Einen 100. Kongress gibt es wirklich nur einmal da sollte ... · „Einen 100. Kongress gibt es...

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„Einen 100. Kongress gibt es wirklich nur einmal – da sollte man dabei sein!“

Interview mit Professor Michael Forsting, Kongresspräsident des 100. Röntgenkongressesder Deutschen Röntgengesellschaft in Leipzig

Vom 29. Mai bis 1. Juni 2019 findet inLeipzig zum 100. Mal der Röntgenkon-gress der Deutschen Röntgengesell-schaft (DRG) statt. Einer der drei Kon-gresspräsidenten ist Professor Dr.med. Michael Forsting, Direktor derUniversitätsradiologie Essen. Im Inter-view spricht er über das Kongressthe-ma „Radiologie 4.0“ und die Bedeu-tung der Digitalisierung für das Fach.In seinem Essay spannt Professor Fors-ting den Bogen von der Künstlichen In-telligenz in der Radiologie visionärweiter – hin zu Zentren für Super-Diag-nostics: eine Ermutigung, künftigeTechnologien aktiv mitzugestalten.

Das Motto des 100. Röntgenkongresseslautet „Einheit in Vielfalt“ – worauf zieltes ab?

„Einheit in Vielfalt“ soll zeigen, wie vielsei-tig die Radiologie ist. Wir drei Präsidentenstehen für drei unterschiedliche Schwer-punkte in der Radiologie: Herr ProfessorHeindel ist Allgemeinradiologe, Frau Pro-fessor Staatz ist Kinderradiologin und ichbin Neuroradiologe. Wir gehören abertrotzdem alle einem Fach an. In den ver-gangenen 40 Jahren wurde häufiger disku-tiert, dass man die Radiologie komplettzerschlagen und eine reine Organradiolo-gie aufbauen sollte. Diese Diskussion hatsich wieder beruhigt, sodass wir das Motto„Einheit in Vielfalt“ gewählt haben.

Welchen der fachlichen Schwerpunkte ha-ben Sie als Kongresspräsident geprägt?

Ich bin Neuroradiologe, habe aber nicht dasGehirn zum Schwerpunkt gemacht, son-dern mit dem Thema „Radiologie 4.0“ aufdie Digitalisierung der Radiologie fokus-siert. Mit Digitalisierung meine ich die Mög-lichkeit, mit den uns vorliegenden Datenbessere Diagnosen zu stellen, wenn wir bei-spielsweise künstliche Intelligenz (KI) zurHilfe nehmen.

Warum sollten Ihre Kollegen sich auf denWeg nach Leipzig machen?

Einen 100. Kongress gibt es wirklich nureinmal, und da sollte man dabei sein.Wenn die Röntgenstrahlen schon inDeutschland entdeckt worden sind undwir es als erste nationale Gesellschaft fürRadiologie schaffen, einen 100. Kongressauf die Beine zu stellen – also ich würdeda nicht fehlen wollen!

Worauf freuen Sie sich besonders beidiesem Kongress?

Ich freue mich auf die Highlights, die wirPräsidenten in den einzelnen Schwerpunk-ten und Eröffnungsvorträgen gesetzt ha-ben. Ich hoffe, dass viele Chefs ihre jungenKolleginnen und Kollegen für die eine Wo-che freistellen, damit sie die Gelegenheithaben, nach Leipzig zu kommen – denndas Weiterbildungsprogramm ist schonziemlich gut. Und dann gibt es bei jedemKongress ja auch gesellschaftliche Er-eignisse. Beim 100. Kongress haben wiruns gedacht, wir feiern jetzt einmal mit7000 Leuten – das hat es so noch nichtgegeben.

In Ihrem Schwerpunkt „Radiologie 4.0“wird es um das Thema KI, KünstlicheIntelligenz, gehen.Was verstehen Sie da-runter?

DasWort „Künstliche Intelligenz“ ist in denzurückliegenden zwei bis drei Jahren einhäufig verwendetes Schlagwort gewor-den. Es steht letztlich für eine ziemlichheterogene Gruppe von Algorithmen, diein der Lage sind zu lernen. In der Radiolo-gie setzen wir sehr viel Software ein. Bis-lang wird diese Software programmiertbeziehungsweise modelliert: Wir müssenmathematische Formeln finden, um be-stimmte Dinge zu beschreiben. Die KI-Al-gorithmen hingegen werden am Ergebnistrainiert. Wir zeigen einem KI-Algorithmuszum Beispiel eine Mammografie undsagen ihm: Das ist ein Mammakarzinom,ein Brustkrebs. Den Vorgang wiederholen

wir mit etwa 1000 Bildern. Dann hat dieserAlgorithmus eigenständig gelernt, wie einsolches Mammakarzinom aussieht. Fürviele mag das eine seltsame Vorstellungsein, funktioniert aber extrem gut. Der Er-folg von KI in desr Radiologie hängt davonab, wie valide die Daten sind, die vorlie-gen, um Algorithmen zu trainieren. ImMoment haben wir die Situation, dass diegroßen Internetplayer wie Google, Ama-zon oder Apple zwar über Algorithmenverfügen, nicht aber über radiologischeDaten. Deshalb wollen wir im Lauf desKongresses auch herausfinden, was wir Ra-diologen beim Thema KI selbst entwickelnund auf den Weg bringen können.

Welche Rolle spielt der Datenschutz da-bei?

Datenschutz ist insgesamt ein wichtigesThema in Deutschland und Europa. Aber esgilt: Wir haben bei KI kein Datenschutzpro-blem, solange wir unsere radiologischenDaten nicht an Apple, Amazon oder Googleverkaufen. Wenn eine radiologische Abtei-lung selbst Algorithmen trainiert, diesedann intelligent werden und ein Mamma-karzinom erkennen können, sind am Endegar keine Patientendaten mehr enthalten.Das Problem Datenschutz entfällt somit.

Was kommt auf die Radiologen mit demEinsatz von KI zu? Müssen sie sich sehrumstellen?

Die Angst der Radiologen vor einer Ab-schaffung der Radiologie ist völlig irratio-

Prof. Dr. med. Michael Forsting

100. Deutscher Röntgenkongress

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nal. Das Gegenteil ist der Fall: Wir werdennoch besser. Wenn man ganz allgemeinsagen würde, wir geben dem RadiologenWerkzeuge an die Hand, damit er besserund schneller wird, wäre Angst gar keinThema. Nur weil man jetzt über KünstlicheIntelligenz diskutiert, die ihn besser undschneller macht, fangen einige an zu zit-tern. Das ergibt natürlich keinen Sinn.Man kann KI in der Radiologie mit dem Au-topiloten im Airbus vergleichen. Natürlichwaren Piloten vor seiner Erfindung in Not-situationen stärker gefordert. Trotzdemkann man sich ja nicht vorstellen, dassheute ein Flugzeug ohne Piloten ausFleisch und Blut fliegt – auf den Plausibili-tätscheck durch Menschenverstand möch-te man nicht verzichten. So ähnlich wird essich auch in der Radiologie verhalten. Manwird nicht alle Krankheiten mit KI diagnos-tizieren können, aber man wird mit KI inder Diagnostik besser werden und Krank-heiten besser verstehen. Ich glaube, dassdie sprechende Medizin durch KI ganzanders herausgefordert wird, weil inder sprechenden Medizin mehr Fehlermöglich sind. Wenn ein radiologischesBild entsteht und einen Tumor in der Lebermit 3,5 Zentimetern Größe zeigt, dannwird es sich schon um einen Tumor von3,5 Zentimetern Größe handeln. Die Tat-sache, dass da ein Tumor ist, wird mannicht infrage stellen. Wenn jemand hinge-gen mit Rückenschmerzen zum Allge-meinarzt geht, ist es eher zweifelhaft, obder Allgemeinarzt am Ende eine Depressi-on diagnostiziert. Das wird mit KI künftigsehr viel sicherer gehen. Es gibt bereits Al-gorithmen, die anhand einer Stimme ana-lysieren können, ob jemand depressiv ist.Das ist auch gar nicht verwunderlich, weilein guter Psychiater das auch macht. Also:Uns Radiologen wird es weiterhin geben.

Welche Anwendungen von intelligenterSoftware gibt es bereits im klinischenAlltag?

Es gibt ja in der Radiologie durchaus auchlangweilige Tätigkeiten, zum Beispiel dasBestimmen des Knochenalters bei kindli-chen Entwicklungsstörungen. Daran hatniemand wirklich Freude. Es gibt bereits Li-zenzmodelle, mit deren Hilfe ein Compu-ter das analysiert. Natürlich schaut mannoch einmal darauf, um nicht etwa zuübersehen, dass die Hand gebrochen ist.

Das kann dieser Algorithmus nämlich nichterkennen. Aber man muss nicht mehr di-cke Bücher wälzen, um herauszufinden,wie alt der Knochen tatsächlich ist. Ähnli-che Algorithmen gibt es auch schon fürSchlaganfalldiagnostik und für die Mam-mografie. Das sind kommerzielle Produk-te, für die die amerikanische Regulierungs-behörde Food and Drug Administration(FDA) ein Standardverfahren (StandardOperating Procedure, kurz: SOP) entwi-ckelt hat, mit dem man solche Softwarelö-sungen zulassen kann.

Wir haben jetzt viele Vorteile von KI-An-wendungen gehört. Gibt es auch Nach-teile?

Alles hat Vor- und Nachteile. Man könnteauch über die Nachteile der Magnetreso-nanztomografie nachdenken: Die Untersu-chungszeiten sind etwas länger, man mussin einem Tunnel liegen… Das stimmt alles,aber gemessen an den Vorteilen ist daskein Nachteil. Wenn man über Softwarelö-sungen mit KI nachdenkt, könnte einemeinfallen: Der Radiologe lernt gar nichtmehr, das Knochenalter zu bestimmen,weil das immer die Software macht. Dasstimmt, aber als ich studiert habe, mussteman auch noch den Herzfehler mit einemStethoskop erkennen. Das muss heute kei-ner mehr, weil man inzwischen weiß, dassdabei eine Menge falsch war. Ist es jetztein Nachteil, dass ein Arzt heute kein Ste-thoskop mehr benutzt? Ich glaube nicht.Aber es wird sicher sehr schlaue Menschengeben, die einen Nachteil finden.

Kann es Fehldiagnosen geben?

Es wird immer Fehldiagnosen geben. Denndie Annahme, dass ein Bild immer nurganz spezifisch für eine Krankheit stehenmuss, ist falsch. Manchmal weiß man nichtgenau, ob das Bild wirklich nur eine Erkran-kung oder nicht vielleicht doch zwei oderdrei Erkrankungen zeigt. Das ist wie mitHusten. Sie können husten, weil Sie sichgerade verschluckt haben, oder weil Sieunter einer Viruserkrankung oder einemLungentumor leiden. Insofern können Sieauch mit dem Symptom Husten nicht im-mer auf nur eine Erkrankung schließen.Genauso verhält es sich mit dem Bild.Algorithmen sind immer nur so gut wiedie Daten, mit denen sie trainiert werden.

Und wenn in den Daten ein Fehler steckt,dann hat dieser Algorithmus automatischauch einen Fehler. Am Ende wird es aberso sein, dass die Algorithmen weniger Feh-ler machen als die Menschen – und genaudas ist der wesentliche Vorteil. Wenn einselbstfahrendes Auto in Kalifornien einKaninchen überfahren hat, dann steht dasheute auf der Titelseite. Würde man dasbei jedem Unfall machen, der durchmenschliches Versagen entstanden ist,wäre die tägliche Ausgabe der Tageszei-tung mehrbändig. Man muss schon richtigskalieren und prüfen: Wie viele Fehler ma-chen wir als Radiologen, und wie viele Feh-ler macht die Maschine?

Wird sich das Arzt-Patienten-Verhältnisverändern, wenn solche Werkzeuge ein-gesetzt werden?

Das Arzt-Patienten-Verhältnis hat sich inder Radiologie durch die Einführung derComputer- oder der Magnetresonanzto-mografie auch nicht verändert. Im Gegen-teil, vielleicht hat der Patient sogar mehrVertrauen zu uns gewonnen, weil ermerkt, dass wir schneller und besser ge-worden sind. Aber natürlich diskutiertman darüber: Wird Medizin unmenschli-cher, wenn Computer die Diagnose über-nehmen? Man muss sich aber auch die Fra-ge stellen: Was wollen wir denn eigentlichals Patienten? Doch möglichst schnell einerichtige Diagnose. Es hilft uns überhauptnicht, wenn ein äußerst empathischerArzt nach 48 Stunden Überlegen einefalsche Diagnose stellt. Dann kommt esnatürlich auch darauf an, wie man demPatienten erklärt, wie krank er ist oderdass er vielleicht auch gar nicht krank ist.Aber die Tatsache, dass wir schneller undbesser in unserer Diagnose werden, wirddas Arzt-Patienten-Verhältnis eigentlichnur verbessern können.

Wohin wird sich die Radiologie entwi-ckeln?

Die diagnostischen Fächer müssen sich ge-nau überlegen, wohin sie sich entwickelnwollen. Dazu zählen Radiologie, Nuklear-medizin, Pathologie und genau genom-men auch alle Laborfächer sowie die Ge-netik. In diesen Fächern werden schnellviele Daten digital vorliegen. Da müssenwir uns fragen: Wie wollen wir in Zukunft

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kooperieren? Ich sage nicht, dass man dieFächergrenzen aufbrechen muss. Aber ichglaube schon, dass es Plattformen gebensollte, die alle Befunde so integrieren,dass man am Ende sehr individualisiert zueiner Diagnose kommt. Das ist bei Tumo-ren heute fast schon üblich. Man machtTumorboards, an denen nicht nur derRadiologe teilnimmt, sondern auch der

Genetiker, der Pathologe und so weiter,weil es auf die Gesamtheit der Befundeankommt. Und wir Radiologen sind einegroße Berufsgruppe, wir könnten uns aufden Fahrersitz setzen, um eine Antwort zufinden auf die Frage: Wie erhalten wir eineIntegration aller Befunde? Auch darüberwerden wir auf dem 100. Röntgenkon-gress sprechen.

Der 100. Deutsche Röntgenkongress

findet vom 29. Mai bis 1. Juni 2019

im Congress Center Leipzig statt.

Weitere Informationen unter https://

www.roentgenkongress.de

Einen Kurzfilm mit dem Kongressprä-

sidenten Professor Dr. med. Michael

Forsting finden Sie online unter

https://youtu.be/FPQRFCRM5Jg

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100. Deutscher Röntgenkongress

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