Systemische Therapie 21.02.2014 Wer als einziges Werkzeug einen Hammer kennt, neigt dazu, alles für...

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Systemische Therapie 21.02.2014

Wer als einziges Werkzeug einen Hammer kennt, neigt dazu,

alles für einen Nagel zu halten.

(P. Watzlawick)

Gliederung:

Geschichte Theorie Modelle im Überblick Praxis Setting und Anwendungsfelder

◦ Anfänge und Geschichte “der” systemischen Therapie

◦ Die 50er und 60er Jahre◦

◦ Die 70er Jahre

◦ 50er und 60er Jahre

◦ Eine Reihe von Forschungsinstituten, die die Entwicklung (durch Arbeiten zur Schizophrenie) vorangetrieben haben:

Am bekanntesten: MRI (Mental Research Institute), gegr. 1959,

-> Paul Watzlawick, John Weakland, Jay Haley, Gregory Bateson

-> besonders aufsehenerregend: die Double-bind-Theorie

Exkurs: was ist double-bind?

Komponenten:

- Grundbedingung: Bestehen einer engen Beziehung, die für einzelne oder alle Beteiligten hohe Bedeutung hat

- Anspannung und Lernkontext, der Strafe vermeidet- Person ist paradoxer Aufforderung/Aussage ausgesetzt-> Botschaft enthält unvereinbare Signale (verbal, nonverbal)z.B. mit genervter Stimme „natürlich freue ich mich über deinen

Besuch!“

zusätzlich drei Aspekte:

- Verbot über die Situation zu sprechen- Verbot, die Situation zu verlassen- allgegenwärtige Kommunikationsform, die Erwartung dieses

„paradoxen Universums“ erzeugt

-> macht Auftreten schizophrener Kommunikation wahrscheinlich

70er Jahre– Mailänder Modell: Mara Selvini Palazzoli und ihr Team

– Deutschland: v.a. Anlehnung an Psychoanalyse

• familientherapeutisches Modell Horst Eberhard Richters

• Heidelberger Modell, Helm Stierlin -> entwickelte sich unter Anleihen des Mailänder Modells, später auch lösungsorientierter und narrativer Ansätze als explizit systemisches Konzept weiter. (Vertreter: Stierlin, Simon, Schweitzer u.v.a.)

• Weinheimer Modell, v.a. Maria Bosch -> vereinigt Mailänder Ansatz, Selbstorganisationstheorie und Reflektierendes Team

• Jürg Willi et al.: Konzepte für die Paartherapie

Theorie I

„systemisch“? - Vielzahl von Varianten

Kybernetik: Beschreibt die Regelung und Steuerung komplexer Systeme

Kybernetik 1. Ordnung: Entwicklung der „Systemtheorie“ zwischen 1950-1980:Theorien über beobachtete Systeme

Kybernetik 2. Ordnung: ab ca. 1980: Entwicklung von Theorien über Beobachter

-> Prinzipien der Kybernetik werden auf Beobachter selbst angewendet.-> es wird bezweifelt, dass es „da draußen“ objektiv vom Therapeuten erkennbare

Systeme gibt, der Beobachter muss als Teil des Kontextes, den er beobachtet,

mitkonzeptualisiert werden.

Theorie II

Homöostase

Autopoietische Systeme

Theorie III

Vier relevante Theorie-Konzepte systemischer Theorie:

1. Zirkularität Etwas ist zugleich Ursache und Wirkung keine linearen Ursache-Wirkungs-Beschreibungen

2. Kommunikation Austausch von Kommunikation zwischen den

Systemmitgliedern hat besondere Bedeutung -> 5 Axiome der Kommunikation

3. Regeln Muster in der Beobachtung von Interaktionen in der Zeit

deutlich. („immer wenn A weint, geht B zu A und tröstet A“)

4. System-Umwelt-Grenzen “Wer gehört (noch) zum System? Wer nicht?” Wie offen und durchlässig oder wie geschlossen ist es?

Exkurs: 5 Axiome der Kommunikation

1. Axiom: “Man kann nicht nicht kommunizieren"

2. Axiom: "Jede Kommunikation hat einen Inhalts- und einen Beziehungsaspekt, derart, dass letzterer den ersteren bestimmt und daher eine Metakommunikation ist."

3. Axiom: "Die Natur einer Beziehung ist durch die Interpunktion der Kommunikationsabläufe seitens der Partner bedingt"

4. Axiom: "Menschliche Kommunikation bedient sich digitaler (verbaler)

und analoger (non-verbaler, nicht-sprachlicher) Modalitäten”

5. Axiom: "Zwischenmenschliche Kommunikationsabläufe sind entweder

symmetrisch oder komplementär, je nachdem ob die Beziehung zwischen den Partnern auf Gleichheit oder Unterschiedlichkeit beruht"

◦ Aus: Watzlawick,P., J. Beavin & D. Jackson: Menschliche Kommunikation. Formen, Störungen, Paradoxien. 10., unveränd. Aufl. Bern: Huber, 2000. [ursprüngl. ersch. 1967]

– „Die systemische Therapie gibt es nicht“– Vielzahl von z.T. heterogenen Modellen

– Eine mögliche Einteilung der Modelle nach drei Kategorien:• Klassische Orientierung• Kybernetik 2. Ordnung• Narrative Ansätze

Modelle im Überblick

A. Klassische Modelle

z.B. strukturelle Familientherapie (Minuchin) -> Herausfordern der Grenzen

z.B. Mehrgenerationen-Modell -> Konten und Vermächtnisse

z.B. erlebnisorientierte Familientherapie (Satir) -> Familien-Skulptur, Reframing

z.B. strategische Familientherapie (Haley) -> Paradoxie, Hausaufgaben z.B. systemisch-Kybernetische Familientherapie (Selvini Palazzoli) -> Zirkularität, Hypothesen, Neutralität, Paradox

B. Kybernetik 2. Ordnung

z.B. systemisch-konstruktivistische Therapie (Boscolo)-> Zirkuläre Fragen z.B. Das Reflektierende Team (Andersen) -> Reflecting Team

C. Narrative Ansätze

z.B. Therapie als Dekonstruktion (White) -> Suche nach Ausnahmen z.B. Lösungsorientierte Kurz-Therapie (de Shazer) -> Wunderfrage, solution

talk

Modelle im Überblick

Familientherapeutische Ansätze: klassische Modelle

– Minuchin 1977– Konzept der Grenzen und Strukturen

• Offene oder diffuse Grenzen in der Familie– Besonderes Verdienst: er entwickelte auch für

Randschichtfamilien therapeutische Konzepte

Strukturelle Familientherapie

– Mehrgenerationen-Model

– Boszormenyi-Nagy und Spark 1981, Stierlin 1978• Delegation• Konten und Vermächtnisse• „Wie ergibt Verhalten, Erleben und auch Symptome

Sinn, wenn man Vermächtnisse aus früheren Generationen berücksichtigt?“

– Erlebnisorientiertes Familientherapie-Modell

– Virginia Satir– Selbstwert und Kommunikation

• Selbstwert einer Person ist für eine stimmige Kommunikation notwendig

• Vertrauensvolle therapeutische Beziehung gerät in den Blick

• Bekannteste Methode: Familienskulptur• Bewußtsein über Körperhaltungen

◦ Strategische Familientherapie

– Jay Haley 1977– Familie als kybernetischer Regelkreis– Kreative, „verrückte“ Aufgaben, um zu

Lösungen zu kommen– Vor allem die Frage: "Was wirkt?"– Besondere Methoden z.B.: Paradoxie,

Hausaufgaben

◦ Strategische Familientherapie

-Mailänder Arbeitsgruppe: Selvini Palazzoli, Boscolo, Cecchin, Prata 1975 (dt. 1977)

– Besondere Bedeutung für die Entstehung und Entwicklung der systemischen Therapie

– Entwickelten Therapiemodell von Familien mit schizophrenen Mitgliedern

– Ursprünglicher Rahmen: • Familie als regelgeleitetes System -> „die Macht liegt

in den Spielregeln“, gemeinsames Spiel der Mitglieder. Diese gilt es zu verstören

• Das Mailänder „setting“: Einwegscheibe, klassische Sitzung

Familientherapeutische Ansätze: klassische Modelle

◦ Das Mailänder Modell: Das Setting

Klassische Modelle: das Mailänder Modell

Eine klassische Sitzung

– Das Mailänder Modell

– Therapeut bleibt in der Therapeutenposition (sich aus dem Spiel heraushalten)

– System besteht aus Informationen und Kommunikation

– Ziel der Therapie nicht auf eine einzelne Person gerichtet

– Ziel ist die Verstörung des Systems, um es (die Regeln) zu verändern, wie es sich bisher organisiert.

– „der Pat. scheint traurig“ statt „der Pat. ist traurig“

– Wichtige (vielfach noch heute gültige) Prinzipien etabliert: Prinzipien des Hypothetisierens, der Zirkularität und der Neutralität

– Bedeutsamste Methode für spätere systemische Therapie: das zirkuläre Fragen

Kybernetik 2. Ordnung: Das Reflektierende Team

– Andersen 1990– Gegen das Machtungleichgewicht des Mailänder Settings

-> Diskussion des Teams hinter dem Einwegspiegel– Familien durften der Diskussion zuhören -> hatte

positive Effekte auf Motivation der Familienmitglieder; erübrigte die Schlussinterventionen oder paradoxen Kommentare

– Therapie als Kooperation statt Intervention

• Bekannteste Methode: Reflecting Team (RT)

Lösungsorientierte Kurztherapie

– Steve de Shazer, Insoo Kim Berg 1989– Ab Mitte der 1970er Jahre am Brief Family Therapy

Center, Milwaukee, USA – Auf Lösung statt auf Problem konzentriert

• „Problem talk creates problems, solution talk creates solutions!“

– Kernaussage: zwischen Problem und Lösung besteht kein Zusammenhang

– Eine Intervention braucht nur zu „passen“– Jeder Mensch verfügt über Ressourcen, zur Lösung zu

kommen.– Besondere Methoden: Solution Talk, „Wunderfrage“,

Ausnahmen, Hausaufgaben

Narrative Ansätze

Narrative Ansätze: Therapie als Dekonstruktion

– Narrative Ansätze: Therapie als Dekonstruktion

– White 1989– Systeme bestehen aus Geschichten, der

Mensch ist ein Erzähler– „Welchen Geschichten erlaubst du dein Leben

zu regieren?“

– Besondere Methode: Externalisierung, Suche nach Ausnahmen

Praxis systemischer Therapie und Beratung - Überblick

1. Haltungen, Grundannahmen, Zielsetzungen (Bsp: Möglichkeitsraum vergrößern, Lösungs- und Ressourcenorientierung)

2. Erste Zugänge: Hypothesen 3. Systemisches Fragen (Bsp: zirkuläres Fragen) 4. Familienskulptur und andere metaphorische

Techniken 5. Kommentare (Bsp: Reframing) 6. Schlußinterventionen 7. Arbeit mit dem Reflektierenden Team 8. Der äußere Rahmen: Kontrakte, Ziele, Verläufe

Praxis I

Haltungen, Grundannahmen, Zielsetzungen systemischer Therapie

Möglichkeitsraum vergrößern- alles was die Zahl der Möglichkeiten einschränkt steht

systemischem Arbeiten entgegen (Dogmen, Tabus, Bewertungen)

- das kaum Gedachte zum Thema machen

Ressourcenorientierung – Lösungsorientierung- Annahme, dass jedes System bereits über alle Ressourcen

verfügt, die es zur Lösung seiner Probleme benötigt – es nutzt sie nur derzeit nicht.

- Gegensatz zum Defizit-Konzept

Praxis II

Systemisches Fragen

Bsp: zirkuläres Fragen

Systemisches Fragen

Bsp: zirkuläres Fragen

Praxis III

Familienskulptur

Nutzen: Verhaltensmöglichkeiten sind in konkreter Situation veränderbar, Wahrnehmungsschulung, vorwegnehmbare Veränderungen, die später af Wirksamkeit getestet werden können

Wirkung: selbst-Agieren der Beteiligten befähigt zu Spüren und Erleben, Empathie-Fähigkeit wird gefördert, Körpergefühle der Einzelnen sind wahrnehmbar und abfragbar.

Rolle des Therapeuten: Hebammenfunktion

Praxis IV

Kommentare:

Reframing

Praxis IV

“Reframing” = Umdeutung

- einem Geschehen wird ein anderer Sinn gegeben durch Veränderung des Rahmens

- dem Rahmen, den das Klientensystem entwickelt hat, einen anderen (systemischen) Rahmen gegenüberstellen

-> “welcher Kontext wäre denkbar, unter dem das Problem sinnvoll wäre, ja vielleicht sogar die beste Lösung darstellen würde?“

- baut darauf auf, dass jedes Verhalten Sinn macht, wenn man den Kontext kennt.

- geht davon aus, dass ein scheinbarer Nachteil in einem Teil des Systems woanders als Vorteil erscheinen kann.

-> Geschichte: „Vielleicht...“

- therapeutisches Reframing muß einen prägnanten Unterschied zu der bisherigen Wirklichkeitssicht herstellen -> durch Zweifel & Verstörung

Praxis V

“Wunderfrage“

„Wenn das Problem durch ein Wunder über Nacht weg wäre: Woran könnte man erkennen, daß es passiert ist?“

Praxis VI

Schlussinterventionen

z.B.

Alles was klappt: davon mehr was bisher nicht geklappt hat: etwas Neues probieren nichts reparieren was nicht kaputt ist

Settings

Teilnehmerkreis: „es kommt, wer kommt!“

Dauer: a) Standard = 10 Sitzungen (Heidelberger und Mailänder Modell)

Abstand: mind. 4 Wochen, später länger b) Single-Session-Therapy

c) Modifikationen des Standards heute: in Kllinik, bei Gewalttätern,

stationäre Familientherapie, etc.

Anwendung: Psychiatrie Kinder- und Jugendpsychiatrie Psychosomatik Pädiatrie Paar-, Familien-, Kinder- und Jugendberatung stationäre und ambulante Jugendhilfe Suchttherapie

Kein Richtlinienverfahren in Deutschland, allerdings in Österreich.

Settings

Teilnehmerkreis: „es kommt, wer kommt!“

Dauer: a) Standard = 10 Sitzungen (Heidelberger und Mailänder Modell)

Abstand: mind. 4 Wochen, später länger b) Single-Session-Therapy

c) Modifikationen des Standards heute: in Kllinik, bei Gewalttätern,

stationäre Familientherapie, etc.

Anwendung: Psychiatrie Kinder- und Jugendpsychiatrie Psychosomatik Pädiatrie Paar-, Familien-, Kinder- und Jugendberatung stationäre und ambulante Jugendhilfe Suchttherapie

Kein Richtlinienverfahren in Deutschland, allerdings in Österreich.

Settings und Anwendungsfelder

Kriz, J. (2001). Grundkonzepte der Psychotherapie (5. Aufl.). S. 225-299.

Schlippe, v., A. & J. Schweitzer (2003). Lehrbuch der systemischen Therapie und Beratung (9. Aufl.).

Watzlawick, P., J. Beavin & D. Jackson (2000). Menschliche Kommunikation. Formen, Störungen, Paradoxien. (10. unveränd. Auflage)

Literatur