MANAGEMENT Boden ist heilig · 2015. 11. 5. · MANAGEMENT 12 3 2015 · UFA-REVUE ThEoRiE Und...

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BodEN uNd BodENfruchTBArkEiT ErhAlTEN dieUno-general-versammlunghat2015zum«internationalenJahrdesBodens»erklärt.landwirtAdrianRothenbühlerdiskutiertmitBodenwissenschaftlerEmmanuelFrossardüberBodenundErde,überBodenfruchtbarkeit,überBodenalsheimat,standort,nahrungsmittellieferant,Wasserspeicher,Biodiversitätsreservoir,Kohlenstoffspeicher.

Boden ist heilig

UFA-Revue: Was bedeutet für Sie Boden?Adrian rothenbühler: ich binhier auf dem Betrieb aufgewach-

sen,binalsoselberverwurzeltundge-erdet. der Boden ist meine lebens-grundlage.

Emmanuel frossard: Als ich mitmeinemstudiumbegann,widmeteichmichvonAnfangandenBodenwissen-schaften.dorttrifftmanBiologie,Phy-sik und Chemie, die miteinander in-teragieren. durch den Boden werdenEinkommengeneriert, alsogibt es in-teraktionenmitderÖkonomieundderPolitik.derBodenistnichtnurfürdienahrungsproduktion wichtig, sondernauch fürdieFiltrationvonWasser, alsKohlenstoffspeicher oder als Biodiver-sitätsbank.daserstegefundeneAntibi-otika, das streptomycin, stammt ausdem Boden. Boden, Erde beziehungs-weise humus hat mit unserer KulturundderReligionzutun.

Was hat Humus mit der Religion zu tun?Emmanuel frossard: derBoden istinderjüdischenundchristlichenKultureindrücklich durch den Rabbi hervéKrief aus lausanne beschrieben. so-wohlauflateinischwieaufhebräischstammt der mensch aus Erde. humusbedeutetauflateinischhomme–alsomensch. Auf hebräisch Adama – wieAdamdererstemensch.invielenReli-gionen und mythen wird der erstemenschausErdebeziehungsweiseauslehmgeformt.Wennmaneinbisschenin die Tiefe geht, entdeckt man dieVielschichtigkeit des Bodens für diemenschheit. die menschheit lebt mitundvondemBoden.

Adrian rothenbühler: dashatschonetwas,dennauchfürmichistderBo-denheilig.meinoberstesZielist,dassich einen gesunden, funktionierendenBetriebweitergebenmöchteundmei-ne Böden für die nächste generationerhaltenkann.

Was sehen Sie als grösste Probleme der Schweizer Böden an?Emmanuel frossard: dassindErosi-on, Verdichtung, Verlust von organi-schersubstanz,VerlustvonBiodiversi-tät,UmweltverschmutzungundVerlustvon Kulturland. diese Probleme sindabernichtnurfürdieschweizrelevant,sondernfindensichinganzEuropa.

Welches dieser Probleme beschäftigt Sie auf Ihrem Betrieb?Adrian rothenbühler: BodenerosionistinunsererflachenRegioneigentlichkein Thema. Problematisch ist einer-seitsVerschlämmung,weildasWasserschlechtabfliessenkann,undanderer-seitsdiehumusverlustedurchdasErn-tegut.BeiderErntebleibtvielErdeandenKarottenundZuckerrübenklebenunddieseguteErdegehtdemBetriebverloren. ich versuche die Verlustedurch eine Vielzahl von massnahmenwettzumachen, beispielsweise mitgründüngung oder indem ich stroheinarbeite und hofdünger einsetze.dergefahrvonVerdichtungenbegeg-ne ich mit meinem relativ bescheide-nenFuhrpark.

Was haben Sie für Böden?Adrian rothenbühler: ichhabesan-dige lehmböden mit zwischen 2 und5%humusanteilundeinemTonanteilzwischen10und20%.

Emmanuel frossard: AlsoidealeBö-denfürKarotten.Adrian rothenbühler: ichbinoffenfürneuesundleseFachzeitschriften.inunserer Branche gibt es Vertreter vonPflanzenschutz- oder düngerfirmen,dieaufdenBetriebkommen.Klar,willjederetwasverkaufen,abermankannauchdasBesteausdemgesprächmiteinemFachmannherausholen.seitvierJahren verbessere ich beispielsweisedieBödenmitBrandkalk.Emmanuel frossard: Es istgut,daszu hören. Viele Bauern vernachlässi-gennämlichdieKalkung.dieKalkungvollbringt keine Wunder von heuteauf morgen, aber verbessert die Bo-denstrukturunddiebiologischeAkti-vität langfristig gesehen. gerade imgemüsebau ist das wichtig. der Bo-den hat ein gedächtnis. Wenn dierichtigenmassnahmenversäumtwer-den, braucht es lange, um das zukorrigieren.

Pflügen ja oder nein? Adrian rothenbühler: Eigentlich istman heute so weit, dass man allespfluglos machen könnte. ich bewirt-schafte meine Flächen in einer ab-wechslungsreichen Fruchtfolge, wennimmermöglichohnezupflügen.Abermeine Vorahnen haben unsere Acker-flächemithofdüngerundPflugfrucht-bar gemacht. ich bin nicht Wissen-schaftler, aber so schlecht kann derPflugalsoauchnichtsein.Emmanuel frossard: Esgibtnieeineperfektelösung.Jedemassnahmehatihre Vor- und nachteile. Wir leitetenein Forschungsprojekt in madagaskar,wodieBödenstarkdegradiertsindundressourcenschonende landwirtschaftli-

Theorie und Praxis im dialoginunsererserie«TheorieundPraxis»diskutiertjeweilseinlandwirtodereineBäuerinmiteinemVertreterausderForschung.EsergebensichkontroverseAn-sichtenundspannendediskussionen.

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Adrian rothenbühler(51),meisterlandwirt,bewirtschafteteinen30-ha-BetriebinUtzenstorf(BE).AngebautwerdenKartoffeln,getreide,mais,Zuckerrüben,KarottenundZwiebeln.VorvierJahrenhaterdiemilchviehhaltungaufgegebenundistindiePouletmasteingestiegen.EristverheiratetmitBarbara,welchebeiderspitextätigist.sohnundTochtersteheninderBerufsausbildung.dieArbeitsspitzenwurdenimherbstindenletztenJahrenjeweilsmiteinemPraktikantenbewältigt.AufAugust2015wirdbeiihmwiedereinlernendertätigsein.

Emmanuel frossard (54)kommtausFrankreich,woerAgrarwissenschafteninnancystudierteundpromovierte.1994wurdeerProfessorfürPflanzenernährunganderEThundleitetdieForschungsgruppePflanzenernährunginEschikon,lindau(Zh),welcherund30leuteumfasst.seitseptember2014isterPräsidentdersteuerungs-gruppedesnationalenForschungsprogramms«nachhaltigenutzungderRessourceBoden»(www.nfp68.ch).EristverheiratetundlebtmitseinerEhefrauunddendreiKinderninmadetswil(Zh).

chePraktikengefördertwerdensollen.direktsaat, Fruchtfolge und ständigeBodenbedeckung durch Pflanzen hel-fengegenErosion,förderndieFrucht-barkeitunddieBiodiversitätsowieun-terstützen die Bekämpfung vonProblemunkräutern wie striga. dieleute brauchen diese ressourcenscho-nenden Praktiken wie eine medizin.Wennsiefinden,dassesnötigsei,set-zensiesieein.sobaldderBodenwie-der gut ist, greifendieBauernwiederzumPflug.EsisteinpragmatischerUm-gang.mitder reduziertenBodenbear-beitungkonntestrigaaberohneherbi-zide mit gründüngung bekämpftwerden.

Adrian rothenbühler: seit bei unsdie reduzierte Bodenbearbeitung auf-gekommenist,istdieAnwendungvonTotalherbizidengestiegen.dasgoutie-reichgarnicht.Emmanuel frossard: Ja, auch dieKollegenderEawagfindenimmermehrAbbauprodukte von glyphosat in dengewässern.Adrian rothenbühler: VonPflanzen-schutzfirmen werden immer häufigerdünger-hilfsstoffe mit meeralgen an-geboten. ich habe letztes Jahr gezielteineKartoffelparzelledamitbehandeltundwurdepositivüberrascht.Wassa-gen sie, als Wissenschaftler, zumeeralgenprodukten?Emmanuel frossard: ich habe dasnicht untersucht. Aber einer meinerstudenten hat ein meeralgenprodukt

aufdemBetriebseinesVatersbeimaisund getreide getestet. Bei mais liesssicheinepositiveWirkungnachweisen.ich hoffe, dass die Wirkung solcherProdukte nicht nur lokal begrenzt ist.solche Produkte sind teuer und dassollte sich längerfristigaufdieBoden-qualitätauswirken.

Kulturlandverlust wurde eingangs als Problem genannt. Wie sehen Sie das? Adrian rothenbühler: PunktoFruchtfolgeflächen haben wir Alarm-stufe rot. Vom Kanton aus wurdenFruchtfolgeflächenfürgemeindenundRegionendefiniert.ichnehmean,dassdie Verantwortlichen keine ortsschaugemacht hatten, denn auch moorge-bietundParzelleninhügelzonenwur-den der Fruchtfolgefläche zugeteilt.gleichzeitigstelltderKantonaberBe-dingungenfürBodenschutzundErosi-on auf. das kann so nicht funktionie-ren.Bodenmusserhaltenbleiben,dasistfürBiodiversitätundUmweltwich-tig.AberdassmanFlüssewiederdena-turiertunddafürderFruchtfolgeflächezig hektaren entzieht, geht für michnicht. Es ist zu einfach heute mit Bo-denenteignungen. der Boden gehörtnicht mal denen, die solche Projekteanreissen. man bestimmt über unsBauernundEigentümerhinweg.Emmanuel frossard: ichbinmitih-nennichtganzeinverstanden,derBo-dengehörtnichtnurdenlandwirten,sondernergehörtdermenschheit.derBoden ist fürallewichtig.derKultur-

landverlustistdramatisch,prosekundeverschwindeteinQuadratmeterBodenunddas schon seit Jahrzehnten.AuchsolltesichdiediskussionumFruchtfol-geflächennichtnurumQuadratmeterdrehen,sondernmanmussdieökolo-gischen leistungen dieser Böden se-hen. Wenn Fruchtfolgefläche verbautwird,gibtesnichtnurlandschaftsver-änderungen,sondernauchdievermin-derteFähigkeitdesBodensnähr-undschadstoffe zurückzuhalten und hatEinfluss sowohl auf den gewässer-schutzvorort,alsauchaufferneKüs-tenökosysteme. ich denke dabei bei-spielsweiseanEutrophierung.Adrian rothenbühler: inBezug aufdieRaumplanungbinichfroh,dassichallesgebauthabe,wasichbauenwoll-te. ichweissvoneinemKollegen,dervierJahreaufdiegenehmigungwartenmusste und schlussendlich kam jeneVariante zum Tragen, die er als ersteeingegebenhatte.stellensiesichvor,siebeschliessengemeinsaminderFa-milie,einenstallaufzustellen,undha-bendafür die Finanzen zusammen. Jemehr verschiedene Varianten sie inAuftrag geben müssen, desto mehrschmilztdasFinanzpolster.Emmanuel frossard: VierJahresindeine lange Zeit, das ist bitter. dieRaumplanungistauchTeildesnFP68und ich hoffe, dass wir dort einenschrittweiterkommen.Adrian rothenbühler: manchmalfrage ichmichschon,ob inBezugauflandwirtschaftliches Bauen so viel Bü-

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rokratienötigist.Allewollengünstigelebensmittel,aberniemandwillgrosseställe.Esistabernunmalso,dassmannur in grösseren Einheiten wirtschaft-lichproduzierenkann.

Ist die Politik das richtige Instrument, um Massnahmen bezüglich Nachhaltig-keit, Erosion und Bodenschutz zu steuern?Emmanuel frossard: die Politikmuss Rahmenbedingungen schaffen,damit sich die nachhaltige landwirt-schaftentfaltenkann.dieFrageist,wieweit man ins detail gehen muss. AlsagrarpolitischeineausgeglichenePhos-phat- und stickstoffbilanz auf Be-triebsebeneverlangtwurde,hattedasbeispielsweiseeineguteWirkung.Adrian rothenbühler: Warnichtzu-erst die Wissenschaft da und hat aufdie Phosphatproblematik aufmerksamgemacht? Und dann kam die Politikund verlangte eine ausgeglichenenährstoffbilanz. Aber mit dem Erosi-onsschutzimRahmenderAP14-17liefesbeidenKartoffelnbeispielsweisean-ders. Zuerst hat die Politik verordnet,undzwarohnewissenschaftlichbeleg-bareFakten.dieKartoffelproduzentenhaben sich gewehrt und nun müssendieFaktendurchdieWissenschaftundunsBauernbelegtwerden.

Ein Rezept für nachhaltige Landwirt-schaft und Erhaltung des Humusgehalts ist die Bio-Landwirtschaft. Emmanuel frossard: Biomussnichtzwangweise flächendeckend in derschweizeingeführtwerden.diePrinzi-pien der integrierten Produktion sindschongut.manmussnicht alle zwin-gen,Bio-landbauzubetreiben.Adrian rothenbühler: ich habegrossen Respekt vor den Bio-Bauern,

binabereherderTyp,derfürdenmarktproduzierenwill.nachÖln-Richtlinien,wiedasgangundgäbeist.

Wie kann man sich die ETH-Fachlitera-tur zu Gemüte führen? Die ETH publi-ziert ja nur in Englisch.Emmanuel frossard: Ja, das ist so.AberdieResultate,dievonmeinerFor-schungsgruppenutzbarsind,wennichessosagendarf,sindunserestudieren-den–siesinddieProdukte,diedieEThhervorbringt.ichbinsehrstolzaufsie.siefindenmeistens schoneine stelle,noch bevor sie das studium abge-schlossenhaben.UnsereUnterrichtsak-tivitäten sind eng mit der Forschungverknüpftunddadurchlernendiestu-dierendenkomplexesystemezuanaly-sierenundgeeignetelösungenzufin-den.dieForschung,diewiranderEThmachen, ist grundlagenforschung unddieResultatesindnichtvonheuteaufmorgennutzbar.

Können Sie mir ein Beispiel geben für Grundlagenforschung?Emmanuel frossard: in den 80erJahrenbegannichinnancy,woichalsForschertätigwar,michdemPhosphatzuzuwenden. Zusammen mit meinenKollegen entwickelten wir herange-hensweisen,umPhosphatflüsseimBo-den-dünge-Pflanzensystem zu quanti-fizieren. die Phosphataufnahme solltewirkungsvoller werden. dabei betrafein Forschungsbereich Phosphat imKlärschlamm und dessen düngewir-kung. mit diesem wissenschaftlichenRüstzeugkamich1994indieschweiz,wo ich mich mit meiner Forschungs-gruppeweiterhindamitbeschäftigte.

2006 kam das Klärschlammverbot für die Landwirtschaft.

Emmanuel frossard: Ja, Klär-schlamm wird seither verbrannt unddieAscheinsonderdeponiengelagert.in der schweiz werden jährlich rund6000tPhosphorinFormvonmineral-düngeralsdüngemittelimportiert.ge-nau so viel Phosphor landet in Formvon Asche in den deponien. das hatman auch auf politischer Ebene be-merkt.WennwirunseinebessereRes-sourceneffizienz auf die Fahne ge-schrieben haben, dann kann das sonicht mehr weitergehen. ingenieurenhatten ein Verfahren entwickelt, umdieschwermetalleausderKlärschlam-maschezuextrahieren.dabeitestetenwirdiePhosphat-düngewirkungdieserübrig gebliebenen Klärschlammasche.leider kann dieses Phosphat aus derKlärschlammaschenurvonKultureninsaurenoderph-neutralenBödenaufge-nommen werden. Zudem zeigten dieWirtschaftlichkeitsberechnungen derKollegen vom ETh-institut für Agrar-wirtschaft, dass sich dieser Prozessnochnichtlohnt.

Die importierten Phosphat-Dünger sind preisgünstiger.Emmanuel frossard: Zusammenmitdem Kanton Zürich prüften wir neueWege.sokannauchdasPhosphatausderKlärschlammascheextrahiertwer-den,waseinengutendüngerfürvieleKulturen und auch für Kalkböden er-gibt. Basierend auf unseren For-schungsergebnissenentschiedderKan-ton Zürich, den Bau einer zentralenKlärschlamm-Verbrennungsanlage imWerdhölzliZürichundwirhoffen,dassbald auch die Anlagen, um Phosphataus Klärschlammasche zu rezyklieren,realisiertwerden.

Danke für das Gespräch. www.ufarevue.ch 3 · 15

interview Daniela Clemenz, Gaël Monnerat, UFA-Revue, 8401 Winterthur

In unserer Serie «Theorie und Praxis» diskutiert jeweils ein Landwirt oder eine Bäuerin mit einem Vertreter der Forschung.

Adrian Rothenbühler und Emmanuel Frossard auf dem Betrieb Rain in Utzenstorf.