Post on 07-Sep-2019
Islamic Finance - Anspruch und Wirklichkeit 01
Gliederung I. Anspruch des Islamic Finance
1. ribâ-Verbot = Zinsverbot? 2. Begriff des Islamic Finance 3. Freiwillige Beachtung religiösen Rechts 4. Funktionen des Sharia Boards 5. Corporate Governance and Sharia Boards
II. Wirklichkeit - Normumgehung am Beispiel des ribâ-Verbots 1. Unproblematische Finanzierungsform: mudâraba 2. Bay Ina und Tawarruq als Umgehungsbeispiele 3. Sukuk-al-mudâraba als Beispiel für die „Sharia-Falle“ 4. Risikotragung und Shariakonformität
III. Fazit
Matthias Casper | 5. Dezember 2011
Normgeltung im Islamic Finance 02
ribâ-Verbot = Zinsverbot? • „Gold gegen Gold, Silber gegen Silber, Weizen gegen Weizen, Gerste gegen
Gerste, Datteln gegen Datteln, Salz gegen Salz, gleiche [Mengen] gegen gleiche [Mengen], Zug um Zug. Wer mehr nimmt oder aufschlägt, macht ein ribâ-Geschäft – derjenige, der nimmt, genauso wie der, der gibt.“ (Hadithe von Muslim, Abu Dawud, an-Nasa’i, Ibn Hanbal und ad-Darimi)
• Allah hat den Handel erlaubt, aber das Zinsnehmen (ribâ) verboten (Sure 2, 275)
• ribâ ist mehr als Wucher
• Das ribâ-Verbot wird heute ganz überwiegend als Zinsverbot interpretiert
• Gewinnerzielung durch bloße Nutzung des Zeitwerts gilt als illegitim, es muss sich um einen unsicheren Gewinn aus einem unternehmerischen Risiko handeln
Matthias Casper | 5. Dezember 2011
Normgeltung im Islamic Finance 03
Was ist überhaupt Islamic Finance? • Ursprung: 1960er, starker Wachstumsmarkt
• Auch in Diaspora-Staaten, Beispiel GB
• Aber wieso „gilt“ dort islamisches Recht? • Islamic Finance basiert also auf Freiwilligkeit, auch in den meisten islamischen
Staaten
• Definition: Alle Arten von Finanzdienstleistungen, die ohne Verstoß gegen die Regeln der Sharî‘a abgewickelt werden, obwohl der Finanzierungsvertrag einer säkularen (staatlichen) Jurisdiktion untersteht. Ø Das anwendbare Vertragsrecht ist also nicht islamisches Recht
Matthias Casper | 5. Dezember 2011
Normgeltung im Islamic Finance 04
Berührung von staatlichem und religiösem Recht? • Modell 1 : Beispiel Sudan, Pakistan: Sharia wird zum staatlichen Recht
erklärt.
• Modell 2: Beispiel Bahrain: Konventionelle Bankgeschäfte sind erlaubt. Aber islamische (Voll-)Banken unterliegen einem gesonderten Aufsichtsrecht, dass u.a. sicherstellen will, dass islamische Banken sich auch wirklich shariakonform verhalten. Ø Sharia Boards werden zur Pflicht
• Modell 3: Beispiel GB: Staatliche Aufsicht unterwirft islamische Banken der allgemeinen Bankenaufsicht und kümmert sich nicht um die Shariakonformität. Ø Sharia Boards werden zum Transformationsriemen zwischen religiösem
Recht und dem Anleger, der dessen Vorgaben achten möchte.
Matthias Casper | 5. Dezember 2011
Normgeltung im Islamic Finance 05
Standardisierung durch NGOs • Accounting and Auditing Organization for Islamic Financial Institutions
(AAOIFI) Ø Bahrain
• The Islamic Financial Services Board (IFSB) Ø Kuala Lumpur, Malaysia
Matthias Casper | 5. Dezember 2011
Normgeltung im Islamic Finance 06
Prof. Dr. Matthias Casper | 06. Juli 2010
The Islamic Financial Services Board (IFSB) is an international standard-setting organisation that promotes and enhances the soundness and stability of the Islamic financial services industry by issuing global prudential standards and guiding principles for the industry, broadly defined to include banking, capital markets and insurance sectors. [Quelle: http://www.ifsb.org/]
Normgeltung im Islamic Finance - Anspruch 07
Funktionen des Sharia Boards
• Zertifizierungsfunktion
• Überwachungsfunktion Ø Sharia Supervisory Board
• Beratungsfunktion
• Organisation : externe Modelle, interne Modelle Ø In der Praxis oft doppelgleisige Modelle: externer Sharia Supervisory
Board einerseits und Sharia Compliance oder Sharia Berater andererseits.
Matthias Casper | 5. Dezember 2011
Normgeltung im Islamic Finance - Anspruch 08
Sharia Boards und Corporate Governance
• Gute Unternehmensführung muss
Ø Einfluss auf die Geschäftspolitik der Bank vermeiden Ø Unabhängigkeit des Boards gegenüber der Unternehmensleitung sicher-
stellen
Ø Interessenkonflikte im Sharia Board vermeiden
Ø Sachkunde der Mitglieder des Sharia Boards sicherstellen
Matthias Casper | 5. Dezember 2011
Normgeltung im Islamic Finance 09
Sharia Boards and Corporate Governance
• Bindungswirkung der Entscheidung des Sharia Boards gegenüber der Bank?
Ø Art. 58(a) Satz 2 jordanisches Bankgesetz: „The board shall comprise not less than three members and its opinion shall be binding on the Islamic bank.” Ø Ebenso AAOIFI Standards on Governance Standard for Islamic
Financial Institutions No. 1 sec. 2.
Ø FSA (2007): „The key point from the FSA’s perspective is that firms can successfully show that the role and responsibilities of their SSB are advisory and that it does not interfere with the management of the firm. The firms already authorised have been able to show this.”
Ø In Deutschland wäre eine Bindungswirkung ebenfalls undenkbar.
Matthias Casper | 5. Dezember 2011
Normgeltung im Islamic Finance 10
Sharia Boards and Corporate Governance
• Unabhängigkeit des Sharia Boards gegenüber der Bank?
Ø IFSB, Guiding Principles on Sharia Governance Systems … (2009), Principle 3.1. : grundsätzlich Unabhängigkeit, aber Verpflichtung im Interesse der Aktionäre
Ø AAOIFI Standards , No. 1 sec. 2, No. 5 sec. 2-7: pro Unabhängigkeit
Ø Unabhängigkeit: ja Ø Gemeinwohlverpflichtung: nein Ø Verpflichtung gegenüber den Anlegern: ja
Ø Gedanke des Transformationsriemens
Matthias Casper | 5. Dezember 2011
Interessenkollision – Die Wirklichkeit 11
Matthias Casper | 5. Dezember 2011
85
85
71
39
36
31
27
27
25
16
0 10 20 30 40 50 60 70 80 90
Nizam Yacoubi
Abdul Satar Abu Ghuddah
Mohammed A. Elgari
Abdul Aziz K. Al-Qassar
Abdullah Sulaiman Al-Manee'a
Hussein Hamid Hassan
Mohammed Daud Bakar
Essa Zaki Essa
Ali Mohuddin Al-Qurra Daghi
Taqi Usmani
Quelle: Funds@work Stand: Januar 2011
Mangelware Sharia Scholars
Die Wirklichkeit - Überblick 12
Die Wirklichkeit: Finanzierung ohne Zinsen – wie geht das?
• Risikokapitalbeteiligungen sind der unproblematische Prototyp der islamischen Finanzierungsformen, es gibt nur Gewinn Ø Eigenkapitalorientierte Finanzierungsformen
• Zinsen werden in einigen fremdkapitalorientierten Finanzierungsformen durch parallele Kaufverträge oder Leasingverträge surrogiert Ø Zulässigkeit ist umstritten, sofern Finanzierer kein Sachrisiko übernimmt
• Darstellung am Beispiel ausgewählter islamischer Finanzierungstransaktionen
Matthias Casper | 5. Dezember 2011
Normumgehung und Islamic Finance 13
Ist die Wirklichkeit oft eine Normumgehung?
• Norminterpretation versus Normumgehung
• Problem der Interpretationsbedürftigkeit des riba-Verbots Ø Umgehung des religiösen Rechts
• Problem der fehlenden zentralen Autorität im Islam Ø Thomas Bauer, Normative Ambiguitätstoleranz im Islam
• Normumgehung = objektives Verständnis
• Also nur, was ersichtlich zu islamischen Grundsätzen im Widerspruch steht
Matthias Casper | 5. Dezember 2011
Ausgewählte Produkte 14
Unternehmer (mudârib)
Investor (Bank) (rabb al-mâl)
mudâraba
Kapitalanteil Management-Anteil
Anspruch auf Gewinnquote (keine Mindestsumme)
Verlustbeteiligung bis hin zum eingesetzten Teil, aber keine Nachschuss-pflicht wie bei mushâraka
Unproblematisch: Mudâraba (Teilhaberschaft)
Matthias Casper | 5. Dezember 2011
Die Wirklichkeit des Westens 15 Der Abzahlungskauf klassisch westlich, mit Zins
Verkäufer (Autohaus) Käufer
Kaufvertrag Käufer muss sofort zahlen
Bank
Darlehen gegen Zins
Geld
zahlt damit den Kaufpreis
Matthias Casper | 5. Dezember 2011
Ausgewählte Produkte 16 Murâbaha (Parallelkauf)
(islamischer Abzahlungskauf)
Verkäufer (Autohaus) Käufer
(Autokäufer)
Bank Kaufvertrag 2 Kaufpreis 100 + Aufschlag (20) (~ Zins) = 120
Kaufvertrag 1 Kaufpreis 100
sofort fällig Kaufpreis gestundet, Zahlung meist in Raten
Lieferung
Matthias Casper | 5. Dezember 2011
Ausgewählte Produkte 17 Tawarruq
(Nachbildung eines Kredits im Dreipersonenverhältnis)
Käufer = Kreditnehmer
Dritter (Käufer)
Verkäufer (Bank)
Kaufvertrag 2 per sofort
Kaufpreis 100
Kaufvertrag 1 Kaufpreis 100 + Aufschlag (20) (~ Zins) = 120 gestundet Zulässigkeit umstritten,
wohl nur im Einzelfall
findet man an Warentermin-börsen
Matthias Casper | 5. Dezember 2011
Ausgewählte Produkte 18 Umgehungsstrukturen - Bay Ina
Kreditnehmer Käufer und Wiederverkäufer
Bank Verkäufer und Wiederkäufer
Kaufvertrag 2 Rückverkauf
Kaufpreis 100 per sofort
Kaufvertrag 1 über Rohstoff Kaufpreis 100 + Aufschlag (20) (~ Zins) = 120 Stundung
„Auszahlung der Darlehensvaluta“
„Erzeugung des Rückzahlungs-anspruchs“
nach überwiegender Auffassung unzulässig, akzeptiert nur von der schafiitischen Rechtsschule (Südostasien)
Matthias Casper | 5. Dezember 2011
Ausgewählte Produkte 19
Unternehmer (mudârib)
Anleger (rabb al-mâl)
mudâraba
Kapitalanteil Management-Anteil
Anspruch auf Gewinnquote
+ Verlustbeteiligung
Zur Errinnerung: mudâraba
Matthias Casper | 5. Dezember 2011
Ausgewählte Produkte 20
Unternehmer (mudârib)
Zweckgesellschaft
mudâraba
Kapitalanteil 100 = Einlage
Management-Anteil
Die Sharia-Falle am Beispiel des Sukuk-al-mudâraba
Viele Anleger (rabb al-mâl)
Einlage
Unbestimmter Gewinnanspruch
Fester Rückzahlungsanspruch am Ende der Laufzeit i.H.v. 100?
Matthias Casper | 5. Dezember 2011
Risikoverteilung der Normgeltung 21
Die sog. Sharia-Falle • Bsp: Nachträglich wurde von Sheikh Taqi Usmani die Zulässigkeit derartiger
Sukuk-Strukturen bestritten, AAIOFI präzisierte Grundsätze Ø Dies führte zu Platzierungsproblemen bzw. Schwierigkeiten der
Veräußerung am Zweitmarkt (Kursverluste)
• Prospekthaftung nur soweit Umgehungsabsicht vorlag oder das Gutachten vorhersehbar war.
• Kann Emittent das Risiko bezüglich der Shariakonformität vertraglich auf den Anleger verlagern?
Matthias Casper | 5. Dezember 2011
Die Wirklichkeit 22
Beispiel Meridio Islamic Funds (Luxembourg)
• Verkaufsprospekt Meridio Islamic Funds (2010) S. 11: „Die Überprüfung der Konformität … mit der Sharia … wird von einem unabhängigen Sharia-Board sowie optional zusätzlich vom Sharia-Berater durchgeführt.“
• „Es wird davon ausgegangen, dass sich Anleger und Interessenten eigenverantwortlich informieren und aufgrund der Aussage eigener Sharia-Berater oder ähnlich verlässlicher Quellen davon überzeugen, dass die Gesellschaft oder der jeweilige Teilfonds nicht gegen Sharia-Grundsätze verstößt.“
• „Es besteht … das Risiko, dass sich der Status der Sharia-Konformität im Laufe der Zeit ändert. Die Gesellschaft übernimmt keine Haftung bezüglich dieser Änderung.“
Matthias Casper | 5. Dezember 2011
Risikoverteilung der Normgeltung 23
Sharia@Risk • Kann Emittent das Risiko bezüglich der Shariakonformität vertraglich auf den
Anleger verlagern?
Ø Ja, soweit die jetzige Einordnung als shariakonform auf einer vertretbaren Interpretation des ribâ-Verbots basierte
Ø Nein, soweit gezielte Umgehung
Ø Hinweis im Prospekt auf bekannte Kontroversen (z.B. bei Bay Ina)?
Matthias Casper | 5. Dezember 2011
Fazit 24
Fazit 1. Islamic Finance ist allenfalls zum Teil Ausdruck einer Re-Islamisierung des
Rechts islamisch geprägter Staaten. 2. Islamic Finance bedeutet keinen Rückfall in archaisches religiöses Recht,
sondern entwickelt sich zu einer Art lex mercatoria islamischer Finanzierungsformen.
3. Islamic Finance basiert auf Freiwilligkeit. 4. Islamic Finance bringt nicht die Sharia zur Anwendung, sondern will erreichen,
dass Finanzierungsverträge, die staatlichem (säkularem) Recht unterliegen, mit religiösen Grundsätzen vereinbar sind.
5. Dies wird mittels einer Zertifizierung durch Sharia Boards erreicht. 6. Sharia Boards lassen sich in das (westliche bzw. globale) Verständnis von
Corporate Governance einbetten. 7. Normumgehung im Islamic Finance bedeutet Umgehung der religiösen
Vorgaben, ist aber aufgrund der normativen Ambiguitätstoleranz des Islams selten.
Matthias Casper | 5. Dezember 2011