Post on 10-Jul-2016
Aus DEM PHYSIOLOGISCHEN INSTITUT ZU BRESLAU.
ZUR
THEORIE DER PROTOPLASMABEWEGUNG UND
OBER DIE AUFFASSUNG DES PROTOPLASMAS ALS CHEMISCHES SYSTEM.
V0N
P A U L JENSEN, BRESLAU.
Mit 1 Textabbildung.
I.
P r o t o p l a s m a b e w e g u n g und Oberfl~ichenkritf te.
(Erwiderung an M. H e i d e n h a i n . )
Iu einer ktirzlich erschienenen Abhandlung: ~,Die allgemeine
Ableitung der Oberflachenkriifte uud die Anwendung tier Theorie
der Oberfl~tchenspannung auf die Selbstordnung sich bertihren-
der Furchungszellen ~' (6) wendet sich M. t t e i d e n h a i n sehr
nachdrtick]ich gegen die Ansicht, dass die Bewegung des rhizo-
podoiden Protoplasmas und derMuskelsubstanz durch J~nderungen
der Oberfl~chenkr~tfte verursacht werde. Als Ankniipfungspunkt
fiir seine Kritik w~hlt t t e i d e n h a i n meine Theorie der Proto-
plasmabewegung, als die am meisten ausgearbeitete, und sucht
den Nachweis zu ftihren, dass sie ~,den physikalischen Grund-
thatsachen direkt widerspricht" (6, S. 303).
Da H e i d e n h a i u mit der Ablehnung meiner Theorie zu-
gleich alle anderen auf gleicher Basis entwickelten Bewegungs-
theorien fiir erledigt erkl~trt, so gebietet es mir das Interesse
fiir den prinzipiellen Standpunkt, zugleich mit meiner Theorie
auch diesen letzteren zu verteidigen. Das l~sst sich leider nicht
ganz kurz machen, da H e i d e n h a i n s Kritik sich lediglich
auf eine Anzahl yon Hypothesen sttitzt, deren Besprechung ich
daher bei meiner Gegenttusserung nicht entgehen kann.
Als Grundlage meiner Gegenkritik werde ich die beztig-
lichen Auseinandersetzungen H e id e n h a i n s bier wOrtlich wieder-
832 P A U L JENSEN,
geben: ,,J e n s e n - - bring~ die Ausstreckung der Pseudopodien
mit einer Assimilation 1), die Einziehung oder Kontraktion der-
selben mit einer Dissimilation 1) in Zusammenhang. Dies wird
als physiologische Thatsache vorausgesetzt. Die Assimilation
soll Verminderung der Molekttlzahl des Mediums uud infolge-
dessen Verringerung seiner Molekularkraft und damit auch a n-
g e b ] i c h eine Abnahme des Wertes tier Oberflaehenspannung
bedingen; daher die Expansion des Plasmas, id cst Pseudo-
podienbildung an der Stelle lokaler Assimilation. Umgekehrt
soll die Dissimilation eine Vermehrung der Molekttlzahl des
Mediums, folglich Vermehrung tier Molekularkraft und damit
auch angeblieh eine ErhOhung des Wertes der Oberflaehen-
spannung, sowie Kontraktion der expandierten Pseudopodien zur Folge haben.
,Bei genauerer Bereehnung stellt sich indessen heraus, dass
unter Zugrundelegung der Jen sen schen Annahmen genau tier
umgekehrte Effekt eintreten wfirde. Ich komme namlich meines-
tells zu folgenden Schltissen. Eine Vermehrung der Molekttl-
zahl (einer w~isserigen LOsung, bezw. bier eines w~tsserigen Ge-
misehes im Sinne der Oberfl~chentheoretiker: Plasma) bewirkt
nicht schlechthin eine Vermehrung der Oberfl~ichenspannung;
sind die in Betracht kommenden Molekiile kolloidaler Natur, so
geht die Oberfl~tehenspannung (bei Begrenzung des gedaehten
Mediums mit Luft} h e r u n t e r . Abet sehen wir hiervon ab
und nehmen wir an, eine Vermehrung der Molekfilzahl in de m
e i n e n der beiden sich begrenzenden Medien (Plasma/Wasser)
wfirde eine Vermehrung der Molekularkraft eben d i e s e s
Mediums bedingen, so wfirde es eben doch sehr darauf an-
kommen, w e l c h e s der beiden Medien eine ErhShung der Mole-
kularkraft erfahrt '~ (1. c. S. 303 f.).
1) Das soll he i ssen : mit~ einer v e r s t g r k t e n k s s i m i l i e r u n g (aufs te igenden A n d e r u n g [t t e r i n g]) und einer v e r s t ~ r k t e n Diss imi l i e rung (abste igenden * n d e r u n g des Prot~oplasmas).
Zur Theorie der Protoplasmabewegung etc. 833
Hier sind einige er]~uternde Darlegungen aus einem vor-
hergehenden Tell der H e i d e n h a i n schen Abhandlung einzu-
sehalten (S. 538--244). Daselbst wird darauf hingewiesen, dass
die sog. ,gemeinschaftliehe '~ Oberfl~che zweierMedien, z. B.
zweier Flfissigkeiten oder einer Fifissigkeit und eines Gases in
Wirkliehkeit aus zwei Grenzfl~cheu bestehe, u~mlich den sieh
berfihrenden Oberfl~chen der beiden Medien. Die physikalisehe
Beschaffenheit und damit die Oberflachenspannungen dieser
beiden Grenzflaehen seien im allgemeinen verscbieden. Sic
h~tngen ab yon der Diehte (,~Molekularkraft") sowohl des zu-
gehSrigen als auch des angrenzenden Mediums. Seien die
Diehten (,Moleku]arkrafte ~) der beiden Medien D und L ein-
ander vS1]ig gleich, wie bei Berfihrung zweier Teile desselben
Medimns, so sei die Oberfl~ehenspannung der beiden Grenz-
schiehten = 0. Sei hingegen Medium D diehter (yon gr6sserer
Molekularkraft) als Medium L, so sei aueh die Oberfl~tchen-
spannung seiner Grenzsehicht grSsser als Null und zwar um so
mehr, je gr~sser die D i f f e r e n z der D i c h t e n (Molekular-
krafte) der beiden sieh berfihrenden Medien sei. Die Ober-
fl~tchenspannung yon D sei z. B. verhaltnismassig gross, wenn
D eine Flfissigkeit und L ein Gas ist. Geringer sei die Ober-
flaehenspannung yon D (des diehteren Mediums), wenn zwei
Flfissigkeiten zusammenstossen. Hier gabe es a, lso Werte, die
zwischen Null und denjenigen liegen, die ffir die Grenze von
Fl~issigkeiten und Gasen gelten.
Das bis jetzt Ausgeffibrte gilt naeh H e i d e n h a i n nur ffir
die Grenzflaehe des d i c h t e r e n Mediums D. Von diesem soll
aber auch die physikalische Beschaffenheit des w e n i g e r
d i e h t e n Mediums L abhangig sein, und zwar werde, sobald
die Spannung der Grenzsehicht yon D grSsser als Null (,,kon-
traktiv") wird diejenige yon L (des weniger diehten Mediums)
negativ {,expansive'), und je mehr der eine Weft fiber Null steige,
um so mehr sinke tier andere Wert darunter; dies abet in dem
834 PAUL JENSEN,
Masse, dass die algebraische Summe der Spannungen beider
Grenzschichten, also die ,gemeinsehaftliche ~' Spannung stets
gr~sser als Null, also stets ,kontraktiv ~ sei.
Im Falle tier Protoplasmabewegung handelt es sich also
nach H e i d e n h a i n um ,zwei Medien D und L, yon grSsserer
und geringerer Molekuiarkraft und erst aus der Differenz dieser
Kr~fte ergiebt sich die Oberfi~ehenspannung. Diese wird nun
ihrem Werte nach wachsen, wenn die Molekfilzahl bezw. die
Molekularkraft yon D vergrSssert wird. Denn nur in diesem
FMle vermehrt sich die Differenz der Kr~fte yon D und L.
Die Oberfl~chenspannung wird dagegen verringert werden, wenn
wir die Molekfilzahl (Molekularkraft) yon L waehsen lassen,
denn in diesem Falle nimmt die Differenz der Kr~fte yon D
und L ab. Dass diese Argumentation riehtig ist, ist leicht ein-
zusehen; denn wit k~nnen ja die Molekularkraft yon L so lange
wachsen lassen, bis sie gleich derjenigen yon D ist; in diesem
Falle wfirde die Ol~erfl~chenspannung gleich Null sein.
,,In unserem Falle lasst J e n s e n bei der KontrakUon der
Pseudopodieu eine Dissimilation eintreten; dieses ist seine
physiologische Voraussetzung. Es wfirde also die Molekularkraft
des Plasmas in seinem Sinne sich erhShen. Wenn diese aber
w~chst, so nahert sie sich der Molekularkraft des Wassers, welches
das zweite Medium vorstellt, und die gemeinschaftliehe Ober-
flachenspannung mfisste sinken. Wenn daher Kontraktion und
Dissimilation Hand in Hand gehen, dann ist auch sieher, dass
die Anderung der Oberfiachenspannung n i c h t die Ursaehe der
Koutraktion ist. Das gleiche gilt natiirlieh von dem Verh~ltnis
der Assimilation und Expansion der Pseudopodien. Wird im
Plasma assimiliert, so wiirde sieh im Sinne J en s e n s die Molekfil-
zahl des Plasmas verringern. Geschieht dies, so w~tchst die
Differenz der Molekularkr~fte der beiden begrenzenden Medien
Plasma/Wasser und der Wert der Oberflachenspannung~mfisste
steigen. Ist es also sicher, dass Assimilation und Expansion
Zur Theorie der Protoplasmabewegung e~c. 835
Hand in Hand gehen, dann ist aueh sieher, dass die Anderung
der Oberfli~chenspannung n i c h t die Ursache der Expansion
des Plasmas isff' (]. c. S. 304 f.).
Die H e i d e n h a i n s c h e Kritik bezieht sicb, worauf ieh so-
gleich hinweisen will, nur auf einen kl e i n en T ei l meiner
Protoplasmabewegungstheorie, n~mlieh auf die Annahme, dass
die V e r g r 0 s s e r u n g der Oberfli~ehenspannung an der Grenze
yon Rhizopodenprotoplasma und Wasser auf einer E r h 0 h u n g,
die V e t m i n d er u ng tier Oberfliiehenspannung auf einer H e r ab-
s e t z u n g d e r m o l e k u l a r e n K o n z e n t r a t i o n d e s P r o t o -
p 1 a s m a s beruht. Meine Theorie wfirde dureh den Wegfall
dieses Teiles nicht erheblieh alteriert, da ieh sehon frfiher damit
gereehnet habe, dass neben den )Lnderungen der molekularen
Konzentration aueh die q u a l i t a t i v e n ehemisehen Ver~tnde-
rungen des Protoplasma bei seiner aufsteigenden und absteigen-
den ) [nderung ffir seine Oberfl~ehenspannung yon Bedeutung
sein dfirften (10, S. 4, Anmerkung 3 und 11, S. 373). Gegen-
fiber dieser ziemlieh allgemein gehaltenen Erkl~trungsm~glieh-
keit dr~ingte sieh freilieh das Prinzip der molekularen Kon-
zentrations~tnderungen als das konkretere in den Vordergrund.
Dass ich auf die Verwendung desselben abet keineswegs zu ver-
ziehten brauehe, werden wir bei einer ni~heren Betrachtung der
H e i d e n h a i n sehen Ausffihrungen sehen. Diese grtinden sieh
n~imlieh nur auf d r e i H y p o t h e s e n , deren erste auf einer
molekular-theoretisehen Spekulation beruht, w~hrend die zweite
thatsachlieh unzutreffend und die dritte h0ehst angreifbar ist,
Mit der e r s t e n Hypothese meine ieh die Annahme, dass
yon zwei sieh beriihrenden Ftfissigkeiteu jede ihre eigene Grenz-
sehieht mit ihrer eigenen Oberfli~ehenspannung hat, welch' letztere
auf der einen Seite kontraktiv (positiv), auf der anderen Seite
expansiv ist. Das k0nnte wohl so sein, braueht es aber nieht,
wie nebenstehende Erliiuterung zeigt (Fig. i a u. b).
836 PAUL JENSEN,
Statt z w e i e r Grenzschichten kOnnte sieh namlieh aueh
e i ne solehe bilden, die mosaikartig aus Molekfilen der beiden
Flfissigkeiten zusammengesetzt w~re. Ohne hierauf welter ein-
zugehen, will ieh nut bemerken, dass H e i d e n h a i n mit seiner
Auffassung yon derjenigen fast aller Physiker, die sich mit der
Kapillarit~tslehre befassen, abweicht. Diese Hypothese kann
daher ffir eine strenge Beweisftihrung nicht in Betracht kommen.
Die z w e i t e der gedachten Hypothesen H e i d e n h a i n s
betrifft die Beziehungen zwisehen der Oberflachenspannung eines
Mediums, seiner Dichte und seiner ,MolekularkrafV'. Diese
, , M o l e k u ] a r k r a f V ' spielt in den Darlegungen H e i d e n h a i n s
a
@ @ @ @ @ 0 @ 0 @ 0
0 0 o o 0 0 0 0 o 0 0 0 0 0 0 0 0 0
Fig. ~[ a und b.
Die sehraffierten Kreise sind die Molekih]e des einen, die hellen Kreise diejenigen des anderen Mediums.
eine massgebende Rolle. Gle~chwohl giebt er nicht nut keine
Definition derselben, sondern ist aueh in seinen Andeutungen
fiber ihr Wesen und die Ermittelung ihrer Gr6sse inkonsequent.
Anfangs muss man zu der Meinung gelangen, die M o l e k u l a r -
k r a f t sei g]eich tier D i e h t e eines Mediums, da H e i d e n h a i n
die Bezeichnungen ,Molekularkraft" und ,,Dichte" synonym
gebraucht (vg]. S. 3 und bei H e i d e n h a i n S. 238 u. 239:
,Wird ein diehteres Medium D (yon st~rkerer Molekularkraft)
yon einem weniger dichten Medium L (von geringerer Molekular-
kraft) etc.". Ferner: ,~Der Weft der Molekularkraft der beiden
Medien h~ngt nun weseutlich yon ihrer Dichte ab"). Sparer
aber werden wir eines Besseren belehrt, indem ~wir lesen, ,dass
Zur Theorie der Protoplasmabewegung etc. 837
eine einfaehe durchgreifende Beziehung zwischen Oberfl~ichen-
spannung und Dichten aneinandergrenzender Medien nicht be-
steht," und ,dass die Massen (ira Sinne yon Dichten) allein
gewiss nieht aussehliesslieh bestimmend sind ffir den Wert der
Oberfl~chenspannung; es mO.ssen zum mindesten e~ne Reihe
yon Nebenumst~inden hinzukommen, die das Resultat in hohem
Grade beeinfiussen ~ (S. 254). Von jetzt an wird nicht mehr
die D i c h t e sondern nur noch die , M o l e k u l a r k r a f t ~' als
wesentlich bestimmend for die GrSsse der Oberfl~iehenspannung
eines Mediums angesehen.
Da demnaeh die ,,Molekularkraft" doch nieht, wie anfangs
angegeben, der Dichte parallel geht, was ist sie dann? Wenn ich
t t e i d e n h a i n reeht verstehe, so verh~ilt es sieh mit der ,,Mole-
kularkraft" etwa folgendermassen: Von zwei sieb ber(ihrenden
Medien sell dasjenige eine gr~ssere ,,Molekularkraft" haben, dessen
Grenzsehieht eine k o n t r a k t i v e S p a n n u n g erh~ilt, im Gegen-
satz zur e x p a n s i v e n Spannung des anderen Mediums. Da
wir abet bei Flfissigkeiten niemals die P a r t i a l s p a n n u n g e n
der beiden hypothetisehen Grenzsehiehten fiir sieh messen ksnnen,
so l~isst sieh in solehen F~illen die Molekularkraft eines Mediums
iiberhaupt nicht messen. Da hilft sieh nun H e i d e n h a i n mit
einer Annahme, die er selbstverst~ndlieh zu finden seheint, da
er sie weder hervorhebt noeh begrfindet, die aber keineswegs
selbstverst~indlich ist. Er nimmt ohne weiteres an: wenn eine
Fl~issigkeit a eine grSssere Oberfl~iel,.enspannung gegen Luft hat
als eine Flfissigkeit b, so hat a ffir alle Fiille die gr6ssere
,,Molekularkraft", Mso aueh bei Berfihrung mit b die k o n t r a k -
r ive S p a n n u n g (vgl. H e i d e n h a i n S. 257, we ohne weiteres
, , O b e r f l i i e h e n s p a n n u n g " g e g e n L u f t synonym mit ,,Mole-'
k u l a r k r a [ t " gebraucht wird). Dass diese Annahme nicht nur
unbegrfindet, sondern in ihrer ~l]gemeinheit nachweisbar un-
riehtig ist, ergiebt sieh aus folgendem: Wenn H e i d e n h a i n s
Voraussetzung zutr~ife, so mfissten zwei Flfissigkeiten, die gleiche
838 PAUL JENSEN,
Oberfl~iehenspannung gegen Luft (naeh H e i d e n h a i n S. 257, ,,gleiehe Molekularkraft") besitzen, g e g e n e i n a n d e r keine Oberfi~iehenspannung haben. Das ist aber nieht der Fall. Ftigen wir z.B. dem Alkohol, dessen Oberfl~ichenspannung gegea Luft
rund 0,026g/cm betragt, soviel Wasser bei, dass seine Ober- r
fl.2~chenspannung derjenigen yon OlivenS1 gegen Luft gleich wird,
also etwa 0,038 g/era, so wird die Spannung: wasserhaltiger Alkohol-Oliven~S1 durchaus nicht gleich Null, sondern n immt einen Wert an, der zwischen 0,021g/cm (der Oberfl~ichenspan- hung: OlivenS1-Wasser) und 0,002 g/cm (der Spannung: Oliven- 51-Alkohol) liegt. Welche yon den beiden Fltissigkeiten mit g l e i c h e r ,,Molekularkraft" bewirkt nun hier die k o n t r a k t i v e Spannung der gemeinsehaftliehen Grenzfl~iehe?
Ferner miisste, wenn t t e i d e n h a i n Reeht h~itte, die Ober- fliichenspannung zwischen zwei Fltissigkeiten um so grOsser sein, je grSsser die Differenz ihrer beiden Spannungen gegen Luft, also ihrer Mole'kularkr~ifte, ist. Auch das trifft nicht zu. Machen
wir in dem oben angefiihrten Beispiel die Oberfl~ehenspannung yon wasserhaltigem Alkohol gegen Luft k l e i n e r als diejenige
yon OlivenOl gegen Luft, indem wir dem Alkohol entsprechend Wasser entziehen, so n immt , obgleich wir die D i f f e r e n z zwisehen den beiden Oberfl~tchenspannungen v e r g r O s s e r n , diejenige zwischen Alkohol und OlivenS1 ab. Die folgenden Tabellen geben noch einige ahnliche Beispiele (vergl. 3):
I~
Oberfliiehenspannung : TerpentinS1-Luft. = 0,030 g/era
,, Wasser-Luft . . . . . . 0,083 ,,
Differenz der ,,Molekularkr~tfte" . . . . . . . 0,053
Oberfi~iehenspannung: TerpentinSI-Wasser. --= 0,012 g/cm
Zur Theorie der Pro toplasmabewegung etc. 839
I I .
O b e r f l a c h e n s p a n n u n g : OlivenS1-Luft . . . . . . 0,038 g / cm
,, W a s s e r - L u f t . . . . . . 0,083 ,,
Di f fe renz der , ,Mo leku l a rk r~ f t e " . . . . . . . 0,045
O b e r f i i ~ c h e n s p a n n u n g : Ol ivenOl -Wasse r . . . . . 0,021 g / c m
I I [ .
Obe r f l~ t chenspannung : C h l o r o f o r m - L u f t . . . . . 0,031 g / c m
,, W a s s e r - L u f t . . . . . . 0,083 ,,
Di f fe renz de r , , M o l e k u l a r k r a f t e ~' . . . . '~' . .
Obe r f i~ t chenspannung : C h l o r o f o r m - W a s s e r .
-~ 0,052
0,030 g / c m
IV.
O b e r f l ~ t c h e n s p a n n u n g : S c h w e f e l k o h l e n s t o f f - L u f t . ------ 0,033 g / c m
,, W a s s e r - L u f t . . . . . . 0,083 ,,
Di f fe renz des , ,Mo leku l a rk r i i f t e " . . . . . . . 0,050
Oberf l~ i~henspa 'nnung: S c h w e f e l k o h l e n s t o f f - W a s s e r --~ 0,042 g / c m
Vo
Ober f l i~chenspannung : Q u e c k s i l b e r - L u f t . . . . . 0,551 g / c m
,, W a s s e r - L u f t . . . . . . 0,083 ,,
Di f fe renz de r , ,Moleku la rk r i i f t e " . . . . . . . 0,468
Obe r f l~ t chenspannung : Q u e c k s i l b e r - W a s s e r . z 0,426 g / c m
VI.
O b e r f l i ~ c h e n s p a n n u n g : Q u e c k s i l b e r - L u f t . . . . . 0,551 g / c m
Schwefe lkoh l ens to f f -Lu f t . z 0,033 ,,
Di f fe renz de r , ,Molekularkr~tf te" . . . . . . . 0,518
Obe r f l i~chenspannung : Quecks i lbe r - Sch wefcl-
koh lens to f f . . . . . . 0,379 g / c m
Anatomische Hef~e 1. Abteilung. 83. Heft (27. Bd., H. 3). ~
840 PAUL JENSEN,
In den Beispielen I - I V sind die Differenzen der Molekular-
kr~ifte (Oberfl~ehen-Spannungen gegen Luft) je zweier sich be-
rfihrender Flfissigkeiten ziemlieh g l e i e h g r o s s und trotzdem
die gemeinsehaftliehe Oberfl~iehenspannung der einzelnen Fliissig-
keitspaare ganz v e r s e h i e d e n , zwisehen 0,012 und 0,042 g/era
sehwankend. Bei den anderen Beispielen finden wir, dass, im
Gegensatz zu H e i d e n h a i n s Hypothese, der k l e i n e r e n Dif-
ferenz der Molekularkr~ifte zweier Fliissigkeiten die g r ~ s s e r e
Oberfl~iehenspannung ihrer gemeinsamen Grenzsehieht entsprieht
(V und VI) und umgekehrt.
Wir sehen also : Selbst wenn die erste H e i d e n h f i n sche
Hypothese, yon der die zweite ausgeht, als richtig angenommen
wird, so ist doch die zweite nicht zu ha]ten; die Oberflaehen-
spannungen zweier Flfissigkeiten gegen die Luft (ihre ,,Molekular-
krafte") geben uns keinen sicheren Anhalt daffir, wie sich bei
der Berfihrung der beiden Flfissigkeiten die (hypothetisehen)
Partialspannungen in den beiden (hypothetischen) Grenzsehichten
der Flfissigkeiten verhalten wfirden.
Was endlich die d r i t t e Hypothese H e i d e n h a i n s anbe-
trifft, so besteht sie in tier Behauptung, dass die Oberflaehen-
spannung des Rhizopodenplasmas gegen Luft (,,Molekularkraft")
geringer sei als diejenige yon Wasser in Berfihrung mit Luft.
Das ist aber nicht nur nicht erwiesen, sondern dfirfte sogar aueh
unwahrscheinlich sein. Da wir das Protoplasma der in Wasser
lebenden Rhizopoden nieht ohne Sch~digung an der Luft unter-
suchen kOnnen, so mfissen wir uns mit Mutmassungen fiber ihre
Oberflgcheneigensehaften begnfigen.
H e i d e n h a i n kommt, wie es scheint, zu seiner Ansicht
durch die Vorstellung, dass das Protoplasma naeh der Meinung
der ,Oberflachentheoretiker" eine w g s s e r i g e E i w e i s s l O s u n g
(,,kolloidale L5sung", ,,wasseriges Gemisch") naeh Art der ,,eiweiss-
haltigen KOrpersafte" sei (S. 257 und 304). Ffir wgsserige LO-
sungen yon Eiweiss, Gelatine, Hausenblase etc. aber hat Q u i n c k e
Zur Theorie der Protoplasmabewegung etc. 841
(vergl. 3) nachgewiesen, dass sie eine geringere Oberflachenspan-
nung gegen Luf t haben als reines Wasser.
Diese Ansieht, dass alas Protoplasma s c h l e c h t h i n e i n e
w a s s e r i g e E i w e i s s ] (5 s u n g s e i, trifft man auffallenderweise
noeh haufig an, obgleicil dies wiederholt ausdrficklich abgelehnt
worden ist (9, S. 187; 10, S. 2 f.; 19, S. 584 f.). Ware namlieh
das Rhizopodenp]asma schleehthin eine wasserige kolloidale L/J-
sung, so wfirde es sieh im umgebenden Wasser aufl6sen und
somit seine Oberf laehenspannung gegen dieses bald verschwinden;
fails man es Meht durch eine andersartige Membran hiervor
bescbtitzt werden lasstl), womit freilieh ganz neue , bier nicht
welter zu diskutierende Bedingungen geschaffen wfirden. Vielmehr
muss man folgerichtig die protoplasmatisehe Grundmasse, oder
bei schaumigem Protoplasma die Substanz der Schaumw~inde,
als eine Flfissigkeit auffassen, , ,die s i e h d e m W a s s e r g e g e n -
f i b e r p h y s i k a l i s c h so v e r h a l t w i e f l t i s s i g e s F e t t ,
B e n z o l etc." (10, S. 3), die also mit Wasser b e s c h r i ~ n k t
m i s c h b a r ist oder Wasser , b e s c h r a n k t 15sr Das ist
selbstverstandlieh etwas ganz anderes als eine ,,wiisserige Eiweiss-
l~sung" sehleehthin.
Gegen die H e i d e n h a i n s e h e Ansieht sprieht auch die
thatsachliehe GrOsse der Oberf laehenspannung des Rhizopoden-
plasmas gegen Wasser. Diese betragt bei Orbitolites, einem
marinen Foraminifer 0,016 g/em~), also beinahe soviel wie die
Oberf laehenspannung zwisehen Oiiven5l und Wasser (0,021 g/em).
Verhielte sieh das Protoplasma etwa wie eine wasserige Kolioid-
1) Da ftir eine solche Aunahme weder ein thats~chlicher Anha]t noch ein ~heore%ischer Grund vorliegt, so diirfen wi~ zu gunsten der obigen e in- f a c h e r e n Ansicht von ihr absehen.
2) Diese ist berechnet aus dem Gewieht, das ein Pseudopodienbtindel yon bekanntem Gesamtumfang zu heben vermag. Die Berechnung geschah uaeh
der Formel: a ~--- ~ wo a die 0bertt~ichenspannung, p die Zugfestigkeit Mnes J / : r ~
Pseudopodiums und r sein Radius ist. Nitheres bei 9. S. 216 If. und 2. S. 291 f. 54*
8@ PAUL JENSEN,
]/5sung, so mtisste man im Simm yon H e i d e n h a i n jedenfalls
eine sehr viel geringere Oberflaehenspannung gegen Wasser er-
warren. !Jber die Oberflaehenspannung des Protoplasmas gegen
Luft und die angebliche Molekularkraft desselben ergiebt sieh
hieraus aber nichts.
Die Oberfl~ichenspannung des Protoplasma gegen Luft diirfte
je nach tier Protoplasmaart sehr verschieden gross sein, bald
grSsser, bald vie]leieht auch kleiner als die des Wassers. Aus
der Zugfestigkeit von Myxomyeetenplasmodienstr~ingen kSnnte
man eine Oberfl~ichenspannung der letzteren folgern, welche die
des Wassers iibertrifft. Zwar meint F i e f f e r , dass die Ober-
fl~iehenschieht (Hautschieht, Ektoplasma) des Myxomyceten Chon-
drioderma zeitweilig infolge des ,,Koh~isionswechsels" die ,,Re-
sistenz einer erstarrten soliden Gelatinemasse erreichen" kSnne
(14, Bd. II, S. 717), so dass sie nicht mehr durch Oberfl~iehen-
spannung in Bewegung zu setzen sei; erst wenn das Ektoplasma
durch den Koh~isionswechsel wieder ,,verfitissigt" sei, k0nne die
Oberfl~ehenspannung in Wirksamkeit treten. In dem ,,ken.
sistenteren" Zustande abet vermag ein 1 mm dicker Plasmafaden
yon Chondrioderma nieht ganz 1 g zu tragen. Fasste man diese
Kraft ganz als Oberfliiehenspannung auf, so erhielte man eine
solehe yon etwa 6 g/em. Wann sell man nun dieses ,,kon-
sistentere" -- man kSnnte ebenso gut sagen: sehr z~ihfliissige 1)
--Protoplasma soweit ,,verflfissigt" sein lassen, dass seine Ober-
fliiehenspannung ,zu entseheidender Wirkung kommen" kann?
Bei einer ftinfzigfaehen u der Konsistenz z. B. f~nde
man immer noeh eine Oberfl~ehenspannung von 0,12 g/era,
wahrend die des Wassers 0,08 g/em betr~igt. Mir seheint daher
1) Diese Vorstellung und die weiteren &usffihrungen sind wohl bereehtigt, wenn man liest, dass Pfeffer den Koh~isionsweehsel des Protoplasmas mit dem der Gelatine vergleieht und dabei bemerkt: ,Der allm~ihliehe Koh~sions- weehsel tier Gelatine u. s. w. zeigt, dass es keine feste Grenze zwisehen fltis- sigem nnd festem Aggregatzustande gieb~" (14, Bd. II, S. 716).
Zur Theorie der Protoplasmabewegung etc. 843
die Annahme erlaubt, dass die Oberflachenspannung yon Myxo-
myceten gr/Ssser sein kann als die des Wassers.
Es liegt wohl nahe nach Analogie der Myxomycetenplas-
modien auch ffir alas Protoplasma der wasser]ebenden Rhizopoden
eine grOssere Oberflachenspannung gegen Luft zu vermuten, als
sie das Wasser gegen Luft besitzt. Vielleicht k5nnte man in
diesem Sinne den Umstand verwerten, dass das Protoplasma
tier Foraminiferen im allgemeinen eine ziemlich zghe, auch an
der Luft fadenziehende Fltissigkeit ist. Keinesfalls aber spricht
das zuletzt Ausgefiihrte daftir, dass das Rhizopodenplasma eine
g e r i n g e r e Oberflfichenspannung gegen Luft (,,Molekularkraft")
besitze als das Wasser, wie I t e i d e n h a i n will. Somit erweist
sich auch die dritte seiner Hypothesen als trtigerisch.
Demnach lasst sich meine Erwiderung auf die H ei d e n-
h a i n sche Kritik folgendermassen zusammenfassen : Wenn seine
oben besprochenen drei Hypothesen insgesamt richtig waren, so
wfirde der oben erwiihnte (S. 4) kleine Tell meiner Kontraktions-
hypothese aufzugeben sein. In Wirklichkeit ist aber die erste jener IIypothesen unbewiesen, die zweite unrichtig und die dritte un-
wahrscheinli~h. Unter diesen Umsti~nden kann man wohl nicht
sagen, ,,meine Theorie widerspreche direkt den physikalischen
Grundthatsachen". (Vgl. S. 1.)
II.
Die Beziehungen zwischen Protoplasmabewegung und Stoffwechsel .
[m Zusammenhange mit der vorstehenden Auseinander-
setzung m0chte ich bier noch ein Missverstandnis berichtigen, dem
ich hinsichtlich meiner Anschauungen in P f e f f e r s ,,Pflanzen-
physiologie': begegnet bin. Die grosse Bedeutung des genannten
Buches l~sst'mir dies besonders wiinschenswert erscheinen.
844 PAUL JENSEN,
P f e ~ f e r wendet sich gegen meine Hypothese der Proto- plasmabewegung, ,,nach der dureh die assimilatorische Th~tig- keit die GrSsse der Molekfile in der Plasmahaut gesteigert und damit die Oberfl~ichenspannung vermindert wird, w~ihrend durch die Dissimilation eine Verkleinerung der Molekfile und dadureh eine ErhShung der Oberfliichenspannung bewirkt werden soll" (14, Bd. II, S. 722). Diese Darstellung, welehe an Statt der Molekfilzahl, yon der ieh handele, die Molekii lgrSsse setzL muss den Eindruck einer mfissigen Spekulation meinerseits er- weeken, die ich selbst ebenso ablehnen wfirde, wie P f e f f e r es thut. Denn fiber die Beziehungen zwisehen der GrSsse der
Molekfile und derjenigen der Oberfl~ehenspannung wissen wit nichts n~iheres, w~hrend ich reich bei der Verwertung der Be- ziehungen uwischen m o l e k u l a r e r K o n z e n t r a t i o n einer Fliissigkeit und ihrer Oberfl~ichenspannung auf b e k a n n t e c h e m i s e h - p h y s i k a l i s c h e T h a t s a c h e n b e r u f e n k o n n t e (vergl. 10, S. 4; 11, S. 372; ferner 3 [Braun , Kapillarit~t]).
Ferner sagt P f e f f e r : ,Zudem setzen diese Hypothesen (worin aueh die meinige inbegriffen [J.]) die Alleinherrsehaft der (peripheren) Oberfl~iehenenergie voraus und sind somit nicht mehr zul~issig~ wenn die Ausgestaltungen und Bewegungen ganz oder teilweise durch andere Mittel erzielt werden und erzielt werden mfissen". Dieser Vorwurf dfirfte aber meine Hypothese nicht treffen; denn diese reehnet aueh mit anderen Energie- formen als der Oberfl~ichenenergie, wie aus dem Kapitel tiber die Energieverwandlungen bei der Protoplasmabewegung des n~iheren zu ersehen ist (12, S. 40). Da ich die bei der Proto- plasmabewegung in Betraeht gezogenen Energieformen, wie Ober- fl~iehenenergie, Volumenergie, Bewegungsenergie und W~rme aus der Gesamtheit der Stoffwechselprozesse im Protoplasma (Assimilierung und Dissimilierung) ableite, so ist ffir das etwaige Erfordernis, noch weitere Energieformen zur Erkl~trung heran- zuziehen, jeder beliebige Spielraum gelassen. So finden z. B
Zur Theorie der Protoplasmabewegung etc. $45
auch gestaltende Faktoren wie der Koh~sionsweehsel (Pfeffer) oder Ento-Ektoplasmaprozess ( R h u m b l e r ) , an den P f e [ [ e r vielleicht in seiner oben eitierten Bemerkung denkt, in meiner Hypothese ihre Wfirdigung (12, S. 11 und 39). Wenn ich den letiteren nieht besonders in den Vordergrund gertiekt habe, so geschah es daher, well er bei der t i e r i s e h e n Protoplasma- bewegung nieht so hervortritt, wie bei manchen p fl a n z 1 i c hen Protoplasten; die l e t z t e r e n aber hatte ich ausdrficklieh ihrer ganz eigenartigen Bedingungen wegen vorlaufig aus meiner Be- handlung der Protoplasmabewegung ausgeschlossen und daher in erster Linie nur diejen~gen Krafte ~amhaft gemaeht, welehe die Analyse der tierisehen Protoplasmabewegung nahelegte. Doch sei noehmals betont, dass aueh die besonderen Bewegungs- weisen der Pflanzenzellen im allgemeinen ohne Schwierigkeit in dem weiten Rahmen meiner Theorie Platz finden dtirften, worauf ich auch bei Oelegenheit hingewiesen babe (12, S. 6
und 36). P f e f f e r bemerkt dann endlieh: ,,Ubrigens l~tsst sich die
Erfahrung, dass bei ausseren Einwirkungen vielfaeh die kon- traktorisehe Thatigkeit in den Vordergrund tritt, nicht als ein Argument for die genannten Hypothesen anf(ihren. Denn ein soleher Erfolg wird immer herauskommen, wenn die Bedingungen ftir die expansorische Th~tigkeit zurficktreten, gleichviel wie diese zustande kommt, ob sie mit oder ohne Kohasionswechsel ausgefiihrt wird" (14, Bd. I[, S. 723). Eine derartige Meinung liegt dem Pflanzenpbysiologen vielleieht nahe, da das pflanzliche Protoplasma die gesetzm~tssigen Beziehungen, die einerseits zwisehen Assimilierung (tiberhaupt den biosynthetisehen Pro- zessen) und Expansion (eylindrogener Bewegung) andererseits zwisehen Dissimilierung (den biolytischen ProzesseD) und Kon- traktion (sphSrogener Bewegung) des Protoplasma bestehen, nur un.
deutlieh zeigt. Die erw~hnten Beziehungen treten dagegen beim tierisehen Protoplasma sehr Mar hervor, und ieh glaube gerade
8~16 PAUL JENSEN,
in ihnen eine besondere Sttitze meiner Bewegungshypothese er- blieken zu diirs Gerade die Augenf~illigkeit dieser Beziehungen hat reich zu meiner tIypothese geffihrt.
Bei der Beurteilung des vorliegenden Problems kommt es besonders auf eine entspreehende Wiirdigung der fundamentalen Gegenprozesse der Assimilierung (Assimilation) und Dissimilie- rung (Dissimilation) an. Diese Begriffe seheinen mit Ausnahme des Spezialfalles der Kohlens~iure-Assimilation, dem Pflanzen- physiologen, der Natur seiner Objekte gem~iss, weniger gel~iufig zu sein als dem Tierphysiologen, welehem iiberall in seinem Forsehungsgebiet, besouders in der Physiologie der Muskeln, des Nervensystems, der Sinnesorgane und der Driisen diese Gegenprozesse vor Augen treten. Solehe Gegenprozesse sind unter anderer Bezeiehnung sehon friiher angenommen worden, so z. B. yon H e r m a n n (8) und P f l i i g e r (15). Ihre allgemeine
Bedeutung ist besonders dutch H e r i n g (7) naehgewiesen worden, yon dem aueh die Bezeiehnungen Assimilierung und Dissimilie. rung herrfihren. In Lehrbfiehern findet sieh N~theres bei V er- w o r n (21) und T i g e r s t e d t (20); im fibrigen gelangen diese Ansehauungen nur allm~ihlieh zur allgemeineren Anwendung in den Lehrbfiehern. Auf N~heres einzugehen wtirde uus hier zu
weir ffihren. Was nun die gedachten Beziehungen zwischen den stoff-
lichen Gegenprozessen und den Gegenprozessen der Expansion und Kontraktion betrifft, so l~sst sieh hierfiber folgendes aus- sagen: D i e s e l b e n F a k t o r e n , w e l c h e d i e D i s s i m i l i e r u n g
v e r s ~ r k e n , f S r d e r n a u e h d ie K o n t r a k t i o n ( sph~ro - g e n e B e w e g u n g ) , u n d d i e j e n i g e n , w e l e h e d i e A s s i m i - l i e r u n g s t e i g e r n , b e g t i n s t i g e n aucb d ie E x p a n s i o n ( c y l i n d r o g e n e B e w e g u n g ) , w o r a u s s i c h e i n e e n g e
A b h a n g i g k e i t e i n e r s e i t s z w i s c h e n D i s s i m i l i e r u n g u n d K o n t r a k t i o n u n d a n d e r e r s e i t s z w i s c h e n A s s i - m i l i e r u n g u n d E x p a n s i o n e r g i e b t . Die Dissimilierung,
Zur Theorie der Protoplasmabewegung etc. 847
also die Abbauprozesse im Organismus, werden verstttrkt durch die sogenannten allgemeinen Muskel- und Nervenreize, besonders meehanisehe, elektrisehe, thermisehe und ehemisehe Reize yon einer bestimmten Intensitttt; das wissen wir aus der Physiologie der Muskeln, Nerven und Drtisen. Dieselben Reize aber, die bei Muskeln die d i s s i m i l a t o r i s e h e n Z e r s e t z u n g e n verst~irken und daher aueh als dissimilatorisehe Reize bezeiehnet werden, bewirken aueh seine K o n t r a k ti o n ; hier ist also unbestreitbar die letztere ein energetiseher Ausdruek der verst~rkten Dissimi- lierung.
Bei einer Am(She kSnnen wit nun freilieh die VergrSsserung der dissimilatorisehen Zersetzung ihrer lebendigen Substanz bei der t~eizung nieht unmittelbar feststellen; da wir aber bei allen Objekten, die eine genauere Messung der bei der dissimilatori- sehen Reizung auftretenden ehemisehen Ver~nderungen gestatten, bei einer solehen Reizung eine Vermehrung der dissimilatorisehen Zersetzungsprodukte finden, und da ausserdem die betrfiehtliehe
Energieproduktion bei der Reizung gar nieht ohne eine ent- spreehende Verst~trkung der dissimilatorisehen Zersetzungspro- zesse denkbar ist, so d t i r f e n w i t g e w i s s a n n e h m e n , d a s s a u e h bei e i n e r A m 6 b e , i i b e r h a u p t b e i m r h i z o - p o d o i d e n P r o t o p l a s m a , d ie W i r k u n g de r a l l g e - m e i n e n , , d i s s i m i l a t o r i s e h e n " R e i z e s te ts e ine e r h S h t e D i s s i m i l i e r u n g sei.
Nun sehen wir aber, dass beim rhizopodoiden Protoplasma, genau so wie beim Muskel, die Wirkungen der dissimilatorisehen Reizung in einer Kontraktion (Zunahme der sph~trogenen Be- wegung) zum Ausdruek kommt (12, S. 20 f.). Da also diese Reizung einerseits eine V e r s t i t r k u n g d e r D i s s i m i l i e r u n g (absteigende J~nderung des Protoplasmas), andererseits eine K o n- t r a k t i o n hervorruft, so ergiebt sieh, dass absteigende ~_nde- rung und Kontraktion aufs engste zusammenh~tngen. Und da wir beim Muskel naehweisen k/Snnen, dass die erh/)hte dissimi-
848 PAUL JENSEN,
latorisehe Zersetzung der Kontraktion v o r h e r g e h t ~ ) , so ist es
gewiss bereehtigt anzunehmen~ dass beim Muskel und ebenso
auch beim rhizopodoiden Protoplasma die stofflichen Anderungen
bei der verst~rkten Dissimilierung die Ursache ffir die Kon-
traktion darstellen.
Ganz Analoges ergiebt sich for die Beziehungen der Assi-
milierung und aufsteigenden Anderung zur Expansion. Zun~tchst
liegt schon der folgende Schluss ungemein nahe: Wenn die
Kontraktion auf einer Verstarkung der Dissimilierung beruht,
so wird der Gegenprozess tier Kontraktion, n~mlieh die Ex-
pansion, auf einer Verst~rkung des Gegenprozesses der Dissi-
milierung, also der Assimilierung beruhen. In der Tat treten
aueh beide im engsten Zusammenhange miteinander auf. Wir
wissen ganz allgemein, dass die Zufuhr yon N a h r u n g s s t o f f e n ,
im besonderen aueh yon Sauerstoff die A s s i m i l i e r u n g be-
gfinstigt; dieselben Stoffe bewirken aber aueh, sofern sie wasser-
15sliehe Bestandteile besitzen, eine positive Chemotaxis (Tropho-
taxis, Oxygenotaxis), bef0rdern also aueh die E x p a n s i o n
an den Often ihrer Einwirkung (12, S. 12 und 24). Ferner zeigt
sieh, class die T e m p e r a t u r bis zu einem gewissen Grade die
Assimilierung verst~trkt, was in Anbetraeht des vorwiegend syn-
thetisehen Charakters der assimilatorisehen Prozesse verstandlieh
ist. Ein Frosehmuskel erhalt (naeh noeh nieht YeriSffentliehten
eigenen Untersuchungen) dutch Erw~trmung yon 20 auf 30 ~ C
eine derartig erh/Shte Leistungsf~thigkeit (VergrSsserung der Er-
regbarkeit und ZuekungshShe), wie sie nur dureh eine verstSrkte
Assimilierung zu stande kommet~ kann. Wit dfirfen daher bei
der weitgelienden Ubereinstimmung der VorgSnge im Muskel
mit denjenigen im rhizopodoiden Protoplasma wohl annehmeu,
dass eine derartige Erw~rmung aueh bei dem letzteren die As-
s 1 m i l i e r u n g befSrdert. Thats~tchlieh aber wird dureh Tempe-
1) Das erglebt sieh aus den der Kontrak~ion vorhergehonden elektrischen Potential~inderungen des gereizten Muskels (vergl. die Lehrbtieher der Physiologie).
Ztlr Theorie der Protoplasmabewegung etc. 849
raturerhShung bis auf etwa 30~ bei Rhizopoden die E x p a n -
s i o n s b e w e g u n g verst~trkt (22). Wir haben also auch hier wiederum einen engen Zusammenhang zwischen erh/)hter Assi- milierung und Expansion.
Wenn P f e f f e r meint, dass die kontraktorisehe Th~tigkeit des Protoplasmas immer in den Vordergrund treten werde, wenn die Bedingungen f~r die expansorisehe Th~igkeit naehlassen, so ist das mit meinen Ansehauungen sehr wohl vereinbar. Sobald n~tmlieh die aufsteigende Jmderung und damit die Expansion naehlasst, strebt das lebendige System, wie jedes ehemisehe System, in dem Gegenprozesse verlaufen, dureh tiberwiegende Dissimilierung (autonome absteigende Jmderung infolge der inneren Selbststeuerung des Stoffweehsels lit e ring]), also unter Kontraktionserseheinungen, dem Gleiehgewicht zu. Das Umge- kehrte gilt ffir den etwaigen Eintritt einer Expansion bei Auf- hebung der Bedingungen for die Kontraktion.
Die MSgliehkeit, dass unter ganz ungew6hnliehen Bedin- gungen aueh eine ~tussere Einwirkung, d{e n i e h t die Assimi- lierung verst~rkt,, die Expansionsbewegung f6rdern k6nnte, ist nieht in Abrede zu stellen ; so wird z.B. naeh R h u m bl e r (18,
II, S. 309 f.) Amoeba limieola, wenn sie an die Grenzfl~ehe yon Wasser und Luft gebraeht wird, dureh die dortige Konstellation der Oberflfiehenkr~fte gewal . tsam a u s g e b r e i t e t u n d zum Pla tzen gebraeh t . Aueh-ist es denkbar, dass dutch eine lokale chemisehe Einwirkung auf die Protoplasmaoberfl~ehe, dureh welehe das Protoplasma daselbst ze rs tSr t und aufge- 16st wird, die Oberfl~tehenspannung lokal wenigstens for kurze Zeit vermindert und dureh Uberwiegen des Binnendruekes (11, S. 367 ft.) eine Vorstfilpung erzielt werde. Das silld aber unge- wShnliehe Bedingungen, bei denen das Protoplasma zerstSrt wird oder zum mindesten diejenigeu Krfi.fte, welehe die phys io-
l o g i s e h e n Bewegungen zu stande bringen, dureh fiberm~issige
~tussere Kr~fte f i b e r k o m p e n s i e r t werden, wie z.B. ein MuskeI
850 PAUL JENSEN,
im Kontraktionszustande bei fibermitssiger Belastung die Form des erschlafften Muskels annimmt. Meine Bewegungshypothese gilt selbstverstitndlich nut ftir ein Protoplasma, das sich inner- halb der Grenzen physiologiseher geaktions[i~higkeit befindet, und nicht fiir ein tOdlich veriindertes; und ebenso setzt sie
itussere Bedingungen voraus, die innerhalb der physiologischen Breite variieren, und beansprucht keine Geltung beim Vorhanden- sein yon ~msseren Kritften, die vortibergehend oder dauernd die physiologische Reaktionsfiihigkeit des Protoplasmas aufheben, indem sie anders gerichtet uud sti~rker sind als diejenigen, welche
die physiologische Bewegung des Protoplasmas bewirken.
Ffir die Annahme, dass ganz v e r s c h i e d e n a r t i g e Prozesse im Protoplasma den g l e i ehen energetisehen Erfolg, wie z. B. eine Kontraktion oder Expansion zur Folge haben, giebt es durehaus keinen Grund. Der bei der Bewegung der Myxomy- eeten hi~ufig eine Rolle spielende Kohi~sionsweehsel lasst sich, wie mir seheint, ebenfalls ohne Sehwierigkeit mit Anderungen der Assimilierung und Dissimilierung in Beziehung setzen (11, S. 376 und 12, S. 39).
III.
Das Protoplasma als ,,chemisches System".
Zum Schlusse mSchte ich mir erlauben, noch einige Be- merkungen zur Frage des Aggregatzustandes und des chemisch- physikalischeu Aufbaues des Protoplasmas zu fiussern.
Die zwei in dieser Frage sich gegentiberstehenden Ansichten,
n~tmlich die vom , f l i i s s igen" und die yore , , festen" Aggregat- zustande des Protoplasmas, und zwar der protoplasmatischen Grundmasse und, im Falte einer Schaumstruktur, der Substanz der Schaumw~tnde, haben im Laufe der Diskussion der Ietzten Jahre eine mehr prinzipielle Form als frtiher angenommen. Da
Zur Theorie der Pro~oplasmabewegung etc. 851
die Physik einen seharfen Unterschied zwiscben ,,flfissig" und ,,lest" nicht kennt, so hMte es den Anschein gewinnen k~nnen, als ob diese Ansichten der Biologen ebenso ineinander fiber- gehen kSnnten wie der fltissige und feste Aggregatzustand, wenn sich die Meinungsversehiedenheiten nieht mehr und mehr auf einen besonderen Punkt zugespitzt h~ttten, niimlieh zur Frage der sogenannten ,,inneren Organisation" der lebendigen Substanz.
In dieser Hinsieht nehmen die Vertreter der ,,Flfissigkeits- hypothese" im allgemeinen an, dass das Protoplasma ein chemi- sehes S y s t e m sei, und dass seine Prozesse nach den ftir ein solches System geltenden Gesetzen verlaufen. Dieses System besteht aus einem Gemenge flfissiger und fester K0rper, und zwar ist ein Tell des Gemenges, der Ze]lkern, innerhalb der fibrigen Masse, des Protoplasmas, individualisiert, wenn wir hier yon ChlorophyllkOrpern, Centrosomen etc., absehen. Protoplasma und Kern enthalten die f e s t e n Teiae (Stoffwechselmateria! und Stoffweehselprodukte in Form yon Granula etc.) sowie aueh fliissige Einsehltisse (wfisserige L5sungen, FetttrSpfehen etc.) in der f l t i ss igen G r u n d m a s s e suspendiert. Die Grundmassen selbst sind k o m p l i z i e r t e L S s u n g e n , deren L 6 s u n g s m i t t e ] meines
Eraehtens (10) die f f r das lebendige System eharakteristischen Substanzen (Biogensubstanzen [Verworn]) darstellen; sie ent- halten Stoffweehsehnaterial (z. B. Nahrungsstoffe) und Stoff-
weehselprodukte aller Art in LSsung (n•heres hierfiber in 11 a). Wenn ein sehaumiger (wabiger) Bau des Protoplasmas vor- handen ist, den ieh als eine besonderen m e c h a n i s e h e n An- s p r f i c h e n ( R h u m b l e r 18, I)entspreehende Differenzierung auffassen m(Sehte~ so stellt die protoplasmatische Grundmasse das Schaumgerfist dar.
Die (~esamtheit der genannten Zetlenbestandteile ist nach der Bezeichnungsweise der physikalischen Chemie als ein S y s t e m k o e x i s t i e r e n d e r f l f i s s i g e r u n d f e s t e r P h a s e n (Gibbs , 5, und B a k h u i s R o o z e b o o m , 1) a u f z u f a s s e n , d ie , m i t
852 PAUL JENSEN,
e t w a i g e n K o r r e k t i o n e n f i i r k a p i l l a r e D i m e n s i o n e n ,
d e r P h a s e n r e g e l u n t e r l i e g e n u n d d a m i t d e n G e s e t z e n
d e r c h e m i s c h e n M a s s e n w i r k u n g , S t a t i k und K i n e t i k
u n d t i e r T h e r m o c h e m i e .
Hierzu seien noeh einige Erl~iuterungen gegeben: Der
kapi]laren Dimensionen tier Zellen und Zellderivate, dutch die
manche Prozesse viel]eicht etwas anders geleitet werden als in
grSsseren' Raumen ( G i b b s , 5), wurde schon oben gedacht.
Dadurch kommt es aueh, dass manche Gebilde, trotz dem
Flfissigkeitscharakter der protoplasmatischen Grundmasse, bei
oberfl~ichlicher Betrachtung gar nicht den Eindruck einer Fliissig.
keit machen, weshalb ich schon friiher (9, S. 178; 11, S. 366;
12, S. 261) besonders betont habe, dass die , lebendige Substanz
in h e r v o r t r e t e n d e m M a s s e auch die s p e z i f i s c h e n Eigen-
schaften der F l f i s s i g k e i t s o b e r f l a c h e n besitze". Auf Grund
dieser Anschauungen babe ich daher auch die ,absolute Kraf t"
des Muskels aus der O b e r f l ~ i c h e n s p a n n u n g der Muskel-
fibrillen zu berechnen gesucht (9, S. 221 ft.)l), in ~ihnlicher
Weise, wie es nachher aueh B e r n s t e i n gethan hat (2, S. 290 ft.).
Demnach trifft P f e f f e r (14, Bd. II, S. 722, Anm. 1) gar nicht
meine Ansicht, wenn er schreibt: ,Ebenso kann man nicht mi t
P. J e n s e n dem Muskel die Eigenschaft einer Fliissigkeit zu-
1) Die Schwierigkeit meiner Auffassung, eine einleuchtende Verbindungs- weise iiir die Querscheiben der Fibrillen zu ermitteln, kSnnte durch die An- nahme eines schaumigen Baues (4) der Fibrillen (und des Sarkoplasmas) leicht behoben werden. Sehr viele histologische Bilder des Muskels lassen sich, wie mir seheint, ebenso gut in diesem Sinne deuten, wie in dem sonst i~bliehen. Dass die mehrfach behaupteten und wieder angefochtenen Q u e r v e r b i n d u n g e n zwischen den Fibrillen und Fibrillenbttndeln doch eine Realit~it besitzen mSchten, dfirf~e dutch die Thatsaehe nahegelegt werden, dass die isotropen und anisotropen Scheiben a l l e r Fibrillen eider Muskelfaser im allgemeinen immer in e iner Ebene liegen bleiben, was ohne gegenseitige Be- ziehungen kaum verst~ndlich ist. Man sollte meines Erachtens die s e r T h a t- sache bei der Deutung der histologischen Bilder grosses Gewicht bei legen.
Zur Theorie der Profoplasmabewegung etc. 853
sehreiben, wenn seinem Aufbau auch eine an sich fltissige
Masse zu Grunde liegen so]Ire ~. Viehnehr ist das, was P f e f f e r
meiner angeblichen Ansicht entgegenhalt, eben die Meinung,
welche ich selbst stets vertreten babe. Meines Wissens habe
ich sogar zuerst auf diese Weise einen sehwachen Punkt der
,~Flfissigkeitshypothese" des Protoplasmas durch den ttinweis
gesttitzt, class die relativ so bedeutenden mechanischen Leistungen
des Protoplasmas und Muskels dadurch verst~ndlich wtirden, z
dass hier die O b e r f l ~ t c h e n s c h i e h t e n mit ihren spezifisehen
Eigent~imliehkeiten im Vergleieb zur Bin n e n m a s s e einen so
grossen Raum einnehmen (9, S. 181 ft.).
Um den bier vertretenen Standpunkt noch welter zu charak-
terisieren, mSchte ich darauf hinweisen, dass aueh Ansehauungen,
wie sie z. B. B e r n s t e i n (2, S. 285 ft.) vertritt, diesem Stand-
punkt nieht prinzipiell widerstreben. Wenn man, wie dies
B e r n s t e i n thut, den Aggregatzustand der Muskelfibrillen mit
demjenigen eines schmelzenden Metalles und mit einer kolloidalen
Masse vergleicht, ohne die Annahme irgend welcher ~inneren
Organisation ~' beizuffigen, und wenn man die FormKnderungen
tier Fibrillen dutch J~nderungen der Oberfl~chenspannung zu
stande kommen l~tsst, so heisst das m. E.: Die Substanz der
Muskelfibrillen besitzt eine derartige V e r s c h i e b b a r k ei t i h r e r
T e i l c h e n , wie wir sie eben als Charakteristicum yon F l f i s s ig -
k e i t e n ansehen. Wenn n~tmlich auch dtinne Lamellen aus
typischer f e s t e r Substanz durch angebliche Oberfl~tehenspannung
allmahlieh einseitig gekrfimmt oder gefaltet werden k5nnen (16),
so seheint es mir ausgeschlossen, dass ein s o l i d e r C y l i n d e r
aus solchem festen, also mit g r o s s e t i n n e r e r R e i b u n g be-
gabten M~terial sich vermSge seiner Oberflachenspannung [mit
der dem Muskel eigenen G e s c h w i n d i g k e i t und K r a f t
gleichmassig verkiirze. Was gehSrte dazu ftir eine Kraft, um
die Teilchen der stark koh~rierenden und reibenden Binnen-
masse des Cylinders mit der gedachten grossen Gesehwindigkeit
854 PAUL JENSEN,
aneinander zu verschieben! I) Wenn O b e r f l ~ i c h e n k r ~ i f t e
das wirklick kSnnen, d a n n is t eben die i n h e r e R e i b u n g
d e r S u b s t a n z u n d d i e V e r s c h i e b b a r k e i t i h r e r Tei l -
c h e n d i e j e n i g e e i n e r , w e n n a u e h z~ihen F l t i s s i g k e i t .
Stellen wir der hier vertretenen Form der ,Fliissigkeits-
hypothese ~ die von vielen Autoren noch verfochtene Hypothese
e~ner besonderen , inneren Organisation ~ gegentiber. Diese innere
Organisation soll auf einer spezifisehen ~Molekularstruktur 'c (nicht
in dem iiblichen c h e m i s c h e n SinneI) beruhen, indem die
lebendigen Molek~ile oder Molektilkomplexe (Micellen) durch
c h e m i s c h e o d e r e l a s t i s c h e Kr~ i f t e zu e i n e m f e s t e n G e r i i s t a n e i n a n d e r g e k e t t e t s ind , wodurch jedem Molekiil
ein ganz bestimmter Platz innerhalb der anderen angewiesen
wird. Diese Strukturen der lebendigen Substanz liegen jenseits
tier Grenze des (mikroskopisch) Siehtbaren. Die verschiedenen
derartigen Anschauuagen gehen im allgemeinen auf die be-
kannte N ~i g el i sehe Micellarhypothese zuriick (n~iheres hierfiber 9).
Wie welt die H e i d e n h a i n s c h e tIypothese in den Rahmen
dieser Anschauungen passt, kann ich aus seinen Ausfiihrungen
nicht mit Sicherheit entnehmen. Einerseits betont er sehr aus-
drticklich gewisse e h e m i s c h e Frinzipien (6, S. 203), /mderer-
seits aber spricht er wieder yon ,einem gewissen Prinzip der
Organisation, welches darin zu suchen ist, dass eine Mehrzahl
der kleinsten lebenden Teile (~er ,lebendigen Molekiile ~) unter
Annahme einer gemeinsamen morphologischen und physiologi-
schen Verfassung und unter Vermittelung yon Waehstum und
1) Q u i n c k e (16) giebt als charakteristisch for f e s t e KSrper an, dass sie w e g e n de r m a n g e l n d e n s e i t l i c h e n V e r s c h i e b b a r k e i t d e r T e i l - z h e n b e i einer Deformation F a l t e n etc. bilden. Bei einer derar~igenDeformation, wie sie ei ne cylinderfSrmige Muskelfibrille bei der Kontraki~ion zeigt, mi l s s en aber, da keine Faltenbfldung, Verkri~mmung oder Spiralbildung stattfinde~, seitliche Verschiebungen, wle bei Flilssigkeiten, vorkommen. - - Die Fallen einer Lamelle entstehen wiihrend ihres Festwerdens, z. B. bei einer Leimlamelle im Laufe yon 3--12 Stunden.
Zur Theorie der Protoplasmabewegung etc. $55
Teilung zu kleinsten morphologisch sichtbaren Individuen zu-
sammentreten etc."
Feste, yon einem flfissigen Medium durchtri~nkte Gertiste
nach Art der micellaren sind wohl denkbar in Gebilden, die
sich in einem statisehen chemischen Gleiehgewicht befinden,
wie z. B. Sti~rkekOrner, ftir welche die Micellarhypothese in
erster Linie entwickelt worden ist. Mit dem den allgemeinen
ehemischen Gesetzen folgenden lebendigen Stoffwechse] aber ist
diese Vorstellung nicht vereinbar. Wollte man hier die in
e h e m i s c h e n S y s t e m e n m a s s g e b e n d e n F a k t o r e n , w i e
D r u c k , T e m p e r a t u r u n d t h e r m o d y n a m i s c h e s P o t e n -
t i a l ihre Herrschaft geltend machen lassen, wo bliebe dann
die ,,gemeinsame morphologische und physiologische Verfassung"
der Komplexe lebendiger Molektile? Das sind gar zu ver-
sehiedenartige Faktoren; auf der einen Seite wohl charakterisierte
physikalisch-chemische Krafte, auf der anderen unbestimmte
spekulative Konstruktionen.
Demgegeniiber muss man sieh fragen: Brauchen wir etwa
diese letzteren oder niitzen sie uns wenigstens etwas? Diese
Frage habe ich sehon frtiher (9) ausftihrlich zu beantworten
gesucht mit dem Ergebnis, dass sie der Erkli~rung keiner der
wesentliehen Erseheinungen der lebendigen Substanz, wie Wachs-
turn, Formbildung, Kontraktilit~Lt, (Doppelbrechung), Erregungs-
leitung, psychisehen Eigenschaften, eineu Vorteil bringen, sondern
sogar haufig hinderlich sind. Es sei noch hinzugeftigt, dass
auch die h i s t o l o g i s c h e n B i l d e r des Protoplasmas keines-
wegs eine D e u t u n g im Sinne der Micellarhypothese verlangen.
Daher ist es ein Irrtum, wenn die Vertreter der Hypothese
yon der ,,inneren 0rganisation" denjenigen der ,,Flfissigkeits-
hypothese" oder, zutreffender ausgedrfiekt, der p h y s ik a 1 i s c h-
eh e m i s c h e n A u f f a s s u n g des Protoplasmas vorwerfen, class
sie eine unbereehtigte, well unbewiesene Hypothese verfechten:
d e n n die p h y s i k a l i s e h - c h e m i s c h e H y p o t h e s e is t d i e
AnatomLsche Hef te . I. Ab te l lung 83. Hef t (27. Bd., ~t 3). 5 5
356 PAUL JENSEN, Zur Theorie der Protoplasmabewegung etc.
n ~ t e h s t l i e g e n d e u n d e i n f a c h s t e , d ie m a n e r s t d a n n
a u f z u g e b e n das IZecht h a t , w e n n i h r e U n d u r c h f f i h r -
b a r k e i t n a c h g e w i e s e n ist. Man hat daher, um diese An-
sicht gelten zu lassen, gar keine besonderen weiteren Beweise
zu verlang~n, vielmehr h~ben ihre G e g n e r fiir ihre Speku-
lationen solche zu erbringen, wenn sie diesen letzteren An-
sprueh auf Beachtung erwirken wollen.
Litteratl ,
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9. J e n s e n , P2), Uber den Aggregatzustand des Muskels und der lebendigen Sabstanz tiberhaupt. P f l f i g e r s Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 80. S. 176, 1900.
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11. D e r s e l b e , Untersuchun~en fiber Protoplasmameehanik. Ebenda. Bd. 87. S. 361. 1901.
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1) Ich miichte nicht verfehlen, darauf hinzuweisen, (lass H e i d e n h a i n (l. c. ~. 314) einige meiner Arbeiten unter O. J o n s o n , start P. J o n s o n , aufffihrt.
55*
85S Litteratur.
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Kgl. Preuss. Akad. d. Wiss., phys.-math. KI. Bd. 46. S. 1243. 1896.