Post on 05-Apr-2015
Alkoholkonsum und Binge Drinking bei Jugendlichen und
jungen Erwachsenen
Dr. med. Toni Berthel, Aerztlicher Co-Direktor integrierter Psychiatrie Winterthur ipw
Co-Leiter integrierte Suchthilfe WinterthurSwiss society of addiction medicine ssam
Jugendalter und Alkohol
• Phänomene im Jugendalter• Zahlen zum Alkoholkonsum• Das Jugendalter
– Entwicklung– Neurobiologie– Peer group, Gleichaltrigengruppe– Öffentlicher Raum
• Herausforderungen• Schlussfolgerungen
Menschheitsgeschichte und Jugend
• „Wenn ich die junge Generation anschaue, verzweifle ich an der Zukunft der Zivilisation.“ (Aristoteles)
• „Unser Ziel muss eine Gesellschaft sein, die den Rausch einmal genauso ächtet wie den Kannibalismus.“ (Helmut Kohl 18.8.1992)
•Zahlen zu Alkohol- und Rauschkonsum
Konsum von Alkohol in der Schweiz
1880 14.3 Liter/pro Kopf1902 15.3 Liter1945 8.0 Liter1981 11.2 Liter2007 8.8 Liter
Obwohl weniger Alkohol konsumiert wird, ist der Rausch und der Alkohol vermehrt ein Thema in der Öffentlichkeit und den Medien.
R. Brand, Universität Stuttgart 2003
Alkoholintoxikation und Hospitalisation
Oesterreich (15.-19. LJ.)
1992150/100’00
2000350/100‘000
Deutschland (bis 20. LJ.)
20009‘500
200723‘165
Schweiz (10.-23.LJ)
2003Ca 950
20051300
• „Die Frage nach einer signifikanten Zunahme von „binge drinking“ zwischen 2003 und 2007 kann mithilfe der ESPAD-Daten nicht beantwortet werden. Deutlich wird jedoch eine Verschiebung hin zu einer höheren Frequenz von Trinkereignissen pro Monat. Dabei trinken Jungen tendenziell häufiger als Mädchen.“ (Stolle, Sack, Thomasius 2009)
• „Nur eine Minderheit setzt einen exzessiven Alkoholkonsum in späteren Altersstufen fort. Bei diesen Jugendlichen treffen lebensgeschichtlich frühe Risikofaktoren mit problematischen Folgen dieser Konsummuster zusammen.“ (Stolle, Sack, Thomasius 2009)
Begriffe
• Rauschtrinken• Komasaufen • Kampftrinken• Flatrate Partys/all-jou-can-drink-party• Binge drinking (binge on sthg.= sich
mit etwas vollstopfen)• Binge drinking und Kontrollverlust• Vorglühen
Definition: Binge drinking
• Konsum von mindestens 4/5 Standardeinheiten Alkohol mit dem Ziel einen Rausch herbeizuführen.– USA: Konsum von mind. 4/5
Standardeinheiten in 2 Stunden– Deutschland: Konsum während eines
Trinkereignisses
Kritische Anmerkung
• Die Definition von binge-drinking (4-5 Standardeinheiten pro Trinkereignis) ist ein willkürlicher Wert. Jugendliche erleben diese Trinkmenge in der Regel als unproblematisch.
• Wenn wir uns ausschliesslich auf diese Menge festlegen, verlieren wir Fachleute an Glaubwürdigkeit.
• Es geht nicht primär um die Trinkmenge, sondern v.a. um den raschen Konsum in kurzer Zeit und den Verlust der Kontrolle über das eigene Verhalten.
Rauschkonsum im Jugendalter
• Problemfelder– Akute Probleme– Gewalt – Suchtentwicklung
Konsummuster Probleme Langzeitkonsum
Bingedrinking Enthemmung
In der Regel Uebergang zu kontrolliertem Konsum, Rekreationskonsum
Unfälle; Gewalt; Opfer, Täter
Impulskontrolle
Selbstverletzung; Stürze; Suizid
Konflikte mit dem Umfeld; Littering; Lärm
Aspiration; Erfrieren; Vergiftung
Andauernder Konsum Abhängigkeit Auftreten von körperlichen, seelischen und sozialen Problemen
Alkohol und Gewalt (ESPAD 2006)
• Abstinente oder risikoarm Konsumierende = geringere Gewalttätigkeit
• Jugendliche mit einem Risikofaktor (häufiger Konsum, hohe durchschnittliche Menge, Rauschtrinken) = mehr Gewaltakte als Abstinente
• Häufig trinkende Jugendlich mit Rauschkonsum = deutlich erhöhtes Mass an gewalttätigem Verhalten. Häufiger Opfer von Gewalt
Beginn Alkholkonsum und Suchtentwicklung
Adoleszenz, Rauschkonsum, Impulskontrolle
• Weshalb konsumieren Jugendliche exzessiv Alkohol?
• Weshalb können Jugendliche die Kontrolle über den Konsum von Alkohol verlieren?
Wie können wir den Rauschkonsum und den
Kontrollverlust verstehen? • Adoleszenz und adoleszentärer Prozess
– Neurobiologische Aspekte (Reifung des Gehirns) – Psychologische Aspekte zur Adoleszenz– Peer-group, Uebergangsrituale
• Verkürzung Latenzzeit• Substanzen
– Stimulierende und enthemmende psychoaktive Substanzen
• Psychische Störungen und Erkrankungen• Gesellschaftliche Phänomene und Prozesse
– Randständigkeit– Migration– Uebergangsrituale
• Lernprozesse
Aufgaben des Jugendalters
• Sozialisation
• Individuation
• Identitätsbildung
•Gefühl der Ich-Identität
•Sexuelle Identität
•Körperbild
•AblösungEigenständige
•Moral
Nach Jäncke 2007
Alkoholkonsum und peer group
• Peer group; Gleichaltrigengruppe• Übergangsritual
– „Sich ausprobieren und die Initiation in selbstgestaltete soziale Kontexte, in Gleichaltrigengruppen sind wesentliche Elemente der „Übergangsarbeit“. Rauscherfahrungen stellen dafür ein Vehikel dar.“ (St. Sting, 2009)
– „Gruppenbezogene Wahrheiten“, „durch Substanzen vermittelte Identitäten.“
(S. Cattacin, 2009)
Normen, Regeln
Wissen was gut ist und gut tut
Vorstellungen der Erwachsenen
Anpassung an……..
Eigene Vorstellungen
Eigene Erfahrungen
Grenzen suchen
Autonomie
Jugendliche
Welt der Erwachsenen
SpannungsfelderEntwicklungsbereites
Individuum
Zur Entwicklung gehörend
Eigene Erfahrungen machen
Identitätsbildung
Autonomie
Grenzen/Auseinandersetzung
suchen
Paternalistisches Prinzip
Schutz vor Schäden
Gesundheit schützen
Verhindern von Entwicklungsstörungen
Verhindern von Suchtentwicklungen etc.
Ordnungsprinzip
Ruhe und Ordnung im öffentlichen Raum
Sicherheit im öffentlichen Raum
Ueberforderung der Erwachsenen
Interventionsstrategien
• Wo ist der Alkohol-/Rauschkonsum ein Verhalten im Rahmen: – Einer normalen adoleszentären
Entwicklung? – Einer problematischen seelischen und
sozialen Entwicklung?
• Wo führt der Alkohol-/Rauschkonsum zu– Individuellen Akuten Problemen? – Problemen im öffentlichen Raum?
Fazit
• Moderater und kontrollierter Konsum kann und muss erlernt werden
• Der exzessive und unkontrollierte Konsum von psychoaktiven Substanzen (insbesondere Alkohol) im Jugendalter ist ein Durchgangsphänomen.
• Eine kleine Gruppe der Adoleszenten entwickelt Probleme, die eine Intervention erfordern.
Fazit
• Wo nötig müssen Erwachsene zum Schutz vor irreversiblen Schäden eingreifen
• Rahmenbedingungen für eine positive Entwicklung müssen geschaffen werden (Arbeit, Schule, Wohnen etc.)
• Nur dort wo nötig müssen adoleszentengerechte Hilfsangebote bereit gestellt werden (Beratung, Therapie, Harmreduction).
Zusammenfassung
• Alkoholkonsum im Jugendalter– Durchgangsphänomen– Im Zentrum stehen akute Probleme– Wir müssen verhindern, dass Schäden
gesetzt werden – Adoleszente brauchen Optionen und
Perspektiven – Probleme entwickeln Jugendliche, die
wenig Ressourcen mitbringen – Nur dort wo nötig Hilfsangebote aufbauen
Fazit: Jugend und öffentlicher Raum
• Jugend findet zum Grossteil im öffentlichen Raum statt
• Übergangsrituale finden häufig im öffentlichen Raum statt
• Substanzen vermitteln Identität• Rituale sind häufig mit Alkohol- und
Substanzkonsum verknüpft• Jugendliche sind in ihrer Fähigkeit,
Spannungen zu neutralisieren, eingeschränkt (Rausch, Impulsivität, Gewalt etc.)
• Wir müssen berücksichtigen:– Gefährlichkeit einer Substanz – Die Problemlast
• Unsere humanistische Tradition verbietet es uns ein Verhalten das anderen oder sich selber keinen Schaden zufügt oder nur ein niedriges Potential für allfällige Problementwicklungen beinhaltet zu verbieten, verfolgen oder bestrafen
• Danke für Ihre Aufmerksamkeit!