Alkoholkonsum und Binge Drinking bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen Dr. med. Toni Berthel,...

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Alkoholkonsum und Binge Drinking bei Jugendlichen und

jungen Erwachsenen

Dr. med. Toni Berthel, Aerztlicher Co-Direktor integrierter Psychiatrie Winterthur ipw

Co-Leiter integrierte Suchthilfe WinterthurSwiss society of addiction medicine ssam

Jugendalter und Alkohol

• Phänomene im Jugendalter• Zahlen zum Alkoholkonsum• Das Jugendalter

– Entwicklung– Neurobiologie– Peer group, Gleichaltrigengruppe– Öffentlicher Raum

• Herausforderungen• Schlussfolgerungen

Menschheitsgeschichte und Jugend

• „Wenn ich die junge Generation anschaue, verzweifle ich an der Zukunft der Zivilisation.“ (Aristoteles)

• „Unser Ziel muss eine Gesellschaft sein, die den Rausch einmal genauso ächtet wie den Kannibalismus.“ (Helmut Kohl 18.8.1992)

•Zahlen zu Alkohol- und Rauschkonsum

Konsum von Alkohol in der Schweiz

1880 14.3 Liter/pro Kopf1902 15.3 Liter1945 8.0 Liter1981 11.2 Liter2007 8.8 Liter

Obwohl weniger Alkohol konsumiert wird, ist der Rausch und der Alkohol vermehrt ein Thema in der Öffentlichkeit und den Medien.

R. Brand, Universität Stuttgart 2003

Alkoholintoxikation und Hospitalisation

Oesterreich (15.-19. LJ.)

1992150/100’00

2000350/100‘000

Deutschland (bis 20. LJ.)

20009‘500

200723‘165

Schweiz (10.-23.LJ)

2003Ca 950

20051300

• „Die Frage nach einer signifikanten Zunahme von „binge drinking“ zwischen 2003 und 2007 kann mithilfe der ESPAD-Daten nicht beantwortet werden. Deutlich wird jedoch eine Verschiebung hin zu einer höheren Frequenz von Trinkereignissen pro Monat. Dabei trinken Jungen tendenziell häufiger als Mädchen.“ (Stolle, Sack, Thomasius 2009)

• „Nur eine Minderheit setzt einen exzessiven Alkoholkonsum in späteren Altersstufen fort. Bei diesen Jugendlichen treffen lebensgeschichtlich frühe Risikofaktoren mit problematischen Folgen dieser Konsummuster zusammen.“ (Stolle, Sack, Thomasius 2009)

Begriffe

• Rauschtrinken• Komasaufen • Kampftrinken• Flatrate Partys/all-jou-can-drink-party• Binge drinking (binge on sthg.= sich

mit etwas vollstopfen)• Binge drinking und Kontrollverlust• Vorglühen

Definition: Binge drinking

• Konsum von mindestens 4/5 Standardeinheiten Alkohol mit dem Ziel einen Rausch herbeizuführen.– USA: Konsum von mind. 4/5

Standardeinheiten in 2 Stunden– Deutschland: Konsum während eines

Trinkereignisses

Kritische Anmerkung

• Die Definition von binge-drinking (4-5 Standardeinheiten pro Trinkereignis) ist ein willkürlicher Wert. Jugendliche erleben diese Trinkmenge in der Regel als unproblematisch.

• Wenn wir uns ausschliesslich auf diese Menge festlegen, verlieren wir Fachleute an Glaubwürdigkeit.

• Es geht nicht primär um die Trinkmenge, sondern v.a. um den raschen Konsum in kurzer Zeit und den Verlust der Kontrolle über das eigene Verhalten.

Rauschkonsum im Jugendalter

• Problemfelder– Akute Probleme– Gewalt – Suchtentwicklung

Konsummuster Probleme Langzeitkonsum

Bingedrinking Enthemmung

In der Regel Uebergang zu kontrolliertem Konsum, Rekreationskonsum

Unfälle; Gewalt; Opfer, Täter

Impulskontrolle

Selbstverletzung; Stürze; Suizid

Konflikte mit dem Umfeld; Littering; Lärm

Aspiration; Erfrieren; Vergiftung

Andauernder Konsum Abhängigkeit Auftreten von körperlichen, seelischen und sozialen Problemen

Alkohol und Gewalt (ESPAD 2006)

• Abstinente oder risikoarm Konsumierende = geringere Gewalttätigkeit

• Jugendliche mit einem Risikofaktor (häufiger Konsum, hohe durchschnittliche Menge, Rauschtrinken) = mehr Gewaltakte als Abstinente

• Häufig trinkende Jugendlich mit Rauschkonsum = deutlich erhöhtes Mass an gewalttätigem Verhalten. Häufiger Opfer von Gewalt

Beginn Alkholkonsum und Suchtentwicklung

Adoleszenz, Rauschkonsum, Impulskontrolle

• Weshalb konsumieren Jugendliche exzessiv Alkohol?

• Weshalb können Jugendliche die Kontrolle über den Konsum von Alkohol verlieren?

Wie können wir den Rauschkonsum und den

Kontrollverlust verstehen? • Adoleszenz und adoleszentärer Prozess

– Neurobiologische Aspekte (Reifung des Gehirns) – Psychologische Aspekte zur Adoleszenz– Peer-group, Uebergangsrituale

• Verkürzung Latenzzeit• Substanzen

– Stimulierende und enthemmende psychoaktive Substanzen

• Psychische Störungen und Erkrankungen• Gesellschaftliche Phänomene und Prozesse

– Randständigkeit– Migration– Uebergangsrituale

• Lernprozesse

Aufgaben des Jugendalters

• Sozialisation

• Individuation

• Identitätsbildung

•Gefühl der Ich-Identität

•Sexuelle Identität

•Körperbild

•AblösungEigenständige

•Moral

Nach Jäncke 2007

Alkoholkonsum und peer group

• Peer group; Gleichaltrigengruppe• Übergangsritual

– „Sich ausprobieren und die Initiation in selbstgestaltete soziale Kontexte, in Gleichaltrigengruppen sind wesentliche Elemente der „Übergangsarbeit“. Rauscherfahrungen stellen dafür ein Vehikel dar.“ (St. Sting, 2009)

– „Gruppenbezogene Wahrheiten“, „durch Substanzen vermittelte Identitäten.“

(S. Cattacin, 2009)

Normen, Regeln

Wissen was gut ist und gut tut

Vorstellungen der Erwachsenen

Anpassung an……..

Eigene Vorstellungen

Eigene Erfahrungen

Grenzen suchen

Autonomie

Jugendliche

Welt der Erwachsenen

SpannungsfelderEntwicklungsbereites

Individuum

Zur Entwicklung gehörend

Eigene Erfahrungen machen

Identitätsbildung

Autonomie

Grenzen/Auseinandersetzung

suchen

Paternalistisches Prinzip

Schutz vor Schäden

Gesundheit schützen

Verhindern von Entwicklungsstörungen

Verhindern von Suchtentwicklungen etc.

Ordnungsprinzip

Ruhe und Ordnung im öffentlichen Raum

Sicherheit im öffentlichen Raum

Ueberforderung der Erwachsenen

Interventionsstrategien

• Wo ist der Alkohol-/Rauschkonsum ein Verhalten im Rahmen: – Einer normalen adoleszentären

Entwicklung? – Einer problematischen seelischen und

sozialen Entwicklung?

• Wo führt der Alkohol-/Rauschkonsum zu– Individuellen Akuten Problemen? – Problemen im öffentlichen Raum?

Fazit

• Moderater und kontrollierter Konsum kann und muss erlernt werden

• Der exzessive und unkontrollierte Konsum von psychoaktiven Substanzen (insbesondere Alkohol) im Jugendalter ist ein Durchgangsphänomen.

• Eine kleine Gruppe der Adoleszenten entwickelt Probleme, die eine Intervention erfordern.

Fazit

• Wo nötig müssen Erwachsene zum Schutz vor irreversiblen Schäden eingreifen

• Rahmenbedingungen für eine positive Entwicklung müssen geschaffen werden (Arbeit, Schule, Wohnen etc.)

• Nur dort wo nötig müssen adoleszentengerechte Hilfsangebote bereit gestellt werden (Beratung, Therapie, Harmreduction).

Zusammenfassung

• Alkoholkonsum im Jugendalter– Durchgangsphänomen– Im Zentrum stehen akute Probleme– Wir müssen verhindern, dass Schäden

gesetzt werden – Adoleszente brauchen Optionen und

Perspektiven – Probleme entwickeln Jugendliche, die

wenig Ressourcen mitbringen – Nur dort wo nötig Hilfsangebote aufbauen

Fazit: Jugend und öffentlicher Raum

• Jugend findet zum Grossteil im öffentlichen Raum statt

• Übergangsrituale finden häufig im öffentlichen Raum statt

• Substanzen vermitteln Identität• Rituale sind häufig mit Alkohol- und

Substanzkonsum verknüpft• Jugendliche sind in ihrer Fähigkeit,

Spannungen zu neutralisieren, eingeschränkt (Rausch, Impulsivität, Gewalt etc.)

• Wir müssen berücksichtigen:– Gefährlichkeit einer Substanz – Die Problemlast

• Unsere humanistische Tradition verbietet es uns ein Verhalten das anderen oder sich selber keinen Schaden zufügt oder nur ein niedriges Potential für allfällige Problementwicklungen beinhaltet zu verbieten, verfolgen oder bestrafen

• Danke für Ihre Aufmerksamkeit!