Post on 05-Apr-2015
Förderliche Leistungsbewertung
Individuelle Lernfortschrittdiagnosen unter Berücksichtigung besonderer
Bedürfnisse, Interessen und Begabungen
Thomas Stern, IUS-IFF Wien, IMST
Marie Marcks
Einige Forschungsergebnisse… über Rückwirkungen des Prüfens auf das Lernen
Dilemma der Leistungsbewertung… zwischen Lernförderung und „Aussieben“ …
Förderliche Prüfungskultur… zur Unterstützung des Lernens
Qualitätskriterien… für eine faire Leistungsbewertung
Ü b e r b l i c k
A. Einige Forschungsergebnisse
Wie wirken sich Prüfungen auf die Leistungsbereitschaft aus?
Wie wirken sich Prüfungen auf die Leistungsbereitschaft aus?
(Broadfoot 1998, Harlan/Deakin Crick 2002 …)
ENDPRÜFUNGEN (SUMMATIVE BEWERTUNGEN) haben schwer wiegende Rückwirkungen auf das Lernen, u.a.
- „learning and teaching to the test“, - geringere intrinsische Motivation, - minimalistische Lernstrategien (inkl. Bluffen & Mogeln),- Prüfungsangst und kleineres Selbstwertgefühl,
v.a. bei lernschwachen S/S
Forschungen zeigen: Leistungsbewertung kann kontraproduktiv sein und das Lernen behindern.
Wie wirken sich Prüfungen auf die Leistungsbereitschaft aus?
(Black/Wiliam 1998: Metastudie “Inside the Black Box“)
LERNDIAGNOSE (FORMATIVE BEWERTUNG) und kontinuierliches Feedback führen zu höherer Motivation, mehr Freude und besseren Erfolgen beim Lernen
- auch bei lernschwachen S/S, - insbesondere wenn auch Partner- und Selbsteinschätzung einbezogen wird
Forschungen zeigen aber auch: Leistungsbewertung kann das Lernen wirkungsvoll unterstützen!
"Assessment for learning" (www.assessment-reform-group.org)
Zwei Arten von PrüfungenZwei Funktionen von Leistungsbewertung
Kontrollieren, ob bestimmte - Leistungsniveaus erreicht- und Normen erfüllt sind
Sondieren nach- Begabungen- und Lernpotenzialen
…. um das individuelle Lernen zu verbessern
…. und um den Unterricht darauf abzustimmen
…. um einzustufen oder auszusondern
„Was hat der Prüfling schon gelernt, wo hat er noch Schwierigkeiten?“
FORMATIVE BEWERTUNGLERNDIAGNOSE
Während der Lernphase
Prozessorientiert
Möglichkeiten zum Nachbessern
Anerkennend, anspornend
Fehler ok
Z.B. verbunden mit Förderangebot
Fehldiagnose: Leistungs-schwäche bleibt unerkannt:Lernförderung unterbleibt.
Formative und summative Bewertungen Lern- und Leistungsdiagnosen
„Was ist beim Prüfling hängen geblieben?“
SUMMATIVE BEWERTUNGLEISTUNGSDIAGNOSE
Am Ende der Lernphase
Ergebnisorientiert
Endgültig
Neutral
Fehler unerwünscht
Z.B. verbunden mit Berechtigung
Fehldiagnose: Negative Beurteilung trotz guter Kenntnisse:
Lebenschancen werden verbaut.
(© Saul Steinberg)
B. Dilemma der Leistungsbewertung
… zwischen Lernförderung und „Aussieben“ …
Funktionen der Leistungsbewertung
Dilemma Spannungsfelder
Wofür Prüfungen?Prüfungen/Tests = Grundlage für Leistungsbewertungen
Leistungsbewertung kann mehrere Funktionen haben (Kleber 1992)
• Rückmeldungen für Schüler/innen Lernziele erreicht?
• Rückmeldungen für die Lehrperson Unterrichtsqualität? Förderungsbedarf?
• Lernsituation / Sozialisation Lernen aus Fehlern? Gelegenheit zur Bewährung?
• Selektion Berechtigungen, Chancen für Karriere und sozialen Aufstieg
• Disziplinierung „Leistungsdruck“
• Rechenschaftslegung / Accountability Evaluation von Schulen (z.B. USA: NCLB)
Assessment Standards NCTM 1995:
„Leistungsbewertung sollte das Lernen unterstützen und Lehrer/innen wie Schüler/innen brauchbare Informationen liefern“
Dilemma der Leistungsbewertung (Ingenkamp 1997)
Zwei konträre Aufgaben: Erteilung von Qualifikationen und/oder Verbesserung des Lernens.
„ ... verhängnisvoll ... , dass die Erteilung von Qualifikationen und Berechtigungen überwiegend der Schule übertragen wurde und dort
alle anderen diagnostischen Aufgaben überlagert hat.“
Ausweg aus dem Dilemma?
Schülerleistungen können verglichen werden
• mit der Gruppendurchschnittsleistung (Sozialnorm)
• mit den Lernzielerwartungen (Kriterialnorm)
• oder mit dem eigenen früheren Leistungsstand (Individualnorm)
Individuelle Lernfortschrittsdiagnose
+ ist ermutigend auf allen Leistungsniveaus+ anerkennt besondere Begabungen+ berücksichtigt unterschiedliche Lernvoraussetzungen+ drückt positive Leistungserwartungen aus- verzichtet auf Vergleiche mit Leistungen anderer
Förderliche Leistungsbewertung unterstützt autonomes/selbstreguliertes Lernen
Unterstützung
Selbst- und Partnerein-schätzung
Individuelles Feedback & Lernanregungen, Förderangebote
Erkennen von Stärken & Lern-potenzialen
Formen des Umgangs mit Heterogenität(Wikipaedia: „Inklusion“)
„Inklusion impliziert die aktive Bekämpfung von Exklusion.Inklusion ist ein unaufhörliche Prozess.“ (Ainscow 2006)
„Was für S/S mit sonderpädagogischem Förderbedarf hilfreich ist, kommt allen S/S zugute.“ (Meijer 2003)
Besondere Umsetzungsprobleme in D & Ö (Werning 2008):
- Keine Gesamtschule(Fiktion der homogenen Lerngruppe)
- Strukturelle Selektivität des Schulsystems (Sitzenbleiben, Umstufung, Versetzung)
- Diskussion um Outcome-Steuerung und Standards (Tests nach normativen Vorgaben Leistungsdruck)
Visionen und ihre Realisierung
Diskussion (zu zweit oder zu dritt)
Welche Chancen sehe ich in der Schulpraxis für förderliche (formative, individualisierte,
inklusive) Leistungsbewertung?
Welche Probleme sind damit verbunden?
C. Förderliche Prüfungskultur
Wie kann Leistungsbewertung das Lernen unterstützen?
Suche nach Stärken/Talenten Verwendung vielfältiger Methoden
Ermutigendes Feedback Selbst- und Partnereinschätzung
Varianten bei den „klassischen“ Instrumenten der Leistungsfeststellung
SCHULARBEITEN UND TESTS (<50%), MÜNDLICHE PRÜFUNG (keine „Entscheidungsprüfung“!), MÜNDLICHE / PRAKTISCHE ÜBUNGEN
- Vielfältige Aufgabenformate (Fehlersuche, „umgekehrte Fragen“, ... )
- Wahlmöglichkeiten zwischen Themen / Fragestellungen
- Eigenständige Leistungsnachweise (z.B. selbst gewählte Prüfungs-aufgaben; Portfolio mit individuellen Interessensschwerpunkten)
- Eigene Meinungen formulieren und begründen
- Chancen zum Nachbessern („2-Phasen-Arbeit“, Fehleranalyse)
„MITARBEIT“ (> 30% der Gesamtbewertung; aktive Unterrichtsbeiträge!)
- Stundenwiederholung, -vorbereitung, -mitgestaltung
- Interaktive Lernarrangements: „Gruppenpuzzle“, „Chef für 1 Aufgabe“
Nachbearbeitung von Klassenarbeiten: „Fehleranalyse“
Aus deinen Fehlern kannst du lernen!
1. Welchen Fehler hast du in deiner schriftlichen Arbeit gemacht?
2. Wie ist es zu diesem Fehler gekommen? Was steckt dahinter? Missverständnis? Wissenslücke?
3. Welche Antwort/Lösung/Formulierung wäre besser gewesen? Erkläre warum!
4. Zeige an einem ähnlichen Beispiel, dass du‘s jetzt kannst!
Mit einer sorgfältigen Fehleranalyse kannst du
dein Ergebnis nachträglich um eine Stufe verbessern.
Ampel-Feedback
Die Schüler/innen signalisieren mit den Ampelfarben
grün – gelb – rot, ob sie alles / teilweise / nichts
verstanden haben.
Wochenrückblick(www.qis.at)
Diese Woche hatte ich mir vorgenommen, zu lernen ...
Ich habe gelernt ...
Am meisten hat mir gefallen ...
Ich hätte gerne ... Ich brauche jetzt ...
Als nächstes werde ich ...
Ähnlich (inhaltlich identisch) Schratz/Iby/Radnitzky 2000: 134
Partnerbewertung (≠ gegenseitiges Benoten!)
„Zwei Sterne und ein Wunsch“
Was war an der Arbeit deines Partners / deiner Partnerin besonders gelungen?
Achtung
Was könnte er / sie beim nächsten Mal besser machen?
Was ist dir noch aufgefallen? Was könntest du empfehlen?
D. Qualitätskriterien für die Leistungsbewertung
Was kennzeichnet eine gute Leistungsbewertung?
3 „klassische“ Gütekriterien NCTM-Standards
Folgenreiche Fehldiagnosen
• PISA-2000-Deutschland: Anteil der 15-Jährigen mit schwachen oder sehr schwachen Lesefähigkeiten 23% (!!) (Finnland: 7%) Zusatzstudie MPI-Berlin (Baumert 2001): Befragung der Lehrer/innen dieser Schüler/innen: 90% der Leseschwächen blieben unerkannt
• KESS4-Studie Hamburg (Bos & Pietsch 2004): Untersuchung an Grundschulen der „Kompetenzen und Einstellungen von Schüler/innen – Jahrgangsstufe 4“ mit Leistungstests und Kontextfragebögen und Vergleich mit Lehrerurteilen. Ergebnis: Schullaufbahnempfehlung Gymnasium für ein Kind aus oberen Schichten 3-mal so groß wie für ein Kind aus einer Arbeiterfamilie bei gleichen kognitiven Grundfähigkeiten.
Drei „klassische“ Gütekriterien für die Leistungsbewertung
• Objektivität
Unabhängigkeit von der bewertenden Person
• Verlässlichkeit
Präzision, Trennschärfe, minimaler Messfehler
• Validität
Gemessen wird das, was gemessen werden soll
Was ist eine „faire Leistungsbewertung“? (NCTM 1995, NSES 1996)
Faire Leistungsbewertung
• macht deutlich, was wichtig ist
• fördert das Lernen
• trägt zur Chancen- gerechtigkeit bei
• ist schlüssig
• ist ein offener Prozess
• ist kohärent (auf lang- fristige Bildungsziele abgestimmt)
„Measure what you value rather than value what you can easily measure“
„Leistungsbewertung sollte das Lernen unterstützen und Lehrer/innen wie Schüler/innen brauchbare Informationen liefern“
Einschätzung von Leistungen immer unter Berücksichtigung der Lernvoraussetzungen!
"Haben Sie auch mal daran gedacht, dass dieses Zeugnis ein denkbar schlechtes Licht auf Ihre pädagogische
Qualifikation wirft?" (Uli Stein, 1999)
http://www.qca.org.uk/afl
5 „Schlüsselstrategien“ …
Klarstellen, verstehen und vereinbaren von Lernzielen - Curriculumphilosophie; Notentransparenz; individuelle Vorsätze
Aus Diskussionen, Aufgaben und Lernaktivitäten vielfältige Daten über den Lernerfolg gewinnen - Interaktiver Klassenunterricht; mehrere Diagnosemethoden
Feedback geben, das den/die Lernende/n weiterbringt - Individuelle Rückmeldungen mit Förderangeboten
Aktivieren der Schüler/innen als Unterstützung für einander - Gruppenarbeit, Partnerbewertung
Stärkung der Eigenverantwortung für den Lernerfolg - Selbstreflexion, Eigenmotivation, individuelle Interessen, selbstgesteuertes Lernen, Selbsteinschätzung
… und eine große Idee (Wiliam & Thompson 2007)
Ergebnisse der Leistungsbewertungen
dazu benützen, den Unterricht auf die Bedürfnisse der Schüler/innen abzustimmen.
Herausgegeben von:
ÖZEPS (Österreichisches Zentrum für Persönlichkeits-bildung und soziales Lernen)
BMUKK (Bundesministerium für Unterricht, Kultur und Kunst)
Autor: Thomas Stern, IMST/IUS/IFF/Universität Klagenfurt,
http://ius.uni-klu.ac.at/thomasstern
PDF-Download oder Bestellungen (gratis) bei erna.haas@bmukk.gv.at