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Zusammenfassung: DervorliegendeBeitragdokumentierteineKontroverse,dieaufdemKielerDVPW-Kongress im September 2009 im rahmen einer Podiumsdiskussion ausgetragen wur-de.mitseinemLissabon-urteilvomJuni2009flltedasdeutscheBundesverfassungsgerichteinGrundsatzurteilzurdeutschenBeteiligungandereuropischenIntegration.DasGerichterklrtedasdeutscheBegleitgesetzzumLissabon-Vertragfrverfassungswidrig,weilesdieBeteiligungvonBundestagundBundesratalsunzureichendansah.ZudemkndigtedasGerichteineverstrk-teverfassungsrechtlichePrfungderdeutschenAnwendbarkeit europischerrechtsaktean (ul-tra-vires-Kontrolle und Identittskontrolle). Stephan Leibfried,marcus Hreth,martin Hpner,FritzW.ScharpfundmichaelZrndiskutierendasurteilimHinblickaufseineImplikationenfrdenknftigenIntegrationsprozess,frdieHandlungsfhigkeitdernationalenundsupranationalenorgane,frdieDemokratiequalittimeuropischenmehrebenensystemsowiefrpolitkonomi-scheProblemstellungen.
Schlsselwrter: EuropischeIntegrationVerfassungsgerichtemehrebenensystemIntegrationdurchrecht
PolitVierteljahresschr(2010)51:323355DoI10.1007/s11615-010-0021-0
KampfumSouvernitt?EineKontroversezureuropischenIntegrationnachdemLissabon-UrteildesBundesverfassungsgerichts
MartinHpnerStephanLeibfriedMarcusHrethFritzW.ScharpfMichaelZrn
Onlinepubliziert:11.06.2010VS-Verlag2010
PDDr.m.Hpner()Prof.Dr.F.W.Scharpfmax-Planck-InstitutfrGesellschaftsforschung,Paulstrae3,50676Kln,DeutschlandE-mail:hoepner@mpifg.de
Prof.Dr.S.LeibfriedZentrumfrSozialpolitik,universittBremen,Barkhof,Parkallee39,28209Bremen,DeutschlandE-mail:stlf@zes.uni-bremen.de
PDDr.m.HrethInstitutfrPolitischeWissenschaftundSoziologie,universittBonn,Lennstrae27,53113Bonn,DeutschlandE-mail:mhoereth@uni-bonn.de
Prof.Dr.F.W.ScharpfE-mail:scharpf@mpifg.de
Prof.Dr.m.ZrnWissenschaftszentrumBerlinfrSozialforschung,reichpietschufer50,10785Berlin,DeutschlandE-mail:zuern@wzb.eu
324 m.Hpneretal.
StruggleforSovereignty?AControversyaboutEuropeanIntegrationaftertheLisbonJudgmentoftheFederalConstitutionalCourt
Abstract: The article documents a panel debate held at theKiel congress of theGerman Po-litical ScienceAssociation (DVPW) in September 2009. With its Lisbon judgment passed inJune 2009, the German Federal Constitutional Court delivered a groundbreaking decision onGermanys involvement in the European integration process.TheCourt ruled that theGermanaccompanyinglaw(Begleitgesetz)violatedthenationalconstitutionbecauseitdidnotguaranteesufficient parliamentary involvement. Furthermore, the Court announced its intention to intensify theconstitutionalcontrolofthenationalapplicabilityofEuropeanlegalacts(theultra virescon-trolandtheidentitycontrol).StephanLeibfried,marcusHreth,martinHpner,FritzW.ScharpfandmichaelZrndiscussthejudgmentwithrespecttoitsimplicationsforthefurtherintegrationprocess, for the national and supranational capacities to act, for the democratic quality in theEuropeanmultilevelsystemandforpolitical-economicproblems.
Keywords: EuropeanintegrationConstitutionalcourtsmultilevelsystemsIntegrationbylaw
1 Einfhrung
mitseinemLissabon-urteilvom30.Juni2009(2BvE2/08)flltedasBundesverfassungs-gerichtzumviertenmaleinGrundsatzurteilzurdeutschenBeteiligungameuropischenIntegrationsprozess.1DarinwiesdasGericht dievorliegendenKlagengegendierati-fikation des Lissabonner Reformvertrags von 2007 ab und verwies auf die Integrations-freundlichkeitdesdeutschenGrundgesetzes.DasdeutscheBegleitgesetzjedoch,sodieKarlsruherrichterinnenundrichter,verstiewegenunzureichenderBeteiligungsrechtevon Bundestag und Bundesrat teilweise gegen die Verfassung. Zudem definierte das BundesverfassungsgerichtneueverfahrenstechnischeundmaterielleGrenzendereuro-pischenIntegration.DieTeilnahmeDeutschlandsameuropischenIntegrationsprozessseinurdannmitdemGrundgesetzvereinbar,wennsichdieeuropischenorganestriktandasPrinzipderbegrenztenEinzelermchtigunghieltenundwenndenmitgliedstaa-tenausreichenderumezurpolitischenGestaltungderwirtschaftlichen,kulturellenundsozialenLebensverhltnisseverblieben.DasBundesverfassungsgerichtwerdeprfen,obsicheuropischerechtsakteindenGrenzendereingerumtenHoheitsrechtebewegten(dieultra-vires-Kontrolle)undobderunantastbareKerngehaltderVerfassungsidentittdesGrundgesetzesgewahrtbleibe(dieIdentittskontrolle).
DieDebatteberdasLissabon-urteilwurdezunchsthauptschlichvonJuristinnenundJuristenausdemStaats-undEuroparechtgefhrt.AusgutemGrund,istdochdieKl-rungderFrage,welcheGrenzendereuropischenIntegrationdasGrundgesetzimSpan-
1 DiedreivorangegangenurteilewarendasSolangeI-urteilvon1974(BVerfGE37,271),dasSolangeII-urteilvon1986(BVerfGE73,339)unddasmaastricht-urteilvon1993(BVerfGE89,155).DarberhinausenthieltenauchdersogenannteVielleicht-BeschlussausdemJahr1979 (BVerfGE 52, 187) sowie das urteil zur Bananenmarktordnung aus dem Jahr 2000(BVerfGE102,147)grundstzlicheAussagenzumVerhltnisderdeutschenunddereuropi-schenrechtsordnungen.
325KampfumSouvernitt?
nungsfeldvon IntegrationsfreundlichkeitundVerfassungsidentittvorgibt,nichtSachederPolitikwissenschaft.WersichabereingehendermitdemLissabon-urteilbefasst,wirddarinnichtnurAkterechtswissenschaftlicherDeduktionentdecken,sondernaucheinehoheAnzahl empirischerTatsachenbehauptungenberDynamikenundAuswirkungendesIntegrationsprozesses,diezumKerngeschftpolitikwissenschaftlicherIntegrations-forschungzhlensoetwadiefrdasurteilzentraleAussage,dieeuropischenInsti-tutionenbewegtensichaufeinemPfad,andessenEndedieVerfgungberdieeigenenKompetenzen, also dieKompetenz-Kompetenz, stnde (paraphrasiert ausrn.238 desurteils).undschonlangewurdedieIntegrationdurchrechtauchdurchdiePolitik-wissenschaftalseinedermageblichenIntegrationsdynamikendervergangenenDeka-den identifiziert, die neben der politischen Integration eigenstndiger Analyse bedarf. LiegendieKarlsruherrichterinnenundrichtermitihrenTatsachenbehauptungenrich-tig?WelcheWirkungenwirddieneuerechtsprechungdesdeutschenHchstgerichtsaufdenweiterenIntegrationsprozessentfalten?undwelcheImplikationenergebensichfrdie integrationstheoretischen und politkonomischen Paradigmen in ihren zahlreichenSpielarten?
umeinesolcheDebattezustarten,ludendieSektionenPolitischekonomieundVergleichendePolitikwissenschaftaufdemKielerDVPW-Kongressvom21.25.Sep-tember 2009 zu einer Podiumsdiskussion ber die europische Integration nach demLissabon-urteil. Die vorliegendeKontroverse ist eine zugespitzte Fassung derKielerDebatte.DiefnfBeteiligteninderreihenfolgedervorliegendenKontroverse:StephanLeibfried(universittBremen,SfBStaatlichkeitimWandel),marcusHreth(univer-sittBonn),martinHpnerundFritzScharpf(beidevomKlnermax-Planck-InstitutfrGesellschaftsforschung) sowiemichaelZrn (WissenschaftszentrumBerlin)wurdenzunchstgebeten, ihreKernaussagenzuverschriftlichen.NachAustauschderBeitrgewurdendiesenocheinmalgrundlegendberarbeitet, imHinblickaufdiekontroversenAspektezugespitztundmitzahlreichenQuerverweisenversehen.
DasErgebnis ist eineDebatte, die sich alsBeitrag zum interdisziplinrenFachdis-kursebensoeignetwiezurVerwendunginderuniversitrenLehre.unterdenBeteiligtenbestehtEinigkeitbereineAnzahlanAusgangspunkten,soinderBewertungdesurteilsals potenziellemBremser zuknftiger Integration; in derEinschtzung, dass den vomdeutschen Verfassungsgericht beanspruchten Kontrollrechten gegenber europischenrechtsakteneinegrereBedeutungzukommenwirdalsderangemahntenIntegrations-verantwortungvonBundestagundBundesrat;inderEinsicht,dassderpermissiveKon-sensberdieeuropischeIntegrationaufgebrauchtistundsichdieeuropischenorganemit neuen, anspruchsvolleren Legitimationsanforderungen konfrontiert sehen; und indergrundstzlichenAussage,dasspotenzielleIntegrationsbremsennegativzubewertensind,wennsieguteIntegrationverhindern,undpositiv,wennsieschlechteIntegrationverhindern.
berdieseallseitsgeteiltenAusgangspunktehinausaberwerdendieLeserinnenundLeser eine Flle an unterschiedlichen Einschtzungen entdecken, die zweifellos dieBezeichnungKontroverserechtfertigen.StephanLeibfriedarbeitetzunchstKernele-mentedesurteilsherausundkritisiertdieausschlielicheInnenperspektive,diedenBlickderKarlsruherrichterinnenundrichteraufProblemedereuropischenIntegrationprge.marcusHreth analysiert dieFolgewirkungen auf den demokratischenProzess
326 m.Hpneretal.
und legt dar, dass dieHandlungsspielrume vonBundestag undBundesrat durch dasLissabon-urteilnichtetwaweiter,sondernsogarengerwerdenknnten.martinHpnerkritisiertdieextensiveGrundfreiheiten-JudikaturdesEuropischenGerichtshofs(EuGH)undverknpftmitdemLissabon-urteildieHoffnung,dasdeutscheHchstgerichtwerdewirksameBarrierengegen judikativ betriebeneLiberalisierungspolitik errichten.AuchFritzScharpfhltsolcheBarrierenfrgeboten,kritisiertaberdiemangelndebertrag-barkeitdesLissabon-urteilsaufdieEu-27 in ihrerGesamtheitundfordert,dieKom-petenz-KompetenzmsseinderpolitischenSphreverbleiben.michaelZrndiskutiertPrinzipieneinerverantwortungsvollenIntegrationsrechtsprechungvordemHintergrundeinersichzunehmendpolitisierendenEuropischenunionundwarntvorderunterscht-zungderAbhngigkeitDeutschlandsvoneinerpolitischhandlungsfhigenEuropischenunion,diesehrwohleigenedemokratischePotenzialeaufweise.HchstunterschiedlicheAntwortenhaltendiebeteiligtenExperteninsbesondereaufdieFragenbereit,obverfas-sungsrechtlichePrfungsvorbehaltegegenbereuropischenrechtsaktenlegitimiertundsinnvollsindundwelcheWirkungensievoraussichtlichentfaltenwerden.IndiesemSinnewnschenwireinespannendeundvergnglicheLektredervorliegendenDebatte.
martinHpnerimNamenderDVPW-SektionenPolitischekonomie
undVergleichendePolitikwissenschaft
2 Schrittezurcknachvorn?
Stephan Leibfried
ZumEinstieg inunsereDebattewerde ichmichdaraufkonzentrieren, die ausmeinerSichtentscheidenden,frdieBeurteilungderLangzeiteffekterelevantenGrundelementedesLissabon-urteils(2BvE2/08)alsstylized argumentsherauszuarbeiten.
berschieende Innentendenz:BedurfteeseinesderartgroenTraktats,umdieweni-genrechtsfolgen frBundestagundBundesratausdemDemokratiegebotdesGrund-gesetzesabzuleiten?Andersgefragt,istdasurteileinriesigesobiter dictum,istesetwas,was das Gericht eigentlich besser grundstzlich unterlassen htte, weilAufwand undErtraginkeinemangemessenenVerhltnisstehen?DasmachtedieimFolgendenfestzu-haltendenTendenzenumsobemerkenswerter.manmussdanndasurteilnmlichnichtvonseinenrechtsfolgen,sondernvornehmlichvonseinerrechtspolitischenAmbitionherverstehen.
Fremdkrper:EuropawirdnichtetwaalsintegralerBestandteilderdeutschenrechts-ordnungbetrachtet,sondernvomGerichtjwdgedacht,ganzweitdrauen.Esver-stehtdasGrundgesetzwieimgeschlossenenNationalstaatzurmittedes20.Jahrhundertsalscontainer state,denesmitdemSchutzmantelderSouvernittschtzenmuss,deraber trotz aller Schlieung ffnungsklauseln fr drauen kennt. Das Gericht httedasGrundgesetzunddiedeutscherechtsordnungaberauchkonstitutivvoninnenhereuropischeingebettetdenkenknnen:nichtnuralsnachauenfrEuropaundInter-nationalesoffen,sondernals von seiner Innenausrichtung her europisiert,alsgenuin
327KampfumSouvernitt?
Europa-offeneStaatlichkeit.HierfrwreDeutschlandalsdereuropischeNationalstaatmit einer semi-souvernen Geschichte von 1945 bis 1991 an sich prdisponiert. DasGrundgesetzpositioniertesichmitArt.23Abs.1Satz3inVerbindungmitArt.79Abs.3GG ausschlielich gegen den Nationalsozialismus, nicht gegen Europa. Es ist schonbegrndungspflichtig, wenn Normen des Grundgesetzes, wie beispielsweise der Identi-ttsschutz,dieaufdieNS-Zeitzielten,nuneinfachaufEuropabertragenwerden.
27 Identittshter oder Wer htet Europa?DasGerichtsiehtsichalsHterderdeut-schenIdentitt(s.derimurteilgeschpfteIdentittsschutz)undauerdemalsHtervorausbrechendenrechtsakten(ultra vires)sodasmaastricht-urteilausdemJahr1993(BVerfGE37,271)sowiederdeutschenGrundrechte,sodiebeidenSolange-urteileausdenJahren1974und1986(BVerfGE37,271undBVerfGE73,339).Knnenwir etwa die Auflsung Europas in eine mittelalterliche Vorbehaltsordnung verfolgen? Auch diesesVerstndnis resultiert imGrunde nur daraus,Europa als Fremdkrper zudenken:dasNicht-KalkulierenderFolgefolgen,wennallesohandelten,istdavonnureinunterfall.
Umkehrbare Integration?FrdasGericht ist jedeUnumkehrbarkeitder Integrationvonbel,weilsiedas(neue)Austrittsrechtleerlaufenlsst.DarinwirddergroeJokergegenjedeber-Europisierung(rn.329330desurteils)gesehen.DasGerichtwendetsich,konsequentdurchdacht,gegendieBinnenmarktordnungunddieWhrungsunion,denneinerenationalisierungderWirtschaftsrumewiederWhrungistfreineExport-nationwieDeutschlandnurmitenormenFolgekostenzuhabendieIntegrationistdamitaberfrDeutschlandletztlichnicht mehr umkehrbar.DasGerichtwidersprichtfaktischdemmaastricht-urteil,dasdieWhrungsuniongeradezulie.Lsstsichdennunum-kehrbareresberhauptvorstellen?
Reservatdenken:DasGerichtzhltFelderauf,diedenKernderzubewahrendenSou-vernittausmachen(Sozialstaat,Steuerstaat,Bildung,strafenderStaatetc.).Einigedie-serBereichesindaberschonseitmindestenszweiJahrzehntenstarkdurchdieIntegrationgeformt, was man auch in der Literatur aufgearbeitet vorfindet (z. B. Steuern: Genschel 2009;Sozialpolitik:Leibfriedu.obinger2008).Dasurteilbautinsofernaufnichtrealis-tischenGrundannahmenauf.WelcheWirkungenhatesaber,wenndieSouvernitt,aufdiedasurteilbaut,schonjetztvonGrundaufmorschist?SolcheeinstrzendenAltbau-tenmsstenzueinerunkalkulierbarenrechtsprechungfhren.
Gegengewicht zum EuGH:DasGerichtbeanspruchteinmonopolaufdieberprfungderGrundgesetzwidrigkeit vonEuGH-urteilen.Das ist einerseits sinnvoll,weil sonstnochmehrdeutscheGerichteaufdieIdeekommenknnten,europischesrechtaufseineinlndischeAnwendbarkeitzuprfen.EsistaberaucheinAktderGegenmachtbildung,der imrahmen des imurteil zumAusdruck kommenden uneuropischen Souverni-ttsdenkensgedeutetwerdenmuss.DementsprechendwirdderEuGHnichtalsPartner,denmanmiteinbeziehenmuss,sondernalszukontrollierendeFremdinstanzgedacht.DaskonkretisiertEuropaalsFremdkrperimJustizbereich(s.oben).
Identittswandel:DasGerichthltdennocheindemokratischesEuropatrchenfrdenFderalismusoffen,undzwareinreferendumnachArt.146GG.AllerdingshandeltessichumeineillusionreTr,dennEuropakannsichfaktischnurinminischrittenfderalentwickelnausderSichtdesGerichtsalsoschleichend.Jeder,derEuropafrhzei-tigaufdengroenSprungeinerVerfassungsneuschpfungnachArt.146GGfestlegen,
328 m.Hpneretal.
gleichzeitigabernichtsandereszulassenwill,ruiniertdieChancederBundesstaatsof-fenheit(soauchErnst-WolfgangBckenfrde,s.u.a.Handelsblattvom7.Juli2009).NtigtmaneininkrementellesWesenzurSystemreform,stelltmanseineExistenzinFrage.
Europas Natur: Treten wir einen Schritt zurck und betrachten die EntwicklungdesdeutschenEuropadenkensindenletzten50Jahren(Leibfriedetal.2009).Seitden1950er-Jahren haben sich die konzeptionellenAchsen des juristischen Denkens berEuropainetwasoverschoben,wieinTab.1dargestellt,wennmanvonZeile1zuZeile6vorangeht.DieweieZoneindenZeilen2bis4markiertimGroenundGanzeneinDenkenberEuropa,indemzwischenBundesstaatundStaatenbundnochnacheigenenEntwicklungsmglichkeitengesuchtwird.Dieses setzt inden1950er-Jahrenmit einer
Tab.1: 50JahreNaturEuropasimdeutschenEuropadenken.(Quelle:EigeneDarstellung)Skala Nr. Stichworte Zeitzonen Geist Beispiele100% 1 Bundesstaat 1950er,
1960erDernaiveGrndergeist DieEurofderalis-
tender50er-und60er-Jahre
2 Supranationalitt 1970er,1980er
GegenbildzuInterna-tionalitt(=andersalsVlkerrecht)
DerVersuch,dasAndersseinderEGquerdurchdieEuro-pawissenschafteninrechtundPolitikpositivundnochalseigenstndigesins-titutionellesSystemzufassen
3 Hybrid 1990er Januskpfigkeit (hohe Gesetzgebunginter-national,Durchfhrungsupranationalbzw.fderal)
Leibfriedu.Pierson(1995)
4 Verfassungs-verbund(multilevel constitutionalism)
1990er VerfassungsspirituellerEvolutionsraumvonuntennachoben
Pernice(z.B.1998)
5 LiberalerInter-gouvernemen-talismus
1990er DervlkerrechtlicheIB-BlickausdenuSA
moravcsik(1998)
6 Staatenverbund 1990er,2000er
Kontrollierternationa-lerWiderstand
BVerfGE1993,2009(Kirchhof,z.B.1992)
0% 7 Staatenbund 1960eralsGegen-Europa:EFTA;seitden1990ernEu-intern
umfassendernationalerWiderstand
Dierache[frdieIntegration]derEFTA[indieEu]InternationaleBeziehungenkom-biniertmitreinemFreihandelalsurbild
329KampfumSouvernitt?
naivenBundesststaatskonzeptioneingewissermaenmiteinemGestaltungspotenzialvon100%aufeuropischerEbeneundmndetinden1980er-JahreninvielfacheSuch-bewegungen.DiegraueZoneistschonvomSogdesStaatenbunddenkensgekennzeich-net,inihrwirdeineigenstndiger,kollektiverHandlungsraumEuropaverneint.Siewirdinstitutionell-politisch inden1990er-Jahrenerreicht.DieEntwicklung fhrte alsovonnaivembundesstaatlichenDenkenbisweitineinDenkenberEuropahinein,dasstruk-turell unfhig geworden ist, ein kollektives oder gar soziales Europa zu entwerfen,geschweigedenneszuzulassen.DerlogischeEndpunktdieserEntwicklungistdasreineStaatenbunddenkenmit0%europischerKollektivitt.DasLissabon-urteilknnteeinenweiterenSchrittindieserInvolutiondesDenkensberEuropamarkieren.
New Deal, New Deck:FrFritzScharpf(indieserDebatte)istdieeuropischeInteg-rationeigentlicheingezinkterProzess:EinerseitswerdendurchdenEuGHaufdemWegedernegativenIntegrationLiberalemarktwirtschaftenbegnstigtunddieVoraussetzun-genfrSozialemarktwirtschaftenerodiert.Europamussdemnachineinerunsozialen,einerliberalenEuropischenmarktwirtschaftenden(s.dortAbb.1).AndererseitsbestehtwegenderEinstimmigkeitserfordernissebzw.hoherGesetzgebungshrdenkeineChance,positiveIntegrationaufeuropischerEbenezubewerkstelligen,alsoaufeineeuropischeSozialemarktwirtschafthinzuwirken.Wrenichtaberdermglichkeitrechnungzutra-gen,dassEuropamitderFinanzkriseunddensdeuropischenFolgekrisen(Griechen-land)aufeinenconstitutional momentimSinneAckermans(1989,1991,1998)zutreibt,aufeineSituation,inderessicheinnew deckschaffenmuss,eineandere,durchgreifendeKompetenzordnung,umalseinEuropadesGemeinsamenmarktsbestehenzuknnen(James2009)?Daswrezumindestdannzwingend,wennsichindenkommendenJahrenherausstellenwrde,dassdiemitgliedstaatenbeiderSuchenachtragfhigennationalenLsungenscheitern.
Souvernitt:WenndasurteilimmerwiederaufeinenFluchtpunktzuluft,dannaufdendesDenkensvondernationalenSouvernitther.Souvernittwirdgewissermaenkontrafaktischungeteiltundvon der Verlustabwehr herverstanden,sowiedasherkmm-licheinGroteilderjuristischenLiteraturgetanhat.DasistineinemseitvierJahrzehntensemi-souvernenLandverstndlich.DiesesDenkenfhrtsofortinklassischeDualismen:ungeteilte,volleSouvernittlsstexternalleindenStaatenbundzu.GeteilteSouverni-ttistsofortFderalismus.Dazwischen scheint es nichts zu geben.FrdasVerhltnisderNationalstaatenzurEuundzueinanderistdiesesDenkendes19.undfrhen20.Jahr-hundertsschonseiteinigenJahrzehntenunangemessengeworden.msstenwirnichtaberdamitbeginnen,denSouvernittsbegriffzuzerlegen,ihnunsgewissermaenwieeineZwiebelvorzustellenundsoanalytischteilbarzumachen?undmsstenwirSouvernittnichtgleichzeitiginmindestenszweiEbenenrumlichdenken,alsojedenfallselliptischvonmindestenszweiBrennpunktenheraufbauen?
IchmchteabschlieendineinemNegativ-Testveranschaulichen,dassdiesesSouve-rnittsverstndnisberholt ist.EsscheitertandenmeistenTheorienderSouvernitt,wiesieindenInternationalenBeziehungen(IB)gngigsindundesentsprichtausge-rechnetderTheorie,diealseinzigedurcheinenational tunnel visioncharakterisiertwird.InTab.2geheichdiemitgliedstaatenderEuanhanddervierSouvernittsmodelledurch,dieKrasner(1995)unterschiedenhat:demWestflischenmodell,demKontrollmodell,demInterdependenzmodellunddemmodellderVlkerrechtssubjektivitt.DieSpalten
330 m.Hpneretal.
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331KampfumSouvernitt?
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T ab.2:(Fortsetzung)
332 m.Hpneretal.
umreienzunchstdieVerlustperspektive,denn jedesdiesermodellewirdngstlichvonderAchillesversedesSouvernittsverlustshergedacht.Dannwerdendiemodellein Definitionen umgesetzt die unverlierbaren Essenzialien bestimmt und disziplinren Sichtweisenzugeordnet.InderSchlussspaltewirdderEu-mitgliedstaatdurchdieLinsedesjeweiligenmodellsbetrachtet.DerSinnderbungbestehtdarin,dieSouvernitts-kompatibilittdesStatusdermitgliedstaatlichkeitabzuprfen.
Inkeinerder international ausgerichtetenPerspektiven (Spalte1,Zeilen1, 3und4)kannmanbeimVerhltnismitgliedstaat-Eunochvon intakternationalerSouvernittsprechen (vgl. Spalte5).Bezeichnenderweisewird dadurch nur noch einePerspektiveweitgehendzugelassen:diedervergleichendenPolitikwissenschaft,indergeprgtvommethodologischenNationalismus auf faktischwirksameGebietsherrschaft abgestelltwird(Zeile2).DiesesernchterndeFazitmgemanalstheoretischeHerausforderungbeieineminternationalenThemaverstehen.
Bislanghabenwirlediglichgesagt,wasnichtderFallist.Auszuloten,wasderFallist,erforderteinNeudenkenvoninneren,z.B.vonbundesstaatlichenundbndischenKon-zeptionenher.VieleBundesstaatenwurdennichtalssolchegeboren,sondernbewegtensichjahrzehnte-wennnichtjahrhundertelanginZwischenzonenundhttendortauchverbleibenknnen:wederStaatenbund,nochBundesstaat.DasgiltbeispielsweisefrdieNiederlandeimJahrhundertnachihrerGrndung,frdieuSAvonihrerGrndungbiszumBrgerkriegundfrDeutschlandim19.Jahrhundert,umnureinigeBeispielezunen-nen.mansprachnichtumsonstzunchstvomBundundnichtetwavomBundesstaat.ImBund,imcovenant,klingtdieZwischenzonenochnach,diewirunsheutefrEuropaerstwiedererobern,erdenkenunderschlieenmssen.VielleichtzwingtunshierEu-weitdieseitAnfang2009kumulierendeFinanzmarkt-,Staatsschulden-undEurokriseineineneue,unerhrteeuropischeGedanken-undStaatenwelthineinundhinauf?odersiezwingtunsinsProkrustesbettderaltenWeltherabundzurck.
3 MitzweierleiMagemessen
Marcus Hreth
In seinemLissabon-urteil betont dasBVerfGdas Prinzip der Integrationsverantwor-tung.Dochwas genau heit Integrationsverantwortung undwer soll diese tragen?meinesichausderBeantwortungdieserFrageergebendeTheseist,dassdasurteilnichtnurderparlamentarischenDemokratieinDeutschland,sondernauchderGlaubwrdig-keitdesVerfassungsgerichtsschadet.
1.AusdenLeitstzendesurteilsergibtsich,dassbeieinerVernderungdesVertrags-rechts ohne Ratifikationsverfahren der Bundestag seiner besonderen Verantwortung gerechtwerdenmuss,indemeretwabeieinervonderEugeplantenNutzungderneugefasstenFlexibilittsklausel(Art.352AEuV)dieregierungdurchGesetzermchtigt,einersolchenVernderungzuzustimmen.InsoweithatsichderffentlicheEindruckdurch-gesetzt,dasBVerfGhabedenBundestaggestrkt.ZugleichverlangtdasBVerfGaber,dassdieseIntegrationsverantwortung[]gegebenenfallsineinemverfassungsgerichtlichenVerfahreneingefordertwerdenkann(Leitsatz2a).HierbringtsichdasGerichtselbstins
333KampfumSouvernitt?
Spiel,umdannim4.Leitsatzzukonkretisieren:DasBundesverfassungsgerichtprft,obrechtsaktedereuropischenorgane[]sichunterWahrungdes[]Subsidiarittsprin-zipsindenGrenzenderihnenimWegederbegrenztenEinzelermchtigungeingerumtenHoheitsrechte halten.Dieser Prfungsvorbehaltwurde bereits in dermaastricht-Ent-scheidungentwickelt.DochsogleicherfolgteineAusweitungderGerichtskontrolle,dieesbeigenauerBetrachtunginsichhat:DarberhinausprftdasBundesverfassungs-gericht,obderunantastbareKerngehaltderVerfassungsidentittdesGrundgesetzesnachArt.23Abs.1Satz3inVerbindungmitArt.79Abs.3GGgewahrtist.[]Andersknnendie[]grundlegendenpolitischenundverfassungsmigenStrukturensouvernermit-gliedstaatenbeifortschreitenderIntegrationnichtgewahrtwerden.
2.ZwarwirdmitBlickaufeuropapolitischeGrundsatzentscheidungendieNotwen-digkeitdemokratischerLegitimationberdasnationaleParlamentanmehrerenStellenbetont. Demokratisch legitimiert sei nur das, was parlamentarisch verantwortet wer-denkann(rn.236).Dochdas,wasparlamentarischverantwortetwerdenkann, reichtdemGerichtalsIntegrationsverantwortungoffensichtlichnichtaus.DaherverlangtdasGericht, dass esmglich seinmuss, die Integrationsverantwortung zurWahrung desunantastbarenKerngehaltsderVerfassungsidentitt[]imrahmeneinerIdentittskont-rolleeinfordernzuknnen(rn.240).DasletzteWortinSachenIntegrationsverantwor-tungsollalsoinKarlsruhegesprochenwerdenkeineswegsimBundestag.
3.DaskannweitreichendeFolgenhaben,weildasGerichtanandererStellefeststellt,dassdiestaatlicheSouvernittzumKerngehaltderzuschtzendenVerfassungsidenti-ttgehrt:DasGrundgesetzsetzt[]diesouverneStaatlichkeitDeutschlandsnichtnurvoraus,sonderngarantiertsieauch(rn.216).FallsdurcheuropischePolitikdiesestaatliche Souvernitt im Jargon der Verfassungsjuristen ausgedrckt in ihremKerngehaltangetastetwird,wollendierichterinnenundrichterentsprechendesEu-rechtfrunanwendbarerklren.Soweitlediglichgeprftwird,obsichdieEu-organeimrahmenderihnendurchdiemitgliedstaateneingerumtenbegrenztenEinzelermch-tigungenhaltenoderebenausihnenausbrechen,magmandieswieScharpf(indieserDebatte)nochbegren.
BedenkenhabeichindessenbeiderIdentittskontrolleundzwarnichtnurwegendesvonLeibfried,ScharpfundZrn(indieserDebatte)angesprochenenmglichenNach-ahmungseffektesfranderemitgliedstaaten.Konkret:DadierichterinnenundrichterdieunabnderlichkeitsgarantiedesGGnichtnurabstraktalsGarantiestaatlicherSouve-rnittinterpretieren,sondernkonkretalsBollwerkgegendieeuropischeIntegrationinStellunggebrachthaben,kannmanniesichersein,zuwelchenErgebnisseneinesolcheIdentittskontrolle fhrt.Dies schon deshalb nicht,weil dasGericht zur BestimmungjenerzuschtzendenstaatlichenSouvernitteineanachronistischanmutendeStaats-zwecklehrebemhenmuss(Lhottau.Ketelhut2009).HiersiehtdasGerichtdenvorderIntegrationzuschtzendenKerndesdemokratischenVerfassungsstaatesetwaimmate-riellenundformellenStrafrecht,inderVerfgungberdasGewaltmonopolnachinnenund nach auen, in fiskalischen Grundentscheidungen ber Einnahmen und Ausgaben derffentlichenHand,indersozialstaatlichenGestaltungvonLebensverhltnissen,imFamilienrecht,imBereichvonSchuleundBildungundschlielichbeidenregelungenzureligisenGemeinschaften.
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4.InallengenanntenPolicieslassensichbereitsgegenwrtigvielfltigeInterdepen-denzen und Verflechtungstatbestnde zwischen der europischen und nationalen Ebene beobachten,wasvorallemZrn(inseinemBeitrag)sehrdeutlichmacht.StaatlicheSou-vernittwirdalsoheuteschondurchdieeuropischeIntegrationdeutlichrelativiertobundwanndasineinerdieIdentittdesdeutschenStaateszustarkantastendenWeisepassiert, das einzuschtzen und zu entscheiden, soll indessen allein denVerfassungs-richtern vorbehalten bleiben.und es lsst sich aufgrund desFehlens objektiverma-stbeberhaupt nicht prognostizieren,wannundunterwelchenumstndendies dennderFall seinwird.Dasverschafft demGericht einen schier unermesslichenEntschei-dungsspielraumundschrnktzugleichdenSpielraumparlamentarischverantworteterIntegrationsentscheidungensprbarein.AufderGrundlagederLissabon-EntscheidungstehtdasGrundgesetzetwaeinemTransfervonsteuerpolitischenKompetenzenaufdieEu-Ebeneentgegen.DabeiistdienationaleSteuerpolitikbereitshochgradigeuropisiert,wieetwaGenschel(2009)eindrucksvollgezeigthat.NatrlichistdieEukeinSteuer-staatsieistaberallemaleinSteuerregulierungsstaat.Dasbedeutet,dieEubelsstden Mitgliedstaaten das Privileg der Steuergewalt, sie definiert aber insbesondere durch diequasi-alltglicheProduktionsekundrrechtlicherEntscheidungenimmerstrkerdieBedingungen ihrer Wahrnehmung. Insbesondere die europische Binnenmarktpolitikundrechtsprechung kann,wieHpner und Scharpf (in ihrenBeitrgen) zeigen,weitmehralsnurNadelsticheindenPanzernationalstaatlicherSouvernittsetzenunddasbetrifftebenauchdieSteuerpolitikalsvorgeblichenKernbereichstaatlicherSouvernitt.EsgibtweitereBeispiele:SostndeetwadieEinfhrungeinerEu-Sozialunion,diedieneoliberaleSchlagseitedesBinnenmarktprogrammsausbalancierenknnte,unterKarls-ruherrichtervorbehalt.Dies vor allemdann,wennmit ihr z.B. durchdieFestlegungeuropaweiter sozialer Mindeststandards die staatlichen Haushalte bindende fiskalische EntscheidungenaufEu-Ebenegetroffenwrden.EssindalsokeineswegsnurdievonScharpf(inseinemBeitrag)betontenhohenKonsenserfordernisseimrat,diediepositiveIntegrationverhindern.VielmehrstehtauchdasGrundgesetzeinersolchenEntwicklungnachderAuslegungderKarlsruherrichterinnenundrichterimWege.GleichesgiltfrdieWeiterentwicklungeuropischerStraftatbestndeundrechtsfolgenharmonisierungensowiegrenzberschreitenderStrafverfolgungsmanahmenimrahmenderPolizeilichenundJustiziellenZusammenarbeit.InderebenfallsderIdentittdessouvernenStaateszugeschriebenenSchul-,Bildungs-undFamilienpolitik istwahrscheinlichschon langedasEndedereuropischenFahnenstangeerreicht.
5.VordiesemHintergrundistzubefrchten,dassdierichterinnenundrichterzuknf-tig auchEu-recht frunanwendbar erklrenknnen,das imrahmenderbegrenztenEinzelermchtigung verbleibt und keineswegs als ausbrechend zu klassifizieren ist. Damag imbrigender durchdasurteil vermeintlichgestrkteBundestagbei Integ-rationsentscheidungennochsostarkbeteiligtseinetwadurchentsprechendevonihmerlassenegesetzlicheErmchtigungenderregierung,dieFlexibilittsklauselininhaltlichgenaubestimmtenundbegrenztenFlleninAnspruchnehmenzuknnen,esspieltalleskeinerollemehr,wenndiemiteinerentsprechendenKlagekonfrontiertenrichterinnenundrichter zurAuffassungkommen sollten, dass einebestimmtemanahmederEudieIdentittstaatlicherSouvernittverletzt.AllesstehtinsoweitunterSouvernitts-
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unddamitVerfassungsrichtervorbehaltoderfreinachCarlSchmitt (1993/1928)aus-gedrckt:Souvernist,werberdieVerfassungsidentittentscheidet.
6.EsstelltsichdieFrage,wiesichderBundestagalsvomBVerfGberufenerTrgerderIntegrationsverantwortungnachdemLissabon-urteilverhaltenwird.Esistdavonauszugehen, dass das berhmte Gesetz der antizipierenden reaktion von Friedrich(1937,S.16)greift:WannimmerderBundestagEntscheidungendarberzutreffenhat,welcheKompetenzenaufEu-EbenewiewahrgenommenwerdensollenunderderaufderEu-BhneverhandelndenregierungeineentsprechendeErmchtigungerteilensoll,wirdersichwenigervonpolitischenZweckmigkeitsgesichtspunktenleitenlassenalsvonverfassungsrechtlicherBedenkentrgerei.ZugroistansonstendieGefahr,dasseineEntscheidungdesBundestageszugunstenz.B.derNutzungderFlexibilittsklauselderEu vonKarlsruhe nachtrglich kassiert und auf dieseWeise dieVolksvertretung ein-malmehrdpiertwird.DaswiederumwrdeinderffentlichkeiterneutzunegativenSchlagzeilenberdieunfhigkeitderAbgeordnetenfhren,diedieParlamentarier iminstitutionellen Eigeninteresse unbedingt vermeiden wollen. Welche Handlungslogikwird also angesichts desberdenKpfenderAbgeordneten schwebendenKarlsruherDamoklesschwertesdominieren,wennderBundestagbzw.dieparlamentarischemehr-heit ihre Integrationsverantwortungwahrnehmensoll?Folgendeskannmanvermuten:NichtSolldieEudasmachen,weilespolitischsinnvoll ist?wirddieLeitfragederAbgeordnetensein,sondernErlaubtdasBVerfGunsalsparlamentarischemehrheit,dieEudasmachenzu lassen,waswiralspolitischsinnvollerachten?.Das isteinsigni-fikanter Beitrag fr die allseits beklagte Juridifizierung des politischen Prozesses. Das urteildesBVerfG treibtdasdeutscheregierungssystemeinmalmehr indierichtungeinerjustizgeprgtenDemokratieunddamitzugleichwegvoneinerparlamentsgeprgtenDemokratie,diediemtterundVterdesGGsicherimSinnhatten.
7.DasProblemlsstsichmitdemPrinzipal-Agenten-Theorembeschreiben:DerBun-destagwirdvomBVerfGalsAgenteingesetzt,der(zunchst)anstelledesBVerfGnachverfassungsrechtlichen und nicht nach politischen Kriterien darber entscheiden soll,obdieBundesregierungz.B.derNutzungeinersogenanntenBrckenklauselzustim-mendarf.GingeesausschlielichnachpolitischenGesichtspunkten,msstediemitderregierungalsHandlungseinheitverbundeneParlamentsmehrheiteigentlich(fast)immervorbehaltlosdastun,wasderregierungnutzt,undallesvermeiden,wasderregierungschadenknnte.WenndieBundesregierungetwadieEu-Flexibilittsklauselbemhenwill,umz.B.dasErASmuS-Programmauszubauenundzuverbessern,dannwirddieparlamentarischemehrheitpolitischsicherohneWennundAberhinterihrerregierungstehen. Das entspricht der Funktionslogik des parlamentarischen regierungssystems.DiesenfunktionslogischenZusammenhangverkennend,willdasBVerfGhingegen,dasssich der Bundestag bei derWahrnehmung seiner Integrationsverantwortung von ver-fassungsrechtlichenArgumenten leiten lsst. In dem eben genannten Beispiel knntedie parlamentarischemehrheit gegen die eigene politischeberzeugung und gegendie Funktionslogik des parlamentarischen regierungssystems verfassungsrechtlicheBedenkengegendieNutzungderFlexibilittsklauseldurchdievonihrgetrageneBun-desregierung anmelden,weil seit demLissabon-urteil die Schul- undBildungspolitikzum unantastbarenKerngehalt staatlicher Souvernitt gehrt. Zeigt der BundestagalsAgentaberunerwnschtesVerhaltenstellteretwaderregierungeineBlankett-
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ermchtigungaus,diedenstrengenAnforderungendesGerichtsnichtgengt,dannnimmtdasGerichtdieSache inFormderIdentittskontrolleselbst indieHandundrevidiertdieEntscheidungseines(parlamentarischen)Agenten.
8.Dasurteil schadetabernichtnurwiegesehenderparlamentarischenDemo-kratie, sondern auchderGlaubwrdigkeit desBVerfG,weil dasGericht inBezugaufdieDemokratiemitzweierleimamisst.DieSelbstautorisierung(Hreth2008)desBVerfGalsultimativerTrgerderIntegrationsverantwortungistsehrwidersprchlichundzwargemessenandeneigenendemokratietheoretischenPrmissen,diedasGerichtentwickelthatunddiedasganzeurteildurchziehen.DasurteilselbstlsstsichinsgesamtmitAbromeit (1995) alsAusdruck der Verfassungssouvernitt der Bundesrepublikinterpretieren,demnatrlichauchdasregierungssystemderBundesrepublikunterliegt.DieTatsache,dassDeutschlandeinparlamentarischesregierungssystembesitzt,bedeu-tetjanicht,dasseseineWestminsterdemokratiereinstenWassersist.ImGegenteilsprichtaufgrundderVielzahlanVetospielernimpolitischenSystemeinigesdafr,dieBundesre-publik partiell als Konsensdemokratie zu klassifizieren, auch wenn dies durch den inten-sivgefhrtenParteienwettbewerbimKampfumdieparlamentarischemehrheitoftmalsverdecktwird.DasGericht aber operiertmit einem vllig unempirischenmajoritrenDemokratiemastab, denn Demokratie wird exklusiv als ein staatliches System definiert, indemsichdermehrheitswilleberdasnachdemPrinzipone man one votegewhlteParlamentinderregierungsbildungundGesetzgebungungebrochenunddurchnichtseingehegtzurGeltungbringt;undzurGeltungbringenmuss,damitdasganzeunter-nehmen berhaupt als Demokratie bezeichnet werden kann. mit diesem majoritrenDemokratiemastab ist es sodann ein Leichtes gewesen, die Demokratiedefizite der EU aufzudeckenunddieseinsgesamtalsnichtdemokratiefhigzudeklassieren.
9.Dieser strengeDemokratiemastabwirdaber imgleichenurteilvllig ignoriert,wennesdemGerichtdarumgeht, sichselbst imProzessdereuropischenIntegrationals Integrationsletztverantwortungstrgerzuautorisieren.Sostellensichdierichterin-nen undrichter in demokratisch eigentlich kaum zu verantwortenderWeise ber diepolitischenEliten desLandes in Fragen, die ihrerNatur nach politisch diskutiert undgegebenenfallsmitZweidrittelmehrheitabschlieendentschiedenwerdenmssten.EntscheidungenzureuropischenIntegration(unddamitindirektimmerauchEntschei-dungenzumKernbereichdeutscherVerfassungsidentitt!)solltenunddaliegeichver-mutlichwieder ganz auf derLinie vonScharpf durch demokratisch rckgekoppelteInstitutionengetroffenwerdenundnichtdurcheinVerfassungsgericht,daspolitischnichtzurVerantwortunggezogenwerdenkann.berzuknftigeKompetenztransfersbzw.berdiebloeInanspruchnahmebereitsandieEudelegierterKompetenzendurchdiesogenanntenBrckenklauselnmsstendaherexklusivdiepolitischenmehrheitenindenParlamentenentscheiden,diedochdasGerichtansonstenalswesentlicheGarantendemokratischerLegitimittsosehrpreist.DajedochdasGerichtdieseimKernpoliti-schenFragengegebenenfallsselbstentscheidenwill,fhrtdiesdieanandererStellevorgenommenerichterlicheWrdigungdervonderDurchsetzungdesmehrheitswillensgeleitetenParlamentsdemokratieadabsurdum.DasschadetderGlaubwrdigkeitderVer-fassungsrichtermassiv,dennesgibtweltweitkeineeinzigeparlamentarischeDemokratie,indersichdermehrheitswillesowieesdasGerichtfreineDemokratiegrundstzlicheinforderteinerseitsungebremstundungehindertdurchsetzenknnensollundzugleich
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einVerfassungsgerichtbesteht,dassdiesesmajoritreregierenwiedermitallermachtzurckdrngt(Lijphart1999,S.216).
10.Damitkomme ichzumFazit:DasTraurigeandemurteil ist, dassdasGerichtsichineklatanteWidersprcheverstrickt,umzudemErgebniszukommen,zudemesaus institutionellemEigeninteressekommenmchte.DasBVerfGwollteerstens, dassdie Ratifizierung des Lissabon-Vertrages nicht an Deutschland bzw. an ihm als Verfas-sungsgerichtscheitert,alsosagtdasGrundgesetzJazumVertragvonLissabon.Zwei-tenswolltedasGerichtaberauchseintiefesmissfallenkundtungegendieArtundWeise,wieaufEu-Ebeneregiertwird.AlsohabendierichterinnenundrichterihreBedenkengegen das EU-Demokratiedefizit systematischer und unduldsamer durchbuchstabiert alsjemalszuvor,indemsieeinenmajoritrenDemokratiemastabzugrundelegten,derrealiternurinWestminsterdemokratiengilt,indenendasParlamentundderinihmsichartikulierendemehrheitswille allesunddieVerfassungsgerichtsbarkeitwenigbzw.garnichtszhlt.LeitbildderDemokratiewarindiesemFallalsodiemehrheitsbestimmteunduneingeschrnkteParlamentssouvernitt.DrittensaberwolltesichdasGerichtselbstalsultimativenWchterdereuropischenIntegrationautorisieren.HierzujedochmusstedaszuvorgegendieEu inStellunggebrachteDemokratiekonzeptvollstndigaufgegebenwerden. An seine Stelle setzt das Gericht daher unausgesprochen das gegenlufige Leitbild der Verfassungssouvernitt. Nur so konnte das BundesverfassungsgerichtdenBundestaginSachenIntegrationsverantwortungzumAgentendegradierenundsichselbstzumPrinzipaleninalleneuropapolitischenGrundsatzentscheidungenauf-schwingen. Last but not least:DieVerfassungsrichterinnen und -richter haben esmalwiedergeschafft,diepolitischenElitennachallenregelnderKunstvorzufhrenundsogarnochdieffentlichkeithintersLichtzufhren,diedasurteilvorallemalsSiegderDemokratieinterpretierte.Ichhoffe,dassmitderZeitundweiterenpolitikwissen-schaftlichenForschungendiesesFehlurteilberdasgrundstzlichsteGrundsatzurteildesBVerfG(Prantl2009)korrigiertwerdenkann.
4 WarumdieRichtungstimmt
Martin Hpner
DieDeutlichkeitdesnegativenTenors,derdiemehrzahlderBeitrgezudieserDebatteprgt,hatmichberrascht.mitvariierendemNachdrucklegenHreth,LeibfriedundZrnnahe,dievomBundesverfassungsgerichtbeanspruchtenKontrollrechtebeiderumset-zung europischerrechtsakte zeugtenvon rckwrtsgewandtemSouvernittsdenken,vonberkommenenVorstellungeneinerDichotomiezwischennationalerundeuropi-scherrechtsproduktion,vonproblematischemmisstrauengegenberdemeuropischenProjekt.Ichwerdenachfolgenddarlegen,warumichinderWuchtderIntegrationdurchrecht Probleme angelegt sehe, die dasmisstrauen der Karlsruher richterinnen undrichterrechtfertigen.AngesichtsdieserProblemeerkenneichimLissabon-urteileinenbegrenswertenFortschrittgegenberdemstatus quo ante.
1.meineSorgegiltderFhigkeitdemokratischerGemeinwesen,sichaufsozialeKor-rekturenihrerkapitalistischenWirtschaftsordnungenzuverstndigenunddiesedurchzu-
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setzen.AnlassderSorgeistdiejngererechtsprechungdesEuropischenGerichtshofs(EuGH), die oft berraschend, weil fr diemitgliedstaaten nicht vorhersehbar undvon ihnen nicht intendiert marktbegrenzende rechtsbestnde zu ungerechtfertigtenBeschrnkungenderBinnenmarktfreiheitenerklrte,ohnedassrealistischeChancenderpolitischenre-regulierungaufeuropischerEbenebestnden.
Der Kern dieser Judikatur besteht in der Aufladung der europischen Grundfreiheiten (freieBewegungvonWaren,Kapital,DienstleistungenundPersonen)mitdemCharaktervonGrundrechtenauf freieBettigungaufkapitalistischenmrkten.Dieserechtspre-chungmanvriertmarktbeschrnkendegegenbermarktschaffendenregelnineineinsti-tutionalisierteDefensive.InderexpansivenAuslegungdesEuGHgiltjederegelung,diedieAusbungeinerGrundfreiheitweniger attraktivmachenknnte,alsBeschrnkungs-tatbestand.Siezurechtfertigen,istseitCassisdeDijon(rs.120/78,1979)Aufgabedermitgliedstaaten.SeitdemGebhard-urteil(rs.C-55/94,1995)wirdeinheitlichfrallevier Grundfreiheiten hierbei ein vierstufiger Test angewandt: Beschrnkungen der Grund-freiheitendrfennurdannbestehen,wennsieinnichtdiskriminierenderWeiseangewandtwerden, wenn sie aus (eng definierten) zwingenden Grnden des Allgemeininteresses gerechtfertigtsind,wennsiegeeignetsind,dasverfolgteZieltatschlichzugewhrleis-ten,undwennsienichtberdashinausgehen,waszurErreichungdiesesZielserforder-lich ist (s.rn.37 des Gebhard-urteils).Das allesmag akzeptabel gewesen sein, solangediemitgliedstaatensicherseinkonnten,dassdieseInstrumentebehutsamundunterSchonung der demokratischen Gestaltungsspielrume der mitgliedstaaten gebrauchtwerden.EbendasistabernichtmehrderFall.DerEuGHnutztdieGrundfreiheitenalsGeneralkompetenz,mitdersichliberalisierendindasGesellschaftsrecht(dasrechtderunternehmerischenrechtsformen),dieSozialpolitik,denHochschulzugang,daskollek-tiveArbeitsrechtunddasSteuerrechteingreifenlsst,umnureinigeBereichezunennen(vgl.hierzudieBeitrgeinHpneru.Schfer2008).Nichts,sosagteEuGH-PrsidentSkouriseinmaltreffend,istvorderAnwendungderGrundfreiheitenimmun(Fritz-Van-nahme2006,S.30).
Auchwonationalerechtsbestnde(oderHandlungenPrivater,diederEuGHdurchseinerechtsprechungzurDrittwirkungderGrundfreiheitenaufEinzelneerfasst)dieKri-terienderGebhard-Formelerfllen,istdasErgebnisnichtmitderZuerkennungsouvernauszufllenderHandlungsspielrume zu verwechseln: Souvernitt wer sich an die-semTerminusstrt,mgeihndurchAutonomieersetzenhiee,indemokratischenGemeinwesenselbst darber befinden zu knnen, ob eine marktbegrenzende Manahme Bestandhabensoll,ohnediesvordemeuropischenHchstgerichtrechtfertigenzums-sen.DiejngstenexpansivenAuslegungenderGrundfreiheitensinddeshalb,berspitztformuliert,KriegserklrungenandenreguliertenKapitalismuseineErkenntnis,diebeiderdeutschenPolitiknochnichtwirklichangekommenist(vonsehrwenigenAusnahmenabgesehen)unddieselbstindenEuropadiskursderGewerkschaftenerstsptundsehrlangsameingewandertist.
2.SpielenwirdiePotenzialedieserJudikaturanhandeinesKernelementsdersozialenmarktwirtschaftdeutscherSpielartdurch,undzwarderArbeitnehmermitbestimmungaufEbenederLeitungsorganevonGrounternehmen.BereitsmitseinenurteilenzuCentros(rs.C-212/97,1999),berseering(rs.C-208/00,2002)undInspireArt(rs.167/01,2003)hatderEuGHdieunternehmensmitbestimmungfaktischvoneinerobligatorischen
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ineinefakultativeInstitutiontransformiert.unterVerweisaufpotenzielleBehinderungenderNiederlassungsfreiheitwurdedieauslndischeBriefkastenholdingdamitdemeuro-parechtlichenSchutzunterworfen:Diemitgliedstaatenmssenauslndischeunterneh-mensrechtsformenaufihremHoheitsgebietauchdanndulden,wenndieseamortihrerGrndung keinerlei wirtschaftliche Ttigkeit entfalten (erzwungene mglichkeit descompany law shopping).GleichzeitigsetztemitKommissiongegenPortugal(rs.C-483/99,2002)eineSerievonEuGH-urteilenein,mitdenendasGerichtunterVerweisaufpotenzielleBehinderungenderKapitalverkehrsfreiheitgegensogenannteGoldeneAktien(SonderstimmrechtevonGebietskrperschaftenaufHauptversammlungenoderStimm-rechtsbeschrnkungenmitvergleichbarerWirkung)vorging.SolcheSonderstimmrechte,so das europische Hchstgericht, seien potenziell geeignet, auslndische Investorenabzuschrecken.DamithatderEuGHdasAktien-undunternehmensrecht,daseigentlichindenausschlielichenZustndigkeitsbereichdermitgliedstaatenfllt,aufdeneuropa-rechtlichenPrfstandgestellt.
Jngstwurdeerwartet,dassdemEuGHeinFallzumrechtaufEntsendungvonAuf-sichtsratsmitgliedernvorgelegtwird(vergleicheausfhrlichmslein2009,S.23).DabeigingesumdasinderSatzungvonThyssenKruppverankerterechtderKrupp-Stiftung,dreiVertreterindenAufsichtsratdesunternehmenszuentsenden.VonhierwreesnurnocheinsehrkleinerSchrittzueinemurteilgegendasdeutschemitbestimmungsgesetzvon1976.WiewrdederEuGHurteilen?EineBeschrnkungderKapitalverkehrsfreiheitdurchdieunternehmensmitbestimmungwrezweifelloszubejahen(weildiemitbestim-mungvomAktienkaufabhaltenknnte)2.ZwarwrdederEuGHdenArbeitnehmerschutzallerWahrscheinlichkeitnachalszwingendenGrunddesAllgemeininteressesanerken-nen,derdieBeschrnkungeinerGrundfreiheitzurechtfertigenvermag.WiedasGerichtdieVerhltnismigkeitdermanahmebeurteilenwrde,isthingegeneinevlligoffeneFrage,zeigtderinternationaleVergleichdoch,dassauchwesentlichanspruchslosereVor-gabenzurArbeitnehmermitbestimmunggengen,umaufdieKonsultationderBeschf-tigtenundsozialenFriedenindenunternehmenhinzuwirken.
Kurz:EinEuGH-urteilgegendiedeutscheArbeitnehmermitbestimmungisteinhypo-thetisches,aufGrundlagedervomEuGHentwickeltenInterpretationderGrundfreiheitenaberabsolutmglichesEreignis,wasBrisanzundFragwrdigkeitdieserInterpretationmeines Erachtens hervorragend veranschaulicht.3 Denmehrwert des Lissabon-urteilssehe ich darin, dass das Bundesverfassungsgericht ein solches EuGH-urteil fr inDeutschlandunanwendbarerklrenmsste.
3.Zweifellosrichtigist,wieauchZrn(indieserDebatte)herausstellt,dassSensibili-ttgegenberdensozialenFolgewirkungenderIntegrationdurchrechtimLissabon-
2 DasssichandenEigentmerstrukturenderunternehmenablesenlsst,dasssichinternationaleInvestorendurchsolcheregelungennichtabschreckenlassen,empirischalsokeineBeschrn-kung der Kapitalverkehrsfreiheit stattfindet, zhlt hierbei nicht: Im Volkswagen-Urteil (Rs. C-112/05,2007)hattederEuGHdiesenEinwanddesdeutschenGesetzgebersmitkeinemWorterwhnt.
3 EinZynikerwrdehinzufgen:DasGerichtknntesogarimselbenurteileinrichterrechtlichgeschpfteseuropischesGrundrechtaufArbeitnehmerkonsultationverknden,dessenAus-bung aberderBeachtungderBinnenmarktregelnbedrfe (vgl. die unten stehendenAusfh-rungenzuVikingundLaval).
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urteil nicht erkennbar ist (und sich auchdieDebatteberdasurteil nicht auf diesenAspekt konzentriert).DerEuGHhabe eineDeregulierungsdynamik entfaltet,welchediekonomisierungzuLastendessozialenAusgleichsfrdert,stelltenbeispielsweisedieAutorenderGauweiler-Klageheraus(dortaufS.269).WiebereitsderVerlaufdermndlichenVerhandlungam10./11.Februar2009 inKarlsruheerwarten lie,handeltdasLissabon-urteilsozialpolitischeProblemeaufuerstknappemraumab(s.hierzuinsbesonderediern.392400).DieKarlsruherrichterinnenundrichterverweisenaufdie zahlreichenNennungen des Sozialen in denVertrgen, in Protokollen und unver-bindlichen integrationspolitischen Erklrungen, von der Verpflichtung zur Frderung deswirtschaftlichenundsozialenFortschritts inderPrambeldesVertragsberdieArbeitsweisederEubishinzurexplizitenNennungdersozialenFunktiondesSportsinArt.165Abs.2AEuV(beidesinrn.396desurteils):Sehther,wodemSozialensoviel Beachtung geschenkt wird, kann kein soziales Defizit bestehen.
Besonders traurig stimmen in diesemZusammenhangdieAussagen derKarlsruherrichterinnenundrichterzumStreikrecht,wirddasProblemimselbenurteilstextdochbei derVorstellungderKlageschriftenvllig korrektwiedergegeben (rn.117). IndenurteilenzuViking (rs.C-438/05,2007)undLaval (rs.C-341/05,2007)griffderEuGHindaskollektiveArbeitsrechtein,indemerArbeitskmpfezuStrungendesBin-nenmarktserklrte,diedemGerichtnichtdurchzwingendeGrndedesAllgemeininte-ressesgerechtfertigterschienen(Joergesu.rdl2009).IndenselbenurteilenbezeichnetederEuGHdasStreikrechterstmalsalseineuropischesGrundrecht,dessenAusbungallerdings unter dem Vorbehalt der Binnenmarktregeln stnde: Einschrnkung durchAnerkennung.Wie kann dieAntwort des deutschenHchstgerichts auf diese schwer-wiegendenProblemeeuropischerrechtsfortbildungernsthaftlauten,sozialeProblemederEuGH-rechtsprechungseiennichterkennbar,schlielichhabederEuGHinseinerrechtsprechungsogardieExistenzeineseuropischenStreik-Grundrechtsfestgestellt(ausrn.398)?
4.AlleBeitrge zudieserDebatte rckennicht die vomBVerfGangemahnte Inte-grationsverantwortung des Parlaments, sondern die verfassungsrechtlichen Kontroll-vorbehaltebeiderumsetzungeuropischerrechtsakte insZentrum.Bereits in seinenSolange-urteilenhattesichdasBVerfGeineGrundrechtsprfungeuropischerrechts-aktevorbehalten,immaastricht-urteiltratdieultra-vires-Kontrollehinzu.Siewurdennunmehr um die Identittskontrolle ergnzt (vgl. rn.240 des Lissabon-urteils sowieHrethundLeibfriedindieserDebatte).NunargumentierenHrethundZrn,diePr-fungsvorbehaltedesBVerfG seiengeeignet, dieKluft zwischenmarktschaffenderundmarktbeschrnkenderIntegrationzuvertiefen,weilvorallemdiepolitischherbeigefhrtemarktbegrenzendeund -gestaltende IntegrationzumopferderKontrollendesBVerfGzu werden drohe. Dieser Einwand scheint mir dann doch auf einer unzutreffendenBestandsaufnahmeder derzeit und auf absehbareZukunft dominanten Integrationsdy-namikenzuberuhen.AmbitionierteProjektedersozialenIntegrationetwaeuropischemitbestimmungsregeln,europischeFlchentarifvertrge,eingemeinsamesSozialversi-cherungssystem,HarmonisierungdesKndigungsschutzesusw.sehensichdurchdieheterogenenInteressenlageninnerhalbderEu-27blockiertundwerdendeshalbvonderKommissionauchnichtinAngriffgenommen(soauchScharpfindieserDebatte).Dashatpolitkonomische,nichtaber juristischeursachen.Demstehteine sichunkontrol-
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liertbeschleunigende,mehrundmehrmitgliedsstaatlicherechtsbestndeerfassendeundtransformierendeEuGH-JudikaturzudenGrundfreiheitengegenberdiesichdurchdieultra-vires-KontrolleunddieIdentittskontrolleimPrinzipbremsenliee.
EineandereGefahrbestehtdarin,dasskorrekturbedrftigeFlledasBVerfGgarnichtersterreichen(ScharpfindieserDebatte).mussderbetroffeneBrgerimrahmeneinerVerfassungsklage nachweisen, dass die nationaleumsetzung einesEuGH-urteils eineGrundrechtsverletzung bewirkt, mag die Kontrollfunktion des BVerfG ins Leere lau-fen,undselbstimFalldeshypothetischhergeleitetenmitbestimmungsurteilsdesEuGHwreunklar,worinderGrundrechtsverstoeigentlichbestehensollte.4DieserBallliegtallerdingsimSpielfeldderPolitik.DenndieeigentlicheInnovationdesLissabon-urteilsbestehtjanichtinderSchpfungderIdentittskontrolle,sonderndarin,dassdasBVerfGanmahnt,dievorherunerreichbarhoheHrde,oberhalbdererPrfungenberhaupterststattfinden knnen, durch Schaffung eines neuen Klagetyps in eine nun auch faktisch erreichbare Hhe zu verlegen (vgl. rn.241). ob das tatschlich geschieht, ist offen.DerzeiterscheintsogardieForderungeinigerVlker-undEuroparechtler,dasLissabon-Urteil mit einer an das BVerfG gerichteten Vorlagepflicht aller Kollisionsprobleme an denEuGHzubeantworten,greifbareralsdieumsetzungderAnregungderKarlsruherrichterinnenundrichter.5
meinekurz-bismittelfristigeHoffnungist,dassdasBVerfGdieGelegenheitergreift,sichFragenwiedenfolgendenzuzuwenden:mussderdeutscheGesetzgeberundmssendeutscheGerichteEuGH-urteileinnationalesrechtumsetzen,indenenrechtsbestndeundHandlungenPrivaterzuunzulssigenBeschrnkungendesBinnenmarktserklrtwur-den,obwohlsiekeinenerkennbarentransnationalenBezugaufweisen?VersttwieinderderzeitigenEuGH-rechtsprechungeinenationaleregelungtatschlichschondanngegendieGrundfreiheiten,wennsichihrebeschrnkendeWirkunglediglichhypothetischentfaltet?Warund ist es tatschlichSinnderGrundfreiheiten,daskollektiveHandelnvonGewerkschaftenundArbeitgeberverbndeneinerVerhltnismigkeitskontrollezuunterwerfen?
5.DieimLissabon-urteilentwickeltenInstrumenteeignensichallenfallszumEinsatzgegen spezifische, ausgewhlte Auswchse der Integration durch Recht. Im Falle eines gegen diemitbestimmung gerichtetenEuGH-urteils knnte dieultra-vires-Kontrolle,mithinauchdieIdentittskontrollegreifen.NichtgreifenwrdensiehingegeninFllen,indenenrechtsfortbildungnichtdurchbig bangs,sonderndurchkumulative,sichberlangeZeitrumevollziehendereinterpretationendeseuropischenrechtserfolgt(aus-fhrlichzuTypenderrechtsfortbildungdurchdenEuGH:Hpner2010).SomgendieauerordentlichrestriktivenSteuerrechtsurteiledesEuGH,indenendasGerichtimmerwiederVersuchezurEindmmunginternationalerSteuerarbitragezuVerstengegendieBinnenmarktfreiheitenerklrthat(beispielsweiseimmarks&Spencer-urteil,rs.C-
4 AndersverhielteessichbeidenurteilenzumStreikrecht:EinBundesgesetzmitdemInhaltdesLaval-urteilswre,soetwadieEinschtzungvonrdl(2009,S.42),wegenoffensichtli-chenVerstoesgegenArt.9Abs.3GGverfassungswidrig.DerhiervonbetroffeneArbeitnehmerknnteVerfassungsklageeinreichenundeinenGrundrechtsverstogeltendmachen.
Siehe hierzu http://www.europa-union.de/fileadmin/files_eud/Appell_Vorlagepflicht_BVerfG.pdf(Zugriffam5.mai2010).
342 m.Hpneretal.
446/03,2005),imEndeffektgenausovielwirtschaftlicheLiberalisierungbewirkenwieCentrosundLaval,weilsiedieEinnahmebasisderWohlfahrtsstaatensystematischschmlern(vergleichehierzuGanghofu.Genschel2008,S.328329).FllefrIdenti-ttskontrolleundultra-vires-Kontrollewrensievermutlichnicht.AuchsignalisiertdasBVerfG,dasseszwarpotenzielle,abernochkeinemanifestenProblemeausbrechenderrechtsakteerkennt(vgl.etwadieFormulierungdesGerichtsinrn.238).beralldort,wo dasKind bereits in denBrunnen gefallen ist,wie beispielsweise beimVerbot derAnwendungderSitztheorieimGesellschaftsrecht(Centros),wirddasLissabon-urteilalsonichtsamStatusquondern.KorrekturenknnenindiesenFllennurvonderPolitikausgehen und im Konflikt mit Brssel und Luxemburg durchgesetzt werden.
6. Besteht nicht dieGefahr, dassVerfassungsgerichte anderer Eu-Staatenmit ver-gleichbarenurteilenreagierenwerden,unddassdaseuropischerechtimErgebniszueinemFlickenteppichwird?DieserEinwandallerTeilnehmerdieserDebattehatzweifel-losSubstanz,undwerwolltederallseitsgeteiltenAuffassungwidersprechen,politischeLsungen seien rechtlich definierten Integrationsschranken vorzuziehen. Insbesondere ScharpfsVorschlgenzuentsprechendenpolitisch-institutionellenreformenkannmanimpolitischenDiskursnurdengrtmglichenErfolgwnschen(s.insbesondereScharpf2009b).Eserscheintaberunklar,wodieKraftfrsolchinstitutionelleInnovationender-zeitherkommensoll,lautetdochdieallgemeineEinschtzung,dassnachdermhsamenRatifikation der Lissabonner Vertrge auf absehbare Sicht keine weiteren grundlegen-den Vertragsrevisionen stattfinden werden (so etwa Auswrtiges Amt 2007,S.3und1516).WersichhierbernunausgerechnetbeidenKarlsruherrichterinnenundrichternbeschwerte,wreanderfalschenAdresse.Stndenwirvielleichtdochbesserda,wenndiemitgliedstaaten anstelle derberfhrung des gescheitertenVerfassungsvertrags indasLissabonnerVertragswerkineineDenkpausevoneinigenJahreneingetretenwren?
In der Tat mag das Lissabon-Urteil einen Prozess der behutsamen mitgliedstaatsspezifi-schenDifferenzierungdeseuropischenrechtseinleitenandemdieGemeinschaftnichtzuGrundegehenwird.DieNichtanwendungeuropischerrechtsaktedurchnationaleorganedrfteeineselteneAusnahmebleibenundvorallemalsWarnschussgegenberzuknftigenrichterrechtlichforciertenKompetenzverschiebungenwirken.EinegewisserelativierungdesGrundsatzesdereinheitlichennationalenAnwendungdeseuropischenrechtserscheintmirimVergleichzurungebremstvoranschreitendenberinterpretationder europischenGrundfreiheiten gegenber nationalen rechtsbestnden das kleinerebel.Denn amEnde des derzeit beschrittenenWeges kann nichts anderes stehen alsdervonpolitkonomischerGestaltungskraftentleerteHayekscheWettbewerbsstaat.DaszugrundeliegendeProblem,einefaireBeurteilungdesLissabon-urteilsinrechnungzustellen,hatnichtdasBundesverfassungsgerichtverursacht.
5 WodasVerfassungsgerichtRechthatundwonicht
Fritz W. Scharpf
DasLissabon-urteildesBundesverfassungsgerichts(2BvE2/08) istvielfachaufpau-schaleKritikgestoen,dieauchnichtbereitwar, sachlichzutreffendeArgumenteund
343KampfumSouvernitt?
begrndeteBesorgnissezurKenntniszunehmen.Deshalbwillich,bevorichselbstzurKritik bergehe, zunchst hervorheben, wo das Bundesverfassungsgericht ausmeinerSichtvonzutreffendenAnalysenausgegangenist.
1.DasGerichthatrecht,wennesaufderEinhaltungdesPrinzipsderbegrenztenEin-zelermchtigungbeharrt.InallenpolitischenSystemenmiteinermehrebenen-VerfassungistdieZuordnungderKompetenzenvonkritischer, legitimationsrelevanterBedeutung.DasfrdieEuwiefrdieBundesrepublikgewhltePrinzipderEnumerationzentral-staatlicherGesetzgebungskompetenzen bei gleichzeitigerWahrung einer umfassendenresidualkompetenzderGliedstaatenbegnstigtnurscheinbardieuntereEbene.unterden Handlungszwngen der politischen Praxis lsst sich die Erweiterung spezifizierter Zentralkompetenzen immer leichter begrnden und durchsetzen als die Verteidigungeinerdiffusenrestkompetenz.Diesgiltinsbesondere,wenn,wieinderEuundinderBundesrepublik,diegliedstaatlichenregierungendurchdieunmittelbareBeteiligunganderzentralstaatlichenWillensbildungentschdigtwerden.
DeshalbsolltemandemGerichtzustimmen,wenneseinegrndlicheparlamentari-schePrfungknftigerKompetenzbertragungenverlangtundzwarnichtnurvonderBundestagsmehrheit,die(wieHreth indieserDebattezurechtunterstellt)normaler-weisederregierungfolgt,sondernebenauchvondeminKompetenzfragenwesentlichkritischerenBundesrat.InderSacheleuchtetesauchein,dassdieNutzungbereitsber-tragenerKompetenzen ebenfalls einerultra-vires-Kontrolle unterzogenwerden sollte,und dass dabei insbesondere auch auf die schleichendeKompetenzerweiterung durchextensiveInterpretationgeachtetwerdenmsste(rn.242).
2.DemGerichtistebenfallszuzustimmen,wenneseinenKernbereichnationalerAuto-nomie als Grenze der zulssigen Delegation definiert und darauf besteht, dass den EU-mitgliedstaaten ausreichender raum zur politischenGestaltung der wirtschaftlichen,kulturellenundsozialenLebensverhltnisseverbleibenmsse(rn.249).Selbst inderBundesrepublik,wodiedemokratischeLegitimationderBundespolitikstrkeristalsdieder Landespolitik, respektiert die Verfassungspraxis und definiert das Verfassungsrecht einenKernbereichderEigenstaatlichkeitderLnder,indemderGestaltungsspielraumderLandespolitikgeschtztwird.DasBundesverfassungsgerichtunddieFderalismus-reformhabendiesenBereichinjngsterZeitsogarnochwesentlicherweitert(Scharpf2009a).ErstrechtbedarfeinsolcherKernbereichdemokratischerSelbstbestimmungdesSchutzesimVerhltniszwischendenmitgliedstaatenundderEuropischenunion,dereneigeneLegitimitt,wiedasGerichtzurechtfeststellt,(noch)keineswegsdemLegiti-mationsniveaueinerstaatlichverfasstenDemokratieentspricht(rn.276).
SkeptischerbeurteileichdenVersuchdesGerichts,diesenKernbereichgegenstnd-lichundmitdemAnspruchaufallgemeineGltigkeitzuumschreiben.WaszurVerfas-sungsidentittgehrt,variiertvonLandzuLand,undderdemokratischeProzessselbstdefiniert die Fragen, die der ffentlichkeit und den Whlerinnen und Whlern so wichtig sind, dass sie nur durch Konfliktaustragung und Konsensbildung im eigenen Land legi-timbeantwortetwerdenknnen.DasgiltvermutlichfrdasAlkoholverbotinSchwedenebensowiefrdasAbtreibungsverbotinIrland,undwasdenBritendereuropischePer-sonalausweis,daswredenDeutschenwohldieeuropischeGeschwindigkeitsgrenzeaufdenAutobahnen.
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Daskann jedochnichtheien,dassBereichedergenanntenArtabsolutgegen jedeeuropischeInterventiongeschtztwerdenknnten.Diegrenzberschreitendeundinter-sektorale Verflechtung der Politikfelder liee ein Reservatdenken (Leibfried in dieser Debatte)imSinneeinerstriktenTrennungdereuropischenundnationalenKompetenzengarnichtzu.NtigistjedocheinebesonderssensibleAbwgungzwischeneuropischenundnationalenBelangen,wenndieeuropischePolitikoderdaseuropischerechtindieKernbereiche der nationalen demokratischenSelbstbestimmung eingreifen. IndemdasBundesverfassungsgerichtdieEuropafreundlichkeitdesGrundgesetzes(rn.225)undseine eigeneBereitschaft betont, dievon ihm reklamierte ultra-vires-und Identitts-kontrolle ineuroparechtsfreundlicherWeiseauszuben(rn.241),hates imPrinzipauchversprochen,ebendieseAbwgungvorzunehmen.obdasgengt,wirdspterzudiskutierensein.
3.DasGerichtgehtjedochfehlinder(impliziten)unterstellung,diedemokratischeSelbstbestimmung dermitgliedstaaten sei in erster Linie durch die bertragung vonGesetzgebungskompetenzen und durch die tatschlich ausgebte europische Gesetz-gebungbedroht.Dieseunterstellungerscheintwenigrealistisch.AngesichtsderhohenKonsenserfordernisse der europischen Gesetzgebung (die durch dieAufwertung desEuropaparlaments noch gesteigertwurden) und angesichts der allseitigenBereitschaftzu konfliktvermeidenden Kompromissen wre es hchst ungewhnlich, wenn eine von der betreffenden regierung ernsthaft verteidigte Position von hoher politischer oderverfassungsrechtlicherBedeutung imministerrat berstimmtwrde.Gefahr droht derdemokratischen Selbstbestimmung in denmitgliedstaaten dagegen vom europischenrichterrecht,dasohneBeteiligungdesratsunddesEuropischenParlamentsformuliertunddurchgesetztwerdenkann.
4.DieDurchschlagskraft desrichterrechts beruht auf den vomEuGH in den fr-hen1960er-JahrendurchgesetztenPrinzipienderDirektwirkungundderSuprematiedeseuropischen im Verhltnis zum nationalen recht. Damit diese berhaupt praktischeBedeutung erlangen konnten, war es berdies notwendig, die vertragliche Verpflichtung dermitgliedstaatenzurHerstellungeinesgemeinsamenmarktesunddiedieserentspre-chendeErmchtigungdeseuropischenGesetzgebers in subjektiverechtederBrgerund unternehmen umzudeuten. Der freieVerkehr von Personen,Waren, Kapital undDienstleistungen,dieNiederlassungsfreiheit,dasDiskriminierungsverbotunddasVerbotwettbewerbsverzerrendermanahmenerlangtendeshalbimVerhltniszudenmitglied-staatendenStatusvonGrundrechten,dieallesnationalerechtauerKraftsetzenkonn-ten.Sie alleknnenvonPrivaten innormalenrechtsstreitigkeitenvordennationalenGerichteninAnspruchgenommenwerden,unddieGerichtesindgehalten,europarecht-licheZweifelsfragendemEuGHzurverbindlichenInterpretationvorzulegen.
DiesereuropischeGrundrechtsschutznimmtaufKompetenzregelnkeinercksicht.ErwirktsichalsoauchaufnationalePolitikfelderaus,frdiederunionkeinerleiKompe-tenzbertragenwurde,jafrdieimVertragsogareineeuropischeregelungskompetenzexplizitausgeschlossenwurde.DiesgiltetwanachArt.137Abs.5EGVfrdasArbeits-entgelt,dasKoalitionsrecht,dasStreikrechtsowiedasAussperrungsrecht.TrotzdemhatderEuGHArbeitskampfmanahmenderGewerkschafteninderViking-Entscheidung(rs.C-438/05,2007)alsVerstogegendieNiederlassungsfreiheitundimLaval-Fall(Rs. C-341/0, 2007) als Verletzung der Dienstleistungsfreiheit qualifiziert, und er hat im
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rueffert-urteil(rs.C-346/06,2008)auchdieEntgeltregelungdesNiederschsischenTariftreuegesetzesanderDienstleistungsfreiheitscheiternlassen.hnlichesgiltinzahl-reichenanderenPolitikfeldern (Scharpf2009b,c).Kurz,dieGrundrechtsjudikaturdesEuGHerfasst imPrinzipalleBereichedernationalenPolitikundsiekannauchdurchexpliziteKompetenzschrankenundDelegationsverbotenichteingegrenztwerden.WennalsoHreth(indieserDebatte)demBundesverfassungsgerichteinenschierunermess-lichenEntscheidungsspielraumzuschreibt,sogiltdiesnochvielmehrfrdenEuGH,dessenrechtsprechung,sosiesichaufdieInterpretationderVertrgesttzt,nurdurchVertragsnderung, die in allen 27 Mitgliedstaaten ratifiziert werden msste, korrigiert werdenknnte.
5.ImGegensatzzurrechtsprechungdesBundesverfassungsgerichtshatdiedesEuGHjedochhchsteinseitigeAuswirkungenaufdiemglichenInhaltederPolitik:SieerfasstkeineswegsdievolleBreite legitimerStaatszieleunddervoneinerrechtsordnungzuschtzendenrechtsgter,sondernschtztlediglicheineAuswahlvonIndividualrechten,derenSchwerpunkt nachwie vor bei denWirtschaftsfreiheiten undDiskriminierungs-verbotenliegt.Vorallemaberkanndieserechtsprechunglediglichnationaleregelun-gen,diedieAusbungeuropischgeschtzterrechtebehindern,auerKraftsetzen.SieerzwingtDeregulierungundnegative Integration, indemsiedieHandlungsmglich-keitenderPolitik indenmitgliedstaatenbeschrnkt,abersie leistetkeinenBeitragzueinerpositivenIntegration,diewieZrnindieserDebattezurechtbetontdiePro-blemlsungsfhigkeitdereuropischenPolitiksteigernundnationaleregelndurcheingemeinsames europischesregime ersetzenmsste.Gemeinsame europischeregelnaberknnennichtdurchrichterrecht,sondernnurdurcheuropischeGesetzgebungein-gefhrtwerden.DieseabermussauchnachdemLissabon-VertraghoheKonsenshrdenberwinden.SiebleibtdeshalbinihrerHandlungsfhigkeitbeschrnktundkanndurchgravierende Interessenkonflikte zwischen den Mitgliedstaaten gelhmt werden.6
6.ImErgebnisfhrendieDominanzdernegativenunddierelativeSchwchederposi-tivenIntegrationimvertikalenVerhltniszwischennationalerundeuropischerPolitikzueinerprogressivenDenationalisierungundeinersehrunvollstndigenEuropisierungderpolitischenHandlungsfhigkeit.mankannmitZrnundLeibfrieddemVerfassungs-gerichtvorwerfen,dassesinseinerFixierungaufdenVerlustnationalerAutonomiedieNotwendigkeiteinerStrkungdereuropischenPolitikignoriere.WennmanjedochdieHoffnungenauf rascheFortschritte indieserrichtung frwenig realistischhlt,dannerzeugtdieprogressiveBeschrnkungnationalerHandlungsfhigkeitdurchauseingra-vierendes und vom Bundesverfassungsgericht zu Recht betontes Demokratiedefizit. IndenBeitrgenvonLeibfriedundZrnwirddiesesm.E. zu leichtgewichtet.AberdasLissabon-urteilgehtinseinerKritiknichtweitgenug.DieStrkedeseuropischenrichterrechtsunddiedaraufberuhendeAsymmetrie zwischennegativerundpositiverIntegration erzeugtnichtnurungleichgewichte indervertikalenDimensionzwischen
6 ZrnsetztaufdieDemokratisierungundPolitisierungdereuropischenGesetzgebung,whrendichwegen der extremenHeterogenitt dermitgliedstaaten und ihrer Interessen konsensualeEntscheidungsverfahrenfrunverzichtbarhalte,diejedochdurchPolitisierungleichtblockiertwerdenknnen.
346 m.Hpneretal.
europischerundnationalerPolitik, sondernauch inderhorizontalenDimensionzwi-schensozialenundliberalenPolitikzielen(Scharpf2009c).
ZurErluterungbeziehe ichmich auf denStandder vergleichendenpolitkonomi-schenund soziokonomischenForschung, die einerseits zwischen liberalenundkoor-diniertenmarktwirtschaftenundandererseits zwischen liberalen, christdemokratischenund sozialdemokratischenSozialstaatenunterscheidet (Esping-Andersen1990;Hall u.Soskice2001). Wenn man beide Klassifikationen zusammenfasst, kann man unter den mitgliedstaaten einerseits eineGruppeder sozialenmarktwirtschaften (auf demeuro-pischen Kontinent und in Skandinavien) und andererseits eine Gruppe der liberalenmarktwirtschaften (in den angelschsischen Lndern und in mittel- und osteuropa)unterscheiden.DieerstensindwegenihreraufwendigerenSozialleistungenundwegenderstrkerstrukturiertenInteraktionenunterdenunternehmenundzwischendiesenunddenArbeitnehmerinnenundArbeitnehmerninvielhheremmaalsLetztereaufstaat-licheregulierungundaufInstitutionenangewiesen,dienichtdemmodellder idealenmarktkonkurrenzentsprechen.SiewerdendeshalbdurchdienegativeIntegrationauchviel strker beeintrchtigt als die liberalenmarktwirtschaften, die sich sowohl fr dieErbringungundFinanzierungvonSozialleistungenalsauchfrdieKoordinationzwi-schendenWirtschaftssubjektenvorallemaufdenmarktverlassen.AufdernationalenEbenefhrtdienegativeIntegrationalsozueinerSchwchungdersozialenmarktwirt-schaften,dieinAbb.1alseinerechtsverschiebungundstrukturelleAnnherungandasmodellderliberalenmarktwirtschaftenerscheint.
NunhatderLissabon-VertraginArt.3zwardieHerstellungeinersozialenmarktwirt-schaftzueinemderZielederunionerklrt,aberdiesesknntenurdurchdieeuropischeGesetzgebungerreichtwerdenunddiesewurdeundwirdindenhierrelevantenFragenderSozialpolitik,derSteuerpolitikundderArbeitspolitikdurchdenstrukturellbegrnde-ten Interessenkonflikt zwischen den Mitgliedstaaten blockiert. Mit anderen Worten, die HoffnungaufeineWiederherstellungdersozialenmarktwirtschaftaufdereuropischenEbene ist unrealistisch. Die sozialemarktwirtschaft kann nur in denmitgliedstaaten
Abb.1: WirkungderEuropi-sierungaufSozialemarkt-wirtschaften(SmW),Liberalemarktwirtschaften(LmW)unddieinEntstehungbegriffeneEuropischemarktwirtschaft(EmW).(Quelle:EigeneDarstellung)
Europisierung
EMW
SozialeRegulierung Liberalisierung
LMWSMW
Nationale Autonomie
347KampfumSouvernitt?
berleben,undwerdiesesberlebenfrdernwill,dermussversuchen,derDominanzdernegativenIntegrationimeuropischenrichterrechtGrenzenzusetzen.7
7.DasBundesverfassungsgerichthatinseinemLissabon-urteildienichtvondereuro-pischenGesetzgebung,sondernvomeuropischenrichterrechtausgehendenbergriffeindenKompetenzbestanddermitgliedstaatennichtunmittelbarangesprochen,8sondernlediglichaufdieGefahrhingewiesen,dassdasPrinzipderbegrenztenEinzelermchti-gung auch durch die erweiterndeAuslegung des Primrrechts verletztwerden knnte(rn.238,242).DassdamitauchdieausbrechendeGrundrechts-Judikaturgemeintseinknnte,bleibtungesagt,undesistauchnichtohneWeiteresersichtlich,aufwelchemVer-fahrenswegetwadieEuGH-EntscheidungengegendasTariftreuegesetzodergegendasVolkswagengesetzvordasVerfassungsgerichtgebrachtwerdenknnten.9
unabhngig davon bleibt aber zu fragen, ob ein nationalesVerfassungsgericht diegeeigneteInstanzwre,umeineangemesseneAbwgungzwischengleichermaenlegi-timennationalenundeuropischenBelangenvorzunehmen.DerEuGHhatseitdreiJahr-zehntenbewiesen,dasserdazunichtinderLageist.AberdieVorstellung,dassnunjedesobergerichtinden27mitgliedstaatendieKompetenz-KompetenzzurBestimmungderreichweitedesEuroparechtsinAnspruchnehmenwrdeundzwarohnejedeBetei-ligung von Vertretern des europischen ffentlichen Interesses! muss jedem gutenEuroper(unddassindwirdochalle?)alseinchaotischerAlbtraumderdifferenziertenIntegrationerscheinen.10Kurz:DasLissabon-urteilverletztdiefrdieLegitimittdesrichterrechts fundamentalenAnforderungen vonKants kategorischem Imperativ: Sei-nenmaximenfehltdieGeneralisierbarkeit.DiestattdessenwnschenswertemglichkeiteinerpolitischenberprfungvonEuGH-urteilendurchdenEuropischenrathttefrei-lichnichtausderdeutschenVerfassungabgeleitetwerdenknnen.
ImErgebnis teile ichdeshalbZrnsberzeugung,dassdieBalancezwischenglei-chermaenlegitimeneuropischenundnationalenBelangenwederdennationalenVer-fassungsgerichtennochdemEuGHzurLetztentscheidungberlassenwerdendarf.DieKompetenz-Kompetenzmuss inderTat in der politischenSphreverbleiben.Aber inwelchemVerfahrensiedorteffektivausgebtwerdenknnte,bedarfnochderweiterenDiskussion(Scharpf2009b).
7 Zrn wirft die interessante Frage auf, weshalb diese horizontale Links-rechts-Verschiebungin derDiskussion des Lissabon-urteils und generell in der europapolitischenDiskussion inDeutschlandkaumeinerollegespielthabe.DerGrundscheintmirzusein,dassdieLinke,dieinihreremotionalenAbkehrvonderdeutschenIdentittdieDenationalisierungimPrinzipbegrt, alleHoffnungen auf die demokratische Politik in Europa gesetzt hat,whrend derpolitischeLiberalismus(inallenParteien,indenmedienundindenHochschulen)gegendieErgebnissederVerschiebungnichtseinzuwendenhat.
8 Stattdessenhat es,wieHpner zurechtkritisiert, inrn.392399 eine sehr euphemistischeInterpretationdesVerhltnisseszwischennationalenundeuropischenSozialkompetenzenfor-muliert,diedierealenProblemeignoriert.
9 IndieserHinsichterscheintmirauchHpnersBeitrageherzuoptimistisch.10 HierteileicheherLeibfriedsAbneigunggegendie27IdentittshteralsHpnersZuversicht,
dassdarandieGemeinschaftnichtzuGrundegehenwird.
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6 IntegrationsverantwortungineinerpolitisiertenUnion
Michael Zrn
1.DerBeschwerdefhrerIIIdesVerfahrensVertragvonLissabonbeklagt,dassderratnichtmehrhinreichende,vondenStaatsvlkerndermitgliedstaatenabgeleitetedemo-kratischeLegitimittvermittelnknne.EinesolcheKlageistangesichtsdergenerellenPolitisierungdesregierensjenseitsdesNationalstaateswenigberraschend.DiePoliti-sierungsthesebesagt,dassseitgeraumerZeitfunktionalistische,ausderSachlogikeinesSubsystemserwachsendeunddamitunpolitischeBegrndungeneuropischerundinter-nationaler Institutionennichtmehr greifen (Zrn u.Ecker-Ehrhardt 2010).Das legiti-mierendeNarrativderexpertengeleitetenProblembearbeitungwirdinFragegestelltundderpermissiveKonsensus,derdenexekutivenEntscheidungstrgernindennationalenregierungenundden elitren transnationalenPolicy-Netzwerken erheblicheEntschei-dungsrumezuerkannte,diekaumparlamentarischoderffentlichkontrolliertwurden,scheint sich aufzulsen.Das prozessualeZustandekommen, der Inhalt der ErgebnisseinternationalerPolitikprozesseundv.a.diedamitverbundenensubsystemischenKompe-tenzzuweisungenbedrfenzunehmendderrechtfertigung.DamiterfhrtdasElitenpro-jektEuropischeIntegrationinderBreiteWiderstand,genausowiedaskosmopolitischeProjektoffenerGrenzen.Allerdingswreesfalschzuglauben,dasssichnurderWider-standerhhthat.oppositionerfasstnureinenTeildergegenwrtigenAuseinanderset-zungmit europischenund internationalen Institutionen.Gleichzeitig fordern nmlichviele gesellschaftlicheAkteure und soziale Bewegungen angesichts denationalisierterProblemlageneineStrkungdesregierensjenseitsdesNationalstaates.
EntscheidendfrdiesePolitisierungist,dassdieEuundandereinternationaleInstitu-tionenzunehmenddirektaufdieAngelegenheitenvonGesellschafteneinwirkenundeineerheblicheAutonomiegegenberdeneinzelnenNationalstaatenerlangthaben.Siewer-dendaheralsneuemachtzentrenwahrgenommen,dieHerrschaftausben,undfolgerich-tigmitpolitischenAnsprchenbelegt.DerLegitimationsbedarfwchst.DabeiwerdenzunehmendnichtnurdieeinzelnenPolitiken,sonderndieEntscheidungsverfahrenunddasinstitutionelleSettingalssolcheszumzentralenGegenstandderAuseinandersetzung.KritisiertwerdendanndiemangelndereprsentativittundTransparenzderEntschei-dungsprozesse und die nicht hinreichende Rechenschaftspflicht von Entscheidungstr-gerinnenund-trgern.DiePolitisierungist insoferneineFunktionderEntstehungvonpolitischerAutorittjenseitsdesNationalstaates.
Parallel dazu erwchst auch die Politisierung internationaler Angelegenheiten alsFolgeeineszunehmendenRegelungsbedarfsjenseitsdesNationalstaates.EineVielzahlkonomischer,sozialerundkulturellerProblemlagenistinzwischenindemSinnedena-tionalisiert,dasssievonHandlungszusammenhngenerzeugtwerden,diebernational-staatlicheGrenzenhinausreichen.VordiesemHintergrundkannsichdieKritikaneinermangelndenBearbeitungbestimmterProblemeauchamzu schmalenmandatvorhan-denerInstitutionenfestmachen.Bei immermehrProblemlagenwirdeuropischenundinternationalenInstitutionenmittlerweilenmlichnichtnureinegewachseneBedeutungimpolitischenProzesszugeschrieben;siewirdzunehmendauchalsnotwendigundwn-schenswerterachtet.
349KampfumSouvernitt?
DerDoppelcharakter der Politisierung europischer und internationalerAngelegen-heiten (Widerstand und Instrumentalisierung) spiegelt also ein doppeltesDemokratie-problemwider: Zum einen gewinnen herrschaftsausbende politische Institutionen anBedeutung,derenEntscheidungsverfahrenkaumdenAnsprcheneinerdemokratischenLegitimation entsprechen und angesichts soziokulturellerAusgangsbedingungen auchnur schwer entsprechen knnen.Zum anderen fhrt aber angesichts denationalisierterProblemlagen das Fehlen starker europischer und internationaler Institutionen dazu,dassmehrheitlicherwnschtepolitischeZielegarnichtmehrerreichtwerdenknnen.Zudemermglichenerst internationaleVerhandlungen,dassbeigrenzberschreitendenProblemlagen alle Entscheidungsbetroffenen wenigstens anhand von reprsentantenvertretensind.Eswrealso falsch,dieStrkungeuropischerund internationaler Ins-titutionen einseitig als eineGefhrdung derDemokratie anzusehen. Es geht vielmehrdarum,dasZusammenspielzwischennationaler,europischerundinternationalerEbenealsintegralenBestandteileinermehrebenenordnungzuverstehen,inderdieEbenengarnichtmehrunabhngigvoneinanderfunktionierenknnen.
2.DierolledesrechtsimeuropischenIntegrationsprozesslsstsichleichtindie-senKategorienbeschreiben.Alter(2009)hatdiesinihrenAnalysenbeispielhaftheraus-gearbeitet.DiemagebendenEntscheidungen des EuGHwie etwa Cassis deDijon(rs.120/78, 1979) haben angesichts der Duldung durch die nationalen Gerichte undregierungen v.a. in den 1980er- und 1990er-Jahren eine ungeahnte Integrationsdyna-mikausgelst.Insofernkanndasrechtunddabeiinsbesonderedasrichterrecht,wieScharpfundHpnerbetonenalsderentscheidendemotordeszweitenSchubsdereuro-pischenIntegrationgelten.DurchdieseFormdergerichtlichbetriebenenSupranationa-lisierung sind politischeKontrollmechanismen gleichsamumgangenworden. InsofernproduziertdieserProzessnichtnurimSinnederSpillover-TheseweitererechtlicheInte-gration,sondernzunehmendauchWiderstnde,einenbacklash.undderzeigtsichnichtnurinderpolitischen,sondernauchinderrechtlichenSphreselbst.Daszeichnetesichbereits1974mitSolangeI(BVerfGE37,271)ab,setzteabermitderentsprechendenffentlichenAufmerksamkeitmitdemmaastricht-urteilvon1993(BVerfGE89,155)erstrichtigein.DassdienationalenVerfassungsgerichtesichvermehrtgegendenEuGHaufstellen, lsst sich freilich rechtsdogmatisch nicht hinreichend erklren.Die zuneh-mendeuropakritischeVerfassungsinterpretationistTeileinesumfassenderenpolitischenProzesses.InsofernteileichnichtdieBefrchtungvonHreth,dasssichdasParlamentineuropapolitischenFragenvonFragenderVerfassungsinterpretationleitenlsst.Esisteherumgekehrt.
IndiesemPolitisierungsprozessistdasVerhltnisvonnationalerundgrenzberschrei-tenderPolitikzumGegenstandderffentlichenAuseinandersetzunggeworden.Esgehtdabeimglicherweiseumdie entscheidendekonstitutionelleFragederPolitik des 21.Jahrhunderts, die sich zunehmend in einer akzentuierten politische Konfliktlinie inner-halbfastallerwestlichenGesellschaftenmanifestiert(marksu.Steenbergen2004;Kriesietal.2008).Diesercleavage zwischen Integration und Abgrenzung, also der Konflikt zwischendenen,diedieffnungdernationalenGesellschaft,WirtschaftundPolitikfrglobaleZusammenhngebefrwortenunddenen,diesichfreinenationaleAbschottungetwa inmigrations- undHandelsfragen oder bei Fragen derEuropischen Integrationeinsetzen, scheintauchdieAuseinandersetzungberdasBVerfG-urteil zuprgen.So
350 m.Hpneretal.
zeigendieDebattenundreaktionenaufdasLissabon-urteilganzimSinnederPoliti-sierungsthesezweierlei:zumeinendieBedeutung,diesolcheFrageninderpolitischenffentlichkeiterlangenknnenundzumandereneineStrukturderAuseinandersetzung,die quer zur Links-Rechts-Konfliktlinie der deutschen Politik liegt. Es gibt nicht eine berregionaleZeitung,indersichnichtsowohlkritischealsauchbejahendeKommentarefinden.
VordiesemHintergrundscheintesalsonichtdieEnttuschungberdieBehandlungsozialpolitischerProblemezuseinsoberechtigtdiesenachHpnerauchseinmag,diedieffentlichenreaktionenaufdasurteilbestimmen.WederdasurteilselbstnochdieAuseinandersetzungdarberwirddurchdiesozialeFragegeprgt,wiedasdieAnalysevonFritzScharpf eigentlichnahe legenwrde.Vielmehr scheint eine konstitutionellebzw.demokratischeBegrndungslogikdiemateriellebzw.substanzielleBegrndungslo-gikverdrngtzuhaben,selbstwenndievertretenenPositionenfreilichnachwievoreinesubstanzielleGrundierunghaben.
3.DieEuropischeIntegrationistimLichtederPolitisierungsthesebetrachtetnichtsui generis.SieistallerdingsaufgrunddesbesonderenmaesanSupranationalisierungbesondersweitfortgeschrittenundsetztedementsprechendauchfrherein.DasbringtdienationalenVerfassungsgerichteinsSpiel,wasindiesemAusmabeiderPolitisierunganderer internationaler Institutionen noch nicht der Fall und fr denweiterenVerlaufderAuseinandersetzungenvongroerBedeutungseindrfte.Wasaberzeichnetineinersolchen Politisierungsperspektive eine verantwortliche und zukunftsgerichtete natio-naleVerfassungsgerichtsbarkeit aus?Was sind diePrinzipien, dieVerfassungsgerichtebefolgensollten?undwiestelltsichdasurteildesBundesverfassungsgerichts,dasdenLissabon-Vertragalsverfassungskonformeinstuft, soferndasnationaleParlamentent-sprechendeZustimmungsrechteerwirkt,ausdieserPerspektivedar?
Aus der skizzierten Perspektive folgen drei Prinzipien einer verantwortungsvollenVerfassungsrechtssprechung.11
a. DieAufrechterhaltung der Integritt des rechts ist angesichts der beschriebenenProzessevonzentralernormativerBedeutung.Sieerfordertallerdings,sichausdemGegensatzpaarnational-internationalzulsen.Indemmae,wiedieverschiedenenEbenenderPolitikineinemmehrebenensystemfunktionalzusammenwirken,bedarfeseinerrechtlichenPerspektive,diediekonstitutiveAbhngigkeitderEbenenvon-einanderproduktivaufgreiftundsienichtgegeneinanderausspielt,soalsobsieunab-hngigvoneinanderfunktionstchtigseinknnten.DasdeutscheGrundgesetzbietetmitseinerIntegrationsoffenheitdafreineguteGrundlage.
b. Der enge Zusammenhang zwischen den Grundrechten und dem Demokratieprin-zipmachteserforderlich,beideDemokratieproblemeeinerdenationalisiertenWelt
11 DiesePrinzipienentspringeneinersozialwissenschaftlichenAnalysederVerhltnissevordemnormativen Hintergrund einer liberal-diskursiven Demokratietheorie, ohne dabei deduktiveKraftbeanspruchenzuknnen.Eshandelt sich indiesemSinneeherumImplikationen,dieausderPolitisierungsperspektivefolgen,alsumrechtlichePrinzipien,dieeineVerankerungimGrundgesetzhaben.ImFolgendenhandeltessichalsonichtumeinerechtswissenschaftlicheKritikdesurteils.Vgl.allerdingsdierechtswissenschaftlicheKritikdesurteilsbeivonBog-dandy(2009),dieausandererPerspektivezueinersehrhnlichenEinschtzunggelangt.
351KampfumSouvernitt?
gleichzeitig in denBlick zu nehmen: das deswachsenden demokratischenLegiti-mationsbedarfsherrschaftsausbenderInstitutionenjenseitsdesNationalstaatesunddasdeswachsendenregelungsbedarfsjenseitsdesNationalstaates,damitkollektiveZiele unter (wenigstens indirekter) Beteiligung aller Betroffenen berhaupt nocherreichtwerdenknnen.
c. Kollisionen und Konflikte zwischen den Ebenen sind in einem emergenten Prozess derHerausbildung neuerordnungskonstellationen konstitutionelle, verfassungsbil-dendeFragen.SiehabendamiteinenunhintergehbarenpolitischenKernundknnennichtdurchdasrechtssystemkomplettusurpiertwerden.EineverantwortungsvolleVerfassungsgerichtsbarkeit sollteWege aufzeigen,wie dieffentlichkeit auf dieseProzessederordnungsbildungeinwirkenkann.
ada)DiebeanspruchteSuprematiedereuropischenInstitutionenmchtedasBVerfGunterbinden, indem es sich partiell selbst die Kompetenz-Kompetenz zuweist. Esbeansprucht imNamen dermitgliedstaatlich verankertenVolkssouvernitt neben derultra-vires-Kontrolle nun auch eine Prfung, ob eineGefhrdung der deutschenVer-fassungsidentitt vorliegt. Dadurch wird ein flexibleres, auch unterhalb des ultimativen Einsatzesderultra-vires-KontrollenutzbaresInstrumenteingefhrt.IndieSprachederAbschreckungstheoriebersetztheitdas:DieDrohungdermassive assured destructionwirdimNamenderGlaubhaftigkeitderDrohungdurchdiederflexible responseersetzt.DadurchwerdendieinSolangeII(BVerfGE73,339)entwickeltenPrinzipienderKo-Existenz der beidenrechtsordnungen teilweise revidiert (vgl. auch Sabel u.Gersten-berg2010).DasmagimrahmenderdualenLogiksinnvollsein.ImLichtedeserstennormativenPrinzips ist es aber unzureichend.Dermonismus desEuGH (einheitlicheRechtsordnung) wird durch den Dualismus (zweistufige Rechtsordnung mit autonomer umsetzungskompetenzdermitgliedstaaten)einesnationalenVerfassungsgerichtsgekon-tert. Damit bleibt die Diskussion auf der Stufe der staatsrechtlichen unterscheidungzwischenStaatenbndenundBundesstaatenstehenundfolgtderangestaubtenNullsum-menlogik. Es findet keine erkennbare Auseinandersetzung mit Konzepten statt, die aus demProkrustesbettderNational-international-Dichotomienausbrechenmchten.
DierechtstheoretischePluralismusthesebeispielsweisebieteteinesolcheAlternativejenseitsdertraditionellenDichotomiean(vgl.Krisch2009).Einerechtlichfestgelegte,fixe Letztinstanz ist demnach im Zuge des Herausbildungsprozesses eines komplexen mehrebenensystemsdysfunktional.IneinemsolchenSystemsindEbenen-undSphren-kollisionenvielmehrelementarerBestandteildesSystems,dienichtmittelseinerHier-archisierungseiesinFormdesmonismusdesEuGHoderdesDualismusdesBVerfGaufgehobenwerdenknnen(vgl.auchKumm2009zumkosmopolitischenKonstitu-tionalismus). Zudem erscheint die Logik des KollisionsrechtsAnknpfungspunkte zugeben,wiemitNormkollisionenzwischengleichwertigenrechtssystemenumgegangenwerdenkann(vgl.Joerges2010).
adb)DasurteildesBVerfGvereinseitigtdasDemokratieproblemzugunstenderKon-trolleherrschaftsausbender Institutionen,ohnedieandereSeitedermedaillehand-lungsfhige Institutionen jenseits des Nationalstaates als notwendiges Element derumsetzungdesdemokratischenPrinzipsausreichendindenBlickzunehmen.Estutdies,indemeseineKontrolledereuropischenInstanzendurchbundesrepublikanische
352 m.Hpneretal.
organefordert,diewennsievonallenmitgliedstaateninderselbenWeisezurAnwen-dungkmenEntscheidungenaufdereuropischenEbeneeffektivblockierenwrde.Die vom BVerfG geforderte Zustimmungspflicht des Parlaments wirkt, wenn sie auf alle 27mitgliedstaatenerweitertwrde,alseineveritableIntegrationsbremse.DassdasurteildieEffekteeinerVerallgemeinerungdervonihmeingefordertenPraxisinderEuder27nichteinmalthematisiert,zeigtdieInnengerichtetheitdesurteils.ImparlamentarischenSystemderBundesrepublik,indemdiemitgliederderregierendenParteiennurinabso-lutenAusnahmefllengegendieeigeneregierungstimmen,solltesichderSchadeninderTatinGrenzenhalten.Wennaberanderemitgliedstaatenmitanderenparlamentari-schenTraditionensichdiesesInstrumentesbedienenunddemdeutschenVorbildfol-gen,dannwrdeimErgebnisdiedemokratischeKontrolledereuropischenInstitutionenmaximiertwordensein,dieSelbsteinwirkungsmglichkeitdereuropischenVlkeraberminimiert.
DieVereinseitigung des demokratischen Prinzips zeigt sich auch an der demokra-tietheoretischen Kritik des BVerfG an den europischen organen, insbesondere desEuropischenParlaments.DerimurteilzummastabangelegteIdealtypderWestmins-ter-DemokratiemitabsoluterStimmengleichheitderBrgerinnenundBrgeristfreinmehrebenensystemzueng.InsolchenSystemenmussdasmehrheitsprinzipwieauchimFderalismusmitdemPrinzipdesminderheitenschutzesinEinklanggebrachtwer-den.ImErgebniswirddereuropischenEbeneeinnachgeordneter,nichtdemokratischlegitimierterStatuszugeteilt.NuraufdereuropischenEbenegelangenaberdieverschie-denen nationalen Perspektiven zueinander. Daraus ergibt sich ihre spezifische Legitima-tionskraft,diedurchkeinreinnationalesVerfahrenerlangtwerdenkann.
ImZeitalterdergesellschaftlichenDenationalisierungknnenzuhoheHrdenfrdasZustandekommen europischer (oder internationaler) Regelungen also Demokratiedefi-zitehervorrufen,auchundgeradedannwenndieHrdendemokratietheoretischmotiviertsind.SowerdendievonHpnerundScharpfbeschriebenenAsymmetrienzugunstendermarktliberalisierunginderTendenznurverschrft,wennmandenohnehinschwierigenpolitischenProzesszustzlicherschwert.WeralsowiedasBVerfGdasdemokratischePrinzipexklusivanfreieWahlenohneStimmengewichtungbindet,dernegiertdieExter-nalittenjederPolitik(oderNicht-Politik)inentgrenztenGesellschaftenundschadetdemKerndesPrinzips:dassallediejenigen,dievoneinerEntscheidungbetroffensind,einmitspracherechthabensollten.
adc)EineverantwortungsvolleVerfassungsgerichtsbarkeitsollteauchWegeaufzei-gen,wiedieeuropische(n)ffentlichkeit(en)aufdenProzessderHerausbildungein