türkis abgebaut. Könige verstehen sich als Vergegenwärtigung des Got-tes Horus. Totentempel und Pyramiden (= Begräbnisstätten) entstehen. 2135 v. Chr.geht das Alte Reich zugrunde. Eine Zeit der Orientierungslosigkeit folgt.

    Während der Herrschaft des Mittleren Reiches bestehen Handelsbeziehungenzu kanaanäischen Städten; um diese zu sichern, werden Kriegszüge unternommen.Es wandern Bevölkerungsteile von Palästina nach Ägypten aus. In diese Zeit (nach2000 v. Chr.) ist die Wanderung Abrahams (Gen 12,10ff) anzusetzen. Das MittlereReich wird durch die Herrschaft der Hyksos (= asiatische Bevölkerungsgruppen, dieauch Palästina beherrschten) um 1750 v. Chr. beendet.

    Im Neuen Reich (ab 1554 v. Chr.) herrschen ägyptische Könige, die von jetztan Pharaonen  genannt werden. Der Pharao gilt als Göttersohn.

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    Wichtige Ereignisse dieser Zeit:•  Kultzentralisation: Als alleiniger Gott wird die Sonnenscheibe (Aton) verehrt. Die

    beabsichtigte Vereinheitlichung konnte sich aber nicht durchsetzen.•  Die ägyptische Herrschaft wird bis zum Eufrat ausgedehnt.•  Amarnabriefe: Briefwechsel von palästinischen Fürsten mit dem Pharao.•  Erfolgreichster Pharao ist Ramses II (1290 - 1224); unter ihm rege Bautätigkeit.•

      Erste inschriftliche Nennung von Israel (= Stamm, der in Mittelpalästina siedelte).•  Ab ungefähr 1190 v. Chr. beginnt der Niedergang Ägyptens.•  Kurze Blütezeit noch nach 1000 v. Chr.•  Zwei Feldzüge, in die Palästina verwickelt ist, nämlich 924 (Schischak I; vgl. 1 Kön

    14,25f) und 609 (Necho, vgl. 2 Kön 23,29).•  525 v. Chr. übernehmen die Perser die Herrschaft (mit einer Unterbrechung von

    einigen Jahrzehnten) bis•  333 v. Chr. Alexander von Makedonien die Macht übernimmt. Für die Bibel wird

    Alexandria, das er gründet, bedeutsam.

    5.3 Die Geschichte der Bevölkerung Mesopotamiens

    Die Völker der Frühgeschichte des Zweistromlandes (ab 3000 v. Chr.) sind Sumerer  und Semiten . Um 2320 entsteht das Großreich Akkad, das die ganze damals zivili-sierte Welt des Vorderen Orients umfasst. Die Königreiche heißen Assur, Mari, Ba- bylon. Der bekannteste Text aus der Hälfte des 18. Jhds. v. Chr. ist der Codex Ham-murabi. Diese hochstehenden Kulturen werden immer wieder bedroht durch Bevöl-kerungsgruppen, die aus den weniger wohnlichen Gebieten (Arabische Wüste undunwirtliches Bergland) in das Kulturland drängen. Es sind die semitischen Amoriter.Abraham (wahrscheinlich auch Isaak) dürfte ein Amoriter gewesen sein. Der geistigeMittelpunkt und die Hauptmacht des Zweistromlandes im 2. Jahrtausend ist Babylon.Assyrer, Babylonier, Elamiter und Hetiter ringen um die Macht.

    Schließlich geht das alt-babylonische Reich unter. Einerseits verbünden sichdie Aramäergruppen miteinander, die aus der Wüste ins Kulturland drängen; ande-rerseits unterwirft Assur die ältere Macht Babylon. Die Aramäer   sind wegen ihreswohlorganisierten Heeres gefürchtete Gegner. Sie gewinnen gegen Ende des 2.Jahrtausends immer mehr an Bedeutung; ein eigenes Königreich mit Damaskus alsHauptstadt gründen sie jedoch erst nach 950 v. Chr.; ab dem 9. Jhd. werden sie zugefährlichen Gegnern, aber auch zu Verbündeten Israels gegen die Assyrer. NachDtn 26,5 gehörte Jakob dieser Bevölkerungsgruppe der Aramäer an.

    Ab 912 v. Chr. übernehmen die Assyrer   wieder die führende Rolle. Es gibtständig kriegerische Auseinandersetzungen mit Aramäern. 732 wird Damaskus er-obert, 722/21 fällt Samaria (2 Kön 17,1-6). Aus dem Nordreich Israel werden Men-schen weggeführt und Nicht-Israeliten, d. h. Nicht-JHWH-Verehrer angesiedelt (2Kön 17,24ff). Auch Jerusalem wird belagert, weil es sich mit Ägypten gegen Assyrien

    verbündete (2 Kön 18,13ff). Das Versprechen einer hohen Tributzahlung verschontJerusalem vom Untergang. Neben dieser kriegerischen, oft sehr grausamen Tätigkeitwaren die assyrischen Könige große Förderer der Kultur und Kunst.

    625 beginnt der Aufstieg Babylons; 612 wird die Hauptstadt Assyriens, Ninive,zerstört. Nach 609 spielt Assyrien in atl. Zeit politisch keine Rolle mehr.

    Neu-Babylon (= Chaldäa) übernimmt die Rolle der führenden Macht. 604 be-steigt Nabu-kudurri-usur II. (= der aus der Heiligen Schrift bekannte Nebukadnezar)den Thron. Er ist wie sein Vorbild Hammurabi ein großer Feldherr und Friedensfürstzugleich. 597 belagert Nebukadnezar Jerusalem; König Jojachin ist klug genug,

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    sich zu ergeben und in die Gefangenschaft zu gehen (2 Kön 24,8-16). Der neue Kö-nig Zidkija bricht jedoch den Treueeid. Es kommt zu einer neuerlichen BelagerungJerusalems und zur Eroberung der Stadt im Jahr 587/86 (2 Kön 25,8-21). Die Ober-schicht der Bevölkerung wird weggeführt; fremde Bevölkerungselemente werden je-doch in Juda und Jerusalem nicht angesiedelt.

    Der Glanz des neubabylonischen Reiches dauert nur kurz. Um 650 entstand einneues Reich im Vorderen Orient: das Reich der Meder. Kurz danach wurde es in zwei

    Reichshälften geteilt: in Medien mit der Hauptstadt Ekbatana (vgl. Esra 6,2; Tob 3,7;7,1) und in Persien. 552 gelingt es Kyrus II., die beiden inzwischen selbständig ge-wordenen Reichshälften wieder zu vereinen. Dieses medisch-persische Reich ist bis335 die beherrschende Macht im Vorderen Orient. 538 gestattet König Kyrus den Ju-däern die Heimkehr aus dem babylonischen Exil nach Jerusalem (Esra 1,1-4). Er isteiner der größten und mildesten Herrscher, die der Alte Orient hervorgebracht hat.

    Unter seinen Nachfolgern kommt es jedoch wieder zu blutigen Auseinander-setzungen. Unter König Darius I. (522-486) ist das Perserreich auf seinem Höhe-punkt; er baut die beiden Hauptstädte Persepolis als Kult- und Susa als Verwal-tungszentrum. Die glanz- und wechselvolle Geschichte dieses Großreiches endet um335 v. Chr. Alexander d. Große  von Makedonien tritt die Herrschaft im Vorderen Ori-ent an. Mit ihm beginnt der Einfluss der griechisch-hellenistischen Kultur im Vorderen

    Orient. Die Erben Alexanders kämpfen um Palästina. Bis 198 v. Chr. überwiegt dieHerrschaft der Ptolemäer, 198 v. Chr. übernehmen die Seleukiden die Macht.

    Merksätze: Palästina liegt im Spannungsfeld zwischen Ägypten und dem Zweistrom- land. Die beherrschenden Mächte sind Ägypten, Assyrien, die Aramäer- staaten, Babylon (= Chaldäer), die Perser und schließlich die Griechen.Israel ist nur zur Zeit Davids und Salomos eine politische Größe, die sichmit diesen Mächten messen kann.

    5.4 Die Geschichte Israels

    Der Glaube Israels unterscheidet sich von den Religionen der umliegenden Völker.Diese erleben den Kreislauf der Naturereignisse, die sich immer wiederholen, undvergöttlichen die Naturkräfte. Israel jedoch ordnet die Zeit nach Zeiten, die nicht wie-derkehren, sondern aufeinanderfolgen. Die Gegenwart   ist das Ergebnis von Ereig-nissen in der Vergangenheit  und weist in die Zukunft. Gott hat sich in der Geschichtegeoffenbart; er lenkt die Geschichte, „er ist da“ (= der Gottesname Jahwe; vgl. Ex3,14). Die Feste in Israel sind ein Gedenken an die in der Geschichte gewirkten Heil-staten Gottes. So ist das Pesachfest in erster Linie nicht ein Frühjahrsfest, sonderndas Gedächtnis an die Befreiung aus Ägypten. Durch die Feier der Feste wird GottesHeilshandeln gegenwärtig; es wird jedoch auch auf die Zukunft verwiesen. Der Ge-schichtsablauf ist Offenbarung der Führung Gottes und Heilsangebot für jede Zeit.Die Annahme dieses Angebots in Gehorsam oder Ungehorsam ist entscheidend da-

    für, ob die Ereignisse Heils- oder Unheilsgeschichte werden.Vor dem Volk Israel gibt es bereits Völker mit hochstehenden Kulturen. Die

    Vorfahren der Israeliten sind Wanderhirten (= Nomaden). Sie werden im Laufe derZeit sesshaft. Um 2000 v. Chr. wechseln (Halb-) Nomaden im Sommer aus den Win-terweiden (Wüste - Steppe) in die bereits kultivierten Gebiete des fruchtbaren Halb-monds. Dort dürfen die Tiere das Unkraut der abgeernteten Felder abweiden. Verträ-ge regeln die Benutzung der Brunnen. Schließlich bleiben diese Gruppen im Kultur-land. Zunächst siedeln sie im Buschwald der gebirgigen Höhen, drängen aber dannin die fruchtbaren Ebenen und verdrängen die Kanaanäer oder leben friedlich mit ih-nen. Diese Landnahme stellt man sich (später) als Eroberung vor . Obwohl die Bibel

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    die Landnahme sehr kriegerisch schildert, so hat die Geschichtswissenschaft gezeigt,dass die Landnahme fast ausschließlich ein friedlicher Prozess war, der langsam vorsich ging: Von der syrisch-arabischen Wüste wanderten Gruppen und Stämme in derZeit der Patriarchen und der Landnahme (2000 - 1200 v. Chr.) ein.

    Die Josef-Josua-Gruppe versucht eine solche ‘Landnahme’ in Ägypten. DieAngehörigen dieser Gruppe geraten in Abhängigkeit und fliehen unter der Führungdes Mose. Das Gelingen ihrer Flucht (= Exodus) schreiben sie Jahwe zu. Ins Land

    Kanaan gekommen, rufen sie die bereits sesshaft gewordenen verwandten Gruppenauf, sich mit ihnen zu verbünden. Das Verbindende ist der Glaube an den einenGott, an Jahwe.  Die Rettungserfahrung derer, die aus Ägypten kommen, gleichendenen, die schon früher oder aus anderen Gebieten einwanderten. Führungsperso-nen und Rettungserfahrungen werden miteinander verbunden. Es entstehen Glau-bensgestalten wie Abraham und Mose und eine durchgehende Erzählung von Abra-ham bis Josua, mit dem die Einwanderungszeit endet. Eine geschichtliche Er-innerung an ein Bündnis oder an die Erneuerung eines solchen findet sich in Jos 24.

      In Israel wurde schon sehr bald der Gottesname aus Ehrfurcht nicht mehr ausgesprochen. In die-sem Kurs wird der Gottesname nach hebräischer Gewohnheit mit den Mitlauten JHWH geschrie-ben. Gelesen wird „Jahwe“ oder „Jachwe“, bzw. im Judentum der Herr oder der Name.

    Merksätze: Ab dem 19. Jhd. v. Chr. ist Palästina Endpunkt von großen Wanderbe- wegungen: Aus der Wüste kommende halbnomadische Gruppen ver- bünden sich mit verschiedenen Gruppen des Kulturlandes und versu- chen, im Kulturland sesshaft zu werden. Mit dieser Bewegung beginntdie sogenannte Patriarchenzeit. Eine Gruppe versucht eine Landnahmein Ägypten. Unter Mose fliehen sie und kommen nach Kanaan, wo siesich mit anderen verwandten Gruppen verbünden.

    Der Zusammenschluss dieser Gruppen wird durch die nachträgliche Feststellungausgedrückt, dass sie sagen, immer schon miteinander verwandt gewesen zu sein.Die jeweiligen Vorfahren der Stämme werden zu Brüdern oder in ein Vater-Sohn-Verhältnis gebracht. Die Väterzeit wird als Geschichte einer  Familie dargestellt. DieBibel gibt also nicht den historischen Verlauf wieder, sondern das späte Stadium desbereits bestehenden Volkes Israel. Es deutet sein Bestehen als Abstammungser-gebnis von einem einzigen Vater Abraham.

    Typisch für die Zeit zwischen der Landnahme (ungefähr 1200 v. Chr.) bis zurErrichtung des Königtums sind die sogenannten Richter. Sie sprechen Recht, sindaber auch Rettergestalten. Von JHWHs Geist erfasst, befreien sie Israel aus Feindge-fahr. Schließlich wird jedoch ein Feind aus dem Süd-Westen, die Philister, so bedroh-lich, dass das Volk um einen König ruft (1020 v. Chr.). Somit beginnt die Zeit der Köni-ge. Saul - David - Salomo sind Herrscher über die zwölf Stämme. Nach dem Tod Salo-mos zerfällt das Reich in zwei Hälften: das Südreich Juda und das Nordreich Israel(932 v. Chr.). Sie gehen getrennte Wege, zunächst gegeneinander, dann nebeneinan-

    der. Im Süden gibt es ein erbliches Königshaus, im Nordreich bleibt das charisma-tische (= vom Geist immer neu begabte) Führertum erhalten. Wohl ist das Nordreichder Versuchung zum Glaubensabfall (zu Baal) und das Königtum einer absolutenMachtausübung nicht entkommen. Beides ist aber mit dem Glauben an JHWH nicht zuvereinen. 722 wird Samaria (die Hauptstadt, und der letzte Widerstand des Nord-reichs) von den Assyrern eingenommen und verwüstet. Ein Teil der Bevölkerung wirdin die assyrische Gefangenschaft gebracht, andere Gruppen werden angesiedelt. Imehemaligen Nordreich entsteht eine Mischbevölkerung. Politische Selbständigkeit hates nie mehr erreicht. Um 300 wird auch die religiöse Trennung vom Judentum vollzo-gen: die Glaubensgemeinschaft der Samaritaner entsteht.

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    587 fällt auch das Südreich, und zwar in die Hände der Babylonier, und Jeru-salem wird zerstört. Die Oberschicht wird nach Babel geführt. Dieses Exil  ist eineZeit der Besinnung. Vor allem die alten, überlieferten Glaubenstraditionen werdengesammelt, neu gedeutet und aufgeschrieben.

    538 gestattet die neue Macht im Vorderen Orient, der Perserkönig, die Heim-kehr. Juda und Jerusalem werden wieder aufgebaut. Der Tempel wird zum Zentrumdes JHWH-Glaubens. Die politische Unabhängigkeit hat auch Juda nicht mehr erhal-

    ten. Perser-, Griechen- und Römerherrschaft werden nur kurz unterbrochen vom Be-freiungskampf der Makkabäer. 70 n. Chr. wird der Tempel wieder zerstört. 132-135 n.Chr. versucht Bar Kochba nochmals, das Land von der Römerherrschaft zu befreien.Das Ergebnis heißt: Es darf kein Jude mehr Aelia Capitolina (= Jerusalem nach 135 n.Chr.) betreten. Das jüdische Volk wird über die damals bekannte Welt zerstreut.

    Bei jeder zeitlichen Einordnung ist zu beachten, dass von keinem Ereignis die zeit-genössischen Dokumente erhalten sind. Wir kennen nur die späteren Glaubens-zeugnisse der Bibel und sehr spärlich außerbiblische Angaben bzw. Funde.

    Zeit Ereignis/Gestalt Texte

    1800 Abraham „Lebensregeln“, „Sagen“

    1500 Ägypten/Sklavenhaus Lieder, Sprichwörter1250 Auszug „Weisungen“1000 Saul-David-Salomo J(ahwist)

    LadeerzählungAufstiegserzählungThronfolgeerzählung

    932 Reichsteilung:N-Reich Israel E(lohist)

    Elija, Hosea/AmosS-Reich Juda und Jerusalem Micha, Jesaja

    722 Untergang Samarias - Assyr. Exil622 Dtn-Reform - Joschija D(euteronomium); Jeremia587 Fall Jerusalems - Zidkija Dtr Geschichtswerk

    Ezechiel - Deuterojesajaum 550 P(riesterschrift)538 Ende des Babylonischen Exils - Perser Chron Geschichtswerk

    Haggai, Sacharja, Maleachi515 2. Tempel (Judentum) „Schriften“ und Psalmen333 Griechen (Alexander)166 Makkabäeraufstand Daniel 1/2 Makk63 Römer6 v. Chr. Geburt Jesu30 n. Chr. Tod Jesu

    49-64 Paulusbriefe70 Zerstörung des 2. Tempels70-90 Evangelien

    5.5 Ursprungssituationen biblischen GlaubensDer Mensch lebt nicht für sich allein, sondern er lebt in Gemeinschaft. Er gestaltet al-lein und mit anderen die Geschichte. Was Menschen tun und wie sie leben, hängtzusammen. Glaube und Handeln, Glaubensgemeinschaft und Gesellschaft, Bibelund Leben beeinflussen einander. Das heißt, dass einerseits der Glaube das poli-

    münd-lich

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    tische Handeln beeinflusst, andererseits aber auch aus den konkreten politischen Er-eignissen heraus Bibelaussagen zu verstehen sind. Um biblische Aussagen in ihrerTiefe zu erfassen, ist es wichtig, die Texte vor dem Hintergrund der entsprechendenZeit zu lesen. Dabei gilt es zu beachten, dass Bibeltexte sehr oft einen zweifachenHintergrund haben: einerseits erzählen sie von Ereignissen in einer konkreten Zeit(z. B. die Rettung Israels um 1225), andererseits dienen sie verschiedenen Autorenin verschiedenen Zeiten, um ihren Zeitgenossen die biblische Botschaft zu verkün-

    den. Es gibt also zwei Ursprungssituationen biblischer Texte: die Situation des Er-eignisses und die Situation, in der dieses Ereignis verkündet bzw. der Text aufge-schrieben wird.

      So spricht ein Soldat, der selbst im 2. Weltkrieg an vorderster Front war, anders über diesen Kriegals ein 30-jähriger Lehrer, der ihn nicht aus eigener Erfahrung kennt; oder jemand, der das 2. Vati-kanische Konzil erlebte, kann wahrscheinlich besser einschätzen, was sich seit 1965 z. B. in der Li-turgie geändert hat, als jemand, der das Konzil nicht mitverfolgte. Es wird eine der Aufgaben diesesKurses sein, immer wieder auf solche Ursprungssituationen biblischen Glaubens und auf die Ver-kündigung der biblischen Botschaft in verschiedenen Zeiten hinzuweisen.

    Solche wichtigen Ursprungssituationen biblischen Glaubens sind:

    a) Die VäterzeitIm beginnenden 2. Jahrtausend wandern semitische Gruppen in Kanaan ein. Ab-

    raham, Isaak und Jakob sind Wanderhirten (= Nomaden) im Übergang zum Seßhaft-werden. Ur - Haran - Sichem - Betel - Hebron - Beerscheba werden als Aufenthalts-orte der Erzväter genannt. Mit den Kulturlandbewohnern haben sie Kontakte, z. B.wegen der Benutzung von Brunnen (Gen 21,25). Einerseits bestimmen die nomadi-schen Gegebenheiten weiterhin ihr Leben und ihre religiösen Bräuche, andererseitsübernehmen sie aber bereits Rechtsordnungen der Sesshaften, da sie ja wirtschaft-lich von ihnen abhängig sind (z. B. Gen 16,5f: Nach dem im Kulturland geltendenGesetz darf Hagar nicht verstoßen werden. Darum behandelt Sara ihre Magd so,dass Hagar davonläuft).

    Die einzelnen Gruppen schließen sich in Konföderationen (= Vertragsverhält-nis von Stämmen mit bestimmten Rechten und Pflichten) zusammen. Es entsteht

    dadurch eine Lebensgemeinschaft ähnlich der zwischen Verwandten. Ein solchesVerhältnis wird „Eid und Bund“ genannt. Inhalte sind die Verpflichtung zu enger Zu-sammengehörigkeit, die Wahrung der Interessen der einzelnen Stämme und die Si-cherung des Überlebens der schwächeren Stämme.

    b) Die Zeit des ExodusAm Anfang der Volksgeschichte Israels stehen die Erfahrungen der Befreiung ausKnechtschaft und der Rettung aus unmenschlichen Nöten: aus Hunger, Durst, äuße-rer und innerer Gefahr. Auch hier werden die Erfahrungen der einzelnen Gruppenmiteinander verglichen und verwoben, so dass schließlich eine   Erzählung von derRettung entsteht, die dann wiederum zu vier verschiedenen Zeiten in Worte gefasstwird. Bei einer solchen Betrachtungsweise ist es nicht mehr so wichtig, wo die Ret-tung am Schilfmeer (Ex 13,17f; Ex 14,1f) tatsächlich stattfand oder ob Horeb (Ex 3,1;

    Dtn 5,2) und Sinai (Ex 19,1.20) ein- und derselbe Berg sind.c) Die Zeit der LandnahmeDas Buch Josua stellt den Prozess des Sesshaftwerdens, der sich über Jahrhunder-te erstreckte, in einem kurzen Eroberungsfeldzug unter Josua dar. Es vereinheitlichtund fasst die verschiedenen Landnahmeerzählungen der Stämme zusammen. Diebiblische Erzählung ist eine „typische“ Erzählung. Daneben gibt es andere Darstel-lungen, z. B. Ri 1,1-36. Dem ET geht es nicht in erster Linie darum, genau zu berich-ten, wie die Stämme das Land in Besitz nahmen, sondern es geht um die Bezeu-gung des mächtigen Handelns JHWHs an seinem Volk - auch bei der Hineinführung

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    ins Kulturland. „Dieses Land ist den Vätern von JHWH gegeben“ lautet das Be-kenntnis späterer Jahrhunderte.

    Die Landnahme ist auch nicht der direkte Übergang von einer Nomaden- in ei-ne Stadtkultur. Die (Halb-) Nomaden werden zuerst Bauern; nach und nach erfolgtdann das Hineinwachsen in die städtische Kultur. Erst am Beginn der Königszeit (um950 v. Chr.) werden ein Palast und ein Tempel gebaut (vgl. 2 Sam 7; 1 Kön 6-8).

    Die Siedlungen der Halbnomaden unterscheiden sich beträchtlich von denen

    der kanaanäischen Stadtstaaten. Die kanaanäischen Häuser sind gut gebaut, dieFußböden sind gepflastert. Es gibt eine gute Kanalisation und Wasserleitungsanla-gen. Die halbnomadischen Siedlungen dagegen sind primitiv gebaut, Luxusgegen-stände fehlen, die Keramik ist einfach. Die Stadtmauern sind sehr dürftig.

    Israel wird zunehmend von einer neuen Macht, den Philistern, bedroht. Die Bi-bel erklärt dies mit dem Ungehorsam und dem Abfall Israels zu den Gottheiten Ka-naans. Der Wunsch nach einem König (nach einem Führer), der nicht nur wie diesog. Richter die aktuelle Gefahr bannt, sondern das Volk immer führt , wird laut.

    d) Die KönigszeitDavid  verkörpert den idealen König. Er wird von JHWH (1 Sam 16) und dem Volk (2Sam 2; 5) gesalbt. Er eint Nord- und Südstämme, erobert die jebusitische Stadt Jeru-

    salem und macht sie zum weltlichen und geistlichen Zentrum der israelitischen Grup-pe. Er ist der  Gesalbte. Man hofft, dass JHWH wieder einen solchen Gesalbten sen-den wird.

    Sein Sohn Salomo  wird als Friedenskönig bezeichnet. Dieses „Goldene Zeital-ter“ ermöglicht die erste Niederschrift aller mündlichen Traditionen. Es entsteht dersogenannte Jahwist. Die Zeit der getrennten Reiche ab 932 beschreibt die Bibel alseine Zeit des Verfalls sowohl auf kulturellem als auch auf religiösem Gebiet. Die Kö-nige als Repräsentanten des Volkes haben versagt. Auch dieses Urteil des bibli-schen Geschichtsschreibers wird der tatsächlichen Bedeutung z. B. der Omriden (N-Reich, 1. Hälfte des 9. Jhds.) oder Hiskijas (S-Reich, Ende des 8. Jhds.) nicht ge-recht. Vereinfachend wird die Königsgeschichte als Antwort auf die Frage dargestellt,warum „das Gericht“ kommen musste. Außerdem wird die Geschichte aus der Sicht

    des Südreiches geschrieben.e) Die Zeit des ExilsWährend des Exils ist es der führenden Schicht des Volkes (König, Hof und Priester)nicht möglich, das Volk zu regieren. In dem durch die Deportation zum Teil entvöl-kerten Land dringen neuerlich nomadische Elemente aus der Wüste ins Kulturlandein. Im entmutigten Volk, das fragt, wo JHWH jetzt handelt und wie, entstehen neueAntworten. JHWH wird handeln wie am Anfang, wie beim Exodus. Es wird ein neuesJHWH-Volk, ein neues Jerusalem geben! Außerdem ist das Exil der Anstoß, alleGlaubensüberlieferungen aufzuschreiben. Es entsteht eine Sammlung der Schrift-rollen - die Bibel. Neben dem unerreichbaren und zerstörten Tempel entstehen Syn-agogen (= Lehr- und Bethäuser).

    f) Die Zeit nach dem ExilObwohl 515 v. Chr. der 2. Tempel eingeweiht wird, erhält das Glaubensleben erstunter dem Statthalter Nehemia und dem Priester Esra um 450 v. Chr. eine neueForm: Der Kult und die Sitten werden neu geordnet, die Glaubensgemeinschaft ab-gegrenzt von Gemeinschaften, die den reinen JHWH-Glauben nicht bewahrt haben(u.a. die Samaritaner). Die Priester übernehmen die Führung in der Theokratie.

    Der zweite Tempel in Jerusalem wird von Antiochus Epiphanes IV. (1 Makk 1,10)entweiht (1 Makk 1,20-28). Das und seine sonstige judenfeindliche Politik führt zu denMakkabäerkämpfen. 1 Makk 4,36-61 erzählt von der Wiedereinweihung des Tempels.

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    Glaube und Politik sind nicht voneinander zu trennen. Ein Schlagwort „Religi-on ist Privatsache“ ist für das Altertum und die Bibel undenkbar. Propheten sprechenstets in das politische Geschehen hinein.

    Die geschichtlichen Überlieferungen deuten die Geschichte Israels vom Glau-ben an den einen Gott . Diese Linie wird im NT fortgesetzt: Lukas stellt die Mensch-werdung des Gotteswortes in das Weltgeschehen, indem er die Geburt Jesu (2,1f)und sein erstes Auftreten (3,1f) mit der römischen und der jüdischen Welt-Ge-

    schichte verbindet. Schließlich wird den verfolgten Christen in Kleinasien als Trost inschwerer Zeit zugerufen, dass der eine Gott der Herr der Geschichte ist (Offb 1,8).

    Anregung: Versuchen Sie, ähnliche „Ursprungssituationen“ Ihres Glaubens, bzw.des Christentums in unserem Jhd. zu entdecken .

    Merksatz: Markante Zeiten für die Verkündigung des atl. Glaubens sind die Zeit der Väter- des Exodus - der Landnahme - der Königszeit - des Exils - nach dem Exil.

    Textbeispiel: Jos 24Jos 24   ist die Erinnerung an einen Bundesschluss oder eine Feier der Erneuerung desBundes. Die Gruppen, die schon in Kanaan siedelten, werden aufgefordert, dem am Si-

    nai geschlossenen Bund beizutreten. Die eingewanderten Israeliten sind aber bereitsnach kurzer Zeit vom Glauben an JHWH abgefallen und werden nun von Josua zu einerneuen Entscheidung gerufen. Kapitel 24 des Josuabuches ist wie folgt aufgebaut:

    1-2a: Einleitung, Situationsschilderung2b-13: Historischer Prolog:  Aufzählung der Heilstaten JHWHs (JHWH-Rede)2b-4 Handeln JHWHs an den Vätern (auch an Esau!)5-6 Herausführung aus Ägypten7 Rettung am Schilfmeer8-10 Wüstenwanderung11-13 Jordandurchquerung und Landgabe14-24: Entscheidung des Volkes

    14-15 Aufruf Josuas zur Entscheidung16-18 Antwort des Volkes: Anerkennung der Taten JHWHs und Erklärung,diesem Gott  dienen zu wollen.

    19-20 Warnung Josuas vor den Folgen eines Glaubensabfalls21 Ausdrückliche Erklärung des Volkes, JHWH dienen zu wollen.22-23 Unterstreichen der Freiwilligkeit und Aufruf Josuas, die Götzen weg-

    zutun und JHWH zu dienen24 Bestätigung der Entscheidung durch das Volk25-27: Bundesschluss28: Entlassung des Volkes

    Diese Ur-Kunde von einer Bundesschlussfeier zeigt deutlich, dass JHWHs geschichtli-

    ches Handeln an Israel eine Entscheidung für ihn erst ermöglicht. Weil er so für Israeleingetreten ist, darum ist die einzig logische Gottesverehrung die JHWH-Verehrung.Dieser Text sagt auch, dass die Väter anderen Göttern dienten (VV. 2.14), bzw. dassdie Israeliten sich entscheiden könnten, anderen Göttern zu dienen (VV. 15f).

    Anregung: Vielleicht wird eine solche Aussage manche Christen an der Wende ins3. Jahrtausend befremden. Aber gibt es nicht auch in unserer Zeit Göt- zen, denen wir dienen?Was (Wer) bestimmt in meinem Alltag das Handeln?

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    6. Einige Grundzüge zu einer biblischen TheologieDie Schriften der Bibel sind Beziehungsgeschichten. Sie sind Zeugnisse davon, dasssich Gott den Menschen offenbart, sich erkennen und erfahren lässt. Wenn also derbiblische Mensch von Gott redet, dann erzählt er gleichzeitig auch von sich selbst,vom Gottesvolk und von der Welt. Darüber, wie Gott „an und für sich ist“, macht dieBibel keine Aussagen, sondern darüber, wie er von Menschen erfahren wird und wie

    Menschen von ihm reden.

    6.1 Biblisches Reden von GottJedes biblische Sprechen von Gott (= Theologie) ist immer Sprechen vom Menschen(= Anthropologie) und umgekehrt. Gottlosigkeit (= Atheismus) oder eine Gott-ist-tot-Theologie gibt es in biblischen Zeiten auch in der Umwelt Israels nicht. Alles istdurchwirkt und getragen von Mächten. Nur der törichte Mensch verneint höhereMächte und ist gottlos, d. h. er lebt, als gäbe es keinen Gott (vgl. Ps 14,1; 53,2); je-der vernünftige, weise Mensch ist gottesfürchtig und anerkennt Gott (z. B. Spr 9,10;Ps 111,10). Während die Menschen bis zum Ende des Mittelalters alles, was ge-schieht, mit Gott verbinden, muss in der Neuzeit immer wieder auf diese Beziehun-

    gen hingewiesen werden.Das christliche Glaubensbekenntnis beginnt: „Ich glaube an Gott, den all-mächtigen Vater, den Schöpfer des Himmels und der Erde.“ Die grundlegende Glau-benserfahrung Israels am Anfang ist die Erfahrung, gerettet zu sein aus Bedrohungund aus Not, die oft aussichtslos zu sein scheint. Immer wieder stoßen wir auf dasBekenntnis, dass JHWH gerettet hat. So steht als Überschrift über dem Zehnwort:„Ich bin Jahwe, dein Gott, der dich aus Ägypten geführt hat, aus dem Sklavenhaus.“(Ex 20,2) JHWH hat Israel befreit. Er und nur er kann die alleinige Verehrung fordern- neben ihm gibt es keinen anderen Gott, keinen anderen „höchsten Wert“.

    Dieses Bekenntnis vom Retter-, Befreier-, Erlöser-Gott nimmt im strikten Ein-gottglauben Israels das Bekenntnis zum Schöpfergott auf: „Unsere Hilfe steht imNamen des Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat“  (z. B. Ps 124,8). Dieses dop-

    pelte Grundbekenntnis vom Gott Israels als Retter und Schöpfer durchzieht alleSchriften des ET.Die Bibel spricht in einer zweifachen Form von JHWH: vom Gott des Bundes

    und von Gott, dem Schöpfer. Beide Weisen der „Rede von Gott“ bedienen sich Bil-der. Dabei muss jedoch beachtet werden, dass kein Bild, keine Vorstellung und Dar-stellung, die man sich von Gott macht, Gott zeigt, wie er wirklich ist, da er menschli-ches Reden, Wahrnehmen und Begreifen übersteigt. Ein Gottesbild, absolut ge-macht (d. h. losgelöst von der Wirklichkeit), erstarrt und wird zum Götzen. Der le-bendige Gott lässt sich nicht festlegen, sondern er erweist sich immer wieder aufsNeue als der „ganz Andere“, über den der Mensch nicht verfügen, den der Menschnicht in den Griff bekommen kann. Darum heißt es in Ex 20,4 „Du sollst dir kein Got- tesbild machen ...“ . Trotzdem ist es dem Menschen, dem Gottesvolk aufgegeben,von Gott zu reden in menschlicher Sprache und in menschlichen Bildern mit demWissen, dass ein Bild oder eine Definition Gottes, eine Aussage über Gott nie ver-absolutiert und als einzig gültig für ewige Zeiten hingestellt werden darf.

    Anregung: Versuchen Sie, Ihr „Gottesbild“ (die Veränderung des Redens von Gott,die es wahrscheinlich auch in Ihrem Leben gibt) darzustellen.

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    6.2 Biblisches Reden vom SchöpfergottWenn der Alte Orient und damit auch die Bibel über Gott als den Schöpfer von allemspricht, dann wird gesagt, dass er das Chaos (oft im Bild der Urflut dargestellt) be-siegt (Ps 74,12-17), dass er König ist über alle Götter (Ps 136,2) und dass er Garantfür alle Ordnung ist (Ps 104). Die Welt ist geordnet nach dem Vorbild einer himmli-schen Welt, die unveränderbar in sich selbst ruht (= statisch). Alles Bestehende wirdvon diesem Vorbild und dieser Ordnung umfasst (= universalistisch). Das Leben istin einer pyramidenförmigen Rangordnung (= hierarchisch) eingeteilt. Sprache undBilder entsprechen den höfisch-herrschaftlichen Regeln und Verhaltensweisen (vgl.Gen 1,1-2,4a; Jes 6). JHWH, der Schöpfer des Himmels und der Erde, ist König wieein absoluter Herrscher (vgl. Ps 2); der Tempel ist das Abbild seiner himmlischenWohnung, der Kult von JHWH selbst geregelt (vgl. Ex 25-31; Ez 40); der König giltals Vertreter JHWHs (Ps 110), das Böse stellt den Rest des Chaos dar, der vonJHWH in seine Grenzen gewiesen wird (Ps 93).

    Die Gesellschaft in diesem Modell ist geordnet - von oben nach unten. Die Ba-sis der Pyramide bilden die Untertanen; über ihnen steht ein unumschränkt mäch-tiger Herrscher, der die Gottheit vergegenwärtigt. Die Untertanen sind diesen Köni-gen (Pharaonen - Gottkönigen) Unterwerfung schuldig. Ein Beispiel in der Bibel für

    diese unterwürfige Haltung, die keinen Widerspruch duldet, ist das Buch Ijob. Trotzvieler Schicksalsschläge bleibt Ijob demütig, fromm, gottesfürchtig (Ijob 1,21; 2,10), ja unterwürfig wie die Ijobgestalt in den Auseinandersetzungen eines leidenden Ge-rechten in den Überlieferungen der Umwelt Israels. Im biblischen Ijobbuch hat derSchriftsteller ein dramatisches Ringen des Ijob mit seinen Freunden und letztendlichmit JHWH eingefügt in die Erzählung vom Dulder Ijob. Er wehrt sich heftig gegen dieRatschläge der Freunde, die ihm die gängigen Antworten der erstarrten Schulweis-heit vorhalten, und wendet sich immer ungestümer direkt an JHWH. Ein Mensch - I- job - wagt es, von JHWH Antwort zu fordern (vgl. Ijob 29-31; besonders 31,35-40).Eine solche Herausforderung JHWHs, Antwort zu erhalten, ist im oben beschriebe-nen ersten Modell von Gottesvorstellungen undenkbar. Ijob bekommt Antwort vonJHWH. Das führt uns zur zweiten Möglichkeit, über Gott zu reden.

    Anregung: Lesen Sie Ijob 1-2; 42,7-17 einerseits und Ijob 3; 29-31; 38-42,6 anderer- seits. Wie wird die Beziehung Ijob - JHWH jeweils dargestellt?

    6.3 Biblisches Reden vom BundesgottDas Vorbild für dieses Sprechen von Gott ist die Beziehung zwischen Verwandten(Eltern - Kind) oder in der Politik (z. B. der Kaiser zu den Herzögen) und umgekehrt.Eine solche Beziehung schließt andere Beziehungen ähnlicher Art aus, ist also ex-klusiv (vgl: „Man kann nicht zwei Herren dienen“). Das Sprechen von Gott ist hier mitstarken Gefühlen verbunden (= emotional, z. B. Eifersucht, Liebe, Treue); die Bezie-hung ist vertraglich geregelt (vgl. die Begründungen prophetischer Verkündigung, z. B.

    Am 3,9-11; 8,4-7); die Sprache lehnt sich an die Sprache der Diplomaten an (vgl. Gen18,23ff; so mit Gott zu reden, ist erst aufgrund von Gen 18,17f möglich).In diesem Modell ist Sprechen von Erwählung und Verheißung, von Zukunft

    und von Segen beheimatet, wenn den Vertragsbedingungen - der Beziehung - ent-sprochen wird, aber auch von Drohung, Strafe und Fluch, wenn ein Partner vertrags-brüchig wird. „Rache“ und „Vergeltung“ ist dann die Wiederherstellung des ursprüng-lichen Verhältnisses, der Beziehung, wie sie am Anfang war (vgl. z. B. Jer 2,2f, Hos11,1; Ez 16,6). Diese Rache wird aber - Gott sei Dank - anders ausfallen, als wirMenschen meinen (Jes 35,4; Jes 55,8; Ps 103,11ff; Jes 2,4; Hos 11,9b).

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    In der Bibel wird von Gott in dieser zweifachen Form (Retter- und Schöpfer-gott) gesprochen. Das im Alten Orient vorherrschende hierarchische Lebensgefühlist aber in Israel durch den partnerschaftlichen Bundesgedanken verdrängt worden.In beiden Modellen kommt die ganze Breite menschlicher Beziehungen zur Sprache.Es überwiegt aber bei aller Ehrfurcht die Überzeugung, dass der Gott Israels nichtein über allem schwebender und herrschender Hierarch, ein absoluter König ist,sondern ein Gott, der Beziehung zu den Menschen aufgenommen hat, so wie er sich

    selbst vorstellt: „Ich bin der ‘Ich-bin-da’ ... So sag zu den Israeliten: Jahwe, der Gotteurer Väter, der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs, hat mich zueuch gesandt. Das ist mein Name für immer und so soll man mich nennen in allenGenerationen“  (Ex 3,14f).

    Anregung: Welche Ereignisse, Menschen, Erinnerungen prägen mein Denken vonGott, meinen Glauben?

    6.4 Biblisches Reden von Gott in verschiedenen Zeiten / KulturenWie von Gott gesprochen wird, hängt stark mit der Gesellschaftsordnung und derKultur zusammen, in der biblische Texte ihre schriftliche Form erhalten.

      So wird z. B. über Gott, der rettet und befreit, in Europa anders gesprochen als in Südamerika, undin Südamerika kommt es wieder darauf an, ob man ein Indianer, Industrieller, Großgrundbesitzer, Ka-techet, Priester, ein Bewohner der Elendsviertel, Bischof, Armeeangehöriger oder Straßenkind ist.

    Was für das Leben heute gilt, gilt auch für die Zeit der Bibel. Die Hl. Schrift besteht ausverschiedenen Schriften, die in einem Zeitraum von ungefähr 1000 Jahren entstandensind; mündliche Überlieferungen sind oft weitaus älter. Es sind Texte, die für die Verkün-digung der Glaubensbotschaft dienen. Viele Texte späterer Zeiten greifen auf „Ur-sprungssituationen“ biblischen Glaubens zurück. So wird z. B. den nach Babylon  Ver-bannten (587 - 538 v. Chr.) vom rettenden Handeln JHWHs beim Exodus aus Ägyptenerzählt. Damit wird ihnen zugesagt: JHWH wird wieder so handeln wie damals. Er wirdeinen zweiten Exodus ermöglichen, größer und umfassender als der erste.

     Es wird eine Aufgabe dieses Kurses sein, immer wieder auf diese Verflochtenheit der biblischenSchriften mit Kultur und Gesellschaft hinzuweisen.

    6.5 Textbeispiel: Ps 23Ps 23 zeigt, wie verschieden das Vertrauen auf JHWH ausgedrückt werden kann: Zu-nächst sprechen die Verse 1-3 vom Vertrauen in Bildern aus dem Milieu der Wanderhir- ten . Vers 4 führt das Bild weiter und leitet über zu den Versen 5f, zu Gastmahl, Salbungund Leben im Haus des Herrn (= Bilder aus der Welt des Jerusalemer Tempels ).

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    Anregung: Versuchen Sie, „Ihren“ Psalm 23 zu schreiben. Wie bete ich in einerschwierigen Situation um Vertrauen und Hilfe - wie möchte ich beten -wie habe ich gebetet?

    Dieter Stork versucht, die Psalmen„neuzu lesen“. Ps 23 lautet wie folgt (Zukunft,die heute beginnt. Die Psalmen - neu ge-lesen, Stuttgart 1992, S. 47):

    Du lädst mich einEine Weide mit frischem Gras,

    ein Wald atmet,

    ein Garten leuchtet,ein Acker trägt, -

    eine Welt voller Lachen, Brot und Arbeit,so viele Möglichkeiten!Eine Quelle sprudelt,

    klares, frisches Wasser: ich trinke.

    Ich vertraue.Du bringst mich in eine gute Zukunft,

    Gott, mein Hirt, mein Beschützer.

    Manchmal ist es dunkel.Dann habe ich Angst.

    Aber du suchst und findest mich,bringst mich ins Vertrauen zurück.

    Ich habe Hunger und Durst:ein Tisch wird für mich gedeckt.

    Du, Gott, machst mich satt.Brot und Wein sind meine Speise,und mein Feind muss zuschauen.

    Du lädst mich in deine Gemeinde ein,zu Brüdern, Schwestern, Freunden.

    Ich bin gern hier, fühle mich geborgen.

    Ich danke. Ich werde fröhlich sein.Ich will dir singen mein Leben lang!

    Martin Buber  hat die Hl. Schrift „ver-deutscht“, d. h. er hat versucht, der he-bräischen Sprache so weit wie möglichtreu zu bleiben. Bei ihm (Die Schrift, IV:Die Schriftwerke. Verdeutscht von M.Buber - F. Rosenzweig, Heidelberg

    1986, S. 37/38) klingt dieser Psalm so:Ein Harfenlied Dawids.

    ER ist mein Hirt,mir mangelts nicht.

    Auf Grastriften lagert er mich,zu Wassern der Ruh führt er mich.

    Die Seele mir bringt er zurück,er leitet mich in wahrhaftigen Gleisen

    um seines Namens willen.Auch wenn ich gehn muss durch die

    Todschattenschlucht,

    fürchte ich nicht Böses,denn du bist bei mir,dein Stab, deine Stütze - die trösten

    mich.Du rüstest den Tisch mir meinen Drän- 

    gern zugegen,streichst das Haupt mir mit Öl,

    mein Kelch ist Genügen.Nur Gutes und Holdes verfolgen mich

    nun alle Tage meines Lebens,ich kehre zurück zu DEINEM Haus

    für die Länge der Tage.

    Zephanja Kameeta überträgt den Psalm in die Situation von Schwarz-Afrika (Gott inschwarzen Gettos, Psalmen und Texte aus Namibia, Erlangen 1983, S. 22):

    Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln.Er lässt mich sehen ein Land der Gerechtigkeit und des Friedens

    und leitet meine Schritte dorthin.Er gibt mir neue Kraft. Er führt mich auf der Straße des Siegers

    um seiner Verheißung willen.Wenn auch Stürme gewaltsamer Auseinandersetzungen über mich hereinbrechen,

    fürchte ich mich nicht, Herr, denn du bist bei mir.

    Du, mein Hirte, beschützt mich mit deiner Macht und Liebe.Du schaffst mir meine Freiheit im Angesicht meiner Feinde.

    Du heißt mich willkommen als deinen Ehrengastund füllst mir den Kelch mit Gerechtigkeit und Frieden.

    Ich weiß: Deine Güte und Barmherzigkeit werden mir folgen mein Leben lang;und deine befreiende Liebe wird meine Heimat sein, solange ich lebe.

  • 8/17/2019 Einfuehrung in Das Alte Testament

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    LINZER FERNKURS - ERSTES TESTAMENT I: 1. Aussendung  27

    6.6 Die „Mitte“ des Ersten TestamentsDie heutige Mitte des ET ist die Offenbarung JHWHs am Sinai (Ex 19 - Num 10,10).Um diese legen sich zwei Rahmen: Die Wüstenwanderung zum (Ex 15,22-18,27)und vom Sinai weg (Num 10,11-36,13) einerseits sowie die Auszugs- (Ex 1-15,21)und die Landnahmeerzählung (Jos 1,1 - Ri 2,5) andererseits. Von dieser Mitte auswendet sich der Blick in die Vergangenheit: Woher kommt Israel? Wer sind die Vor-fahren? Zunächst werden die Väterüberlieferungen (Gen 11,10-50,26) gesammeltund den Auszugs-, Sinai- und Wüstenwanderungstraditionen vorangestellt. Der Blickgeht noch weiter in die Vergangenheit, die zugleich bleibende Gegenwart ist. In „Ge-schichten vom Anfang“ wird über den Ursprung von allem und über die grundle-genden Beziehungen und die Störungen derselben erzählt (Gen 1-11).

    Die Geschichte Gottes mit seinem Volk geht von der Mitte aus weiter in dieZukunft. Sie wird gemessen an der Frage, ob Israel dem (Sinai)-Bund „gerecht“ ge-worden ist und „gerecht“ wird (= biblischer Begriff von Gerechtigkeit). Israel im Land(Ri - 2 Kön; 1 Chron 10 - 2 Chr 36) hat drei Säulen: das Königtum  mit dem kritischenGegenüber des Propheten   und den Tempel . 587 wird Jerusalem zerstört; es gibtkeinen König und zunächst auch keinen Tempel mehr. Der JHWH-Glaube brauchtein neues Zentrum: Die alten Überlieferungen werden gesammelt und zur Grundlage

    und einigenden Kraft des JHWH-Volkes. Bereits im Jahr 622 v. Chr. hat man dasGesetzbuch des Herrn gefunden (2 Kön 22,3ff). Dieses Geschehen ist so etwas wiedie „Geburtsstunde“ der Buchreligion. Die im Exil gesammelten und zum Teil neuge-fassten Überlieferungen der Bücher Gen - Dtn erhalten kanonisches Ansehen. Esfolgen die prophetischen Bücher als Gotteswort, das sich in der Geschichte bewahr-heitet hat. Die Sammlung von zum Teil sehr alten Liedern findet Verwendung fürGottesdienst und Gebet, die Weisheitstraditionen geben Anweisungen, wie man sichverhalten soll, damit das Leben gelingt. Den Abschluss der hebräischen Schriftenbildet das Buch Daniel. Es ist Zeugnis einer Vielfalt von apokalyptischen Schriftenzur Zeitenwende, die Ereignisse der Endzeit „enthüllen“.

    Das Zeugnis von JHWH, der sich am Sinai geoffenbart hat, findet seine Fort-setzung im NT. Direkte Verbindungen werden vor allem in Hebr 1,1-2a; Röm 1,1-4;

    Mt 1,1-17 und Lk 1,26-56 aufgezeigt. Das NT kennt keinen Zweifel darüber, dass derGott Abrahams, Isaaks und Jakobs der Vater unseres Herrn Jesus Christus ist.

  • 8/17/2019 Einfuehrung in Das Alte Testament

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    LINZER FERNKURS 

    Altes Testament ITora und Judentum bis zur Zeitwende

    1. Aussendung:

    Das Alte Testament als Reden von GottErstes Testament - Die Bibel: Gotteswort im MenschenwortBiblisches Reden von Gott - Geographie und Ges