Neuere Hirnforschung und TA-Theorien Entsprechungen, Herausforderungen und praktische Bedeutung...

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Neuere Hirnforschung und TA-Theorien

Entsprechungen, Herausforderungen und praktische Bedeutung

Prof. Dr. Ulrich Elbing, TSTA

Leitfragen

• In welcher Position und Haltung setzen wir TA-lerInnen uns mit der Hirnforschung auseinander?

• Wovon können wir ausgehen?• Wo entsprechen sich TA-Konzepte und

Erkenntnisse der Hirnforschung, wo fordern sie sich gegenseitig heraus?

• Was bedeutet das für die TA-Praxis?

Positionen zur Hirnforschung (1)

•  „Given the importance of synaptic transmission in brain function, it should practically be a truism to say that the self is synaptic. What else can it be?” (Le Doux, 2002, in: Hine, 2005, S. 40)

• „Zusammengefasst kann Therapie als das Ändern neuronaler Netzwerke verstanden werden“ (Allen 2003, S. 158).

• „Das Ich ist in seinen vielfältigen Ausprägungen ein ontogenetisch spätes Produkt des Gehirns“ (Roth, 2004, S. 37).

Positionen zur Hirnforschung (2)

• „Das traditionelle, an den Naturwissenschaften ausgerichtete Wissenschaftsverständnis ist für die Wissenschaft vom Leben nur unzureichend geeignet. [...] (Die) gelungenen Konzepte (der TA) sind Kunstwerke. Sie widersetzen sich deshalb der Reduktion auf eine geschlossene, im traditionellen Sinne als wissenschaftlich anerkannte Theorie“ (Klöcker, 2002, S. 23).

Positionen zur Hirnforschung (3)

„Die Gefahr, sich unkritisch hin zu Wissenschaft, Medizin und Ökonomie zu bewegen, muss vermieden werden, und das, was akzeptiert werden muss, ist die Herausforderung, jene wissenschaftlichen Errungenschaften für das Feld anzuerkennen, für das sie gültig sind - insofern als der Naturalismus Teil der notwendigen Bedingungen für therapeutische Interventionen, aber weit davon entfernt ist, hinreichend zu sein” (Scilligo, 2004, in: Tosi, 2008, S. 119; Übers. d. Verf.).

Positionen zur Hirnforschung (4)

•  “…unterschiedliche psychische Störungen (lösen) oft ähnliche Veränderungen der Informationsverarbeitung aus(...). Insofern haben psychische Störungen definitiv neuropsychologische Auswirkungen, müssen jedoch unter einer anderen Perspektive betrachtet werden als neurologische Erkrankungen“ (Lautenbacher & Gauggel, 2004, S.

3).  

Meine Position zur Hirnforschung

• Eine Gleichsetzung oder unmittelbare Entsprechung zwischen psychischen Prozessen (und damit den TA-Konzepten, die sie beschreiben) und Hirnprozessen ist wissenschaftstheoretisch zumindest bedenklich.  

• Und sie würde einen wechselseitigen, fruchtbaren Dialog auf Augenhöhe sehr erschweren.

• Darin liegt jedoch eine Chance für die Zukunft der TA.

Belastbare Ausgangspunkte (1)

• Änderungs- und Entwicklungsoptimismus werden durch die Hirnforschung gestützt und differenziert.

• Neubewertung des Zeitfaktors für nachhaltige Lernprozesse

Belastbare Ausgangspunkte (2)

• Die zentrale Rolle von Beziehung und Bindung für Lernen, Änderung und Entwicklung wird durch die Hirnforschung unterstützt.

• „Für jede Form von Lernen ist wichtig: Gelernt wird, wenn positive Erfahrungen gemacht werden (...), wobei deutlich sein muss, dass für den Menschen die positive Erfahrung schlechthin in positiven Sozialkontakten besteht. (...) Gemeinschaftliches Handeln ist wahrscheinlich der bedeutsamste ‚Verstärker’. Die biologischen Wurzeln der therapeutischen Situation werden so unmittelbar deutlich“ (Spitzer, 2004, S. 53).

Entsprechungen und Herausforderungen

Das Gehirn ist das Resultat seinerBenutzung (Biographie)

Wissen wird nicht passiv erworben, sondern aktiv konstruiert.

Das autopoetische Subjekt in der Transaktionsanalyse

• Der Entscheidungsbegriff der TA– Überlebens-Entscheidung– Aktive Skript-Bestätigung: Köder,

Rackets, Racket/Skript-System, Miniskript...

– Neu-Entscheidung

• Aspiration

Lernen in früher Jugend unterscheidet sich vomLernen bei Erwachsenen darin, dass Erfahrungenund Lernprozesse im kindlichen Gehirn viel massivere und auch dauerhaftere Spurenhinterlassen als im erwachsenen Gehirn.

Das Gehirn ist plastisch; die Plastizität nimmt mitzunehmendem Alter ab, geht aber nicht auf Nullzurück.

Der moderne Skriptbegriff

• BABCOCK & KEEPERS 1976: Plastizität, lebenslange Neugestaltung

• ENGLISH 1977: Lösungsorientierung, menschlicheNotwendigkeit, Sinnstiftung (PIAGET, KEGAN)

• CORNELL 1988: Konstruktivistische Perspektive in der Lebensspanne - Sinn und Bedeutung

• ALLEN 1999: coherent script

• MOISO & NOVELLINO 2004: gelebte, fortlaufend interaktiv erschaffene Geschichten

pathologisches Scriptverständnis entwicklungsoffenes ScriptverständnisL

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BERNE 1961,1972 Script- Entwurf(Protokoll, „ Anlage“durch erste traumatischeErfahrung)

Palimpseste . .

Eigentliches Script(Script proper)

AnpassungKompromißbildungAdaptation

ERSKINE 1991, 1998Coping, modernerAbwehr- Begriff,nicht notwendigunbewusst; Lebensskript als Makro-Ausdruck der Übertragung

En

tsch

eid

un

gen GOULDING& GOULDING

1976 Neuentscheidung

ALLEN & ALLEN 1988

Erlaubnisse zurEntscheidung

FRIEDMAN & SHMUKLER 1992Übergangsraum- organisierendeMatrix( Winnicott)

ENGLISH 1977Lösungsorientierung, menschlicheNotwendigkeit, Sinnstiftung( PIAGET, KEGAN)

BABCOCK & KEEPERS 1976 Plastizität,lebenslange Neugestaltung

CORNELL 1988Konstruktionistische Perspektivein der Lebensspanne -Sinn und Bedeutung

ALLEN 1999

coherent script

MOISO & NOVELLINO 2004gelebte, fortlaufend interaktiverschaffene Geschichten

konstruktionistischneuropsychychologischnarrativ

Script-Apparat

path. Scriptverständnis des eigentl. Scriptes

Ganze

Lebensspanne

© Ulrich Elbing 2005

Erinnern im Sinne von wieder Aufrufen des immer Gleichen gibt es nicht.

Erinnern heisst Erkenntnisse immer wieder in neuen Kontexten aktivieren. „Jede Erinnerung verändert das Behaltene durch das Implizieren eines neuen Kontextes.“

Annette Scheunpflug, 2001

Jeder Abruf von Erinnerung (‚Ekphorie‘) ziehteine Neueinspeicherung nach sich (Re- Enkodierung), wodurch die erneut eingespeicherte,‚alte‘ Information gefestigt, allerdings auch modifiziert und an die Gegenwart angepasst wird.

Dialektik von Wiederholung und Veränderung in der TA

• „Dialektisches Potential“ in den Konzepten:– Spielnutzen– Grade der Skript-Verfallenheit– Skriptsystem als un-erhörte Geschichte (Thomas

Weil)

• Problem: On/Off-Modell hinter den Konzepten Spiel-Ausstieg, Skript-Ausstieg, Ent-Trübung, Skript-Verstärkung und Konfrontation

Gedächtnis-Systeme und Neues vom Unbewussten

• Explizites und implizites Gedächtnis• Unbewusstes:

– nicht symbolisierbare Gedächtnisinhalte– Unterdrückte und nicht unterdrückte Inhalte

• Ent-Pathologisierung des Unbewussten• Neue Verhältnisbestimmung

Ich Es

Unbewusstes und TA-Konzepte

• Unbewusste Kommunikation (Novellino, 2005)– Psychologische Ebene: Unbewusste Konstruktion

assoziativer Verknüpfungen – Die psychologische Ebene ist nicht willentlich

bewusst zu machen– Inhalt: Erzählung über ein Drittes außerhalb der

therapeutischen Beziehung– Ziel: Mitteilung bewusst nicht akzeptabler Inhalte

(u.a. über die therapeutische Beziehung)

Unbewusstes und TA-Konzepte

• Ich-Zustände:– Ergänzung von Denken, Fühlen und

Verhalten um den Körper-Aspekt (Thomas Weil)

– Ich-Zustände als Träger und Ausdruck von bewusster und unbewusster Beziehungsgeschichte (Maria T. Tosi, 2008)

Spannende TA-Konzepte für die Gehirnforschung

• Ich-Zustands-Wechsel

• Prozess der Enttrübung

• Kleiner Professor

• Ersatzgefühle

Bedeutung für die Praxis

• Neu und anders zuhören lernen

• Vorsicht, Abwertung! Oder: Das Unbewusste ist beschäftigt.

• Ein neuer Umgang mit dem Unsagbaren und dem Verstehen (wollen/müssen)

• Exercise is good for you...

Thesen zur Diskussion (1)

• Die TA kann sich durch die Hirnforschung bestätigt sehen (wie andere Verfahren auch).– Worin können die Gefahren einer naiven

Bestätigungsfreude liegen?

• Die Hirnforschung hilft, TA-Konzepte weiter zu ent-pathologisieren.– Was bedeuten die Erkenntnisse zu Lernen

und Erinnern für Konzepte wie Skript, Spiele, Vertrag?

Thesen zur Diskussion (2)

• Die TA wird neue Fakten integrieren müssen.– Was bedeutet die neuere Auffassung vom

Unbewussten für Konzepte wie Entscheidung, Transaktionen, Transaktionsregeln?

• Der Wahrnehmung trauen und sie sorgfältig beschreiben war und ist ein wichtiger Schlüssel zur Entwicklung neuer TA-Konzepte.– Welche Phänomene kenne und nehme ich

wahr, die nicht (gut) zu den gängigen TA-Konzepten passen?

Literatur

• Allen, J.R. (2003). Neurophysiologische/entwicklungsbedingte Grundlagen von TA. Zeitschrift für Transaktionsanalyse 20(2), 146-162.

• Hine, J. (2005). Brain structures and ego states. Transactional Analysis Journal, 35(1), 40-51.

• Klöcker, N. (2002). Die TA im Spannungsbogen zwischen Wissenschaft und Kunst. Zeitschrift für Transaktionsanalyse 19(1), 5-24.

• Lautenbacher, S. u. Gauggel, S. (Hg.) (2004). Neuropsychologie psychischer Störungen. Berlin: Springer.

• Novellino, M. (2005). Transactional psychoanalysis: Epistemological foundations. Transactional Analysis Journal, Vol. 35, No. 2, 157-172.

• Roth, G. (2004). Wie das Gehirn die Seele macht. In Schiepek, G. (Hg.) Neurobiologie der Psychotherapie (S. 28-41). Stuttgart: Schattauer.

• Tosi, M.T. (2008). The many faces of the unconcious: A new unconcious for a phenomenological Transactional Analysis. Transactional Analysis Journal, 38(2), 119-127.

• Spitzer, M. (2004). Neuronale Netzwerke und Psychotherapie. In Schiepek, G. (Hg.) Neurobiologie der Psychotherapie (S. 42-57). Stuttgart: Schattauer.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

Kontakt: ulrichelbing@arcor.de

Positionen zur Hirnforschung (3)

•  „The danger of moving acritically towards science, medicine, and economics must be avoided, and what must be accepted is the challenge of appreciating those scientific acqusitions for the field in which they are valid, in as much as naturalism is part of the necessary criteria for therapeutic intervention but is far from being suffficient” (Scilligo, 2004, in: Tosi, 2008, S. 119).

Spannende TA-Konzepte für die Gehirnforschung

• Ich-Zustands-Wechsel

• Prozess der Enttrübung

• Kleiner Professor

• Ersatzgefühle