Post on 06-Feb-2018
Lisa Kirchberger, 0802582
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Giovanni Verga (1840-1922)
Giovanni Verga wurde 1840 in Catania, damals lebendiger Mittelpunkt
einer traditionsreichen Kultur, geboren und entstammte einer wohlhabenden
Familie. Er hatte gute Lehrer und kannte berhmte Schriftsteller. Auf Wunsch
seines Vaters begann er ein Jurastudium, beschloss allerdings es aufzugeben
um sich ganz der Literatur zu widmen.
1865 lie er sich in Florenz nieder, die Stadt, die von 1864 bis 1870
Hauptstadt Italiens war. 1871 ging er nach Mailand, die Stadt des
aufkommenden Kapitalismus, der Scapigliatura (eine Bewegung, die die
Erneuerung der Kunst forderte und den brgerlichen Lebensstil, in
Anlehnung an die Pariser Bohme, ablehnte) und spter des Verismus
(Strmung der ital. Literatur im 19. Jh., die sich mit der Mhe einer exakten
Beschreibung und mit sozialkritischen Zielen dem Leben von Bauern und
Fischern widmet).
In Florenz und Mailand nahm Verga am regen literarischen Leben teil
und kannte alle mehr oder weniger berhmten Literaten. Er verfolgte die
Entwicklung der franzsischen Literatur, damals in weiten Teilen Europas
fhrend und bekannte sich zur Abkehr von den Klassikern. Er ma sich an
den groen franzsischen Schriftstellern (Flaubert, Maupassant, Zola,
Daudet)
Verga erarbeitet sich eine eigene Erzhltechnik, um das Wahre besser
darzustellen. Ernsthaft und konsequent entwickelte er die veristischen
Grundannahmen weiter und entwarf die Theorie von der Unpersnlichkeit
des Autors, d.h. der Autor soll sich hinter den erzhlten Ereignissen und die
Figuren verbergen und Dinge selbst sprechen lassen. Daher ist es schwierig
seine Reaktionen und Gefhle auszumachen.
Seine Werke sind die eines Autors aus der zweiten Hlfte des 19. Jhs.,
der seine Empfindungen bzw. die Geschichten anderer Menschen beschreibt.
Mit 17 Jahren schrieb V. seinen ersten historischen Roman Amore e patria,
der bis heute unverffentlicht blieb und mit 21 Jahren folgte sein zweiter
historischer Roman I carbonari della montagna. Nach 1860 galt der
historische Roman als veraltet und deswegen lste sich Verga von dieser
Form
1863 verffentlicht er seinen dritten Roman Sulle lagune, der im
sterreichischen Venedig im Jahre 1861 spielt.
In den darauffolgenden Jahren wurde er durch eine Reihe von
Romanen, wie z.B. 1866 Una peccatrice, 1869 Storia di una capinera
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(Mnchsgrasmcke), 1873 Eva, 1873 Tigre reale und 1875 Eros, in
Florenz und Mailand zum Modeschriftsteller. Er publizierte bei groen
Verlagen, erntete Sympathie und Achtung bei der Literaturkritik und hatte
eine breite Leserschaft.
Es sind viele verschiedene Einflsse auf seine Werke eingegangen, zum
einen das autobiografische Element. Durch das Erzhlen wollte er selbst
eindrucksvolle Abenteuer erleben, d.h. Kunst als Mittel zur Bereicherung des
Lebens. Er erfand Geschichten voll tragischer Leidenschaften, die mit groer
Anteilnahme erzhlt werden. Weiters wollte er die hhere Gesellschaft der
Zeit analysieren und ihre falschen Gefhle unter verlogenen Konventionen
aufzeigen.
Schon damals erzhlt Verga Geschichten von den vinti, d.h.
Menschen, die vom Leben benachteiligten wurden, z. B. die Frau die sich aus
Liebe vergiftet; das junge Mdchen, das aus Druck der Familie ins Kloster
geht und aus Verzweiflung stirbt; der Maler der mit seinem ehrgeizigen
Erfolgsstreben ebenso Schiffbruch erleidet, wie mit seiner Liebe zu einer
Tnzerin; die zerstrerischen Leidenschaften einer russischen Grfin, die
schlielich an Schwindsucht stirbt.
Vergas Erzhlstil enthlt alle typischen Elemente der Sptromantik und
des zeitgenssischen franzsischen Romans: die Vorliebe frs Exotische,
Bsp. Die russische Grfin, die manierierte Erotik, Bsp. die Liebe zwischen dem
junge Protagonisten aus Tigre reale und der sterbenden Frau, das
melodramatische Ende, BSp. Die Protagonistin von Una peccatrice die
vergiftet beim Klavierspiel stirbt, der gescheiterte Knstler und die
umworbene Dame, die durch die Liebe erlst wird, das Duell, das Theater, die
mondne Gesellschaft. Diese Welt wird in seinen Romanen beschrieben und
zugleich abgelehnt. Leidenschaften, Luxus, oberflchliche Gefhle sind
anderen einfacheren, naiveren, aber gesnderen Empfindungen unterlegen,
die auf jahrhundertealten gesellschaftlichen Sitten und einem allgemeinen
Bewusstsein fr Gefhl und Moral basieren.
Es ist eine fr die Zeit typische antiromantische Polemik, denn Verga
zerstrte die romantischen Mythen auf seine Weise, Bsp. Die Russische
Baronin mit vielen Leidenschaften vs. Brgerliche einfache, treue Sizilianerin
als Hterin der Familie; der eingebildete Maler vs. Tnzerin, die dem Leben
mutig ins Gesicht blickt.
Verga lehnte die Weltanschauung des Naturalismus ab, aber er lehrte
ihn, wie er sich literarisch mit der Wirklichkeit auseinandersetzen konnte und
zeigte ihm wie ein moderner Schriftsteller seine Neugier in Bcher
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bersetzen konnte. Verga versucht sich zunchst an Novellen, verffentlicht
1873 Nedda, 1880 Vita dei campi, 1883 Novelle rusticane, und plant
einen Romanzyklus mit dem Titel I vinti.
Dabei denkt er an fnf Romane, in denen er fnf verschiedene Flle von
Besiegten untersuchen mchte. Menschen, die der Fluss des Lebens an
Land gesplt hat, nachdem er sie zuvor mit sich gerissen und ertrnkt hat.
(ha deposti sulla riva, dopo averli travolti e annegati)
Er wollte das soziale Leben auf fnf verschiedenen Stufen erforschen,
wobei er den Zyklus nicht beendete. Er schrieb die ersten beiden Romane I
Malavoglia und Mastro don Gesualdo. Der Romanzyklus sollte eine
Typologie von Besiegten aus verschiedenen sozialen Verhltnissen
darstellen.
In seiner tragisch-pessimistischen Lebensauffassung glaubt Verga
weder an die gttliche Vorsehung noch an die Mglichkeit mittels des
wissenschaftlichen und technischen Fortschritts oder durch den
Klassenkampf eine bessere Zukunft gestalten zu knnen. Was fr ihn gilt ist
das harte Gesetz des Strkeren.
Die Originalitt der beiden Romane besteht im Wesentlichen in ihrer
sizilianischen Dimension und zwar in der Fhigkeit Vergas das Umfeld
sowohl anthropologisch als auch sprachlich bzw. stilistisch, wiederzugeben.
Einerseits setzte er eine archaische Auffassung der sozialen Beziehungen in
Szene, andererseits verbesserte er die Technik der erlebten Rede.
Dies ermglichte besonders in I Malavoglia, die Erzhlerstimme, die
absichtlich unpersnlich gehalten wurde, durch die chorale Stimme der
Gemeinschaft und durch Sprichwrter und Ausdrcke, die typisch fr das
sizilianische Volk waren, zu verunreinigen. I Malavoglia, der erste Roman
des Zyklus wurde 1881 verffentlicht und erzhlt die Tragdie einer
Fischerfamilie, die durch die unglcklichen Versuche dem eigenen Elend zu
entfliehen, zugrunde geht. Nur der jngste Sohn wird als Erwachsener das
zuvor zur Schuldentilgung verkaufte Haus zurckkaufen und das Heim der
Ahnen wiederherstellen knnen.
Verga wandte in I Malavoglia die Technik der Gleichgltigkeit des
Erzhlers, der keine Kommentare einsetzt bzw. keine Urteile ber Personen
oder Situationen fllt, an. Er berlsst das Urteilen und Kommentieren den
Figuren, durch den Dialog oder die erlebte Rede, sei es individuell oder
gemeinsam. Vergas Absicht war ein Werk zu schaffen, das den Eindruck
erweckte, von selber entstanden zu sein. Dadurch wollte er eine strkere
Wahrhaftigkeit und Objektivitt vermitteln.
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Der zweite Roman des Zyklus der Besiegten erschien 1889 unter dem
Titel Mastro don Gesualdo. Es ist die tragische Geschichte eines neureichen
Maurers, der flschlicherweise hofft, den eigenen sozialen Aufstieg dadurch
zu krnen, durch Heirat in eine verarmte Adelsfamilie, die ihn verachtet und
sein Vermgen verbraucht. Als kranker Mann muss er machtlos zusehen, wie
der Schwiegersohn sein Geld verschwendet und stirbt verzweifelt und alleine
von den Dienern verspottet und selbst von der eigenen Tochter verlassen.
Doch zeigt sich die veristische Dichtkunst vor allem in den Novellen,
dank der Darstellung jeweils eines Fragmentes der sozialen Realitt. Da gibt
es archaische und primitive Figuren, die vom Schicksal bermannt werden
und Andere Novellen werden von einer bitteren Ironie durchzogen.
Einige seiner Werke adaptierte Verga fr das Theater. Besonders
erfolgreich wurde 1884 die Cavalleria rusticana, die brigens in der
musikalischen Version von Mascagni 1890 uert erfolgreich wurde.
Verga schrieb auch literaturkritisch interessante Briefe an seinen Freund den
Schriftsteller Luigi Capuana, die erst 1975, also erst 53 Jahre nach seinem
Tod (1922), verffentlicht wurden.
Bibliographie:
AA.VV., Dizionario mondiale di letteratura, Rizzoli Larousse, Milano, 2003
CURI, Egidio, Letteratura e civilt Storia ed antologia della letteratura
italiana per le scuole medie superiori, Vol. III, Edizione cremonese, Roma,
1973
PETRONIO, Giuseppe, Geschichte der italienischen Literatur, Band 3: Vom
Verismus bis zur Gegenwart, Titel der Originalausgabe: L'attivit letteraria in
Italia, Francke Verlag, Tbingen und Basel, 1993