Arbeiter schuften bei Ikea für 5 Franken pro Stunde

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Arbeiter schuften bei Ikea für 5 Franken pro Stunde

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er Bericht des «Sonntags»über die Verletzung derMindestlöhne beim Baudes Basler-Roche Turms(Ausgabe vom 18. Septem-

ber) hat ein politisches Nachspiel: DerBaselbieter SVP-Landrat Georges Thüringwill von der Regierung in einer Interpel-lation wissen, was sie vorkehrt, damitsolche Verstösse nicht mehr vorkom-men. Eine ähnlich lautende Interpella-tion hat der baselstädtische SP-GrossratMustafa Atici eingereicht.

NUN ZEIGEN DIE RECHERCHEN, dass beiweiteren prominenten Firmen der drin-gende Verdacht auf Lohndumping be-steht. Den krassesten Fall deckten Bau-stellenkontrolleure im Sommer bei derMöbelhaus-Kette Ikea auf: Ungarische Ar-beiter, die während Tag und Nacht mitdem Ausbau der Hochregallager beschäf-tigt waren, erhielten nach eigenen Anga-ben einen Stundenlohn von umgerech-net 5 Franken. Deutsche Mitarbeiter ga-ben an, sie erhielten 9 Euro pro Stunde.

Beides unterschreitet den Mindest-lohn des Metallbaugewerbes deutlich. Erbeträgt für Ungelernte je nach Alter zwi-schen Fr. 20.10 und 23.55. Zusätzlich istfür Nachtarbeit ein Zuschlag von 50 Pro-zent zu entrichten. Abzugelten sind zu-dem Anteile für den 13. Monatslohn undFerien sowie die Reisespesen.

Gemäss den Nachforschungen derBaustellenkontrolleure waren mindes-tens drei Dutzend vorwiegend osteuro-päische Arbeiter in mehreren Ikea-Filia-len tätig, darunter in jenen von Rothen-

D

burg LU, Spreitenbach AG, Dietlikon ZHund Aubonne VD. Sie mussten zumTiefstlohn Möbellager umbauen, Regalemontieren und die Filialen neu dekorie-ren. Nicht alle waren korrekt gemeldet.

IM VERDACHT DES LOHNDUMPINGS stehtaber nicht Ikea selber, sondern eine gan-ze Reihe von Auftragnehmern. Ikea hat-te die deutsche Firma Tegometall mitdem Ausbau der Hochregallager beauf-tragt. Diese gab die Verantwortung andie deutsche Firma RM Regalbau weiter.Diese wiederum beauftragte mindestens27 Subunternehmen aus Tschechien,Spanien, Ungarn und Portugal.

Bei der Kontrollstelle, die den Fallaufdeckte, ist jetzt ein Verfahren imGang. Sobald die Lohnbuchkontrolle ab-geschlossen ist, übergibt sie die Aktendem kantonalen Arbeitsamt.

Ikea Schweiz wisse nichts von denAnschuldigungen, sagt Sprecherin Virgi-nia Bertschinger. «Die genannten Fest-stellungen widerstreben unserem Ge-schäftsgebaren, und wir nehmen IhrSchreiben selbstverständlich zum An-lass, genauere Untersuchungen vorzu-nehmen.» Ikea verlange von den Liefe-ranten vertraglich, sich an den firmen-eigenen Verhaltenskodex und die Geset-ze zu halten. «Ist ein Lieferant nicht inder Lage oder nicht willens, das zu ak-zeptieren, geht Ikea keine Geschäftsbe-ziehung ein oder beendet diese.»

ES IST JEDOCH nicht der erste Fall vonLohndumping bei Ikea: Schon beim Bauder Filiale von Vernier GE im vergange-nen Jahr zahlten Unternehmen, die fürIkea arbeiteten, rund 40 Arbeitern zu tie-fe Löhne. Der Möbelriese und eine derbeschuldigten Firmen zahlten daraufden Betroffenen 20 000 Franken nach.

Gemäss Recherchen haben Baukon-trolleure zudem im Frühling 2010 ent-deckt, dass rund 35 scheinselbstständigeMonteure aus Deutschland, Polen und

Ungarn eine Ikea-Filiale ausbauten. Da-mit steht auch hier der Verdacht desLohndumpings im Raum. Die Arbeiterwaren von einer Solothurner Firma insLand geholt worden. Virginia Bertschin-ger verspricht, Ikea werde diese Vorwür-fe ebenfalls abklären.

INS ZWIELICHT GERÄT auch der grössteSportanlass der Schweiz, das Tennistur-nier Swiss Indoors Basel. Vor der letztenAustragung im November 2010, die vonRoger Federer gewonnen wurde, statte-

ten Baustellenkontrolleure der St. Ja-kobshalle einen Überraschungsbesuchab. Dabei entdeckten sie, dass etwa 15Ungarn und 30 Deutsche Inneneinrich-tungen aufbauten. Die ungarischen Mit-arbeiter erhielten für ihren sechstägigenEinsatz Fr. 10.35 pro Stunde. Das ent-spricht rund einem Drittel des Mindest-lohns für Schreiner. Die deutschen Mit-arbeiter erhielten zwischen 8 und 20 Eu-ro pro Stunde. Somit arbeitete ein Teilvon ihnen ebenfalls zu Dumpinglöhnen.

«Es wurden massiv nicht orts- undbranchenübliche Löhne festgestellt»,sagt der Baselbieter Unia-Sekretär undSP-Landrat Andreas Giger. Zudem hattensich alle Mitarbeiter als Selbstständigeausgegeben, um die Schweizer Mindest-löhne zu umgehen. Giger spricht von ei-ner «sehr grossen Zahl von klaren Fällenvon Scheinselbstständigkeit». Eine kom-plizierte Vergabestruktur verwischte dieVerantwortlichkeiten: Swiss Indoors hat-te zwei Schweizer Firmen mit den Arbei-ten beauftragt. Diese wiederum zogeninsgesamt fünf Subunternehmen bei.

Der Fall beschäftigt nun das Basel-bieter Parlament. SVP-Landrat Thüringwill vom Regierungsrat wissen, ob er beiden Swiss-Indoors-Verantwortlichen in-terveniert, «damit es inskünftig zu kei-nen solchen Verstössen mehr kommt».

MIT DEN VORWÜRFEN konfrontiert, lies-sen die Swiss Indoors über ein ZürcherAnwaltsbüro ausrichten, sie ständen «inkeinerlei vertraglicher Beziehung zu denangeschuldigten Subunternehmen». DieVerletzung arbeitsrechtlicher Standardswerde nicht toleriert. «Die Swiss Indoorsverpflichten die Unternehmer in denVerträgen zur Einhaltung der gesetzli-chen Vorschriften.» Zudem würden dieUnternehmen vor Turnierbeginn noch-mals in einem Brief explizit auf dieseVorschriften aufmerksam gemacht. «BeiVerletzungen stehen den Swiss Indoorsdie üblichen vertraglichen Sanktions-

möglichkeiten zur Verfügung.» Die SwissIndoors AG behauptet zudem, sie habevom «Sonntag» erstmals von diesen Vor-würfen erfahren. Die Baustellenkon-trolleure hatten jedoch einen Vertretervon Swiss Indoors vor Ort sofort überden Verdacht der Scheinselbstständig-keit orientiert. Sie meldeten ihren Ver-dacht dann dem Baselbieter Amt für In-dustrie, Gewerbe und Arbeit. Dieseskonnte aber kein Verfahren eröffnen.Denn bei Scheinselbstständigen gibt esheute keine Sanktionsmöglichkeit.

DESHALB BLÜHT DIESE ART der Umge-hung der Schweizer Löhne. Eine Zahlaus dem Ausbaugewerbe illustriert das:2008 waren im Kanton Baselland 77 Pro-zent der von ausländischen Firmen ge-meldeten Arbeiter angestellt, 23 wurdenals selbstständig bezeichnet. Letztes Jahrhatte sich das Verhältnis umgekehrt: 65Prozent angeblich Selbstständigen ste-hen 35 Prozent Angestellte gegenüber.

Am Freitag hat deshalb der Bundes-rat eine Gesetzesvorlage veröffentlicht,mit der er Lohndumping und Schein-selbstständigkeit bekämpfen will. Künf-tig können Scheinselbstständige gebüsstund gesperrt werden, wenn sie ihreSelbstständigkeit nicht beweisen können.

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VON PETER BURKHARDT

Auf einer Baustelle von Ikeawurde Lohndrückerei festge-stellt. Und bei Swiss Indoorswaren Scheinselbstständigeam Werk.

Arbeiter schufteten für Ikea undSwiss Indoors zu DumpinglöhnenBeauftragte Ausbaufirmen reichten die Aufträge an unzähligeSubunternehmen weiter, die zu tiefe Löhne zahlten

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Es wurden massiv nichtorts- und branchen-

übliche Löhne festgestellt.»ANDREAS GIGER, GEWERKSCHAFT UNIA

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Zwei krasseFälle von Lohn-drückerei imAusbaugewerbe:Ikea und SwissIndoors Basel(hier RogerFederer beimFinal 2010).

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