Post on 09-Feb-2016
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Zum Verhältnis von Theorie und Praxis in der Pädagogik
Dr. Menno Baumann
Beispiel 1: Der Automechaniker
Kunde kommt undbeschreibt ein Problem
Mechaniker hört zu
Phase der Diagnostik:
probiert dass Autoselbst aus; kontrolliertbestimmte Funktionen;
hört und sieht
Theoriebezug:weiß, dieses Problem
kann bestimmte Ursachenhaben
vergleicht mit seinem Wissen;bestimmt das Problem
behebt das Problem/repariert das
Auto
Deduktives Verhältnis:
Der Praktiker leitet seine Handlungen aus seinem (theoretischen) Wissen ab
Beispiel 2: Die „Erfindung“ der Schwerkraft
Ich beobachte:Lasse ich meinen Schlüssel
fallen, fällt er zu Boden
Ich beobachte: Lasse ich einen Ball fallen,
fällt er zu Boden
Ich beobachte:Lasse ich eine Feder fallen,
fällt sie zu BodenIch verallgemeinere:Gegenstände fallen zu Boden:
Prinzip der Schwerkraft
Anwendung dieses Prinzips z.B. in der Technik
Induktives Verhältnis:
Wissenschaft beobachtet Realität, verallgemeinert sie und gibt Erkenntnisse zurück in die Praxis
Beispiel 3: Der Fahrschüler
Fragebögen:Lernt Verkehrsregeln
an anschaulichenBeispielfragen und
Bildern
Fahrstunden:Erwirbt Routine in der
Kontrolle des Fahrzeugesund im Verkehr.
Fahrlehrer erläutert Verkehrsregeln in
der konkreten Situationim Straßenverkehr
Durch alle drei Bausteine erwirbt derFahrschüler die Kompetenz, auch
in unbekannten Situationen souverän undrichtig zu handeln
Verinnerlichungs-These: Durch die Verinnerlichung von Theorien und durch Routine lerne ich souveränes Handeln
Einfluss von Theorien auf pädagogische Entscheidungen:
Beispiel: Schriftspracherwerb
Alltagstheorie/ Erfahrungswissen der Lehrer: Fehler prägen sich ein
und sind deshalb zu vermeidenKonse
-quenz
Anfangsunterricht besteht aus demLesen und Schreiben von Lern-
wörtern; Buchstaben werdennacheinander eingeführt; eigene
Schreibversuche sind unerwünscht
Rechtschreibregeln werden gelernt und angewendet;
wachsende Zahl von Lernwörtern
Fehler sind unerwünschtund werden unabhängig
von ihrer Qualität geahndet
Wissenschaftliche Forschung zum Schriftspracherwerb zeigt:Es gibt eine natürlich Entwicklung derSchriftsprachkompetenz im Erwerb derorthographischen Strategien:1. Lautierendes Schreiben2. Lernwörter auswendig schreiben3. Rechtschreibregeln verinnerlichen und anwenden
Unterricht wird geöffnet;Spracherfahrungsansatz:Kinder werden ermutigt,sich inhaltlich mitzuteilen
Bedeutung von Wissen:
Pädagogisches Handeln wird auf der Grundlage des Wissens über Lernprozesse/ Entwicklungsschritte geplant und umgesetzt
Handlungsfähigkeit in pädagogischen Grenzsituationen:
Pädagoge Klienten
- eigene Geschichte- aktuelle Befindlichkeit- institutionellen Auftrag- eigenes Berufsbild- Menschenbild- eigenen theoretischen Hintergrund
- eigene Geschichte- aktuelle Befindlichkeit- Erwartungen an den Pädagogen- Erfahrungen mit Institutionen
Konfrontiert mit diffusen Bedürfnissen
Macht ein durch die Rolle bedingtes Angebot
Muss diffusen Anteile der Beziehung annehmen
Antwortet auf diffuses Beziehungsangebot
verstärkt Bedürfnisse
Muss seine Rollendefinition wahren und vertreten
Nimmt Rollendefinition trotz Diffusität seines Beziehungsangebotes an
Pädagogisches Handeln als Balanceakt zwischen rollenförmigem Verhalten und diffusen Beziehungselementen
Anforderung an Pädagogen: - Beziehungselemente reflektieren- zielgerichtet handeln
Gefahr bei mangelnder Reflexion (rein intuitiven Handeln):
Überbetonung diffuserBeziehungselemente
emotionale Verwicklung Überforderung
Burn-Out
Rückzug auf rollenförmigeBeziehung
Distanzierung
Cooling-Out
Theorie und pädagogische Handlungskompetenz
Faktor I:Menschen- undEntwicklungsbild
Beispiele aus der Forschung:
- Zwei Lehrer bekommen ver- gleichbare Klassen. Einem wird gesagt, es sei eine Leistungs- starke Klasse, dem anderen, er habe eine Problemklasse vor sich. Nach einem Schuljahr stimmen diese Eingangsinstruktionen mit der tatsächlichen Situation überein!
-In Krankenhäusern, in denen die Ärzte und das Pflegeper- sonal der Überzeugung sind, ein Koma sei ein Bedauerns- werter und unwürdiger Zustand, regenerieren sich Menschen signifikant schlechter als in Settings, in denen ihnen Rehabilitationspotential zu- getraut wird!
- Welches Entwicklungspotential in einer Interaktion steckt, ist wesentlich davon abhängig, wie die Interaktionspartner sich wahrnehmen. Dies wiederum ist auch (und bei Sonder- pädagogen vor allem) Theorie- geleitet!
Hypothese:
Faktor II: Reflexion der
Beziehung
Hypothese:
Gerade in pädagogischen Grenzsituationen muss ichmeine Beziehung zum Ge-genüber Reflektieren können!-gilt die Feindseligkeit mir persönlich?-welchen Einfluss haben Sympathie/ Antipathie-was fühle ich, wenn er sich so verhält?
Faktor III:Möglichkeiten
der Perspektiv-planung
Vorraussetzung:
-Möglichkeit, Kreisläufe und stereotype Interaktions- muster zu erkennen-Möglichkeit, selbst in die kritische Distanz zu gehen-Möglichkeit, auch unge- wöhnliche Verhaltenswege zu verstehen und ihnen Sinn zuzuschreiben-Fähigkeit, Hypothesen und Handlungswege abzuleiten
Wie entstehen Theorien und theoretisches Wissen?
Ein etwas „merkwürdiges“ Beispiel:
Das Forschungsergebnis:
Eine japanische Studie ergab, dassim menschlichen Gehirn der Neuro-transmitter „Dopamin“ ausgeschüttetwird, wenn ein Mensch direktenBlickkontakt mit einem als attraktiveingestuften, freundlich guckendenMenschen hat.
Interpretation:
Dopamin wird im Gehirn mit positiven Emotionen in Ver-bindung gebracht und gilt als dem Lernen förderlich.
ein motivierender Blick fördert das Lernen
Konsequenz für pädagogische Theorie
Schüler brauchen einen motivierenden Blick durch den Lehrer. Ein Lehrer ist motiviert, wenn eretwas tut, was ihm Spaß macht. Ein Lehrer sollte nur das Unterrichten, was ihm Spaß macht. Jeder Lehrer sollte nur ein Fach (sein Lieblings-fach) unterrichten, um seine Schüler motivieren zukönnen. Also: radikale Forderung nach demFachlehrerprinzip! (Spitzer 2002)
Der Denkfehler: Aus einem einzelnen Ergebnis wird ohne pädagogischen Hintergrund versucht, einen komplexen Sachverhalt zu erläutern. Praxis lässt sich nicht direkt aus Theorie ableiten!!!
Ein „etwas anderer“ Weg der Theoriebildung:
Das Forschungsprojekt „Systemsprenger“
Problem aus derPraxis:
Erfahrung, dass mancheKinder und Jugendliche trotz
intensiver Betreuung undhoher Toleranz nicht
gehalten werden können.
Erste Untersuchungsphase:Quantitative Untersuchung zur Größenordnung dieserProblemgruppe durch Fragebögen an die Leitungen nds. Jugend-hilfeeinrichtungen
Zweite Untersuchungsphase:Qualitative Untersuchung von HPG-Berichten und Interviews mit Mitarbeiternvon Wohngruppen. Frage-stellung: Worin liegen dieBelastungsmomente mit diesen Jugendlichen?
Verallgemeinerung:Worin besteht das Scheiternvieler Jugendlicher an und in der stationären Jugendhilfe.
Ebene der Praxis Ebene der Theorie
-Es gibt Kinder und Jugendliche, die mit den „normalen“ pädagogischen Mitteln der Erziehungshilfe nicht tragbar sind.-Es gibt spezifische Belastungsfaktoren, die zum Scheitern von Jugendlichen und Jugendhilfe anein- ander führen
-Menschen brauchen Beziehungen-Menschliches Verhalten ist immer sinnvoll.-Menschen versuchen, dem Verhalten des anderen Intention zuzu- schreiben.-scheitert dies, entsteht Unsicherheit und der Wunsch, sich der Si- tuation zu entziehen oder sie zu kontrollieren.
Zwischenebenepädagogisches
Konzept
Grundannahme:Die Möglichkeiten, mit denEigenheiten des Gegen-übers umzugehen, erhöhen sich, wenn es gelingt, dem Verhaltendes anderen Intention zuzuschreiben
Konzept derverstehenden,
subjektlogischenDiagnostik als
Krisenintervention