Post on 31-Mar-2021
Die Verleihung des Dichterpreises der Stadt München für 1935 an Georg Britting
von Katrin Höchtberger
I m Jahre 1936 wurde GeorgBritting rückwirkend für 1935der Literaturpreis der Stadt
München verliehen. Wie es zu dieserVerleihung kam und welche Diskussionen ihr im Literaturbeiratvorausgingen, belegen Akten desKulturamtes im Münchner Stadtarchlv,
Der Münchener Dichterpreis war, alsBritting ihn erhielt, eine relativ neueEinrichtung. Erst 1927 war er - zusammen mit weiteren Preisen für Musikund Bildende Kunst - unter Oberbürgermeister Karl Scharnagl aus demBewußtsein heraus begründet worden,daß München im Begriff war, seinenRang als Kulturhauptstadt immer mehran Berlin zu verlieren. Durch die Stiftung des mit anfangs 3.000,--, ab 1931mit 2.000,-- Reichsmark dotiertenPreises wollte man in München lebende Künstler fördern und so den Abwanderungsprozeß in die Hauptstadtbremsen.Zuständig für die jährlicheVergabedesPreises war der Literaturbeirat, deraußerdem auch Druckkostenzuschüsseund Reisestipendien vergeben konnte.In den Anfangsjahren setzte er sich vorallem aus Schriftstellern zusammen.Gründungsmitglieder waren PeterDörfler, Baron Gumppenberg, ThomasMann, Emil Preetorius, Wilhe1mWeigand, Katharina Godwin und derDirektor der Stadtbibliothek, HansLudwig Held. Die Richtlinien, nachdenen die Beiratsmitglieder ihre Entscheidung trafen, wurden am15.12.1927 vom Stadtrat genehmigt.Über die Voraussetzungen, die diePreisträger erfüllen mußten, heißt es;»1. Der Literaturpreis der Stadt Mün-
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ehen kann nur einem deutschsprachigen Dichter (Lyrik, Drama, Epik) zuerkannt werden, der seit mindestens 5Jahren in München tätig ist und durchseine bisherigen Leistungen die Gewähr für ein fortschreitendes dichterisches Schaffen bietet. Die Höhe desPreises verbietet es, das dichterischeWerkeines fertigen Meisters kröflen ZU
wollen, wie auch andererseits derPreis keineswegs eine Unterstützungfür notleidende Dichter sein soll.2. Da es sich bei der Preiszuteilungnicht um die Beurteilung von einzelnen Bewerbungen oder einzelnen Werken handelt, kommt nur ein Dichter inBetracht, dessen Rufbereits in der zeitgenössischen Literatur begründet ist.Es soll nicht ein bestimmtes Werk, sondern eine dichterische Persönlichkeitausgezeichnet werden.3. Für die Verleihung des Preises istdie weltanschauliche Einstellung desDichters nicht von Belang.«Die Diskussionen des Beirates verliefen in den ersten Jahren sehr heftig,die Protokolle füllen viele Seiten. DiePreisträger seit 1927 waren HansCarossa, Willy Seidel, Josef MagnusWehner, Hans Brandenburg und RuthSchaumann. 1932 wurde der Preisnicht vergeben.Am 6.2.1930 fallt in den Protokollender Literaturbeiratssitzungen erstmalsGeorg Brittings Name, als ihm einReisestipendium zugesprochen wird.Das literarische Resultat bildet das»Kleine Tagebuch einer Fahrt durchBosnien, die Herzegowina, Dalmatien,Montenegro und Albanien im Mai1930«.Bis 1933 hatte sich der Literaturbeiratdurch den Tod oder das Ausscheideneinzelner Mitglieder und die Neu-
bestellung anderer als Ersatz in seinerBesetzung nur geringfügig verändert.Nach der Machtergreifung Hitlerswurde er jedoch im Zuge der Gleichschaltung völlig neu berufen. Zwarwaren nach wie vor einige Mitgliederder alten Zusammensetzung, wie Peter Dörfler, Katharina Godwin undWilhelm Weigand, vertreten, die Hälfte der insgesamt 12 Mitglieder stellten jedoch nun Stadt- und Rechtsräte.den Vorsitz führte Stadtrat Reinhard,der Leiter des Kulturamtes. Die Sitzungsprotokolle nach 1933 fallen imVergleich mit den früheren besondersdurch ihre Kürze auf. Große Diskussionen scheint es nur noch selten gegeben zu haben, oder sie wurden nichtprotokolliert.In der Sitzung des Literaturbeirats am13.10.1933 wird Britting erstmals fürden Dichterpreis vorgeschlagen. Nachder anfänglichen Begrüßung, besonders der neu aufgenommenen Mitglieder Korfiz Holm und Josef MagnusWehner, schlägtzunächst Rechtsrat Dr.Hörburger für den Dichterpreis Stadtrat und NSDAP-Mitglied HansZöberlein vor, der das Buch »DerGlaube an Deutschland« verlaßt hat.Sein Vorschlag findet die Unterstützung von Bürgermeister Dr. Küfnersowie der Stadträte Deisenberger,Flüggen und Reinhard.Weigand, der daraufhin GottfriedKölwel für den Preis vorschlägt, findet keine Zustimmung. Dörfler benennt daraufhin als nächsten GeorgBritting und wird dabei von Wehner,Holm und Preetorius unterstützt. Dienächste Sitzung am 22.11.1933 soll dieEntscheidung zwischen Zöberlein undBritting bringen. Zu diesem Termin erscheinen neun Stimmberechtigte, und
Idas Protokoll vermerkt, daß die Vereinigung von mindestens sieben Stimmen auf einen Namen für die Entscheidung erforderlich ist. Weiter heißt es:»Prof. Weigand erklärt, daß ihn dasBuch Zoberieins 'Der Glaube anDeutschland' sehr gepackt habe. ObZöberlein zu einem großen Dichterheranwächst, mächte er nicht entscheiden. Das Werk ist zweifellos das bedeutendste bis jetzt erschieneneKriegsbuch. Es ist eine künstlerischeTatsachenschilderung.Die Abstimmung ergibt, daß sämtlicheStimmberechtigte für die Preiszuteilung an Zoberletn sind. Diese Preiszuteilung wird in der morgigenHauptausschußsitzung bekanntgegeben.«Erstmals wurde hier die Entscheidungüber die Verleihung des Dichterpreisesnicht mehr aus künstlerischen, sondernrein politischen Erwägungen herausgetroffen, wie der angemeldete Zweifel an Zöberleins künstlerischer Bedeutung eindeutig beweist. Darin liegtnämlich ein klarer Widerspruch zu den1933 noch geltenden, ursprünglichenRichtlinien für die Preisvergabe, nachdenen nur ein Dichter für den Preis inBetracht kam, »dessen Ru/in der zeitgenössischen Literatur bereits begründet ist«.1935 wurden dann auch diese ursprünglichen Richtlinien für die Preisvergabe der neuen politischen Situation angepaßt:»2. Für die Verleihung des Preises istdie weltanschauliche Einstellung desDichters von ausschlaggebender Bedeutung. Für die Zuerkennung kannsowohl ein Dichter in Betracht kommen, dessen Ruf in der zeitgenössischen Literatur bereits fest begründetist, als auch ein solcher; der durch einehervorragende Probe dichterischerBegabung und Gestaltungskraft sich·ausgezeichnet hat.3. Vorschläge über die Zuerkennungdes Preises bereitet jeweils das städt.Kulturamt. Abteilungfür Literatur undTheater, vor. Es steht ihm frei, Vorschläge und Gutachten bedeutenderMünchener Dichter und Schriftstellereinzuholen. Die endgültige Verleihungerfolgt in einer Sitzung des Kulturamtes unter dem Vorsitz des 1. Bürgermeisters.«Erst am 2.4.1936 findet die nächste
Sitzung des Literaturbeirates statt, inder nun rückwirkend die Preise für1934, 1935 und 1936 vergeben werden sollen. Bei der Eröffnung werdendie gemäß den neuen Richtlinien vomKulturamt ausgearbeiteten Vorschlägedem Beirat präsentiert. Es werden für1934 Ziska Luise Dresler-Schember,für 1935 Georg Britting und für 1936Erwin Guido Kolbenheyer als Preisträger vorgeschlagen. Dabei war dieNominierung von Dresler-Schemberhausintem sehr umstritten. In einemGutachten über ihren Balladenbanddurch den Bibliotheksdirektor Dr.Sauter heißt es: »Es ist schade um diekostbare und künstlerisch schöne Ausstattung des Bandes; aber die bibliophile Form der Drucklegung ist auchwieder verständlich, denn jedergesunddenkende Verleger hätte dieseGedichtsammlung abgelehni.« Er kritisiert aufs stärkste die unstimmigenBilder sowie die pathetisch-schwulstige Sprache und kommt zu dem Schluß:»Die Verleihung eines Preises an ZiskaLuise Schember wäre eine Katastrophe und würde der völligen Entwertung des betr. Preises gleichkommen.«Über dieses Gutachten gibt es folgende Notiz von Stadtrat Reinhard(28.3.1936): »Ich schließe mich derMeinung des Herrn Dr. Sauter voll inhaltlich an. Es bestehtjedoch aus zwingenden Gründen die Notwendigkeit,über die Mängel hinwegzusehen undden Literaturpreis 1934 Frau ZiskaLuise Dresler-Schember zu verleihen.«Frau Dresler-Schember ist nämlich dieFrau des Stellvertretenden Reichspressechefs. Gleichzeitig wird aus dieser Notiz deutlich, daß die Abstimmung im Literaturbeirat nur noch eineFormsache darstellte; die Entscheidungen waren schon viel früher gefälltworden, und zwar von Reinhard selbst.Derselbe Dr. Sauter, der DreslerSchembers Balladen so vernichtendkritisiert hatte, hatte die Vorschlagsbegründung für Georg Britting verfaßt,die folgendermaßen lautete: »GeorgBritting stammt aus Regensburg. Anden Ufern des Donaustromes, aufdenWiesen und in den Waldgebirgen seiner Heimat wuchs in ihm die eine Seite seines dichterischen Wesens: einkraftvolles, echtes Naturgefühl. 4 Jahre stand Britting als Offizier an der'Front, von der er schwerbeschädigt
1919 heimkehrte. Das Erlebnis desKrieges formte seine Weltanschauung,das Leben stehtfür ihn unter dem unabänderlich wirkenden, unabwendbaren Schicksal. Schicksal ist für ihn und das ist das Germanische und Große in Brittings Wesen - ein natürliches,göttliches Gesetz, das es gläubig, mutig, trotzig und todesmutig zu ertragengilt. Ein bizarrer Humorfunkelt in denWerken dieses seit Jahren in Münchenlebenden Dichters, den man mit Rechtden Dichter des unsterblichen bayerisehen Barocks genannt hat, ein oftgrimmiger, aber niemals bissiger Humor, der aus dem überlegenen Wissenum Leben und Tod, um die Irrungenund Wirrungen der Menschen, um dieewigen Gesetze des Kosmos stammt.[' ..[Hritting ist kein Dichter der großen Masse. Aber er ist einer der größten Hoffnungen des deutschen Schrifttums. Britting drängt sich niemals' vor;er arbeitet in Stille und Bescheidenheit an seinem Werk, keine Zeile läßter zum Druck gehen, ohne daß sie immer und immer wieder durchgefeilt ist.Er weiß um die Ehrfurcht und denFleiß, die das Wesen wahrer Kunstausmachen [ ...[.«In der auf die Verlesung der Vorschläge folgenden Diskussion meldet sichHans Brandenburg zu Wort, äußertZweifel bezüglich aller drei Anwärterund schlägt von sich aus noch JosefPonten als Preisträger vor. Das Protokoll vermerkt: »Bezüglich BrittingsBedeutung in der deutschen Literaturist Brandenburg skeptisch. Er hält ihnder großen Auszeichnung des Literaturpreises noch nicht für würdig. [' ..JDr. Sauter erwidert aufdiese Einwendungen etwafolgendes: KolbenheyersGröße als Dichter und Denker ist wohlüber jeden Zweifel erhaben. [ ... ]Britting ist unstreitig Deutschlandsgrößter lebender Lyriker [. ..].«Reinhard erklärt daraufhin: »Hinsichtlieb der Verleihung an Kolbenheyer istjede Diskussion überflüssig. An Pontenhabe er allerdings auch gedacht undhatte ihn auch auf die 10 Namen enthaltende erste Vorschlagsliste gesetzt.Er hält aber Britting für bedeutender.Man dürfe auch nicht vergessen, daßdieser 4 Jahre als Offizier an der Frontwar und schwerkriegsbeschädigt ist.«Damit ist die Diskussion in Bezug aufBritting beendet, und letztlich werden
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Aufseiner Reise durch Bosnien,Herzegowina, Dalmatien, Montenegro und
Albanien im Mai 1930, für die er einStipendium der Landeshauptstadt München
erhalten hatte, schrieb GeorgBritting zahlreiche Eindrücke in einem
»Kleinen Tagebuche nieder. Er kaufte auchAnsichtskarten zur Erinnerung. Manche von
ihnen waren in Münchenhergestellt worden.
alle Vorschläge des Kulturamtes vomLiteraturbeirat angenommen. Das Protokoll vermerkt, daß auch Brandenburgsich der allgemeinen Meinung anschließt und seine Einwendungen lediglich als Anregungen betrachtet wissen will.Daß neben der künstlerischen Bedeutung Brittings, für die vor allem Dr.Sauter eintrat, von politischer Seiteauch seine Beteiligung am Ersten Welt-
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Wie die insgesamtelferhaltenen Ansiehiskarten belegen,besuchte GeorgBritting unter anderem Mostat; Skutari, Durazzo und dieBegova-Moschee inSarajevo (untenrechts).
krieg eine ausschlaggebende Rolle beider Preisvergabe spielte, wird hier ganzdeutlich. Sie erleichterte es sicherlich,den Preis für 1935 nach Zöberlein undDresler-Schember wieder an einen literarisch hochwertigen Dichter zu verleihen . Auffallend ist jedoch, daß manin diesem Zusammenhang gerade dasWerk Brittings, in dem der Krieg vielleicht am offensten angesprochenwird, seinen 1932 erschienenen Roman Lebenslaufeines dicken Mannes,
. der Hamlet hieß, mit keinem Wort erwähnte, sondern sich nur auf seineLyrik bezog - und gar nicht anderskonnte, denn im Hamlet-Roman wirdder Krieg nicht heroisiert, sondernentheroisiert; alle an ihm Beteiligtensind seine Opfer. In der offiziellen Begründurig für die Preisvergabe, die indieser Form auch der Presse zugeleitet wurde, heißt es über Britting: »DerLiteraturpreis der Hauptstadt der Bewegungfür i935 wird an den DichterGeorg Britting vor allem in Anerkennung seines lyrischen Schaffens verliehen. Sein Werk, gebo ren aus tieferNaturverbundenheit und geformtdurch das erschütternde Erlebnis desKrieg es, ist nicht nur ein glanzvollesdichterisches Wiederaufleben bayerisehen Barocks, sondern wächst darüber hinaus zu einer Schicksalsdichtung von germanischer Prägung,die von dem Wissen um Leben und Todgetragen und von einem oft grimmi-gen, aber niemals bissigen, echt deutschen Humor durchleuchtet ist.«Die Pressereaktionen beschränken sichim Wesentlichen auf eine verkürzteWiedergabe dieses Inhalts, lediglichder Artikel von Karl Ude aus dem»Abendblatt« vom 9. April 1936 fälltetwas heraus, wenn er in einigen Zeilen auf die Kluft zwischen KunstDichtung und dem »deutschen Men~sehen unserer Zeit « anspielt: »GeorgBritting ist einer, der bisher still seinen Weg gegangen ist. Er hat in seinem Schaffen nie zu Tagesfragen Stell~ng genommen, er hat einen, irgendeinen Stoff aufgegriffen und leidenschaftlich mit ihm gerungen, bis er ineine klare gültige Form gebannt war.Georg Britting war nur Künstler, nurDichter, nichts anderes. Daß er dennoch zu den deutschen Menschen unserer Zeit zu sprechen weiß, und ihnenetwas zu sagen hat, beweist die Tatsa-
ehe, daß die Stadt München ihn würdig hielt, den Dichterpreisfür das Jahr1935 zu empfangen {...[,«In den Akten findet sich keine direkteReaktion Brittings auf die Preisvergabe. Es existiert lediglich ein Schreibenaus dem Jahr 1937, in dem er sehrknapp auf die Anfrage des Kulturamtesnach einem Foto antwortet, das zusammen mit den anderen Preisträgern inder Monacensia-Abteilung der Stadtbibliothek angebracht werden soll:»Sehr geehrter Herr Reinhard, gerneschicke ich ihnen die gewünschte Photographie. Mit Heil Hitler! Ihr sehr ergebener Georg Britting. «Georg Britting dürfte von allenDichterpreisträgern der Zwanziger undDreißiger Jahre derjenige sein, der mitseinen Werken auch heute noch diemeisten Leser anspricht. Nur die politisch notwendige WürdigungZöberleins hat die Dichterpreisverleihung an ihn 1933 verhindert. 1935 bot sie dann die Möglichkeit, das literarische Niveau des Preises wieder etwas zu festigen , so daßman fast behaupten kann, der Preishabe eher durch die Verleihung anBritting gewonnen als Britting durchdie Verleihung des Preises.
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