«Nicht länger Künstler» Tiziana Pagano

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Nicht länger Künstler aus der Kunst heraus

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Reflexive Arbeit - Master Fine Arts - Institut Kunst - HGK FHNW - Basel Schweiz

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Nicht länger Künstler

aus der Kunst heraus

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Von Tiziana Pagano März – August 2012

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Inhalt

Vorwort...................................6-7

Nicht länger Künstler....................8-10

Der Fisch...............................12-13

Mensch sein................................14

Phantasma...............................16-18

Mensch sein................................19

Rote Herzen................................20

Nicht länger Künstler...................22-23

Fischsorte: Künstler.......................25

Fischsnack Tipp.........................26-27

Der Fisch sagt:„Ehrlich sein beim Lügen“...28

Kunst......................................29

Ich.....................................30-31

Die Kunstpilger............................32

Mensch sein mit Distanz....................33

Nicht menschlich........................35-38

Das Menschenleben.......................39-41

Date mit einem Fisch / Erinnerungen........42

Der Fisch in der Blase..................44-45

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Kunst.......................................46

Kunst....................................47-52

Irgendeine Weisheit.........................53

London, 17.September 2010................54-55

Kunst / Kunst / Kunst....................58-60

Ich Kerze...................................62

Kunst.......................................63

Abschiednehmen..............................65

Künstler.................................68-70

Nachwort....................................71

Nicht menschlich.........................72-74

Mensch / Ich................................75

Anders gesagt............................76-77

Abbildungsverzeichnis.......................78

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Vorwort

Mein ganzes Leben schon beschäftige ich mich

mit der Kunst. Ich hinterfragte die Kunst im

Alter von 7 Jahren und seither schenkte ich

nie meine Aufmerksamkeit etwas anderem als der

Gestaltungsfrage und all dem, was die

Gestaltung der Dinge sein könnte. Alle

Erfahrungen die ich machte, mein gesamtes

Wesen, widmete ich der Kunst. Ich sah das

Betrachten der Dinge als Schlüssel zum

Verstehen, was Gestaltung alles verändern kann.

Mit 9 Jahren hatte ich bereits meine eigenen

Zeichnungsstudien begonnen. Da ich wenig Zeit

hatte, selber zu gestalten, habe ich eher

meine Umwelt betrachtet und im Kopf sie

nachvollzogen, auseinandergenommen und neu

zusammengesetzt oder mit meiner Fantasie ganz

neu ausgedacht. Bis Mitte 20 hatte ich weder

Ahnung von Kunstgeschichte, noch eine Form

gefunden, meine Gestaltungsenergie umzusetzen.

Als die Möglichkeit bestand, ergriff ich die

Chance mich künstlerisch zu entfalten. Zu

meinem Glück öffneten sich Türen und ich sah

eine lange und erfüllende Karriere als

Künstlerin vor mir. Durch Umwege fand ich die

Möglichkeit, die europäische Kunstgeschichte

in ihrer chronologischen Abfolge bis zur

Moderne, zu studieren. Mein künstlerisches

Potential wurde endlich gefördert. Nach dem

Studium stellte ich meine Werke aus und sah

mich gezwungen, mich mit der Vermarktung zu

befassen. Kunst als Profession war mein neues

Ziel. Während meiner jetzigen Ausbildung

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versuchte ich mich in weitere Techniken und

Theorien zu vertiefen. Aber Alles änderte sich

auf einmal.

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Nicht länger Künstler

Von März bis Juni 2012 beschäftigte ich mich

täglich damit, Kunst nicht mehr zu kreieren.

Seither habe ich mich nicht mehr gefragt, wie

ich zur Kunst gelange. Was auch immer ich tat,

nichts von alldem, was entstand, brachte ich

mit Absicht mit Kunst in Verbindung. Ich

wollte mit der Kunst aufhören und versuchte

ein Leben zu beginnen ohne der Kunst darin

Raum zu gewähren. Die Vorgänge und Prozesse

die man durchlebt, wenn man Kunst erschaffen

möchte, waren nicht mehr meine Probleme. Ich

hatte glücklicherweise keine Motivation mehr,

Dinge in Kunst zu formen. Ich war sorglos und

frei von jeglichen Formalitäten, die verlangt

werden, um als Künstlerin verstanden zu werden.

Aber es tauchte mit der Zeit ein ernstes

Problem auf: Meine Psyche: Gedanken, die ich

hatte um mich von der Kunst fern zu halten,

das kam mir so vor wie wenn man im Traum mit

Mühe versucht etwas zu ändern und trotzdem

gelingt es einem nicht. Man sieht was man

braucht oder zumindest was man will, aber

nichts taucht davon auf, wovon man auf

irgendeine Weise Gebrauch machen könnte. Ich

konnte meine Gedanken nicht steuern und mir

einreden, dass Kunst einfach nicht mehr

existiert. Das war auf Dauer unmöglich. Ich

bin auf Widersprüche gestossen. Ich

bezweifelte plötzlich, dass alles, was Kunst

ist, auch nicht Kunst sein könnte. Ich kam

aber nicht zu dem Entschluss, dass alles was

nicht Kunst ist, Kunst sein könnte. Ich suchte

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nach einer neuen Orientierung; ich suchte eine

neue Lösung.

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Das Bedürfnis Kunst zu machen hatte ich seit

März nicht mehr. Der Drang etwas zu kreieren

ist mir entflohen. Ich vermisse bis jetzt das

Planen und das Gestalten nicht. Vielleicht

habe ich eines meiner Ziele auf eine gewisse

Weise damit erreicht. Ich stellte plötzlich

die ganze Menschheit wieder in Frage zu

stellen. Und seltsamerweise kam mir die

Entfernung von der Kunst widerwillig vor. Wie

auf Entzug kämpfte ich mich durch und durch.

Eine Lösung hatte ich interessanterweise schon

vor dem Problem. Ich musste einen Vorgeschmack

haben von dem, was auf mich zukommen würde. In

dieser sauersüssen Erfahrung bin ich auf

Aufgaben gestossen, die mich jetzt bereits

beschäftigen.

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Der Fisch

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Es gibt gute Aussichten, hat mir der Fisch im

Flug erzählt. Ich schenke seinen Worten

Vertrauen. Denn nur der fliegende Fisch ist

wahr.

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Mensch sein

Eins muss ich mir eingestehen: ich bin ein

Mensch. Meine äussere Erscheinung bildet das

ab, was die Menschen sehen wollen. Sie sehen

mich und ich fühle es. Sie nehmen mich wahr

und ich fühle es. Doch erkennen tun sie mich

nicht.

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Phantasma

Die Fantasie, ein Hirngespinst, welch ein

schönes Gefühl, doch wahr ist es nie.

Wenn es Fantasie wirklich gibt, dann möchte

ich sie endlich löschen, denn die Fantasie

führt mich zum Problem ein Mensch zu sein. Ich

wünsche mir ein Leben ohne Fantasie,

anderseits kann ich nicht ohne Fantasie leben.

Eigentlich lebe ich nur in einer Fantasie, und

es ist die Fantasie, die mir im Wege steht,

etwas zu erkennen.

Als ich neun oder zehn Jahre alt war und mich

zum ersten Mal verliebte, was genau drei Tage

gedauert hatte, ohne die nachträglichen Tage

dazu zu rechnen, war es wohl das pure Erkennen

meines Gegenübers. Das Gegenüber, das anders

war, noch befreit von meiner Fantasie. Als

jedoch die Fantasie eintrat, verblasste diese

Liebe und wurde von Dauer zu Dauer Geschichte.

Die Momente des Erkennens vergesse ich nie.

Ich versuche der Fantasie zu entfliehen, sie

holt mich ein, es gelingt mir nicht, das zu

erreichen, was ich wirklich möchte, weil ich

mit dieser Fiktion mich selbst fiktioniere.

Mich selbst gibt es plötzlich nicht mehr; ich

stehe in einer Geschichte, die ich mir selbst

ausgedacht habe und wenn es mir dabei nicht

gut geht, endet dies tragisch mit einem

„Russian Ending“. Die wahren Geschichten sind

die schönsten Geschichten, ob mit gutem Ende

oder nicht; sie sind voller Wert. Die

fantasievollen Geschichten sind die schönsten

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solange sie mit Wahrheit nur geschmückt werden.

Die Fantasie in der Natur ist die schönste,

denn sie gibt es nicht. Die Gegenwart ist die

einzige Wahrheit, die niemals schön sein kann.

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Ich beginne etwas und beende es nie: Das ist

meine Gegenwart, meine Ewigkeit und meine

Wahrheit.

Ich bin verloren gegangen: Die Fantasie allein

ist schuld daran.

Ich weiss nicht wie lange mein Gehirn mithält:

Die Fantasie ist hinterhältig, weil sie in der

Gegenwart lauert. Sie macht alles schön.

Ich mag nichts mehr sehen.

„Das Sein ist ungeworden, und unzerstörbar ...

es war nicht und wird nicht sein, denn im

Jetzt ist es als Ganzes, Zusammenhängendes.“

Parmenides von Elea

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Mensch sein

So still ich sein kann, bin ich immer noch zu

laut. Wie ist wohl mein Gehirn verbunden mit

dem, was ich fühle aber nicht sehen kann? Als

die Badewanne voll war, dampfte das heisse

Wasser, das grün gefärbt von Badesalz war. Ich

stieg in die Badewanne und legte mich so flach

wie ich konnte hin. Die Musik war laut; ich

musste wieder aufstehen, ich brauchte dringend

Ruhe. Zwei Züge an meiner selbstgedrehten

Zigarette brachten die Zigarette auch zur Ruhe.

Nur noch Qualm um mich und das heisse Wasser

um meinen Körper.

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Rote Herzen

Rote Herzen auf meiner Tasse, wie niedlich sie

sind. Ich frage mich, wie ich wohl dazu

gekommen bin, diese Tasse nach Hause zu nehmen.

Fehlt mir etwas? Ich hab wohl nicht alle

Tassen im Schrank. Die Menschen draussen

beschäftigen mich sehr, sie sind so laut. Sie

schreien ohne Grund, klingen wie Clowns, die

aus irgendeinem Grund irgendjemanden zum

Lachen bringen wollen. Sollte ich lachen?

Diese Stimmen, sie sind einfach hässlich. Die

brummenden Autos, die mit lautem Auspuffrohre

dekoriert werden, wie kann man nur auf eine

solche Idee kommen. Meine Tasse, wie

erbärmlich sie ist. Etwas lastet auf mir, es

macht mich müde und trübt meine Gedanken. Ich

fühle mich nicht wohl. Meinen Körper verstehe

ich immer noch nicht.

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Nicht länger Künstler

Kunst ist die einzige Sprache die ich zu

verstehen vermag. Wird das, was schon Kunst

ist, als Kunst wieder verwertet, so verliert

es an Originalität und ich verstehe sie nicht

mehr. Diese Kunst, die ich nicht verstehe, ist

die welche in einem Kunstzirkel mit sich

selbst im Kreis läuft. Diese Kunst wird nur

deshalb von den Menschen für Kunst gehalten,

weil sie die Menschen an Kunst erinnert. Die

Sprache dieser Kunst verstehe ich nicht.

Eigentlich gibt es keine Sprache in der Kunst,

weil Kunst die Sprache selbst ist. Die Form

ist nichts anderes als Sein. Wenn ich darüber

nachdenke, welche Werke für mich am

begreiflichsten sind, dann bin ich es selbst,

im Nichts, als Werk.

………………………………… Deswegen gehöre ich nicht dazu.

Ich möchte mich einschliessen, ich muss alles

aussperren.

Dann fällt mir plötzlich ein, dass ich mich

ausgegrenzt habe und zu nichts mehr gehöre. Es

gibt keine Kommunikation mehr zwischen mir und

der Gesellschaft. Paranoid schleppe ich mich

zum Supermarkt.

Alles, was ich sehe, kommt mir gestellt vor.

Alles wirkt wie eine Bühne und alle warten auf

Kunst, auf mich. Sie wollen sehen wie ich

lache, wie ich weine, wie ich durchdrehe. Sie

wollen meine Schönheit sehen, sie wollen meine

Hässlichkeit sehen. Durchdringende Blicke,

Augen, die versuchen etwas zu sagen. Ich

verstehe nur das, was ich denken kann und was

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ich denke ist nicht schön. Ich suche Ablenkung

und verirre mich. Mein Kopf, schon wieder wirr.

Dann alle diese Gegenstände. Alles will mich

beeinflussen. Alles Gehirneindringlinge!! Ich

haste nach Hause

Da wo ich stehe, entsteht Kunst. Weil ich

alles bin. Weil sie ich sind. Ich frage mich

weshalb das Erschaffen von Kunstobjekten so

wichtig ist. Mir reicht es nicht, ein Werk zu

schaffen und es zu betiteln. Es muss in

Verbindung mit meinem Selbst sein. Mein Selbst

aber gibt es gar nicht. Das Verständnis für

Kunst zu entwickeln, empfinde ich als eine

Tortur. Ich verlege mein Denken dahin, wo kein

anderes Denken es erreichen kann. Nur ich

entscheide mit welchem Denken ich mich

verbinden möchte. Wie in einem Kerker sitze

ich dann da. Dort gibt es nur mich allein, in

dieser Einsamkeit bringt mir die Kunst als

Werk nichts anderes als Falschheit. Eine

Fiktion für einen Helden. Ich brauche die

Kunst als das, was sie ist durch mich. Kein

Fake und keine Herstellung der Fantasie rettet

mich aus der Gefangenschaft. Ich bin kein Held

und Fiktionen machen mich krank. Ich bin die

Fiktion selbst geworden. Ich bin krank. Ich

lebe in Szenen, die ich einmal gesehen habe.

Ein Spiel im Wind, bei dem ich die Luft selbst

bin, welch ein Trug mich erwartet. Ich hab ihn

mir selbst kreiert.

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Fischsorte: Künstler

Als Fisch frage ich mich: „Welches Werk soll

ich anfangen?“ Meine Gedanken kreisen um Ideen

und zerfallen in Pessimismus: „Nichts tun ist

besser.“ Wenn die schönste Kunst im Dienste

der Gesellschaft sein sollte, dann ist es die

schönste Kunst, auch wirklich Gesellschaft zu

sein. Ich bin die Gesellschaft also brauche

ich nicht Kunst zu machen, weil ich selbst

Kunst bin. Viele Menschen denken, Kunst sei

ein Objekt, ein Beweis, eine Pädagogik, in der

sie etwas in Form von Erziehung neu lernen.

Wie Kinder wissen sie noch nicht wie sie zur

Kunst gelangen, geschweige davon sie selbst zu

erschaffen. Es wird mal eine Zeit geben, in

der alle Menschen wissen was Kunst sein könnte.

Alle werden denken, Kunst zu haben und sie

auch zu machen. Wenn plötzlich alle Kunst

machen und alle Kunst kennen, was wird wohl

Kunst dann noch sein?

Oder wird Kunst endlich nicht mehr

„Kunst“ sein?

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Fischsnack Tipp

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Selbst das Erfundene besteht aus nicht

Erfundenem.

Auf die Kombination kommt es an, zu vergessen,

dass es mal das Erfundene gab.

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Der Fisch sagt: „Ehrlich sein beim Lügen!“

Ich bin ganz ehrlich, ich mache Kunst, weil

ich mich von all dem, was mich umgibt,

entfernen möchte. Ich, die Kunst entferne mich

von all dem, was sich mir nähern möchte. Denn

als Künstler besteht die Gefahr, wenn man

keine Kunst mehr macht, dass man plötzlich von

allem Geschehen, von allen Dingen, die einem

umgeben, angegriffen wird. Ich, die Kunst,

alle wollen mich. Sie wollen mich zerstören,

weil ich ihnen nicht gefalle. Sie wollen mich

haben, weil sie mich plötzlich nötig haben.

Sollte ich deswegen Kunst machen? Damit der

Mensch mich nicht angreifen kann?

Damit ich als Künstler zum Kunstwerk

herabschauen kann, damit ich mich wie Gott

fühlen kann? Damit ich genialer bin als

andere? Dass meine Idee die beste ist?

-Ich bin die Idee! Und ich bin das unfertige

Werk. Ich habe es satt satt satt: die

Gestaltungen. Ich bin kein Weltgestalter, ich

bin Kunst, die sich um nichts anderes kümmert

als um die eigene Wahrnehmung. Ich bin kein

Farbenspieler mehr. Ich möchte Mensch werden,

ich möchte die Gesellschaft sehen und erleben.

Ich möchte das Volk berühren ohne

Künstlichkeit, ohne verdrehte Dinge. Ich bin

das Verdrehte, ich bin die Spirale, die sich

nach Möglichkeiten sehnt, die es nicht gibt.

Denn ich bin das, was es nicht gibt. Ich freue

mich auf die Menschen.

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Kunst

Empfindet denn der Künstler kein Unbehagen? Er

stellt einfach Kunst aus, während Millionen

von Menschen hinter Maschinen, in riesigen

Fabriken mit ihren blossen Händen, Dinge

herstellen. Der Künstler nimmt das auch noch

als Inspiration. Er relativiert die

gesellschaftlichen Probleme, ohne sich in

dieser Situation, in der das Problem ist,

wirklich zu befinden. Er nimmt sich einfach

was er will und braucht es für sich. Eine

respektlose Umarmung der Gesellschaft. Er

verleiht all dem, was ihm gefällt, eine

Verfremdung. Auf dieser Weise wird Kunst nie

wirklich Kunst sein. Lenkt sich der Künstler

ab von all dem was wirklich ist, um eine neue

Wirklichkeit zu erschaffen, um herauszufinden,

was wirklich ist? Nein, er verfremdet die

Wirklichkeit, um nicht arbeitslos zu sein.

Bemerken denn die Künstler nicht, dass sie

alles zerstören. Sie zerlegen alles, was ihnen

durch die Hände geht. Sie übernehmen die

Kontrolle über das Objekt und fügen ihm eigene

Interpretationen zu, die rein erfunden sind.

Sie stellen sich und das Objekt in den

Mittelpunkt, als wären sie die Erfinder der

ganzen Sache. Da gestalte ich nicht mit.

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Ich

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Leute halten oft normale Dinge für Kunst.

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Die Kunstpilger

Sie reisen, um Kunst zu sehen. Sie begeben

sich dorthin, wo Kunst erlebbar ist, wie ein

Wunder.

Aber würden sie Kunst auf der Strasse sehen,

würden sie diese nicht erkennen. Der Fisch

sagt: „Ja, höchstwahrscheinlich. Sie haben

vielleicht Angst, selbst Kunst zu finden, sie

verstehen Kunst gar nicht, sie wollen einfach

nur konsumieren. Es macht einfach

Spass…hehehehe.“

Wie schön…

Menschen in der Masse, das kann nichts Gutes

bedeuten. Menschen versammeln sich, wieso

denn? Welches Problem haben die denn? Was

wollen die Menschen lösen, wenn sie sich zu

Ausstellungen begeben? Was fehlt ihnen?

Arbeiten sie zu viel und haben keine Zeit ihre

eigene Fantasie auszuleben? Oder vergleichen

die Menschen, wie auch Künstler, ihre

Fantasien und ihre Kunst mit der ausgestellten

Kunst, mit der sozusagen wirklich

wahrgenommenen Kunst? Oder fühlen sie sich den

Medien so sehr unterlegen, dass sie die Kunst

als Erlösung ihrer Medien-Verwirrung sehen und

in der Kunst, die Freiheit? Oder ist die Kunst

das neue Medium, um an Nachrichten von

Menschen zu gelangen? Ist Kunst das neue

Medium, um an Ereignisse von Menschen, zu

gelangen? Wirkt Kunst wahrer als die

Nachrichten Sprecherin?

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Mensch sein, mit Distanz

Ja ich springe runter, denn es bleibt mir

nichts anderes übrig, als runter zu springen

und mir treu zu bleiben, und den Rest hinter

mich zu bringen. So weit gehe ich, um das zu

erreichen, was ich erreichen möchte. Ich traue

niemandem.

Ein glühend strahlender Morgen. Selbst die

Haut an meinem Körper schmilzt vor sich hin.

Die Hitze erreicht mein Herz, ein

Adrenalinstoss überwältigt mich. Laute

Herzschläge, mein Körper wippt. Nur der

Himmel und ich, bereit zum eins werden. Ich

fühle mich verliebt und so traurig, dass ich

weinen muss. Eine Träne fällt runter, tief bis

ich ihr nicht mehr folgen kann. Ich kann den

Boden nicht mehr sehen. Ich schliesse meine

Augen und sehe nichts, also öffne ich meine

Augen wieder und dabei wird mir schwindlig.

Mir ist heiss, ich springe runter.

„Allein in der Furcht bleibt immer noch der

Versuch, sich vom Gefürchteten zu befreien…

Dagegen ist's in der Ehrfurcht ganz anders.

Hier wird nicht bloß gefürchtet, sondern auch

geehrt: das Gefürchtete ist zu einer

innerlichen Macht geworden, der Ich Mich nicht

mehr entziehen kann… Ich bin vollständig in

seiner Gewalt und versuche die Befreiung nicht

einmal mehr… Ich und das Gefürchtete sind

Eins.“

Max Stirner

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Nicht menschlich

Ich traue niemandem, ich verspreche nichts und

manchmal hasse ich alle Menschen auf dieser

Welt. Ich hasse mich selbst und das ganze

menschliche Getue. Beziehungen zu Menschen

aufbauen, mich menschlich zu verhalten, sind

lästige Plagen für mich.

Ich verstehe nichts vom Mensch sein und all

meine Bemühungen im Leben verstärken den

Eindruck, nicht verstehen zu können, was das

Wesen Mensch ist.

Was wenn ich wirklich kein Mensch bin? Niemand

würde es mir glauben. Aber ich bin mir sicher,

dass ich weniger Mensch bin als andere.

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Wenn ich über Kunst nachdenke, wird mir

schlecht. Sie ist nicht mehr das, wofür ich es

einmal gehalten habe. Etwas hat sich in mir

geändert.

Ich frage mich des Öfteren, wofür kränke ich

mich so sehr? Und ich bin mir ganz sicher,

etwas entsteht bei mir wegen mir selbst, ich

bin so und ja, ich bin der Kunst krankhaft

hinterher. Ich will die Kunst loswerden, damit

ich sie wieder ganz für mich allein haben kann.

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Ich möchte zu den Menschen, mich von ihnen

führen lassen. Sei es ein widerlicher Mensch

oder auch nicht. Ich möchte nicht ein

Instrumentarium sein, sondern einfach wieder

Mensch sein und mich von meiner Spontaneität

führen lassen. Ich verspüre eine grosse Lust,

den Menschen nah zu kommen und zu gehen, auch

wenn ich unerwünscht bin, denn ich möchte es

riskieren, beleidigt zu werden. Ich möchte das

Gesicht der Menschheit sehen, um mir sicher zu

sein, dass wir wirklich Menschen sind. Ich

selbst weiss nicht mehr was ich bin, aber ich

weiss, dass ich Mensch sein kann.

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Das Menschenleben

Heute wurde ich zutiefst beleidigt. Alles

begann nach dem Aufwachen. Man erzählte mir,

ich sei etwas unruhig gewesen und hätte im

Schlaf gesprochen, mehr hatte man mir nicht

erzählt. Ich ging nicht darauf ein. Ich war

genug beschäftigt mit meinem Traum und meinem

Tagesablauf. Ich hatte einen Arzttermin und

wollte pünktlich sein. Nach dem Kaffee trinken

und nach einer Zigarette wollte ich losgehen,

mir wurde bewusst, dass ich mich nicht ganz

wohl fühlte. Die Person neben mir war

plötzlich einfach nur ein Mensch für mich,

eher lästig fühlte sich seine Anwesenheit an.

Er wirkte unsicher und unentschlossen. Ich

verstand nichts von dem was er sagte. Er war

mir wie fremd. Meine Aufmerksamkeit schenkte

ich kurz vor dem Gehen, einem Buch von Natsume

Souseki. A. beschäftigte sich am Computer und

ich wusste nicht genau ob er mir so aus dem

Weg gehen wollte, oder ob er wirklich

beschäftigt war. Auf jeden Fall gab es weder

Zeit noch Raum für eine Diskussion. Nach der

kleinen Intervention beim Chirurgen hatte ich

meine ganze Aufmerksamkeit auf meine Narbe

gerichtet. Sieben Stiche an der linken Seite

des Haaransatzes. Die Haut war gespannt und

mein ganzes Gesicht stand unter Spannung. Die

linke Seite meines Kopfes war betäubt. Und

obwohl ich Betäubungen nicht besonders mag,

finde ich den Zeitpunkt, in der die Betäubung

gerade nachlässt, amüsant. Diese fühlbaren

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Schmerzen bringen für mich immer mit Freude

verbundene Gefühle mit sich:

„Endlich spüre ich mich wieder.“

Es wurde Mittagszeit und ich verspürte einen

leichten Hunger. Zuhause angekommen, bereitete

ich mir was Kleines zu Essen vor, danach

fühlte ich mich müde. Aber es gab noch einiges

zu erledigen, ich wollte mich nicht hinlegen,

sonst wäre ich eingeschlafen. Ich lud mich

selbst zu A. ein. Als ich dort war, wirkte er

mir gegenüber gleichgültig, dachte ich

zumindest. Ich war erstaunt ihn genau gleich

anzutreffen, wie ich ihn an jenem Morgen

verlassen hatte. Als ich in seinem Büro Fuss

fasste, drehte er sich zu mir um, schaute mich

an und fragte nach meinem Arzttermin. Er

vergass es, wie vieles anderes auch. Er

lächelte und meinte, dass der Schnitt ja klein

wäre und das war alles. Meine Stimmung war

ruhig, jedoch angespannt. Ich konnte seine

Gefühle nicht lesen und nicht verstehen. So

ging ich in die Küche und als ich mir einen

Kaffee mit Zigarette gönnte, tappelte er in

die Küche ohne ein Wort zu sagen. Nicht eine

Minute lang dauerte es, keinen Blick wandte er

mir zu und schon war er wieder auf dem Weg zu

seinem Arbeitszimmer, zu seinen Computer. Das

wars, ich wollte nur noch etwas loswerden. Ich

sprach ihn genervt an und das kam nicht gut an.

Er erwiderte, dass ich nicht anzusprechen wäre,

ich sei zu bissig und wollte mir klar machen

ich sei das Problem. „Klar!“, dachte ich mir,

aber was meinte er damit? Bissig wurde ich

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doch gerade dann, als er mir erwiderte, dass

ich bissig war. Er fing an, mich zu nerven, da

seine Argumente nicht die Absicht hatten, eine

Lösung zu bringen. Einen Schuldigen zu finden,

diese menschliche Gabe reichte mir nicht aus.

„Wir passen nicht zusammen!“,war sein

Entschluss. Mir kam nichts in den Sinn, um

Widerspruch einzulegen. Auch er war nervös,

vielleicht mehr als ich und so beleidigte er

mich. Eine derartige deplatzierte Beleidung

kam mir entgegen.

Wahrscheinlich war es so…

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Date mit einem Fisch

Ich hätte gehen können. Es hätte alles

verändern können. Nichts wäre jetzt so wie es

jetzt ist, wenn ich es nur gewollt hätte. Wäre

ich gegangen. Wäre ich zu jenem Chinesischen

Restaurant gegangen.

Aber ich wollte nicht.

Erinnerungen

Es begann im siebten Jahr meines Lebens, mit

einer Aufführung im TV, ein Tanz mit

minimalen Bewegungen erweckte mein Interesse.

Alle meine Gedanken über das Wesen Mensch

fielen über mich her. Ich verstand nichts. Ich

konnte bei grösster Bemühung diese Bewegungen

nicht mit etwas identifizieren, was ich kannte.

Ich kannte diese Sprache nicht. Ich wollte es

mit aller Kraft verstehen, so begann ich mich

bewusst zu bewegen. Ich suchte nach dieser

Sprache.

Wenn man nicht geliebt wird, macht alles

keinen Sinn, noch weniger Sinn macht es, wenn

man geliebt wird und man keine Liebe dafür

empfindet.

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Der Fisch in der Blase

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Ich versuche es immer wieder, doch ich passe

nirgendwo hin. Allein allein.

Als Alleinherrscherin meiner eigenen Armut,

ich bin mein eigener Narr,

ich bin der Geschichtenerzähler meiner eigenen

Geschichten.

Das Zerfallen meiner eigenen Armee ist das

Zerfallen meiner Haut,

meiner Organe, meines Herzes.

Es bedeutet dass, der Krieg bald beginnen wird.

Was bedeutet es noch?

Wenn selbst das stärkste Gefäss in Millionen

Teile in die Luft zersprengt wird

und so alle Herzen von Menschen treffen wird,

die noch ein Herz besitzen.

Es ist so weit, es wurde bereits angekündigt,

ich habe es gehört.

Ich wusste es, nur bin ich mir nicht ganz

sicher.

Wird es morgen sein oder genau von heute an

in sieben und halb Jahren geschehen?

Bald…….

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Kunst

Ich bin verwirrt durch die Irre der Verwirrung.

In der Verwirrung steht viel im Angebot, ein

Multidilemma türmt sich zum Mount Everest.

Kunst soweit das Auge reicht, ich kann mich

daran ergötzen und beim Übermass wird mir

seltsam übel. Ich muss mich übergeben. Das

Erbrochene, schon wieder Kunst, die aus

säurehaltiger Künstlichkeit besteht. Sie liegt

auf dem Küchenboden schon seit 7 Jahren.

Ausgetrocknet und nicht mehr erkennbar. Was

übrig geblieben ist, kann man mit einem

Spachtel abkratzen. Beim Auflesen sehe ich

sofort ein, es ist immer noch Kunst. Ohne

grosse Bemühung schütte ich die Reste in die

Mahlmaschine, zermahle es und zerstreue es,

weg aus dem Fenster. Ich schaue nicht zu, wie

der Wind es mit sich nimmt. Schliesse die

Fensterflügel und gehe aus der Küche.

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Kunst

Und wieso es nicht einfach möglich, alles so

liegen lassen und sich von komplett neuen

Dingen aus zu orientieren? Kein Museum wird es

ausstellen, keine Galerie wird es verkaufen,

kein Kritiker wird darüber schreiben, keine

Kunsthistoriker werden es untersuchen, keine

Kunstschule wird es vorstellen, kein Raum wird

jemals damit geschmückt, kein Mensch wird sich

eine Meinung davon machen müssen, und trotzdem

besteht es und ist Kunst.

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Ein Zug rast vorbei, ein Windstoss kommt mir

entgegen. Heiss fühlt es sich an, stickig in

der Nase, klebrig im Gesicht. Ich wasche es ab

bevor ich zu Bett gehe.

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Was ist schon daran, wenn Kunst in Museen

eingeboxt wird?

Der Fisch sagt: „Keine Ahnung.“

Ich frage den Fisch: „In Welcher Zeit befinde

ich mich? wenn sich die Welt dreht? und ich

mich dazu?

Der Fisch sagt: „Sorry, ich bin auch gerade am

durchdrehen.“

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Irgendeine Weisheit

Der Staub macht sich durch Sonnenstrahlen

bemerkbar. Sich aus dem Staub zu machen bringt

nicht viel, denn jeder Tag beginnt mit der

Sonne.

„Eine private Kunst?“ fragte der Fisch.

„Wann stirbt eigentlich ein Kunstwerk?“

„ 芸術作品はいつ死ぬのか。“

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London, 17. September 2010

„Ich gehe mit dem Fisch Kunst betrachten.“

National Gallery

Raffaello Sanzio

Raphael

The Procession of

Calvary

1504-1505

Öl auf Holz, 24,4 x

85,5cm

Ein fabelhaftes Bild von Raphael.

Das Format bringt ihn dazu, ein Band von

Menschen zu kreieren. Die leuchtenden Farben

ziehen mich sofort an. Im ganzen Raum hängen

pompöse, grossformatige, manieristische Bilder.

Ich befinde mich in einem der grossen Räume in

der National Gallery in London. Da hängt ein

kleines Bild zwischen den grosszügig gemalten

Gemälden. Die Farbe des Himmels, ein helles

Kobalt Blau über den abgebildeten

Protagonisten. Ich nähere mich und sehe, dass

die Farbpalette vollständig ist. Das

Gleichgewicht empfinde ich als perfekt. Nicht

nur die Technik fasziniert mich, sondern auch

der Aufbau der Szenerie, wie auch meine

Aufmerksamkeit für das Bild.

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Es ist so, als zeige das Bild mehr als nur

eine vergangene Geschichte. Es hat eine

gegenwärtige Dynamik in meinen Augen. Die

Dynamik der inneren Motivation. Es wirkt so,

als hätte Raphael eine Zeitreise durchgemacht.

Ich frage mich: „Wie war es möglich eine

Vergangene Zeit so in Szene zu setzen, dass es

heute in meinen Augen so real wieder aufblühen

kann?“ Diese Abbildung der Biblischen

Geschichte macht einen sonderbaren Eindruck

auf mich, weil es in meiner Betrachtung hier

mehr um den Künstler geht und seine Rechte. Es

ist nicht Jesus, sondern der Mensch, wie auch

Raphael als Künstler, der nach Gerechtigkeit

sucht. Mit einem letzten Blick zum Publikum

weist er auf das Urteil der Menschen. Das Bild

überträgt sanft in pastellfarbigen Formen ein

brutales Ereignis. Es zeigt Menschen, ihre

Gefühle und deren Ausdrücke.

Im Grunde ist die gemalte Geschichte nicht

wichtig, das faszinierende an der Wirkung ist

das Wie. Ich frage mich: „Wie hat Raphael über

das Künstlersein gedacht?“

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Kunst

Ich brauche mehr Wahrheit, und ich spreche

nicht von der Wahrheit, von der die Künstler

keine Ahnung haben. Von der die Philosophen

kaum ein Wort fassen können. Ich spreche von

der Wahrheit, die ein Faktum ist, und ständig

stattfindet, weil es die Gegenwart ist. Es ist

der Mensch und seine Tat, alles andere ist

eine Lüge.

Und was ist eigentlich mit all diesen

Künstlern los? Sie produzieren und produzieren

und produzieren und produzieren……………………………..

„Mach dies, mach jenes, dann wird es besser,

mach doch einfach. Mach gar nichts, dann wird

es am besten.

Es ist nicht nötig, dass du dir so….“

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Kunst

Qualität; ich wünsche mir, die Kunst ganz für

mich zu haben. Ich teile aber sehr gerne und

wünsche mir, die Kunst gemeinsam entstehen zu

lassen. Ich möchte mit der Gesellschaft wirken

weil ich die Menschen einfach liebe. Ich

selbst bin ein Mensch.

Alles Unsinn.

Weshalb verstehe ich einfach nichts?

Das alles denke ich, weil ich denke, dass ich

alles verstehe. Ich sehe alles, und jede

Bewegung, jeder Blick sagt etwas aus, das ich

glaube, verstehen zu können. Ich sehe zu viel

und werde wahnsinnig darüber. Ich fühle zu

viel und werde wahnsinnig dabei. Mein

Gleichgewichtsorgan ist überempfindlich und

ich leide deswegen an chronischem

Schwindelgefühl. Ich bin sensibel und launisch

wenn mein Gleichgewicht gestört wird. Ich

brauche ständig Ablenkung von monotonen Dingen,

durch diese sich ständig wiederholenden

Rhythmen, fällt mein Bewusstsein in ein Koma,

das mein Gehirn nicht verstehen kann, weil

mein Gleichgewichtsorgan ständig messen möchte.

Wenn es nichts gibt, das ich ins Gleichgewicht

bringen kann, falle ich in Schwindelgefühle,

die mich total nerven und ermüden. Es fühlt

sich manchmal an wie eine Krankheit. Ich

brauche Chaos, ich brauche Lärm. Ich brauche

Ruhe und Ordnung. Niemand erträgt mich. Ich

allein.

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Kunst

Ich möchte mich um gar nichts mehr kümmern. So

entsteht nur das, was entstehen muss.

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Ich Kerze

Eine Kerzenflamme flattert hin und her. Eine

Rauchwolke macht sich davon und meine Gedanken

um die Kunst sind immer noch wirr. Ich möchte

mich fern halten, dann fühle ich mich beruhigt.

Fragt mich bitte nicht danach, ich weiss es

nicht. Ich weiss nichts. Von dem, was ihr

wissen wollt, weiss ich nichts. Ich bin aber

sicher, dass ihr es auch nicht wisst.

Ich bin gerne manchmal Mensch, psychisch

komisch und unberechenbar in meinen Handlungen.

Menschen, Menschen, Menschen, ich tanze gerne

für sie. Wie ein Kerzenlicht, wie eine

Rauchwolke, werde ich mich einmal davon machen.

Aber ich sterbe nie.

Wenn es toll ist, will man leben, wenn es

verschissen ist, will man sterben.

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Kunst

Ich halte es nicht mehr länger aus, Kunst

ausserhalb von mir zu kreieren.

Ich verfalle in Nichtigkeit. Von Kleinigkeiten

hingerichtet, muss ich mich damit abfinden,

dass die Kunst unerreichbar ist solange ich

ihr hinterher bin. Eins werden mit der Kunst,

bedeutet für mich, sie nicht mehr als Kunst zu

betrachten.

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Abschiednehmen

Das Abschiednehmen von der Kunst, wie ich sie

bis jetzt kannte und verstand, wird meine

Bereinigung sein von all dem, was mich getrübt

hat. Ich konzentriere mich auf all das, was

mich machtlos machen will, ich konzentriere

mich auf all das, was mich erniedrigen will.

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Künstler

Die Künstler zerstören alles, ohne es zu

bemerken. Es gibt keine Kunstwerke mehr. Sie

sind Arbeiter wie alle anderen auch. Es geht

nur um das Geld. Recht so, deswegen sage ich

Bai, Bai, zur Produktion von Kunst. Ich habe

es schon immer gehasst, mit dem Strom zu gehen,

weil ich mein eigener Strom bin. Ich habe

meine eigene Theorie und ich habe meine eigene

Formel, und ich habe meine eigene Atombombe

wie auch mein eigenes Universum. Und wissen

Sie was, Sie gehören auch dazu.

Ich nehme die Verantwortung als Künstlerin auf

mich und ich diene niemandem und helfe

niemandem und vor allem füge ich keinen

Schaden zu! Niemandem!!!! Ich habe Lust, zu

provozieren.

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„Ich bin Nichts im Sinne der Leerheit, sondern

das schöpferische Nichts, das Nichts, aus

welchem Ich selbst als Schöpfer alles

schaffe.“

Max Stirner

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Als Mensch habe ich gelernt, mindesten zu 5%

immer kooperativ zu bleiben. Diese 5% sind

meine menschliche Seite, der Rest von mir ist

Kunst.

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Nachwort

Durch die Distanz, die ich zwischen der Kunst

und mir aufgebaut habe, stellte sich mir das

Thema “Menschlich-sein“. Ich hatte plötzlich

den Eindruck, nicht mehr wirklich Mensch zu

sein. Und noch schlimmere Gedanken türmten

sich auf, nämlich die der Selbstverzweiflung.

Ich stellte fest, dass ich mich nicht nur von

der Kunst distanzierte, sondern auch vom

“Menschlich-sein“.

Ich konnte mich selbst als Mensch betrachten

und mich kritisieren. Ich kritisierte alle

anderen Menschen, da sie ähnliche

Verhaltensmuster und ähnliche Eigenschaften

hatten wie ich. Ein Ich das aber nicht meins

war. Was geschah, ist für mich jetzt logisch

nachvollziehbar. Es geschah, dass ich mich als

Kunst in Person zu entpuppen schien.

Ich verkörperte selbst die Kunst. Mein Ich war

aber gleichzeitig nichts, da ich nicht mehr in

mir selbst war. Da ich mich von mir selbst

entfernt hatte. Ich selbst war das Opfer der

Kunst, und in derselben Zeit der Täter, ich

war Kunst.

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Nicht menschlich

Eines Nachts, im Bett liegend, erinnerte ich

mich an meine schlimmsten

selbstzerstörerischen Gedanken über mein

Selbst. Dazu stellte ich alles in Frage, was

man in Frage stellen konnte in Sachen “Mensch-

sein“ und nicht “Mensch-sein“. Ich stiess auf

eine Gedankenlücke, die mich mitten in der

Nacht nicht mehr schlafen liess. Ich musste an

den Computer, ich brauchte Musik. Mit

Kopfhörer, da war “Korn“, eine meiner

Lieblingsbands, meine Nachtbegleitung. A. war

längst schon eingeschlafen und 5 Meter weit

entfernt konnte ich durch die Kopfhörer sein

Schnarchen noch hören. Aber ich fragte mich

trotzdem weiter: „Was ist mit dem Gefühl, das

ich habe, wenn ich mich am meisten hasse?

Warum möchte ich mich hassen, nur weil ich

einen Körper habe? „Was bin ich, wenn ich

nicht Mensch bin? Ich fragte mich: „Woher

kommt der Gedanke, dass ich mich nicht wohl

fühle in meinem Körper?“ Dieses Gefühl des

nicht “Materiell-seins“ verfolgte mich. Was

beeindruckt mich so sehr an anderen Menschen,

das mir selbst fehlt? Wieso kann ich mich

nicht als das sehen, was ich bin? Ich

versuchte mich zu erinnern an die Tage, an

denen ich mir sicher war, dass mein Körper

nichts anderes ist als nur ein Körper, und

dieser Körper ist nicht mein. Mein Wesen in

mir strahlt aus und im Spiegel sehe ich nichts

anderes als einen fremden Körper und

verwundert komme ich nicht davon los. Ich

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bestaune es, meine Augen sind das einzige, was

mir ermöglicht, aus mir heraus zu gehen. Ich

kann mit meinem ganzen Umriss nichts anfangen,

ich habe keine Ahnung, was es ist und ein

widerliches Gefühl stellt sich ein. Als wäre

mein Gehirn eigenständig, als wären meine

Augen das einzige, was wahr ist, entziehe ich

mich diesem schrecklichen Körper und nehme

meine Augen mit. Ich wünsche mir, die ganze

Materie um mich herum auszuschalten. Ich fange

an, zornig zu werden und bedaure, es noch

länger auszuhalten in diesem Körper. Als

hässliches Ding spüre ich den Drang, aus

diesem Körper heraus zu kriechen. „Dieses

hässliche Ding vor mir bin nicht Ich. Ich

möchte endlich heraus“. Ich versuche heraus zu

kriechen. Leider, geplagt von zu viel Moral,

hänge ich fest zwischen zweifelnden

Wissenschaften und hoffnungslosen Geboten.

Mein Gehirn hat zu viel gespeichert. Im

Spiegel stecken geblieben, betrachte ich jetzt

alle beide, mich als Geist und als Körper. Wie

auch mich als Ich und nicht Ich. Bin irre im

Zwiespalt der Wahrnehmung. Welches Ich nimmt

wahr? Sehen meine beiden Ichs mich? Eine

Bangigkeit beiderseits, ich sehe es. Sie haben

keine Ahnung. Aber ich weiss es. Und ich,

gelöst von beiden Ichs, kehre zurück und

übernehme beide Ichs. Ich setze mein Gehirn

zurück und richte meine Augen ich wieder nach

Innen und Aussen. Ich, ich, ich, alle drei

aber nur ich weiss es und ich kann nichts

übermitteln, wenn ich mit beiden verbunden bin

und schlimmer, dass ich nichts übermitteln

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kann, wenn ich weder Körper habe noch Geist.

Diese Erfahrung erlebe ich, seit ich mich

daran erinnern kann, dass ich mich erinnern

kann.

"People die from typewriters falling on their

heads."

Jonathan Davis

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Mensch / Ich

Das Ich ist ständig im Wandelfieber und

wandert zwischen den Menschen, und wie in

einer Symbiose rastet es im Gehirn andere

Menschen ein, bis es sich wieder ausklinken

kann.

Was bin ich und was sind Sie? Ich bin Sie,

könnten Sie sich das vorstellen?

Ich bin Sie, und wenn ich es noch nicht bin,

dann werde ich es noch sein.

Ihr Gehirn beinhaltet nichts anderes als

potenzielle Energie, die verbrannt werden

möchte. Indem sie das Gehirn benutzen, besteht

der Reiz in der Abnutzung - was ihnen gefällt.

Sie mögen es, ihre Energie zu verbrauchen und

krümmen sich zu Tode, bis sie das Gefühl haben,

ihr Gehirn nicht mehr zu fühlen. Sie sind leer.

Sie vergessen ihr Gehirn und all ihre

lebenswichtigen Verknüpfungen, alle

universellen Verknüpfungen haben sie in

wenigen Stunden verpufft.

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Anders gesagt

Ihr Gehirn besteht aus immer wieder neu

verbundenen Verknüpfungen, die verbunden

werden möchten. Indem sie diese Verknüpfungen

nicht mit den gesamten Verknüpfungen aller

anderen Menschen verknüpfen, stumpfen die

Endungen ihrer Verbindungs- Möglichkeiten ab.

Was sie nie verbunden haben, kann nie mehr

wieder verbunden werden. Wenn sie die

Verbindung verpasst haben, dann können sie

sich noch so sehr zu Tode krümmen, um Dinge

heraus zu finden. Es ist für sie leider zu

spät. Ihre Wissensplattform wird nie gross

genug sein, um das Spiel der Welt zu spielen,

sie sind nur Sklaven, Nebenrollen, ein kleines

Detail oder sogar ein Fehler im System des

Spieles. Verstehen Sie, Sie stören weil Sie

nicht mitspielen. Sie sind ersetzbar und nach

den Spielregeln löscht sich ihre Anwesenheit

von selbst. Sie vergessen ihr Gehirn und all

ihre lebenswichtigen Verknüpfungen, alle

universellen Verknüpfungen haben Sie in

wenigen Stunden verloren.

Sie sind tot, auch wenn sie noch laufen.

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„Wie ist es möglich, sich menschlich zu fühlen,

wenn man nicht als der Mensch erkannt wird,

den man sich ausgedacht hat? Wie ist es

möglich, einen Menschen zu verstehen, wenn er

sich ständig verändert?“

END

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Abbildungsverzeichnis

Bild 1 TV............................15

Bild 2 Töffli........................17

Bild 3 Mit Adrian....................24

Bild 4 Mit Tasche....................30

Bild 5 Sprungbrett...................34

Bild 6 Handmixer.....................37

Bild 7 Spirale.......................43

Bild 8 Zimmer........................49

Bild 9 Zug...........................51

Bild 10 Raphael.......................56

Bild 11 Spielen / Bild 12 Skelett.....61

Bild 13 Bestattung 1..................64

Bild 14 Bestattung 2..................66

Bild 15 Max...........................69