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Die Goßberger Mühle
Zu den ältesten historischen Bauwerken im Striegistal zählt mit
Sicherheit die Mühle in Goßberg. Als die fränkischen Siedler,
die um 1160 hier sesshaft werden und das Dorf gründen, die
größte Not der Anfangszeit überwunden haben, dreht sich sicher
nach kurzer Zeit das erste Mühlrad an der Striegis. Grundherren
der Goßberger und damit auch der Mühle werden die Mönche
des 1162 gestifteten Klosters Marienzelle. In der Stiftungsurkun-
de lesen wir: „.. mit allen Gewässern, Mühlen, Fischereien...“. In
einer Urkunde aus dem Jahre 1185, in der die Grenzen des Klos-
terbesitzes beschrieben werden, wird auch Goßberg genannt, und
ein Schriftstück aus dem Jahre 1510 sagt uns, dass „..Herzog
Georg das Kloster mit einem Gelage vom Kloster hinauf bis zur
Josperger Mühle an der Striegis begabt..“. Die Mühle ist also
bereits ein Begriff. Bis zur Reformation, die in unserer Region
erst nach dem Tode Herzog Georgs des Bärtigen im Jahre 1540
wirksam wird, bleibt diese Zuordnung gültig. Nach Auflösung
der Abtei gehen Dorf und Mühle in das Eigentum des Landesher-
ren über. Der Klosterbesitz wird den kurfürstlichen Gerichtsäm-
tern zugeordnet. So kommen auch Goßberg und die Mühle zum
Amt Nossen. Unmittelbar nach der Reformation gibt es Bestre-
bungen, die ehemaligen Klosterdörfer zumindest teilweise zu
„privatisieren“. Nicht zuletzt soll ja die Auflösung der Klöster
auch in der Kasse des Landesherrn einen positiven Effekt hinter-
lassen. So stimmt Kurfürst August 1553 einem Verkauf der Dör-
fer Langhennersdorf, Oberseifersdorf, Reichenbach, Bräunsdorf,
Goßberg und Mobendorf an den ehemaligen Verwalter und spä-
teren Pächter des Klosters Altzelle, Kilian Schmidt, für 11.208
Gulden zu. Leider hat er übersehen, dass sein in der Schlacht bei
Sievershausen tödlich verwundeter Vorgänger und Bruder Mo-
ritz die Dörfer bereits seinem verdienstvollen Kanzler Dr. Ulrich
Mordeisen versprochen hat. Obwohl darüber noch keine Urkun-
de existiert, gelingt es dem erfahrenen Juristen Mordeisen, den
Landesherrn davon zu überzeugen.
Kleinwaltersdorf – Sitz der Familie Mordeisen
Der Verkauf an Schmidt wird rückgängig gemacht, und er be-
kommt sein Geld zurück. 1555 ist Dr. Mordeisen neuer Eigen-
tümer der sechs genannten Dörfer, dazu noch Besitzer von Groß-
schirma und Waltersdorf. Er zahlt dafür 15.861 Floren (Gulden)
und 8 alte Pfennige. Gleichzeitig erhält er den „Vorkauf“ für
Berbersdorf, Kaltofen und Pappendorf. Insgesamt gehören Dr.
Mordeisen um 1570 fünfzehn Dörfer, ein stattlicher Besitz. Inbe-
griffen sind „Hutungen, Mohlen (Mühlen) und Fischereien“, was
uns nun wieder zur Mühle zurückführt. Als der Kanzler 1572
stirbt, findet er in der Kirche von Kleinwaltersdorf seine letzte
Ruhestätte. Ein Epithaph erinnert noch heute daran. Nun versu-
chen seine drei Söhne, den Besitz wieder an den Landesherrn,
den Kurfürsten August, zu verkaufen. Dieser hält sich aber zu-
nächst bedeckt und lässt erst einmal ermitteln, welche Erträge
aus diesen Dörfern der kurfürstlichen Kasse zufließen würden.
Nicht zuletzt bestimmt das den Kaufpreis. Dass die Mordeisen-
sche Familie also bereits 1572 verkauft hat, was teilweise ge-
schrieben steht, wird zum Beispiel auch dadurch widerlegt, dass
1575 bei der Wahl Paul Schumanns aus Siebenlehn zum Custos
und Gehilfen des Pfarrers und ersten ordentlichen Kinderlehrer
in Pappendorf, der „Gutsschösser und Mordeisensche Verwalter
auf Waltersdorf, Moritz Thumb“, seine Zustimmung erteilen
muss. 1586 stirbt Kurfürst August. Unter seinem Sohn Christian
I. werden 1587 erneut Kaufverhandlungen aufgenommen. Lei-
der kommt es trotzdem noch nicht sofort zur Ausfertigung einer
Kaufurkunde, denn Christian stirbt, erst 31 Jahre alt, im Jahre
1591 an den Folgen seines übermäßigen Alkoholgenusses. So
wird erst im Jahre 1592 durch den zeitweiligen Administrator
oder „Verwalter“ Sachsens – der Thronfolger ist noch nicht voll-
jährig – , den Herzog Friedrich Wilhelm von Weimar, der Er-
werb der Mordeisenschen Besitzungen für 14.000 Gulden ur-
kundlich vollzogen. Goßberg gehört nun auch aktenkundig wie-
der zum kurfürstlichen Gerichtsamt Nossen. Leider wissen wir
nur wenig über die Besitzer der Mühle. Johann Konrad Kauth
berichtet in seiner 1720 erschienenen Chronik über die ehemali-
ge Klosterregion:
„..am 17. Maij 1631 starb in Goßberg im Striegnitz-Thale Mar-
garetha, des Müllers daselbst, Hanß Rüdiger, Tochter von 13
Jahren, und war doch kaum anderthalb Ellen groß, konnte auch
weder gehen, stehen noch reden, ohne Verstand, mit einer gro-
ßen langen Zunge ausm Munde hängend. Ward insgemein vor
einem Wechselbalg gehalten. Dero Mutter aber bekannte, sie
hätte sich an einem Kalbs-Kopffe erschrocken.“
Nach einer Eintragung über seine 1602 erfolgte Eheschließung
mit der aus Berbersdorf kommenden Barbara Tzschuckel ist der
Vater der genannten Margaretha aber der Pappendorfer Müller
Johann (Hanß?) Rüdiger. Es ist nicht belegbar, dass ihm auch die
Goßberger Mühle gehörte. 1619 stirbt er in der Pappendorfer
Mühle. Müller in Goßberg ist nachweislich erst sein Sohn Hans
um 1634, damals 21 Jahre alt. Es ist kaum vorstellbar, dass er
bereits als 18-Jähriger im Jahre 1631, als die Schwester starb,
Besitzer der Goßberger Mühle war. Möglicherweise hat sich
Knauth in der Angabe des Ortes geirrt. Am 11. Mai 1653 er-
scheint vor dem Pappendorfer Richter „Hans Rüdiger, Müller zu
Goßberg“, und erklärt, dass er von seinem Stiefvater Donat
Felgner 150 Gulden erhalten habe und damit auf alle Ansprüche
bezüglich seines Erbes an der Pappendorfer Mühle verzichtet.
Wir wissen nicht genau, wann Rüdiger die Goßberger Mühle
erworben hat. Als 1632 die Truppen des Kroatenobristen Mar-
cus Korpitz im Umfeld von Freiberg fürchterliche Verwüstun-
gen hinterlassen, wird Goßberg sehr hart betroffen. Noch im
Jahre 1653 schreibt der Amtmann des kurfürstlichen Amtes in
Nossen:
„Alldieweil im Jahre 1632 bei derer kayserlichen Einfall unter
dem Croaten-Obristen Corpitz als in dem mir gnädigst anbefoh-
lenen Amte Siebenlehn, Reichenbach und Goßberg gänzlich,
Mobendorf und Riechberg zum Teil, mit Feuer und Schwert
verfolget worden, eingeäschert und ruinieret...“. Sicher wurden
dabei auch die Gebäude der Mühle zerstört.
An anderer Stelle werden die Grausamkeiten der Kroaten eben-
falls dokumentiert, denn über den Kleinwaltersdorfer Pfarrer
Christoph Franke schreibt Wilisch in der Freiberger Kirchen-
chronik, „..dass die über den Commotauer Pass hereingefallenen
Croaten ihn in Stücke zerhauten und seinen Kettenhunden vor-
wurffen.“
Da Goßberg über kein Erbgericht verfügt, wird es einem anderen
Gerichtsbezirk zu Verhandlungen der „einfachen“ Vergehen und
zu Beurkundungen von Kaufangelegenheiten zugeordnet. Kö-
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nigsdörffer schreibt, dass im Jahre 1650 „Goßberg neben Lang-
hennersdorf, Seifersdorf und Reichenbach zum Langhen-
nersdorfer Gericht“ gehört. Hier wird also ausnahmsweise nicht,
wie allgemein üblich, innerhalb des Kirchspieles verhandelt.
1770 erscheint im Kirchenbuch „Anna, die Ehefrau des Erb- und
Eigentumsmüllers Christian Hoyer in Goßberg“ in einer Paten-
schaftsangelegenheit. Da das Einzugsgebiet der Goßberger Müh-
le relativ klein ist – die Nachbardörfer haben eigene Mühlen –
wird das Arbeitsgebiet im Laufe der Jahre immer wieder erwei-
tert. So werden neben der eigentlichen Müllerei noch ein Säge-
gatter und eine Ölmühle betrieben. Der Waldreichtum des Strie-
gistals ermöglicht es dem Müller außerdem, Lohe für die Leder-
herstellung zu produzieren. In Roßwein und Nossen wissen die
Gerber Lohe aus Goßberg zu schätzen. 1791 betreibt der Goß-
berger Müller Johann Gottlob Schmidt „..2 Mahlgänge, von
einer Schrot- und Oelmühle noch 2 Gänge“. Als 1812 die letzten
Reserven mobilisiert werden, um Deutschland von der Napoleo-
nischen Fremdherrschaft zu befreien, steht Sachsen immer noch
treu an der Seite des französischen Kaisers. Auch in Goßberg
werden die Bauern zu vielfältigen Gespanndiensten verpflichtet,
was ihnen in Anbetracht der wenigen noch vorhandenen Pferde
sehr schwer fällt. So bestraft die Gemeinde den Müller mit 2
Talern, da er sich offensichtlich „gedrückt“ hat. Einem Schreiben
des Nossener Amtmannes Ernst Gottfried Freiherr von Odeleben
an die Gemeinde entnehmen wir, dass er sein Geld sofort zurück
erhalten muss, da er „keine Pferde hält“. Auch Gemeindevor-
stände können sich irren. 1814 wird eine Schneidemühle gebaut
und 1816 beginnt mit Johann Gottfried Thümer die Zeit der
Familie Thümer. 1820 besteht die Mühle aus einer „Mahlmühle
aus zwei Gängen, einer Ölmühle mit zwei Pressen und einer
Schneidemühle mit einer Säge. Auch hängt die Schneidmühle
und Ölmühle an einem Rade (Wasserrad).“ Es wird weiter be-
richtet, dass nur etwa sechs Monate volles Wasser vorhanden ist,
während in der übrigen Zeit der Betrieb stark eingeschränkt
verläuft. 1823 lässt Thümer ein Stallgebäude und eine Scheune
bauen. Schließlich gehören zur Mühle etwa 10 Hektar landwirt-
schaftliche Nutzfläche. Als sich der aus Bischofswerda stam-
mende 25jährige Landarzt Dr. Friedrich Theodor Kötteritzsch
nach seiner medizinischen Ausbildung in Dresden im Jahre 1839
einen Ort sucht, an dem er sich niederlassen kann, kommt er
auch nach Goßberg. Da er einigen kranken Bauersleuten „im
Vorbeigehen“ helfen kann, fordern sie ihn zum Bleiben auf. Also
bezieht er das Löfflersche Auszugshaus am Berg, das gerade
nicht bewohnt ist.
Dr. Friedrich Theodor Kötteritzsch nach einer Zeichnung von
Hans Engel
Nach kurzer Zeit verliebt er sich in die Tochter des Müllers Jo-
hann Gottfried Thümer, und bereits am 13. Oktober wird er mit
der „ehrsamen und tugendreichen 18jährigen Jungfrau Christia-
ne Wilhelmine“ in Pappendorf in der Pfarrscheune – das Kir-
chenschiff wird gerade neu gebaut – getraut. Der Müller ist si-
cher stolz auf die „gute Partie“ seiner Tochter und wird bei der
Mitgift nicht geknausert haben, denn 1848 kauft Kötteritzsch in
Pappendorf ein Stück Land und baut darauf ein schönes großes
Haus, das von den Pappendorfern noch lange das Doktorhaus
genannt wird. Die Ehe ist offenbar nicht sehr glücklich, denn die
„treue Rese“ Amalie Therese Busch geb. Hähner, die 12 Jahre
bis zum Tode des Doktors im Doktorhaus in Diensten stand,
erzählt später ihrer Tochter: „Der Doktor hatte ein gutes Herz,
aber die Frau war geizig und der Sohn oft böse“.
Die Familie Busch auf dem „Busch-Berg“ in Pappendorf um
1912:
Von links hintere Reihe: Ida, Hermann, Karl und Therese Busch.
Vorn: Karl, Hilma, Lina und Fritz Busch.
1852 wird nach
dem Tode des
Müllers sein 29
Jahre alter Sohn
Carl Friedrich
August Thümer
neuer Besitzer
der Mühle. Er
erbaut das neue
Wohnhaus mit
Mühle, und
noch heute können wir das über der Haustür nachlesen. Als 1871
Bestrebungen der Amtshauptmannschaft Döbeln bekannt wer-
den, den Weg in Richtung Schmalbach „einzuziehen“, setzen
sich die Goßberger zur Wehr. „In hiesiger Mühle, in welcher
Mahl-, Oel-, Schneide- und Lohmühlenwerke vorhanden sind,
lassen Schmalbacher und Marbacher Gemeindeglieder ihre
Bedürfnisse vorbereiten“. Sie haben Erfolg, der Weg bleibt be-
stehen. Um seinen Mühlenkunden den langen und beschwerli-
chen Weg hinauf zum Gasthof zu ersparen, wenn sie der Durst
plagt, stellt Thümer 1872 den Antrag, öffentlich Bier und
Branntwein ausschenken zu dürfen. Leider lehnt der Gemeinde-
rat ab, da „das Bedürfnis einer zweiten öffentlichen Schankwirt-
schaft nicht vorhanden ist.“
1877 wird Carl Friedrich August Thümer Ortsrichter – und im
gleichen Jahr Schankwirt! Beziehungen waren eben zu allen
Zeiten wichtig. Die Landwirtschaft spielt auch weiterhin in der
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Mühle eine nicht unbedeutende Rolle, denn zur Viehzählung im
Jahre 1881 hat der Müller acht Kühe im Stall stehen. 1890 löst
der 29jährige Sohn August Hermann Thümer den Vater als Mül-
ler ab, doch bereits 1894 wird seine Schwester Auguste als Besit-
zerin genannt. Offensichtlich ist sie ein „spätes Mädchen“. Im
Jahre 1894 heiratet sie den aus Reichenbach bei Waldheim kom-
menden Kaufmann Carl August Otto Jentzsch, der sechs Jahre
jünger ist, als sie. Pfarrer Christian Friedrich Freund schreibt ins
Kirchenbuch:
„Amalie Auguste Thümer, eheliche Tochter des verst. Karl
Friedrich August Thümer, Mühlenbesitzer in Goßberg, und der
Christiane Wilhelmine verwitw. Thümer geb. Laudelei aus Grei-
fendorf, 29 Jahre alt, ledigen Standes und ev. – luth. Konfession.
Otto Jentzsch, ein „Seiteneinsteiger“, hat eine Kaufmannslehre
abgeschlossen und muss die Müllerei erst erlernen, was ihm aber
recht gut gelingt.
Über seiner Ehe steht aber kein guter Stern. Bereits sechs Jahre
später stirbt seine Ehefrau. Um in Goßberg bleiben zu können,
muss Jentzsch die Mühle kaufen, da sie seiner Ehefrau gehörte
und deren Familie, da die Jentzschs keine Kinder haben, erbbe-
rechtigt ist. Als er im Jahre 1900 die fünf Jahre jüngere aus Die-
denhain kommende Josepha Emma geb. Berndt heiratet, beginnt
in der Goßberger Mühle eine gute Zeit. Im gleichen Jahr be-
schließt der Gemeinderat einstimmig, „dass die Bedürfnisfrage
für die Erteilung einer Schankkonzession eindeutig vorliegt.“
Die Goßberger Mühle in den 20er Jahren
Die Goßberger Mühle wird in der folgenden Zeit zu einem sehr
beliebten Ausflugslokal im Tal der Großen Striegis. „Mutter
Jentzsch“ ist durch ihre fürsorgliche und freundliche Art sehr
beliebt. Bei ihr klopft kein hungriger oder durstiger Wanderer
erfolglos an. Es wird berichtet, dass Frau Jentzsch 1920 einen
selbst gebrannten Schnaps für 3 Pfennige verkaufte. Bereits 1909
stehen acht Rinder und ein Pferd im Stall, und ein Glas Milch
von glücklichen Kühen bietet die Wirtin immer gern an. Zum
Antrieb der Mühle wird das Wasser der Striegis und der „Berze“,
wie die Goßberger in gutem Sächsisch sagen, genutzt. In alten
Karten finden wir „Perezbach“, aber auch „Pertzbach“, „Bärze-
Bach“ und „Berndtsbach“. Alle wissen aber, welcher Wasserlauf
damit gemeint ist.
Reichlich Holz ist angeliefert – der Sägemüller hat viel zu tun.
Es ist schon interessant, welches System sich die findigen Goß-
berger Müller ausgedacht hatten. Aus einem 16,5 m breiten
Wehr in der Striegis auf Mobendorfer Flur wird das Wasser über
einen 340 m langen Obergraben in den angestauten Berezbach in
ein 7,5 m breites Wehr dicht bei der Mühle geleitet. Von hier aus
fließt das Wasser beider Flüsse/Bäche direkt zu den Wasserrä-
dern. Im Jahre 1925 sind zwei unterschlächtige Wasserräder von
5,3 m bzw. 4,5 m Durchmesser in Betrieb, die das Mahlwerk und
das Sägegatter antreiben. Die Abhängigkeit vom Wasserangebot
der Striegis ist aber bereits seit 1911 überwunden, da Goßberg an
das Überlandnetz des Elektrizitätsverbandes Gröba angeschlos-
sen ist. Nun können Mühle und Sägegatter kontinuierlich – mal
mit Wasser, mal mit Strom – betrieben werden.
„Wanderübungsstunde“des Posaunenchores in der Goßberger
Mühle. Walter Jentzsch (hintere Reihe 3. von rechts)
Den Jentzschs werden im Laufe der Jahre fünf Kinder geboren –
1905 Friedrich Karl, 1907 Maria, 1913 Liselotte, 1915 Walter
und zum Schluss Johanna. Da Sohn Friedrich Karl 1927 an den
Folgen eines Motorradunfalls stirbt, ist nun Sohn Walter der
designierte Nachfolger seines Vaters als Müller der Goßberger
Mühle. Er bläst im Pappendorfer Posaunenchor und ist mit sei-
ner freundlichen Art überall gern gesehen. Als er 1939 zur
Wehrmacht eingezogen wird, muss der Vater zunächst den Holz-
schnitt einstellen. Doch die Jentzschs verlieren auch den zweiten
Sohn. 1941 fällt Walter bei Kämpfen im Donezbecken in Ruß-
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land. Dem bereits im 71. Lebensjahr stehenden Otto Jentzsch
geht das über seine Kraft. Im Januar 1943 stirbt er in Goßberg.
Nach dem Krieg übernimmt die Tochter Johanna, inzwischen mit
Johann Merting verheiratet, das Anwesen. Sie betreiben die
Landwirtschaft und den Ausschank, und nur gelegentlich wird
noch Schrot als Tierfutter hergestellt. In der Gaststube findet im
Abstand von zwei Wochen eine Arztsprechstunde statt – bei den
schlechten Verkehrsbedingungen in die Stadt für die Goßberger
eine echte Hilfe. 1954 erhalten die Mertings die Genehmigung
für Übernachtungen in einem Fremdenzimmer. Das kommt vie-
len Naturfreunden, die gern im romantischen Striegistal verwei-
len, sehr entgegen. Als um 1960 die Landwirtschaft „sozialis-
tisch“ wird, müssen sich nach langer Gegenwehr auch die Goß-
berger dem ständig größer werdenden Druck beugen. Das führt
schließlich auch zur Schließung der Gastwirtschaft in der Goß-
berger Mühle. Im Jahre 1971 vereinigen sich die LPG der umlie-
genden Dörfer zur LPG „Hermann Matern“ Pappendorf. Für den
neu ins Dorf kommenden Vorsitzenden Dr. Rudolf Bierstedt und
seine Familie wird eine ansprechende Wohnung gesucht. Da der
einzige Sohn der Mertings, Ulrich, Goßberg verlassen hat, ver-
kauft seine Mutter das Mühlengrundstück an die LPG. Nach
entsprechenden Umbauarbeiten zieht die Familie Bierstedt dort
ein – Dr. Rudolf Bierstedt ist der neue „Goßberger Müller“. 1990
steht die Landwirtschaft erneut vor einer gravie-renden Verände-
rung. Die bestehenden LPG werden nach dem in der Bundesre-
publik geltenden Genossenschaftsgesetz in „eingetragene Genos-
senschaften e.G.“ umgewandelt. Die Familie Bierstedt verlässt
Goßberg. Nun steht die Mühle völlig leer. Als nach 1990 der
Rechtsanwalt Klaus Kassow aus Bayern nach Sachsen kommt,
um im Landratsamt Hainichen Hilfe beim Aufbau neuer Struktu-
ren zu leisten, „verliebt“ er sich in das Striegistal und die Goß-
berger Mühle. Er wird ihr neuer Besitzer. Schritt für Schritt re-
konstruiert er die heruntergekommenen Seitengebäude. Da er
seinen ständigen Wohnsitz auch weiterhin in Bayern hat, gehen
die Arbeiten doch nur sehr schleppend voran. Im Jahre 2015 ist
noch kein Ende abzusehen.
Die Scheune entsteht allmählich wieder in alter Schönheit.
Wenn heute Wanderer auf ihrer Tour durch das Striegistal, die zu
allen Jahreszeiten ein erbauliches Erlebnis ist, an der Goßberger
Mühle vorbei kommen, können sie sich leider nicht mehr in der
„Schankwirtschaft von Otto Jentzsch“ stärken.
Die Goßberger Mühle im Winter – „schönes Striegistal“.
Doch Goßberg ist für Ausflügler und Wanderer immer eine gute
Adresse. Wovon weitaus größere Gemeinden nur noch träumen,
das ist in Goßberg noch Wirklichkeit. Wer in der Lage ist, den
„langen Berg“ zu erklimmen, den erwartet in der „Pension Goß-
berg“ mit angeschlossener öffentlicher Gaststätte eine gute
Hausmannskost. Und der „Urlauber im Striegistal“ kann preis-
wert und gut übernachten. Beachten sollte man lediglich, dass
die Wirtsleute montags ihren verdienten Ruhetag haben. Lassen
Sie sich also zu einem Frühlingsspaziergang „an historischer
Stätte“ und zu gemütlicher Einkehr verleiten.
Gaststätte und Pension Goßberg im Jahre 2014
Franz Schubert
Quelle: Striegistal-Bote vom Mai 2015