Neurobiologische Grundlagen der Zwangsstörungen · Pathophysiology of obsessive-compulsive...

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Neurobiologische Grundlagen

der Zwangsstörungen

Referat von Alexander Kiel

• Inhalt des Referates:

1. Untersuchungsmethoden der neurobiologischen Forschung

2. Neurobiologische Modelle der Zwangsstörungen

Untersuchungsmethoden

1. Bilgebende Verfahren:

● zwei- oder dreidimensionale Bilder● liefern strukturelle Informationen über das Gehirn

2. Verfahren zur Darstellung des lebendenGehirns in Aktion:

● liefern Informationen über die Gehirnaktivität● Unterscheidung zwischen aktiven und inaktiven

Hirnarealen

Bildgebende Verfahren

● Computertomographie (CT)

● Magnet-Resonanz-Tomographie (MRT)

Darstellung des Gehirns in Aktion

● Funktionelle MRT

● Positronen-Emissions-Tomographie (PET)

● Elektroencephalographie (EEG)

●Magnetencephalographie (MEG)

Bildgebende Verfahren● Computertomographie (CT): fächerförmige

Röntgenstrahlung im Tomograph

Bildgebende Verfahren

● Magnet-Resonanz-Tomographie (MRT):starke Megnetfelder führen zur Strahlungsemission durch Protonen im Gewebe

Darstellung des Gehirns in Aktion● Funktionelle MRT: Messungen von Veränderungen des

Verhältnisses von Oxyhämoglobin zu Desoxyhämoglobin im Blut

Darstellung des Gehirns in Aktion● Positronen-Emissions-Tomographie (PET): Injektion

von radioaktiven Kontrastmitteln

Darstellung des Gehirns in Aktion● Elektroencephalographie (EEG): Messung der

elektrischen Aktivität von Neuronengruppen mit Elektroden

Darstellung des Gehirns in Aktion● Magnetencephalographie (MEG): Messung

neuromagnetischer Felder im Gehirn

Welche Probleme könnten sich bei den oben erwähnten Untersuchungsmethoden ergeben?

Methodische Probleme

1. Kleine Stichproben aufgund des hohen Untersuchungsaufwandes

2. Sehr viele Variablen, die die Ergebnisse beeinflussen: Geräte, Methoden. Kompetenz der Untersucher etc.

Folge: wenig Übereinstimmung zwischen verschiedenenStudien bei kleinen Stichproben

Neurobiologische Modelle der Zwangsstörungen

1. Modell der dysfunktionalen kortikostriatalenRegelkreise (Baxter)

2. Die zentrale Rolle der Amygdala

3. Neurochemisch-serotonerges Modell

Modell der dysfunktionalenkortikostriatalen Regelkreise

Wichtige Gehirnstrukturen:

● Der Präfrontale Cortex (PFC)● Das paralimbische System● Basalganglien ● Thalamus

Der Präfrontale Cortex

● Ein Teil des Frontallapens des Cortex

Der Präfrontale CortexFunktionen:● Reaktionsinhibition● Planung● Organisation● Kontrolle und Überprüfung von komplexen AufgabenDysfunktion führt zu:● Enthemmung● Inflexibilität● Perseveration● Desorganisation

Der Präfrontale Cortex

Bestandteile und ihre Funktionen:

1. Dorsolateraler PFC (dlPFC):● Lernen ● Gedächtnisprozesse● Planung und andere exekutive Funktionen

Der Präfrontale Cortex

Bestandteile und ihre Funktionen:2. Ventraler PFC (vPFC):● Posteromedialer Orbitofrontaler Kortex (PMOFC): Teil

des paralimbischen Systems, wichtig bei Affektregulation und Motivation (3)

● Anteriolateraler Orbitofrontaler Kortex (ALOFC):Inhibition und Regulation von Sozialverhalten (2)

ALOFCOFC PMOFC

Das paralimbische System

Funktion:

● entscheidende Funktion in der Vermittlung intensiver Emotionen, insbesondere bei der Angst

Bestandteile:

● PMOFC ● Gyrus cinguli● Insula

Das paralimbische SystemGyrus cinguli

Funktion:● Aufmerksamkeit● Koordination von Willkürbewegungen

Das paralimbische System

Insula:

● Darin befindet sich der primäre gustatorische Cortex

Insula

Basalganglien● Ansammlung subcorticaler Kerne, die an den Außenseiten

des Thalamus liegenFunktionen:● motorische Funktionen ● Erlernen von Reiz-Reaktionsketten ● Ausbildung von GewohnheitenBestandteile:● Striatum (Nucleus caudatus+Putamen) ● Globus pallidus● Nucleus subthalamicus● Substantia nigra

BasalganglienPA: Tendenz, starke angenehme Gefühle zu erfahren. Am hohen Pol befinden sich Begeisterung und Aufregung, am niedrigen Pol fehlen diese Gefühle, aber negative Emotionen sind nicht notwendigerweise vorhanden.

NA: Tendenz, starke unangenehme Gefühle zu erfahren. Am hohen Pol befinden sich Angst und Ärger, am niedrigen Pol fehlen diese Gefühle, aber positive Gefühle sind nicht notwendigerweise vorhanden.

StriatumFunktion: unbewußte Info-Verarbeitung

Globus pallidus, Nucleus subthalamicus

und Substantia nigra

Thalamus

● eine Ansammlung von Kernen

● Umschaltstation für alle afferenten (sensorischen) Nervenbahnen zum Cortex (Ausnahme Riechbahn)

2 Schleifen2. Direkte Schleife:● Projektionen vom Striatum über den Globus pallidus internus zum

Thalamus (exzitatorische Wirkung auf den Thalamus)

● Aktiviert Verhaltens-Macros: komplexe situationsspezifische Verhaltensprogramme, die in halbautomatischer Weise aktiviert werden

2. Indirekte Schleife: Projektionen vom Striatum über den Globus pallidus externus zum Globus pallidus internus und zum Thalamus (inhibitorische Wirkung auf den Thalamus)

● Funktion: flexible und situationsangepasste Initiierung und Beendigung des Verhaltens

● Bei Störung der Balance: Verhaltensprobleme

Ausgangspunkt des Modells

Hyperaktivierter neuronaler Schaltkreis zwischen:

● OFC

● Basalganglien

● Thalamus

Modell der dysfunktionalenkortikostriatalen Regelkreise

(Baxter) Schematische Darstellung

Dorsaler PFC

Ventraler PFC

StriatumIndirekter PfadDirekter Pfad

Dorsaler Thalamus

Verhaltens - Macros

Kettenreaktion

1. Überaktivität in der direkten Schleife →2. Enthemmung im Thalamus →3. aufschaukelnde Wechselwirkung zwischen dem

Thalamus und dem OFC →4. schwer zu stoppendes impulsgesteuertes Verhalten

● Diese Zwangssymptomatik kommt vor allem durch eine Überaktivierung des OFC, der sich mit affektiven Zuständen (Emotionen) befasst

Was erklärt das Modell nicht?

Affektive und motivationale Begleiterscheinungen (Angst und innerer Drang) werden nicht erklärt!!!

Annahme: ● eventuelle Beteiligung des limbischen oder des

paralimbischen Systems

Studie von Baxter (1992)

Studie:

● Mit Hilfe der PET wurden lokale cerebrale Metabolismusraten für Glucose bei Patienten mit Zwangsstörungen vor und nach einer Behandlung entweder mit Fluoxetin oder mit einer Verhaltenstherapie untersucht

Stichprobenbeschreibung

22,8 (7,4)26,6 (9,7)HAM-A

7,8 (5,7)10,4 (5,4)HAM-D

23,9 (5,5)24,9 (3,6)Y-BOCS

4/53/6Geschlecht m/w

34,7 (6,0)31,2 (12,9)Alter

99N

VerhaltenstherapieMedikamentöse Therapiemit Fluoxetin

Alle Patienten leiden unter einer primären ZS, die von wenigstens 1-jähriger Dauer ist

Methodik

• Alle Patienten erhalten vor Beginn und nach Beendigung der Behandlung (10 ± 2 Wochen) ein PET-Scan (Positronen Emissions Tomograph, Dauer einer Aufnahme: 40 Min.)

• Anhand der Prä-Post-Werte in der Y-BOCS werden die behandelten Patienten in Responder und Non-Responder unterteilt

• Regions of Interest (ROI; vor Analyse festgelegte Hirnregionen) werden genauer für die Subgruppenanalysiert

Ergebnisse

Non-ResonderN=2 N=3

22,0 (4,9)27,0 (5,7)19,5 (0,5)24,0 (2,0)Y-BOCS

13,5 (4,0)22,3 (4,1)13,0 (2,9)25,8 (3,7)Y-BOCS

ResponderN=7 N=6

Verhaltenstherapieprä post

Medikamentöse Therapieprä post

Ergebnisse

• Therapieresponder zeigen, unabhängig von der Art der Behandlung, Veränderungen im rechten Nucleus caudatus(einer Substruktur des Striatums).

• Aktivierung im orbitofrontalen Kortex ist signifikant korreliert mit der Aktivierung des Nucleus caudatus und

des Thalamus vor der Therapie bei den Therapierespondern.

• Diese Korrelation der Aktivierung ist nach erfolgreicher Behandlung nicht mehr zu beobachten.

Weitere empirische Befunde

● Bei Patienten, die sowohl ZS hatten als auch unter einer Depression litten, fand man nur im Thalamus eine Überaktivierung. Die Aktivierung im OFC und im Nucleus caudatus war dagegen sogar geringer als die bei reinen ZS-Patienten!!! (Saxena et al., 2001)

Schlussfolgerung: ● Man muss zwischen verschiedenen Subtypen der ZS

unterscheiden

40

3 Symptomfaktoren nach Leckman, Grice und Zhang (1997)

Bestätigende Ergebnisse von Rauch (1998):

• Faktor I: Zwangsgedanken aggressiven Inhalts und Kontrollzwänge → erhöhte Aktivierung im Striatum

• Faktor II: Zwanghaftes Ordnen und Wiederholen →Hypoaktivierung im Striatum

• Faktor III: Angst vor Verunreinigung und zwanghaftes Säubern → erhöhte Aktivierung im OFC und im Anterioren Cingularen Cortex

Fazit

● Ohne Berücksichtigung der Subtypen der ZS ist noch weniger Übereinstimmung zwischen Studien zu erwarten

● All die oben erwähnten Befunde dürfen nicht als gesicherte Fakten angesehen werden, sondern sprechen dafür, dass noch viele weitere Studien notwendig sind, die größere Stichproben von Patienten untersuchen

Die zentrale Rolle der Amygdala

● Anatomie

● Funktion

● Projektionen

Anatomie● ein Komplex von Subnuclei im medialen Temporallappen

● Teil des limbischen SystemsMammilarkörper

Temporallappen Gyrus cinguli

Fornix

Hippocampus

Septum

Amygdala

Funktion

Limbisches System:● Steuerung von Emotionen und Motivationen

Amygdala:● emotionale Bewertung von Reizen ● Emotionsausdruck und Erkennen von Emotionen ● Steuerung von Furchtreaktionen ● reagiert auf biologisch Relevante Reize mit einer Aktivierung des

ANS ● reguliert den Gesamtarousal des Organismus

ProjektionenAfferenzen:● verschiedene Cortexareale● Paralimbischer Cortex, Thalamus und Hippocampus

Efferenzen:● OFC, PFC, Striatum, Thalamus und Hippocampus

Position zwischen sensorischer Info-Verarbeitung und motorischen und autonomen Systemen

Projektionen

Cortex

Amygdala

Thalamus Striatum

Auswirkung dieser Vernetzung

Vorteil:● Schnelle Erfassung und Weiterleitung von Gefahren

Nachteil:● unkontrollierte und generalisierten Angstreaktionen auf

unpassende Reize möglich

RattenversuchPhase I:● Ratten lernen Elektroschocks nach einem Ton durch

Hüpfen über ein Hindernis zu vermeiden

Phase II:● keine Elektroschocks mehr● Ton blieb auch nach einem Hüpfen bestehen● Ratten lernen den Ton durch einen Hebel auszuschalten

es wurden nicht mehr die Schocks, sondern die Furchtdavor vermieden!!

Schlussfolgerungen● Bestätigung der angstredutierenden Funktion der

Zwangshandlungen

● angstreduzierendes Verhalten wird durch Verstärkung gelernt

Übertragung auf Menschen:

● zwölfmal das Bad zu putzen dient nicht dazu Erkrankung abzuwenden, sondern eine damit assoziierte Furcht abzubauen

Rolle der Amygdala bei ZS

● Amygdala ist das neuroanatomische Substrat der affektiven Symptomatik, insbesondere der Angst

● eine Aktivierung der Amygdala durch Angst löst automatisierte Verhaltensprogramme aus

● Zwangshandlungen verhindern den emotionalen Arousal in der Amygdala Angstreduktion

● kontinuierliche Aktivierung des Striatums führt über den OFC zur Inhibition der Amygdala

neurochemisch-serotonerges Modell● stützt sich auf die antiobsessionale Wirksamkeit

der SRI (= Serotonin-Wiederaufnahmehemmer == Antidepressiva)

Serotonerges System:

● ist v.a. in den Raphe-Kernen lokalisiert und besitzt überdas gesamte Gehirn verteilt zahlreiche Projektionen

Serotonin:

● Neurotransmitter, der an verschiedenenSerotoninrezeptoren wirksam wird (hemmend)

Raphe Kerne

Empirische Befunde

● Bei einigen Patienten führt allein der SRI zu einerMinderung der Symptomatik, bei anderen führt derSRI erst in einer Kombination mit Neuroleptika(Dopaminantagonisten) zu einer Erleichterung,wobei es auch Patienten gibt, die auf keineMedikation ansprechen

Bestätigung unterschiedlicher Subtypen der ZS

Zusammenhang zwischen dem serotonergen und demdopaminergen System

Zu beantwortende Fragen

● Ist das serotonerge System primär gestört?

● Wie und wo wirken SRI antiobsessional?

Fazit zu allen 3 Modellen

● neuroanatomische und neurochemische Modellvorstellungen ergänzen sich und sollten in einpsychosoziales Gesamtkonzept integriert werden

● bestehende Befunde müssen an größeren Stichproben gesichert werden

● viele Fragen sind noch offen

Literatur● Grawe, K. (2004). Neuropsychotherapie. Göttingen: Hogrefe.

● Förstl, H., Hautzinger, M. & Roth, G. (2006). Neurobiologie psychischer Störungen. Heidelberg: Springer.

● Aouizerate, B., Guehl, D., Cuny, E., Rougier, A., Bioulac, B., Tignol, J. et al. (2004).Pathophysiology of obsessive-compulsive disorder: A necessary link between phenomenology, neuropsychology, imagery and physiology.Progress in Neurobiology, 72, 195-221.

● Baxter, L. R., Jr., Schwartz, J. M., Bergman, K. S., Szuba, M. P., Guze, B. H., Mazziotta, J. C. et al. (1992). Caudate glucose metabolic rate changes with both drug and behavior therapy for obsessive-compulsive disorder. Archives of General Psychiatry, 49, 681-689.

● Kordon, A. & Hohagen, F. (2000). Neurobiologische Aspekte zur Ätiologie und Pathophysiologie der Zwangsstörung. Medizinische Psychologie, 50, 428-434.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit!!!