Was haben ‚Generationengerechtigkeit‘ und ‚Nachhaltige … · 2014-08-23 ·...

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Institute for Political Science

Bevölkerungspolitik aus umweltethischer Sicht

Prof. Dr. Dr. Jörg Tremmel Juniorprofessor Institut für Politikwissenschaft Eberhard Karls Universität Tübingen

Was haben ‚Generationengerechtigkeit‘ und ‚Nachhaltige Entwicklung‘ mit Bevölkerungspolitik zu tun?

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AGENDA

Zum Einstieg...

3 |

Werden unsere Enkelkinder es einmal besser haben als wir?

Was glauben SIE?

4 |

Haben wir es besser als unsere Großeltern es hatten?

Was glauben SIE?

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AGENDA

- „Generationengerechtigkeit“ und „Nachhaltige Entwicklung“ als neue Leitbegriffe

- „Demografische Nachhaltigkeit?“

- Umweltethische Überlegungen am Beispiel des Klimawandels

- Welche Bevölkerungspolitik ist ethisch legitim?

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EINSTIEG IN DAS THEMA

• Extrem rasanter Aufschwung des Begriffs „Nachhaltige Entwicklung“ • Die großen Weltkonferenzen der letzten Dekaden beschworen die

Begriffe ‚Nachhaltigkeit‘ bzw. ‚nachhaltige Entwicklung‘ ,

• Völkerrechtliche Abkommen nahmen sie auf

• Die Schweiz verankerte ‚nachhaltige Entwicklung‘ als erstes Land in ihrer Verfassung: „Art. 73 Nachhaltigkeit: Bund und Kantone streben ein auf Dauer ausgewogenes Verhältnis zwischen der Natur und ihrer Erneuerungsfähigkeit einerseits und ihrer Beanspruchung durch den Menschen anderseits an.“

• Nationale Nachhaltigkeitsstrategie der Schweiz (zur Zeit 2012-2015):

10 Ziele bzw. „Schlüsselherausforderungen“, die jeweils mit konkreten Maßnahmen unterlegt sind, um die Ziele zu erreichen.

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EINSTIEG IN DAS THEMA

• Zehn Schlüsselherausforderungen

1. Das Klima schützen und die Naturgefahren bewältigen 2. Den Energieverbrauch vermindern und erneuerbare Energien fördern 3. Eine nachhaltige Raumentwicklung gewährleisten 4. Die wirtschaftliche Produktivität bei gleichzeitiger Entkoppelung vom Ressourcen- und Energieverbrauch steigern, den Konsum auf die Nachhaltige Entwicklung ausrichten 5. Die natürlichen Ressourcen nachhaltig nutzen 6. Den sozialen Zusammenhalt stärken, die kulturelle Entfaltung und die Integration fördern und demographische Herausforderungen frühzeitig angehen 7. Die Gesundheit der Bevölkerung verbessern 8. Bei globalen Entwicklungs- und Umweltherausforderungen Verantwortung übernehmen 9. Die Finanzierung der öffentlichen Haushalte und der Sozialversicherungen langfristig sichern 10. Bildung, Forschung und Innovation konsequent für die Umsetzung der Nachhaltigen Entwicklung nutzen

8

EINSTIEG IN DAS THEMA

• „Generationengerechtigkeit“ ist eine wesentliche normative Fundierung von Nachhaltiger Entwicklung

• Rasanter Aufschwung des auch dieses Begriffs wie Medienanalyse und

Analyse der Parlamentsdebatten • Der wichtigste Interessenskonflikt des 19. u. 20. Jhdt. war der zwischen

Arbeit und Kapital, im 21. Jhdt. wird dieser Konflikt mehr und mehr ergänzt durch den Konflikt zwischen Generationen (sowohl zwischen jung und alt als auch zwischen den heute Lebenden und den noch nicht Geborenen).

• Zwei Megatrends sind dafür verantwortlich: - ökologische Krise - demografischer Wandel

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WAS IST GENERATIONENGERECHTIGKEIT? UND WAS NICHT?

INTERgenerationelle Gerechtigkeit = Generationengerechtigkeit:

Gerechtigkeit zwischen Generationen, die

in Durchschnittsindividuen zusammengefasst sind

Art der Bezugsobjekte: temporal: zwischen jungen, mittelalten und älteren heute lebenden Menschen intertemporal: zwischen Menschen, die gestern lebten, heute leben und morgen leben werden

Regionaler Bezug - global - National - Regional - usw.

INTRAgenerationelle Gerechtigkeit: Gerechtigkeit innerhalb einer Generation

Soziale Gerechtigkeit: Gerechtigkeit zwischen Arm und Reich

Internationale Gerechtigkeit: Gerechtigkeit zwischen verschiedenen Ländern

Geschlechtergerechtigkeit: Gerechtigkeit zwischen Männern und Frauen

Generationengerechtigkeit Andere Formen von Gerechtigkeit

Weitere Gerechtigkeiten zwischen Zeitgenossen: zwischen Kranken und Gesunden, unterschiedlichen Ethnien, etc.

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1. Kernfrage

Wieviel sollte jede Generation erhalten bzw. weitergeben?

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„Generationengerechtigkeit ist erreicht, wenn niemand aufgrund seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten Generation benachteiligt wird.“ (Heubach 2008, 44)

Sinnvoller wäre in jedem Fall eine Definition, die frühere Generationen herausnimmt, und sich nur noch auf die Zukunft bezieht: „Generationengerechtigkeit ist erreicht, wenn künftige Generationen nicht aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten Generation benachteiligt werden.“ Auch diese Definition ist noch egalitaristisch, denn sie sieht eine Gleichstellung von heutigen und künftigen Generationen vor.

DEFINITIONEN VON GENERATIONENGERECHTIGKEIT

Egalitaristische Konzeptionen von ‚Generationengerechtigkeit‘:

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„Verantwortungsvolle Eltern hinterlassen ihren Kindern ein Erbe, das möglichst größer [Hervorhebung J.T.] ausfällt, als sie es von ihren Eltern übernommen haben.“ (Höffe 2007, 6)

“Jede Generation sollte für nachrückende Generationen eine Bandbreite an Ressourcen und Chancen hinterlassen, die mindestens gleich groß [Hervorhebung J.T.] ist wie die Bandbreite der eigenen Ressourcen und Chancen.“ (Woodward 1986, 19)

Sinngemäß auch: Birnbacher (1988), 220; Kavka (1978), 200; Bayer (2004), 144.

DEFINITIONEN VON GENERATIONENGERECHTIGKEIT

Schwach komparativ-steigernde, nicht-egalitaristische Konzeptionen von ‚Generationengerechtigkeit‘:

„Jede Generation sollte an die nachfolgende einen positiven Nettotransfer leisten, der höher [Hervorhebung J.T.] ist als jener, den sie von ihrer Vorgängergeneration empfangen hat.“ (Hauser 2004, S. 36 )

„Selbst eine ganze Gesellschaft, eine Nation, ja alle gleichzeitigen Gesellschaften zusammengenommen, sind nicht Eigentümer der Erde. Sie sind nur ihre Besitzer, ihre Nutznießer, und haben sie als boni patres familias den nachfolgenden Generationen verbessert [Hervorhebung J.T.] zu hinterlassen.“ (Marx 1975, S. 784)

DEFINITIONEN VON GENERATIONENGERECHTIGKEIT

Stark komparativ-steigernde, nicht-egalitaristische Konzeptionen von ‚Generationengerechtigkeit‘:

„Generationengerechtigkeit ist erreicht, wenn die Chancen der Angehörigen der nächsten Generation, sich ihre Bedürfnisse erfüllen zu können, im Durchschnitt besser sind als die der Angehörigen ihrer Vorgänger-Generation.“ (Tremmel 2012)

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2. Kernfrage

Wovon sollte jede Generation erhalten bzw. weitergeben?

Kapitalart Beschreibung Berechnungsgrundlage Beispielrechnung Akt. Jahr Vorjahr

Naturkapital Erneuerbare und nicht-erneuerbare Ressourcen, Senken, Biodiversität, Ökosysteme, Atmosphäre, Ozonschicht, globale Stoffkreisläufe

Wert zum Periodenbeginn – Verbrauch von Naturkapital + Regeneration von Naturkapital

24-3+1=22 27-4+1=24

Sachkapital Verbrauchsgüter, Investitionsgüter, Infrastruktur, Gebäude (physische Gegenstände)

Wert zum Periodenbeginn – Abschreibungen + Investitionen

15-1+2=16 14-1+2=15

Finanzielles Kapital Finanzvermögen minus Schulden Konsolidierter Wert (Vermögen-Schulden) zum Periodenbeginn +/– Veränderungen von beidem

Vermögen: 7+2-1=8 Schulden: 3+2-1=4 Saldo=8-4=4

Vermögen: 6+2-1=7 Schulden: 2+2-1=3 Saldo=7-3=4

Kulturelles Kapital Institutionen (Politisches System, Wirtschaftssystem, Rechtssystem, Traditionen, Sprachen)

Konsolidierter Wert (positives – negatives Erbe) +/– Veränderungen von beidem

Pos: 11-2+1=10 Neg. 7+1-1=7 Saldo 10-7=3

P 12-2+1=11 N 7+1-1=7 Saldo 11-7=4

Sozialkapital Qualität und Quantität zwischen-menschlicher Kontakte

Wert zum Periodenbeginn +/– Veränderungen

6-2+1=5 7-2+1=6

Humankapital Fähigkeiten und Kenntnisse, Gesundheitszustand

Wert zum Periodenbeginn +/– Veränderungen

14-1+5=18 11-1+4=14

Wissenskapital Wissen (nicht in Personen inkorporiert) Wert zum Periodenbeginn +/– Veränderungen

23-1+5=27 20-1+4=23

Summe 95 89

WAS WEITERGEBEN? DAS KAPITALIENMODELL

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AGENDA

- „Generationengerechtigkeit“ und „Nachhaltige Entwicklung“ als neue Leitbegriffe

- „Demografische Nachhaltigkeit?“

- Umweltethische Überlegungen am Beispiel des Klimawandels

- Welche Bevölkerungspolitik ist ethisch legitim?

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Herwig Birg, deutscher Bevölkerungswissenschaftler und Pronatalist Birg (2001): Die demographische Zeitenwende. Der Bevölkerungsrückgang in Deutschland und Europa. München. S. 12

„Viele Menschen bewegen die Sorgen über eine ökologisch nachhaltige Entwicklung unseres Landes und unseres Planeten. Dabei kommt es ihnen meist nicht in den Sinn, dass zur ökologischen Nachhaltigkeit eigentlich auch eine demografische Nachhaltigkeit (Herv. J.T.) gehört. Dass auch der Mensch eine natürliche Spezies ist, deren abnehmende Zahl in Deutschland und in anderen Industrieländern nicht weniger alarmierend ist als die der zurückgehenden Populationen einiger Tier- und Pflanzenarten, scheint niemanden wirklich zu kümmern.“

DEMOGRAFISCHE NACHHALTIGKEIT?

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KOMPLEXE BEZIEHUNG

Impact-Matrix Einfluss verschiedener Elemente des demografischen Wandels auf bestimmte Nachhaltigkeitsindikatoren Erklärung: -3: Zeile hat starken negativen Effekt auf Spalte -2: Zeile hat mittleren negativen Effekt -1: Zeile hat schwachen negativen Effekt 0: Zeile hat keinen Effekt auf Spalte +1: Zeile hat schwachen positiven Effekt auf Spalte +2: Zeile hat mittleren positiven Effekt +3: Zeile hat starken positiven Effekt

A. Ökologische Zielgrößen (CO2-Ausstoß, Artenvielfalt, Umweltverschmutzung, Ressourcenverbrauch etc.)

B. Wettbewerbfähigkeit, internationale Konkurrenzfähigkeit

C. Umlagefinanzierte Alterssicherungssysteme, Pflegeversicherung, Krankenversicherung

D. Kapitafinanzierte Rentensysteme

E. Arbeitslosen-quote

F. Bildungssysteme

G. Finanzielle Solidität/Staatsverschuldung

H. Stabilität der Demokratie

Demografischer Wandel

1. Alterung der Bevölkerung 0 -2 -3 -1 -1 -1 0 +1 2. Verjüngung der Bevölkerung 0 +2 +3 +1 +1 +1 0 -1 3. Schrumpfung der Bevölkerung +2 0 - - +1 +1 -2 0 4. Wachstum der Bevölkerung -3 0 - +1 -2 -1 +2 -1

Quelle: Tremmel (2008): Demographic Change and Intergenerational Justice. The Implementation of Long-term Thinking in Political Decision-Making. Berlin/Heidelberg: Springer Verlag. S. 138.

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AGENDA

- „Generationengerechtigkeit“ und „Nachhaltige Entwicklung“ als neue Leitbegriffe

- „Demografische Nachhaltigkeit?“

- Umweltethische Überlegungen am Beispiel des Klimawandels

- Welche Bevölkerungspolitik ist ethisch legitim?

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Demografie

Ausgewählte Daten und Fakten

22

Source: Eurostat 2004 Demographic Projections (Baseline Scenario)

Die Weltbevölkerung hat sich im 20. Jahrhundert vervierfacht

23

Source: Eurostat 2004 Demographic Projections (Baseline Scenario)

…und wächst aufgrund des Trägheits-effektes weiter, obwohl die TFR sinkt

24

Source: Eurostat 2004 Demographic Projections (Baseline Scenario)

Europa und Ostasien sind die am dichtesten besiedelten Regionen

25

Geburtenrate der Schweiz 1960 bis heute: europäischer Durchschnitt: 1,5 Kinder pro Frau

Quelle: Bundesamt für Statistik

26

Quelle: Weißbuch der EU zu demografischem Wandel

GEBURTENRATEN IM EUROPÄISCHEN VERGLEICH

27

Bevölkerungsentwicklung der Schweiz bis heute: starkes Wachstum

Quelle: Bundesamt für Statistik

28

Bevölkerungwachstum seit 10 Jahren maßgeblich verursacht durch Nettomigration

Quelle: Bundesamt für Statistik

29

Bevölkerungsprojektionen für die Schweiz: 9 Mio bis 2050

Quelle: Bundesamt für Statistik

30 | Author/Topic/Category/Title etc. © 2010 University of Tuebingen

Bevölkerungsentwicklung in Deutschland: seit einigen Jahren stagnierend/moderat sinkend

Quelle: Destatis

31

02000 2010 2020 2030 2040 2050

0

200

400

600

800

1.000

1.200Tausend

72

213296

429

576

200

400

600

800

1.000

1.200

Gestorbene

Lebendgeborene

Differenz zwischen Gestorbenen und Lebendgeborenen

Ab 2002 Schätzwerte der 10. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung, Variante 5 „mittlere“Bevölkerung: Mittlere Wanderungsannahme W2 (jährlicher Saldo von mindestens 200.000) undmittlere Lebenserwartung L2 (durchschnittliche Lebenserwartung 2050 bei 81 bzw. 87 Jahren).

Tausend

505

Differenz zwischen Geburten und Sterbefällen wächst

32

Bevölkerungsprojektionen für Deutschland

Quelle: Destatis

33

Klimawandel

Ausgewählte Daten und Fakten

Naturwissenschaftlicher Wissensstand

2 t

Verteilungsgerechtigkeit - internationale Gerechtigkeit

Schweiz: 5,8 Tonnen CO2/Kopf

Folgen der physikalischen Veränderungen:

- Zunahme extremer Wetterereignisse (Dürren, Stürme, Starkniederschläge)

- Überschwemmungen durch steigende Meeresspiegel

- Trinkwasserverknappung

- Verlust von Lebensraum

- Flüchtlingsströme

- Konflikte und kriegerische Auseinandersetzungen (Welzer 2009)

Naturwissenschaftlicher Wissensstand

Um 1850 1644 (grün), 1821 (rot) und 1895 (orange)

Der Rückgang der Gletscher am Beispiel Mer de Glace (Mont Blanc-Gebiet)

Naturwissenschaftlicher Wissensstand

Gedankenkette des Ethikers Gedankenkette:

1.) Durch Klimawandel entstehendes menschliches Leid soll verhindert werden

2.) Ein Anstieg des Meeresspiegels sowie von extremen Wetterereignissen muss folglich minimiert werden

3.) Der Temperaturanstieg muss folglich begrenzt werden

4.) Um folglich die kumulierte Menge an Treibhausgasen in der Atmosphäre langfristig zu stabilisieren, liegt das globale Emissionsbudget für Kohldioxidäquivalente in der Zeit zwischen 2010 und 2050 bei 560 Milliarden Tonnen CO2e (Gt CO2e).

38 |

Verteilungsgerechtigkeit

Internationale Gerechtigkeit, B = 7 Mrd. Menschen,

Pro-Kopf-Emissionen

Zeit

2 t/Jahr

4 t/Jahr

1 t/Jahr

Länder mit Individuen, im Durchschnitt einen hohen Verbrauch haben

Länder mit Individuen, im Durchschnitt einen niedrigen Verbrauch haben

Verteilungsgerechtigkeit - internationale Gerechtigkeit

Internationale Gerechtigkeit, B = 9 Mrd. Menschen, Δ Bevölkerung exogen

Pro-Kopf-Emissionen

Zeit

2 t/Jahr

4 t/Jahr

1 t/Jahr

Länder mit Individuen, im Durchschnitt einen hohen Verbrauch haben

Länder mit Individuen, im Durchschnitt einen niedrigen Verbrauch haben

1,43 t/Jahr

Verteilungsgerechtigkeit - internationale Gerechtigkeit

Entwicklung der absoluten Klimagas-Emissionen von Schweiz und Angola

2010 2020 2030 2040 2050

Schweiz

CO2-Kopf u Jahr 5,8 5,8 5,8 5,8 5,8 Bevölkerungszahl 7,7 7,9 8,1 8,0 7,9 CO2 absolut 44,7 45,8 47,0 46,4 45,8

2010 2020 2030 2040 2050

Angola

CO2-Kopf u Jahr 1,3 1,3 1,3 1,3 1,3 Bevölkerungszahl 19,1 24,8 30,8 36,7 42,3

CO2 absolut 24,8 32,2 40,0 47,7 55,0 Quelle Bevölkerungszahlen: UN Population Division (2010): World Population Prospects: The 2010 Revision Quelle Treibhausgasemissionen: www.bafu.admin.ch; www.factfish.com

Verteilungsgerechtigkeit - internationale Gerechtigkeit

Entwicklung der absoluten Klimagas-Emissionen von Deutschland und Pakistan

2010 2020 2030 2040 2050

Deutschland

CO2-Kopf u Jahr 9,5 9,5 9,5 9,5 9,5 Bevölkerungszahl 82 80 78 74 71 CO2 absolut 779 760 741 703 675

2010 2020 2030 2040 2050

Pakistan

CO2-Kopf u Jahr 1,8 1,8 1,8 1,8 1,8 Bevölkerungszahl 185 226 265 302 335

CO2 absolut 333 407 477 544 603

Quelle: UN Population Division (2009).

Verteilungsgerechtigkeit - internationale Gerechtigkeit

Internationale Gerechtigkeit, B = 9 Mrd. Menschen, keine Bevölkerungspolitik

Pro-Kopf-Emissionen

Zeit

2 t/Jahr

4 t/Jahr

1 t/Jahr

Länder mit Individuen, im Durchschnitt einen hohen Verbrauch haben und deren Bevölkerung nach t0 konstant bleibt

Länder mit Individuen, im Durchschnitt einen niedrigen Verbrauch haben und deren Bevölkerung nach t0 wächst

1,43 t/Jahr

2,57 t/Jahr

Klimagerechtigkeit zwischen Staaten

1. Die Gebote intergenerationeller Gerechtigkeit sind zu beachten. Insgesamt darf die heutige Generation bis 2050 nicht mehr als 560 Milliarden Tonnen emittieren.

2. Die steigende oder sinkende Bevölkerungszahl jedes einzelnen Landes sollte bei einem Klimavertrag mitberücksichtigt werden. Als Referenzjahr sollte das Jahr 1990 gewählt werden, also das Jahr ab dem der Klimawandel - und damit auch der Beitrag von Bevölkerungswachstum zu Klimawandel - der Weltöffentlichkeit bekannt wurde.

(Weitere Regelungen bezüglich der historischen Emissionen, der Schäden durch extreme Wetterereignisse, des Zertifikatehandels etc. sind nötig im Rahmen eines fairen Klimadeals)

Ein fairer Klimadeal unter Berücksichtigung von Bevölkerungspolitik

Ein fairer Klimadeal unter Berücksichtigung von Bevölkerungspolitik

Kritik: Bevölkerungspolitik ist unmoralisch, da sie Menschenrechte und Wahlfreiheit verletzt

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AGENDA

- „Generationengerechtigkeit“ und „Nachhaltige Entwicklung“ als neue Leitbegriffe

- „Demografische Nachhaltigkeit?“

- Umweltethische Überlegungen am Beispiel des Klimawandels

- Welche Bevölkerungspolitik ist ethisch legitim?

Bevölkerungspolitik ≠ Geburtenpolitik

Definition: Bevölkerungspolitik Bevölkerungspolitik bezeichnet staatliche Interventionen, die

demografische Veränderungen hinsichtlich der Zahl, der Zusammensetzung, dem Altersaufbau, der Wachstumsrate oder Verteilung einer Bevölkerung bewirken sollen.

• Entsprechend der demografischen Grundgleichung (drei Komponenten: Geburtenrate, Sterberate und Migration) lassen sich drei bevölkerungspolitische Teilbereiche unterscheiden:

1. Eine Politik zur Beeinflussung der Fertilität einer Bevölkerung mit dem Ziel einer Erhöhung/Senkung der Geburtenrate (pro- oder antinatalistischen Geburtenpolitik)

2. Eine Gesundheitspolitik mit dem Ziel der Reduzierung der Morbidität

3. Eine Migrations- und Urbanisierungspolitik mit dem Ziel die Anzahl und Verteilung der Bevölkerung zu beeinflussen

Antinatalistische Geburtenpolitiken – klassifiziert nach ethischer Legitimierbarkeit

1. Der indirekte Ansatz 2. Der appellative Ansatz 3. Der Ansatz finanzieller Vergünstigungen 4. Der Ansatz der Begrenzung finanzieller Vergünstigungen 5. Der Ansatz finanzieller Sanktionen 6. Der Rationierungs-Ansatz

Erhöhung der Optionen/Freiwilligkeit

Verminderung von Optionen/Zwang

1 2 3 4 5 6

Systematisierung der staatlichen Maßnahmen: • Der indirekte Ansatz: Keine direkte Beeinflussung der Kinderzahl seiner Bürger Statt dessen wird versucht andere Größen zu beeinflussen,

(z.B. Verbesserung der Gesundheitsleistungen und Bildung, etc.)

• Der appellative Ansatz: Es wird an das Individuum appelliert, freiwillig ein

bestimmtes Geburtenniveau nicht zu überschreiten (z.B. Propaganda)

• Der Ansatz finanzieller Vergünstigungen: Der Staat bietet „positive“ finanzielle Anreize für das von ihm

vorgesehene Reproduktionsverhalten (z.B. verbilligte Kredite für kleine Familien)

• Der Ansatz der Begrenzung finanzielle Bonussysteme: Der Staat beschränkt bestehende finanzielle

Vergünstigungen auf eine bestimmte Kinderzahl (z.B. Kindergeld nur für das erste Kind)

• Der Ansatz finanzieller Malussysteme: Der Staat setzt „negative“ finanzielle Anreize bei

Überschreitung einer bestimmten Kinderzahl (z.B. Strafsteuer für überzählige Kinder)

• Der Rationierungs-Ansatz: Bei bereits erreichter Kinderzahl gilt eine zusätzliche

Schwangerschaft als illegal und Zwangsmaßnahmen setzten ein (z.B. Zwangssterilisationen)

Ethische Entscheidungspfad im Hinblick auf Geburtenpolitik

Ist Geburtenpolitik grundsätzlich unethisch?

Ja Nein

Ende der Überlegungen

Welche Arten gibt es und sind diese als ethisch zulässig?

Indirekter Ansatz

Appelativer Ansatz

Finanzielle Boni

Finanzielle Mali

Rationierung

Ja

Ja

Nein

Weitere Überlegungen notwendig: - Sind Boni und Mali ethisch gesehen identisch? - Bis zu welcher Höhe ist beides ethisch legitimierbar?

Bevölkerungsethisches Fazit

1. Wer eine ganz bestimmte Zahl von Kindern will, der

verliert bei moderaten finanziellen Anreizen oder Sanktionen auch dann nicht seine relative Einkommensposition in seiner Gesellschaft, wenn diese Kinderzahl von der staatlich propagierten Kinderzahl (weit) abweicht. Sind die finanziellen Anreize oder Sanktionen dagegen hoch, dann ändert sich die ökonomische Position eines Paares gravierend, wenn es eine andere Kinderzahl anstrebt als die vom Staat gewünschte.

2. Vier-Fünftel-Regel von Tremmel als Faustregel

3. Einschränkung: Nur demokratisch legitimierte Regierungen dürfen Bevölkerungspolitik betreiben.

Bevölkerungsethisches Fazit

1. Moderate antinatalistische Geburtenpolitik ist nicht

unmoralisch, Länder wie Angola und Pakistan können und sollten sie betreiben

2. Klimaregime sollten bevölkerungspolitische Klausel miteinbeziehen, Malus für Ländern mit stark wachsenden Bevölkerungen

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KOMPLEXE BEZIEHUNG

Impact-Matrix Einfluss verschiedener Elemente des demografischen Wandels auf bestimmte Nachhaltigkeitsindikatoren Erklärung: -3: Zeile hat starken negativen Effekt auf Spalte -2: Zeile hat mittleren negativen Effekt -1: Zeile hat schwachen negativen Effekt 0: Zeile hat keinen Effekt auf Spalte +1: Zeile hat schwachen positiven Effekt auf Spalte +2: Zeile hat mittleren positiven Effekt +3: Zeile hat starken positiven Effekt

A. Ökologische Zielgrößen (CO2-Ausstoß, Artenvielfalt, Umweltverschmutzung, Ressourcenverbrauch etc.)

B. Wettbewerbfähigkeit, internationale Konkurrenzfähigkeit

C. Umlagefinanzierte Alterssicherungssysteme, Pflegeversicherung, Krankenversicherung

D. Kapitafinanzierte Rentensysteme

E. Arbeitslosen-quote

F. Bildungssysteme

G. Finanzielle Solidität/Staatsverschuldung

H. Stabilität der Demokratie

Demografischer Wandel

1. Alterung der Bevölkerung 0 -2 -3 -1 -1 -1 0 +1 2. Verjüngung der Bevölkerung 0 +2 +3 +1 +1 +1 0 -1 3. Schrumpfung der Bevölkerung +2 0 - - +1 +1 -2 0 4. Wachstum der Bevölkerung -3 0 - +1 -2 -1 +2 -1

Quelle: Tremmel (2008): Demographic Change and Intergenerational Justice. The Implementation of Long-term Thinking in Political Decision-Making. Berlin/Heidelberg: Springer Verlag. S. 138.

Literaturtipp

Die Untersuchung prüft, ob Bevölkerungspolitik ethisch vertretbar sein kann, wenn sie durchgeführt wird, um ökologische Nachhaltigkeit zu erreichen. Zunächst wird anhand des Beispiels der rückläufigen Artenvielfalt empirisch untersucht, ob Bevölkerungswachstum wirklich zu Naturbelastung führt. Daraus wird ein Modell zur Bewertung antinatalistischer Geburtenpolitiken entwickelt. „Dieses Buch ist ein Muss für alle, die an Fragen der Bevölkerungspolitik und Nachhaltigkeit interessiert sind.“ Prof. Dr. Ortwin Renn Heute hier in Zürich: 20 SFR

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Danke. Kontakt: Prof. Dr. Dr. Jörg Tremmel Juniorprofessor Institut für Politikwissenschaft Melanchthonstr. 36 72074 Tübingen joerg.tremmel@uni-tuebingen.de