Post on 07-Feb-2018
2012
Jahresschrift des DNWE, 20. Jahrgang, 2012
THEMA
Preis für Unternehmensethik 2012:
Tchibo GmbH
DISKURS
n Vertrauen und CSR
n Globale Standards und „Global Commons“
n Ehrbarer Kaufmann und Unternehmensverantwortung
FORUM Wirtschaftsethik 20. Jg., 20122
FORUM Wirtschaftsethik (begründet 1993) wird her-
ausgegeben vom Deutschen Netzwerk Wirtschaftsethik
- EBEN Deutschland e.V. und erscheint seit 2012 jährlich
als Printausgabe neben der gleichnamigen Online-Zeit-
schrift. Der Preis für den Bezug der Printausgabe beträgt
D 12,- Euro, CH 15,- CHF (zzgl. Versand). Für Mitglieder
des DNWE ist der Bezug der Zeitschrift kostenlos.
Namentlich gekennzeichnete Artikel geben die Meinung
des Verfassers wieder, nicht aber die Auffassung der Re-
daktion der Zeitschrift FORUM Wirtschaftsethik oder
des DNWE. Alle in dieser Zeitschrift veröffentlichten Ar-
tikel sind urheberrechtlich geschützt.
Die Zeitschrift darf nicht – auch nicht in Teilen – ohne
schriftliche Genehmigung des Herausgebers in irgendei-
ner Form, sei es in Druckform, als Film oder digital repro-
duziert, verwendet oder gespeichert werden.
Das DNWE haftet nicht für Manuskripte die unverlangt
zugesandt wurden und sollen wenn möglich digital im
Word-Format per Email-Attachement eingereicht werden.
Buchrezensionen und Artikel sind der Redaktion von Fo-
rum Wirtschaftsethik stets willkommen, unterliegen für
eine Veröffentlichung jedoch dem Vorbehalt der Zustim-
mung durch die Redaktion.
IMpRessUM
FORUM Wirtschaftsethik
(ISSN 0947-756X) und FORUM Wirtschaftsethik Online-
zeitschrift (ISSN 2194-9247) werden herausgegeben vom
Deutschen Netzwerk Wirtschaftsethik - EBEN Deutsch-
land e.V.
Kontakt
Deutsches Netzwerk Wirtschaftsethik (DNWE) - EBEN
Deutschland e.V.
Bayreuther Str. 35, 10789 Berlin
Tel.: +49 (0) 30 - 23 627 675
Email: info@dnwe.de
Internet: http://www.dnwe.de
Redaktion
Prof. Dr. Joachim Fetzer (V.i.S.d.P)
Dr. Ina Verstl
Redaktionsassistenz
Katharina Wiegmann
Gestaltung
Sandra Hiltscher
Cornelia Neumann, Com@Mediadesign, www.com-et.de
Bildnachweise
#21482352 © Pavel - Fotolia.com#35066082 © Sergey Yarochkin - Fotolia.com#2770877 © Andre Hintz - Fotolia.com#37949515 © by-studio - Fotolia.com#50383072 © alexandre zveiger - Fotolia.com#40421038 © koya979 - Fotolia.com#44473974 © ag visuell - Fotolia.com#48163440 © alphaspirit - Fotolia.com#34869815 © ArTo - Fotolia.com#49959698 © alphaspirit - Fotolia.com#49461680 © Ben Chams - Fotolia.com#40980982 © frank peters - Fotolia.com#42849293 © djama - Fotolia.com#48541832 © Tiberius Gracchus - Fotolia.com#27466025 © FotolEdhar - Fotolia.com#50054123 - modern© THesIMPLIFY- Fotolia.comBilder Seite 6, 13, 23, 25 und 43 Tchibo GmbH
FORUM Wirtschaftsethik 20. Jg., 2012 3
2012 INHALT
FORUM Wirtschaftsethik 20. Jg., 2012
eDITORIAL
DeR pReIs FÜR UNTeRNeHMeNseTHIK 2012
Der Preis für Unternehmensethik: Konzeption und Tradition Albert Löhr
Unternehmerische Verantwortung in der Weltwirtschaft – nicht nur ökonomisch! – Laudatio auf den Preisträger Horst Steinmann
Auch ein Ansporn – Rede des Vorstandsvorsitzenden der Tchibo GmbH Markus Conrad
Nachhaltigkeit bei Tchibo - Zukunftssicherung des UnternehmensAchim Lohrie
DIsKURs
Vertrauen und CSR in wirtschaftsethischer PerspektiveAndreas Suchanek / Joachim Fetzer
Vom ehrbaren Kaufmann zur UnternehmensverantwortungThomas Beschorner / Thomas Hajduk
Globale Standards und „Global Commons“ Josef Wieland
4
6
14
23
30
44
53
62
Inhalt
FORUM Wirtschaftsethik 20. Jg., 20124 FORUM Wirtschaftsethik 20. Jg., 2012
Hamburg, 9. November 2012, das Audimax der Tchibo GmbH: Versammelt haben sich Vorstandsmitglieder,
Führungskräfte und zahlreiche MitarbeiterInnen des Unternehmens, Mitglieder und Amtsträger des Deutschen
Netzwerks Wirtschaftsethik, Medienvertreter und Interessierte aus Organisationen der Zivilgesellschaft.
Der Anlass: Die Auszeichnung der Tchibo GmbH mit dem Preis für Unternehmensethik 2012.
Alle zwei Jahre verleiht das Deutsche Netzwerk Wirtschaftsethik diesen Preis. In diesem Jahr an ein
Unternehmen, dessen Bekanntheitsgrad kaum wirklich gesteigert werden kann – jedenfalls nicht durch
eine Auszeichnung durch eine Organisation mit knapp 600 Mitgliedern. Immerhin: Auch der Bild-Zeitung –
normalerweise nicht bekannt für positive Berichterstattung über solch skandalfreie Vorgänge – war dies eine
Nachricht wert.
Warum und aus welchen Gründen es zu dieser Auszeichnung kam, ist Thema dieser Ausgabe des Forums
Wirtschaftsethik, welches seit dem Jahr 2012 in zweifacher Weise erscheint: in kürzeren Abständen als Online-
Zeitschrift und nun jährlich als gedrucktes Heft. Die in Hamburg gehaltenen Reden von Albert Löhr, Horst
Steinmann und Markus Conrad sowie der Fachbeitrag von Achim Lohrie zeigen ein umfassendes Bild des
Unternehmens und die Gründe der Preisjury für diese Auszeichnung.
Liebe Leserinnen und Leser,
FORUM Wirtschaftsethik 20. Jg., 2012 5
2012 EDITORIAL
FORUM Wirtschaftsethik 20. Jg., 2012
Ein Aspekt wird dabei in allen Beiträgen immer wieder deutlich und zog sich durch die Veranstaltung:
Im Zentrum des Interesses steht ein Prozess und nicht ein Zustand, ein ständiges Bemühen und Ringen und
nicht ein einmal erreichter Status. Der Preis für Unternehmensethik 2012 an die Tchibo GmbH weist über
sich hinaus.
Die Beiträge im zweiten Teil des Heftes sind Namensbeiträge der Online-Ausgabe 2012 und sind Einblicke in
den wirtschaftsethischen Diskurs. Vielleicht ist es ein gutes Zeichen für diesen Diskurs, dass bei genauerem
Hinsehen die Bezüge zwischen den Themen der Preisverleihung und diesen Beiträgen relativ groß ist.
Kann Corporate Social Responsibility verloren gegangenes Vertrauen wieder herstellen? Diese Frage im Beitrag
von Suchanek/Fetzer mag man sich auch in der von Horst Steinmann geschilderten Situation 2006 bei Tchibo
gefragt haben. Die Autoren geben eine zurückhaltende Antwort: Es kommt sehr darauf an, was unter CSR
verstanden wird. Sie nennen eine Reihe von Bedingungen, wann dies möglich ist und die sich in den Beiträgen
zu Tchibo wieder finden lassen. Auch die besonderen Herausforderungen der glaubwürdiger Kommunikation
und die stets offene Frage, ob Vertrauenswürdigkeit eines Unternehmens von Kunden und Gesellschaft auch
mit Vertrauen honoriert wird, sind mühelos übertragbar.
Kritisch mit dem Leitbild des ehrbaren Kaufmanns setzen sich Beschorner/Hajduk in Ihrem Beitrag auseinander
und kritisieren die „autistische“ Konzeption dieser Figur. Für ein Unternehmen mit Firmensitz in Hamburg
ist es naheliegend, sich in die Tradition des ehrbaren Kaufmanns zu stellen. Vielleicht eignet sich Tchibo als
Fallstudie, wie diese Tradition eben nicht Folklore und Ideologisierung (so Beschorner) bleiben muss, sondern
in ein modernes Konzept von Unternehmensverantwortung überführt werden kann, welches allen Kriterien
der beiden Autoren in ausgezeichneter und daher auszeichnungswürdiger Weise entspricht.
Abschließend analysiert Wieland in seinem Beitrag eine Herausforderung, vor der international tätige
Unternehmen wie Tchibo regelmäßig stehen: Das noch bestehende Defizit an global akzeptierten Standards
für gutes Verhalten in der Wirtschaft. Die Mitwirkung an der Entstehung solcher Standards ist im Rahmen
dieses Theorieansatzes als Investion in die Erstellung eines globalen öffentlichen Gutes interpretiert. Während
Wieland diese Fragestellung im Blick auf die übergreifenden globalen Standards (der UN, der OECD, der ILO und
ISO) untersucht, sind die Allianzen von Tchibo, wie sie vor allem im Beitrag von Lohrie dargestellt werden,
nichts anderes als Beiträge zur Standardentwicklung auf Branchenebene – und in der Vorgehensweise eng
verbunden mit den Werten und Prinzipien, welche Wieland als erste Umrisse eines globalen Ethos identifiziert.
Die Geschichte, Erfolge und Herausforderungen des Unternehmens Tchibo können geradezu als Veranschaulichung
der theoretisch fundierten Überlegungen gelesen werden. Die hier angedeuteten Bezüge von theoretischem
Diskurs und unternehmerischen Herausforderungen sind sicher nicht abschließend.
Der Dank der Redaktion und des herausgebenden DNWE-Vorstandes gilt allen Autoren und Mitwirkenden an
dieser Ausgabe des Forums Wirtschaftsethik, der Stiftung Apfelbaum, Köln und Dr. Hans-Martin Schmidt für
die Initiierung des Preises und das Preisgeld, der Stiftung s.h.a.r.e., Balingen für die Finanzierung dieser
Ausgabe, aber vor allem Ihnen, liebe Leserinnen und Leser für Ihr Interesse.
Joachim Fetzer
FORUM Wirtschaftsethik 20. Jg., 20126
Der preis für Unternehmensethik:Konzeption und Tradition
Rede von Prof. Dr. Albert Löhr, TU Dresden –
Internationales Hochschulinstitut Zittau
FORUM Wirtschaftsethik 20. Jg., 2012 7
2012
Sehr geehrter Herr Dr. Conrad,
Sehr geehrter Herr Lohrie,
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
im Namen der Preisjury darf ich Sie sehr herz-
lich begrüßen und mit einigen allgemeinen Worten
in die Idee des DNWE-Preises und seine Geschich-
te einführen, bevor Professor Steinmann dann die
spezielle Laudatio auf den diesjährigen Preisträger
halten wird.
Eigentlich war für diese grundsätzlichen Worte
unser Vorsitzender der Preisjury, Karl-Hermann
Blickle, im Programm vorgesehen. Da er aber kurz-
fristig erkrankt ist, bat er mich darum, die aller-
besten Grüße zu übermitteln und seine Rolle einzu-
nehmen – was ich als langjähriges Mitglied der Jury
natürlich auch sehr gerne getan habe.
Mit mir spricht nun allerdings – zwischen den
beiden Kollegen Wieland und Steinmann – wieder
so ein Professor zu Ihnen, so dass man meinen
könnte, dieser Preis wäre eine ziemlich akademi-
sche Angelegenheit, und damit wohl im Auge von
so manchem Beobachter etwas eher „Weltfremdes“.
Ich möchte zeigen, dass genau dieses nicht der
Fall ist, denn in Fragen der Ethik geht es immer um
die Praxis selbst, und das spiegelt sich auch in der
Entstehungsgeschichte dieser Preisverleihung wider.
1. Die Idee eines Preises für Unternehmensethik
geht zurück auf die überaus dankenswerte Initi-
ative unseres Mitgliedes Dr. Hans-Martin Schmidt
und der von ihm ins Leben gerufenen Stiftung Ap-
felbaum mit Sitz in Köln. Dr. Schmidt kam noch im
alten Jahrtausend auf den Vorstand zu und meinte,
man müsse die Philosophie und die Ziele des DNWE
sichtbarer darstellen, und dafür wäre nichts geeig-
neter als ein Preis – ein Preis, der nicht nur symbo-
lisch ist, sondern auch einen Preis darstellt und als
solcher wahrgenommen wird. In der ihm eigenen
Art wollte er die inhaltlichen Details dann aber uns
als vermeintlichen Experten überlassen. Das war
die Initialzündung, und es mussten Überlegungen
angestellt werden, wie und was man eigentlich
auszeichnen kann, oder auch mit wem als Partner.
Vieles wurde angedacht, ausprobiert und wieder ver-
worfen, am Ende bleib das DNWE sein eigener Herr in
dieser Sache, und ich denke, das war auch gut so.
Schnell hat es sich dabei jedenfalls auch heraus-
gestellt, dass man den Preis wohl am wirksamsten
und sichtbarsten vergibt (zum Beispiel auch für die
Mitarbeiter und die lokale Presse), wenn man ihn
am Sitz des ausgezeichneten Unternehmens über-
gibt – das von uns so genannte „Unternehmenssitz-
modell“ Das hat übrigens ganz nebenbei auch noch
den unschätzbaren Vorteil, dass man einen kosten-
losen Veranstaltungsort und manchmal auch ein
kleines Catering bekommt. In diesem Sinne möchte
sich die Jury ganz herzlich für die Ausrichtung der
kleinen Feierstunde beteiligen – mit der wichtigen
Bemerkung, dass dies natürlich keine „Bedingung“
für die Auszeichnung gewesen ist.
2. Die Jury – das bringt mich zu der sicher sehr
menschlichen und nahe liegenden Frage, wer die
Mitglieder dieser Preisjury eigentlich sind. Sie neh-
men nicht für sich in Anspruch, besondere „Mo-
ralpäpste“ zu sein, die ethisch über den Dingen
stehen und von daher verbindliche Richtersprüche
über Gut und Böse treffen zu können. Was sie für
sich in Anspruch nehmen ist aber, sich mit der Ent-
THEMA
FORUM Wirtschaftsethik 20. Jg., 20128
Horst Steinmann
wicklung von Problemfeldern und Instrumenten
zur Wahrnehmung unternehmerischer Verantwor-
tung seit vielen Jahren intensiv zu befassen und
aus dieser Teilnehmerperspektive an der wirtschaf-
tethischen Diskussion heraus relativ gut beurteilen
zu können, wo es sich um stilbildende Vorreiter und
besonders interessante Entwicklungen handelt.
Diese Anstrengungen, häufig genug gegen die ver-
meintliche Logik des Marktes und des Mainstreams
gerichtet, wollen wir als Vorbilder hervorheben und
auszeichnen, damit ihnen der Rücken gestärkt wird
für den weiteren Weg.
Wir, die Preisjury das sind:
Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Horst Steinmann,
Nürnberg
Karl-Hermann Blickle, Balingen
Prof. Dr. Dr. h.c. Ursula Hansen, Hannover
Prof. Dr. Dr. h.c. Klaus Leisinger, Basel
Prof. Dr. Michael Aßländer, Zittau
Prof. Dr. Albert Löhr, Zittau
Martin Priebe, Stuttgart
Ein bisschen viele Professoren, so scheint es auf
den ersten Blick. Aber auch die können mit bei-
den Beinen im Leben stehen, und unser Vorsitzen-
der Karl-Hermann Blickle ist Unternehmer aus dem
schwäbischen Balingen und derart als Praktiker seit
vielen Jahren in verschiedenster Weise in entwick-
lungspolitischen Kontexten engagiert. Ich hebe
dies zum einen hervor, weil es für die Jury des DNWE-
Preises immer schon charakteristisch war, dass die
sogenannte Praxis mit der sogenannten Theorie eng
zusammengewirkt hat. Zum anderen möchte ich
seinen Namen hervorheben, weil es just aus seiner
eigenen entwicklungspolitischen Erfahrung heraus
irgendwann in den letzten beiden Jahren sein Vor-
DeR pReIs FÜR UNTeRNeHMeNseTHIK – KONzepTION UND TRADITION
Karl-Hermann Blickle
Ursula Hansen
Michael Aßländer
Martin Priebe
Klaus Leisinger
Albert Löhr
FORUM Wirtschaftsethik 20. Jg., 2012 9
2012
schlag gewesen ist, Tchibo für eine Preisverleihung
besonders in Betracht zu ziehen. Parallel dazu gab
es natürlich auch eine Reihe von weiteren Vorschlä-
gen, die in einigen Fällen auch von Mitgliedern an
die Jury heran getragen worden sind.
3. Die für Tchibo sicher vielleicht nahe liegen-
de Frage „Warum wir?“ ist wohl schon vom Prozess
und vom ganzen Ansatz her eine genauere Klärung
wert. Wie wird man „Kandidat“? Was die Vorschläge
für Preisträger angeht, so zeichnet sich unser Preis
dadurch aus, dass man sich nicht um ihn „bewer-
ben“ kann. Es gibt keine offizielle Ausschreibung
und auch damit keinen Wettbewerb, in dem sich
Tchibo am Ende als Sieger durchgesetzt hätte. Wir
haben auf ein solches Format, das wahrscheinlich
sogar eine höhere Sichtbarkeit und öffentliche
Wahrnehmung bedeuten würde, aus verschiedenen
Gründen sehr bewusst verzichtet.
Zum ersten müssen die – im Idealfall vielen – Ein-
reichungen, die es auf eine breite Ausschreibung
gibt, allesamt sorgfältig begutachtet und bewertet
werden. Das ist alles andere als einfach, wie man
aus entsprechenden Erfahrungen weiß, zumal für
eine ehrenamtlich betriebene Organisation wie das
DNWE mit seinen beschränkten Ressourcen. Gera-
de in dieser limitierenden Ehrenamtlichkeit liegt
zwar eine große Stärke des Preises, nämlich seine
Unabhängigkeit: die Preisverleihung folgt keinen
finanziellen oder politischen Interessen, sondern
nur der Sache selbst. Sie setzt aber auch Grenzen,
was die Vermarktung und Sichtbarkeit angeht. Zum
zweiten möchten wir auf „Rankings“ von Bewer-
bern verzichten, weil es in Fragen der ethischen
Verantwortung viele Aspekte gibt, die sich nicht
in Punkteschemas und objektive Leistungsverglei-
che bringen lassen. Drittens ist es zwar angenehm,
wenn man die Vorzüge des Preisträgers würdigen
kann, aber die Schwierigkeit einer Bewerberlösung
liegt nicht darin, den einen Preisträger zu würdi-
gen, sondern vor allem darin, den vielen „Geschla-
genen“ genau und verständlich zu erläutern, war-
um sie den Preis nicht erhalten haben – wo es doch
nur wenige objektiv nachvollziehbare und für alle
vergleichbare Kriterien gibt. Viertens schließlich
halten wir es per se für problematisch, im Feld der
Ethik und Verantwortung zwischen „Siegern“ und
“Verlierern“ zu unterscheiden. Denn es geht doch
darum, dass möglichst viele Akteure dazu motiviert
werden, sich der ethischen Verantwortung zu stel-
len und konstruktiv mitzumachen.
4. Es geht also um Vorbilder statt um Sieger.
Die Arbeit der Preisjury besteht daher in einer Art
„aufgeklärter Beobachtung“ des stetig wachsenden
und bunter werdenden Feldes unternehmensethi-
scher Aktivitäten, um Vorbild gebende Initiativen
zu erkennen und sie herauszustellen.
nWas ist innovativ?
nWo wird eine neue Herausforderung
angenommen?
nWas ist ernsthaft, weil nachhaltig im
Kerngeschäft verankert?
nWo ist man auf einem Weg, der Ermutigung
und Rückendeckung verdient?
Das sind die Suchkriterien: Innovation, Nachhal-
tigkeit, Prozesshaftigkeit, und vor allem die Veran-
kerung im Kerngeschäft – mit denen man sich an
THEMA
FORUM Wirtschaftsethik 20. Jg., 201210
mensweite Anstrengungen im Kerngeschäft nötig,
die sich in ihrer Grundsätzlichkeit in den unüber-
schaubar vielen Einzelhandlungen widerspiegeln
müssen. Es geht daher nicht um einen spekta-
kulären „Feuerwehreinsatz“ zur Behebung eines
aktuellen Missstandes, nach dem man umstands-
los wieder zum Tagesgeschäft übergehen könn-
te. Das verkennen viele Unternehmen und auch
manche Kritiker, die meist nach medienwirksamen
Aktionen suchen – die einen nach Heldentaten,
die anderen nach Skandalen. Das sind aber immer
nur Momentaufnahmen. Bei der Unternehmen-
sethik geht es um mehr, es geht um eine grund-
legende Ausrichtung der Geschäftsprozesse und
aller dazu notwendigen Operationen nach den Kri-
terien sozialer und ökologischer Verantwortung –
und ökonomisch erfolgreich sollen sie dabei auch
noch sein.
nSchließlich geht es uns nicht um die Aus-
zeichnung von „Helden“. Gut, auch solche Leistun-
gen kommen gelegentlich vor und müssen heraus-
gestellt werden, zum Beispiel im Zusammenhang
mit der Aufdeckung von Missständen durch mu-
tige Hinweisgeber. Eine Unternehmensethik zielt
jedoch auf Veränderungen im Gesamtsystem Un-
ternehmung ab. Daher ist der Preis vom Ansatz
her auch eine Auszeichnung für alle Beteiligten
an diesem Prozess, die nur stellvertretend von ei-
nem exponierten Träger des Prozesses entgegen
genommen wird. Wir haben uns daher auch sehr
darüber gefreut, dass bei der heutigen Preisverlei-
hung viele Mitarbeiter aus dem Hause Tchibo an-
wesend sind. Ohne das überzeugte Mitwirken aller
gibt es keine nachhaltige Veränderung.
DeR pReIs FÜR UNTeRNeHMeNseTHIK – KONzepTION UND TRADITION
die Beobachtung der Praxis heran macht und inner-
halb der Jury wegweisende Vorschläge generiert,
die dann intensiver untersucht, diskutiert und
evaluiert werden.
Sieht man sich diese Beurteilungskriterien genauer
an, so muss man auf folgende Implikationen hin-
weisen, die gerne übersehen werden:
nEs geht nicht um die Auszeichnung von Per-
fektion. Etwas „Fertiges“ kann es in der Unterneh-
mensethik nicht geben, auch wenn viele Kritiker
meinen, eine Unternehmung dürfe so einen Preis
erst bekommen, wenn sie vollkommen rein und un-
angreifbar ist – also eigentlich gar nicht. Eine der-
art radikale Vorstellung von einem „total compli-
ance“ ist jedoch völlig unrealistisch und utopisch.
Die Praxis der Unternehmensethik stellt immer
einen Prozess dar, einen oftmals lang andauern-
den Lernprozess der schrittweisen und mühseligen
Verbesserungen, in dem es neben Fortschritten im-
mer auch Rückschläge und Enttäuschungen geben
kann. Es ist wichtig, dass man in solchen Situati-
onen des Zweifels und der Widerstände beharrlich
seinen Weg weiter beschreitet, weil und wenn man
eingesehen hat, dass er der richtige ist. In die-
sem Sinne soll der Preis den Prozess unterstützen
und ihm eine Rückendeckung geben, zu weiteren
Schritten motivieren. Wir stehen für unsere ehema-
ligen Preisträger daher auch immer zur Verfügung,
wenn es um weitere Maßnahmen geht.
nEs geht nicht um die Auszeichnung einer ein-
zelnen großartigen Tat. Zur Implementierung einer
Unternehmensethik sind nachhaltig unterneh-
FORUM Wirtschaftsethik 20. Jg., 2012 11
2012
Halten wir also als Zwischenergebnis unbedingt
fest, dass der Preis keine Auszeichnung für etwas
„Erreichtes“ ist, für ein Ziel, das man als geschafft
abhaken kann und für das man bewundert wird.
Schon gar nicht für ein „Lebenswerk“. Der Preis
ist vielmehr eine Anerkennung dafür, dass sich
Tchibo vorbildlich auf einen Weg gemacht hat, der
aus Sicht der Jury Unterstützung und Nachahmer
verdient. Der in Gang gebrachte Prozess eines wirt-
schaftsethischen Pioniers soll sichtbar gewürdigt
und dazu angespornt werden, dass er nachhaltig
weiter beschritten und entwickelt wird. Es muss
klar sein, dass mit dem Vorhandenen noch keine
vollständige Lösung geschaffen ist, sondern dass
es um immer weitere Verbesserungen geht. Dies
ist schon deshalb so, weil die Probleme der Welt
niemals still stehen und sich ständig weiter entwi-
ckeln.
5. Dass wir dabei mit unseren Einschätzungen
über die „Nuller Jahre“ hinweg nicht ganz falsch
gelegen haben, zeigt ein Blick auf die Liste der
bisherigen Preisträger. Sie befinden sich allesamt
noch – positiv – im Gespräch als Pioniere der Wirt-
schaftsethik und entwickeln ihre Aktivitäten stetig
weiter. Der kleine Blick auf die Geschichte, doku-
mentiert in den in den jeweiligen Ausgaben des FO-
RUMS Wirtschaftsethik, ist auch deswegen interes-
sant, weil er nicht nur die rasante Beschleunigung
der unternehmensethischen Aktivitäten belegt,
sondern auch ihre steigenden strategische Bedeu-
tung für die Unternehmungen:
nIm Jahr 2000 erhielt der Otto Versand den Preis
für seine Bemühungen um die Einführung eines
transparenten Standards SA8000, damals noch in
Frankfurt/M. aus den Händen von Entwicklungshil-
feministerin Wieczorek-Zeul. Es ist doch höchst in-
teressant zu sehen, dass Standards in den wenigen
Jahren seit dem bereits ein gängiges Instrument für
viele Firmen geworden sind. Der Otto Versand ist
immer noch treibende Kraft in wesentlichen Initi-
ativen, zum Beispiel im Bemühen, branchenweite
und damit wettbewerbsneutrale Standards einzu-
führen.
nIm Jahr 2002 haben wir die PUMA AG für ihr
maßgeschneidertes Konzept S.A.F.E. ausgezeichnet.
Zusammen mit PUMA haben wir darauf aufbauend
seit nunmehr zehn Jahren den Stakeholder-Dialog
„Banzer Gespräche“ durchgeführt, über die der
Nachhaltigkeitsgedanke schrittweise Eingang in
die gesamte Unternehmensstrategie erhalten hat.
Der PUMA Vorstandsvorsitzende Jochen Zeitz wurde
sogar in den Mutterkonzern PPR berufen (jetzt: Ke-
ring), u.a. um unter dessen Nobelmarken ähnliche
Programme einzuführen.
nIm Jahr 2004 erhielt die Faber-Castell AG den
Preis für die Entwicklung einer hauseigenen Sozi-
alcharta im Management-Konzept Fabiqus. Über die
Sozialcharta wird die weltweit verteilte Produktion
an sozialen und ökologischen Standards ausgerich-
tet und stetigen lokalen Verbesserungsprozessen
unterzogen.
nFür 2006 erhielt die Novartis AG des DNWE
Preis für ihre weltweiten Bemühungen um die Um-
setzung der Prinzipien des Global Compact am Bei-
spiel des Menschenrechtes auf Gesundheit. Gerade
THEMA
FORUM Wirtschaftsethik 20. Jg., 201212
bungsunterlagen hinaus geht. Natürlich haben Herr
Dr. Conrad und Herr Lohrie gemerkt, dass mit ihnen
Gespräche über die Aspekte des Programms geführt
worden sind. Aber es haben auch andere Prüfungen
im Hintergrund statt gefunden. Ich erinnere mich
– etwas schmunzelnd – bei einigen Preisträgern an
die oftmals über Jahre hinweg dauernden Diskussi-
onen in der Jury. Ja, es dauert durchaus eine ge-
wisse Zeit, bis man den überzeugten „Zuschlag“ er-
hält. Zum Beispiel haben auch meine Studierenden
im Rahmen eines Seminares zu CSR-Instrumenten
im letzten Sommersemester eingehend den deut-
schen Kaffeemarkt analysiert und dabei nach den
Kritikpunkten im Allgemeinen und gegenüber den
einzelnen Anbietern gefahndet, damit man auch
Quervergleiche hat. Eine Art verdeckte Ermittlung
sozusagen, ohne dass sie wussten, dass Tchibo aus-
gezeichnet werden soll.
Welches Urteil bei all diesen Ermittlungen,
Recherchen und Diskussionen am Ende heraus
gekommen ist, wird nun folgend mein hoch
geschätzter Kollege Horst Steinmann zusammen
fassen. Ich kann nur so viel vorweg nehmen: es
sind „gute Nachrichten“, denn Tchibo wird ja aus-
gezeichnet.
Herzlichen Glückwunsch meinerseits dazu!
Und viel Kraft und Inspiration für den weiteren Weg.
DeR pReIs FÜR UNTeRNeHMeNseTHIK – KONzepTION UND TRADITION
bei dieser Auszeichnung ging es auch darum klar
zu machen, dass es niemals um eine gesamthafte
Auszeichnung oder gar „Lossprechung“ eines Un-
ternehmens gehen kann, denn schon damals gab es
laute Debatten um das Managergehalt von Daniel
Vasella. Dies darf aber nicht jene Aktivitäten ver-
decken, mit denen man sich als beispielgebendes
Vorbild für die Umsetzung von Menschenrechten
profiliert hat, was bis heute in immer weiteren Fa-
cetten geschieht.
nFür das Jahr 2008 wurde die Business Social
Compliance Initiative (BSCI) ausgezeichnet, weil
sie einen bedeutsamen Schritt hin zu international
wirksamen Branchenregelungen darstellt. Mittler-
weile sind dort fast alle relevanten europäischen
Einzelhändler versammelt, so dass sich Fortschrit-
te – aber auch Defizite – der Implementierung von
CSR-Maßnahmen gebündelt dokumentieren und
diskutieren lassen.
nFür das Jahr 2010 sind wir schließlich – erst-
malig – dem Vorschlag eines Mitgliederaufrufes
gefolgt und haben mit dem Garnelenproduzenten
Ristic AG – auch erstmalig – einen eher unbekann-
ten Mittelständler ausgezeichnet, der stellvertre-
tend für jene unzähligen Unternehmer steht, die
unbeirrt für ihre ethischen Überzeugungen eintre-
ten und dabei häufig mangels Lobby in existentielle
Schwierigkeiten geraten.
nUnd nun also, 2012: Tchibo. Wenn man ein
ernsthafter Kandidat wie Tchibo wird, findet eine
eingehende Tiefenevaluation statt, die weit über
das Studium von Webseiten und bunten Bewer-
Prof. Dr. rer. pol. habil. Albert Löhr
Lehrstuhl für Sozialwissenschaften insbes. Wirtschaft
und Gesellschaft an der TU Dresden - Internationales
Hochschulinstitut Zittau, Vorsitzender des DNWE von
2001 bis 2011
FORUM Wirtschaftsethik 20. Jg., 201214
„Unternehmerische Verantwortung in der Weltwirtschaft – nicht nur ökonomisch!“
Laudatio auf den Preisträger
von Prof. Dr. Horst Steinmann
FORUM Wirtschaftsethik 20. Jg., 2012 15
2012
(2) Man muss aber auch das gesellschaftliche und
politische Umfeld in Rechnung stellen, in dem eine
solche Initiative gestartet und durchgehalten wird:
ist sie förderlich, hindert sie, diskriminiert sie gar
Unternehmung und Personen?
Sie wissen, dass gesellschaftliche Verantwor-
tung, wie sie hier im Hause Tchibo praktiziert
wird, noch keineswegs zum normalen geschäft-
lichen Alltag unserer Wirtschaft gehört. Deshalb
später zum Schluss auch einige Worte zu dieser
Außenperspektive.
Binnenperspektive
Ich beginne mit dem Blick auf das vom Unterneh-
men Tchibo Geleistete.
Aus der Fülle der unternehmensethisch moti-
vierten Aktivitäten und Tätigkeitsfelder hat die
Preisjury drei Aspekte für besonders auszeich-
nungswürdig ausgewählt, als Ergebnis von Recher-
chen vor Ort und im Internet, ferner Rückfragen
und Rückversicherungen und nach ausführlichen
abwägenden Diskussionen. Unser Berichterstatter
Karl Hermann Blickte, selbst Unternehmer und mit
den Entwicklungen der Branche gut vertraut, hat
die Leitgedanken der Begründung für die Preisver-
leihung formuliert; die Jury hat sich einstimmig
angeschlossen.
Stellvertretend für ihn zitiere ich zunächst diese
drei Leitgedanken und gehe dann auf jeden Leitge-
danken näher ein; der erste Leitsatz ist dabei der
wichtigste und soll deshalb im Mittelpunkt stehen.
Karl-Hermann Blickte schreibt:
„Im Einzelnen wird die Preisverleihung an Tchibo
wie folgt begründet:
Lieber Herr Conrad, lieber Herr Lohrie,
liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
des Hauses Tchibo, verehrte Gäste.
„Unternehmerische Verantwortung in der Weltwirtschaft – nicht nur ökonomisch!“
Unter dieses Motto möchte ich heute unsere Lau-
datio stellen. Dieses Motto umfasst letztlich alles das,
was Tchibo als „global player“ mit mehr als 3,5 Mrd.
Umsatz und 14000 Mitarbeitern im globalen Kontext
auf dem Weg zu einer nachhaltigen Geschäftstätig-
keit in vielen Jahren verwirklicht hat und immer
weiter zu verbessern bestrebt ist, im Kaffeesektor
und im Non-Food-Bereich, lokal und global.
Ich werde begründen, warum diese Leistung vom
Deutschen Netzwerk Wirtschaftsethik für auszeich-
nungswürdig gehalten wird, als Vorbild verstanden
werden sollte. Das geschieht dabei im Wissen darum,
dass eine solche Leistung - über nun schon 6 Jahre
hin Schritt für Schritt verwirklicht - letztlich das
Werk aller Mitarbeiter ist. Die vorbehaltlose Rücken-
deckung durch die Führungsspitze ist dabei wichtig
und hat bei Tchibo eine lange Tradition, wie wir uns
überzeugen konnten. Ihnen allen gilt deshalb unser
Glückwunsch. Tchibo ist einer der wichtigen Vorrei-
ter, die die unternehmerische Verantwortung nicht
nur ökonomisch verstehen, sondern darüber hin-
ausgehend – wie wir sagen – unternehmensethisch
ausrichten.
Um diese Leistung richtig zu würdigen, muss man
zwei Seiten prüfen:
(1) was wurde inhaltlich erreicht, wie wurde es er-
reicht und was ist noch zu tun? Das ist die Binnen-
perspektive.
THEMA
FORUM Wirtschaftsethik 20. Jg., 201216
1. Von der Compliance-Fixierung zum sozialen Dialog: Im Bereich des Non-Food-Geschäfts, welches bei
Tchibo circa 60 % des Umsatzes ausmacht, wird das
Worldwide Enhancement of Social Quality Program,
kurz: WE-Program, als neuer Ansatz zu einer so-
zialverträglichen Produktion in Entwicklungslän-
dern gewürdigt. Schwerpunkt dieses Projektes ist
der soziale Dialog im Produktionsland, bei dem in
zukunftsweisender Form alle lokalen Stakeholder
eingebunden sind. Dieser Verleihungsgrund bezieht
sich auf die Produktions- und Beschaffungsseite.
2. Vom Produktmanagement zum
ethischen Mehrwert:
Es wird gewürdigt, dass Tchibo nicht beim not-
wendigen ersten Schritt der Verbesserung der Pro-
duktionsbedingungen stehen bleibt, sondern das
ethische Engagement mit geeigneten Marketingin-
strumenten nach außen kommuniziert. Damit wird
der Verbraucher stärker als bisher in die ethische
Mitverantwortung beim Produktkauf einbezogen.
Hier geht es also um die Absatzseite.
3. Von der Konfrontation zur Kooperation
Tchibo bemüht sich in vorbildlicher Weise um
eine partnerschaftliche Zusammenarbeit mit NGOs,
Siegel- und Multistakeholderinitiativen.“
Ich beginne mit dem ersten Leitsatz: Von der
Compliance-Fixierung zum sozialen Dialog
Das Worldwide Enhancement of Social Quality Pro-
gram wurde von Tchibo 2007 im Konsumgüterbereich
auf den Weg gebracht, als Pilotprojekt zusammen mit
dem BMZ und der GIZ, als Schulungsprogramm für die
Lieferanten aus Entwicklungsländern: Bangladesch,
China, Indien, neuerdings Äthiopien, wo gerade ein für
die nachhaltigen Baumwolltextilien wichtiger strate-
gischer Lieferant gewonnen wurde. Das WE-Programm
ist ein Erfolgsmodell und ist heute - nach Abschluss
der Pilotphase - Teil der nachhaltigen Geschäftspoli-
tik des Hauses. Die WE-Trainer – ihr Zahl soll bis Ende
2012 auf 48 verdoppelt werden - werden von Tchibo
auch aus dem Kreis der Stakeholder rekrutiert, etwa
den NGO’s und dem gewerkschaftlichen Umfeld; dies
ist – neben der Unterstützung durch die Politik – ein
weiterer Hinweis auf die gesellschaftliche Akzeptanz
des Modells.
Für das DNWE ist der dialogische Charakter des
Programms im ethischen Sinne wegweisend, moder-
nes Stichwort: Stakeholderdialoge. An den Dialo-
gen beteiligen sich bei Tchibo die verschiedensten
gesellschaftlichen Gruppen, nicht nur die wichtige
Gruppe der Arbeitnehmer. Lieferanten, Einkäufer,
Regierungsorganisationen, NGO’s, Wissenschaft und
Berater gehören dazu. Von allen ist Dialogfähigkeit
und Dialogbereitschaft gefragt, wenn der Dialog
wirklich gelingen soll, nicht zu einem PR-Instru-
ment degeneriert. Und beides, Dialogfähigkeit und
Dialogbereitschaft, sind nicht selbstverständlich;
sie müssen im praktischen Miteinander eingeübt
und immer wieder bestätigt werden.
Die heutige Bedeutung der Stakeholderdialoge
resultiert aus den vielen bekannten Konfliktberei-
chen globalen Wirtschaftens, u.a. das wichtige Feld
der Sozialstandards: geregelte Arbeitszeiten, exis-
tenzsichernde Löhne, Gesundheitsschutz, Gleichbe-
rechtigung; das sind nur einige der relevanten Kon-
fliktfelder, über die bekanntlich in allen Branchen
„UNTeRNeHMeRIscHe VeRANTWORTUNg IN DeR WeLTWIRTscHAFT – NIcHT NUR öKONOMIscH!“
FORUM Wirtschaftsethik 20. Jg., 2012 17
2012
mit weltweit verteilten Produktionsstrukturen hef-
tig diskutiert wird. Existenzsichernde Löhne (living
wages), die über die gesetzlichen Mindestlöhne ei-
nes Landes hinausgehen, das ist nach wie vor in
vielen Branchen ein schwieriges Thema, ein Thema,
das vom einzelnen Unternehmen aus ökonomischen
Gründen oft nicht alleine gestemmt werden kann.
Tchibo bemüht sich deshalb um eine übergreifende
Branchenlösung.
Zum Dialogprozess selbst zitiere ich aus dem
Bericht eines Projektberaters von Tchibo in Bang-
ladesch: „Statt Sozialstandards einseitig und von
oben herab einzufordern, setzen die Projektträger
auf Dialog. Wir holen Manager und Beschäftigte an
einen Tisch, um gemeinsam Lösungen für eine bes-
sere Zusammenarbeit im Alltag zu finden.“
Also: Sozialer Dialog, Argument, und dadurch
Entwicklung von Problembewusstsein auf allen
Seiten – statt nur Befehl, Gehorsam und Kontrolle
durch Compliance von oben.
Das nennen wir die Verständigungs-Kultur des
WE-Programs, nach innen und außen; und je mehr
diese Kultur die Hierarchie in den Unternehmen
und natürlich auch die Beziehungen nach außen
durchdringt, umso mehr schafft sie Platz für fried-
liche Konfliktbeilegung durch Argumentation und
Vernunft - im Unterschied zur bloßen Machtanwen-
dung durch Überwachung und Durchsetzung der
Unternehmenspolitik.
Das hat übrigens – ein Seitenblick - nichts mit
idealistischen Vorstellungen zu tun. Compliance
bleibt wichtig, um die Einheit der Unternehmens-
führung zu sichern. Aber Compliance hat einen an-
deren Sinn: Information statt bloßer Überwachung.
Es geht um die immer nötigen Kontroll-Informati-
onen für die Steuerung der Unternehmung in einer
turbulenten Umwelt – und diese Informationen sind
nicht von vornherein in der Zentrale versammelt;
sie müssen vielmehr laufend aus der Organisation
kommen, weltweit und von allen Mitarbeitern und
auch anderen Stakeholdern.
Dazu noch ein Seitenblick: Ich erinnere mich dar-
an, was Helmut Thielicke, ein Ihnen sicher bekann-
ter Theologe, in seinen Memoiren über seine Rek-
toratszeit in Tübingen schreibt. Seine wichtigste
Innovation sei dort die Einrichtung des Mittwochs-
Treffs mit dem Asta und den Studenten gewesen.
Dort hätte er über die Universität Vieles erfahren,
was ihm sonst nicht zu Ohren gekommen wäre.
Also: Öffnung statt Schließung, Compliance-Ori-
entierung statt Compliance-Fixierung – so haben
wir das im Leitsatz 1 formuliert. Und so gesehen
ermöglicht das Worldwide Enhancement of Social
Quality Program als Prozess nicht nur Sozialver-
träglichkeit, sondern kann auch – richtig verstan-
den – dazu beitragen, die wirtschaftliche Effizienz
und Effektivität der Unternehmenssteuerung zu
steigern.
Damit, meine Damen und Herren, habe ich den
unternehmensethischen Kern des ersten Leitsatzes
umrissen. Die Worte Argumentation, also ernsthafte
Erörterung von Gründen und Gegengründen im Ange-
sicht konkreter Entscheidungssituationen, dadurch
Verständigungsmöglichkeit und dadurch Chance auf
friedliche Konfliktbeilegung, diese Worte markieren
die Schnittstelle zur globalen Ethik im Rahmen der
Unternehmensethik, wie wir sie vertreten.
„Frieden“ – so sagte einmal ein bekannter und
von mir geschätzter Philosoph, Paul Lorenzen, aus
THEMA
FORUM Wirtschaftsethik 20. Jg., 201218
Erlangen in einem Beitrag zur Unternehmensethik –
„Frieden ist das Werk der Gerechtigkeit und Gerechtig-
keit ist das Werk der Vernunft“.
Und diese Vernunft, so füge ich hinzu, ist in un-
serer Welt, die immer enger zusammenrückt, nur
über den globalen, interkulturellen Dialog zu ha-
ben – wenn überhaupt. Wir müssen diesen Dialog
praktizieren, die Vernunft gewissermaßen herstel-
len, und zwar durch tägliches Handeln. Tchibo be-
teiligt sich daran.
Und die friedliche Konfliktbeilegung ist dann
nach unserem Verständnis das praktische, das le-
benspraktische Ziel der Unternehmensethik, als
Teil eines gelingenden gemeinsamen Lebens. So
verstanden ist es kein Dogma, das aus dem Himmel
der Ideen oder aus heiligen Büchern geholt und ge-
predigt wird.
Das bezieht sich zunächst auf die Unternehmung
und ihren Einflussbereich.
Aber darüber hinaus hat Unternehmensethik
auch gesellschaftliche Rückwirkungen: das WE-
Program, wenn es sich verbreitet, mag dazu bei-
tragen, die gesellschaftliche und politische Kultur
einer Region, eines Landes langsam zu verändern,
in Richtung friedlicher Konfliktbeilegungen. Das
ist dann das größere politische Ziel, weshalb die
Bundesregierung sich wohl auch engagiert hat. Mit
dieser umgreifenden Perspektive wird der hohe un-
ternehmensethische Wert des WE-Programms noch-
mals unterstrichen.
Und dies umso mehr, meine Damen und Herren,
wenn Sie im Auge behalten, dass das Konflikt-
potential durch die Globalisierung der Wirtschaft
steigt, wenn unterschiedliche Kulturen aufeinan-
der treffen; der „Kampf der Kulturen“ (Samuel Hun-
tington) war und ist immer noch ein viel zitierter
Leitgriff in der politischen Diskussion. Damit diese
Kampfmetapher nicht das letzte Wort ohne Alter-
native bleibt, dazu kann die ethische Theorie zwar
den Weg weisen. Auf den Weg machen muss sich
die Praxis aber selbst, die Verständigung vor Ort su-
chen. Im Ergebnis heißt das: Ökonomische Rationa-
lität in der Praxis: ja – aber immer muss diese von
der ganzheitlichen Vernunft begleitet werden bei
der konfliktträchtigen Frage: mit welchen Mitteln
machen wir Gewinne? Was können wir im Hinblick
auf eine friedliche Konfliktbeilegung in der gegebe-
nen Situation verantworten?
Damit komme ich zum zweiten Leitsatz der
Laudatio: Vom Produktmanagement zum ethi-
schen Mehrwert. Dieser zweite Leitgedanke ist in
der Diskussion um die Unternehmensethik nicht
unumstritten. „Tue Gutes und spreche darüber“ –
so zu handeln wird von manchen Dogmatikern in
Theorie und auch Praxis bereits als unethisch emp-
funden. Das Gute verliert seine ethische Qualität,
so meint man, wenn man darüber spricht, damit
prahlt, es gar durch Marketingmaßnahmen geplant
nach außen kommuniziert. Das Gute werde so für
andere Zwecke instrumentalisiert und verliere da-
durch seine ethische Qualität, eine Qualität, die
über Raum und Zeit hinweg Gültigkeit habe. Hier
soll gelten: „Reden ist Silber, Schweigen ist Gold“.
Wir, die Preisjury, vertreten eine andere Auffas-
sung. Ethisches Handeln vollzieht sich hier und
heute, in einer gegebenen geschichtlichen Situa-
„UNTeRNeHMeRIscHe VeRANTWORTUNg IN DeR WeLTWIRTscHAFT – NIcHT NUR öKONOMIscH!“
FORUM Wirtschaftsethik 20. Jg., 2012 19
2012
tion. Handeln muss deshalb den Rahmen beachten,
der das eigene Handeln einerseits ermöglicht und
andererseits begrenzt. Sonst wird es unvernünftig.
Und für die Unternehmensethik heißt das insbe-
sondere: Du musst die Spielregeln einer Marktwirt-
schaft beachten. Eine Unternehmung ist dort nicht
allein. Sie ist eingebunden in Transaktionsprozes-
se. Zu den Spielregeln dieser Transaktionen gehört,
dass die Käufe und Verkäufe marktvermittelt sind.
Nicht Rede und Gegenrede, nicht der Diskurs regelt
im Prinzip die Koordination, sondern Informatio-
nen über Geld, Preise und Zahlungsströme: Wer
zahlt, schafft an!
Damit sind wir bei der Rolle der Konsumenten,
der Idee nach ja die treibende Kraft im Marktge-
schehen. Wenn sich alle Verbraucher ausnahms-
los nach dem ökonomischen Prinzip richten, nur
die Maximierung ihres Nutzens im Auge haben,
dann bleibt bei funktionsfähigem Wettbewerb
den Unternehmen kein Spielraum für eigenes
ethisches Handeln. Es wäre kontraproduktiv, weil
es dem Konsumenten, dem Souverän in der
Marktwirtschaft, wie man sagt, keinen Mehrwert
stiften würde. Wenn das im großen Maßstab der
Fall ist, haben natürlich die billigeren No-Name-
Produkte die Nase vorn – das altbekannte Prob-
lem der Markenfirmen.
Gefragt ist also zweierlei: ein ethisch sensibler
Verbraucher, für den die ethischen Anstrengungen
des Hauses Tchibo bei Herstellung und Vertrieb
THEMA
FORUM Wirtschaftsethik 20. Jg., 201220
einen Mehrwert darstellen. Und zweitens die In-
formation des Marktes über die unternehmensethi-
schen Anstrengungen des Hauses Tchibo, damit der
Mehrwert für den Konsumenten sichtbar wird oder
in einem Lernprozess langsam entsteht.
Über den ersten Punkt, die ethische Verantwor-
tung des Konsumenten, ist bei uns schon viel nach-
gedacht worden. Mir kommt es hier nur darauf an
zu betonen, dass die Kommunikation des ethischen
Engagements von Tchibo durch geeignete Marke-
tinginstrumente notwendiger Teil der unternehme-
rischen Verantwortung ist, zu den Spielregeln der
Marktwirtschaft gehört und nicht ethisch-dogma-
tisch diskriminiert werden darf.
Das ist das grundsätzliche Argument der Preisjury,
ohne dabei auf das Für und Wider einzelner Maßnah-
men, etwa von Produktlabels und ihren Chancen und
Risiken, genauer eingehen zu können.
Wir verkennen dabei nicht, dass die Kommuni-
kationspolitik eines Unternehmens auch zu einer
reinen Marketingmaßnahme verkommen kann –
„ethical chic“ - wenn es nicht mehr um Argument,
Verständigung und Überzeugung geht, sondern um
bloße Beeinflussung der Konsumenten. „The hid-
den persuaders“ (Vance Packard) – das war ja ein-
mal eine vielbeachtete Kritik an den großen Multis
in den fünfziger Jahren.
Demgegenüber fordert die Wirtschaftsethik in
immer stärkerem Maße auch den „kritischen Kon-
sumenten“; und dieser will ebenfalls aufgeklärt
und ernst genommen werden. Dazu gehört dann
aber zwangsläufig neben der Dialogbereitschaft
auch Transparenz über das Produkt und seine Her-
stellungsbedingungen. Eine seriöse Kommunikati-
on dieser Informationen über sich selbst ist für ein
Unternehmen also auch Bedingung der Möglich-
keit von Unternehmensethik. Und der Konsument
muss die ethische Wende mit vollziehen, sonst wird
der Weg für die innovativen Unternehmen unter
Umständen zu lang und zu beschwerlich.
Mit unserem dritten Leitgedanken - von der
Konfrontation zur Kooperation - würdigt
die Preisjury die erfolgreiche Entwicklung der
Stakeholderbeziehungen bei Tchibo seit 2006.
Das Jahr 2006 markiert, das kann man im Inter-
net nachlesen, einen, ja den Wendepunkt in der
Unternehmenspolitik des Hauses, hin zur Nach-
haltigkeit und – damit eng verbunden - hin zu
einer Philosophie des Stakeholdermanagement,
die durch Kooperation statt Konfrontation
gekennzeichnet ist.
Die Wende wurde durch eine Kampagne der Clean
Clothes Campaign wegen kritischer Arbeitsbedin-
gungen bei Lieferanten von Tchibo in Bangladesch
maßgeblich mit angestoßen. Tchibo hat auf diese
Kritik nicht – im Sinne einer „Wagenburgmenta-
lität“ – mit Gegenkampagnen reagiert. Die Firma
hat vielmehr die alte hanseatische Philosophie
des „Ehrbaren Kaufmanns“ überdacht in Richtung
der Nachhaltigkeit aller Unternehmensaktivitäten,
wie Markus Conrad bei der Vorstellung des Nach-
haltigkeitsberichtes 2010 hervorgehoben hat.
Nachhaltigkeit in seinen vielen konkreten Aus-
formungen, ökologisch, sozial und ökonomisch,
ist heute Grundlage der Unternehmensstrategie.
Dahinter führt kein Weg zurück.
„UNTeRNeHMeRIscHe VeRANTWORTUNg IN DeR WeLTWIRTscHAFT – NIcHT NUR öKONOMIscH!“
FORUM Wirtschaftsethik 20. Jg., 2012 21
2012 THEMA
insbesondere für die Innovatoren, die „first mover“,
auf diesem Gebiet.
Wir haben bei unseren früheren Preisverleihungen
immer betont, dass diese Wechselwirkung zwischen
Wirtschaft und Gesellschaft ein wichtiger Bestand-
teil ist für unsere Urteilsbildung. Das gilt auch noch
heute. Und wenn Tchibo jetzt versucht, das schwie-
rige Problem der existenzsichernden Löhne, „living
wages“, in Kooperation innerhalb der Branche zu
lösen, so unterstreicht das noch einmal diese poli-
tische Dimension - ebenso wie die Mitgliedschaften
der Firma in internationalen Organisationen, etwa
dem Global Compact. Das Thema „Menschenrechte“
steht damit auch auf der Agenda der Nachhaltigkeit.
Ich gewichte deshalb alles das, was Tchibo im
Interesse der Nachhaltigkeit bisher schon auf den
Weg gebracht hat und auf dem weiteren langen
Weg zur 100%ig nachhaltigen Produktion noch auf
den Weg bringen muss, ich würdige das auch im
Kontext der Frage, wie leicht oder schwer der Weg
von Tchibo durch die Kräfte im Umfeld gemacht
wurde.
Seit unserer ersten Preisverleihung an die Firma
Otto im Jahre 2000 hat sich natürlich vieles im
Umfeld verändert. Damals, vor gut zehn Jahren,
galt es schon als innovativ und wegweisend, das
Thema „Sozialstandards“ in der globalen Beschaf-
fung überhaupt ernst zu nehmen und aufzugreifen.
Das BMZ war schon seinerzeit dabei, auch die GTZ
– leider konnte sich aber das BMZ, damals unter
Ministerin Wieczorek-Zeul, nicht dazu durchrin-
gen, den Preis für Unternehmensethik gemeinsam
mit dem DNWE zu verleihen. Zu groß erschienen der
Politik wohl die Risiken, sich einem öffentlichen
Diskurs auszusetzen.
Das war nicht nur ein kluger, das war ein weiser
Schritt. Damit eröffnete sich nämlich einerseits die
Chance, das Potential der Kritiker, - NGO’s, Siegel-
und Multistakeholder – das Potential dieser Grup-
pen in Form von Informationen, Wissen, Ideen,
Motivation, für das gemeinsame Ziel zu nutzen;
und andererseits wurde damit das Risiko einer ge-
sellschaftlichen Ächtung und Skandalisierung mit
allen ihren geschäftlichen Folgen minimiert. Die
Richtigkeit dieser Strategie zeigen im Übrigen auch
praktische Erfahrungen anderer Unternehmen –
etwa bei Nike, wo man sich erst recht spät auf den
Stakeholderdialog eingelassen hat mit steigendem
Umweltrisiko. „Wer zu spät kommt, den bestraft
das Leben“ – diese Einsicht gilt hier auch und be-
sonders.
Von der Konfrontation zur Kooperation: dieser Wan-
del war der natürliche und zwangsläufige Schritt
des dialogischen Stakeholdermanagements. So ist
dieser dritte Leitgedanke die notwendige Ergän-
zung zu unserer Begründung der Preisverleihung.
Soviel zu den Gedanken der Preisjury zu dem, was
ich einleitend die Binnenperspektive genannt habe.
Außenperspektive
Ich habe schon betont, dass sich diese wirklich
fundamentalen Veränderungen der Unternehmens-
strategie des Hauses Tchibo nicht im luftleeren
Raum vollzogen haben. Das gesellschaftliche und
politische Umfeld kann, so sagte ich, Treiber oder
Bremser solcher mutigen unternehmerischen Ent-
scheidungen sein. Und eine so große Firma wie
Tchibo kann dieses Umfeld natürlich auch bis zu
einem gewissen Grade beeinflussen. Und das gilt
FORUM Wirtschaftsethik 20. Jg., 201222
Inzwischen hat sich die politische Unterstützung
aber ausgeweitet. Die Bundesregierung und die EU
haben die Unternehmensethik jetzt sichtbar als
Fahne der „Gesellschaftlichen Verantwortung der
Unternehmensführung“ (CSR – Corporate Social Re-
sponsibility) hoch gezogen; viele gesellschaftliche
Gruppen versammeln sich dort, um gemeinsam die
Idee voranzutreiben. Skeptiker sagen, um vom Fut-
ternapf etwas abzubekommen. Als Tchibo seinen
neuen Weg eingeschlagen hat, war davon aber noch
keine Rede. Und auch die Wirtschaft und ihre Ver-
bände haben lange gebremst und sind erst auf den
Zug der Zeit aufgesprungen, als die Richtung schon
feststand.
Also alles in allem: Tchibo kann zu Recht als
eines der frühen Innovatoren aus der unterneh-
merischen Praxis angesprochen werden. Mühe und
Wagnis wurden nicht gescheut, die Nachhaltigkeits-
idee in der Praxis voran zu bringen, und dies in
Kooperation mit vielen verschiedenen Stakeholder-
initiativen.
Ausblick
Wenn man die erreichten Ergebnisse betrachtet,
ist ohne jeden Zweifel noch viel zu tun: im Kaf-
feebereich insbesondere, aber auch im Bereich der
Baumwolle, bei Hölzern und Zellstoffen. Das betont
auch die Unternehmensleitung. Die Ziele dafür sind
gesetzt, im Sinne einer Selbstverpflichtung. 2015
soll Bilanz gezogen werden. Ich zitiere Herrn Con-
rad aus dem Nachhaltigkeitsbericht 2010:
„UNTeRNeHMeRIscHe VeRANTWORTUNg IN DeR WeLTWIRTscHAFT – NIcHT NUR öKONOMIscH!“
„Als Markt- und Qualitätsführer fühlen wir uns
verpflichtet, mit weiteren konkreten Programmen
und gemeinsam mit nationalen und internationa-
len Partnern im Kaffeesektor die Umsetzung von
Mindeststandards voranzutreiben und den verant-
wortungsvollen Rohkaffeeanbau auszubauen.“
Ähnliche Verpflichtungen sind für die anderen
Bereiche formuliert. Das heißt: es geht vorwärts,
der Prozess der nachhaltigen Unternehmensfüh-
rung ist nie abgeschlossen.
So bleibt mir nur noch, Ihnen, Herr Conrad,
Ihnen Herr Lohrie, und der gesamten Tchibo-Mann-
schaft viel Erfolg bei der Erreichung dieser Ziele
zu wünschen, zum Wohle der betroffenen
Menschen weltweit; sie können darauf hoffen, dass im
Hause Tchibo unternehmerische Verantwortung
auch in Zukunft mehr ist als bloße ökonomische
Rationalität.
Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Horst Steinmann
emeritierter Ordinarius für Betriebswirtschaftslehre,
insbes. Unternehmensführung an der Universität
Erlangen-Nürnberg; Vorsitzender des DNWE von dessen
Gründung 1993 bis 2000.
FORUM Wirtschaftsethik 20. Jg., 2012 23
2012
Sehr geehrter Herr Professor Steinmann,
sehr geehrte Vertreter des Deutschen Netzwerks
Wirtschaftsethik, liebe Gäste,
stellvertretend für alle Tchibo Mitarbeiter danke
ich Ihnen von ganzem Herzen für diese Auszeich-
nung. Sie ist eine Ermutigung in den Bemühungen
nicht nachzulassen und - wie alle Preise – natürlich
auch eine Verpflichtung.
Der Preis für Unternehmensethik ist ein sehr re-
nommierter Preis. Ihn zeichnet aus, dass man sich
für ihn nicht bewerben kann.
Das macht diesen Preis besonders sympathisch.
Und es erlaubt uns, dass wir uns nicht nur freuen,
2012 THEMA
Auch ein AnspornDankeswort zur Verleihung des Preises für
Unternehmensethik 2012 von Dr. Markus Conrad,
Vorstandsvorsitzender der Tchibo GmbH
FORUM Wirtschaftsethik 20. Jg., 201224
nVon leidenschaftliche Mitarbeitern, die sich
mit der Geschäftspolitik ihres Unternehmens iden-
tifizieren.
und vor allen Dingen natürlich
nVon dem Vertrauen unser Kunden in unsere
Geschäftspolitik.
Als wir uns vor 7 Jahren auf den Weg machten,
Tchibo zu einem ganzheitlich nachhaltig handeln-
den Unternehmen zu entwickeln, haben wir nur
vage Ahnungen davon gehabt, welche Herausforde-
rungen und positive Erfahrungen uns auf diesem
Weg begegnen werden.
Zu den Herausforderungen gehörten mit Sicher-
heit auch die Veränderungen im sog. „Mindset“
aller unserer Mitarbeiter.
nVertrauen in die Langfristigkeit unserer Nach-
haltigkeits-Strategie
nVertrauen in Qualität - auch als Möglichkeit
zur Kosteneinsparung
nVertrauen in den Dialog mit Lieferanten
und NGOs sind nur einige Stichworte.
Zu den positiven Erfahrungen gehört mit Sicherheit
der uns heute von Ihnen zugedachte Preis.
Was haben wir bisher erreicht?
Kaffee
2012 werden ca. 22% der von uns verarbeiteten
Rohkaffees aus nachhaltigem Anbau sein. 2011 wa-
ren es erst 13%. Mehr als 50% der in Deutschland ge-
kauften zertifizierten Filter-Kaffees stammen heute
von Tchibo. Wir tun in diesem Bereich also deutlich
mehr, als alle unsere Wettbewerber zusammen. Seit
AUcH eIN ANspORN
zu den Preisträgern zu gehören, sondern auch ein
wenig stolz darauf sind.
Unter den bisherigen Preisträgern findet man
eine Reihe von Familienunternehmen, sicher kein
Zufall. Familienunternehmen denken langfristig
und können für sich eigene Wertmaßstäbe for-
mulieren und verfolgen. Werteorientierung hat in
Familienunternehmen eben einen anderen – einen
hohen - Rang.
2006 haben wir eine „nachhaltige Geschäftspo-
litik“ als wesentliches Ziel der langfristig ausge-
richteten Unternehmens-Strategie definiert. In der
Tradition des ehrbaren hanseatischen Kaufmanns
übernehmen wir Verantwortung für unser Handeln.
Zum einen, weil Tchibo aufgrund seines Ge-
schäftsmodells in mehreren Bereichen und Regi-
onen, international etwas bewegen kann. Beim
Anbau und der Verarbeitung von Kaffee, bei Baum-
wolle oder Holz.
Zum anderen, weil wir davon überzeugt sind,
dass unser zukünftiger geschäftlicher Erfolg maß-
geblich von Faktoren bestimmt wird, die unmit-
telbar mit einer nachhaltigen Geschäftspolitik ver-
bunden sind.
nVon unserer Fähigkeit, auch in Zukunft qua-
litativ hochwertige Produkte anzubieten. Der
Schutz der Umwelt hat ganz wesentlichen Einfluss
auf den Anbau bzw. die Gewinnung von land- und
forstwirtschaftlichen Erzeugnissen wie Kaffee,
Baumwolle und Holz.
nVon der Zusammenarbeit mit den besten
Lieferanten. Geschäftspartner, die – wie wir -
langfristig orientiert und verantwortlich handeln.
Partner, die uns den Zugang zu den besten Kaffees
und innovativen Non Food Produkten ermöglichen.
FORUM Wirtschaftsethik 20. Jg., 2012 25
2012
2009 sind alle in unseren Tchibo Filialen ausge-
schenkten Kaffeegetränke zertifiziert nachhaltig.
In diesem Jahr haben wir alle Tchibo Privat
Kaffees sowie alle Kaffees für unsere Cafissimo
Kapseln auf 100% zertifiziert nachhaltige Kaffee-
qualitäten umgestellt.
Um das zu erreichen, arbeiten wir mit allen
Organisationen, die sich weltweit für den nach-
haltigen Kaffeeanbau einsetzen, partnerschaftlich
zusammen.
Textil-Sortimente
Mit 8,5 Mio. Textilien aus zertifizierter und vali-
dierter Baumwoll-Produktion in 2012 - das sind be-
reits gut 15 % unseres gesamten Textil-Sortimentes
aus bzw. mit Baumwolle - gehören wir zu den Top-
Anbietern von nachhaltigen Baumwollprodukten
in Deutschland.
Holz und Papier
Gemäß WWF-Ranking sind wir mit unserem FSC
zertifizierten Holz- und Papiersortiment „Deutsch-
lands Bester Einzelhändler“.
Klimaschutz
Seit Tchibo 2007 gemeinsam mit der TU Harburg
und dem Bundesumweltministerium erstmals eine
CO2-Bilanz für unsere Warentransporte aufgestellt
hat, konnten wir unsere transportbedingten CO2-
Emissionen um zirka 30 Prozent reduzieren.
Unsere Fuhrparkpolitik wurde von der Deut-
schen Umwelthilfe e.V. mit der „Grünen Karte für
glaubwürdiges Klimabewusstsein“ ausgezeichnet.
Mit unserem Ökostrom-Angebot waren wir
Vorreiter.
Mitarbeiter
Bei Tchibo gibt es eine lange Tradition dafür zu
sorgen, dass sich Mitarbeiter an ihrem Arbeits-
platz wohlfühlen. Diejenigen, die hier täglich
arbeiten, können sich Tag für Tag an den Ein-
richtungen des Freizeitzentrums oder auch nur
an Kantine und Cafeteria erfreuen.
2010 wurden wir als erstes bundesweites
Handelsunternehmen von der „Stiftung beruf-
undfamilie“ als familienbewusstes Unterneh-
men zertifiziert.
THEMA
FORUM Wirtschaftsethik 20. Jg., 201226
Sehr geehrter Herr Prof. Steinmann, meine Damen
und Herren, Ihnen sind diese und andere Pro-
dukt- und auch Prozessverbesserungen sicherlich
bewusst.
In Ihrer Begründung für die Preisverleihung
heben Sie jedoch insbesondere unsere Bemühungen
im Bereich Non Food hervor.
Die Durchsetzung von international anerkannten
Arbeits- und Sozialstandards bei der Produktion von
Gebrauchsartikeln in den sog. Entwicklungs- und
Schwellenländern ist eine große Herausforderung.
Gesetzliche Regelungen reichen häufig nicht
aus, um den Beschäftigten in der Produktion ein
menschenwürdiges Leben zu ermöglichen. Häufig
versagt die administrative Kontrolle durch die Län-
derregierungen, findet gar nicht statt oder ist aus
verschiedenen Gründen nicht gewollt.
Daher fordern Nichtregierungsorganisationen so-
wie Gewerkschaften seit Jahren, dass international
agierende Handelsunternehmen dieses Regelungs-
und Kontrollvakuum durch geeignete Maßnahmen
ausfüllen und führen regelmäßig medienwirksame
Kampagnen gegen Marken- und Handelsunterneh-
men durch.
Dass wir heute insbesondere für unser „WE“ Pro-
gramm den Preis für Unternehmensethik entgegen
nehmen dürfen, verdeutlicht auf besondere Weise
den Weg, den Tchibo in den letzten Jahren zurück-
gelegt hat.
2005 war Tchibo Adressat der Kampagne für Sau-
bere Kleidung. Unsere Kontrollmaßnahmen wurden
für unzureichend gehalten. Tchibo wurde öffentlich
an den Pranger gestellt.
Zweifellos hat diese Erfahrung unser „Umdenken“
und die Entschlossenheit, mit der wir das Thema
Nachhaltigkeit in unserer Strategie festgeschrieben
haben, „befördert“.
Wir haben seitdem viel gelernt und die Kampagne
oder Krise als Chance gesehen und genutzt.
Bereits 2006 haben wir gemeinsam mit der Gesell-
schaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) das
Programm „WE“ („WE“ steht für Wordwide Enhance-
ment of Social Quality) entwickelt und mit der Im-
plementierung begonnen. Bis Ende 2012 werden wir
rund 200 Produktionsstätten in unser „WE“-Qualifi-
zierungsprogramm einbezogen haben.
Über die Besonderheiten des „WE“-Programms,
das nicht auf Audits, sondern auf den Dialog aller
sog. Stakeholder setzt, haben Sie ausführlich ge-
sprochen. Gemeinsame Überzeugung soll der Treiber
kontinuierlicher Verbesserungen sein.
Die Würdigung des DNWE ist für uns vor allem
Ansporn, den eingeschlagenen Weg konsequent fort-
zusetzen.
Dass uns das DNWE bereits jetzt auch dafür aus-
zeichnet, „dass wir unser ethisches Engagement
mit geeigneten Marketinginstrumenten nach außen
kommunizieren und die Verbraucher in die ethische
Mitverantwortung beim Produktkauf einbeziehen“,
betrachten wir als „Vorschuss“ auf Zukünftiges.
Bisher haben wir uns bezüglich unserer Aktivitä-
ten im Bereich der Nachhaltigkeit bewusst an „gute
hanseatische Tugenden gehalten“: Erst leisten, dann
reden!
Durchaus heikel erscheint uns auch der schmale
Grad zwischen „Selbstverständlichem“ sog. „green
washing“ und echter Leistung. Allemal für eine be-
kannte Marke wie Tchibo, die natürlich immer auch
Angriffsflächen bietet.
AUcH eIN ANspORN
FORUM Wirtschaftsethik 20. Jg., 2012 27
2012 THEMA
Wenn wir aber wollen, dass Verbraucher zukünftig
mit bewussten Kaufentscheidungen auch über die
Qualität des Engagements abstimmen, müssen wir
die Kommunikation unserer zahlreichen Anstren-
gungen wagen. Erst dann haben wir die Aufgaben ei-
nes nachhaltigen Handelsunternehmens und unsere
ambitionierten Ziele erfüllt.
Unsere bisherige Bilanz und gerade auch Ihre Aus-
zeichnung ermutigen uns in diese Richtung weiter-
zugehen, die wir beispielsweise mit unserem „Mount
Kenya-Projekt“ bereits eingeschlagen haben.
Sehr geehrter Herr Prof. Steinmann, sehr geehrte
Vertreter des DNWE, liebe Gäste, liebe Mitarbeiter, das
uns von der Preisjury zugedachte Preisgeld in Höhe
von 10.000 Euro werden wir in Bildungsprojekte am
Ursprung unserer nachhaltigen Produkte spenden.
Unsere Mitarbeiter werden in Kürze über den
konkreten Verwendungszweck in Kenia, Guatemala,
Benin oder Sambia entscheiden.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit und die
Verleihung des Preises für Unternehmensethik 2012
an die Tchibo GmbH.
Dr. Markus Conrad
Vorstandsvorsitzender der Tchibo GmbH, Hamburg
Josef Wieland bei der Überreichung der Urkunde an Markus Conrad
FORUM Wirtschaftsethik 20. Jg., 201228
Das Preisgeld wurde gestiftet
von der Stiftung Apfelbaum –
Lernprojekt für Ko-Evolution
und Integration, Köln.
Verwendung des Preisgeldes
Als aktives Mitglied der Gesellschaft ist es für uns
selbstverständlich, Verantwortung zu übernehmen
– auch und besonders in den Ursprungsregionen
der für viele unserer Produkte wichtigen Rohstoffe.
In den Regionen, in denen Kaffee und Baumwolle
angebaut werden, ist der ökologische und soziale
Handlungsbedarf hoch. Den Beschäftigten und
ihren Familien gilt – über unser nachhaltiges
Kerngeschäft hinaus – deshalb unsere besondere
Aufmerksamkeit. Um deren Lebensbedingungen
weiter zu verbessern, fördern wir nicht nur bildungs-
und berufsorientierte Projekte nach dem Prinzip
„Hilfe zur Selbsthilfe“, sondern unterstützen auch
die Gemeinschaften vor Ort z. B. beim Zugang zu
Wasser oder bei der Einkommensdiversifizierung.
Die Projektregionen sind derzeit Ostafrika, die
Subsahara-Regionen Zentralafrikas, Zentral- sowie
Südamerika.
Wie von Herrn Dr. Conrad in seiner Dankesrede
angekündigt, haben wir die Tchibo Mitarbeiter
im Intranet darüber abstimmen lassen, in
welche unserer Projekte wir das Preisgeld
spenden. Zwei Kolleginnen aus dem Bereich
Unternehmensverantwortung haben jeweils ein
Projekt vorgestellt:
Susanne Bösing
Schul möbel für die Kinder der Baumwoll farmer in Afrika!
Ich möchte Idrissou vorstellen: Sie ist neun Jahre alt und
besucht die öffent liche Grundschule in Soussaraou in Benin. Ihre
Eltern leben – wie viele Menschen dort – vom Baumwollanbau.
Idrissous Schule ist eine von zwei Schulen, die im Rahmen
unseres Schulpro jekts im Oktober 2012 gebaut wurden.
Insgesamt sollen sieben Schulen entstehen. Wir haben das
Schulprojekt 2010 gemeinsam mit der Aid by Trade Stiftung,
der GIZ, der DEG und einer örtlichen Baumwoll ge sell schaft
ins Leben gerufen. Unser Ziel: Den Kindern durch den
Zugang zu Bildung eine Zukunfts per spektive zu bieten.
Durch die Initiative Cotton made in Africa der Aid by
Trade Stiftung erhalten die Bauern Unter stützung nach dem
„Hilfe zur Selbst hilfe-Prinzip“. Tchibo ist einer der größten
Anbieter von Textilien aus Baumwolle „Cotton made in
Afrika“. Daher war es naheliegend, dass wir uns gesell schaft-
lich hier am Ursprung unseres Kernge schäfts engagieren.
Seitdem unser Projekt 2010 in Benin gestartet ist, habe ich viel
über wirksame Maßnahmen in der Entwick lungs hilfe gelernt.
So scheitert der Schul besuch häufig an den notwen-
digen Schul uni formen. Die Kinder kommen zudem oft
hungrig in die Schule. Daher werden wir 30.000 Schul-
uni formen zur Verfügung stellen sowie Kantinen
und Schul gärten zur Selbst ver sorgung errichten.
Ich habe Idrissou gefragt, was sie sich für ihre Schule
wünscht. Ihre Antwort: Schul möbel! Diesen Wunsch können
wir ihr nun erfüllen.
FORUM Wirtschaftsethik 20. Jg., 2012 29
2012cornel Kuhrt
Mehr Eigen stän digkeit durch Joghurt-Maschinen für die Famer frauen am Mount Kenya!
Ich möchte Mary vorstellen, die Frau eines Kaffeefarmers
am Mount Kenya. Mit einer Kuh, die sie demnächst auch
bekommt, könnte sie weiteres Einkommen erzielen. Mary
hat eine große Familie zu versorgen, darunter Kinder, Enkel-
kinder und AIDS-Waisen.
Frauen kümmern sich um die Ernährung und Gesundheit
der Kinder und damit um die nächste Generation. Es heisst,
dass 10 US-Dollar in der Hand einer Frau genauso viel
bewirken wie 110 Dollar in den Händen eines Mannes!
Außerdem leisten die Frauen der Kaffee farmer oftmals den
größten Teil der Arbeit im sogenannten „Kaffee garten“. Der
hier wachsende Kaffee wird für einen Teil des Rohkaffees,
den wir in unserem Privat kaffee African Blue einsetzen,
verwendet. Aller dings profi tieren die Frauen kaum von den
Einnahmen. Denn diese werden als sogenanntes „cash crop“
den Männern ausge zahlt. Wer aber schickt die Kinder zur
Schule und ernährt sie? Die Frauen!
Unser Mount Kenya Project hilft Frauen wie Mary durch
leistungs fä higere Kühe mehr Milch zu produ zieren. Aber
wie lässt sich daraus Gewinn erzielen? Milch verdirbt ohne
Kühlung schnell im heißen Afrika. Darum würden die Frauen
gerne lernen, Joghurt herzu stellen, um diesen auf dem Markt
oder in einer gemeinsam geführten Milchbar zu verkaufen.
Mit dem Preisgeld können wir jetzt die notwendigen Joghurt-
Maschinen anschaffen.
Wir haben das Preisgeld aus dem mit 10.000
Euro dotierten DNWE Preis für Unternehmensethik
gemäß der Mitarbeiterabstimmung aufgeteilt:
Das Schulprojekt in Benin hat 6.200 Euro
unter anderem für die Anschaffung von dringend
benötigten Schulmöbeln erhalten.
Mit den übrigen 3.800 Euro unterstützen wir die
Farmerfrauen am Mount Kenya – sie erhielten einen
Finanzierungszuschuss für den Kauf von Maschinen
für die eigene Joghurt-Produktion.
Das Ergebnis der Abstimmung
An welches Projekt sollen die 10.000 Euro
gespendet werden?
Ich stimme für das Schulprogramm im Benin
61,62 % 244
Ich stimme für die Joghurt-Maschinen
für Mount Kenya
38,38 % 152
Stimmen insgesamt 396
FORUM Wirtschaftsethik 20. Jg., 201230
Nachhaltigkeit bei Tchibo-zukunftssicherung des Unternehmens
Achim Lohrie, Direktor Unternehmens-
verantwortung der Tchibo GmbH
FORUM Wirtschaftsethik 20. Jg., 2012 31
2012 THEMA
Tchibo wurde 1949 in Hamburg gegründet und
ist bis heute zu 100 % im Besitz der Familie Herz.
Tchibo ist der viertgrößte Kaffeeröster der Welt und
Marktführer in Deutschland, Österreich und Osteu-
ropa. Röstkaffee, das Kapselsystem Cafissimo und
die einzigartigen, wöchentlich wechselnden Non
Food Sortimente vertreibt Tchibo in mehr als 1.000
eigenen Filialen, in Depots des Einzelhandels und
Online. Mit weltweit 12.100 Mitarbeitern erzielten
wir 2011 rund 3,5 Milliarden Euro Umsatz.
Strategie
Nachhaltigkeit wird bei Tchibo als Zukunftssiche-
rung des Unternehmens verstanden und nicht pri-
mär als Marketingtool, Management von Kommuni-
kationsrisiken oder Philanthropie.
Nachhaltigkeit hat bei Tchibo Tradition. In Fa-
milienunternehmen ist Werteorientierung gesetzt.
Sie muss mit den sich stetig verändernden Wert-
einterpretationen in der Gesellschaft Schritt halten
und durch geeignete Maßnahmen mit Leben gefüllt
werden. Deshalb ist seit 2006 Nachhaltigkeit inte-
graler Bestandteil der Geschäftsstrategie. Der Name
unserer Geschäftsstrategie „Zukunft braucht Her-
kunft“ ist bereits Programm auch für unser Nach-
haltigkeitskonzept:
Kaffee, Baumwolle und Holz bzw. Zellstoff sind
die zentralen „Zutaten“ für unser Geschäft.
Wir sägen an dem Ast, auf dem wir sitzen, wenn
wir nicht darauf achten, dass deren Gewinnung und
Weiterverarbeitung nach strengen ökologischen
und sozialen Anforderungen geschieht. Denn eine
intakte Umwelt und motivierte Partner sind neben
zufriedenen Mitarbeitern die Grundlagen unse-
res Geschäfts. Nachhaltigkeit ist für uns deshalb
nicht mehr aber auch nicht weniger als das zeit-
gemäße Verständnis von ganzheitlicher Produkt-
und Prozessqualität. Mit dieser Herleitung fand
der strategische Entwicklungsprozess 2006 breite
Zustimmung über alle Hierarchien im Unternehmen
und mündete im durch Vorstandsbeschluss vom
30.08.2011 konkretisierten Kernziel: „Tchibo auf
dem Weg zu einem 100 % nachhaltigen Geschäft“.
Warum „100 %“? Weil es zu der so verstandenen
zeitgemäßen Produkt- und Prozessqualität keine
Alternative gibt.
Warum „auf dem Weg“? Weil die Umsetzung eines
solch ambitionierten Kernziels nicht von heute auf
morgen zu erreichen ist.
Integriertes Zielsystem und Organisation von Nachhaltigkeit im Unternehmen
Das strategische Kernziel „Tchibo auf dem Weg
zu einem 100 % nachhaltigen Geschäft“ haben
wir - basierend auf allen in unserem Stakeholder-
management definierten Anspruchsthemen - in
entsprechende Leitziele für jeden tangierten Vor-
standsbereich und Handlungsschwerpunkte herun-
tergebrochen.
Die für uns relevanten Anspruchsthemen sind
insbesondere Ressourcenschonung, Erhalt der Bio-
diversität, Klimaschutz und soziale Verantwortung.
FORUM Wirtschaftsethik 20. Jg., 201232
NAcHHALTIgKeIT beI TcHIbO - zUKUNFTssIcHeRUNg Des UNTeRNeHMeNs
Aus den Leitzielen entwickeln die Mitarbeiter der
Fachbereiche unter ihrem jeweiligen Fachvorstand
qualitative Teilziele pro Handlungsschwerpunkt
und Geschäftsjahr. Diese sind so weit wie möglich
zu quantifizieren und werden einmal jährlich über
alle Fachbereiche hinweg vom Gesamtvorstand
verglichen und gegebenenfalls angepasst.
Das dient dazu, demotivierende Zielkonflikte gar
nicht erst entstehen zu lassen, oder – wenn sie
nicht zu verhindern sind – „top – down“ zu lösen.
Die Erfüllung der Teilziele wird einmal jährlich vom
Gesamtvorstand überprüft und ihre Beiträge zur
Erfüllung von Leitzielen und Kernziel gemessen.
Falls nötig erfolgt eine Justierung der Ziele für das
Daraus ergeben sich in der weiteren Konkretisie-
rung derzeit folgende Handlungsschwerpunkte:
nNachhaltige Lieferkette Kaffee
nNachhaltige Lieferkette Baumwolle
nNachhaltige Lieferkette Holz und Zellstoff
nUmwelt- und Sozialverantwortung bei der
Herstellung von (sonstigen) Gebrauchsartikeln
nGesellschaftliches Engagement
nNachhaltige Logistik
nSozialverantwortung gegenüber den
Beschäftigten
nVerbraucherschutz und Verbraucherverant-
wortung einschließlich Förderung des
nachhaltigen Konsums
Abb. 1: Integriertes Zielsystem
FORUM Wirtschaftsethik 20. Jg., 2012 33
2012 THEMA
folgende Geschäftsjahr. Da nachhaltige Leitziele
und Teilziele der Fachbereiche in das übergeordnete
Zielsystem integriert sind, knüpft daran auch au-
tomatisch die Entlohnung der Mitarbeiter in ihren
fixen und variablen Bestandteilen über alle Hier-
archiestufen an. Betriebsrat und Aufsichtsgremien
des Unternehmens sind eingebunden.
In diesen und allen weiteren Prozessen steht
der Direktionsbereich Unternehmensverantwortung
mit derzeit elf Mitarbeitern den Fachbereichen als
„interne Unternehmensberatung“ zur Seite und
berichtet direkt an den Vorstandsvorsitzenden.
Nachhaltige Lieferkette Kaffee
Damit wir unseren Kunden auch morgen noch
beste Kaffeequalität anbieten können, achten wir
nicht ausschließlich auf Aroma und Geschmack.
Wir setzen uns zugleich für den Schutz der Umwelt
und für bessere Lebensbedingungen der Kaffeefar-
mer und ihrer Familien im sog. Kaffeegürtel rund
um den Äquator ein.
Das Teilziel unserer Fachbereiche: Wir wollen
so schnell wie möglich ausschließlich Kaffees aus
nachhaltigem Anbau anbieten. Denn nur öko-
logisch und sozial verträgliche Anbaumethoden
sichern langfristig die Verfügbarkeit der von uns
benötigten Rohkaffees bester Qualität und gleich-
zeitig die Zukunftsfähigkeit der Kaffeefarmer und
ihrer Familien.
Die Realisierung dieses Ziels ist mit großen
Herausforderungen verbunden. Experten schätzen,
dass derzeit nicht einmal 10 % des weltweiten Roh-
kaffeeanbaus nachhaltig gestaltet sind. Wir arbei-
ten deshalb mit allen international anerkannten
Standardorganisationen zusammen, die Nachhal-
tigkeit im Kaffeesektor glaubwürdig vorantreiben.
Das sind derzeit Rainforest Alliance, Fairtrade, UTZ
Certified und die Organisationen hinter dem Bio-
Siegel nach EU-Rechtsvorschriften. Den Basisstan-
dard 4C (Common Code for the Coffee Community)
nutzen wir, um die überwiegend kleinbäuerlichen
Strukturen zu organisieren, sie für nachhaltigen
Kaffeeanbau zu sensibilisieren und mittelfristig für
Standardsysteme zu gewinnen.
In weiteren Allianzen wie insbesondere „Interna-
tional Coffee Partner (ICP)“ und „Coffee + Climate“
unterstützen wir die Kaffeefarmer auch bei Her-
ausforderungen, die von den etablierten Standards
nicht oder nur unzureichend abgedeckt werden. Das
betrifft insbesondere Entwicklungsprojekte in Bezug
auf ein effektiveres und effizienteres Management
von Kleinfarmen zur umweltschonenden Erhöhung
der Erträge sowie Maßnahmen zur Anpassung an den
bereits eingetretenen globalen Klimawandel und zur
Reduzierung des eigenen Beitrags hierzu.
2012 waren bereits ca. 25 % der von uns benö-
tigten Rohkaffeemengen in unser Nachhaltigkeits-
konzept einbezogen, bei zertifiziert nachhaltigen
Filterkaffees sind wir in Deutschland mit über 50 %
Marktanteil der Marktführer.
FORUM Wirtschaftsethik 20. Jg., 201234
NAcHHALTIgKeIT beI TcHIbO - zUKUNFTssIcHeRUNg Des UNTeRNeHMeNs
tem für den weltweiten Transformationsprozess
von „konventionell“ auf nachhaltig im Bereich von
Mengenkaffees für derzeit alternativlos. Es lässt
als Basissystem den „konventionellen“ Anbau hin-
ter sich, bleibt jedoch mit Blick auf seine zentrale
Transformationsaufgabe hinter Anforderungen eta-
blierter Zertifizierungssysteme zurück. Unser Ver-
zicht auch auf indirekte Produktwerbung solcher
4C Qualitäten trägt dieser zusätzlichen Komplexität
und der Vermeidung einer Verwirrung der Endver-
braucher Rechnung.
Bei der Umstellung auf zertifizierte Qualitäten
haben wir uns wegen der vergleichsweise geringe-
ren Komplexität der Wertschöpfungsketten und der
größeren ökonomischen Flexibilität zunächst auf
unser Premiumsegment konzentriert.
Alle Sorten unseres Privat Kaffees (Ursprungs-
sorten, Schätze der Natur, Raritäten) sowie alle
Kaffees für unsere Cafissimo Kapseln sind heute
vollständig auf zertifizierte Qualitäten (Rainforest
Alliance und/oder UTZ Certified und/oder Bio)
umgestellt. Das war zu einem erheblichen Teil nur
auf der Grundlage von Projekten möglich, die die
Produzenten dabei unterstützt haben, Schritt für
Schritt den Wechsel von „konventionell“ auf nach-
haltig zu vollziehen und dabei das von uns benö-
tigte Qualitätsniveau zu halten.
In unseren Coffee Bars bieten wir ausschließlich
Kaffeegetränke aus Kaffees zertifizierter Farmen
an. Dabei bestehen alle Espresso basierten Getränke
aus Fairtrade zertifizierten Qualitäten.
Fairtrade gewinnt auch in unserem Cafissimo Sor-
timent an Bedeutung. Hier testen wir entsprechen-
de Qualitäten bei den „Grand Classés“.
Nach den Profilen des 4C verifiziert nachhaltige
Kaffees mischen wir nach Verfügbarkeit in Pro-
dukte unterhalb unseres Premiumsegments ein,
loben das jedoch nach den Vorgaben des 4C nicht
direkt auf der Produktverpackung, darüber hin-
aus jedoch auch nicht indirekt in der sonstigen
Produktwerbung z.B. in Flyern oder Anzeigen aus.
Wir halten das 4C Standard- und Verifizierungssys- Abb. 2: Tchibo-Allianzen in der Lieferkette Kaffee
FORUM Wirtschaftsethik 20. Jg., 2012 35
2012 THEMA
International noch nicht gelöst ist die notwendi-
ge Einbeziehung von Mengenkaffees brasilianischen
Arabica- und vietnamesischen Robusta-Ursprungs
in „top-down und bottom up“ wirksame, globale
Nachhaltigkeitskonzepte. Zu diesem Zweck sind
wir Gründungsmitglied des IDH Sustainable Coffee
Program (Initiatief Duurzame Handel - Iniative für
nachhaltigen Handel) geworden. Dieses Programm
verfolgt das Ziel, den Anteil nachhaltig angebauter
Rohkaffees weltweit signifikant auszubauen und
aus der bisherigen „Angebotsnische“ zertifizierter
Segmente zu führen.
Nachhaltige Lieferkette Baumwolle
Vergleichbar komplex sind die weltweiten Zulie-
ferketten für Baumwolle. Auch in diesem Segment
kann die Realisierung der Leit- und Teilziele un-
serer Fachbereiche nur in starken Partnerallianzen
gelingen.
Auf dem Weg zu 100 % nachhaltiger Baumwolle
wenden unsere zuständigen Fachbereiche derzeit
den Standard Organic Exchange von Textile Ex-
change in klassischer und in sog. „Blend-Variante“,
d.h. als Mischung an. Mischungsanteile von unter
50 % Biobaumwolle loben wir zur Vermeidung einer
Verwirrung der Endverbraucher in unserer Produkt-
werbung nicht aus. Die Anwendung der „Blend-
Variante“ geschieht zur kontinuierlichen Erhöhung
des Anteils nachhaltiger Baumwolle in unseren Sor-
timenten sowie bei nicht ausreichender Verfügbar-
keit der von uns benötigten Baumwollqualitäten.
Darüber hinaus verschaffen wir in einer Abnahme-
allianz mit weiteren namhaften Handelsunterneh-
men afrikanischen Baumwollbauern der Subsahara-
Region Zugang zu den Weltmärkten. Diese wären
andernfalls durch hohe staatliche Subventionierung
insbesondere ihrer amerikanischen Konkurrenten
nicht wettbewerbsfähig. Unter der Marke „Cotton
made in Africa“ der Aid by Trade Foundation leisten
wir unseren Beitrag zur „Hilfe durch Handel“.
Ähnlich wie bei Rohkaffee ist derzeit die größte
Herausforderung, den Anbau von Mengenbaumwolle
nachhaltig zu entwickeln. Deshalb sind wir Mitglied
der Better Cotton Initiative (BCI) geworden. Anders
als bei insoweit nicht betroffenen Rohkaffees wird
es im Rahmen der Definition und Implementierung
entsprechender global wirksamer Profile auch da-
rauf ankommen, ob es den gesellschaftlichen An-
spruchstellern im Baumwollsektor gelingt, sich auf
eine gemeinsame, nachhaltige Position zum Thema
Genmodifikation zu einigen, bevor sie von der Rea-
lität überholt werden.
Abb. 3: Tchibo-Allianzen in der
Lieferkette Baumwolle
FORUM Wirtschaftsethik 20. Jg., 201236
NAcHHALTIgKeIT beI TcHIbO - zUKUNFTssIcHeRUNg Des UNTeRNeHMeNs
Umweltengel bzw. auf FSC®-Qualität. Unsere Ver-
sandkartonage besteht aus Pappe in FSC®-Recyclat-
Qualität.
Die verbleibende Herausforderung ist auch hier
die komplexe globale Zulieferstruktur. So kann es
vorkommen, dass trotz aller Absicherungsmaßnah-
men Zellstoffe aus bedenklichen Quellen und über
Umwege in Nebenprodukte wie Produktverpackun-
gen gelangen. In solchen Fällen hilft nur der kon-
sequente Ausschluss der die Regeln verletzenden
Verursacher aus unseren Wertschöpfungsketten.
Für Transparenz sorgen Nichtregierungsorganisati-
onen, die uns in unserem Stakeholdermanagement
unterstützen und begleiten.
Abb. 4: Tchibo-Allianzen in der Zulieferkette
Holz und Zellstoff
Umwelt- und Sozialverantwortung bei (sonstigen) Gebrauchsartikeln
Die Heterogenität unserer sonstigen Gebrauchsar-
tikel einschließlich ihrer Zulieferstrukturen im wö-
chentlichen Angebotswechsel erfordert besondere
Anstrengungen, um das Ziel einer 100 % nachhal-
tigen Geschäftstätigkeit auch in diesem Segment
Schritt für Schritt zu erreichen.
Nachhaltige Lieferkette Holz und Zellstoff
Viele unserer Produkte bestehen aus Holz. Damit
unsere Wälder nachfolgenden Generationen erhal-
ten bleiben, achten wir darauf, dass der wertvolle
Rohstoff aus verantwortlich bewirtschafteten Quel-
len stammt. Das gilt auch für den Zellstoff, der in
unseren Papieren insbesondere für unsere Filial-
und Bestellmagazine zum Einsatz kommt.
Ähnlich wie bei Rohkaffee und Baumwolle wenden
unsere zuständigen Fachbereiche bei der Realisierung
ihrer Leit- und Teilziele Umwelt- und Sozialstandards
international anerkannter Organisationen an.
In den vergangenen zwei Jahren konnten wir das
100 %-Ziel bereits für alle Produkte aus Holz tro-
pischer bzw. borealer (nördlicher, kaltgemäßigter)
Quellen erreichen. Sie sind nach den anspruchsvol-
len Standards des Forest Stewartship Council (FSC®)
bei Zulässigkeit der Verwendung zertifiziert.
Für darüber hinausgehende Holzprodukte haben
wir mit Nichtregierungsorganisationen, Wissen-
schaftlern und Forstexperten mangels anderweiti-
ger Verfügbarkeit einen eigenen Standard, den sog.
Tchibo Forest Tracing Standard (FTS), zur Sicher-
stellung des Ausschlusses von illegalen und uner-
wünschten Quellen entwickelt.
Bei der Verwendung von Zellstoff und Papier
für unsere Druckerzeugnisse haben wir unser 100
%-Ziel fast erreicht. Die für unsere Magazine und
sonstigen Drucksachen verwendeten Papiere sind
FSC®-zertifiziert, der interne Papierbedarf in den
Büros ist in der Umstellung auf Recylat mit Blauem
FORUM Wirtschaftsethik 20. Jg., 2012 37
2012 THEMA
Im Bereich der Produktökologie haben wir auf
Basis des am Markt verfügbaren Fachwissens ge-
meinsam mit unseren Fachbereichen ein eigenes
Managementtool entwickelt: „Tchibo UmweltPlus“.
Auf insgesamt 5 Entwicklungsstufen von „Basisan-
forderungen“ bis „Umweltinnovation“ haben wir
für die nach Produktgruppen geordneten Sortimen-
te produktökologische Anforderungen zusammen-
gestellt, in sog. Produktsteckbriefen dokumentiert
und in das Tchibo Qualitätshandbuch integriert.
Sie bilden damit für Einkäufer und Qualitätsmana-
ger einen Orientierungsrahmen und gebündeltes
Know-how für die Produktentwicklung gemeinsam
mit den Produzenten.
Verbindliche Basisanforderungen sind z. B. der
Ausschluss von Lebendrupf und Zwangsernährung
von Gänsen und Enten in der Produktgruppe „Fe-
dern und Daunen“, der Ausschluss von Echtpelzen,
der Ausschluss von „Sandblasting“ und „Chemical
Blasting“ zur Erzielung des sog „Used-Look“ in der
Produktgruppe „Denim“. Basisanforderungen wie der
Verzicht auf poly- und perfluorierte Chemikalien
(sog. PFC) zur Feuchtigkeits- und Schmutzabweisung
in der Produktgruppe Bekleidung, hier insbesondere
„Outdoor-Bekleidung“ sowie auf Silberbeschichtung
mit antibakterieller Wirkung bei Wäsche, sind mit
Auslauf der letzten intern festgelegten Abverkaufs-
fristen noch in 2013 verbindlich. Die sonstigen um-
fangreichen Schadstoffverbotskataloge gehen über
die gesetzlichen Anforderungen ebenfalls hinaus.
Für die Entwicklung eines Monitoring- und Qualifi-
zierungsmodells zur ganzheitlichen Reduzierung der
produktionsökologischen Auswirkungen bei unseren
weltweiten Lieferanten für Gebrauchsartikel unter-
stützen wir den Aufbau der Gemeinschaftsinitiative
„BEPI“ (Business Environmental Performance Initia-
tive) unter dem Dach des europäischen Außenhan-
delsverbands Foreign Trade Association (FTA).
Grundlage jeder Geschäftsbeziehung mit unseren
Gebrauchsartikel-Lieferanten und seit 2006 Be-
standteil aller Einkaufsverträge ist der Verhaltens-
kodex „Social and Environmental Code of Conduct“.
Zur dauerhaften Verbesserung von Arbeitsbedin-
gungen auf Fabrikebene insbesondere in den asi-
atischen Beschaffungsmärkten reichen Kontrollen
nicht aus. Seit 2007 setzen wir – mangels anderwei-
tiger Verfügbarkeit bewährter Systeme - auf unser
gemeinsam mit der Gesellschaft für internationale
Zusammenarbeit, GIZ und dem Bundesministerium
für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick-
lung, BMZ, konzipiertes Qualifizierungsprogramm
„WE“ (Worldwide Enhancement of Social Quality).
Mit diesem Programm bringen wir Manager und Be-
schäftigte in den Produktionsstätten und unsere
Einkäufer an einen Tisch, um gemeinsam Lösun-
gen für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen
zu erarbeiten. Aufgrund der positiven Erfahrun-
gen haben wir uns entschlossen, das Programm
auf alle Kernlieferanten in unseren wichtigsten
Beschaffungsmärkten zu erstrecken. Hierfür haben
wir in den Beschaffungsmärkten Trainer rekrutiert
und diese auch in Dialogtechnik ausgebildet. Damit
einher gingen eine sozialverträgliche Reduzierung
unseres Lieferantenportfolios und die Vereinba-
rung verlässlicher, dauerhafter Lieferbeziehungen.
Begleitend engagieren wir uns in verschiedenen
Dialogforen, um Sozialstandards mit fundamentaler
FORUM Wirtschaftsethik 20. Jg., 201238
NAcHHALTIgKeIT beI TcHIbO - zUKUNFTssIcHeRUNg Des UNTeRNeHMeNs
„Lebensunterhalt deckende (gesetzliche) Mindest-
löhne“ für die Beschäftigten in den Fabriken, „Ge-
werkschafts- und Tarifverhandlungsfreiheit“ sowie
„verlässliche Gebäudesicherheit und ausreichender
Brandschutz“.
gesellschaftlicher Bedeutung auf internationa-
ler Ebene zum Durchbruch zu verhelfen. Das sind
Dialogforen im Rahmen unserer Mitgliedschaften
bei der Ethical Trading Initiative (ETI), bei Social
Accountability International (SAI), des Runden Ti-
sches Verhaltenskodizes beim Bundesministerium
für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick-
lung (BMZ) sowie im Rahmen eines internationalen
Brandschutzabkommens insbesondere für Fabriken
in Bangladesch. Sie betreffen die Sozialstandards
Abb. 5: Programm zur Durchsetzung von Sozialstandards bei Gebrauchsartikel-Lieferanten
FORUM Wirtschaftsethik 20. Jg., 2012 39
2012 THEMA
Gesellschaftliches Engagement
Bildung ist der Motor der gesellschaftlichen Ent-
wicklung. Der Zugang zu Bildung steht jedoch insbe-
sondere in Entwicklungs- und manchen Schwellen-
ländern nicht allen offen – besonders nicht Frauen
und Mädchen.
Wir beziehen viele unserer Produkte aus Entwick-
lungs- und Schwellenländern, ein größerer Anteil
unserer Mitarbeiter und Kunden sind Frauen. Unser
gesellschaftliches Engagement konzentrieren wir
deshalb auf Bildungs- und Förderaktivitäten im ge-
sellschaftlichen Umfeld unseres nachhaltigen Kernge-
schäfts am Ursprung unserer Produkte, die von Nach-
haltigkeitsstandards nicht oder –gemessen an unserer
Strategie - nicht ausreichend abgedeckt werden.
Derzeit gibt es vier solcher Projekte in unserem
Portfolio.
So fördern wir im Umfeld unserer nachhaltigen
Kerngeschäftsaktivität „Cotton made in Africa“ den
Auf- und Ausbau der schulischen Infrastruktur in
Baumwollanbaugebieten von Benin und Sambia.
Im Umfeld unseres nachhaltigen Kerngeschäfts
„Rainforest Alliance-zertifizierter Rohkaffee“ un-
terstützen wir mit unserem „Mount Kenya Project“
Gruppen von Farmerfrauen beim Bau von Wasser-
leitungen zur besseren Trinkwasserversorgung ihrer
Gemeinden und bei der Einkommensdiversifizie-
rung durch landwirtschaftliche Schulungen, An-
schaffung von Vieh, Bau von Ställen und Trainings
zur Entwicklung und Umsetzung von Geschäftside-
en. Überschüssige Erlöse aus diesen Geschäften in-
vestieren die Frauen auch in die Schulausbildung
der Waisenkinder, die sie in ihre Familien aufge-
nommen haben und sonst kaum eine Chance auf
Bildung gehabt hätten.
Zunächst in Kaffeeanbaugebieten Guatemalas
unterstützen wir Kaffeefarmer, Regierungs- und
Nichtregierungsorganisationen beim Aufbau von al-
tersgerechten, vorschulischen und schulischen Be-
treuungsangeboten für Kinder von Wanderarbeiter-
und Erntehelferfamilien.
Bisher begleiten die Kinder ihre Eltern traditionell
während der Erntezeit, die in die Schulferien fällt,
auf die Kaffeefelder, auf denen sie vielfältigen Ge-
fahren ausgesetzt sind.
Als solche Gefahr werten wir auch die Mitarbeit
beim Ernten, insbesondere wenn diese die Grenze
zur unzulässigen Kinderarbeit nach nationalen und
internationalen Normen überschreitet.
Dieses unserer Kenntnis nach weltweit bisher ein-
zigartige Alternativmodell, das wir mit der weltgröß-
ten Kinderrechtsorganisation „Save the Children“
entwickelt und bereits erfolgreich getestet haben,
wollen wir auch als unseren gesellschaftlichen Bei-
trag zur Eindämmung unzulässiger Kinderarbeit in
der Landwirtschaft tropischer Regionen verstanden
wissen. Wir hoffen, dass unser Modell für andere
Regionen und landwirtschaftliche Produkte „Schule
machen“ kann.
Mit einer Promotion in 2013 werden wir unsere
Kunden auf diese große Herausforderung aufmerk-
sam machen und sie um Unterstützung des Projekts
bitten.
FORUM Wirtschaftsethik 20. Jg., 201240
NAcHHALTIgKeIT beI TcHIbO - zUKUNFTssIcHeRUNg Des UNTeRNeHMeNs
men konnten wir unsere erstmals 2006 bilanzier-
ten Warentransport bezogenen CO2-Emissionen um
weit über 30 % verringern.
Insbesondere in der Distribution unserer Produkte
sehen wir auf dem Weg zu einem 100 % nachhalti-
gem Geschäft noch weitere Optimierungspotentiale.
Das schließt die Kompensation nicht vermeidba-
rer Emissionen durch nachhaltige Klimaschutzpro-
jekte - die auch ökonomische Nachhaltigkeit vor-
ausgesetzt – ein.
Alle von uns betriebenen Logistikstandorte ein-
schließlich der zwei Distributionszentren, unsere
zwei Kaffeeröstereien sowie die Filialen in Deutsch-
land und unsere Hauptniederlassung werden zudem
mit Strom aus regenerativer Energie versorgt.
Nachhaltige Logistik
Wichtiger Bestandteil in der Logistik sind die
Transporte. Um diese effizient und nachhaltig zu
steuern, liegt der Schwerpunkt unseres Verkehrs-
trägerkonzepts auf dem Seeweg und auf Intermo-
daltransporten. Als Steuerungstools dienen dabei
eine umfassende, jährliche CO2-Bilanzierung sowie
die Zusammenarbeit mit ausgewählten Dienstleis-
tern.
Nicht alle Transporte auf der Straße lassen sich
vermeiden. Zur Reduzierung klimaschädlicher
Emissionen nutzen wir bei der Kundenbelieferung
im Versandgeschäft das für unsere Kunden kosten-
lose Programm „GoGreen“ der Deutschen Post DHL.
Unsere Lagerstruktur haben wir vollständig überar-
beitet. Das Zentrallager liegt nun in Bremen mit ei-
ner guten Anbindung an die Importhäfen Bremer-
haven und Hamburg. So kann auf kürzestem Weg
eine maximale Menge per Bahn und Binnenschiff
transportiert werden.
Mit dem Aufbau eines Supply Chain Management
Systems haben wir alle Warenströme und Vertriebs-
wege im Blick und können Synergien effektiv nut-
zen. Eine an der Nachfrage orientierte Warensteue-
rung und ein durchgehendes Bestandsmanagement
im Gebrauchsartikelsortiment und bei den Kaffee-
produkten verhindert Fehlverteilungen und unnö-
tige Transporte.
Ein komplett überarbeiteter Retourenprozess er-
möglicht eine maximale Wiederverwendungsquote.
Mit all diesen und weiteren Optimierungsmaßnah- Abb. 6: Handlungsfelder der Tchibo Logistik
FORUM Wirtschaftsethik 20. Jg., 2012 41
2012 THEMA
Mit dem eigenen, ok Power-zertifizierten Strompro-
dukt aus norwegischer Wasserkraft ist Tchibo zugleich
sein eigener grüner Stromversorger und bietet dieses
Produkt auch den Endverbrauchern zum Kauf an.
Der durchschnittliche CO2-Emissionswert der
Fuhrparkflotte im Außendienst beträgt derzeit 127
g/km. Eine Einkaufsrichtlinie für Dienstfahrzeu-
ge der Vorstände und leitenden Angestellten legt
die Obergrenze ab Sommer 2013 auf 140 g/km mit
jährlichen Reduktionswerten von 5 g/km für Neu-
bestellungen in den nächsten Jahren fest. Darüber
hinaus unterstützen wir Vorhaben zur Erprobung
alternativer Antriebstechnologien, so mit derzeit 3
Elektrofahrzeugen unseres Fahrzeugpools an unse-
rem Hauptniederlassungsstandort.
Sozialverantwortung gegenüber den Beschäftigten
Tchibo überrascht. Mit immer neuen Ideen, die wir
durch die Leidenschaft und den großen Einsatz un-
serer Mitarbeiter bis ins Verkaufsregal bringen.
Als Familienunternehmen bieten wir ein Bündel
freiwilliger Sozialleistungen, sorgen für die Verein-
barkeit von Beruf und Familie, für die Gesundheit
sowie Aus- und Weiterbildung unserer Mitarbeiter.
Auch das ist Grundvoraussetzung für einen lang-
fristigen Unternehmenserfolg.
Seit 2006 kooperieren wir mit Hamburger Kinder-
tagesstätten. Derzeit werden 43 Kinder von Tchi-
bo Mitarbeitern unserer Hauptniederlassung durch
ausgebildete Erzieherinnen betreut. 2011 hat Tchi-
bo als erstes bundesweites Handelsunternehmen
von der berufundfamilie gGmbH das Zertifikat
„familienbewusster Arbeitgeber“ erhalten. Tchibo
zählt zu den familienfreundlichsten Unternehmen
in Deutschland. Das ist das Ergebnis des Unterneh-
menswettbewerbs „Erfolgsfaktor Familie 2012“, der
vom Bundesministerium für Familie, Frauen und
Jugend ausgeschrieben wurde.
Wir investieren in ein gesundheitsverträgliches
Arbeitsumfeld. Dazu gehören eine ergonomische
Arbeitsplatzgestaltung, ein eigenes Mitarbeiter-
restaurant mit Essensangeboten aus Produkten des
biologischen Landbaus, klimaverträglichen Menüs
und vegetarischen Alternativen sowie Sport und
Fitnessangebote im eigenen Freizeitzentrum. Mit
diesen und umfangreichen Beratungsangeboten
im Rahmen unseres Gesundheitsmanagements ver-
suchen wir auch, nicht vermeidbaren physischen
und psychischen Belastungen der Mitarbeiter im
Arbeitsalltag zu begegnen.
Wir sind auch für diejenigen Beschäftigten so-
zial verantwortlich, die für und mit uns arbeiten,
jedoch in keinem direkten Arbeitsverhältnis zu un-
serem Unternehmen stehen.
Das fängt in der Wertschöpfungskette mit den
Beschäftigten unserer Partner am Ursprung unserer
Produkte an, setzt sich mit den Beschäftigten von
Vertragspartnern, an die wir wichtige Teile unse-
rer weiteren Wertschöpfung übertragen, fort und
hört mit Beschäftigten in Dienstleistungsbereichen
z. B. mit saisonalen oder beschäftigungsbedingten
Schwankungen der Arbeitsintensität auf.
Entsprechende Verträge mit Dienstleistern werden
von uns regelmäßig überprüft. Das schließt die Si-
cherstellung einer fairen Bezahlung der Beschäftig-
ten dieser Vertragspartner ein.
FORUM Wirtschaftsethik 20. Jg., 201242
Verbraucherschutz und Verbraucherverantwor-
tung sind jedoch die zwei Seiten derselben Me-
daille. Mit seiner Nachfrage nach nachhaltigen
Produkten und seiner bewussten Kaufentscheidung
beeinflusst der Verbraucher Breite und Tiefe der
Maßnahmen sowie Geschwindigkeit der Maßnah-
menumsetzung im Nachhaltigkeitsmanagement von
Unternehmen und unterstützt so das Programm.
Hierzu bedarf es jedoch erheblich deutlicherer
Anstrengungen aller Unternehmen, Nachhaltigkeit
angemessen zu erklären. Das ist in unserer komple-
xen, schnelllebigen Welt nicht immer einfach.
Darüber hinaus ist die Standard- und Siegelviel-
falt bei nachhaltigen Produkten selbst für Nach-
haltigkeitsexperten verwirrend. Kontroverse, in
der Öffentlichkeit ausgetragene Diskussionen über
die vermeintlichen Wertunterschiede von Nachhal-
tigkeitsstandards und ihrer Siegel verunsichern
zusätzlich.
Das gilt jedenfalls für in gesellschaftlichen Kon-
sensprozessen entwickelte Standards. Mit Blick auf
die immer noch vergleichsweise kleinen Anteile
nachhaltiger Produkte am Weltmarkt ist hier Be-
darf und Raum für alle.
Wenn uns eine in diesem Sinn glaubhafte, leicht
verständliche und sympathische Kommunikation
von Nachhaltigkeit gegenüber den Verbrauchern
gelingt, werden wir es auch schaffen, die selbst-
bewussten, nachhaltig handelnden Produzenten
weltweit mit den wissenden, nachhaltig konsumie-
renden Kunden unter unserer Marke Tchibo zu ver-
bünden. Erst dann haben wir die Aufgaben eines
nachhaltigen Handelsunternehmens und unsere
ambitionierten Ziele zu 100 % erfüllt.
Verbraucherschutz und Verbraucherver-antwortung einschließlich Förderung des nachhaltigen Konsums
Durch ihre Kaufentscheidung sichern unsere Kun-
den jeden Tag auf Neue unseren Umsatz und Ge-
winn. Nur so können wir nachhaltig wachsen und
unseren Beitrag zur gesellschaftlichen Entwicklung
in der globalisierten, arbeitsteiligen Welt leisten,
heute und in Zukunft.
Wir streben also nicht nach Wachstum um jeden
Preis, sondern verbinden Umsatz- und Gewinnstre-
ben mit ökologischer und sozialer Verantwortung
zu einem organischen Wachstum. Das schafft zu-
sätzliches Vertrauen in unsere Marke Tchibo.
So war es konsequent, dass wir den Verbraucher-
schutz, hier insbesondere den Datenschutz und das
strategische Servicemanagement in das Nachhaltig-
keitsspektrum eingeordnet haben.
Der betriebliche Datenschutzbeauftragte ist Mitar-
beiter im Direktionsbereich Unternehmensverant-
wortung und wacht über den Schutz personenbezo-
gener Daten unserer Kunden und Mitarbeiter.
Unser Servicemanagement soll exzellent sein und
als exzellent wahrgenommen werden. Unsere Wer-
beversprechen sollen ehrlich und nicht verwirrend
sein und gegen entsprechende Leistung eingelöst
werden können. Sollte es dennoch Grund zur Kun-
denbeschwerde geben, soll diese schnell, unbüro-
kratisch und im Sinne des Kunden behoben werden.
Wir verstehen Kundenbeschwerden als „kostenlose
Unternehmensberatung“, begeisterte Kunden sind
unser Kapital.
NAcHHALTIgKeIT beI TcHIbO - zUKUNFTssIcHeRUNg Des UNTeRNeHMeNs
FORUM Wirtschaftsethik 20. Jg., 2012 43
2012
In Bezug auf die Verbraucher von heute werden
wir unsere Kommunikation am sog. Point of Sale
deutlich verbessern.
Unser gesellschaftliches Engagement am Ur-
sprung unserer nachhaltigen Produkte kann den
Produkten „Gesichter“ verleihen und Nachhaltig-
keit authentischer und damit auch verständlicher
erklären, als es Nachhaltigkeitsstandards und ihre
Siegel derzeit vermögen.
Mit Blick auf die Verbraucher von morgen brau-
chen wir deutlich verstärkte Anstrengungen in Be-
zug auf Wissensvermittlung über verantwortungs-
voll hergestellte Produkte auch über den engeren
Kreis ökologischer und sozialer Indikatoren hinaus.
Diese Wissensvermittlung setzt idealer Weise in der
vorschulischen und schulischen Bildung an, ohne
für Produkte einzelner Unternehmen zu werben.
Deswegen unterstützen wir seit 2013 aktiv das
neue „Bündnis für Verbraucherbildung“ der Deut-
schen Stiftung Verbraucherschutz.
Schluss
Auf unserem Weg zu einem 100 % nachhaltigen
Geschäft sind wir noch lange nicht am Ziel. Wenn
wir auf dem bisherigen Weg Fehler gemacht haben,
haben wir sie schnellstmöglich korrigiert. Fehler-
frei werden wir vermutlich auch auf unserem weite-
ren Weg nicht sein.
Wir bedanken uns bei allen gesellschaftlichen An-
spruchstellern unseres Unternehmens für ihr Ver-
trauen und für die bisherige wie zukünftige Unter-
stützung. In diesen Dank schließen wir ausdrücklich
auch die kritischen ein. Denn: Konstruktive Kritik ist
für uns immer auch Ansporn, es besser zu machen.
Weiter und tiefer gehende Informationen:
www.tchibo-nachhaltigkeit.de
mit zusätzlichen Verlinkungen zu Publikationen des
Unternehmens
Vgl. auch Achim Lohrie in Alexandra Hildebrandt/
Hauke Schwiezer (Hsg), Gesichter der Nachhaltigkeit,
abcverlag 2012, S. 202 ff und
Achim Lohrie in Norbert Taubken/Delia Schindler/Ste-
fan Prigge (Hsg), Unternehmensverantwortung wirkt,
oekom Verlag 2012, S. 116 ff
In diesem Text wird der Einfachheit halber die männliche
Form verwendet. Die weibliche Form ist selbstverständ-
lich immer mit eingeschlossen.
Achim Lohrie
Leiter des Bereichs Unternehmensverantwortung
der Tchibo GmbH, Hamburg
Abb. 7: Nachhaltige Produktion und nachhaltiger Konsum
FORUM Wirtschaftsethik 20. Jg., 2012
Vertrauen und CSR in wirtschaftsethischer Perspektive
Andreas Suchanek / Joachim Fetzer
44
FORUM Wirtschaftsethik 20. Jg., 2012
2012 1. Die Fragestellung
Corporate Social Responsibility (CSR) boomt – in
Theorie und Praxis. Auch die Politik hat längst das
Thema entdeckt, wobei man sich in Deutschland zu-
nächst nur zögerlich darauf eingelassen hat. Der ge-
sellschaftliche Vertrauensverlust durch die Finanz-,
Wirtschafts-, Währungs- und Staatsschuldenkrise
gab dem Thema einen neuen Schub. Typisch hierfür
sind Aussagen wie im Aktionsplan CSR der Bundes-
regierung: „CSR ist in Finanz- und Wirtschaftskrisen
wichtig, um das Vertrauen in die Wirtschaft wieder
herzustellen“ (BMAS 2010, S. 10).
Doch auch die Skepsis bleibt: Die Skepsis in
Teilen der Zivilgesellschaft, dass CSR nur ablenke
von den wirklichen Missständen. Nicht unberech-
tigt erscheint auch die Skepsis, dass der Satz „CSR
müsse am Kerngeschäft ansetzen“ zwar zum Allge-
meinplatz geworden sei, aber in der Praxis oft nicht
viel mehr bedeute, als dass beispielsweise die CSR-
Projekte der entsprechenden Abteilung oder der
Unternehmensstiftung einen thematischen Bezug
zum Kerngeschäft aufwiesen. Mit dem eigentlichen
Kerngeschäft habe dies doch wenig zu tun.
Kann CSR Vertrauen wieder herstellen? Und was
bedeutet CSR dann? Diese Fragen seien im Rahmen
einiger grundsätzlicher wirtschaftsethischer Über-
legungen erörtert.
2. Wertschöpfung als Raison d’être von Unternehmen
Welches ist der wirtschaftsethische Rahmen,
der hier zugrunde gelegt werden soll? Gesell-
schaft kann verstanden werden als „Unternehmen
der Zusammenarbeit zum gegenseitigen Vorteil“
(Rawls 1979, 105). Die wirtschaftsethische Hand-
lungsmaxime, die dies reflektiert, ist eine refor-
mulierte und erweiterte Fassung der Goldenen
Regel: Investiere in die Bedingungen der gesell-
schaftlichen Zusammenarbeit zum gegenseitigen
Vorteil! (Suchanek 2007)
Gesellschaftliche Zusammenarbeit ist konkret zu
gestalten und erfordert permanent Beiträge der Ge-
sellschaftsmitglieder in Form produktiver Arbeit,
die ihrerseits typischerweise in Organisationen und
oft über Märkte koordiniert wird. Die spezifische
gesellschaftliche Aufgabe von Unternehmen ist es,
Wertschöpfungsprozesse zu organisieren und auf
diese Weise die gesellschaftliche Zusammenarbeit
zu fördern. Dies sollte in einer Weise geschehen,
dass dabei niemand geschädigt wird. Diese Ein-
schränkung ist wichtig, denn sonst ließe sich auch
die Mafia legitimieren, da auch sie Wertschöpfung
betreibt, aber eben auf Kosten Dritter, was die ge-
sellschaftliche Zusammenarbeit zum gegenseitigen
Vorteil konterkariert.
Erwünschtermaßen sollen Unternehmen diese Auf-
gabe der Wertschöpfung unter Wettbewerbsbedin-
gungen erfüllen. Die Begründung hierfür liegt darin,
dass Wettbewerb, wo er existiert, die Unternehmen
dazu zwingt, erstens Produkte und Dienstleistungen
anzubieten, welche sich an den Wünschen der Koope-
rationspartner orientieren, da diese ansonsten zum
Konkurrenten abwandern, zweitens effizient mit ih-
ren Ressourcen umzugehen sowie drittens stets nach
neuen, innovativen Möglichkeiten zu suchen, beides
zu verbessern. Zusammenarbeit ohne Schädigung
Dritter erfordert viertens, dass Unternehmen entste-
hende Risiken und Kosten auch selber zu tragen be-
reit sind und diese nicht auf Unbeteiligte ohne deren
Einverständnis abwälzen (vgl. Fetzer 2004, 180ff). In
diesem Zusammenhang kann Wettbewerb auch Kon-
flikte und den Druck erzeugen, Kosten und Risiken
nicht nur zu vermeiden, sondern evtl. auch zu exter-
nalisieren, wenn sich dafür Möglichkeiten ergeben.
Es gehört zu den grundlegenden Herausforderungen
der Unternehmensethik (und in praktischer Hinsicht:
der Unternehmensführung), dieser Ambivalenz von
Wettbewerb gerecht zu werden.
DISKURS
45
FORUM Wirtschaftsethik 20. Jg., 2012
Dies gilt umso mehr, da an sich nicht Wettbe-
werb, sondern Kooperation die primäre Quelle un-
ternehmerischer Wertschöpfung ist.
Diese ist zwingend auf zahlreiche Beiträge diver-
ser Kooperationspartner angewiesen: Kunden, Mit-
arbeiter, Zulieferer, Kapitalgeber, Behörden usw.. Da
Kooperationspartner aber nicht zur Kooperation ge-
zwungen werden können, müssen Unternehmen die
jeweiligen Akteure für die Kooperation gewinnen.
Hier kommt die Bedeutung des Vertrauens ins Spiel.
Unternehmen versuchen, Kooperationspartner zu ge-
winnen, indem sie ihnen eine hinreichend1 attraktive
Gegenleistung für ihren Wertschöpfungsbeitrag ver-
sprechen: durch Werbespots, Anzeigen, Stellenaus-
schreibungen, aber auch Geschäftsberichte, Präsen-
tationen, Mitgliedschaften und anderes mehr. Diese
Versprechen sind indes wirkungslos, sofern nicht eine
notwendige Bedingung erfüllt ist: dass die jeweiligen
Kooperationspartner das Vertrauen haben, dass diese
Versprechen auch erfüllt werden. Es ist wichtig zu
erkennen, dass es erst diese Vertrauenserwartung ist,
die Versprechen „funktionieren“ lässt.
Niemand arbeitet freiwillig mit einem Unterneh-
men zusammen, das er als nicht vertrauenswürdig
ansieht. Und sollte man doch einmal darauf an-
gewiesen sein, wird man versuchen, sich so weit
wie möglich abzusichern und zurückhaltend sein
mit dem Einbringen eigener Leistungen. Schon
diese elementare Überlegung macht deutlich, wie
wertvoll Vertrauen bzw. Vertrauenswürdigkeit für
Unternehmen ist: Nachhaltige unternehmerische
Wertschöpfung, die Raison d’être von Unterneh-
men, ist ohne Vertrauen nicht möglich. Insofern
lässt sich auch plausibilisieren, dass der Erhalt
der Vertrauenswürdigkeit als Basis erfolgreicher
Wertschöpfung den eigentlichen Kern von Unter-
nehmensverantwortung ausmacht. Als Imperativ
formuliert: Gesetze sind einzuhalten und Verspre-
chen sind zu halten! Beides ist die Grundlage von
Vertrauenswürdigkeit.
3. Relevante Inkonsistenzen
Nicht jedes Versprechen kann gehalten werden,
nicht jede Regel wird exakt eingehalten – und das
wird auch nicht erwartet. Im unternehmerischen
Alltag kommt es zu beliebig vielen, kleinen und
größeren Inkonsistenzen, auch Widersprüchen,
Unstimmigkeiten, Enttäuschungen, doch nicht
alle sind bedeutsam. Auch hängt es stets von den
Umständen ab, ob Regeln befolgt und Versprechen
gehalten werden. Die Frage ist mithin, was eine –
im Hinblick auf Vertrauen und Vertrauenswürdig-
keit – relevante Inkonsistenz ist.
Als relevant seien jene Inkonsistenzen bezeich-
net, die von Vertrauensgebern als „Widerlegung“
von Vertrauenswürdigkeit wahrgenommen und
interpretiert werden, die mit anderen Worten zu
einer Gefährdung, wenn nicht Erosion des Vertrau-
ensverhältnisses führen.
Einen wirklich objektiven Maßstab, was als re-
levante Inkonsistenz anzusehen ist, dürfte es
nicht geben. Zwar gibt es genügend Fälle, in de-
nen man mit einiger Sicherheit eine weitgehende
Übereinstimmung in der Beurteilung finden wird:
Hierzu gehören wohl die aktive Verletzung von
Menschenrechten, Korruption, Bilanzfälschung,
Vernachlässigung von Sicherheitsstandards, die
Mensch oder Natur gefährden und natürlich auch
das Nicht-Halten konkreter Versprechen gegen-
über Kooperationspartnern, die sich dadurch ge-
schädigt sehen. Jedoch hängt es von einer Viel-
zahl situativer Umständen und Konsequenzen für
beide, Vertrauensgeber und Vertrauensnehmer, ab,
ob der Bruch eines Versprechens bzw. einer recht-
lichen oder moralischen Norm als relevant einge-
stuft wird oder nicht.
VeRtRaUen Und CSR in wiRtSChaFtSethiSCheR PeRSPektiVe
1 Mit dem Begriff „hinreichend“ wird angedeutet, dass es immer auch eine Frage der relevanten Alternativen, insbesondere der Wettbewerbskonstellation, ist, wie attraktiv die Gegenleistung sein sollte.
46
FORUM Wirtschaftsethik 20. Jg., 2012
2012 4. Vertrauenswürdigkeit und CSR
Vertrauenswürdigkeit hat viele Facetten, zumal
es wie Reputation eine relationale Eigenschaft ist:
Es ist immer auch eine Frage des Beobachters, ins-
besondere des möglichen Vertrauensgebers, ob Ver-
trauenswürdigkeit zugeschrieben wird oder nicht –
und damit: was als vertrauenswürdig gilt (und dann
evtl. entsprechend erwartet wird) und was nicht.
Mit einiger Plausibilität lassen sich drei Aspekte
von Vertrauenswürdigkeit unterscheiden, die in je-
weils sehr unterschiedlicher Weise den Unterneh-
mensalltag bestimmen, für den Erhalt von Vertrau-
enswürdigkeit bedeutsam sind und zum üblichen
„Set“ von CSR-Aktivitäten gehören.
Ein erster Aspekt ist Kompetenz. Hierbei geht es
schlicht um die Fähigkeit, die eingangs genannten
Kernaufgaben unternehmerischer Verantwortung
wahrnehmen zu können, nämlich die (richtigen)
Produkte und Dienstleistungen bereitzustellen und
dabei Effizienz und Innovativität walten zu lassen.
Das Bemühen um diese Kompetenz – und die Aus-
einandersetzung mit vielfältigen Störungen – ist
(idealerweise) Gegenstand der tagtäglichen Verant-
wortung nicht nur der Führung, sondern aller Mit-
arbeiter eines Unternehmens. Relevante Inkonsis-
tenzen in diesem Bereich – vielleicht auch aufgrund
unrealistischer Selbst- und Markteinschätzungen
des Unternehmens – unterminieren auf Dauer das
Vertrauen aller Kooperationspartner. Dieser Aspekt
der Unternehmensverantwortung wird selten als un-
mittelbar moralrelevant eingestuft.
Das mag daran liegen, dass Unternehmen häu-
fig als mehr oder minder determinierte Gebilde, als
ausschließlich rendite-orientierte Geldverwertungs-
maschinen oder als verlängerter Arm der Unterneh-
mensleitung angesehen werden. Unternehmen sind
aber höchst komplexe Interaktionssysteme, die
in hohem Maße an der menschlichen Freiheit im
Positiven wie im Negativen partizipieren (vgl. Fet-
zer 2004, S. 144-158) und deren Konstitution als
verlässlicher, verantwortungsfähiger und dann ver-
trauenswürdiger Akteur ihre eigene Aufgabe und
Chance ist (vgl. Fetzer 2004, S. 229-259).
Spätestens dann, wenn schlechte oder falsche
Produkte, mangelnde Effizienz oder verschleppte
Innovationen zur Insolvenz führen, wenn also Kre-
dit- und also Vertrauensgeber enttäuscht werden
und Mitarbeiter durch Arbeitsplatzverlust sich um
ihre verständlichen Erwartungen auf sichere Arbeits-
plätze betrogen fühlen, spätestens dann wird die
moralische Dimension dieser Verantwortung sichtbar.
Gleichwohl: In der Debatte über CSR als Unter-
nehmensverantwortung spielt Kompetenz eine
auffallend geringe Rolle. Sie wird vermutlich als
selbstverständlich vorausgesetzt. Vielleicht ist das
der inhaltliche Grund für die einleitend formulierte
Skepsis, dass CSR allzu fern vom betrieblichen All-
tag sei.
Ein weiterer für Kooperationsbeziehungen zen-
traler Aspekt von Vertrauenswürdigkeit bezieht
sich auf Nicht-Opportunismus als Bereitschaft
und Fähigkeit des Vertrauensnehmers, situativen
„Versuchungen“ des Missbrauchs von Vertrauen zu
widerstehen, d.h. sich nicht Vorteile zu Lasten des
Vertrauensgebers zu verschaffen, beispielsweise
durch Verzögerung der Zahlungen an Lieferanten,
Auslieferung von Produkten minderer Qualität als
angekündigt, fehlende Überprüfung von Standards
bei Zulieferern. In allgemeinerer Form kann dies
auch beschrieben werden als Bereitschaft und Fä-
higkeit des Vertrauensnehmers, die Interessen des
Vertrauensgebers in angemessener Weise bei seinen
Handlungen zu berücksichtigen.
Dieser Aspekt ist für eine nachhaltige Wertschöp-
fung von grundlegender Bedeutung. Ein Vertrau-
ensgeber wird nur bereit sein wird, durch eine ris-
DISKURS
47
FORUM Wirtschaftsethik 20. Jg., 2012
kante Vorleistung in die Kooperationsbeziehung bzw.
in die gemeinsame Wertschöpfung zu „investieren“,
wenn er die (Vertrauens-) Erwartung hat, dadurch
nicht benachteiligt oder geschädigt zu werden. In die-
ser „Verletzlichkeit“ des Vertrauensgebers wird in der
Literatur oft das wichtigste Merkmal von Vertrauen ge-
sehen (vgl. etwa Bigley/Pearce, 1998, 406 ff).
Es gibt gute Gründe zu behaupten, dass Nicht-Oppor-
tunismus (gegenüber dem direkten Kooperationspart-
ner) für die alltägliche Wertschöpfung den wichtigs-
ten Bestandteil gelebter Unternehmensverantwortung
darstellt. Nicht zuletzt ist dies die vielleicht größte
Herausforderung: Schon einleitend wurde erwähnt,
dass der grundsätzlich erwünschte Wettbewerb durch-
aus auch Anreize bietet, Kosten und vor allem Risiken
möglichst zu externalisieren. Hier liegen vielfältige
alltägliche Dilemmasituationen (und häufig vor Ge-
richten ausgetragene Konflikte).
Dieser Aspekt der Vertrauenswürdigkeit taucht zwar
zunehmend in der CSR-Diskussion auf, z.B. wenn Kun-
den- und Mitarbeiterbeziehungen oder auch faire Ge-
schäftspraktiken ausdrücklich thematisiert werden, wie
dies z.B. in der ISO 26.000 der Fall ist. Doch ob die sys-
tematische Bedeutung dieses Aspekts und seine Impli-
kationen für Unternehmen immer schon gesehen wird,
darf bezweifelt werden.
Der dritte Aspekt von Vertrauenswürdigkeit sei hier
als Rechtschaffenheit charakterisiert: Es geht dabei
darum, rechtliche und moralische Regeln und Standards
einzuhalten, die dem Schutz der berechtigten Interessen
Dritter dienen. Dies können andere Vertrauensgeber, aber
auch „bloß“ Betroffene sein: Anrainer bei Lärmbelästi-
gungen eines Restaurants oder industrieller Gewässerver-
schmutzung, der Fiskus beim Thema Steuerehrlichkeit,
künftige Generationen beim Thema Klimaschutz.
Auch kann eine Kooperation mit einem spezifischen
Partner, z.B. einem Investor oder einem Kunden, durch-
aus erfolgreich durchgeführt werden, jedoch in einer
Weise, die zu Lasten Dritter geht. Dies kann durch Ver-
letzung von rechtlichen Vorschriften geschehen, aber
auch durch Nicht-Beachtung moralischer (sozialer,
ökologischer) Standards und Normen, gerade wenn
die rechtlichen Vorschriften in den betreffenden Re-
gionen nicht oder nur rudimentär existieren bzw.
ihre Durchsetzung unter Vollzugsdefiziten leidet.
Dies muss nicht zwingend die jeweilige konkrete Ko-
operation, z.B. mit Kunden, beeinträchtigen, insbe-
sondere, wenn der betreffende Kooperationspartner
von der Beeinträchtigung der (legitimen) Interessen
Dritter nichts weiß bzw. sich dafür nicht interessiert
und die Beeinträchtigung nicht publik wird.
Es ist wohl vor allem dieser Aspekt von Vertrau-
enswürdigkeit, auf den die Diskussion – und Imple-
mentation – von CSR im Wesentlichen bezogen ist.
Zwar soll CSR am Kerngeschäft ansetzen, doch geht
es inhaltlich eben doch meist nicht um das „nor-
male“ Kerngeschäft und die damit verbundenen
Entscheidungen, Prozesse und Strukturen, nicht
um Vertrauenswürdigkeit als (direkter) Koopera-
tionspartner aufgrund von Kompetenz und Nicht-
Opportunismus. Sondern es geht um die Vertrau-
enswürdigkeit als gesellschaftlich konstituierter
(korporativer) Akteur, dem Freiheit – die „licence to
operate“ – zugebilligt wird in der (Vertrauens-) Er-
wartung, dass diese Freiheit nicht zu Lasten Dritter
missbraucht wird durch die Nicht-Berücksichtigung
sozialer oder ökologischer Standards oder andere
Formen der Externalisierung von Kosten auf Dritte
(vgl. hierzu Suchanek 2007, S. 70 ff., 135 f.). Für
global agierende Unternehmen stellt sich in diesem
Zusammenhang die erhebliche Schwierigkeit, unter
Wettbewerbsbedingungen die Frage zu beantwor-
ten, welche sozialen und ökologischen Standards
erfüllt sein sollten und wie sie mit Nicht-Erfüllung
und eventuell Nicht-Erfüllbarkeit umgehen.
Es sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass
nach der hier vertretenen Auffassung die mit die-
sem Aspekt von Vertrauenswürdigkeit verbundene
Verantwortung von Unternehmen eher negativ be-
VeRtRaUen Und CSR in wiRtSChaFtSethiSCheR PeRSPektiVe
48
FORUM Wirtschaftsethik 20. Jg., 2012
2012stimmt sein sollte nach dem Grundsatz „neminem
laedere“ – niemandem zu schaden – und die posi-
tive Bestimmung der Verantwortung im Kernbereich
der Wertschöpfung zu belassen. Andernfalls gibt es
praktisch keine Möglichkeit, die Grenzen der Unter-
nehmensverantwortung angemessen zu bestimmen
und damit Unternehmen der ständigen Gefahr der
Überforderung auszusetzen (s. hierzu Lin-Hi 2009).
5. Die Herausforderung glaubwürdiger Kommunikation
Vertrauenswürdigkeit lässt sich bestimmen als
dreifache Erwartung: als die Erwartung von Kom-
petenz, von Nicht-Opportunismus und von Recht-
schaffenheit. Um Vertrauenswürdigkeit zu erhalten,
ist es wichtig, relevante Inkonsistenzen zwischen
Erwartung und Verhalten zu vermeiden bzw. glaub-
würdige Antworten bereit zu haben, wenn es doch
zu einer solchen Inkonsistenz kommt.
Als das entscheidende Mittel zur Vermeidung
relevanter Inkonsistenzen ist Selbstbindung an-
zusehen. Damit sind Strukturen, Regeln oder Dis-
positionen gemeint, die einem (individuellen oder
korporativen) Akteur in einer konkreten Situation
bestimmte Handlungsoptionen unmöglich oder
hinreichend unattraktiv machen. Zu den Beispielen
hierfür gehören Verträge ebenso wie Compliance-
Systeme, Mitgliedschaften in Organisationen, die
Vertrauenswürdigkeit verleihen können, indem sie
bestimmte Verhaltensstandards von ihren Mitglie-
dern einfordern und dies ggf. auch überprüfen.
Zu den Möglichkeiten der Selbstbindung gehört,
dass Unternehmen sich selbst bestimmte Hand-
lungsmöglichkeiten beschneiden, indem sie sich
von bestimmten Marktsegmenten, Formen der
Wertschöpfung, Regionen etc. fernhalten. Vor al-
lem aber gehören die vielfältigen internen Struk-
turen und Prozesse – von der Revision und anderen
Kontrollverfahren bis hin zu entsprechenden Maß-
nahmen der Weiterbildung und Führungskräfte-
entwicklung – dazu, durch welche Selbstbindung
Wirklichkeit wird.
Allerdings reicht es in der Regel nicht, sich nur
selbst zu binden; Unternehmen müssen auch in der
Lage sein, ihre Kommunikation auf den Erhalt von
Vertrauenswürdigkeit abzustellen. Dies erweist sich
als beträchtliche Herausforderung.
Diese Herausforderung ergibt sich zum einen aus
einer elementaren Asymmetrie: Die Kommunikati-
on von Maßnahmen, die Vertrauenswürdigkeit si-
gnalisieren, hat in der Regel keinen Informations-
wert: Es ist ja das, was man erwartet. Mehr noch:
Das explizite Herausstellen der eigenen Vertrauens-
würdigkeit wirkt eher kontraproduktiv und kann
den „Motivverdacht“ (Japp 2010, S. 281) hervorru-
fen, d.h. der Vertrauensgeber fragt sich, warum der
Vertrauensnehmer seine eigene Vertrauenswürdig-
keit glaubt kommunizieren zu müssen und kommt
auf die naheliegende Vermutung: in strategischer
Absicht – was die Möglichkeit des Opportunismus
bewusst(er) werden lässt. Und eine Kommunikation
nach dem Motto: „Ein weiterer Monat, an dem unser
Unternehmen nicht in Korruption verstrickt war“,
ist offensichtlich auch nur in Grenzen umsetzbar.
Insofern ist es wenig verwunderlich, dass Un-
ternehmen auf die Idee kamen, ihre Verantwort-
lichkeit bzw. Vertrauenswürdigkeit durch positive
Maßnahmen – Spenden, Pro-bono-Aktivitäten,
Corporate-Volunteering-Programme usw. – zu kom-
munizieren. Diese können zwar für sich genommen
sinnvoll sein, etwa aus Gründen des Marketing oder
des Personalmanagements. Sie sind jedoch in der
Regel ungeeignet, Vertrauenswürdigkeit im hier
beschriebenen Sinne zu signalisieren, da sie nicht
am Kern der damit verbundenen Herausforderung:
der Vermeidung relevanter Inkonsistenzen, ansetzen
und überdies leicht imitierbar sind durch Akteure,
die nicht vertrauenswürdig sind (dies aber gern si-
gnalisieren möchten). In manchen Fällen können
DISKURS
49
FORUM Wirtschaftsethik 20. Jg., 2012
solche Strategien sogar kontraproduktiv wirken (s.
hierzu Lin-Hi 2009, Lin-Hi/Suchanek 2011). Dies
ist insbesondere dann der Fall, wenn die Selbstdar-
stellung, die mit diesen Maßnahmen versucht wird,
nicht konsistent ist mit beobachtbaren Verhaltens-
weisen des Unternehmens in anderen Bereichen, das
nicht den Erwartungen an Nicht-Opportunismus und
Rechtschaffenheit entspricht – die Vertrauenswür-
digkeit eines Akteurs ist grundsätzlich unteilbar.
In diesem Zusammenhang sei ein weiterer wich-
tiger Punkt herausgestellt: die Bedeutung gemein-
samer Maßstäbe von Vertrauensgeber und -neh-
mer. Schon im Kernbereich von unternehmerischer
Kompetenz, aber auch im Themenfeld „Nicht-Op-
portunismus“ ist ein gemeinsames Verständnis von
Produktqualitäten, wechselseitigen Erwartungen
in Arbeitsbeziehungen usw. keine leichte Aufgabe.
Dies gilt aber umso mehr für den hier als „Recht-
schaffenheit“ bezeichneten und für CSR entschei-
denden Bereich. Gerade weil in der heutigen Ge-
sellschaft die „Lebenswelten“, Erfahrungen und
Perspektiven der Menschen sehr unterschiedlich
sind und man trotzdem durch wirtschaftliche oder
politische Interdependenzen miteinander verbun-
den ist, wird es zu einer enormen Herausforderung,
solche gemeinsamen Maßstäbe zu entwickeln.
Der durchschnittliche Kunde kann kaum Einsicht
haben in die Bedingungen, unter denen ein global
agierendes Unternehmen heute seine Wertschöp-
fung betreibt – und doch haben Kunden, genau wie
andere Stakeholder, Vertrauenserwartungen, die
sich heute in zunehmendem Maße nicht mehr nur
allein (wenngleich nach wie vor vorrangig) auf die
konkreten, ihnen gegenüber abgegebenen Verspre-
chen beziehen, sondern auch auf Aspekte dessen,
was hier mit Rechtschaffenheit bezeichnet wurde
und die Berücksichtigung von sozialen und ökolo-
gischen Gesichtspunkten betrifft.
Folgerichtig werden die verschiedenen Formen
von Stakeholderdialogen bedeutsam, in denen es
nicht nur darum gehen kann, gemeinsame Wert-
vorstellungen auszumachen und zu bestärken, fast
noch wichtiger ist es, wechselseitig ein Verständnis
für die Handlungssituation des je anderen – man
könnte auch sagen: eine gewissen Vertrautheit –
zu schaffen. Aber auch hier zeigt sich wieder die
Schwierigkeit, dass entsprechende Angebote von
Unternehmen unter Umständen von vornherein
dem Verdacht unterliegen, in strategischer Absicht
zu geschehen (vgl. Leisinger 2009).
6. Abschließende Überlegungen
Kann CSR verloren gegangenes Vertrauen wieder
herstellen? Die Frage kann sicher nicht abschlie-
ßend beantwortet werden – alleine schon deshalb,
weil aktuell zu sehr im Fluss ist, was unter CSR in
Theorie und Praxis verstanden wird. Folgende Über-
legungen scheinen allerdings hinreichend plausibel
zu sein:
Unternehmen sind gut beraten, kontinuierlich in
ihre Vertrauenswürdigkeit zu investieren. Schließ-
lich geht es um nichts weniger als um die Aufrecht-
erhaltung von Kooperationsmöglichkeiten und da-
mit um die eigenen Arbeitsvoraussetzungen.
Die Notwendigkeit, in Vertrauenswürdigkeit zu
VeRtRaUen Und CSR in wiRtSChaFtSethiSCheR PeRSPektiVe
50
FORUM Wirtschaftsethik 20. Jg., 2012
2012
investieren, betrifft gleichermaßen alle drei ge-
nannten Bereiche: die Kompetenz, Produkte und
Dienstleistungen effizient und innovativ bereitzu-
stellen, den Nicht-Opportunismus im Umgang mit
Kooperationspartnern unterschiedlichster Art, und
die Rechtschaffenheit, negative Auswirkungen auf
Dritte, auf das gesellschaftliche Umfeld und auf
die politischen, sozialen und ökologischen Bedin-
gungen weitestgehend zu vermeiden. Vertrauen ist
grundsätzlich unteilbar.
Daraus ergibt sich, dass CSR mit seiner Ausrich-
tung auf den dritten Aspekt der Rechtschaffenheit
zwar wichtig für Vertrauensaufbau ist, aber alleine
nicht ausreicht, verloren gegangenes Vertrauen wie-
der herzustellen, wenn die Gründe des Vertrauens-
verlustes die Aspekte der Kompetenz und des Nicht-
Opportunismus betreffen. Gerade im Blick auf die
Finanzkrise wäre genauer zu untersuchen, inwiefern
mangelnde Kompetenz (oder Selbstüberschätzung)
und opportunistisches Verhalten, z.B. durch eine
unangemessene Abwälzung von Risiken zusammen
mit anderen (auch politischen) Faktoren ursächlich
waren. CSR im üblichen Verständnis wäre dann nur
sehr bedingt eine geeignete Antwort darauf.
Investitionen in Vertrauenswürdigkeit sind an-
spruchsvoll. Ob sich diese Investitionen „rechnen“,
hängt wesentlich davon ab, ob Kooperationspart-
ner ihnen mit einer entsprechenden Vertrauenser-
wartung gegenüber stehen. Es hängt immer auch
vom Vertrauensgeber ab, ob Vertrauenswürdigkeit
zugeschrieben wird. „Vertrauenswürdigkeit ist ein
Statusgut, in das investiert werden muss und kann;
Vertrauen selbst entzieht sich direkter Gestaltung“
(Grüninger 2001, S. 203) Mechanistisch „herstel-
len“ lässt sich Vertrauen daher nicht.
Investitionsrisiken gehören zum unternehmeri-
schen Alltag. Warum sollte das bei der Investition
in einen Vermögenswert anders sein, von dem man
mit guten Gründen sagen kann: Es geht um nichts
anderes als um die Grundlage nachhaltiger unter-
nehmerischer Wertschöpfung.
Der Beitrag beruht auf einem früheren Text von A. Sucha-
nek und wurde im Blick auf eine andere Fragestellung
gemeinsam neu bearbeitet.
DISKURS
51
FORUM Wirtschaftsethik 20. Jg., 2012
LiteRatUR
Bigley, Gregory A./Pearce, Jone L. (1998): Straining
for Shared Meaning in Organization Science: Problems of
Trust and Distrust, in: Academy of Management Review,
23. Jg (1998), S. 405-421.
Bundesministerium für Arbeit und Soziales (2010):
Nationale Strategie zur gesellschaftlichen Verantwortung
von Unternehmen – Aktionsplan CSR der Bundesregie-
rung, Bonn.
Fetzer, Joachim (2004): Die Verantwortung der Unter-
nehmung, Gütersloh.
Hegel, G. F. W. (1993): Grundlinien der Philosophie des
Rechts, Frank¬furt am Main.
Japp, K.P. (2010): Risiko und Gefahr. Zum Problem au-
thentischer Kommunikation, in: C. Büscher, K. P. Japp
(Hrsg.): Ökologische Aufklärung, S. 281-308.
Leisinger, Klaus M.: Stakeholderdialoge zwischen The-
orie und Praxis, in: C. Breuer, P. Mastronardi, B. Waxen-
berger (Hrsg.): Markt, Mensch und Freiheit, Bern 2009,
S. 97-116.
Lin-Hi, N. (2009): Eine Theorie der Unternehmensver-
antwortung: Die Verknüpfung von Gewinnerzielung und
gesellschaftlichen Interessen. Berlin
Lin-Hi, N./A.Suchanek (2011): Corporate Social Res-
ponsibility als Integrationsherausforderung: Zum sys-
tematischen Umgang mit Konflikten zwischen Gewinn
und Moral. In: Zeitschrift für Betriebswirtschaft, 81. Jg
(2011), Special Issue 1, S. 63-91.
Rawls, J. (1979): Eine Theorie der Gerechtigkeit, Frank-
furt am Main.
Suchanek, A. (2007): Ökonomische Ethik, Tübingen.
VeRtRaUen Und CSR in wiRtSChaFtSethiSCheR PeRSPektiVe
52
Prof. Dr. Joachim Fetzer
Hochschule für angewandte
Wissenschaften Würzburg-
Schweinfurt, Mitglied im
Vorstand des DNWE e.V.
Prof. Dr. Andreas Suchanek
Dr. Werner Jackstädt-Chair of
Economic and Business Ethics
Handelsschule Leipzig
FORUM Wirtschaftsethik 20. Jg., 2012
2012 DISKURS
53
Vom ehrbaren kaufmann zur Unternehmensverantwortung
Thomas Beschorner und Thomas Hajduk
FORUM Wirtschaftsethik 20. Jg., 2012
Thomas Manns 1901 erschienener Roman „Die
Buddenbrooks“ hat wie keine andere literarische Dar-
stellung das Bild des „ehrbaren Kaufmanns“ geprägt.
Die Figur des Kaufmanns Johann Buddenbrook ist
standfest, umsichtig, asketisch, ein gut kalkulieren-
der wie auch berechenbarer Geschäftspartner, ge-
rechter Arbeitgeber und eine Stütze der Gesellschaft.
Manns Meistererzählung um den Aufstieg und Fall
einer hanseatischen Kaufmannsfamilie im 19. Jahr-
hundert transportiert auch dessen Melancholie über
das Ende einer Epoche. Noch ehe die Moderne ange-
brochen ist, wirken die Buddenbrooks überlebt, der
neuen Welt nicht gewachsen.
Der Roman hat seinen Lesern noch heute viel
zu bieten – realistische Figuren, eine dramati-
sche Handlung und die Atmosphäre einer ver-
gangenen Epoche. Betriebswirtschaftliche und
wirtschaftsethische Erkenntnisse dagegen wer-
den wohl die wenigsten suchen und finden. Umso
erstaunlicher ist es, dass die Figur des „ehrbaren
Kaufmanns“ à la Buddenbrook eine Renaissance
erlebt. Angesichts zahlreicher Skandale und des
infolge der Krise geringen Vertrauens in die Wirt-
schaft mögen moderne Geschäftsleute sich auf
das zeitlose „Leitbild des ehrbaren Kaufmanns“
rückbesinnen.
Begriffe wie Tugend und Ehre mögen zunächst et-
was altmodisch, zugleich aber auch intuitiv richtig
für Fragestellungen zur Corporate Social Responsi-
bility anmuten, wie ein Appell an das Gute im Men-
schen. Wer wollte nicht ein wenig von dem edlen
Charakter eines Johann Buddenbrook haben? Doch
bei näherer Betrachtung schwinden die Gewisshei-
ten, für die der „ehrbare Kaufmann“ seit Jahrhun-
derten unverändert zu stehen scheint. Der kritische
Blick wirft Fragen auf, etwa für was die Metapher im
engeren Sinne steht und inwieweit sie einem moder-
nen Verständnis von Unternehmensverantwortung
standhält?
Wir wollen im Folgenden argumentieren, dass es
heute einer erweiterten Sichtweise des „ehrbaren
Kaufmanns“ hin zu einer umfassenderen Unterneh-
mensverantwortung bedarf. Es ist uns dabei nicht
wichtig, „wie man das Kind nennt“. Der Beitrag will
keine Begriffsklauberei betreiben, sondern anknüp-
fend an die Redensart des ehrbaren Kaufmanns für
wichtige Perspektiverweiterungen plädieren und
dazu eine Diskussion anstoßen.
54
VOM ehRbaRen kaUFMann zUR UnteRnehMenSVeRantwORtUng
FORUM Wirtschaftsethik 20. Jg., 2012
2012 DISKURS
55
Vertrauensverlust und die Renaissance des Leitbildes
Das „Vertrauen in die Finanzmärkte“ ist erschüt-
tert und muss wiedergewonnen werden, der neue
Bundespräsident Joachim Gauck solle „das Vertrau-
en in die Politik“ zurückbringen und das Motto der
CEBIT 2012 lautete schlicht „Managing Trust“. Das
sind nur wenige einer Vielzahl von Beispielen, die
veranschaulichen, dass Vertrauen ganz offensicht-
lich wichtig für die Gesellschaft ist. Und was für
die Gesellschaft wichtig ist, muss auch für Unter-
nehmen Relevanz besitzen und tut es auch. Ver-
trauen ist gut. Es ist essentiell für die Beziehun-
gen zwischen Menschen im täglichen Miteinander,
ebenso wie für Organisationen und die Gesellschaft
insgesamt. Der unternehmerische Kontext stellt
hier keine Ausnahme dar. Im Gegenteil: Ökonomen
sprechen gerne von „Vertrauen als wichtiges Gut“,
einem Produktionsfaktor, aus dem Kooperations-
vorteile entstehen können.
Die Metapher des „ehrbaren Kaufmanns“ greift
diese Dimension auf. In Reden, Artikeln und im
Internet werden die vielen Tugenden dieser Figur
gelobt: sie ist fleißig, ordentlich, ehrlich, spar-
sam, zuverlässig, demütig, gerecht und vertrau-
ensvoll. Folgt man den Apologeten des „ehrbaren
Kaufmanns“, so durchziehen diese und andere
(Wirtschafts-)Tugenden, gepaart mit Bildung und
wirtschaftlichem Fachwissen, die Menschheitsge-
schichte von der Antike bis in die Moderne (Schwal-
bach/Klink 2012: 222-229). Seine Kontinuität über
Jahrtausende hinweg verleihe dem Leitbild eine
gleichsam zeitlose Gültigkeit. Auch für „heutige
Führungskräfte [bietet es] eine Orientierungsfunk-
tion für den unternehmerischen Alltag“ (ibid: 230).
Beispiele für das Fortleben dieser Tradition sind
zahlreich. In der Satzung der „Versammlung Eines
Ehrbaren Kaufmanns zu Hamburg e.V.“, eines be-
reits vor knapp 500 Jahren gegründeten und heute
über 1.000 Mitglieder umfassenden Kaufmanns-
standes, heißt es etwa, „dass im Rahmen der jeweils
gültigen Gesetze die im Geschäftsverkehr allgemein
anerkannten ethischen Grundsätze und das Prin-
zip von Treu und Glauben beachtet sowie Handlun-
gen unterlassen werden, die mit dem Anspruch auf
kaufmännisches Vertrauen nicht vereinbar sind“.
Ein anderes Beispiel für die aktuelle Verwendung
des Leitbildes des „ehrbaren Kaufmanns“ ist die Po-
sition des Deutschen Industrie- und Handelskam-
mertages – DIHK, die ihre Mitglieder zur „Wahrung
von Anstand und Sitte des ehrbaren Kaufmanns“ (§
1 Abs. 1 IHKG) aufruft.
Der „ehrbare Kaufmann“ – Position des DIHK:
„Der ‚ehrbare Kaufmann‘ ist ein Konzept, das nicht in
leer laufenden Gesetzen und in diffusen Sonntagsreden
abgehandelt werden darf. Es gilt, den ‚ehrbaren Kauf-
mann‘ wieder mit Leben zu füllen. Der DIHK engagiert
sich diesbezüglich gegen unlauteren Wettbewerb und
gegen Produkt- und Markenpiraterie, setzt sich für eine
Verhinderung und Bekämpfung der Korruption ein und
unterstützt kaufmännische Mediation und Schiedsge-
richtsbarkeit. Der DIHK unterstützt grundsätzlich alle
Bestrebungen, deren Ziel es ist, den ‚ehrbaren Kaufmann‘
zu fördern.
Kritisch sind allerdings solche Aktivitäten zu betrach-
ten, bei denen der ‚ehrbare Kaufmann‘ oder die ‚Corpo-
rate Social Responsibility (CSR)‘ lediglich Deckmantel für
ein privates Gewinnstreben sind. Ebenfalls kritisch sind
Bestrebungen des Gesetzgebers, gesetzliche Vorgaben für
Verhaltensweisen zu machen, durch die sich Unterneh-
mer im Wettbewerb durch freiwilliges besonderes soziales
Engagement, Engagement für die Umwelt oder Ähnliches
hervorheben wollen. Der Gesetzgeber soll zwar Handlun-
gen, die dem Bild des ‚ehrbaren Kaufmanns‘ nicht ent-
sprechen, durch Normen und deren strikte Anwendung
verhindern. Er soll aber nicht gesetzlich vorschreiben,
was einen ‚ehrbaren Kaufmann‘ positiv auszeichnet. Dies
soll freiwillig bleiben.“
FORUM Wirtschaftsethik 20. Jg., 2012
Systemen zu überwachen und es können Freiräume
gegeben werden, die für Innovationsprozesse von
zentraler Relevanz sind.
In dieser Hinsicht drückt die Metapher des „ehr-
baren Kaufmanns“ also durchaus etwas Richtiges
und Wichtiges aus. Und doch: Uns ist sowohl die
„Ursachenbeschreibung“ als auch der daraus resul-
tierende „Therapievorschlag“ zu einfach. Personale
Tugenden sind für ein angemessenes Verständnis
von Unternehmensethik notwendig, nicht jedoch
hinreichend, wie wir im Folgenden veranschauli-
chen wollen. Der „ehrbare Kaufmann“ ist aus un-
serer Sicht diesem engen Verständnis nach kein
Konzept, mit dem es weitblickend gelingen kann,
Verantwortung in der Wirtschaft zu realisieren. Es
handelt sich um eine Metapher, deren Übertragbar-
keit ins 21. Jahrhundert mit Vorsicht angegangen
werden muss.
Metapher oder Konzept?
Der „ehrbare Kaufmann“ ist ein retrospektives
Leitbild und bezieht sich auf eine Welt, die im Ver-
gleich zur Gegenwart wesentlich übersichtlicher
wirkt. Seinen Ursprung hat der Begriff im Spät-
mittelalter, als Kaufleute sich in einflussreichen
Gilden organisieren und als Stand einen eigenen
Ehrbegriff entwickeln. Die Blütezeit des „ehrbaren
Kaufmanns“ erblicken seine Vertreter in der itali-
enischen Renaissance und der nordeuropäischen
Hanse der Frühen Neuzeit.
Der von dieser Geschichte abgeleitete „ehrba-
re Kaufmann“ agiert nicht selbstlos tugendhaft,
sondern um seiner Ehre willen. Was darunter zu
verstehen ist, hängt von der jeweiligen Zeit und
dem Kontext ab. Heute, da Ehre nicht mehr pri-
mär an Standeszugehörigkeit und Beruf gebunden
ist, verstehen wir unter dem Begriff so viel wie
„guter Ruf“ oder Reputation. Um der Reputati-
on willen und ausgestattet mit einem gewissen
VOM ehRbaRen kaUFMann zUR UnteRnehMenSVeRantwORtUng
56
Personale Tugenden sind wichtig
Die jüngste Wiederentdeckung des „ehrbaren
Kaufmanns“ erfolgt nicht zufällig. Vor dem Hin-
tergrund massiver moralischer Verfehlungen von
Unternehmen (Korruption, Bilanzmanipulationen,
Betrug usw. usf.) und unter dem Zugzwang eines
weltweiten Wettbewerbs scheint es gerade dieser
Tage geboten, sich auf klare und eindeutige Tugen-
den zu besinnen. Es wäre dabei auch wichtig, den
„ehrbaren Kaufmann“ in die Ausbildung künftiger
Manager zu integrieren. Tugendhaftes Verhalten
müsse mit dem Nachwuchs in gewisser Weise einge-
übt werden, ehe dieser sich schließlich in Form eines
Manager-Eids ausdrücklich dazu bekenne.
Der Vorschlag ist ebenso sympathisch wie einfach.
Wir alle wünschen uns tugendhafte Menschen. Und
wenn wir über moralische Probleme und ihre Beseiti-
gung in der Wirtschaft nachdenken, dann ist selbst-
redend klar, dass die moralischen Orientierungen
von Personen (Unternehmer, Manager, alle Mitarbei-
ter) für wirtschaftsethische Fragen wichtig sind.
In der Wissenschaft spricht man hier von Indivi-
dualethik, also dem „richtigen Tun“ einer Person
in einer gegebenen Situation und das ist durchaus
wesentlich. Erstens finden wir schon rein empirisch
– auch im Unternehmenskontext – (wertorientier-
te) Handlungen von Personen vor, die nicht stra-
tegisch kalkuliert sind, sondern idealtypisch auf
der Grundlage einer (unbedingten) ethischen Wer-
teentscheidung vollzogen werden. Diese zu erfas-
sen, sie zur Kenntnis zu nehmen und gerade nicht
als ein erweitertes Kalkül eines homo oeconomicus
zu modellieren, ist aus unserer Sicht wesentlich
für das Verstehen von Organisationen. Zweitens,
so weiß man aus der sogenannten Neuen Institu-
tionenökonomik, können aus individualethischen
Handlungen Kostenvorteile für Unternehmen resul-
tieren. Mitarbeiter, denen man beispielsweise ver-
trauen kann, braucht man nicht mit kostspieligen
FORUM Wirtschaftsethik 20. Jg., 2012
2012 DISKURS
57
Pflichtbewusstsein betrügt man nicht, man hält
sich an Verträge und ist ein fairer und verläss-
licher Partner. Es ist diese Triebfeder, die den
ehrbaren Kaufmann motiviert, sich „anständig“
– dem Stande entsprechend – zu verhalten, weil
ansonsten der eigene soziale Status und damit
das Geschäft in Gefahr gerät. Das ist ökonomisch
kluges Management. Die Tugenden des „ehrbaren
Kaufmanns“ sind nicht die Kardinaltugenden (Ge-
rechtigkeit, Mäßigung, Tapferkeit und Weisheit)
oder die Primärtugenden eines (republikanischen)
pflichtbewussten Bürgers. Es sind in erster Linie
(sekundäre) Wirtschaftstugenden, die dem ehr-
baren Kaufmann nützen. Der ehrbare Kaufmann
ist damit liberaler „Bourgeois“, nicht jedoch ein
republikanischer „Citoyen“ (dazu ausführlicher:
Beschorner/ Schank 2012, S. 156 ff.).
Ein weiteres Problem der Übertragbarkeit des
ehrbaren Kaufmanns auf unsere Zeit stellt die Tat-
sache dar, dass er „Unternehmer auf eigene Rech-
nung“ ist. Mehr noch: Er ist ein Eigentümer, der
persönlich haftet. Obwohl inhabergeführte Unter-
nehmen auch nach Einführung der beschränkten
Haftung und Aktiengesellschaften eine wichtige
Rolle spielen, so stellen sie heute nur eine mög-
liche Organisationsform wirtschaftlicher Aktivitä-
ten dar. Das Gros der Wirtschaftssubjekte – vom
Assistenten bis zur Vorstandsvorsitzenden – nimmt
als Angestellte am Wirtschaftsleben teil. Für sie
gilt das Leitbild des „ehrbaren Kaufmanns“ nicht,
denn historisch gesehen stellt die unselbständige
Beschäftigung eine Ausnahmeerscheinung dar.
Folklore und Ideologisierung
Inwiefern aus solchen „historisch belegten“ Tu-
genden ein heute gültiges Leitbild (re)konstruiert
werden kann, ist fragwürdig. Die erhaltenen Quellen
jener Zeit zeugen von dem Selbstverständnis ihrer
Zeitgenossen und nicht viel mehr. Wissenschaftler
am Institut für Management an der Humboldt-Uni-
versität in Berlin um Joachim Schwalbach und Da-
niel Klink versuchen in ihren Arbeiten „praktischen
Erfahrungen zu einem von ideologischen Elemen-
ten bereinigten Gesamtbild zusammenzusetzen“,
um ein „allgemeingültiges und vor allem zukunfts-
fähiges Leitbild zu formulieren“ (Klink 2008: 61).
Aus historisch verbürgten Zitaten wird eine anth-
ropologisch anmutende Konstante konstruiert, die
sich bei gutem Willen auch schon bei den Sumerern
um 3.000 v. Chr. nachweisen ließe.
Der Kaufmann der italienischen Renaissance und
der nordeuropäischen Hanse wird auf diese Weise
zum Vorbild für eine Zeit stilisiert, die ihm weder
sprachlich verständlich noch allgemein vorstellbar
gewesen wäre, wie auch umgekehrt dem heutigen
Manager der Hansekaufmann im Grunde fremd ist.
Doch Begriffe wie „Ehre“, „Stand“ und „Tugend“, ja
selbst der des „Kaufmanns“, haben sich in den ver-
gangenen Jahrhunderten zu oft gewandelt und neu-
en Kontexten angepasst, als dass sie beliebig in die
Gegenwart geholt werden könnten. Die vermeintliche
Essenz solcher Begriffe ist nicht mehr als eine zu-
rückblickende Syntheseleistung für die Gegenwart.
Was dem Leser vielleicht wie spitzfindige wissen-
schaftliche Einwände vorkommen mag, entpuppt
sich bei einer näheren Betrachtung jedoch als sehr
bedeutend für ein – auch praktisches – Verständnis
von Unternehmensverantwortung. Die Fürsprecher
des „ehrbaren Kaufmanns“ haben nämlich noch
eine Pointe parat: Die Ehre und die Tugend des
Kaufmanns reiche für eine Unternehmensethik aus.
Er „braucht keinen Kodex guter Corporate Gover-
nance“, so Horst Albach (2003, S. 40). Und für die
Fachdisziplin der Betriebswirtschaftslehre wird dar-
aus gar abgeleitet, dass es „Ethik“ oder „Verantwor-
tung“ nicht bedürfe, weil sie bereits auf ethischen
Prinzipien beruhe. Ökonomisch kluges Management
sei gleichbedeutend mit Ethik und daher lautet
die Maxime für die Vertreter dieser Position: „Be-
FORUM Wirtschaftsethik 20. Jg., 2012
VOM ehRbaRen kaUFMann zUR UnteRnehMenSVeRantwORtUng
58
Standesgenossen. Dafür unterwirft er sich den gül-
tigen Normen und Erwartungen anderer, denn er
möchte akzeptiert sein. Er weiß damit, was richtig
und gut ist. Seinen Mitarbeitern gibt er Anweisun-
gen; zuhören kann er nicht. Es braucht keine insti-
tutionellen Regeln und keinen „Kodex guter Corpo-
rate Governance“.
In der Unternehmenswelt heute ist das Verständ-
nis des ehrbaren Kaufmanns oft sehr eng mit ei-
nem spezifischen Typus von Unternehmensverant-
wortung verbunden: Man engagiert sich für soziale
oder ökologische Belange in der Gesellschaft, indem
man einen finanziellen oder materiellen Beitrag für
wichtige Initiativen leistet. Die Formen dafür sind
mannigfaltig und reichen von der punktuellen För-
derung einzelner Projekte bis hin zu einem syste-
matischen strategischen Stiftungsmanagement und
Unternehmen leisten zweifelsohne durch dieses
Engagement einen wichtigen Beitrag für die Ge-
sellschaft. Hinreichend ist dies freilich nicht, weil
damit ja lediglich die Frage der Gewinnverwendung
angesprochen ist. Einer modernen Unternehmens-
verantwortung freilich geht es nicht darum, wie die
Gewinne ausgegeben, sondern wie die Gewinne er-
wirtschaftet werden. Sie ist damit integrativ (und
nicht „end-of-pipe“) angelegt.
Insgesamt hängt die Reputation von Unterneh-
men im 21. Jahrhundert nicht mehr von der wohl-
meinenden Meinung weniger Standesgenossen oder
einer oben beschriebenen Spendenethik, sondern
von multiplen Ansprüchen verschiedener gesell-
schaftlicher Akteure ab. Das Interesse dieser Ak-
teure richtet sich dabei in besonderer und zuneh-
mender Weise auf soziale und ökologische Aspekte
unternehmerischen Handelns und Unternehmen
stehen damit vor der Herausforderung, diese Di-
mensionen in stärkerem Maße in ihrem Kernge-
schäft zu berücksichtigen und zu integrieren. Dies
hat sogleich weniger mit Akzeptanz, sondern viel-
mehr mit Legitimation zu tun.
triebswirtschaftslehre ohne Unternehmensethik!“
(Albach 2005). Damit freilich sind wir mit dem
„ehrbaren Kaufmann“ nicht mehr nur bei folklo-
ristischen Erzählungen, sondern in der Religion, in
der Glaubenssätze postuliert werden.
Legitimation statt Akzeptanz
Was können wir mit dem „ehrbaren Kaufmann“
in einer Welt, die durch Globalisierung, Diversität,
Wertepluralismus und neue (mediale) Interaktions-
formen gekennzeichnet ist, noch anfangen? Unsere
Antwort lautet: in dem oben skizzierten engen Ver-
ständnis nicht mehr viel, und wir sehen dies insbe-
sondere in der zweifach „autistischen“ Konzeption
dieser Figur begründet. Der „ehrbare Kaufmann“ ist
im Grunde ein einsamer Mensch. Im Bewusstsein
seiner Ehre sucht er die Zustimmung und die gute
Meinung seiner Mitmenschen, besonders die seiner
FORUM Wirtschaftsethik 20. Jg., 2012
2012 DISKURS
59
Verkompliziert wird dieser Aspekt dadurch, dass
ein Wertekanon, so denn überhaupt ein solcher
in einheitlicher Form existiert, nicht nur regional
orientiert ist, sondern sich vielmehr an den Ge-
pflogenheiten der globalen business community
und den Bedingungen interkultureller Kooperati-
on ausrichten muss. Insofern verlangt Unterneh-
mensverantwortung im 21. Jahrhundert in etwa
das Gegenteil des heimeligen Ideals vom „ehrbaren
Kaufmann“ – und das wissen viele Unternehmen
auch. genheiten der globalen business community
und den Bedingungen interkultureller Kooperation
ausrichten muss. Insofern verlangt Unternehmens-
verantwortung im 21. Jahrhundert in etwa das Ge-
genteil des heimeligen Ideals vom „ehrbaren Kauf-
mann“ – und das wissen viele Unternehmen auch.
Zur Unternehmensverantwortung
In dieser Hinsicht sind aus unserer Sicht wenigs-
tens vier Elemente für ein weitergehendes Verständ-
nis des ehrbaren Kaufmanns hin zu einer umfassen-
deren Unternehmensverantwortung notwendig:
Es bedarf, erstens, institutioneller Regeln und
Strukturen im Unternehmen ebenso wie in der Ge-
sellschaft (Wieland 1999). In einer freiheitlichen,
weltoffenen Gesellschaft stößt die Individualethik,
auf die der „ehrbare Kaufmann“ abzielt, an sei-
ne Grenzen. Sie ist zu divers, um eine wie auch
immer geartete Ehre zu begründen, noch können
vor ihrem Hintergrund prädefinierte Tugenden als
uneingeschränkt gültig angenommen werden. Die
Individualethik ist daher unbedingt durch eine Ins-
titutionenethik zu ergänzen (nicht jedoch vollends
zu ersetzen). Diesen Institutionen, beispielsweise
in Form eines Verhaltenskodizes oder eines weiter-
gehenden Wertemanagementsystems, kommt dabei
eine dreifache Funktion zu: sie entlastet das Indivi-
duum von permanenten moralischen Entscheidungs-
situationen, die jedes Individuum überfordern wür-
de; klar definierte und transparente Regeln schützen
vor der Willkür eines Patriarchen, bei dem man prin-
zipiell nie weiß, wie es um seine Tugenden bestellt
ist; sie signalisieren und kommunizieren nach innen
und nach außen klar verlässliche Werte (z.B. über
eine Unternehmensphilosophie/ -politik).
Zweitens, der Pluralismus an individuellen Werten
und Haltungen erfordert offene, partizipative und
letztlich legitimierte Mittel, um gemeinsame Werte
zu bestimmen. Das können etwa dialogorientier-
te Praktiken leisten, wie wir sie in verschiedenen
Formen heute schon als Dialoge von Unternehmen
mit ihren Anspruchsgruppen (Stakeholder- oder
Multi-Stakeholder-Dialoge) kennen. Unternehmen
müssen heute stärker denn je ihr wirtschaftliches
Handeln in einem gesellschaftlichen Diskurs legiti-
mieren. Der Begriff der „Verantwortung“ weist auf
einen solchen Dialog hin. Das setzt sogleich eine
neue Sprachfähigkeit auf einem noch recht unbe-
kannten Terrain voraus.
Drittens, der „ehrbare Kaufmann“ ist charakter-
lich kein Unternehmer, sondern Typ „braver Amt-
mann“: solide, zuverlässig, maßvoll, nüchtern,
auch etwas bieder. Seine Kaufmannstugenden
beschränken sich, wie oben beschrieben, auf die
Vermeidung von „bad practices“ (wie Korruption,
Bestechung usw.) und einen gesellschaftlichen
Beitrag in Form einer Spendenethik. Das Verständ-
nis moderner Unternehmensverantwortung geht
gleichwohl über diesen reaktiven Typus hinaus, in-
dem es darüber auch und primär die Geschäftstätig-
keiten von Unternehmen adressiert. Es geht damit
nicht nur um die Vermeidung von „bad practices“,
sondern um die Möglichkeiten und Grenzen der
Realisierung von „good business practices“; mithin
um die Frage: Welchen positiven Beitrag sollen und
können Unternehmen für eine gute und gerechte
Gesellschaft leisten? Diese Perspektivenerweiterung
ist deshalb wichtig, weil damit die Unternehmerfi-
gur als „kreativer und innovativer Geist“ zurückge-
FORUM Wirtschaftsethik 20. Jg., 2012
VOM ehRbaRen kaUFMann zUR UnteRnehMenSVeRantwORtUng
60
holt und Unternehmen als „cultural engines“ be-
griffen werden, die neue nachhaltigkeitsorientierte
Märkte erschließen und dadurch eine nachhaltige
Gesellschaft aktiv mitgestalten. Sie emanzipiert die
Diskussion zur Corporate Social Responsibility zu-
gleich aus ihrer defensiven Grundhaltung (Beschor-
ner 2008).
Viertens sind Werte notwendig, die nicht nur
regionale Bedeutung haben, sondern kulturüber-
greifend Geltung besitzen können, Werte für Welt-
wirtschaftsbürger. Internationale Leitlinien wie
die ISO 26.000 und Beispiele unternehmerischer
Selbstregulierung wie Responsible Care können
mögliche Annäherungen sein (dazu eingehender:
Beschorner/Hajduk/Schank 2011). Neu ist diese
Idee nicht. Schon im Mittelalter entwickelten Kauf-
leute ein Gewohnheitsrecht einschließlich eigener
Gerichte, mit dem sie unabhängig von städtischer
und fürstlicher Rechtsprechung ihre grenzüber-
schreitenden Geschäfte regelten. Diese Logik der so
genannten „Lex Mercatoria“ hat im Gegensatz zum
„ehrbaren Kaufmann“ bis heute überlebt.
FORUM Wirtschaftsethik 20. Jg., 2012
2012 DISKURS
61
Prof. Dr. Thomas Beschorner
Direktor des Instituts für
Wirtschaftsethik der Univer-
sität St. Gallen
Thomas Hajduk
Wissenschaftlicher Mitarbeiter
am Institut für Wirtschafts-
ethik der Universität St. Gallen
Beschorner, Thomas; Schank, Christoph (2012): CSR –
zur Bürgerrolle und Verantwortung von Unternehmen. In:
Schneider, A.; Schmidpeter, R. (Hrsg.): Corporate Social
Responsibility - Verantwortungsvolle Unternehmensfüh-
rung in Theorie und Praxis. Berlin: Springer, S. 155-164.
Klink, Daniel (2008): Der Ehrbare Kaufmann – Das ur-
sprüngliche Leitbild der Betriebswirtschaftslehre und in-
dividuelle Grundlage für die CSR-Forschung. In: ZfB, Jg.
78/3, 57-79.
Mann, Thomas (1901): Buddenbrooks. Verfall einer Fa-
milie. Berlin: S. Fischer.
Schwalbach, Joachim; Klink, Daniel (2012): Der Ehr-
bare Kaufmann als individuelle Verantwortungskategorie
der CSR-Forschung. In: Schneider, Andreas; Schmidpeter,
René (Hrsg.): Corporate Social Responsibility. Berlin:
Springer, S.219-240.
Wieland, Josef (1999): Die Ethik der Governance. Met-
ropolis: Marburg.
LiteRatUR
Albach, Horst (2003): Zurück zum ehrbaren Kaufmann
– Zur Ökonomie der Habgier, in: WZB-Mitteilungen, Nr.
100, 37-40.
Albach, Horst (2005): Betriebswirtschaftslehre ohne
Unternehmensethik!, in: Zeitschrift für Betriebswirt-
schaft : ZfB, Jg. 75/ 9, 809-831.
Beschorner, Thomas (2008): Corporate Social Respon-
sibility und Corporate Citizenship : theoretische Perspek-
tiven für eine aktive Rolle von Unternehmen. In: Back-
haus-Maul, Holger; Biedermann, Christiane; Nährlich,
Stefan; Polterauer, Judith (Hrsg.): Corporate Citizenship
in Deutschland. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissen-
schaften, S. 68-86.
Beschorner, Thomas; Hajduk, Thomas; Schank, Chris-
toph (2011): Ökonomie anders denken: Perspektiven
Nachhaltiger Entwicklung. In: Bertelsmann Stiftung,
(Hrsg.): Politik nachhaltig gemacht. Wie man nachhal-
tige Politik gestaltet, kommuniziert und durchsetzt:
Bertelsmann-Verlag, S. 73-99.
FORUM Wirtschaftsethik 20. Jg., 2012
Globalisierung und Institutionendefizit
In der wirtschafts- und unternehmensethischen
Debatte steht die Frage nach den „globally accep-
ted standards of good business behaviour“ schon
seit einiger Zeit auf der Agenda, und es braucht
nicht viel Phantasie um zu realisieren, dass dies
auch für die nächste absehbare Zeit so sein wird.
Die Vertiefung der internationalen Arbeitsteilung
und inklusives Wachstum, also die Sicherstellung
der Wohlfahrtseffekte der Globalisierung für alle
involvierten Stakeholder, wird entscheidend dafür
sein, inwieweit die Integration der globalen Öko-
nomie gelingen kann. Es lohnt sich also eine Be-
standsaufnahme darüber vorzunehmen, wie weit
diese Diskussion bisher gediehen ist und wie man
ihren weiteren Verlauf einschätzen soll.
Aus meiner Sicht als Institutionenökonom wird
die weltumspannende Integration aller beteilig-
ten und betroffenen Akteure der Wirtschaft so-
wie ihrer Stakeholder nur auf der Basis effektiver
globaler Spielregeln möglich sein, die aber heu-
te erst in Ansätzen existieren. Das Recht, seine
Durchsetzung und moralische Verhaltensstandards
formulieren grundlegende Spielregeln ökonomi-
schen Handelns und sind heute noch im Wesent-
lichen nationale Institutionen, deren Wirksamkeit
in einer globalen Welt nur von beschränkter An-
gemessenheit und Reichweite sind. Daraus ergibt
sich ein Institutionen- und Organisationsdefizit
im Hinblick auf die Ermöglichung und Beschrän-
kung globaler ökonomischer und politischer Ko-
operation, zu dessen Überwindung in den letz-
ten Jahrzehnten verstärkt auf globale Standards
?
globale Standards und global Commons
Josef Wieland
62
FORUM Wirtschaftsethik 20. Jg., 2012
2012 DISKURS
63
gesetzt wurde. Die „ILO Declaration of Multinati-
onal Enterprises“, die „OECD Guidelines for Multi-
national Enterprises“, der „United Nations Global
Compact“, die „United Nations Guiding Principles
of Business and Human Rights“, der „ISO 26.000
Social Responsibility (SR)“ und der Berichtstan-
dard der „Global Reporting Initiative“, um nur ei-
nige, aber wesentliche, zu nennen, sind globale
Standards, die man auch als „soft law“ (Vgl. Wie-
land 1998) bezeichnet. Sie sind in einem rechtli-
chen Sinne „freiwillig“, aber eben Standards, also
nicht beliebig. Rodrik verweist zu Recht darauf,
dass diese Charakteristik globaler Standards als
„freiwillig“ sich systematisch aus dem Integrati-
onsproblem globaler Ökonomie und Politik her-
leitet. Unterschiedliche Entwicklungsniveaus und
Interessen der Nationen verlangen nach „interna-
tional rules and standards with built-in opt-out
schemes“ (Rodrik 2007, S. 204), weil nur so In-
tegration (gemeinsame, für alle akzeptable Stan-
dards) und kontrollierte Flexibilität (Berücksichti-
gung unterschiedlicher Entwicklungsniveaus und
Anwendungskontexte) erreicht werden können.
Rechtsförmige, für alle gleich verbindliche und
durchsetzbare globale Regulierungen der Wirt-
schaft, sind in dieser Welt nicht nur nicht zeitnah
zu erreichen, sondern kontraproduktiv. Dies vor
allem deshalb, weil die unterschiedlichen Logiken
von staatlicher und marktvermittelter Regelset-
zung damit ignoriert würden (Vgl. Robert Gilpin
1987, S. 112).
Aus dieser Sachlage ergeben sich nun auch Ge-
sichtspunkte für das Verständnis des unbestreit-
baren Faktums, dass in der politischen Arena seit
geraumer Zeit neue Akteure aufgetaucht sind, die
ein dringendes Interesse an diesem Prozess der
ökonomischen Regelsetzung, wenn auch nicht im-
mer an der Regelsetzung selbst und Durchsetzung
haben. Thematisch orientierte Nichtregierungs-
und zivilgesellschaftliche Organisationen, Norm-
setzungskörperschaften und Experten für die in
Frage stehenden Probleme, Unternehmerverbände,
Gewerkschaften und Konsumentenverbände koope-
rieren mit Vertretern aus Politik und Bürokratie1.
Einerseits wird damit die letztlich für beide Seiten
fruchtlose Konfrontation von nationalen Regulie-
rungsbemühungen und ökonomischer Lobbyarbeit
zu dessen Verhinderung oder interessengesteu-
erter Gestaltung aufgebrochen. Andererseits ist
es gerade die Inklusivität der neu entstehenden
Standardisierungsgremien, die Legitimation durch
Interessenintegration herstellen. Erfolgreiche Sta-
keholder-Foren, Multistakeholder-Dialoge, Collective
Action, politische Foren, deliberative Plattformen
– wie auch immer diese Standardisierungsgremien
ausgeflaggt werden – müssen alle den gegenstre-
bigen Bezug von öffentlicher und privater Regu-
lierung, von Rechtsförmigkeit und Freiwilligkeit,
von Einheitlichkeit und Vielfalt, von Integration
und Fragmentierung, der stets mitläuft, prozes-
sieren können, wenn sie erfolgreich, also wirksam
sein wollen. Dies sind die Adaptivitätsansprüche
an Standards als Medien globaler Governance,
genauer der „non-governmental governance“, die
Legitimität nur noch in fragmentierter Form erzeu-
gen (Vgl. Prakash/Hart 2000).
Globale Standards als globale öffentliche Güter
1. Standards sind als Governanceformen der sich
entfaltenden Globalisierung auch deshalb geeignet,
weil sie selbst ein globales Phänomen, entstanden
im weltweiten Prozess der Zivilisation, sind. Law-
rence Busch argumentiert, dass Standards sich im
Kontext der sich entwickelnden Arbeitsteilung he-
rausgebildet haben, weil diese nicht ohne Zählen,
1 Für eine aufschlussreiche Analyse dieser Prozesse vgl. Schmiedeknecht 2011. Für eine lehrreiche Interpretation aus der Sicht der Zivilgesellschaft vgl. Palazzo 2009.
FORUM Wirtschaftsethik 20. Jg., 2012
Wiegen, Zeit- und Formsetzung zu haben ist. (Vgl.
hierzu und zum folgenden Busch 2011, Kap. 2) Diesen
Standards für Dinge korrespondierten Standards
des Verhaltens, die sich über soziale Segmentie-
rung und Rituale bildeten. Das Streben nach Stan-
dardisierung ist demnach tief eingelassen in die
Geschichte der Menschen.
Damit tritt das konstruktive Element von Stan-
dards in den Vordergrund der Diskussion: „stan-
dards are means by which we construct realities.
[…] they are part of the technical, political, social,
economic, and ethical infrastructure that constitu-
tes human societies.“ (ebd. S. 13) Dies gilt auch für
die sich konstituierende Weltgesellschaft, die auf
der Suche ist nach „recipes for reality“ (ebd. S. 73).
Standards für Menschen (Verhaltensstandards) und
Dinge/Prozesse (technische Standards) bringen
Ordnung in das praktische Leben, weil sie nicht nur
standardisieren, sondern auch differenzieren: Men-
schen, Dinge und Prozesse (vgl. ebd. S. 199). Stan-
dards koordinieren Handlungen und Prozesse und
sind damit die Grundlage für soziale Kooperation.
Busch diskutiert diesen Gesichtspunkt interessan-
terweise am Siegeszug des neoklassischen Modells
der Ökonomie, das über strenge Rationalitätsansprü-
che an seine Akteure die globale Standardisierung
von Verhaltenserwartungen, Qualitätsmerkmale von
Produkten und Dienstleistungen und effizienten
Märkten gefördert hat. Im Anschluss daran stellt
sich die Frage, ob nicht gerade die Deregulierung
der neoklassischen ökonomischen Welt zusammen
mit ihrem Streben nach Verhaltensregulierung einer
der Treiber für die globale Standardisierungsflut der
letzten 30 Jahre war (vgl. ebd. S. 236).
Die Abwägung zwischen öffentlichen und priva-
ten Standards kann nicht nur deren Effektivität in
Betracht ziehen, sondern läuft auf die Frage hinaus,
wie stark die Legitimation sozialen Handelns ist,
die sie erlauben und in welchem Umfang sie hel-
fen, Ungerechtigkeiten zu vermeiden (vgl. ebd. S.
300). Verhaltensstandards haben eine immanente
ethische Dimension, weil sie Konsequenzen für die
Ausrichtung des Handelns und Entscheidens haben
und Rechte und Ansprüche zuweisen oder entzie-
hen (vgl. ebd. S. 239ff). So sind die leitenden Werte
des ISO 26.000 SR, an denen wirtschaftliche Orga-
nisationen ihre gesellschaftliche Verantwortlichkeit
ausrichten sollen, die Rechenschaftspflichtigkeit,
die Transparenz, die Zulassung ethischer Ansprü-
che, die Interessen der Stakeholder, die Achtung
des Rechts, die Achtung internationaler Verhal-
tensstandards und die der Menschenrechte. Diese
sieben Werte und moralischen Prinzipien struk-
turieren dann sieben Handlungsfelder: Organisa-
tionsführung, Menschenrechte, Arbeitspraktiken,
faire Geschäftspraktiken, Konsumentenbelange
und die Verantwortlichkeit gegenüber der Region
(vgl. DIN ISO 26.000 2011, Kap. 4, 5). Die global
akzeptierte Definition von moralischen Kategori-
en und Verhaltensstandards sowie der zentralen
Handlungsfelder, auf denen sie für alle Arten von
Organisationen in allen Ländern der Welt ihre Gül-
tigkeit haben, ist der eigentliche Erfolg des ISO
26.000 SR, ein Erfolg, der auf die Konstruktion
der Wahrnehmung einer globalen Welt zielt, in der
Handeln zum wechselseitigen Vorteil möglich ist.
Wie alle soeben erwähnten Standards ist er ein
Beitrag zu einer in der Entstehung begriffenen
globalen Gemeinsamkeit, einer gemeinsamen Sicht
auf die Dinge der Welt und was zu tun ist. Sie sind
globale öffentliche Güter, die alle Merkmale eines
öffentlichen Gutes tragen, nämlich Nichtexklusi-
vität und Nichtrivalität.
2. In Teilen der Literatur werden „natürliche“
(Ozonschicht, Klima) und artifizielle (Standards,
Menschenrechte) „global commons“ als globale öf-
fentliche Güter verstanden, die sich nur dadurch
unterscheiden, dass Erstere zu viel und Letztere zu
wenig genutzt werden (vgl. ebd. S. 454).
gLObaLe StandaRdS Und gLObaL COMMOnS
64
FORUM Wirtschaftsethik 20. Jg., 2012
2012 DISKURS
65
Commons, die in der deutschen Sprache als All-
mende- oder Gemeingüter bezeichnet werden, kön-
nen grundsätzlich mit dem Kategorienarsenal der
Theorie öffentlicher Güter analysiert werden, aber
ob dies ein fruchtbarer Weg zu ihrem Verständnis
ist, wird inzwischen bezweifelt (vgl. zur Übersicht:
Helfrich/Heinrich-Böll-Stiftung 2009, 2012). Der
Kern der Differenz liegt, soweit ich es sehe, in dem
Umstand, dass Nichtrivalität zwar als eine Eigen-
schaft öffentlicher Güter angesehen wird, nicht
aber die Nichtexklusivität, da sie menschlichen
Ordnungsbemühungen, gesellschaftlicher Definiti-
onsmacht, entspringt. Ob etwas allen, wenigen oder
nur einem gehört, so die Commons-Aktivisten, ist
keine Frage der Eigenschaft eines Gutes, sondern
eine Frage der politisch gesetzten Property Rights.
Vor dem hier aufgespannten Horizont können die
weiter vorne erwähnten globalen Standards (ILO
Core Norm, OECD Guideline, UN Global Compact, ISO
26.000 SR, UN Guidance on Human Rights) nicht
nur als „global public goods“, sondern auch als „glo-
bal commons“ verstanden werden. Ihre Entstehung
verdankt sich einem deliberativen Prozess, und sie
zielen auf die globale Verbreitung einer moralge-
steuerten Wirtschaftspraxis, die die Humanität al-
ler Menschen der Weltgesellschaft anerkennt. Hier
geht es dann nicht mehr um die möglichst univer-
selle Nichtexklusivität und Nichtrivalität globaler
öffentlicher Güter, die durch den Staat oder andere
intergouvernementale Regimes garantiert werden,
sondern um die Herausbildung geteilter menschli-
cher Überzeugungen über moralisch integeres Wirt-
schaften als eines „global common good“.
Global Commons und ihre Governance
1. Die Differenz, die mit den Begriffen „globale
öffentliche Güter“ und „Commons“ markiert wird,
bezieht sich systematisch nicht auf die Art und
Klassifikation verschiedener Güterarten, sondern
auf die Form ihrer Governance. Dem individuellen
Nutzenmaximierer wird die Menschheit als Sozial-
beziehung gegenübergestellt (vgl. Paysan 2012, S.
30, Helfrich 2012, S. 90).
In der Tat folgt eine solche Perspektive auf die
Commons-Bewegung Elinor Ostroms (Ostrom 1990)
Überlegungen, dass die Effizienz und Effektivität
der Gemeingüterwirtschaft weniger von den indivi-
duellen Präferenzen der Akteure (Nutzenmaximie-
rung, Opportunismus) abhängt, sondern von der
Adaptivität lokaler Governancestrukturen und der
Fähigkeit lokaler Akteursgruppen diese zu schaffen
(vgl. ebd., S. 29). Die „Tragik der Allmende“ (Har-
din 1968) ist kein Naturgesetz, sondern das Ergeb-
nis nicht effizienter Mikrogovernance.
Eine Theorie der Gemeingüter muss daher empi-
risch ansetzen mit einer sorgfältigen mikropoliti-
schen Beschreibung und Analyse der Situation, der
angestrebten Transaktion und der dazu passenden
Governancestruktur.
Ostroms Überlegungen beziehen sich auf die Er-
stellung von „local public goods“ (ebd., S. 27) und
sind meiner Meinung nach nicht ohne weiteres auf
„global public goods“ übertragbar. Das zeigt die
Liste der internen Erfolgsbedingungen für die Ko-
operation der Gruppe von Prinzipalen, die Ostrom
in ihrem Buch immer wieder anführt. Dazu gehö-
ren nicht nur die bereits erwähnten Faktoren i)
Kommunikation, ii) Vertrauen, iii) Vorstellung ei-
ner gemeinsamen Zukunft, sondern weiterhin die
Faktoren iv) Lösungen durch die Beteiligen selbst,
v) zukünftige Effektivität der Governancestruk-
tur, vi) Zugang zu den relevanten Informationen,
vii) die hohe Komplexität der Situation, viii) be-
schränkte Rationalität und ix) Unsicherheiten, die
bei der Abwicklung von Transaktionen entstehen
können und diese begleiten (vgl. ebd., S. 25f) und
schließlich x) geteilte Verhaltensnormen (vgl. ebd.,
S. 35f). An anderer Stelle erwähnt sie die Fakto-
ren i) Anzahl der Entscheider, ii) Mindestanzahl der
FORUM Wirtschaftsethik 20. Jg., 2012
Teilnehmer, die notwendig sind, den kollektiven
Vorteil zu erreichen, iii) Höhe und Gemeinsamkeit
der Diskontrate zur Bewertung der Zukunftserträge
und -kosten, iv) Interessenkonvergenz und v) die
Herausbildung von Führungspersönlichkeiten (vgl.
ebd., S. 188.).
2. Damit sind wir wieder bei dem Thema dieses
Essays, nämlich globale Standards als Vorausset-
zung (intermediäre globale öffentliche Güter) und
Ergebnis (finale globale öffentliche Güter) gelin-
gender globaler sozialer Kooperation zu verstehen.
Die Diskussion hat gezeigt, dass globale Standards
über Verhalten und globale Standards über Din-
ge und Prozesse im jetzigen Stadium der Globali-
sierung nicht getrennt werden können. Ohne die
Bewusstmachung eines gemeinsamen Weltethos,
ohne die Entwicklung eines gemeinsamen Bandes
transkultureller Werte wird es schwer werden, zu
stabilen technischen Standards zu kommen. Erste
Umrisse solcher Werte und Prinzipien für die Füh-
rung von Unternehmen bilden sich gegenwärtig in
den globalen Standards heraus:
nSei sorgfältig in Deinen Entscheidungen und
prüfe das Risiko!
nSei Dir der positiven und negativen Konse-
quenzen Deiner Handlung für die Gesellschaft
bewusst!
nImplementiere wirksame Managementsysteme
zur Realisierung Deiner gesellschaftlichen Ver-
antwortung!
nInvolviere die betroffenen Stakeholder in
Deine Entscheidungen!
nNachhaltiger Shareholder Value ist Bestand-
teil des Shared Values aller am Wirtschafts-
prozess Beteiligten!
Das sind Prinzipien wirtschaftlichen Handelns,
über die in der Welt zunehmend Einverständnis
besteht.
Dabei sind die globalen Verhaltensstandards der UN,
der OECD, der ILO und der ISO sowohl im Hinblick auf
ihre Herausgeber (intergouvernementale Organisatio-
nen, Multistakeholder-Dialoge), ihre Adressaten (Un-
ternehmen, alle Organisationen, Regierungen), ihren
Status (Leitlinien, Prinzipien, Statements) und ihren
Inhalt (Human Rights, CSR, Compliance) teils iden-
tisch, teils unterschiedlich. Das hat in jüngster Zeit
zu einer Diskussion geführt, ob dies
a eine gewünschte Vielfalt oder schlicht Konfu-
sion begünstigt,
b nicht zu Wettbewerb oder doch zur Kooperation
der Standardgeber führt,
c zu Kohärenz und Konvergenz oder Partikularis-
mus führt,
d wer (Unternehmen, NGOs, Staat) darüber entschei-
den soll, wer, wann, welchen Standard anwendet,
e wie sich die Effektivität der Implementierung
dieser Standards in eine gelebte Geschäfts- und
Organisationspraxis durch angemessene Instru-
mente sichtbar und messbar machen lässt,
f wie das Verhältnis von öffentlicher, privater und
Selbstregulierung gestaltet werden kann.
Vielleicht kann die hier durchgeführte Argumenta-
tion ein wenig zu dieser Diskussion beitragen.
Dieser Artikel ist eine stark gekürzte und überarbei-
tete Fassung meines Artikels „Globale Standards als
öffentliche Güter“, erschienen in: M. Maring (Hrsg.):
Globale öffentliche Güter in interdisziplinären Pers-
pektiven, KIT Scientific Publishing 2012.
gLObaLe StandaRdS Und gLObaL COMMOnS
66
FORUM Wirtschaftsethik 20. Jg., 2012
2012 DISKURS
67
LiteRatUR
Busch, L. (2011): Standards. Recipes for reality. Cam-
bridge, MA – London, UK 2011.
DIN ISO 26.000 (2011): Leitfaden zur gesellschaftli-
chen Verantwortung (ISO 26.000: 2010). Berlin – Wien
– Zürich 2011.
Gilpin, R. (1987): The Political Economy of Internatio-
nal Relations, Princeton, NJ 1987.
Hardin, G. (1968): The Tragedy of the Commons. in Sci-
ence 162 (1968), S. 1243–1248.
Helfrich, S. (2012): Gemeingüter sind nicht, sie wer-
den gemacht. S. 85–91 in Helfrich, S. – Heinrich-Böll-
Stiftung (Hrsg.): Commons. Für eine neue Politik jenseits
von Markt und Staat. Bielefeld 2011.
Helfrich, S. – Heinrich-Böll-Stiftung (Hrsg.) (2009): Wem
gehört die Welt? Zur Wiederentdeckung der Gemeingüter.
München (Netzausgabe) 2009.
Helfrich, S. – Heinrich-Böll-Stiftung (Hrsg.) (2012):
Commons. Für eine neue Politik jenseits von Markt und
Staat. Bielefeld 2012.
Ostrom, E. (1990): Governing the Commons. The Evolu-
tion of Institutions for Collective Action. Cambridge 1990.
Palazzo, G. (2009): Die Privatisierung von Menschen-
rechtsverletzungen. Eine Skizze der demokratietheo-
retischen Herausforderungen des global entfesselten
Kapitalismus. S. 17–36 in Wieland, J. (Hrsg.): CSR als
Netzwerkgovernance – Theoretische Herausforderungen
und praktische Antworten. Über das Netzwerk von Wirt-
schaft, Politik und Zivilgesellschaft. Marburg 2009.
Paysan, J. (2012): Mein steiniger Weg zu den Commons.
Ein Rückblick. S. 28–31 in Helfrich, S. – Heinrich-Böll-
Stiftung (Hrsg.): Commons. Für eine neue Politik jenseits
von Markt und Staat. Bielefeld 2012.
Prakash, A. – Hart, J.A. (Hrsg.) (2000): Globalization
and governance. An introduction. London 2000.
Rodrik, D. (2007): One Economics – Many Recipes.
Princeton – Oxford 2007.
Schmiedeknecht, M. (2011): Die Governance von
Multistakeholder-Dialogen. Standardsetzung zur gesell-
schaftlichen Verantwortung von Organisationen: Der ISO
26.000-Prozess. Marburg 2011.
Wieland, J. (1998): Globalisierung und rechtliche Ver-
antwortung. Die Unternehmen als Akteure der Gesell-
schaft. S. 46–59 in Alwart, H. (Hrsg.): Verantwortung
und Steuerung von Unternehmen in der Marktwirtschaft.
München – Mering 1998.
Prof. Dr. habil. Josef Wieland
Lehrstuhl für Institutional Economics, Organisational Governance,
Integrity Management & Transcultural Leadership an der Zeppelin
University Friedrichshafen, Vorsitzender des DNWEseit 2012
Diese Ausgabe des Forums Wirtschaftsethik erscheint
mit freundlicher Unterstützung von S.H.A.R.E,
Stiftung für Mikrofinanz, Fairen Handel und
Friedensförderung e.V.
www.share-foundation.de
S.H.A.R.E. verfolgt das Ziel, in Entwicklungsländern
und Konfliktregionen Hilfsprojekte zu fördern und
aufzubauen, die den Kriterien der Befähigung zur
Selbsthilfe und zu eigenverantwortlichem Handeln
gerecht werden. Die Schwerpunkte liegen in der
Gewährung von Mikrofinanzdarlehen an kleine
Gewerbetreibende und Existenzgründer/innen in
Entwicklungsländern, um dort einen Beitrag zum
Aufbau mittelständischer Strukturen zu leisten.
Zudem sind es Projekte zur Bewusstseinsbildung
und Förderung des Fairen Handels sowie Beiträge
zum Aufbau friedensfördernder Projekte, welche
S.H.A.R.E. unterstützt.
Im Rahmen des Förderschwerpunktes Fairer Handel
hat die Stiftung die Auszeichnung und die vorliegende
Publikation unterstützt – vor allem aufgrund des
für den Fairen Handel vorbildhaften Tchibo-World
Enhancement of Social Quality Programs.
Diese Ausgabe des Forums Wirtschaftsethik erscheint mit freundlicher Unterstützung von S.H.A.R.E, Stiftung für Mikrofinanz, Fairen Handel und Friedensförderung e.V.
www.share-foundation.de
S.H.A.R.E. verfolgt das Ziel, in Entwicklungsländern und Konfliktregionen Hilfsprojekte zu fördern und aufzubauen, die den Kriterien der Befähigung zur Selbsthilfe und zu eigenverantwortlichem Handeln gerecht werden. Die Schwerpunkte liegen in der Gewährung von Mikrofinanzdarlehen an kleine Gewerbetreibende und Existenzgründer/innen in Entwicklungsländern, um dort einen Beitrag zum Aufbau mittelständischer Strukturen zu leisten. Zudem sind es Projekte zur Bewusstseinsbildung und Förderung des Fairen Handels sowie Beiträge zum Aufbau friedensfördernder Projekte, welche S.H.A.R.E. unterstützt.
Im Rahmen des Förderschwerpunktes Fairer Handel hat die Stiftung die Auszeichnung und die vorliegende Publikation unterstützt – vor allem aufgrund des für den Fairen Handel vorbildhaften Tchibo-World Enhancement of Social Quality Programs.