Post on 06-Nov-2019
1 (Laszlo_Sv ed.0506)
Demokratie, Globalisierung und die nächste Stufe der Evolution
der menschlichen Gesellschaft
von Ervin Laszlo
Am Ende des 20. Jahrhundert befinden wir uns in der Mitte eines raschen
evolutionären Prozesses, den man korrekter Weise als Globalisierungs-
prozess identifiziert. Dieser Prozess ist in höchsten Maße nicht-linear,
voller plötzlicher Sprünge und Überraschungen und insgesamt irreversibel.
Der grobe Kurs dieses Prozesses entspricht der Dynamik der Bifurkation,
wie sie von Ilya Prigogine beschrieben wird, nämlich als die
indeterministische Phase der Evolution von Nicht-Gleichgewichts-
Systemen.
Die Prigogine‘sche-Dynamik trifft insofern auch auf die menschliche
Gesellschaft zu, als letztere verstanden werden kann als ein offenes
System, das sich in einem Zustand befindet, der weit vom dynamischen
Gleichgewicht entfernt ist [oder so verstanden werden kann]. Andererseits
muss man bedenken, dass die menschliche Gesellschaft aus mit
Bewusstsein ausgestatteten, individuellen Agenden besteht.
So gesehen besitzt der sozial-evolutionäre Prozess zwei von einander
unterschiedene, aber aufeinander bezogene Aspekte oder Dimensionen:
1) Eine äußere Dimension: diese kann auf die Begriffe der
systemischen Evolution abgebildet werden oder durch systemische,
evolutionäre Begriffe dargestellt werden. Und 2) eine innere „mentale”
Dimension, welche üblicherweise der Gegenstand der Geschichte der
Ideen ist und in einem weiteren Kontext der Geschichte der Zivilisation.
Beide Aspekte oder Dimensionen manifestieren plötzliche
Phasenübergänge, wie sie der Prigogineschen evolutionären Dynamik
entsprechen.
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Die systemischen und evolutionären Begriffsbildungen betreffen die
äußere Dimension des gesellschaftlichen evolutionären Prozesses. Dieser
Prozess verbindet individuelle gesellschaftliche Einheiten mit inter-
systemischen Beziehungen und schließlich inter- und transsystemische
Strukturen. Im gesellschaftlichen Bereich ebenso wie in anderen
Komplexitätsbereichen erzeugt der Informationsaustausch Beziehungen
welche Strukturen erzeugen. Eine Reihe von Systemen (seien sie
biologisch, soziologisch oder ökologisch), die durch einen wachsenden
Informationsfluss verbunden sind, werden mit der Zeit verbunden und
zwar innerhalb der Zeit durch Energie und Materieflüsse. Im Falle von
menschlichen Gesellschaften erzeugen die Informationsbeziehungen einen
Fluss von kommerziellen Waren oder Gütern, Rohmaterialien,
Technologien, wissenschaftlichen und kulturellen Austausch und von
Menschen selbst. Ein Ergebnis ist dass sich informatorisch vernetzte
menschliche Gemeinschaften in Richtung auf eine Menge von Beziehungen
entwickeln, welche sie zusammenbringend auf einer neuen, höheren
Ebene gibt und zwar höheren Strukturen, die ein offenes evolvierendes
System … ihre eigene Art und Weise konstituieren.
Die Bildung von Systemen höherer Ebenen durch die Querverbindung von
vorher verhältnismässig autonomen Systemen, die dann zu den
emergenten Subsystemen des Systems werden, ist ein bekannter Begriff
in der dissipativen Systemtheorie. Die Suprasysteme emergieren durch
die Erzeugung von Hyperzyklen in denen die Subsysteme durch
transkatalystische Zyklen verbunden sind. Das Ergebnis ist, dass die
Subsysteme zunehmend voneinander unabhängig werden, während das
System das durch ihr Zusammenwirken konstituiert ist, an Autonomie
gewinnt.
Der gegenwärtige Prozess der Globalisierung ist Ausdruck dieses
Prozesses auf der transnationalen Ebene. Die Mehrheit von den über 190
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Nationalstaaten der gegenwärtigen Welt behauptet die Souveränität ihrer
Menschen und zwar ausgeführt durch die gewählten Repräsentativa, aber
in der Praxis wird die Souveränität in zunehmenden Masse höchst
umschrieben, besser höchst problematisch.
Die Macht, ja sogar die Legitimität von Nationen von Staaten wird
angegriffen. Die nationalen Governments Regierungen haben nur eine
begrenzten Kontrolle über ihre nationalen Grenzen: Nicht nur alle Arten
von Waffen können diese Grenzen durchdringen, ebenso Information,
Waren und Menschen fließen über die nationalen Grenzen ohne effektive
Kontrolle durch die nationalen Autoritäten. Die Nationalstaaten sind auch
unfähig die Habilität ihrer Ökonomie abzusichern: Inter- und
transnationaler Austausch von Waren und Technologien sind meisten in
der Hand von transnationalen Unternehmen und sie sind lebensnotwendig
für die ökonomische Entwicklung. Die nationalen Regierungen sind
gegebenenfalls unfähig auch nur um die Integrität in ihren Teil der
Biosphäre abzusichern: Die Umweltschäden kennen keine Grenzen.
Gleichzeitig ist es so, dass die Unverletzlichkeit oder das Recht der nicht
Einflussnahme in nationale Angelegenheiten ein historisches Faktum wird.
Wie die derzeitigen multinationalen Interventionen im nahen Osten, im
fernen Osten, im mittleren Osten und auf dem Balkan gezeigt haben,
können die Regierungen keine unbegrenzte Souveränität realisieren,
hinsichtlich des Wohlbefindens ihrer und des Lebens ihrer Untertanen.
Wenn innerhalb eines Landes die Menschenrechte ernsthaft verletzt sind,
kann die internationale Gemeinschaft mit zunehmender Häufigkeit
handelnd eingreifen.
Der gegenwärtige Globalisierungs-Prozess ist Ausdruck dieses Prozesses
auf einer transnationalen Ebene. Die Mehrheit der über 190 National-
staaten der gegenwärtigen Welt beansprucht Souveränität für ihr Volk,
ausgeübt durch ihre gewählten Vertreter. In der Praxis wird diese
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Souveränität ziemlich eingeschränkt. Die Macht, ja sogar die Legalität von
Nationalstaaten in Frage gestellt Die Kontrolle der nationalen Regierungen
über die nationalen Grenzen nimmt ab: Letztere sind nicht nur durchlässig
gegenüber allen möglichen Waffen, auch Informationen, Waren und
Menschen können ohne effektive Kontrolle durch die nationalen
Autoritäten über die Grenzen gelangen. Die Nationalstaaten sind auch
ungefähr die Existenz bzw. Lebensfähigkeit ihrer Ökonomie,
sicherzustellen [zu garantieren]: Der zwischen- und transnationale
Austausch von Waren und Technologien befindet sich hauptsächlich in der
Hand transnationaler Unternehmen und diese sind lebenswichtig für die
ökonomische Entwicklung. Die nationalen Regierungen sind ebenso
unfähig die Integrität ihres Teils der Biosphäre sicher zu stellen: die
Umweltverschmutzung (-und Zerstörung) kennt keine Grenzen.
Gleichzeitig wird die Unverletzlichkeit des Rechtes auf Nicht-Einmischung
in nationale Angelegenheiten in die Geschichte verwiesen. Wie bei
jüngsten multinationalen Interventionen in Nahen Osten, dem Mittleren
Osten und auf dem Balkan gezeigt haben, können Regierungen keine
uneingeschränkte Souveränität ausüben, wenn es um das Leben und das
Wohlergehen ihrer Menschen (ihres Volkes) geht. Wenn in einem Land die
Menschenrechte ernsthaft verletzt sind, kann (und in zunehmenden
Ausmaß tut sie das auch) die internationale Gemeinschaft eingreifen.
Der Prozess der globalisierenden Evolution (Globalisierung und Evolution)
führt von den Nationalstaaten zu regional integrierten Staaten-
gemeinschaften und schließlich zu interregionalen Gruppierungen welche
die politischen Richtlinien bestimmen, welche das Leben in den meisten
Teilen der Welt regulieren. Gleichzeitig führt der Prozess von lokalen oder
national verankerten Industrien und Handelsunternehmen zu hoch –
vernetzten Welt – umspannenden industriellen, kommerziellen und
finanziellen Imperien. Der Prozess führt zu einem System in dem die
National-Staaten zusammen mit transnationalen Unternehmen sub-
gesteuert sind.
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Der Prozess der Entwicklung zur Globalisierung ist so wie jeder andere
System-Bildungs-Prozess auch gegründet in der Natur und in der
Geschichte. Aber er ist unvergleichlich schneller und tritt im Laufe einigen
Dekaden anstatt von Jahrhunderten oder Millenien auf. Folglich stellt er
enorme und bis jetzt unerfüllte Herausforderungen an die heutigen Völker
und Gesellschaften. Das zeigt sich auch in der Manifestation einer
Zeitverzögerung der inneren gegenüber der äußeren Dimension. Die
äußere Dimension ist, wie gerade bemerkt, der System-Bildungs-Prozess
in Richtung auf ein weltumspannendes und global interdependentes
sozioökonomisches und ökologisches System. Demgegenüber ist die
innere Dimension die ideative Dimension [die Dimension der Entwicklung
von Ideen/Vorstellungen]. Sie besteht in der Art und Weise wie die
Menschen den Prozess der Entwicklung zur Globalisierung und der Art und
Weise wie sie ihm in ihre Kultur internalisieren.
Die gesellschaftliche Evolution betrifft (involviert) sowohl die äußere, wie
auch die innere Dimension. Ihre Phase eines raschen Wandels ist
abgeschlossen, wenn die innere Dimension der Weltanschauung und des
Werte-Wandels aufschließen mit der äußeren Dimension des
gesellschaftlichen Informations – Struktur und Systembildungs-Prozesses.
Die „weichen” Aspekte des Wandels treffen gewöhnlich nach den „harten”
Aspekten auf. Wenn die weichen Aspekte bloß einfache Konsequenzen der
Veränderung wären, ausgelöst durch Innovationen in die harten Aspekte
der Werkzeuge mit operationalen Systemen, dann hätte die
Zeitverzögerung keine besondere Bedeutung. Aber die Rolle der weichen
Aspekte ist wichtig: Sie liefern die Basis für die Enkulturation von
Menschen und Gesellschaften im nächsten Stadium ihrer Evolution. Der
Gesamtprozess entspricht einer Prigoginischen Bifurkation. Dynamik,
deren Ergebnis durch die Vorbedingungen unterbestimmt ist. Der
entscheidende Wertewandel und Wandel der Weltanschauungen kann,
oder auch nicht, rechtzeitig kommen, kann oder auch nicht die
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Gesellschaft im nächsten Stadium der Evolution in ihrer äußeren
Dimension stabilisieren. Selbst wenn der Gesamtkurs der gesellschaft-
lichen Entwicklung eine bestimmte Richtung manifestiert, bleiben lokale
Rückschläge und Abweichungen möglich.
Das aufeinanderfolgende Entfalten von Bifurkationen in der äußeren und
inneren Dimension einer Gesellschaft der Bifurkationen markiert die
Hauptstadien in der Evolution der westlichen Zivilisation, wie ihre nach-
folgende zusammenfassende Darstellung illustriert.
DIE EVOLUTION VOM MYTHOS ZUM THEOS
Die vorherrschenden Kulturen der Paleolithischen Neolithischen
Gesellschaft, Typen von gesellschaftlicher Organisation die mehr als 99%
der Gesellschaft des homo saphiens ausmachen waren äußerst
beständig/ausdauernd, aber als sich ihre äußeren Dimensionen
entwickelten, veranlasste dies auch eine Verzögerungen in ihrer inneren
Dimension.
Die harten Technologien, welche das Leben in der Steinzeit
kennzeichneten, waren einfach aber effektiv. Sie betrafen, sukzessive, die
Benutzung von Gegenständen die als Werkzeuge oder Waffen improvisiert
waren, das zweckorientierte Stilisieren von Werkzeugen und die
Standardisierung von Werkzeugen (z.B. Handäxte) je nach Tradition. Zu
den Technologien der Werkzeug-Erzeugung kamen die zur Kontrolle und
Beherrschung des Feuers hinzu, die Adaptierung und der Bau von
Unterkünften und die Beerdigung von Toten. Viel später um etwa
10.000 Jahre vor unserer Zeitrechnung, traten dann andere Technologien
auf: Techniken zur Kultivierung von Pflanzen, zur Domestizierung von
Tieren, zum Weben und Tonerzeugung (oft auch mit dekorativen
Motiven). Bei Beginn des neolithischen Zeitalters gestatteten es diese
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technologische Innovationen den normadischen Jägern und Sammlern in
stabilen Agrar-Gemeinschaften häuslich einzurichten. Sie hatten ihren
Ursprung in der Levante breiteten sich von dort nach Asien und Europa
aus.
Die innere Dimension der steinzeitlichen Gesellschaften entsprach der
Bedingung ihrer äußeren Dimension. Die neolithischen Völker besaßen
einen Reichtum an zoologischem und botanischem Wissen, das für die
erfolgreiche Kultivierung von Pflanzen und dem Kreuzen von Tieren
erforderlich war. Aber ihr Blickfeld endete nicht an den Grenzen der
praktischen Welt. Die neolithische Weltsicht war umfassend hinsichtlich
ihrer Dimensionen und ihrer Natur nach animistisch und spiritualistisch.
Der Geist war nicht von der Materie getrennt, die wirkliche Welt nicht von
der Traumwelt. Die Kräfte der Natur waren auch die Kräfte der Geister die
in Gegenständen, Pflanzen, Tieren und Menschen verkörpert waren. Die
ganze Welt hatte eine heilige Dimension. Kräfte von außerhalb und
oberhalb der Menschen agierten in und auf der Welt und beeinflussten
sowohl die Natur als auch die menschlichen Gemeinschaften. Die
steinzeitlichen Menschen verstanden sich selbst als Angehörige eines
dynamischen Universums und zwar mit sichtbaren und unsichtbaren
Kräften und Entitäten. Zeit und Raum waren Teil der natürlichen Ordnung.
Die Gegenwart hing zusammen mit einem lokalen Raum und die Zukunft
wurde gesehen als eine stetige Wiederholung der Rhythmen die in der
Gegenwart erfahren wurden. Es war bekannt, dass die Jahreszeiten
aufeinander folgten, aber es gab keine neuen Jahreszeiten. Alle Zeiten
sind schon erfahren gewesen.
Der Animismus war verbunden mit einem Totemismus – dem Glauben,
dass ein Gegenstand, ein Tier oder eine Pflanze als Emblem einer Familie
oder eines Clans und dessen Ahnenschaft dient – ebenso mit Riten und
Magie. Letztere waren sozial angepasste Techniken um die höheren Kräfte
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des Kosmos anzuzapfen und den Menschen zu helfen, ihre gewünschten
Ziele zu erreichen.
Die Stammes-Gemeinschaften, die durch die Annahme steinzeitlicher
Weltanschauungen organisiert waren, hatten einen hohen Integrations-
grad. Das Individuum war ein wesentlicher Teil eines Clans oder eines
Stammes, der seinerseits eingebettet war in die Natur und beherrscht von
kosmischen Kräften. Natur und Mensch existierten nicht getrennt und
weniger noch als Gegensatz(paar). Die Menschen besaßen Empathie in
bezug auf alles dem sie begegneten.
Die Vielfalt der steinzeitlichen Glaubens- und Überzeugungssysteme – die
innere Dimension dieser Gesellschaften – passte zum Lebensstil der
Menschen und zu ihren Beziehungen zur Umwelt. Im Stadium des
paläolithischen Sammler und Jäger-Fischer-Zustandes dominierte das
männliche Prinzip und zwar in Übereinstimmung mit den Überlebens-
Prioritäten und Bedürfnissen der Zeiten. Danach, im Stadium der auf
Ackerbau gegründeten Nahrungs-Produktion wurde das weibliche Prinzip
dominant und reflektierte die neuen Beziehungen des Hirten und Bauern
zum Boden und zur Erde. Die irdische Fruchtbarkeit und Ergiebigkeit,
sexuelle Symbolismen und magische religiöse Rituale waren
bemerkenswert ähnlich, und zwar auch bei weit auseinanderliegenden
Völkern. Sie fanden ähnliche Ausdrucksformen in der Alten Welt von
Asien, und dem Mittleren Osten, ebenso in der Neuen Welt des
Mittelamerikas.
Das anscheinend unbegrenzte Durchhaltevermögen der steinzeitlichen
Gesellschaften kam zu einem Ende als sich die stetige Verbesserung ihrer
werkzeugbasierten Technologien veränderte und die Stammes-
Beziehungen zur Umwelt destabilisierte. Eine evolutionäre Bifurkation trat
ein als sich einige steinzeitliche Gesellschaften vereinigten, eine
hierarchische Struktur aufbauten und archaische Imperien konstituierten.
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Die neolithischen Völker sammelten sich primär in den großen Fluss-
Tälern in Afro-Asien und dem Amerikanischen Kontinent und
zumindestens im ersteren Bereich erzeugte die Nutzung großer
Wassermengen durch verbesserte Bewässerungssysteme eine massive
Zunahme des Ernte-Ertrages. Metalle wie Kupfer und Bronze kamen in
Gebrauch, neue Methoden zur Vermessung der Grenzen von Land wurden
entdeckt und Kalender wurden erfunden, um die Zeit zu berechnen und
ebenso die Schrift zur Dokumentation und zur Kommunikation von
Botschaften. Das führte zu einer Zunahme der Bevölkerung, einer
Zunahme der Komplexität sozialer Organisationen und einer ansteigenden
Umweltbelastung durch Bevölkerungswachstum und sophistischeren
Gemeinschaften. In einigen Gebieten, wie z.B. in Sumer wurden Bäume
umgeschnitten, der Boden ausgelaugt und das Klima wurde trocken.
Dennoch breiteten sich eine Reihe von neolithischen Gemeinschaften aus
und ihre Dörfer wuchsen zu Städten an. Mit der Zeit wurden viele von
ihnen integriert in reiche ausgedehnte administrative Strukturen. Eine
neue Elite begann die städtischen Zentren zu bewohnen. Der Stammes-
Zirkel der steinzeitlichen Gemeinschaften ordnete sich der geschichtlichen
Pyramide des formal strukturalen Staates unter.
Die neuen Strukturen der sozialen Organisation spiegelten sich in der
Transformation der Werte und Weltanschauungen der Menschen wider –
der inneren Dimensionen einer Gesellschaft. „Mutter Erde” wurde ersetzt
durch oder ansonsten untergeordnet unter die „Himmels Götter” und es
kann zu einer neueren Betonung der männlichen Vorherrrschaft und zwar
im Einklang mit einer höheren sozioökonomischen Schichtung. Territorale
Rechte begannen traditionelle verwandtschaftliche Bindungen zu
beherrschen und spiegelten die zunehmende Bedeutung von individuellem
und Gemeinschafts-Besitz und einer komplexen Arbeits-Aufteilung. Die
Orientierung am Himmel ersetzte den „irdischen” Tenor der steinzeitlichen
Epoche. Könige, die eine göttliche Abkunft behaupteten, führten die neue
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Politik. Die Himmelsphäre wurde ebenso stratifiziert und mit einem
Pantheon von Gottheiten bevölkert. Auf der Basis der Behauptung „wie
oben, so unten” expandierte das menschliche Leben in ein Netzwerk von
Beziehungen, welche von den tiefsten Ebenen der belebten und
unbelebten Natur zu den höchsten Sphären des Himmels reichten.
Die Weltanschauung der archaischen Zivilisationen von Babylonien,
Ägypten, Indien und China erklärten so ihre Ursprünge und rechtfertigten
ihre Existenz. Die Ursprünge der Welt waren verwurzelt in der Emergenz
von Ordnung aus der Unordnung/Chaos, gefolgt von einer weiteren
Destillation der Ordnung in den Himmeln, gespiegelt durch emergierende
Ordnungen auf der Erde. Der Kosmos wurde angesehen als ein
organisches Gemeinwesen in seinem eigenen Recht, das sowohl
Souveränität als auch Macht besaß und Ordnung und Harmonie aufrecht
erhielt im Bereich des Universums.
Seine Macht war erzeugt worden und wurde ausgeübt von einem höchsten
Wesen oder sonst durch eine Hierarchie von Gottheiten. Die Reflexion der
„himmlischen” Ordnungen von oben erforderte eine theokratische
Ordnung unten, mit Königtümern, die aufgrund eines göttlichen Erlasses
existieren und die Ausübung der himmlischen authorisierten Macht
verkörperten und legitimierten.
Kosmische Göttlichkeit und irdisches Königtum waren verbunden in der
Absicht eine umfassende Ordnung zu bewahren/erhalten, wobei die
Ordnung unten die Ordnung oben widerspiegelte (reflektierte). Das
höchste Telas war der Erhalt der essentiellen Balance des Universums
durch eine soziale Ordnung die in kosmischen Prinzipien wurzelte. Diese
Elemente, wenn auch mit lokalen Variationen, traten auf im alten
Ägypten, in Mesopotamien, Indien und China ebenso wie in Mittel-
Amerika.
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DIE EVOLUTION VOM THEOS ZUM LOGOS
Obwohl sie gespickt und unterlaufen war von einer sorgfältig
ausgearbeiteten Kultur zusammen mit einer als Heiligtum bewahrten
Weltansicht, mit Werten und einem ethischen Code, ordnete sich das
Stadium des Theos dem nächsten evolutionären Stadium unter, nämlich
dem Logos.
Das Aufkommen des Logos kann auf das zweite Jahrtausend vor Christus
zurückgeführt werden, als die indoeuropäischen Völker ausgestattet mit
einer Eisentechnologie von Zentralasien aus in verschiedene Richtungen
ausschwärmten. Einige kamen über den Kaiberpass nach Indien, wo sie
der schon verweichlichten Zivilisation ein Ende setzen. Andere zogen
südwestlich hinein nach Persien und wieder andere drangen zum
schwarzen Meer und nach Osteuropa vor, wobei sie nach Norden entlang
der Wolga oder nach Westen entlang der Donau und dem Rhein
migrierten. Wieder andere besiedelten den nördlichen Küstenbereich des
Mittelmeerraumes auf den griechischen und italienischen Halbinseln. Sie
brachten die griechischen Stadtstaaten zustande und dann die griechisch-
römische Zivilisation. Die ersteren dehnten sich unter Alexander bis an die
Grenzen der bekannten Welt aus, während die letzteren unter den Kaisern
sich von Britannien bis zum Tigris/Euphrat und in die Sahara erstreckten.
Die innere Dimension der klassischen Zivilisationen entwickelte sich
entlang der Änderungen in ihrer sozialen Struktur. Die griechischen
Naturphilosophen ersetzen die mythischen Begriffsbildungen durch
Theorien die auf Beobachtung und ausgearbeitete Vernunft-
Argumentationen aufbauten. Sie entwickelten den „heroischen Geist”, der
in Homer und in den frühen Epen vorhanden ist, in den visionären und
theoretischen Geist, der in dem rationalen Geist von Platon und Aristoteles
gipfelte. Der Logos wurde der zentrale Begriff: er war das Herz der
Philosophie ebenso wie der Religion. Zusammen mit metron lieferte es der
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westlichen Zivilisation eine Grundlage, auf der sie für fast zweieinhalb
tausend Jahre aufbauen konnte.
Der Logos, wie er durch die klassische griechisch-römische Zivilisation
verkörpert ist, war keine rein quantitative Weltanschauung, leer bezüglich
aller qualitativer Elemente. Menschen und zu einem bestimmten Ausmaß
alle Kreaturen hatten einen speziellen Wert und eine Tugend – arete – die
nicht ausschließlich mit quantitativen Mitteln erklärt/erfasst werden
konnten. Die Kombination von logos und metron mit arete konstituierte
eine Weltanschauung, eine Ethik und ein Wertesystem, das insgesamt von
der Kultur des Theos verschieden war. Der Mensch war das Maß und die
Entwicklung des menschlichen Potential das Ziel. Dieser grundlegende
Begriff, mit vielen differenzierenden Varianten, erblühte in den
philosophischen Systemen der hellenistischer Denker und fand seine
Anwendung in der Organisation der griechischen Stadtstaaten. Viele ihrer
Elemente wurden in die römische Zivilisation übergeführt, allerdings
behaftet mit einer pragmatischen Orientierung als Schlüssel zum Erhalt
der sozialen Ordnung durch die geordnete Ausübung von Macht.
Mit dem Glaubensübertritt von Kaiser Konstantin und der Gründung des
byzantinischen Bereiches modifizierte die christliche Einstellung die
klassische Kultur des Logos und fügte ihr eine göttliche Quelle als ihren
Ursprung hinzu, als ersten Beweger sowie als höchsten Richter. Der Logos
wurde in der Heiligen Dreifaltigkeit verkörpert und im Menschen als
Gotteskreation inkarniert. Diese Kultur deren wesentliche Elemente
ausgearbeitet wurden durch die Ideen von Augustinus und Thomas von
Aquin waren der vorherrschende Grundzug der inneren Dimension des
mittelalterlichen Europas bis hin zum Aufkommen der Moderne.
Weitere Verschiebungen ergaben sich innerhalb des Logos mit dem
Aufkommen des modernen wissenschaftlichen Denkens. Galilei lieferte
eine Vorstellung der Welt, in der mechanische Prinzipien für das Verhalten
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von Körpern auf der Erde erklärend verantwortlich waren und zwar
genauso wie für die Bewegung der Himmel. Newtons mathematische
Demonstration der universellen Gültigkeit der Bewegungsgleichungen
bestätigte Gallileis Einsicht und lieferte die Basis für eine umfassende
Weltsicht, die das Heraufdämmern des modernen Zeitalters ankündigte.
Nach dieser Ansicht ist das Universum ein göttlich erfundenes Uhrwerk,
das durch einen ersten Beweger in Bewegung versetzt wurde und in alle
Ewigkeit harmonisch (ab)läuft. Das Uhrwerk funktioniert nach strengen
Naturgesetzen und ermöglicht es dem rationalen Geist alle Dinge der
Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu wissen. Gott hat in diesem
System keinen Platz, wie Lapace später zu Napoleon gesagt haben sollte:
in strengem Kontrast zu den vorherigen Kulturen war Gott eine
Hypothese, für die es keine weitere rationale Notwendigkeit gab.
Im 19. Jahrhundert vervollständige Darwins Theorie der Evolution die
mechanistische Weltsicht der klassischen Physik – obwohl sie nicht
vollständig und damit in Einklang war. Sie erklärte die Evolution des
Lebens aus einfachen Ursprüngen durch den Grundmechanismus zufälliger
Bewegungen ausgesetzt den Test der natürlichen Selektion. Aber trotz der
Debatten über die Natur der Wirklichkeit auf die sich wissenschaftliche
Theorien bezogen und trotz der Revolutionen innerhalb der
Wissenschaften während des ganzen 20. Jahrhunderts – etwa durch
Einstein, Bohr, Freud und Priggogine u.a. – war die wissenschaftliche
(tatsächlich aber nur szientistische) Weltanschauung erfolgreich. Die
Errungenschaften der modernen Technologie schienen sie mit einem
Beweis auszustatten. Diese Ansicht übertraf die Spiritualität und führte zu
einer Ethik und einem Ethos, die wie Francis Bacon meinte, die
Manipulation der Natur für menschliche Zwecke ermutigte. Die
Kombination einer manipulativen Geisteseinstellung mit einem
zunehmenden technologischen Erfolg führten dazu und formten die
moderne Industriegesellschaft. Ihre weltumspannenden Technologien
brachten einzigartige Macht und Wohlstand denen die sie kontrollierten,
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erzeugte aber auch eine nie dagewesene Last auf dem Rücken der
physikalischen und biologischen Ressourcen der Biosphäre.
EVOLUTION JENSEITS DES LOGOS
Im späten 20. Jahrhundert hatte die innere Dimension der westlichen
Zivilisation ihre äußere Dimension stabilisiert. Energie- und ressourcen-
intensive Technologien veränderten die Beziehungen der Menschen
zueinander, ebenso wie die Beziehung zur Natur und erzeugten
Bedingungen, welche die westliche Zivilisation nicht länger meistern
konnte. In der industrialisierten Welt entstanden wachsende Klüfte
zwischen Reich und Arm, Stadt- und Landbevölkerung; während in der
sich entwickelnden Welt die Revolution zunehmende Erwartungen
aufgrund unkontrollierten Wechselwettbewerbs versagte, kam es zu einer
Explosion der Bevölkerung. Das System der gesellschaftlichen Ordnung,
dass für das Stadium des Logos charakteristisch war, wurde einem
wachsenden Stress ausgesetzt, mit zunehmender Verletzbarkeit im
politischen und ökonomischen Bereich und zunehmender Gefährdung im
finanziellen Bereich.
Wenn das 20. Jahrhundert ein Maß an Stabilität und Dauer erreichen will,
ist eine weitere Evolution der Zivilisation erforderlich. Die innere
Dimension der gegenwärtigen Gesellschaften muss mit der
unkontrollierten Transformation ihrer äußeren Dimension schritthalten.
Eine kulturelle Transformation muss eintreten, die fähig ist, Welt-
anschauungen zu vermitteln, ebenso wie Werte eine Ethik und
Vehaltensmuster, die für ein Leben in einem globalisierten System
geeignet sind. Ihre Konturen sind schon im Entstehen. Ihre ewigen
Quellen sind die tiefsten Intuitionen der großen Religionen, die
revolutionären Einsichten der neuen Wissenschaften und die emergenten
Werte der Jugend und alternativer Kulturen. Die beiden letzteren (Natur-)
Elemente treten am Rand der Logos-basierten Zivilisation auf: Die
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ersteren am Rand der Mainstream (Natur-)Wissenschaft und die letzteren
am Rand der Mainstream Gesellschaft. Dennoch es gibt keine Sicherheit,
dass sie in die vorherrschende Dimension der Gesellschaft des
21. Jahrhundert hineinwachsen werden. Die Entwicklung der Werte und
Weltanschauungen ist, wie schon gesagt, unbestimmt und führt dazu,
dass das Ergebnis rascher evolutionärer Prozesse zufällig und
unvorhersagbar ist.
Während soziale Beziehungen und Umweltbeziehungen schon dabei sind
sich zu verschieben, treten diese Verschiebungen nicht rasch genug auf.
Die geistige Grundhaltung des Logos, die zunehmend in Frage gestellt
wird, ist immer noch vorherrschend. Dennoch müssen die weichen
Faktoren der sozialen, politischen und ökonomischen Organisation in
Einklang kommen mit den harten Faktoren des technologisch induzierten
Wandels in den Mensch zu Mensch Beziehungen und den Beziehungen der
Menschen zur Natur. Die Weltanschauungen der Menschen, deren Werte
und Ethiken müssen sich ändern und entwickeln, um so die evolutionäre
Veränderung in sie umgebender Welt zu stabilisieren.
Ghandi meinte, dass die Menschen selbst die Änderung sein müßten,
welche sie in der Welt zu sehen wünschten. Sich selbst zu ändern,
bedeutet das Bewusstsein durch das man sich selbst sieht, zu ändern,
ebenso wie die Sicht auf Andere, die Natur und des Universum als Ganzes.
Der Mythos erzeugte ein mythisches Bewusstsein. Der Theos ein
theistisches Bewusstsein. Der Logos brachte das logische Bewusstsein der
westlichen Rationalität, das in der moderne von seinen subjektiven und
Theistischen Elementen entblößt wurde. Und noch eine andere
Veränderung wurde bestimmend. Das Zeitalter das über der Menschheit
heraufdämmert, erfordert ein ganzheitliches Bewusstsein, das fähig ist,
die emergenten, sozialen und ökonomischen Beziehungen zu stabilisieren
und zwar durch Verhaltensformen, die für das Globalisierungsstadium in
der Evolution der menschlichen Gesellschaften passend ist.
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Die Herausforderung des evolutionären Prozesses unserer Zeit besteht
darin, eine zeitgerechte Bifurkation der inneren Dimension der
gegenwärtigen Gesellschaften zu erzeugen: Das ist eine Evolution über
den Logos hinaus in Richtung auf eine Kultur, die wir als Holos
beschreiben.
Das Grundkonzept ist: Evolution
Für die klassische Wissenschaft war die Evolution eingeschränkt auf die
lebendige Welt: Sie war definiert als der Prozess der zur Entstehung neuer
Spezien und biologischer Organismen führt. In den letzten Dekaden wurde
das Konzept der Evolution reinterpretiert als ein breiterer und
grundlegender Prozess. In den 60er Jahren (des 20. Jhdts. wurde durch
die General System Theorie (GST ) gezeigt, das sich Systeme in völlig
verschiedenen Naturbereichen grundlegend ähnlich sich verhalten und in
den 70er und 80er Jahren demonstrierten die Theorie der dissipativen
Systeme (nicht GleichgewichtsThermodynamik und die allgemeine
Evolutionstheorie (GET) dass Systeme in unterschiedlichen Bereichen sich
nicht nur auf ähnliche Weise verhalten, sondern sich auch ähnlich
entwickeln. Die Logik und Dynamik irreversibler Veränderungen erwies
sich als analog zur Natur und zur Geschichte.
Ein wichtiges Element der Gemeinsamkeit zwischen der Evolution in Natur
und Geschichte ist, dass evolutionäre Prozesse, wo immer sie auftreten,
streng(genommen) nicht-linear sind. Ein scheinbar konstanter und
stetiger Veränderungsprozess gabelt sich plötzlich in eine neue Richtung.
Bekannt als Bifurkation tritt diese Nichtlinearität in Disziplinen auf, die so
unterschiedlich sind wie die Nicht-Gleichgewichtsthermodynamik, die
dynamische Systemtheorie, die evolutionäre Biologie und die
Systemökologie. Sie beschreibt die kausal unbestimmte Transformation,
die auftritt, wenn ein komplexes System die Grenzen seiner Stabilität
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erreicht, es wird dann chaotisch ( d.h. seltsame Attraktoren treten in ihren
Phasendarstellungen auf). Als Ergebnis gabelt sich die evolutionäre
Phasenbahn: sie bifurkiert. Das Ergebnis ist entweder die Disintegration
des Systems in seine individuell stabilen Komponenten oder eine rasche
Evolution in Richtung auf eine Art System, das resistent ist gegenüber den
Fluktuationen, welche das ursprüngliche System destabilisierten. Das
System das daraus entsteht, hat wahrscheinlich eine bessere Fähigkeit,
Information zu verarbeiten, ist effizienter in der Benutzung freier Energie,
besitzt eine größere Flexibilität, höhere Strukturkomplexität und
zusätzliche Organisationsebenen. (Figur 1)
Der evolutionäre Prozess der zwischen dynamischer Stabilität und
kritischer Instabilität alterniert, führt zu einem progressiven Aufbau von
Komplexität in der Natur, und zwar vom physikalischen Substratus der
Quarks und der Elementarteilchen über die die Atome der Elemente zu
den Molekülen, die durch einige der Atome gebildet werden und zu den
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Makromolekülen und Zellen die ihrerseits durch einige der Moleküle
gebildet werden. In einem passenden planetarischen Umfeld führt die
Evolution weiter in den biologischen Bereich: Zu lebenden Organismen
(Protozoa und Metazoa), die auf den existierenden makromolekularen und
zellularen Komponenten aufbauen, und schließlich zu den Ökosystemen
führen, die durch diese Systeme gebildet werden. Die soziokulturellen
Systeme, die durch Menschen konstituiert sind, sind Teil dieses
ungeheuren Prozesses einer systemischen Evolution. (Figur 2)
Die Evolution der wechselseitigen Kommunikation soziokultureller
Systeme ist ein komplexer Prozess: Die Menschen beeinflussen ihre
eigene Evolution auf eine Vielfalt unvorhersagbarer Weisen. Trotzdem ist
die menschliche, soziokulturelle Evolution analog zur Evolution der
biologischen Spezies, in so ferne als sie zu mehr und mehr komplexen
Systeme führt, und zwar mit größerer Flexibilität und Informations-
verarbeitungsfähigkeit, zusätzlichen Organisationsebenen und einer
höheren Dichte von freier Energie. Weiters gilt in der Geschichte, wie
ebenso in der Natur die Bifurkationen die stabileren Epochen ablösen.
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In der Zeitspanne der dokumentierte Geschichte wurde soziokulturelle
Bifurkationen ausgelöst durch kriegerische Auseinandersetzungen
/Eroberungen, durch Klima- und Umweltänderung oder durch techno-
logische Innovationen. Die prinzipiellen Innovationen in der Geschichte
waren die Kontrolle des Feuers, die Erfindung des Rades und das „Design”
von fortschrittlicheren und ausgeklügelteren Werkzeugen sowie die
Erfindung von stärkeren Mitteln, um die physikalische Kraft der
menschlichen Muskeln und die Rechenkraft des menschlichen Gehirnes zu
erweitern. Sie ermöglichten es dem Menschen, mehr und mehr ihrer
Umwelt zu transformieren, mehr Energie zu benutzen und Rohmaterialien
und größere und noch größere Gemeinschaften mit wachsender sozialer
Differentation und Arbeitsteilung zu entwickeln.
In den letzten 3. Jahrhunderten wurde unsere Welt geformt durch eine
Reihe von technologischen Innovationen, von unvorhergesehener Macht
und Schnelligkeit beginnend mit der Beherrschung der Dampfkraft und
des Öles und der Erfindung der Massenproduktion für Massenmärkte.
Heute werden wir durch eine andere Innovation erschüttert: die Evolution
der Informations- und Kommunikationstechnologien. Diese „zweite
industrielle Revolution” ist um einige Dimensionen schneller und
mächtiger als es die erste gewesen ist. (Figur 3)
20 (Laszlo_Sv ed.0506)
Die gegenwärtigen Transformationen betreffen alle Aspekte des Lebens
und der Gesellschaft. Sie führt zu einer systemweiten Verschiebung, einer
Markroverschiebung. Ihre Logik folgt einen Vier-Phasen-Muster. Heute
21 (Laszlo_Sv ed.0506)
sind wir in der kritischen Phase 3 und dabei zu entscheiden, von welcher
Art die abschließende Phase 4 sein wird. (Figur 4)
22 (Laszlo_Sv ed.0506)
Die vier Phasen eines Makro-Shift/Makro-Veränderung
1. Die Auslösungs-Phase
Innovationen in den sogenannten „harten” Technologien (Werkzeuge, Maschinen und operationale Systeme) führen zu einer größeren Effizienz in der Manipulation der Natur für menschliche Zwecke.
2. Die Transformations-Phase
Die Innovationen im Bereich harter Technologienverändern soziale Beziehungen und Umweltbeziehungen irreversibel und führen sukzessive zu - einer höheren Ebene der Ressourcenproduktion - einem schnelleren Bevölkerungswachstum - eine größere gesellschaftliche Komplexität und - einen zunehmenden Einfluß/Einwirkungen auf die soziale und die natürliche Umwelt.
3. Die kritische (oder Chaos-Phase) Veränderte soziale Beziehungen und Umweltbeziehungen erzeugen Spannungen und Frustrationen und stellen Werte und Weltanschauungen in Frage, die lange Zeit honoriert wurden, ebenso wie die Ethik und Ambitionen, die mit ihnen assoziiert sind. Die Gesellschaft wird chaotisch im Sinne der Chaostheorie. Der Gesellschaft mangelt es nicht an Ordnung, aber sie zeigt eine subtile Ordnung, die ausserordentlich sensitiv auf Fluktuationen regiert. Die Evolution der vorherrschenden Kultur und des Bewußtseins - - der Art und Weise wie die Werte der Menschen, ihre Ansichten und Ethiken auf Veränderungen reagieren - - – bestimmen das Ergebnis des chaotischen Sprunges des Systemes (der Art und Weise wie sich die Entwicklungs-Phasenbahn gabelt).
4(a). Phase des Zusammenbruches Die Werte, Weltansichten und Ethiken einer kritischen Masse von Menschen in der Gesellschaft sind resistent gegenüber Veränderungen oder ändern sich zu langsam und die etablierten Institutionen sind zu starr um eine zeitgerechte Transformation zu gestatten. Unveränderter Konservatismus in Politik und Zivil- Angelegenheiten führt zu einen nicht-handhabbaren Stress. Die soziale Ordnung ist einer Reihe von internen & externen Krisen ausgesetzt die zu Konflikten und Gewalttätigkeiten ausarten
4(b). Die Phase des Durchbruches
23 (Laszlo_Sv ed.0506)
Die geistigen Einstellung einer kritischen Masse von Menschen entwickelt sich zeitgerecht und verändert die Kultur einer Gesellschaft in Richtung auf einen besser angepassten Modus, während diese Veränderungen Platz greifen, baut sich eine verbesserte soziale Ordnung auf – die beherrscht wird von angepassteren Werten, Weltanschauungen und assoziierten Ethiken. Das soziale System stabilisiert sich selbst: es wird weniger stressorientiert und in gewissem Sinn friedlicher und nachhaltiger.
Wir haben einen kritischen Zeitpunkt in der Geschichte erreicht: sowohl
eine neue Epoche von Barbarei und Terror als auch eine Schwelle für
ein höheres Potential und das Stadium einer sozialen, spirtuellen und
kulturellen Evolution. Wenn wir die Bedrohung durch die
„Gewaltschraube” [Gewalt durch mehr (Gegen-) Gewalt zu bekämpfen]
überwinden können, könnten wir ein Stadium in unserer Evolution
erreichen, das sich vom Stadium des 20. Jahrhunderts so sehr
unterscheidet, wie die Grasländer von den Höhlen und die
Dorfsiedlungen vom Leben in nomadischen Stammesgemeinschaften.
Wir könnten uns aus den national begründeten Industrie-
Gesellschaften herausentwickeln, die zu Beginn der ersten industriellen
Revolution erzeugt wurden und könnten auf ein wechselseitiges,
informationsbasiertes ökonomisches und kulturelles System abzielen,
das den Globus umspannt. Der Weg dieser Evolution ist nicht einfach:
Er ist gepflastert mit Schock und Überraschungen. Die terroristischen
Angriffe vom 11. September 2001 waren ein grosser Schock und
andere – soziale und ökologische Zusammenbrüche und Katastrophen -
- können noch auf uns zukommen.
Wie der Weltgipfel über nachhaltige Entwicklung im August 2002 in
Johannesburg klargemacht hat, gibt es viele Probleme, die erkannt
werden müssen und behandelt werden müssen, wenn eine globale
Katastrophe abgewandt werden soll. Hunderte Millionen von Menschen
sind ohne Arbeit; tausend Millionen oder mehr haben zu niedriges
Einkommen; dreitausend Millionen werden in eine wachsende Armut
gedrängt. Die Kluft zwischen reichen und armen Nationen und zwischen
24 (Laszlo_Sv ed.0506)
reichen und armen Menschen innerhalb der Nationen nimmt immer
noch zu. Obwohl die Weltgemeinschaft von der Gefahr einer
Konfrontation der Supermächte befreit ist, ist sie bedroht durch einen
ökologischen Kolaps. Die nationalen Regierungen geben immer noch
jedes Jahr tausend Milliarden Dollar für Waffen und Militär aus und nur
einen kleinen Bruchteil dieser Summe für den Erhalt einer lebens-
werten Umwelt.
Das Militärisierungsproblem, das Entwicklungsproblem, das ökologische
Problem, das Bevölkerungsproblem und die vielen Probleme, von
Energie und Rohmaterialien werden nicht einfach überwunden durch
die Reduktion der Zahl der ohnehin schon nutzlosegewordenen
nuklearen Sprengköpfe, noch dadurch, dass man politisch verwässerte
Welthandelsabkommen unterzeichnet, ebenso wie über die Welt-
erwärmung, die biologische Diversität und die nachhaltige Entwicklung.
Heute ist mehr nötig als nur Stückwerkhandeln und kurzfristiges
Problemlösen. Es genügt nicht immer noch mehr Blaupausen und
Strategien zu entwickeln, weil die Abwesenheit einer entsprechend
klaren Wahrnehmung/Vorstellung im Bereich der Mehrheit der
Menschen und Gesellschaften kaum mehr erreichen wird als in der
jüngsten Vergangenheit. Was benötigt wird ist ein besseres Problem-
Bewußtsein, eine bessere Wahrnehmung der Probleme als solcher.
Die Menschen bedürfen nicht nur ihrer Vernunft und ihres Intellekts,
sondern aller Fähigkeiten ihres einsichtsvollen und intuitiven Geistes.
Am Ende benötigen wir einen neuen Geist: einen Geist der
nachhaltigen Entwicklung in Richtung auf eine gerechte und menschlich
zufriedenstellend/erfüllende Zukunft.
Das vorherschende Problem ist heute in erster Linie eine
unterentwickelte „Problem-Wahrnehmung”. Das kann man anhand
einer Menge von Einstellungen illustrieren, die, obwohl sie obsolet und
25 (Laszlo_Sv ed.0506)
eigentlich schon gefährlich sind, immer noch die Geisteshaltung der
großen Mehrheit beherrschen.
1. In dieser Welt steht jeder für sich alleine, wobei die Stärksten und mit den meisten Ressourcen berechtigte Privilegien verdienen.
2. Eine „unsichtbare Hand” harmonisiert individuelle und soziale
Interessen, so dass, wenn jeder für sich selbst das meiste herausholt, auch der Gesellschaft davon profitiert.
3. Der beste Wege den Armen und Notleidenden zu helfen, besteht
darin, dass die Reichen noch reicher werden, da sich der Reichtum unweigerlich nach unten fortsetzt und den Niedergetretenen nützt und sie zu einem vernünftigen Status hochhebt (schon John F. Kennedy sagte, „die Flut hebt alle Boote hoch”).
4. Die (Natur-)Wissenschaft kann alle Probleme lösen und alles
offenbaren, was man über die Humanität und die Welt wissen kann.
5. Einzig und allein Fakten zählen; Werte, Präferenzen und
Aspirationen sind lediglich subjektiv und haben daher keinerlei Konsequenzen.
6. Die Art und Weise Fakten aufzudecken besteht darin, sich zu
spezialisieren und dabei über wenige Dinge soviel als möglich zu lernen, sowie den Rest anderen Spezialisten zur Beschäftigung damit zu überlassen.
7. Wenn etwas Profitables entworfen und erzeugt werden kann,
dann soll es auch vermarktet werden, weil es dazu führt, dass es wenigstens einige Menschen glücklich macht und diesen Wohlstand bringt.
8. Wahre Effizienz ist maximale Produktivität für jede einzelne
Maschine, jedes Unternehmen und jeden Menschen.
9. Wir können alles was wir über Menschen zu wissen brauchen/benötigen, aus einer Berechnung der Kosten und des Nutzens und ihrer Aktivitäten und Ressourcen ausrechnen, wobei wir bestenfalls ein paar „Besonderheiten” der jeweiligen Persönlichkeit und des ethnischen Hintergrundes zulassen.
26 (Laszlo_Sv ed.0506)
10. Alle Menschen sind ihrem Land gegenüber verpflichtet und alle Länder (außer den wenigen verbleibenden Kolonien) sind bedingungslos souveräne und unabhängige Nationalstaaten.
11. Der Wohlstand und die Macht des eigenen Landes muss
gesichert werden, egal was das für andere Völker bedeutet, den in dieser Welt steht nicht nur jede Person für sich selbst, sondern auch jedes Land.
12. Wohlstand und politische Macht entscheiden was sein soll;
Ideen dienen hauptsächlich dazu Bücher zu füllen und die eigene Konversation eindrucksvoller zu gestalten.
13. Unsere Verantwortlichkeiten enden mit der Absicherung
unseres eigenen Wohlergehens – dass glücklicherweise auch dem Wohlergehen des eigenen Landes dient; - - und wir sollten die nächste Generation für sich selbst sorgen lassen, so wie das unsere zu tun hatte.
14. Es gibt fast unerschöpfliche Reichtümer auf der Erde, wenn
wir nur mutig sind, unsere eigenen Technologien zu benutzen, um diese Reichtümer zu gewinnen und auf den Markt zu bringen.
15. Das uneingeschränkte freie Marktsystem der Ökonomie und
der politischen Organisation ist dem gesamten Rest höchst überlegen, und sollte von allen Menschen in dieser Welt in ihrem eigenen Interesse angewandt werden.
16. Das menschliche Glück besteht darin, die neuesten fähigsten
und komfortabelsten Produkte zu besitzen.
17. Viele Kinder zu haben spricht für die eigene Fruchtbarkeit und die eigene Erfindungsgabe bei der Unterstützung einer großen Familie.
18. Die Natur und die Umwelt können sehr gut auf sich selbst
aufpassen, trotz der schrillen Aufschreie und Alarmsignale von den „Grünen” und einiger Intellektueller.
19. Die wirklichen Zeichen für Fortschritt sind, größere Städte mit
größeren Bauten, mehr und größere Fabriken, größere und besser mechanisierte Landwirtschaftsbetriebe, mehr und größere Autobahnen, und eine größere Auswahl an Produkten in größeren und noch luxuriöseren Geschäftszentren.
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Diese Glaubensvorstellungen reflektieren in kritischer Weise einen
veralteten Zustand des vorherrschenden Geistes der großen Mehrheit.
Nicht weniger als sieben große Irrtümer kennzeichnen diesen Zustand.
1.Die Neolithische Illusion
2.Mythos von Wettbewerb und Markt
3.Die Ideologie materieller Besitztümer
4.Ungerechtfertigtes Vertrauen in Ordnung durch
Hierarchie
5.Die Unsinnigkeit der westfälischen Ideologie
6.Das Hirngespinst ultimativer Trennung
7.Der Trugschluss der Reversibilität
Ad 1. Die Neolithische Illusion
Die Natur liefert alles was von menschlichen Gemeinschaften benötigt wird
und absorbiert alles, was nicht länger gebraucht wird, und von ihnen
gewünscht wird. Metalle und Mineralien liegen in praktisch
unerschöpflichen Ausmass als gegeben vor; Länder und Wälder
regenerieren durch gekonntes Management, Luft und Wasser reinigen sich
von selbst mit nur ein bisschen Hilfe und Aufmerksamkeit. Die Erde ist
eine fast unendliche Quelle von Ressourcen und eine unendliche
Senkgrube für Abfälle; sie ist effektiv offen und unbegrenzt.
Ad 2. Der Mythos von Wettbewerb und Markt
Die Ökonomie ist eine Arena für Wettbewerb, Reichtum und Nutzen. In
diesem Kampf überleben die Klügsten, Schnellsten und am meisten
Flexiblen und erreichen Dominanz/Vorherrschaft. Die Anderen bleiben auf
der Strecke. Unfairer Wettbewerb ist schlecht, aber fairer Wettbewerb
nützt schließlich jedem – die „unsichtbare Hand” des Marktes verteilt Wert
gleichmäßig auf Konsumenten und Erzeuger.
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Ad 3. Die Ideologie materieller Besitztümer
Der Besitz von materiellen Gütern ist der einzige wahre Nutzen/Vorteil,
den Menschen im Markt erreichen können; die Akkumulation dieser Güter
stellt die Spitze von Erfolg dar. In letzter Konsequenz ist es auch das
Zeichen von sozialen Status.
Ad 4. Ungerechtfertigtes Vertrauen in Ordnung durch Hierarchie
Ordnung kann nur durch Regeln und Gesetze erreicht werden und durch
deren tatsächliche Verstärkung und das erfordert ein zentrales Kommando
das von allen anerkannt und befolgt wird. Einige wenige Menschen an der
Spitze – in erster Linie Männer -- erfinden die Regeln, rechtfertigen die
Gesetze und geben die Befehle, welche die Ordnung sichern. Alle anderen
müssen diese Befehle befolgen, und ihre eigene Verantwortung der
sozialen und politischen Hierarchie annehmen um aufzupassen, dass sie
respektiert werden.
Ad 5. Die Unsinnigkeit der westfälischen Ideologie
Der formal konstituierte Nationalstaat ist die einzige politische
Wirklichkeit; er ist die einzige Entität welche wahre Souveränität besitzt –
wie die gesetzlichen Konventionen, die durch den Westfälischen Frieden
spezifiziert und in Kraft traten. Gruppen und Gemeinschaften innerhalb
des Nationalstaates sind intrinsische Teile ohne eigene Souveränität.
Gruppierungen und Verträge über den Nationalstaat hinaus, selbst wenn
sie durch nationale Regierungen gebildet werden, sind nur temporäre und
pragmatische Maßnahmen, die einen gegebenen Zweck dienen, solange es
im Interesse der Regierungen liegt, die zugestimmt haben.
Ad 6. Das Hirngespinst ultimativer Trennung
Letztendlich sind wir alle getrennte Individuen, eingeschlossen in unsere
Haut die ihre eigenen Interessen verfolgen; wenn alles gesagt und getan
ist, hat jeder nur sich selbst gegenüber Rechenschaft abzulegen.
Manchmal fallen unsere Interessen zusammen mit denen anderer und
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dann vereinigen wir uns darin sie zu verfolgen. Aber diese Verbindungen
sind nur genauso pragmatisch wie die der Nationalstaaten – sie
unterliegen unseren eigenen egoistischen Interessen
Ad 7. Der Trugschluss der Reversibilität
Unsere Probleme sind temporär, sie sind nur ein Zwischenspiel von
Störungen nach denen alles zum Normalfall zurückkehren wird. Alles was
wir tun müssen ist, unsere gegenwärtigen Schwierigkeiten zu managen
und erfolgreiche und getestete Methoden zur Problemlösung anzuwenden
– wenn notwendig auch solche des Krisenmanagements. „Business as
usual” hat sich aus dem „Business as unusual” entwickelt und wird früher
oder später in dieses zurückkehren.
Wenn wir also das nächste Jahrhundert erleben wollen und das große
Abenteuer der Humanität/Menschlichkeit auf diesen Planeten fortführen
wollen, dann müssen wir den Geist, der diese Art von Wahrnehmung
inspiriert, ersetzen durch einen besser angepassten und aktuelleren Geist
(Einstellung). Wir können die Natur nicht unbegrenzt ausbeuten und
abwerten: Wir müssen erkennen, dass wir ein Teil der Umwelt sind, in der
wir leben. Ein uneingeschränkter Wettbewerb unter ungleichen Partnern
wird nur zur Marginalisierung der Armen und Machtlosen durch die
Reichen und Mächtigen führen und zu einer Erschöpfung derjenigen
Ressourcen, von denen das Wettbewerbspiel abhängt. Wenn man
fortfährt, die materiellen Güter und Besitztümer auf das Potest des
persönlichen Ehrgeizes zu stellen, so führt das zu ähnlichen Ergebnissen,
verstärkt durch männlich beherrschte hierarchische Strukturen, welche es
den materiell Begüterten gestatten, noch mehr materielle Güter
anzuhäufen und zwar auf Kosten der weniger Begüterten und der
Mittellosen. Nur den eigenen Nationalstaat als Kernpunkt der Treue
anzusehen, wird zu internationalen Konflikten führen, genauer zu
Konflikten zwischen Nationalstaaten die nur zeitweise und in gefährlicher
Weise durch Abkommen und Allianzen zwischen Regierungen unter
30 (Laszlo_Sv ed.0506)
Kontrolle bzw. in Schach gehalten werden können. Wenn sich die
Individuen selbst als von der sozialen und natürlichen Welt getrennt
ansehen, in der sie ihre Aktivitäten durchführen, dann wird sich ihr
natürlicher Impuls den eigenen Vorteil zu suchen, auf einen kurzsichtigen
Kampf reduzieren, einen Kampf zwischen immer noch ungleichen
Partnern. Und solange die Menschen davon überzeugt sind, dass die
Probleme, mit denen sie konfrontiert sind, nur temporäre Störungen eines
unwandelbaren und vielleicht sogar unveränderlichen „status quo” sind,
solange wird keine Schock- und Krisen-Erfahrung diese Wahrnehmungen
ändern.
Wie kann man solche überholten Denk- und Wahrnehmungsmodi ablegen?
Wie kann man den Sprung zu einem neuen Geist machen, der ein
Individuum in ihrem oder seinem planetarischen Umfeld einschließt. Noch
mehr Warnungen durch eine Handvoll Ökologen und Ökonomen und
weitere Kriegshandlungen, egal in welch guter Absicht, werden nicht
ausreichen. Derartige Versuche, mit lokalen und globalen Problemen
zurechtzukommen, gehören in den Rahmen einer Art von Rationalität, die
nicht länger effektiv ist – nämlich einem Rahmen, nach dem man glaubt,
dass soziale und ökologische Probleme durch Bomben und Unterdrückung
korrigiert werden können und dass es ausreicht darauf zu bestehen, dass
die anderen sich ändern sollten ohne dabei den Willen zu haben sich
selbst zu ändern.
Worum es letztlich geht ist:
Miteinander und nicht gegeneinander zu leben, d.h. auf eine Art und
Weise zu leben, die andere nicht dessen beraubt, ebenfalls leben zu
können. Sich darum zu kümmern was mit den Armen und Machtlosen
passiert, ebenso wie mit der Natur. All das erfordert die Situation zu
erfassen / zu spüren in der wir uns selbst befinden und den Mut zu
entwickeln, das zu tun was notwendig ist. In letzter Konsequenz verlangt
dies nach einem stärkeren Bewusstsein. Ohne dieses neue Bewusstsein
31 (Laszlo_Sv ed.0506)
könnten sich die Chancen für Frieden und Wohlergehen zur
Bedeutungslosigkeit reduzieren. Die Prozesse, welche die globalisierte
Gesellschaft/ das System Natur betonen, würden eine Schockwelle
erzeugen und intensivieren, welche die Zukunft aller Gesellschaften
gefährden würde. Die Entwicklung des menschlichen Geistes und des
Bewußtseins ist die erste lebensnotwendige Ursache, die von der
menschlichen Familie geteilt wird.
Die Antwort auf die Herausforderung der Emergenz eines neuen Geistes,
einer menschlich gesehen vorteilhaften Nachhaltigkeit verlangt nach einer
weiteren Apollo Mission. Diesmal jedoch nicht auf der Ebene der
Technologie, sondern auf der bürgerlichen Gesellschaft. Kreative
Menschen aus allen Lebensbereichen müssen zusammengebracht werden
und ermutigt werden, um ihre Einsichten im Sinne gemeinsamer
menschlicher Interessen umzusetzen.
Die tiefsten Quellbrunnen der menschlichen Motivation müssen mobilisiert
werden: Quellen die immer schon die Kreativität von Künstlern „genährt”
haben, von Schriftstellern, von Männern und Frauen des Geistes. Es ist in
der Kunst, der Literatur und den geistigen Bereichen wo wir nach der
Liebe für und die Solidarität mit unseren Mit-Menschen schauen müssen
und nach der Empathie (den Mitgefühl) mit der Natur, welche wir
brauchen. Wir müssen nach den Einsichten suchen, die über ein
oberflächliches Verständnis und einfache Rhetorik hinausgehen zu einer
Ebene tiefen Fühlens und einer klaren Intuition führen. Künstler,
Schriftsteller und spirituelle Führer und kreative Individuen im verwandten
Bereichen können unsere Augen lehren zu sehen, unsere Ohren zu hören
und unseren Geist dazu bringen die neuen Realitäten aufzunehmen in
ihrer Mannigfaltigkeit, Farben und Dimensionen. Sie können über unsere
Gehirne hinausgehen, um unsere Herzen zu erreichen.
32 (Laszlo_Sv ed.0506)
Viel muss noch getan werden: Die kulturellen Bereiche der bürgerlichen
Gesellschaft sind in Unordnung. Literatur, die Künste und die Religionen
verfolgen unterschiedliche Ziele, Ziele die oft miteinander widerstreiten.
Anstelle einer gegenseitigen Befruchtung der Intuitionen ganzer Kulturen
und Gesellschaften haben wir getrennte Subkulturen, die jede konzentriert
ist auf die eigenen engen Ziele ohne Berücksichtigung der epochalen
Herausforderungen die sie alle konfrontieren. Der vorherrschende Geist
unserer Zeit bleibt fragmentiert und unsere Fähigkeit zur Innovation bleibt
reduziert. Wir sind hart gefordert uns echte Alternativen vorzustellen,
anstelle der Verfolgung der eingefleischten und ausgetretenen Wege,
gerade weil sie krisen-geschüttelt und bösartig geworden sind.
In den meisten Gesellschaften sind menschlicher Geist und Wahrnehmung
ausgesprochen unterentwickelt. Die Art und Weise wie Kinder aufgezogen
werden unterdrückt ihre Fähigkeiten zum Lernen und zur Kreativität. Die
Art und Weise, wie junge Menschen den Kampf ums materielles Überleben
erfahren, führt zu Frustration und Ablehnung. Bei Erwachsenen führt dies
zu einer Reihe von kompensatorischen Sucht- und Zwangs-Verhalten. Das
Ergebnis ist die Andauer von sozialer und politischer Unterdrückung,
ökonomischem Krieg, kultureller Intoleranz, Kriminalität und Vernach-
lässigung der Umwelt. Die Elimination sozialer und ökonomischer Krank-
heiten und Frustrationen verlangt nach einer beträchtlichen sozio-
ökonomischen Entwicklung, was nicht ohne bessere Ausbildung,
Information und Kommunikation möglich ist. Diese aber werden durch das
Fehlen einer sozio-ökonomischen Entwicklung blockiert, so dass ein
Teufelskreis (circulus vitiosus) entsteht: Unter-Entwicklung erzeugt
Frustration und Frustration, indem schädliches Verhalten entsteht,
blockiert Entwicklungen.
Der Teufelskreis muss an seinem empfindlichsten Punkt durchbrochen
werden: nämlich beim kulturellen Wandel, der durch die zielgerichteten
Anstrengungen führender Künstler getrieben wird, durch Schriftsteller und
33 (Laszlo_Sv ed.0506)
durch geistige Führer, die einflussreichsten Agenten des kulturellen
Wandels in der gegenwärtigen Szene. Diese Einsicht ist einer wachsenden
Anzahl von besorgten und vorwärts schauenden Menschen bewusst
geworden. Sie hat unter anderem zur Entstehung des „Clubs von
Budapest” geführt, einer Organisation, die seit ihrer Gründung Ende 1993
hochrangige Künstler, Schriftsteller, sowie Frauen und Männer aus dem
geistigen Bereich aufgerufen hat sich zu vereinigen, und zwar im
Interesse neues Licht zu werfen auf die Probleme und Angelegenheiten,
welche die heutige Menschhheit konfrontieren und zwar in der
vorhersehbaren Zukunft. Der Club, ein Gegenstück zu dem einem Viertel
Jahrhundert alten Club of Rome, unterstützt eine kulturelle Bewegung, um
Menschen zu helfen, den Teufelskreis zu durchbrechen, der ihren Geist
und ihr Bewusstsein unterdrückt und um Antworten zu finden,
Einstellungen zu formen und die Prioritäten festzusetzen, die wir für das
Überleben und die Entwicklung auf einem kleinen und zunehmend
übervölkerten verletzlichen Planet brauchen.