Notation als Aufzeichnung und Vorzeichnung · 2010. 1. 17. · Eisenman, Guardiola House, Cádiz,...

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Notation als Aufzeichnung und VorzeichnungVorlesung vom 12. November 2009

Eine Notation benennt Dinge und Bewegungsverläufe in schriftlicher Form mit vereinbarten symbolischen Zeichen. In einer Notation wird das Dargestellte übersetzt, abstrahiert und komprimiert.

Notationen dienen nicht nur dem Aufzeichnen, Darstellen und Speichern, sondern auch dem Erfinden, Entwerfen und Herstellen von Vorgängen, Handlungen und Ereignissen.

Raoul-Auger Feuillet, „Choréographie“, 1700. Bewegungsnotation: Musik/Tanz – Hoftanz des französischen Hofes des 16. Jahrhunderts – Zeichensystem – begrenzter Vorrat an Zeichen – eindeutige Zeichen, Kombinationsregeln – Eindeutigkeit in der Interpretation – Wiederholbarkeit des Notierten – Aufzeichnungs-, Anweisungs-, Planungsmedium

Rudolf von Laban (1879–1958) – ungarischer Tänzer, Choreograph, Tanztheoretiker – Zentralfigur des Europäischen Modernen TanzesLabanotation – Analyse und Aufzeichnung aller menschlicher Bewegungen in Raum und Zeit – Veränderungen des Körpers in der Zeit

Étienne-Jules Marey (1830–1904) – Porträt des Wissenschaftlers mit verschiedenen Aufzeichnungsmedien – Zeitmesser – Physiologe und Professor der Naturgeschichte am Collège de France in Paris – Verbindung von Notation und Reproduktion – Bilder der Bewegung, Bewegung der Bilder

Marey, Notation der Gangarten (Mensch, Pferd)

Graph mit Zeitleiste – Länge eines Rechtecks = Figur der Aufsetzzeit einer Gliedmaße auf dem Boden – aber willkürliche Höhe – räumliche Anordnung der Rechtecke entspricht nicht den Hufen auf dem Boden

Gehender Mensch

Laufender Mensch

Übergang vom Gehen zum Laufen

Schritt des Pferdes

Trab des Pferdes

Galopp des Pferdes

Marey, Notation der Gangart eines Pferdes, 1878.

Marey, Hufspuren eines Pferdes bei verschiedenen Gangarten, 1878. – Lesart von unten nach oben

Gewöhnlicher SchrittLanger SchrittUnterbrochener SchrittPassgang

Marey, Pulskurven bei verschiedenen Krankheiten, aufgezeichnet mit dem Sphygmographen, 1878.Kontraktion der Arterie – Plättchen, Hebelarm, Papierstreifen durch Uhrwerk in Bewegung

Eadweard Muybridge (1830–1904), britischer Photograph und Pionier der Phototechnik, Serienphotographie, 1872.Wechsel von der Chronographie zur Chronophotographie – Übertragung des Bewegungsphänomens auf die Einschreibfläche ohne zeitliche Verzögerung Photographien von sich bewegenden Menschen und Tieren in regelmäßigen Zeitintervallen – Einzelfotogografien linear hintereinander angeordnet

Aufbauten aus 12, 24 und 36 sukzessive auslösenden Photoapparaten, 1872. – Auslösung der Momentverschlüsse der einzelnen Apparate durch Unterbrechung elektrischer Leitungen beim Gang des Pferdes – pro Kamera ein Bild, das einer bestimmten Phase der Bewegung entspricht

Eadweard Muybridge, Serienphotographie, 1872.

Marey, Chronophotographie, 1886. – Einzige, ruhende Platte mit rotierendem Momentverschluss – hintereinander erstellte Aufnahmen auf Platte – partiell, diskontiuierlich, periodisch – Prinzip der strukturellen Wiederholung durch Registriergerät – Zeit als Intervall zwischen Momentaufnahmen präsent

Marey, Springender Ball, Chronophotographie, 1886.

Frank Gilbreth (1868–1924), Maurer, Bauunternehmer, Erfinder – vom weißen Streifen zur Lichtspur

Bewegungsstudie mit Lichtquelle – Golfer

Umgang des Menschen mit Maschinen – Optimierung der Arbeitsmethode – Definition von 17 Grundbewegungselementen („Therbligs“, Umkehrung des Namens „Gilbreth“ mit angehängtem Plural-s) – Eliminierung jeder Bewegung aus dem Arbeitsvorgang, die nicht dem Arbeitsfortschritt dient

Mike Mandel, Emptying the fridge. Cibachrome, 76,2 x 101,6 cm, 1985.

Marey, grafische Erfassung schneller Bewegungsabläufe mittels Fernübrtragungseinrichtungen

Marey, Senkrechte Oszillationen des Körpers verschiedener Vögel während des Flugs, 60 Schwingungen pro Sekunde, 1873.

Marey, Chronophotographische Flinte, Visieren und Photographieren von im Raum bewegten Objekten, 1883.Abzug mit Uhrwerk verbunden – Umdrehung einer undurchsichtigen Scheibe mit einem Spalt (12 mal pro Sek.)

Marey, Verteilung der einzelnen Schwingfiguren einer Seemöwe in einem Zootrop, 1887.Instrument der optischen Synthese – Vogelflug für das Auge als kontinuierliche Bewegung wahrnehmbar – Wundertrommel und Lebensrad – Wechsel von Lichtbild und Dunkelheit – Bewegung des Auges beim Lesen der Grafik an das Gerät weitergegeben – bewegte Bilder – Vorläufer des Films

Muybridge, Zoopraxiskop, Projektionsgerät für chronophotographisch erzeugte Bilder, 1878.

Film 1

Film 2

Marey, künstlicher, flugfähiger Vogel als Mittel zum Studium des Vogelflugs und der Fliegekunst Analyse und Synthese des Untersuchungsgegenstandes – Zerlegung und Wiederherstellung

Marey, Rauchstudien mit „Windkanal“, Aeronautik und Aerodynamik, Experimente mit verschieden geformten Flügelprofilen, 1901.

Zeitfiguren – Flug der Seemöwe, Chronophotographie, 50 Bilder pro Sekunde, 1886. – Objekt aus ineinandergefügten Schwingfiguren, 1887.

Giacomo Balla (1871–1958), italienischer Maler des Futurismus, Darstellung von zeitlichen Abläufen, Dynamik und Rhythmik, 1912.

Fritz Lang, Broadway, Doppel- und Überbelichtung, 1924 (links). – Verzeitlichung und Entmaterialisierung von Architektur Michael Wesely, Potsdamer Platz, Langzeitbelichtung, 5.4.1997–3.6.1999 (rechts). – Bau als Prozess – Mobilisierung des Immobilen

Peter Eisenman, House IV, 1971. Axonometrische Diagramme. Geometrie der Moderne – Serie, Wiederholung, Variation – Verzeitlichung der Architektur – grafische, regelgeleitete Methode – prozesshaftes Entwerfen

Eisenman, House II, Hardwick/Vermont, 1969/1970. Axonometrische Strukturdiagramme.Kubus als Ausgangsform – fortschreitende Reproduktion, Schichtung und Überlagerung geometrischer Grundelemente wie Ebenen, Gitter, Wände und Pfeiler – zunehmend feinere Unterteilung und Verdichtung der Elemente – Selbstentwicklung und -organisation der architektonischen Form

Eisenman, Carnegie Mellon Research Institute, Pittsburgh, 1987–1989.Variation einer einzigen geometrischen Form – Übergang vom Quadrat über Kubus zum Hyperwürfel – Projektion eines 3-D-Würfels – Abweichung der transformierten Form von der ursprünglichen Form – Verschiebung der Grenzen der Ausgangsform – Deformation klassischer Grundformen

Eisenman, Carnegie Mellon Research Institute, Pittsburgh, 1987–1989. Axonometrische Diagramme.Würfel als Festkörper und Rahmen – geometrische Operationen: Vervielfältigung, Spiegelung, Überschneidung – Raum im Raum

Kette verzerrter Kuben – Serie aus Einzelementen – Verschneiden von Vorder- und Seitenansicht

Eisenman, Guardiola House, Cádiz, 1988. Konzeptdiagramme.Abweichung von Quadrat/Kubus durch schwingende, einander durchdringende L-Formen – Zerlegung eines Quadrats in zwei L–Formen – Figuren und Übergang als aktive Flächen – Wechsel von Figur und Grund – Multiplikation, Verschiebung, Überlagerung – Raum in Schwingung – Abdrücke und Spuren

Eisenman, Aronoff Center for Design and Art, University of Cincinnati, 1988–1996. Konzeptdiagramme.Formvibration – Zickzackfigur aus Grundrisskontur des Altbaus – doppelt geschwungene Kurvenfigur aus Rechteckgliedern

Eisenman, Aronoff Center for Design and Art, University of Cincinnati, 1988–1996. Modell.Körper und Hohlräume – weder Einzelfigur noch einheitliches Ganzes – fragmentiertes Terrain – Abdrücke auf Figur und Grund

Eisenman, Masterplan Rebstockpark, Frankfurt am Main, 1990–1992. Lageplan. – Zeitliche Verfahren: Rasterverzerrung, Faltung

Verzerrung eines orthogonalen Raster in ein dreidimensionales, gefaltetes Netz – Raster als flexibles Netz – Anpassung des Netzes an Kontur des zu beplanenden Baugrundstücks – Verbindung der ursprünglichen Eckpunkte mit verschobenen Eckpunkten – Eindruck einer dreidimensionalen Faltung

Projektion geläufiger Bautypologien (Zeilen, Blockrandbebauung) auf Netz – Verschiebung, Knickung und Fragmentierung

Geometrisierung von Bewegung durch serielle Knicklinien und Faltflächen – Falte als Mittelding zwischen Figur/Grund, Auf-/Grundriss – „dritte Figur“

Eisenman, City of Culture of Galicia, Santiago de Compostela 1999, seit 2001 in Bau. Lageplandiagramme.Freilegung von räumlichen und zeitlichen Bezügen in Diagrammen – Überlagerung des mittelalterlichen Straßenrasters, landschaftlicher Strukturen und anderer Bezugssysteme – Zeitschichten – auf Grundlage der Linienvorlagen Baufiguren entwickeln – Baufiguren = Zeitfiguren – Fragmente