Post on 22-Aug-2016
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Originalarbeit
Zusammenfassung Corporate governance-Strukturen werden derzeit in praktisch allen deutschen Krankenhäusern eingeführt. Sie könnten sich als weiteres element einer Öko-nomisierung des stationären Sektors erweisen, bei dem das genuine Moment der thera-peutischen interaktion verfremdet und im extremfall getilgt wird zugunsten ökonomischer gewinninteressen. Dieser artikel skizziert 1) genese, gestalt und Funktion der Corporate governance, 2) die transformation im Krankenhaussektor, die durch „Verbetriebswirt-schaftlichung“, „Ökonomisierung“ und „Kommerzialisierung“ charakterisiert ist, 3) wer-den die Wirkungen der Corporate governance auf das Krankenhaus beschrieben und 4) ihr moralischer anspruch einer ethischen Kritik unterzogen.
Schlüsselwörter Ökonomisierung · Privatisierung · governance · Corporate governance-Kodex · Sozialethik
Governance and health—on structural and cultural transformation in hospitals
Abstract Definition of the problem Corporate governance is being established throughout german hospitals. this might prove to be a further step in the economization of public health services, with alienating effects on core characteristics of therapeutic interaction. Arguments this article outlines (1) the origin, design and function of Corporate gov-ernance, (2) how processes of managerialization, economization, and commercialization presently transform hospitals, and (3) the impact of Corporate governance on hospitals
ethik Med (2012) 24:117–124DOi 10.1007/s00481-012-0191-y
Governance und Gesundheit – Beobachtungen zur strukturellen und kulturellen Veränderung in Krankenhäusern
Arne Manzeschke
PD Dr. theol. habil. a. Manzeschke ()ethik und anthropologie im gesundheitswesen, institut technik – theologie – naturwissenschaften, ludwig-Maximilians-Universität München, Marsstr. 19, 80335 München, Deutschlande-Mail: arne.manzeschke@elkb.de
Online publiziert: 17. März 2012© Springer-Verlag 2012
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in germany. Conclusion the moral implications of Corporate governance need further research and critical ethical scrutiny.
Keywords economization · Privatization · governance · Principles of corporate governance · Social ethics
Governance im Gesundheitswesen
auf einer tagung zu neuen anwendungen in der telemedizin formulierte es der Vertre-ter eines privaten Krankenhauskonzerns in aller wünschenswerten Klarheit. aufgabe der Unternehmensführung sei es, neue Services zu generieren, mit denen Kunden gewonnen und gebunden werden können und eine entsprechende rendite erwirtschaftet werden kann. Das Krankenhaus ist zu einem Produzenten von medizinischen und medizinverwandten leistungen geworden, die gewinnbringend vertrieben werden. Die leistungsentgelte, die über das Drg-System abgerechnet werden, bescheren auf Dauer keine ausreichenden gewinne. Um im Wettbewerb zu bestehen und Kapitalgeber zu befriedigen, müssen neue Produkte und Kundenschichten erschlossen werden.
Das deutsche gesundheitswesen wandelt sich von einem solidarischen, auf einer Umlage basierenden öffentlichen System zu einem von privatisierter eigenverantwortung und all-seitigem Wettbewerb geprägten Markt, der zugleich stark von staatlichen Vorgaben reguliert wird. Hierbei finden Steuerungskonzepte von börsennotierten Unternehmen eine immer größere Verbreitung im Krankenhaussektor – interessanterweise auch bei trägern, die kein ausgeprägtes gewinninteresse verfolgen und keine Shareholder bedienen müssen. Die rede ist von Corporate governance (Cg), die derzeit praktisch in allen Krankenhäusern einge-führt wird.
Die ethische Frage lautet: tragen Cg-Strukturen dazu bei, dass das genuine Handlungs-ziel des Krankenhauses, die „therapeutische interaktion“ [15] konterkariert wird und im ungünstigsten Fall eine Zweck-Mittel-Umkehrung stattfindet, also kranke Menschen zu Produktionsfaktoren in einem vorrangig von gewinninteresse bestimmten Prozess ver-zweckt werden?
Dieser artikel versucht die Frage anhand folgender Schritte zu beantworten. in einem ersten abschnitt werden 1) genese, gestalt und Funktion der Corporate governance skiz-ziert und 2) auf die transformation im Krankenhaussektor bezogen, der durch die begriffe „Verbetriebswirtschaftlichung“, „Ökonomisierung“ und „Kommerzialisierung“ charakteri-siert ist. 3) werden die Wirkungen der Corporate governance auf das Krankenhaus beschrie-ben und 4) ihr moralischer anspruch einer ethischen Kritik unterzogen.
Genese, Gestalt und Funktion der Corporate Governance
Seit 2002 gilt für börsennotierte gesellschaften in Deutschland der Deutsche Corporate governance Kodex (DCgK). Dieser stellt als „Soft law“ kein sanktionierbares recht dar, sondern verweist auf einschlägige rechtsquellen und bietet empfehlungen und Standards für gute Unternehmensführung. er ist im § 161 aktiengesetz (aktg) rechtlich verankert und bezieht sich vor allem auf das gesetz zur Kontrolle und transparenz im Unternehmens-bereich (Kontrag) und das transparenz- und Publizitätsgesetz (transPug). Der Kodex firmiert unter Corporate governance, ohne den englischen begriff zu übersetzen: z. b. mit Führungsgrundsätze, Ordnungsrahmen, wertschöpfende leitung des Unternehmens, mate-
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rielle Unternehmensverfassung ([2], S. 28). er wird jährlich überprüft und bei bedarf ange-passt; er regelt nach 1) einer Präambel folgende Punkte: 2) die rechte von aktionären und Hauptversammlung, 3) das Zusammenwirken von Vorstand und aufsichtsrat, 4) die auf-gaben und Zuständigkeiten des Vorstands, 5) die aufgaben und Zuständigkeiten des auf-sichtsrats, 6) Fragen der transparenz und schließlich 7) Fragen der rechnungslegung und abschlussprüfung [9]. Seit 2009 verweist der DCKg in seiner Präambel auf die „Prinzipien der Sozialen Marktwirtschaft“ und eine „nachhaltige Wertschöpfung“, was die Wandelbar-keit des Kodex anzeigt und deutlich macht, dass mit ihm auch materiale Orientierungen verbunden sein können.
Die insolvenz des baukonzerns Holzmann 2002 lieferte einen wichtigen anlass für die einführung des DCgK; er sollte mehr transparenz über den Status eines Unterneh-mens schaffen und so auch die anleger schützen. Zum anderen sollte er inkompatibili-täten zwischen angelsächsischem und deutschem aktien- und Unternehmensrecht beseiti-gen. Schließlich verfolgte die bundesregierung auf dem Hintergrund des Skandals um die Mannesmann-Übernahme und die Vergütung der Manager eine Offenlegung der Vorstands- und aufsichtsratsgehälter. Der DCgK wurde von zwei regierungskommissionen erstellt, wovon die zweite, die sog. Cromme-Kommission samt und sonders mit Vertretern der Wirtschaft, dem Finanzwesen und einem gewerkschaftsvertreter besetzt war, aber keinen einzigen regierungsvertreter aufwies. ironisch könnte man formulieren, dass die Selbst-regulierung der Wirtschaft bereits bei der erstellung des regelwerks begonnen hat. eine Offenlegung der Vorstandsbezüge sah der Kodex nicht vor. allerdings hat die bundesre-gierung 2005 via gesetz die Unternehmen verpflichtet, ihre Vorstandsbezüge offenzulegen – sofern die Hauptversammlung nicht das gegenteil beschließt. Offenbar finden Formen der Selbst-governance dort ihre grenzen, wo essentielle, vielleicht aber auch symbolische Momente der Politik berührt sind.
Man kann den DCgK als symbolische Politik verstehen, die Ähnlichkeiten zur Standes-ethik der klassischen Professionen (Ärzte, Priester, richter), aber auch zu modernen ethik-Kodizes von berufsgruppen (z. b. ingenieure) aufweist. in allen drei Fällen wird von einer gruppe ein exponierter Status sowie ein moralischer anspruch für eine selbstkontrollierte und evaluierte Handlung erhoben. er wird damit begründet, dass 1) das eigene Handeln einen allgemeinen gesellschaftlichen nutzen hat, 2) dieser nutzen durch das professions-spezifische Wissen und Handeln generiert wird und 3) dieses Wissen nur autonom in der eigenen gruppe generiert und kontrolliert werden kann. Die Professionen geben gegenüber der gesellschaft ein „Versprechen“ ab ([13], S. 1) und genießen dafür Vertrauen und relative autonomie. Man könnte vermuten, dass es den Unternehmen, insbesondere in der gruppe der Manager, mit dem DCgK um einen ähnlichen anspruch und ebenso um Vertrauen und autonomie geht.
trägt diese analogie und ist ihr anspruch berechtigt? Der DCgK besteht im Wesent-lichen aus Kann- und Soll-bestimmungen, von denen abzuweichen für die Unternehmen praktisch sanktionsfrei ist. Zugleich verhindert er, dass weiter reichende eingriffe des Staa-tes in die Unternehmensführung stattfinden. Dörner und Orth konstatieren zu recht: Der Kodex sei das „selbstgeschaffene recht der Wirtschaft“, mit dem in Deutschland eine „neu-justierung des Verhältnisses von staatlichem Ordnungsrahmen und instrumenten der Selbst-regulierung herbeigeführt wird“ ([12], S. 11). auch rucht kommt in seinen Untersuchungen zur Motivation und zur reichweite des DCgK zu dem ergebnis, dass es der Wirtschaft vor-rangig darauf ankam, eingriffe des Staates in die Unternehmensführung zu vermeiden. Der Kodex müsse als „unverbindliches Signal“ für gesellschaftliche Verantwortung gegenüber regierung und gesellschaft gewertet werden, ohne damit weitere regulierungen zulassen zu müssen [24]. Umgekehrt konnte der Staat durch die schnelle und erfolgreiche in-Kraft-
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Setzung des Kodex Handlungsstärke signalisieren – was auf dem Hintergrund von Firmen-skandalen und der breiten öffentlichen Kritik am Management angezeigt erschien.
Hier ist entscheidend, dass der Kodex über den raum der börsennotierten Unternehmen hinaus wirkt, die die gewinnmaximierung zu einem, wenn nicht dem zentralen Ziel ihres unternehmerischen Handelns gemacht haben. Die strategische ausrichtung von Unterneh-men, die sich der gewinnmaximierung gar nicht verschreiben wollen oder dürfen, bleibt nicht frei von diesen governance-Strukturen.
Transformation des Krankenhaussektors
bereits 2003 kritisierte baecker die Umwandlung von Organisationen jeglicher art in unter-nehmensförmige gebilde: „Die reflexion dieser betriebswirtschaftlichen Zurichtung der Organisation ist keine Frage eines andernfalls müßigen akademischen interesses. Sie führt ins Herz dessen, was die Unternehmensorganisation von jeder anderen Organisation unter-scheidet und damit auch ins Herz der Frage, wie sinnvoll es ist, auch andere Organisatio-nen dem betriebswirtschaftlichen Zugriff auszusetzen. Sie erlaubt es, nach der Konstitution des kapitalistischen betriebs zu fragen und damit eines der neben dem Wohlfahrtsstaat, seinem ungleichen Zwilling, weitreichendsten Sozialexperimente der jüngeren gesell-schaftsgeschichte einzuschätzen“ ([4], S. 50). Die „betriebswirtschaftliche Zurichtung“ oder auch „Verbetriebswirtschaftlichung“ [18] der Organisation lässt sich als teilprozess einer umfassenderen Ökonomisierung [14, 16] jener gesellschaftlichen Sphären begreifen, die bisher von ökonomischen Kalkülen weitgehend ausgespart geblieben sind. Der sozialwis-senschaftliche begriff der Ökonomisierung [20, 25] liefert eine beschreibung, die nicht auf der Mesoebene der Unternehmung verbleibt, sondern die ebene nationaler und internatio-naler wirtschaftlicher Prozesse einbezieht. er versucht eine Programmatik zu beschreiben, wie sie in beckers ökonomischem imperialismus formuliert wird: letztlich entspringe alles menschliche Handeln einem ökonomischen aufwand-nutzen-Kalkül – bzw. es sollte die-sem Kalkül entspringen, sofern es rational und gesellschaftlich verantwortbar sein wolle [5]. Ökonomische rationalität verbessere den aktuellen Zustand p zu p*. Diese Verbes-serung gilt allgemein als ein starkes argument zur rechtfertigung von Ökonomisierungs-vorgängen. Dahinter steht die klassische annahme, dass ökonomisch rationales Handeln ressourcen schont, dem einzelnen nützt und einen gesellschaftlichen Mehrwert erzielt. Von hier aus erklärt sich, warum immer mehr Organisationen einer „betriebswirtschaftlichen Zurichtung“ unterzogen werden: Dem anspruch nach geht es darum, menschliches leben in allen bereichen nach ökonomischen Mustern zu rationalisieren und so zu verbessern. andererseits artikuliert der begriff der Ökonomisierung zugleich die Kritik an solchen Vor-gängen und fragt nach deren Kriterien und grenzen.
Die einführung von Cg-Strukturen in deutschen Krankenhäusern lässt sich demnach als ein Prozess verstehen, bei dem der ökonomische ansatz konsequent umgesetzt wird. Zugleich ist damit das – nicht nur ethische – Problem gegeben, dass dieser ansatz und seine Umsetzung daraufhin befragt werden müssen, ob sie tatsächlich leisten, was sie verspre-chen, nämlich eine Verbesserung des bisherigen Zustands.
Corporate Governance und das Krankenhaus
Corporate governance ist zu einem Synonym für Unternehmensführung geworden – auch wenn darunter Verschiedenes verstanden werden kann, wie die verschiedenen ansätze von
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Wieland [28, 29], brink [8], Malik [19] oder Ulrich [27] zeigen. auch Krankenhäuser in Deutschland werden immer unternehmensförmiger und richten ihre Führung, Prozesse und Strukturen daran aus. Das betrifft nicht nur Krankenhäuser, die einem börsennotierten Konzern zugehören, sondern auch kommunale und freigemeinnützige einrichtungen, die aufgrund ihrer rechtsform kein ausgesprochenes gewinninteresse haben. 2005 hat die Dia-konie in Deutschland sich verpflichtet, Cg-Strukturen für solche ihrer einrichtungen einzu-führen, die mehr als 50 Mitarbeitende und einen Jahresumsatz von mehr als 2 Mio. € haben [11]. Die Caritas hat sich 2007 in einer arbeitshilfe stark an den DCgK angelehnt [10]. auch hier sollen im rahmen eines freiwilligen regelwerkes die in Deutschland geltenden regeln für Unternehmensleitung und -überwachung insbesondere für nationale wie interna-tionale investoren transparent gemacht werden. Ziel ist es hier wie bei den gewinnorientier-ten Unternehmen, das Vertrauen in die Unternehmensführung deutscher gesellschaften zu stärken, um insbesondere internationale und nationale Kapitalanleger zu gewinnen [20–22].
Welche Wirkungen lassen sich bei der einführung von governance-Strukturen im Kran-kenhaus-Sektor beobachten? Cg-Strukturen tragen dazu bei, dass gewinnorientierte Unter-nehmen und non-Profit-Organisationen sich im erscheinungsbild ähnlicher werden; das betrifft etwa das Management, die berichtspflichten und die rechnungslegung. So werden die Verschiedenartigkeit und Vielfalt der Organisationen in ihren Strukturen, Zwecken, bin-nenlogiken, Kulturen und Zielen zunehmend auf eine ökonomisch rationale einheitliche Form reduziert. Die Sprache und Denkweise der Cg formatiert Selbstverständnis, Ziele und begründungen im Krankenhaus. Das Krankenhaus wird zu einem „zielgerichteten input-Output-transformator“ ([18], S. 220), der durch ein entsprechendes Management effizient und effektiv funktioniert. „gesundheitsdienstleistungen“ werden in einem beständig zu optimierenden Prozess ökonomisch rational produziert.
Zugleich wird ein moralischer anspruch formuliert. Die Präambel des DCKg spricht explizit von einer „guten und verantwortungsvollen Unternehmensführung“. Das erfordert mehr als ein effizientes oder erfolgreiches Unternehmen. Dieser anspruch ist keineswegs trivial und harrt über die formulierte behauptung und die unternehmerische Praxis hinaus auch in seiner theoretischen begründung noch der einlösung [17].
Für die Unternehmensleitung wird nun die Cg zur Orientierungsgröße; andere bisher geltende moralische Orientierungen werden verdrängt, abgewertet oder entkernt. Das gilt insbesondere für die moralische Orientierung der Professionellen aus Medizin und Pflege.
„Wichtigste Messgröße in der Steuerung des wirtschaftlichen erfolgs ist das ebitDa/Cashflow der einrichtungen und des Konzerns“, heißt es im geschäftsbericht der asklepios gmbH von 2009 ([1], S. 8). Damit signalisiert dieser Krankenhauskonzern den investoren, dass sie einen entsprechenden return on invest erwarten dürfen. Zugleich wird erkennbar, dass nicht die Orientierung an der not des einzelnen Patienten oder an einem gleichen und gerechten Zugang zu gesundheitsleistungen die primäre Orientierung für das Handeln der Organisation abgibt. Die Quartalszahlen sind die wesentlichen Messwerte, an denen ein börsennotiertes Unternehmen in seiner Performance bewertet wird. Für einen Kapital-markt, der mittlerweile völlig eigenständig agiert und alle anderen Märkte dominiert, sind andere Messzahlen uninteressant; sie sind unter Umständen viel zu komplex und entwickeln sich zu langfristig, als dass man sich für sie genauer interessieren wollte. Was bedeutet das für den Krankenhaussektor? auch wenn viele Krankenhäuser keine shareholder-orientierte gewinnmaximierung betreiben wollen, spüren sie doch den Druck, der von den effizienz- und gewinngetriebenen Häusern ausgeht. Die Cg-Strukturen wirken auch in ihre richtung; das benchmarking macht scheinbar einen einfachen Vergleich für anleger und „Kunden“ möglich und lenkt die aufmerksamkeits- und Kapitalströme. auch hier führen die Dynamik
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des Marktes und die logik des Kapitals zu einer Vereinheitlichung der Ziele, Strukturen und Strategien.
Diesen Prozess gilt es genauer zu verstehen. Ökonomisierung ist für bourdieu ein Pro-zess, bei dem die logik eines sozialen Feldes in das eines anderen Feldes eindringt und die dort geltende logik verändert, überformt, im extremfall sogar ganz ersetzt. Solche intru-sionen, wie bourdieu sie nennt, sind in vielerlei Hinsicht möglich, faktisch dringt vor allem die ökonomische logik in andere Felder ein [6]. bourdieu gibt dafür drei gründe an: 1) werden alle Felder immer ressourcenabhängiger. 2) schlägt sich die ressourcenabhängig-keit in den Strukturen der Felder nieder, d. h. sie müssen ähnliche Managementstrukturen, berichtspflichten oder investitionsbegründungen vorlegen, wie sie in der Wirtschaft längst etabliert sind. 3) verändert sich auf diesem Weg das ethos derer, die in den Feldern arbei-ten. ihr bisher von Profit-erwägungen weitgehend freies berufsethos wird nun durch öko-nomische imperative irritiert und im extremfall aufgelöst [7]. Schimank und Volkmann haben im anschluss an bourdieu eine fünfstufige Ökonomisierungsskala entwickelt. Sie ist ein brauchbares instrument, um den Prozess zu beschreiben und seine bedingungen und auswirkungen genauer zu erfassen [25]. Das eine ende der Skala bezeichnet den auto-nomen Pol eines sozialen Feldes, bei dem das Maß der Ökonomisierung praktisch null ist. Die akteure müssen kein Kostenbewusstsein entwickeln und können frei davon ihrer feld-spezifischen logik folgen. am anderen ende der Skala befindet sich der korrupte Pol, an dem das ökonomische Denken die feldspezifische logik vollständig überformt hat. Hier ist die gewinnmaximierung oberstes Handlungsziel und die feldspezifischen inhalte werden als Mittel zum Zweck der gewinnmaximierung eingesetzt, was etwa Kettners begriff der „totalen Kommerzialisierung“ entspricht [16]. ausgehend vom autonomen Pol ist auf der zweiten Stufe die Zahlungsfähigkeit ein wichtiger Faktor, der feldspezifische entscheidun-gen beeinflusst – Kostenbewusstsein wird zur Soll-erwartung. auf der dritten Stufe wird die ökonomische Verlustvermeidung zu einem starken imperativ – Kostenbewusstsein wird zur Muss-erwartung. auf der vierten Stufe ist der imperativ der Verlustvermeidung nicht länger ein externer, sondern ist in das ethos der akteure eingeschrieben; mehr noch, die gewinnerzielung wird zur Soll-erwartung. Diese Situation illustriert eine interviewsequenz mit einem chirurgischen Oberarzt zu den auswirkungen der Drg: „Wenn ich alle drei [befunde] auf ein Mal operiere, dann kriege ich nur für einen geld. Das kann dazu führen, dass man sagt: ‚Weißte, ich mache erst einmal die galle, in fünf Wochen kommst du wieder mit den leisten‘. Da ist doch der Patient das Objekt, mit dem Profit gemacht wird. Und früher habe ich alle drei operiert, statt drei tage wären es zehn tage gewesen, aber ich habe für meinetwegen jeden tag früher 500 € bekommen, und dann hat sich das erledigt. Und da habe ich mir gar keine gedanken gemacht. aber ich glaube, wir müssen uns anpassen an die Drg. ich muss es beichten: heute macht man das“ ([23], S. 36). Wenn der Chirurg „beichtet“, durch das Fallsplitting den multimorbiden Patienten zum Objekt der gewinn-orientierung zu machen, so wird hier einmal der Zwang zur gewinnorientierung deutlich, zum anderen wird die Korruption des berufsethos erkennbar, unter der der Oberarzt (noch) leidet (Stufe 4–5).
Sennett [26] spricht in diesem Zusammenhang von der erosion des Charakters. er ver-wendet das bild des Schilfrohres, inbild von Flexibilität. Solche Flexibilität wird im kapita-listischen System auch vom arbeitenden Menschen verlangt. Flexibel soll er in der ständig optimierten Organisation sein, und zwar sowohl hinsichtlich seiner physischen Qualitäten wie auch hinsichtlich der Fähigkeit, moralisch divergente anforderungen auszubalancie-ren. Jedoch ist diese Flexibilität nur bis zu einem bestimmten Punkt vorhanden. belastet man das rohr bzw. den Menschen über das verträgliche Maß hinaus, dann brechen sie und sind unwiederbringlich kaputt. nicht erst dann wird das ökonomisierte System fragwürdig,
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sondern bereits dort, wo die anforderungen zu – im bild gesprochen – Verspannungen und feinen Haarrissen führen. letztlich konterkariert sich hier der ökonomistische ansatz selbst, weil er physische, psychische und moralische ressourcen der Mitarbeitenden allein unter der Maßgabe maximaler effizienz ausbeutet, ohne auf deren belastbarkeit zu achten.
Der moralische Anspruch der Corporate Governance und seine ethische Kritik
in einem merkwürdigen gegensatz zu der skizzierten Ökonomisierungslogik steht der moralische anspruch, der mit Corporate governance erhoben wird. Dazu noch einmal der geschäftsbericht der asklepios gmbH von 2009 ([1], S. 10): „Wir stehen für hohe ethische Maßstäbe ein, die sich nicht nur in der für uns selbstverständlichen einhaltung von recht, gesetz und internen richtlinien, sondern auch durch die persönliche integrität aller unserer Mitarbeiter, beginnend bei den Führungskräften und Mitarbeitern, ausdrücken.“ Während auf der einen Seite das arbeiten im Krankenhaus durch Ökonomisierung immer marktför-miger strukturiert wird, wird gleichzeitig das moralische Signal gegeben: auch wenn der Markt per se amoralisch ist, wird das, was wir tun, nicht unmoralisch, denn wir achten mit entsprechenden Selbstverpflichtungen, leitlinien, Kodizes etc. auf die Moral. Der Kodex signalisiert gute und verantwortliche Unternehmensführung nach außen, während gleichzei-tig im inneren die anforderungen immer höher gesteckt werden und Menschen und Orga-nisationen daran zerbrechen. beim Personal ist das an burn-out-raten, inneren und äußeren Kündigungen sowie dem Krankenstand ablesbar [3]. bei den Organisationen wird sich wohl mittelfristig ein dramatischer Vertrauens- und reputationsverlust einstellen, der durch noch so gute imagekampagnen nicht wettgemacht werden kann.
„Corporate governance, wie sie heute verstanden wird, hat mit der grundaufgabe der Unternehmensführung, nämlich mit Unternehmenspolitik, wenig zu tun. Sie erfüllt zwar ihre erzwungene Funktion in beziehung auf die Finanzmärkte, die Finanzanalysten und die Finanzmedien. als solche muss sie auch hier beachtung finden. aber von der Management-perspektive im eigentlichen Wortsinn aus gesehen, und besonders wenn sich Management an Komplexität orientiert, ist die heutige Corporate governance zu einseitig finanzorien-tiert, zu stark juristisch geprägt, auf den falschen Zweck des Shareholder-Values gerichtet und insgesamt überreguliert“ ([19], S. 43).
ein hartes Urteil, das sich im lichte der Pleite der aktuellen Finanz-, Wirtschafts- und nun auch noch Staatskrise als durchaus berechtigt herausstellt. Dass Unternehmen gut geführt werden müssen, steht außer Frage. Doch was als gute Unternehmensführung, als good governance zu gelten hat und wie sie sich hinsichtlich des unterschiedlichen Charakters von Unternehmen je verschieden darstellt, das scheint gegenwärtig diskussionsbedürftig. aber genau darin besteht die Chance von Corporate governance in Krankenhäusern, dass sie über einen ihnen entsprechenden Kodex ihr Verständnis von guter Unternehmensführung formulieren und in entsprechende Strukturen gießen, dass sie ihre Sachzielorientierung aus der therapeutischen interaktion gewinnen und hierfür die entsprechenden eigenen Kriterien, Strukturen, Prozesse und Strategien ableiten.
Interessenkonflikt Der autor gibt an, dass keine interessenkonflikte bestehen.
Literatur
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