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Amtliche Mitteilungen . . . . . . . . 585 A Dank an ausgeschiedene Mitglieder des Bun- desrates . . . . . . . . . . . . . . 585 B Zur Tagesordnung . . . . . . . . . . 585 D 1. Ansprache des Präsidenten . . . . . 585 D Präsident Klaus Wowereit . . . . 585 D Hans Martin Bury, Staatsminister beim Bundeskanzler . . . . . 589 A 2. Wahl der zweiten stellvertretenden Vor- sitzenden der Europakammer – gemäß § 45 c GO BR – . . . . . . . . . . 590 C Beschluss: Staatsrätin Dr. Kerstin K i e ß l e r (Bremen) wird gewählt . . 590 C 3. Gesetz zur Durchsetzung der Gleichstel- lung von Frauen und Männern (Gleich- stellungsdurchsetzungsgesetz – DGleiG) (Drucksache 813/01, zu Drucksache 813/ 01) . . . . . . . . . . . . . . 590 C Annemarie Lütkes (Schleswig-Hol- stein) . . . . . . . . . . . 623*A Dr. Edith Niehuis, Parl. Staatsse- kretärin bei der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend . . . . . . . . . . 624*C Beschluss: Kein Antrag gemäß Art. 77 Abs. 2 GG . . . . . . . . . . . 590 D 4. Gesetz zur Neuordnung der Statistik im Handel und Gastgewerbe (Drucksache 814/01) . . . . . . . . . . . . 590 D Beschluss: Zustimmung gemäß Art. 84 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . 626*B 5. Gesetz zur Änderung des Bewertungsge- setzes (Drucksache 821/01) . . . . . 590 D Beschluss: Zustimmung gemäß Art. 108 Abs. 5 GG . . . . . . . . . . . 626*B 6. Gesetz über den Beruf der Podologin und des Podologen und zur Änderung anderer Gesetze (Drucksache 815/01) . . 590 D Reinhold Bocklet (Bayern) . . . . 627*D Beschluss: Zustimmung gemäß Art. 84 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . 591 A 7. Gesetz zur Ablösung des Arznei- und Heilmittelbudgets (Arzneimittelbudget- Ablösungsgesetz – ABAG) (Drucksache 816/01) . . . . . . . . . . . . 591 A Christa Stewens (Bayern) . . . . 591 A Rudolf Köberle (Baden-Württemberg) 628*B Beschluss: Zustimmung gemäß Art. 84 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . 592 B 8. Gesetz zur Regelung der Rechtsverhält- nisse von Prostituierten (Prostitutionsge- setz – ProstG) – gemäß Artikel 77 Abs. 2 GG – (Drucksache 817/01, zu Drucksache 817/01 [2]) . . . . . . . . . . . 592 B Beschluss: Anrufung des Vermittlungs- ausschusses . . . . . . . . . . 592 C 9. Gesetz zur Bereinigung von Kostenrege- lungen auf dem Gebiet des geistigen Ei- gentums (Drucksache 818/01) . . . . 590 D Beschluss: Kein Antrag gemäß Art. 77 Abs. 2 GG . . . . . . . . . . . 626*A Druck: MuK. Medien- und Kommunikations GmbH, Berlin Vertrieb: Bundesanzeiger Verlagsgesellschaft mbH, Postfach 13 20, 53003 Bonn, Telefon: 02 28/3 82 08 40, Telefax: 02 28/3 82 08 44 ISSN 0720-7999 Plenarprotokoll 769 BUNDESRAT Stenografischer Bericht 769. Sitzung Berlin, Freitag, den 9. November 2001 Inhalt:

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Amtliche Mitteilungen . . . . . . . . 585 A

Dank an ausgeschiedene Mitglieder des Bun-desrates . . . . . . . . . . . . . . 585 B

Zur Tagesordnung . . . . . . . . . . 585 D

1. Ansprache des Präsidenten . . . . . 585 D

Präsident Klaus Wowereit . . . . 585 D

Hans Martin Bury, Staatsministerbeim Bundeskanzler . . . . . 589 A

2. Wahl der zweiten stellvertretenden Vor-sitzenden der Europakammer – gemäß § 45 c GO BR – . . . . . . . . . . 590 C

Beschluss: Staatsrätin Dr. KerstinK i e ß l e r (Bremen) wird gewählt . . 590 C

3. Gesetz zur Durchsetzung der Gleichstel-lung von Frauen und Männern (Gleich-stellungsdurchsetzungsgesetz – DGleiG)(Drucksache 813/01, zu Drucksache 813/01) . . . . . . . . . . . . . . 590 C

Annemarie Lütkes (Schleswig-Hol-stein) . . . . . . . . . . . 623*A

Dr. Edith Niehuis, Parl. Staatsse-kretärin bei der Bundesministerinfür Familie, Senioren, Frauen undJugend . . . . . . . . . . 624*C

Beschluss: Kein Antrag gemäß Art. 77Abs. 2 GG . . . . . . . . . . . 590 D

4. Gesetz zur Neuordnung der Statistik imHandel und Gastgewerbe (Drucksache814/01) . . . . . . . . . . . . 590 D

Beschluss: Zustimmung gemäß Art. 84Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . 626*B

5. Gesetz zur Änderung des Bewertungsge-setzes (Drucksache 821/01) . . . . . 590 D

Beschluss: Zustimmung gemäß Art. 108Abs. 5 GG . . . . . . . . . . . 626*B

6. Gesetz über den Beruf der Podologinund des Podologen und zur Änderunganderer Gesetze (Drucksache 815/01) . . 590 D

Reinhold Bocklet (Bayern) . . . . 627*D

Beschluss: Zustimmung gemäß Art. 84Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . 591 A

7. Gesetz zur Ablösung des Arznei- undHeilmittelbudgets (Arzneimittelbudget-Ablösungsgesetz – ABAG) (Drucksache816/01) . . . . . . . . . . . . 591 A

Christa Stewens (Bayern) . . . . 591 A

Rudolf Köberle (Baden-Württemberg) 628*B

Beschluss: Zustimmung gemäß Art. 84Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . 592 B

8. Gesetz zur Regelung der Rechtsverhält-nisse von Prostituierten (Prostitutionsge-setz – ProstG) – gemäß Artikel 77 Abs. 2GG – (Drucksache 817/01, zu Drucksache817/01 [2]) . . . . . . . . . . . 592 B

Beschluss: Anrufung des Vermittlungs-ausschusses . . . . . . . . . . 592 C

9. Gesetz zur Bereinigung von Kostenrege-lungen auf dem Gebiet des geistigen Ei-gentums (Drucksache 818/01) . . . . 590 D

Beschluss: Kein Antrag gemäß Art. 77Abs. 2 GG . . . . . . . . . . . 626*A

Druck: MuK. Medien- und Kommunikations GmbH, BerlinVertrieb: Bundesanzeiger Verlagsgesellschaft mbH, Postfach 13 20, 53003 Bonn,Telefon: 02 28/3 82 08 40, Telefax: 02 28/3 82 08 44ISSN 0720-7999

Plenarprotokoll 769

BUNDESRATStenografischer Bericht

769. Sitzung

Berlin, Freitag, den 9. November 2001

I n h a l t :

Bundesrat – 769. Sitzung – 9. November 2001II

10. Gesetz zur Modernisierung des Schuld-rechts (Drucksache 819/01) . . . . . 592 C

Dr. Manfred Weiß (Bayern) . . . . 592 C

Prof. Dr. Christian Pfeiffer (Nieder-sachsen) . . . . . . . . . . 593 C

Dr. Andreas Birkmann (Thüringen) . 594 C

Karin Schubert (Sachsen-Anhalt) . . 596 C

Prof. Dr. Herta Däubler-Gmelin, Bun-desministerin der Justiz . . . . 597 C

Beschluss: Kein Antrag gemäß Art. 77Abs. 2 GG – Annahme einer Ent-schließung . . . . . . . . . . 599 D

11. Gesetz zur Anpassung bilanzrechtlicherBestimmungen an die Einführung desEuro, zur Erleichterung der Publizität fürZweigniederlassungen ausländischer Un-ternehmen sowie zur Einführung einerQualitätskontrolle für genossenschaft-liche Prüfungsverbände (Euro-Bilanz-gesetz – EuroBilG) (Drucksache 820/01) . 590 D

Beschluss: Zustimmung gemäß Art. 84Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . 626*B

12. Gesetz zum Vertrag von Nizza vom 26. Februar 2001 (Drucksache 822/01) . 600 A

Kurt Beck (Rheinland-Pfalz) . . . . 600 A

Jochen Riebel (Hessen) . . . . . 601 C

Wolfgang Senff (Niedersachsen) . . 602 B

Reinhold Bocklet (Bayern) . . . . 604 A

Hannelore Kraft (Nordrhein-West-falen) . . . . . . . . . . . 604 D

Dr. Christoph Zöpel, Staatsministerim Auswärtigen Amt . . . . . 605 D

Beschluss: Zustimmung gemäß Art. 23Abs. 1 Satz 3 i.V.m. Art. 79 Abs. 2 GG . 607 B

13. a) Entwurf eines Gesetzes zur Änderungvon Vorschriften des Sozialdaten-schutzes zur Verstärkung des Schutzesder Bevölkerung (Sozialdatenschutz-änderungsgesetz) – gemäß Artikel 76 Abs. 1 GG – Antrag der Länder Bayernund Baden-Württemberg – Antrag desFreistaates Bayern gemäß § 23 Abs. 3i.V.m. § 15 Abs. 1 GO BR – (Drucksa-che 826/01)

b) Entschließung des Bundesrates zueiner Ergänzung der AllgemeinenVerwaltungsvorschrift zum Staatsan-gehörigkeitsrecht (StAR-VwV) vom13. Dezember 2000 – Antrag der Län-der Bayern und Baden-Württemberg –Antrag des Freistaates Bayern gemäß § 23 Abs. 3 i.V.m. § 15 Abs. 1 GO BR –(Drucksache 806/01)

c) Entschließung des Bundesrates zurwirksameren Bekämpfung des interna-tionalen Terrorismus und Extremismus– Antrag der Länder Baden-Württem-berg, Bayern, Hessen und Hamburg,Saarland, Sachsen, Thüringen – An-trag des Landes Baden-Württemberggemäß § 23 Abs. 3 i.V.m. § 15 Abs. 1GO BR – (Drucksache 807/01)

in Verbindung mit

50. Entwurf eines Gesetzes zum verbessertenSchutz der Öffentlichkeit vor angedroh-ten und vorgetäuschten Straftaten („Tritt-brettfahrergesetz“) – gemäß Artikel 76Abs. 1 GG – Antrag des Freistaats Thürin-gen gemäß § 36 Abs. 2 GO BR – (Druck-sache 922/01) . . . . . . . . . . 607 B

Ole von Beust (Hamburg) . . . . 607 D

Dr. Bernhard Vogel (Thüringen) . . 608 C

Heiner Bartling (Niedersachsen) . . 609 C

Annemarie Lütkes (Schleswig-Hol-stein) . . . . . . . . . . . 611 A

Dr. Andreas Birkmann (Thüringen) . 611 C

Fritz Rudolf Körper, Parl. Staatsse-kretär beim Bundesminister des In-nern . . . . . . . . . . . 612 B

Walter Zuber (Rheinland-Pfalz) . . 628*C

Alwin Ziel (Brandenburg) . . . . 629*A

Rudolf Köberle (Baden-Württemberg) 629*B

Mitteilung zu 13 a): Fortsetzung der Aus-schussberatungen . . . . . . . . 613 B

Beschluss zu 13 b): Die Entschließungwird gefasst . . . . . . . . . . 613 C

Beschluss zu 13 c): Annahme der Ent-schließung in der festgelegten Fassung 613 D

Mitteilung zu 50: Überweisung an diezuständigen Ausschüsse . . . . . . 613 D

14. Entwurf eines Gesetzes zur Rücknahmeder weiteren Erhöhungsstufen bei derökologischen Steuerreform – gemäß Arti-kel 76 Abs. 1 GG – Antrag der LänderBaden-Württemberg und Hessen, Thü-ringen – Antrag des Landes Baden-Würt-temberg gemäß § 23 Abs. 3 i.V.m. § 15 Abs. 1 GO BR – (Drucksache 526/01) . . 613 D

Gerhard Stratthaus (Baden-Württem-berg) . . . . . . . . . . . 613 D

Stanislaw Tillich (Sachsen) . . . . 631*B

Beschluss: Keine Einbringung des Ge-setzentwurfs beim Deutschen Bundes-tag . . . . . . . . . . . . . 615 A

Bundesrat – 769. Sitzung – 9. November 2001 III

15. Entschließung des Bundesrates zum Ver-bot der Pelztierhaltung – Antrag des Lan-des Schleswig-Holstein – (Drucksache766/01) . . . . . . . . . . . . 616 B

Klaus Müller (Schleswig-Holstein) . 616 B

Beschluss: Annahme der Entschließungin der festgelegten Fassung . . . . 617 D

16. Entschließung des Bundesrates zumStandort der Behörde für Lebensmittel-sicherheit der Europäischen Union – An-trag des Landes Baden-Württemberggemäß § 23 Abs. 3 i.V.m. § 15 Abs. 1 und § 36 Abs. 2 GO BR – (Drucksache 857/01) 617 D

Rudolf Köberle (Baden-Württemberg) 631*C

Mitteilung: Überweisung an die zustän-digen Ausschüsse . . . . . . . . 617 D

17. Entschließung des Bundesrates zur An-wendung des ermäßigten Umsatzsteuer-satzes auf Lieferungen diätetischer Le-bensmittel (Trink- und Sondennahrung)für besondere medizinische Zwecke– Antrag des Landes Hessen – (Drucksa-che 696/01)

Mitteilung: Absetzung von der Tages-ordnung . . . . . . . . . . . 585 D

18. Entwurf eines Fünften Gesetzes zur Än-derung des Gesetzes über die Landwirt-schaftliche Rentenbank (Drucksache 740/01) . . . . . . . . . . . . . . 590 D

Beschluss: Stellungnahme gemäß Art. 76Abs. 2 GG . . . . . . . . . . . 626*B

19. Entwurf eines Gesetzes zur Einführungdes diagnose-orientierten Fallpauscha-lensystems für Krankenhäuser (Fallpau-schalengesetz – FPG) (Drucksache 701/01) . . . . . . . . . . . . . . 619 B

Walter Zuber (Rheinland-Pfalz) . . 632*A

Beschluss: Stellungnahme gemäß Art. 76Abs. 2 GG . . . . . . . . . . . 619 D

20. Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Än-derung schadensersatzrechtlicher Vor-schriften (Drucksache 742/01) . . . . 619 D

Beschluss: Stellungnahme gemäß Art. 76Abs. 2 GG . . . . . . . . . . . 620 A

21. Entwurf eines Gesetzes zur Änderungdes Anerkennungs- und Vollstreckungs-ausführungsgesetzes – gemäß Artikel 76Abs. 2 Satz 4 GG – (Drucksache 743/01) . 590 D

Beschluss: Keine Einwendungen gemäßArt. 76 Abs. 2 GG . . . . . . . . 626*C

22. Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Eu-ropäischen Charta der Regional- oderMinderheitensprachen des Europaratesvom 5. November 1992 (Drucksache 741/01) . . . . . . . . . . . . . . 590 D

Beschluss: Keine Einwendungen gemäßArt. 76 Abs. 2 GG . . . . . . . . 626*C

23. Entwurf eines Gesetzes zu dem Protokollvom 27. Februar 2001 zur Ergänzung desAbkommens vom 5. April 1993 zwischender Bundesrepublik Deutschland und derRepublik Lettland über den Luftverkehr(Drucksache 744/01) . . . . . . . . 590 D

Beschluss: Keine Einwendungen gemäßArt. 76 Abs. 2 GG . . . . . . . . 626*C

24. Entwurf eines Gesetzes zu den Ände-rungen vom 20. Mai 1999 des Überein-kommens zur Gründung der Europäi-schen Fernmeldesatellitenorganisation„EUTELSAT“ (EUTELSAT-Übereinkom-men) (Drucksache 745/01) . . . . . . 590 D

Beschluss: Keine Einwendungen gemäßArt. 76 Abs. 2 GG . . . . . . . . 626*C

25. Bericht über die Anwendung des Subsi-diaritätsprinzips im Jahr 2000 („Subsi-diaritätsbericht 2000“) (Drucksache 776/01) . . . . . . . . . . . . . . 590 D

Beschluss: Stellungnahme . . . . . . 626*D

26. Bericht der Bundesregierung zum Jahres-gutachten 1999 des WissenschaftlichenBeirates der Bundesregierung GlobaleUmweltveränderungen (WBGU): „Weltim Wandel – Erhaltung und nachhaltigeNutzung der Biosphäre“ (Drucksache713/01) . . . . . . . . . . . . 590 D

Beschluss: Kenntnisnahme . . . . . 627*A

27. Vorschlag für eine Verordnung des Eu-ropäischen Parlaments und des Ratesüber grenzüberschreitende Zahlungen inEuro – gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG –(Drucksache 723/01) . . . . . . . . 620 A

Wolfgang Senff (Niedersachsen) . . 632*B

Walter Zuber (Rheinland-Pfalz) . . 633*C

Beschluss: Stellungnahme . . . . . . 620 B

28. Mitteilung der Kommission der Europäi-schen Gemeinschaften an den Rat unddas Europäische Parlament zum europäi-schen Vertragsrecht – gemäß §§ 3 und 5EUZBLG – (Drucksache 617/01) . . . 620 B

Beschluss: Stellungnahme . . . . . . 620 B

Bundesrat – 769. Sitzung – 9. November 2001IV

29. Vorschlag für eine Entscheidung des Eu-ropäischen Parlaments und des Rates zurErstellung und Entwicklung von Ge-meinschaftsstatistiken über Wissenschaftund Technologie – gemäß §§ 3 und 5EUZBLG – (Drucksache 737/01) . . . 590 D

Beschluss: Stellungnahme . . . . . . 626*D

30. Vorschlag für einen Beschluss des Eu-ropäischen Parlaments und des Rates überRegeln für die Beteiligung von Unterneh-men, Forschungszentren und Hochschu-len sowie für die Verbreitung der For-schungsergebnisse zur Durchführung desRahmenprogramms der EuropäischenGemeinschaft 2002 – 2006 – gemäß §§ 3und 5 EUZBLG – (Drucksache 739/01) . 590 D

Beschluss: Stellungnahme . . . . . . 626*D

31. Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zurÄnderung der Richtlinie 1999/29/EG desRates über unerwünschte Stoffe und Er-zeugnisse in der Tierernährung – gemäߧ§ 3 und 5 EUZBLG – (Drucksache 738/01) . . . . . . . . . . . . . . 590 D

Beschluss: Stellungnahme . . . . . . 626*D

32. Erste Verordnung zur Änderung derBHV1-Verordnung (Drucksache 741/00) 620 C

Beschluss: Zustimmung gemäß Art. 80Abs. 2 GG in der festgelegten Fassung 620 C

33. Dritte Verordnung zur Änderung der Düngemittelverordnung (Drucksache 718/01) . . . . . . . . . . . . . . 620 C

Beschluss: Zustimmung gemäß Art. 80Abs. 2 GG in der festgelegten Fassung 620 D

34. Verordnung zur Aufhebung der ZweitenBSE-Schutzverordnung und der Tierseu-chenrechtlichen BSE-Verordnung (Druck-sache 761/01) . . . . . . . . . . 590 D

Beschluss: Zustimmung gemäß Art. 80Abs. 2 GG . . . . . . . . . . . 627*B

35. Sechste Verordnung zur Änderung derRückstands-Höchstmengenverordnung(Drucksache 762/01, zu Drucksache 762/01) . . . . . . . . . . . . . . 590 D

Beschluss: Zustimmung gemäß Art. 80Abs. 2 GG . . . . . . . . . . . 627*B

36. Verordnung zur Umstellung des Gebüh-renverzeichnisses der Kostenverordnungfür die Prüfung überwachungsbedürf-tiger Anlagen auf Euro (Drucksache 748/01) . . . . . . . . . . . . . . 590 D

Beschluss: Zustimmung gemäß Art. 80Abs. 2 GG . . . . . . . . . . . 627*B

37. Siebenundvierzigste Verordnung zur Än-derung der Verordnung über verschrei-bungspflichtige Arzneimittel (Drucksa-che 749/01) . . . . . . . . . . . 590 D

Beschluss: Zustimmung gemäß Art. 80Abs. 2 GG . . . . . . . . . . . 627*B

38. Verordnung über das Meldewesen nach§§ 21 und 22 des Transfusionsgesetzes(Transfusionsgesetz – Meldeverordnung –TFGMV) (Drucksache 767/01) . . . . 590 D

Beschluss: Zustimmung gemäß Art. 80Abs. 2 GG . . . . . . . . . . . 627*B

39. Verordnung zur Reform pass- und personalausweisrechtlicher Vorschriften(Drucksache 733/01) . . . . . . . . 620 D

Beschluss: Zustimmung gemäß Art. 80Abs. 2 GG in der festgelegten Fassung 620 D

40. Verordnung zur Erleichterung der Regis-terautomation (Drucksache 763/01) . . 590 D

Beschluss: Zustimmung gemäß Art. 80Abs. 2 GG nach Maßgabe der beschlos-senen Änderungen . . . . . . . 626*D

41. a) ... Verordnung zur Änderung stra-ßenverkehrsrechtlicher Vorschriften (... ÄndVStVR) (Drucksache 751/01)

b) Allgemeine Verwaltungsvorschrift zurÄnderung der Allgemeinen Verwal-tungsvorschrift zur Straßenverkehrs-Ordnung (VwV-StVO) (Drucksache750/01) . . . . . . . . . . . . 590 D

Beschluss zu a): Zustimmung gemäß Art. 80 Abs. 2 GG nach Maßgabe derbeschlossenen Änderungen . . . . 626*D

Beschluss zu b): Zustimmung gemäß Art. 84 Abs. 2 GG nach Maßgabe derbeschlossenen Änderungen . . . . 626*D

42. Allgemeine Verwaltungsvorschrift zurAnpassung der Vollziehungsanweisungund der Betriebsprüfungsordnung an denEuro (Drucksache 753/01) . . . . . . 590 D

Beschluss: Zustimmung gemäß Art. 108Abs. 7 GG . . . . . . . . . . . 627*B

43. Allgemeine Verwaltungsvorschrift zumInfektionsschutzgesetz über die Zusam-menarbeit der Gesundheitsämter und derSanitätsdienststellen der Bundeswehr(Verwaltungsvorschrift IFSG-Bundes-wehr – IFSGBw-VwV) (Drucksache 728/01) . . . . . . . . . . . . . . 590 D

Beschluss: Zustimmung gemäß Art. 84Abs. 2 GG . . . . . . . . . . . 627*B

Bundesrat – 769. Sitzung – 9. November 2001 V

44. Allgemeine Verwaltungsvorschrift zurÄnderung der Allgemeinen Verwaltungs-vorschrift zum Bundesausbildungsför-derungsgesetz (BAföGÄndVwV 2001)(Drucksache 729/01) . . . . . . . . 590 D

Beschluss: Zustimmung gemäß Art. 84Abs. 2 GG . . . . . . . . . . . 627*B

45. Vorschlag für die Berufung eines Mit-glieds des Verwaltungsrates der Bundes-anstalt für Arbeit – gemäß § 392 Abs. 2Nr. 2 SGB III – Antrag des Landes Meck-lenburg-Vorpommern – (Drucksache 837/01) . . . . . . . . . . . . . . 590 D

Beschluss: Zustimmung zu dem Vor-schlag in Drucksache 837/01 . . . . 627*C

46. Benennung eines Mitglieds und einesstellvertretenden Mitglieds des Kurato-riums der Stiftung „Haus der Geschichteder Bundesrepublik Deutschland“ – ge-mäß § 7 Abs. 3 Gesetz zur Errichtungeiner Stiftung „Haus der Geschichte derBundesrepublik Deutschland“ – (Druck-sache 769/01) . . . . . . . . . . 590 D

Beschluss: Zustimmung zu dem Vor-schlag in Drucksache 769/01 . . . . 627*C

47. Verfahren vor dem Bundesverfassungs-gericht (Drucksache 836/01) . . . . . 590 D

Beschluss: Von einer Äußerung undeinem Beitritt wird abgesehen . . . 627*D

48. Entschließung des Bundesrates zur Ver-längerung der Antragsfristen des Straf-rechtlichen Rehabilitierungsgesetzes(StrRehaG), des VerwaltungsrechtlichenRehabilitierungsgesetzes (VwRehaG)

und des Beruflichen Rehabilitierungs-gesetzes (BerRehaG) sowie der Fristnach § 60 des Bundesausbildungsför-derungsgesetzes (BAföG) – Antrag derLänder Thüringen, Sachsen und Sach-sen-Anhalt gemäß § 36 Abs. 2 GO BR –(Drucksache 875/01) . . . . . . . . 618 A

Jürgen Gnauck (Thüringen) . . . 618 A

Beschluss: Annahme der Entschließung . 619 B

49. Entwurf eines Gesetzes zur Änderungdes Bundessozialhilfegesetzes – gemäßArtikel 76 Abs. 1 GG – Antrag der LänderBaden-Württemberg, Bayern, Saarland,Sachsen, Thüringen gemäß § 36 Abs. 2GO BR – (Drucksache 919/01) . . . . 615 A

Dr. Friedhelm Repnik (Baden-Würt-temberg) . . . . . . . . . . 615 B

Mitteilung: Überweisung an die zustän-digen Ausschüsse . . . . . . . . 616 B

51. Gesetz zur Einführung des Wohnortprin-zips bei Honorarvereinbarungen fürÄrzte und Zahnärzte (Drucksache 890/01) 620 D

Stanislaw Tillich (Sachsen), Bericht-erstatter . . . . . . . . . . 621 A

Beschluss: Zustimmung gemäß Art. 84Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . 621 C

Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . 621 C

Feststellung gemäß § 34 GO BR . . . . 621 B/D

Bundesrat – 769. Sitzung – 9. November 2001VI

Verzeichnis der Anwesenden

Vo r s i t z :

Präsident K l a u s W o w e r e i t , RegierenderBürgermeister des Landes Berlin

Amtierender Präsident R e i n h o l d B o c k l e t ,Staatsminister für Bundes- und Europaangele-genheiten in der Bayerischen Staatskanzlei – zeitweise –

S c h r i f t f ü h r e r i n :

Karin Schubert (Sachsen-Anhalt)

S c h r i f t f ü h r e r :

Dr. Manfred Weiß (Bayern)

B a d e n - W ü r t t e m b e r g :

Rudolf Köberle, Minister und Bevollmächtigterdes Landes Baden-Württemberg beim Bund

Gerhard Stratthaus, Finanzminister

Dr. Friedhelm Repnik, Sozialminister

B a y e r n :

Dr. Edmund Stoiber, Ministerpräsident

Reinhold Bocklet, Staatsminister für Bundes- undEuropaangelegenheiten in der Staatskanzlei,Bevollmächtigter des Freistaates Bayern beimBund

Christa Stewens, Staatsministerin für Arbeit undSozialordnung, Familie und Frauen

Dr. Manfred Weiß, Staatsminister der Justiz

B e r l i n :

Klaus Böger, Bürgermeister und Senator für Schule,Jugend und Sport

Wolfgang Wieland, Bürgermeister und Senatorfür Justiz

B r a n d e n b u r g :

Dr. h.c. Manfred Stolpe, Ministerpräsident

Prof. Dr. Kurt Schelter, Minister der Justiz und fürEuropaangelegenheiten

Alwin Ziel, Minister für Arbeit, Soziales, Gesund-heit und Frauen

B r e m e n :

Dr. Kerstin Kießler, Staatsrätin, Bevollmächtigteder Freien Hansestadt Bremen beim Bund, fürEuropa und Entwicklungszusammenarbeit

Reinhard Metz, Staatsrat beim Senator für Finanzen

H a m b u r g :

Ole von Beust, Präsident des Senats, Erster Bür-germeister

Dr. Roger Kusch, Senator, Präses der Justiz-behörde

H e s s e n :

Roland Koch, Ministerpräsident

Ruth Wagner, Ministerin für Wissenschaft undKunst

Jochen Riebel, Minister für Bundes- und Euro-paangelegenheiten und Chef der Staatskanzlei

Dr. Christean Wagner, Minister der Justiz

M e c k l e n b u r g - Vo r p o m m e r n :

Dr. Harald Ringstorff, Ministerpräsident

Erwin Sellering, Justizminister

N i e d e r s a c h s e n :

Heiner Bartling, Innenminister

Wolfgang Senff, Minister für Bundes- und Euro-paangelegenheiten in der Staatskanzlei

Prof. Dr. Christian Pfeiffer, Justizminister

Bundesrat – 769. Sitzung – 9. November 2001 VII

T h ü r i n g e n :

Dr. Bernhard Vogel, Ministerpräsident

Jürgen Gnauck, Minister für Bundes- und Euro-paangelegenheiten in der Staatskanzlei

Dr. Andreas Birkmann, Justizminister

Vo n d e r B u n d e s r e g i e r u n g :

Prof. Dr. Herta Däubler-Gmelin, Bundesministerinder Justiz

Hans Martin Bury, Staatsminister beim Bundes-kanzler

Dr. Christoph Zöpel, Staatsminister im Auswär-tigen Amt

Fritz Rudolf Körper, Parl. Staatssekretär beim Bun-desminister des Innern

Prof. Dr. Eckhart Pick, Parl. Staatssekretär bei derBundesministerin der Justiz

Karl Diller, Parl. Staatssekretär beim Bundesmi-nister der Finanzen

Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär bei derBundesministerin für Verbraucherschutz, Er-nährung und Landwirtschaft

Dr. Edith Niehuis, Parl. Staatssekretärin bei derBundesministerin für Familie, Senioren, Frauenund Jugend

Gudrun Schaich-Walch, Parl. Staatssekretärin beider Bundesministerin für Gesundheit

Dr. Klaus Achenbach, Staatssekretär im Bundes-ministerium für Arbeit und Sozialordnung

N o r d r h e i n - W e s t f a l e n :

Wolfgang Clement, Ministerpräsident

Hannelore Kraft, Ministerin für Bundes- und Eu-ropaangelegenheiten im Geschäftsbereich desMinisterpräsidenten und Bevollmächtigte desLandes Nordrhein-Westfalen beim Bund

R h e i n l a n d - P f a l z :

Kurt Beck, Ministerpräsident

Walter Zuber, Minister des Innern und für Sport

Herbert Mertin, Minister der Justiz

S a a r l a n d :

Peter Jacoby, Minister für Finanzen und Bundes-angelegenheiten

Inge Spoerhase-Eisel, Ministerin der Justiz

Monika Beck, Staatssekretärin, Bevollmächtigtedes Saarlandes beim Bund

S a c h s e n :

Stanislaw Tillich, Staatsminister für Bundes- undEuropaangelegenheiten in der SächsischenStaatskanzlei und Bevollmächtigter des Frei-staates Sachsen beim Bund

Manfred Kolbe, Staatsminister der Justiz

S a c h s e n - A n h a l t :

Dr. Reinhard Höppner, Ministerpräsident

Karin Schubert, Ministerin der Justiz

S c h l e s w i g - H o l s t e i n :

Heide Simonis, Ministerpräsidentin

Annemarie Lütkes, Ministerin für Justiz, Frauen,Jugend und Familie

Klaus Müller, Minister für Umwelt, Natur undForsten

Bundesrat – 769. Sitzung – 9. November 2001 585

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Beginn: 9.33 Uhr

Präsident Klaus Wowereit: Meine sehr geehrtenDamen und Herren, ich eröffne die 769. Sitzung desBundesrates.

Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, habe ichgemäß § 23 Abs. 1 unserer Geschäftsordnung Verän-derungen in der Mitgliedschaft bekannt zu geben:

Der Senat der Freien Hansestadt Bremen hat am 24. Oktober 2001 Frau Staatsrätin Dr. KerstinK i e ß l e r als Nachfolgerin des am 30. Septemberausgeschiedenen Staatsrats Erik B e t t e r m a n nzum Mitglied des Bundesrates bestellt.

Die neu gebildete Regierung der Freien und Hanse-stadt Hamburg hat am 31. Oktober 2001 Herrn ErstenBürgermeister Ole v o n B e u s t , Herrn Zweiten Bür-germeister Ronald S c h i l l und Herrn Senator RudolfL a n g e zu Mitgliedern des Bundesrates bestellt. Dieübrigen Mitglieder des Senats wurden als stellvertre-tende Mitglieder des Bundesrates benannt.

Die bisherigen Mitglieder des Senats sind mit Wir-kung vom 31. Oktober 2001 aus dem Bundesrat aus-geschieden. Es sind dies: Herr Erster BürgermeisterOrtwin R u n d e , Frau Zweite Bürgermeisterin KristaS a g e r sowie die Damen und Herren Senatorinnenund Senatoren Eugen W a g n e r , Ute P a p e , Dr. Thomas M i r o w , Dr. Christina W e i s s , KarinR o t h , Olaf S c h o l z , Dr. Lore Maria P e s c h e l -G u t z e i t , Dr. Willfried M a i e r , Dr. IngridN ü m a n n - S e i d e w i n k e l und AlexanderP o r s c h k e .

Den ausgeschiedenen Mitgliedern spreche ich mei-nen Dank für ihre Arbeit in den Ausschüssen desBundesrates und hier im Plenum aus.

Mein besonderer Dank gilt Herrn Kollegen OrtwinRunde, der diesem Hause seit 1988 angehört hat,zunächst als Senator für Arbeit, Gesundheit und Sozia-les, später als Finanzsenator und seit 1997 als Präsi-dent des Senats und Erster Bürgermeister der Freienund Hansestadt Hamburg. Herr Kollege Runde wardarüber hinaus im Wechsel mit dem Vertreter desDeutschen Bundestages Vorsitzender des Vermitt-lungsausschusses.

Herr Erster Bürgermeister Runde hat sich nicht nurbesonders für die Belange der Freien und HansestadtHamburg eingesetzt, sondern auch aktiv an der Ge-staltung der Gesetzgebung des Bundes beteiligt. AlsVorsitzender des Vermittlungsausschusses hat er anherausgehobener Stelle Verantwortung in vielenschwierigen Gesetzgebungsverfahren getragen.Seine Verdienste um den Föderalismus sind über alleParteigrenzen hinweg anerkannt. Auch persönlichhat sich Herr Runde auf Grund seines besonderen En-gagements und seiner verbindlichen Art des Um-gangs mit den Kolleginnen und Kollegen in hohemMaße Wertschätzung erworben. Im Namen des Hau-ses wünsche ich Herrn Kollegen Runde alles Gute fürden neuen Lebensabschnitt.

(Beifall)

Mein Dank gilt darüber hinaus insbesondere FrauKollegin Dr. Peschel-Gutzeit, die diesem Hause miteiner kurzen Unterbrechung seit zehn Jahren an-gehört hat und als Vorsitzende des Rechtsausschussesdessen Arbeiten maßgeblich geprägt hat. Auch HerrnKollegen Dr. Maier sei nochmals herzlich für seine Ar-beit in den Organen des Hauses gedankt.

Den neuen Mitgliedern des Bundesrates wünscheich mit uns allen hier im Hause eine gute Zusammen-arbeit.

Ich komme nun zur Tagesordnung. Sie liegt Ihnenin vorläufiger Form mit 51 Punkten vor. Punkt 17 wirdvon der Tagesordnung abgesetzt. Tagesordnungs-punkt 48 wird nach Punkt 16 behandelt, Tagesord-nungspunkt 49 nach Punkt 14. Tagesordnungspunkt50 wird mit Punkt 13 aufgerufen. Im Übrigen bleibt esbei der ausgedruckten Reihenfolge der Tagesord-nung.

Gibt es Wortmeldungen zur Tagesordnung? – Dasist nicht der Fall. Dann ist sie so festgestellt.

Tagesordnungspunkt 1:

Ansprache des Präsidenten

Meine Damen und Herren, als neuer Bundesrats-präsident möchte ich mit einem Wort an meinen Vor-gänger, Herrn Kollegen Beck, beginnen: Im Namen

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769. Sitzung

Berlin, den 9. November 2001

Bundesrat – 769. Sitzung – 9. November 2001586

des gesamten Hauses danke ich Ihnen für Ihre faire,engagierte und an der gemeinsamen Sache orientier-te Amtsführung.

Das Jahr Ihrer Präsidentschaft im Bundesrat wardas erste, in dem der Bundesrat seinen Sitz in Berlinhatte. War es ein Sachse, der im Jahr 2000 den Umzugund Einzug organisierte, so war es ein Pfälzer, der imJahr 2001 – zehn Jahre nach dem Bonn/Berlin-Be-schluss – die reibungslose Arbeitsaufnahme sicherge-stellt hat. Und nun ist es ein Berliner, der die Arbeit ineinem funktionierenden und voll arbeitsfähigen Bun-desrat in Berlin fortführen darf. Herzlichen Dank anSie, Herr Kollege Beck, aber auch an die Verwaltungdes Bundesrates!

Meinem Vorgänger war es eine Herzensangelegen-heit, die Arbeit des Bundesrates für die Bürgerinnenund Bürger sichtbarer zu machen. Denn: Vielen sindFunktion und Bedeutung der deutschen Länderkam-mer nach wie vor wenig vertraut. Ich glaube daher, eswar eine gute Initiative des Kollegen Beck, einen Tagder offenen Tür einzuführen. Ich werde auch in mei-ner Amtszeit einen Tag der offenen Tür veranstalten;ich hoffe, dass er in Zusammenarbeit mit dem Abge-ordnetenhaus von Berlin, unserem Nachbarn, durch-geführt werden kann. Der Bundesrat soll ein Verfas-sungsorgan sein, das nah bei den Menschen ist.

Der heutige 9. November ist ein Tag, der die Höhenund Tiefen deutscher und europäischer Geschichte inbesonderer Weise symbolisiert. Der 9. Novembersteht für demokratischen und republikanischen Auf-bruch. Er steht zugleich aber für beispiellose Bar-barei, für Terror und Gewalt. Schließlich steht der 9. November dafür, dass sich demokratische Kräftegegen totalitäre und menschenverachtende Systemehaben durchsetzen können.

Der 9. November ist der Tag, an dem PhilippS c h e i d e m a n n 1918 die erste deutsche Republikproklamierte.

Es ist der Tag, an dem 1938 die Nazis die Synago-gen in Deutschland anzündeten, Geschäfte von Judendemolierten und plünderten, Tausende Juden verhaf-teten und in Konzentrationslager verschleppten.

Und der 9. November ist der Tag, an dem 1989 derEiserne Vorhang fiel, der über Jahrzehnte hinweg Eu-ropa, Deutschland und – wenige Meter von hier ent-fernt – Berlin teilte. Der 9. November 1989 war derTag, an dem, wie mein Vorgänger Walter M o m p e ram nächsten Morgen in Bonn im Bundesrat sagte, dieBerlinerinnen und Berliner „das glücklichste Volk derWelt“ waren.

Mit dem 9. November der Jahre 1918, 1938 und1989 verbinden sich Ereignisse des 20. Jahrhunderts,die wir auch im 21. Jahrhundert nicht vergessen wol-len und nicht vergessen dürfen. Alle drei Ereignissehaben tiefe Spuren in Deutschland und Europa hin-terlassen. Sie können uns aber auch Orientierunggeben. Die Aufgabe – auch unsere Aufgabe – wird essein, die Erinnerung wach zu halten und die darauserwachsende Verantwortung für die Zukunft ent-schlossen wahrzunehmen.

Ich möchte diese Verantwortung mit drei Stichwor-ten benennen: Es geht um die Stärkung der Bürger-

gesellschaft, um eine Politik der inneren EinheitDeutschlands und um einen Entwicklungsschub fürEuropa.

Die Stärkung der Bürgergesellschaft ist eine Zu-kunftsfrage unserer Demokratie. Ich denke, es ist dasVerdienst meines Amtsvorgängers Beck, immer wie-der und beharrlich auf die Notwendigkeit eines funk-tionierenden Zusammenspiels zwischen Staat undBürger hinzuweisen.

Es geht um das Fundament unseres friedlichen Zu-sammenlebens in der Gesellschaft, um das auf Ge-meinsinn beruhende demokratische Engagement ein-zelner Menschen für ihr Gemeinwesen. Das ist es,was der am 9. November 1918 proklamierten Repu-blik am meisten fehlte. Ohne diesen Mangel an demokratischem Engagement wiederum wären dieVerbrechen des 9. November 1938 nicht möglich ge-wesen. Denn die Pogromnacht war, wie Paul S p i e -g e l es heute vor einem Jahr bei der großen Kund-gebung vor dem Brandenburger Tor sagte, „dasoffizielle Signal zum größten und schlimmsten Völ-kermord in der Geschichte der Menschheit“. Sie waraber auch – dies füge ich hinzu – die Nacht des Weg-schauens und der Gleichgültigkeit einer großenMehrheit der Deutschen.

Die Erinnerung an den 9. November 1938 ist keinSelbstzweck. Sie macht uns immer wieder bewusst,wohin Ausgrenzung von Minderheiten und Intoleranzgegenüber Andersdenkenden und -gläubigen führenkönnen. Nur wer die Folgen der Inhumanität kennt,weiß den Wert von Demokratie und Rechtsstaatlich-keit zu schätzen.

Demokratie ist nicht nur ein Regelwerk, das unshilft, gerechte und vernünftige Entscheidungen zutreffen. Demokratie ist auch eine Lebensform, diekonkrete Entfaltungsmöglichkeiten braucht. Die Län-der und vor allem die Städte und Gemeinden sind undbleiben dafür der geeignete Ort. Dort bieten sich viel-fältige Möglichkeiten für bürgerschaftliches Engage-ment: in Vereinen, kulturellen Initiativen, Nachbar-schaftsgruppen und Bürgerbewegungen. DiesesEngagement sichert den Zusammenhalt unserer Ge-sellschaft und ist zugleich eine notwendige Voraus-setzung für das Funktionieren der Demokratie. Esverdient unsere Unterstützung und Anerkennung –nicht nur im „Internationalen Jahr der Freiwilligen“.Denn wenn uns die Geschichte des 9. November inDeutschland eines lehrt, dann dies: Eine Demokratieist auf aktive und engagierte Demokraten angewie-sen.

Lassen Sie mich einen zweiten Bereich benennen,in dem uns aus der Geschichte Verantwortung für dieZukunft erwächst: Aus der Erinnerung an den 9. No-vember 1989 ergibt sich nach meiner festen Überzeu-gung eine bleibende Verpflichtung, die innere Ein-heit voranzutreiben und ihr einen neuen Schub zuverleihen.

Am heutigen Tag vor elf Jahren, ebenfalls an einem9. November, war es so weit, dass die erste gesamt-deutsche Bundesratssitzung stattfinden konnte. ElfJahre liegen hinter uns, in denen wir auf dem Weg zurinneren Einheit unseres Landes eine große Strecke

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Präsident Klaus Wowereit

Bundesrat – 769. Sitzung – 9. November 2001 587

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zurückgelegt haben. Der Bundesrat hat dabei einezentrale und gestaltende Rolle gespielt. Ich erinnerean die Solidarpakte I und II. Niemand wird allerdingsbestreiten, dass dennoch eine Menge zu tun bleibt.Die anhaltend hohe Arbeitslosigkeit in Ostdeutsch-land, die Abwanderung Ostdeutscher in RichtungWesten, die ökonomische Schere, die sich zwischenOst- und Westdeutschland öffnet – all dies sind Ent-wicklungen, die uns gemeinsam zum Handeln he-rausfordern. Es bleibt die Aufgabe, gleichwertige Lebensverhältnisse in allen Teilen der Republik her-zustellen.

Der Bundesrat hat dies immer als eine seiner zen-tralen Aufgaben gesehen, und ich werde als Präsidentalles tun, um die Anstrengungen meiner Vorgängerfortzuführen. Die spezifischen Berliner Erfahrungen,die Erfahrungen einer Stadt, die sich nach der über-wundenen Teilung neu orientiert, können dabei nurhelfen.

Lassen Sie mich neben der Stärkung der Bürgerge-sellschaft und der inneren Einheit einen dritten Be-reich nennen, in dem wir ein hohes Maß an Verant-wortung tragen: Es ist die Aufgabe, eine guteeuropäische Nachbarschaft zu entwickeln und zupflegen sowie die Erweiterung und Vertiefung derEuropäischen Union entschlossen anzugehen.

Der Fall der Mauer wäre ohne den Mut der Bürger-bewegungen in den mittel- und osteuropäischen Län-dern nicht möglich gewesen. Sie haben Europa nachJahrzehnten des Stillstands eine neue Perspektive ge-geben und uns an die gemeinsamen Werte Europaserinnert. Wir sollten dies als Chance begreifen, Euro-pa nicht nur als ökonomisches und monetäres Projektzu sehen. Europa war immer auch eine Idee, ethni-schen Nationalismus und Krieg zwischen Nachbarvöl-kern zu überwinden. Europa war immer auch einFriedenskonzept für unseren Kontinent. Und mit Eu-ropa verbindet sich, mit Jürgen H a b e r m a s ge-sprochen, eine Lebensform. Sie beruht auf demokra-tisch gesicherten Freiheiten und einer sozialstaatlichabgefederten Wirtschaftskraft – und dies begründet ineiner verbindenden Idee von Gerechtigkeit.

Lassen Sie mich einige Hinweise darauf geben, wowir im Lichte dieser Verpflichtungen stehen und wel-che konkreten Aufgaben in den kommenden zwölfMonaten vor uns liegen.

Ich habe auf den Wert der Bürgergesellschaft fürdie Lebendigkeit und letztlich für die Funktionsfähig-keit unserer Demokratie hingewiesen. Gleichwohlbleibt auch die Notwendigkeit einer Erneuerung derInstitutionen – die Modernisierung unserer bundes-staatlichen Ordnung – aktuell.

Die Bundesrepublik ist ein Bundesstaat, kein Staa-tenbund. Das hat auch die Verständigung des Bun-deskanzlers mit den Regierungschefs der Länder vomJuni 2001 gezeigt. Der Föderalismus hat sich alshandlungsfähig erwiesen. Trotz einer höchst kompli-zierten Interessenlage gelang uns gemeinsam dieVerabredung, eine aufgabengerechte Finanzausstat-tung zu sichern, die sich an den föderalen Grundprin-zipien der Eigenständigkeit, Solidarität und Koopera-tion unter den Ländern sowie zwischen Bund undLändern orientiert.

Die Neuregelungen im Rahmen des Solidarpaktes IIund des Finanzausgleichsgesetzes dienen der Über-windung der Teilungsfolgen und der Schaffunggleichwertiger Lebensverhältnisse in Deutschland in-nerhalb einer Generation. Ich danke an dieser Stelleallen, die ihren Beitrag dazu geleistet haben.

In dem vor uns liegenden Bundesratsjahr wollen wiran die erreichten Verständigungen anknüpfen. Eswird darum gehen, eine Grundverständigung derLänder mit der Bundesregierung über die beiderseiti-gen Handlungs- und Entscheidungskompetenzen zuerzielen. Notwendig ist die Entflechtung von Ge-meinschaftsaufgaben und Mischfinanzierungen.Ebenso erforderlich ist eine Neuregelung der Zuord-nung und Ausgestaltung der Gesetzgebungskompe-tenzen zwischen Bund und Ländern. Wir braucheneine Verständigung über die Zustimmungserforder-nisse im Bundesrat, wobei wir darauf bestehen müs-sen, dass im Rahmen der Reform die materielle Stel-lung der Länder gestärkt wird. Darüber hinausbrauchen wir eine Klärung der Kompetenzen in EU-Angelegenheiten.

Eine wichtige Frage wird sein, welche Rolle dieLänder und der Bund künftig im kulturellen Lebender Bundesrepublik spielen. Es ist gut, dass auf die-sem Themenfeld die Zeit der Tabuisierung beendetist. Längst geht es um mehr, als die verfassungsmäßi-ge Kulturhoheit der Länder zu sichern. Es geht um einkonstruktives Miteinander mit klar verteilten Rollen.Und es geht darum, dort, wo es gemeinsame Interes-sen gibt, diese auch entschlossen gemeinsam zu ver-treten.

Ich sage ganz offen: Der Anstoß von WillyB r a n d t , eine Nationalstiftung zu schaffen, hat auch30 Jahre danach ihren Charme. Zweifellos hat sich dieKulturstiftung der Länder bewährt, und es gibt einefunktionierende Zusammenarbeit der Stiftung mitdem Bund. Warum sollte dies dann nicht auch eineBasis für eine neue, gemeinsame Stiftung der Länderund des Bundes sein? Ich bin jedenfalls dafür, ein sol-ches neues Bündnis zwischen Bund und Ländern ein-zugehen. Die Förderung von Kunst und Kultur, dienationalen Rang besitzt, ist es allemal wert, neueWege zu gehen.

Ich bin mir sicher, dass sich ein solches Modell ver-fassungsrechtlich sauber gestalten lässt. Aber ichsage auch ganz deutlich: Die Länder werden daraufbestehen, dass in allen übrigen kulturellen Angele-genheiten die Kompetenzen zwischen Bund und Län-dern klar getrennt und entflochten werden. In dieVerhandlungen wird im Übrigen die Stiftung Preußi-scher Kulturbesitz einzubeziehen sein, für die eseinen bereits seit langem unerfüllten Neuregelungs-auftrag gibt.

Die Regelungen für den kulturellen Bereich sindnicht zu trennen von unserem großen Projekt der Mo-dernisierung der bundesstaatlichen Ordnung. Wirsollten alles daransetzen, die Grundzüge dieses wich-tigen Vorhabens noch in dieser Legislaturperiodedurch Entschließungen in Bundesrat und Bundestagzu dokumentieren. Dies wäre eine gute Grundlage,

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Präsident Klaus Wowereit

Bundesrat – 769. Sitzung – 9. November 2001588

um die Gespräche bis Frühjahr 2003 zu beenden. Wirhätten dann auch gute Chancen, die Zielmarke Janu-ar 2005 für das Inkrafttreten der Reform zu erreichen.Wir alle sollten unseren Beitrag leisten, um diesenZeitplan einzuhalten.

Die Modernisierung unserer bundesstaatlichenOrdnung ist das eine. Vergleichbare Aufgaben stel-len sich im europäischen Kontext. Auch hier geht esum die Klärung des Verhältnisses von Wettbewerbund Solidarität. Auch auf der europäischen Ebenegilt: Es gibt Grenzen des Leistungswettbewerbs, undwir brauchen vernünftige Regeln, um zu vermeiden,dass er den Zusammenhalt unserer Gesellschaftenüberstrapaziert. Die „europäische Lebensform“, vonder ich sprach, bedingt die Verständigung auf einMindestmaß an Solidarität und Kooperation. Nur sokann wirklich ein gemeinsames Europa entstehen.

Heute liegt uns der Vertrag von Nizza zur Annah-me vor. Der parallel anlaufende Prozess, bekanntunter dem Stichwort „post Nizza“, ist in seiner Bedeu-tung für die Länder und Regionen nicht zu unter-schätzen. Parallel zum innerstaatlichen Moderni-sierungsprozess werden die Bundesländer dieinstitutionelle Weiterentwicklung der EuropäischenUnion aktiv begleiten. Im Kern geht es um die Siche-rung der Zukunftsfähigkeit der Europäischen Unionim Zuge der Erweiterung und der Vertiefung.

Willy Brandt hat einmal gesagt: „Mit den Europa-verhandlungen verhält es sich wie mit dem Liebes-spiel der Elefanten: Alles spielt sich auf hoher Ebeneab, wirbelt viel Staub auf – und es dauert sehr lange,bis etwas dabei herauskommt.“ – Damit dies in Zu-kunft – zumindest bezüglich Europas – anders wird,brauchen wir eine Modernisierung der Institutionender EU und die Verbesserung des Zusammenspielszwischen den Institutionen. Wir brauchen eine Vereinfachung der Verträge und die Stärkung der de-mokratischen Legitimation europäischer Entschei-dungen. Wir brauchen eine Aufwertung des Europäi-schen Parlaments, aber auch mehr Rechte für denAusschuss der Regionen und für die Konferenz derEuropaausschüsse der nationalen Parlamente.

All diese Fragen berühren unmittelbar das Selbst-verständnis Europas. Ein Meilenstein auf dem Wegzur Vertiefung der Europäischen Union liegt unmittel-bar vor uns: die Einführung des Euro als Zahlungs-mittel zum 1. Januar 2002. Sie ist beschlossen, und dieVorbereitungen laufen auf Hochtouren. Ich bin mir si-cher: Der Euro als Bargeld wird das Gefühl der Zu-sammengehörigkeit in Europa stärken. Kinder undJugendliche, die auf Reisen oder in den Ferien mit dergleichen Münze bezahlen, werden das gleiche Erleb-nis haben wie wir Älteren, als wir mit Personalaus-weis und ohne Grenzkontrolle in die Nachbarländerfahren konnten. Sie werden das eine Europa erleben.

Die sinnliche Erfahrung des einen Europa ist einriesiger Vorzug der gemeinsamen Währung. Wir dür-fen es nicht zulassen, dass diese Erfahrung durchOhnmachtsgefühle gegenüber dem politischen Euro-pa überlagert wird. Es muss uns gelingen, die Europäische Union künftig so zu gestalten, dass dieBürgerinnen und Bürger besser verstehen, wo Ent-

scheidungen fallen und wie sie selbst daran und ander Willensbildung teilnehmen können.

Eine Chance, neuen europäischen Elan zu ent-wickeln, liegt aber auch im Beitritt unserer mittel-und osteuropäischen Nachbarn. Berlin liegt nur etwa70 Kilometer von der polnischen Grenze entfernt. DieZugfahrt nach Prag dauert von Berlin aus kaum län-ger als bis Bonn – dies soll sich demnächst einmaldeutlich verbessern. Gerade in der vergangenenWoche habe ich in Prag und Bratislava gespürt, wiegroß die Begeisterung unserer Partner in der Tsche-chischen und in der Slowakischen Republik für Euro-pa ist.

Die ersten Beitritte sollen rechtzeitig zu den Wahlenzum Europaparlament im Jahr 2004 erfolgen. Wirmüssen gemeinsam alles tun, damit dieses Zeitziel er-reicht werden kann. Ich bin mir sicher, dass alle ost-deutschen Länder ihre Brückenfunktion zu ihrenNachbarn aktiv wahrnehmen. Das ist eine Chance dergeografischen Lage, aber auch der jüngeren Ge-schichte.

Ich denke, ich kann hier im Namen des ganzenHauses sagen, dass wir den Beitrittsprozess auch inden vor uns liegenden Jahren aktiv mitgestalten wer-den, auch durch regelmäßige Kontakte direkt mit denRepräsentanten unserer Nachbarstaaten. Als Bundes-ratspräsident werde ich einen Schwerpunkt auf dieKontakte zu den mittel- und osteuropäischen Staatenlegen. Ich beabsichtige, bei nächster GelegenheitPolen zu besuchen, um die Bedeutung der Beitritts-vorbereitungen auch für unser Land zu unterstrei-chen.

Besondere Herausforderungen im Prozess der EU-Erweiterung werden auf die grenznahen Regionenund Ballungszentren zukommen. Hier wird der rela-tiv abstrakte Prozess des Zusammenwachsens mitallen Chancen und Herausforderungen den Alltag derBürger und Bürgerinnen am konkretesten prägen.Das gilt für beide Seiten der ehemals trennendenGrenzen. Wir dürfen die Menschen bei den oftschwierigen Veränderungen nicht allein lassen.

Seit dem 11. September sehen wir manche Dinge ineinem anderen Licht. Das gilt auch für die Vertiefungder Europäischen Union. Wir werden angesichtsneuer Gefährdungen im Bereich der Außen- und Si-cherheitspolitik sowie in der Innen- und Rechtspolitikzu noch intensiverer Zusammenarbeit kommen müs-sen. Auch hier werden wir Länder gefragt sein, unskonstruktiv an den notwendigen Entscheidungen zubeteiligen.

Im Rahmen der Post-Nizza-Debatte werden dieWeichen für die Zukunft der Europäischen Union ge-stellt. Die Debatte berührt vitale Interessen der deut-schen Länder. Umso wichtiger ist es, dass wir uns – wie in den vergangenen Monaten – in die Debatteeinschalten und die Prozesse aktiv mitgestalten.

Europa ist mehr als das Institutionengefüge derheutigen EU. Lassen Sie uns auf der Grundlage einergemeinsamen Wertebasis und mit Blick auf gemein-same Aufgaben weiter an diesem großen Zukunfts-projekt arbeiten!

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Präsident Klaus Wowereit

Bundesrat – 769. Sitzung – 9. November 2001 589

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Es ist ein ermutigendes Zeichen, dass der Verfas-sungsprozess bereits in vollem Gange ist, wobei dieRechtsverbindlichkeit der Grundrechtecharta ein we-sentliches Ziel der europäischen Entwicklung ist. Esbleibt zu hoffen, dass dieser Prozess einhergeht mitder Entwicklung einer starken europäischen Zivilge-sellschaft – die Grundlage für die Entwicklung einereuropäischen Demokratie.

Ich habe einleitend auf Verpflichtungen hingewie-sen, die uns aus der Besinnung auf den 9. Novemberin der Geschichte erwachsen: die Verpflichtung zueiner Stärkung der Bürgergesellschaft, zu einer Poli-tik der inneren Einheit und zur Stärkung Europas. Wirstehen vor weit reichenden Entscheidungen, beidenen es auch um diese Fragen geht. Unser föderalerStaat bleibt ein Erfolgsmodell. Der Erfolg wird aberauch in Zukunft an Korrekturen und Modernisierun-gen gebunden sein. Lassen Sie uns die notwendigenEntscheidungen entschlossen und zuversichtlich an-gehen!

In diesem Sinne freue ich mich auf eine gute Zu-sammenarbeit und wünsche uns allen gute Ergebnis-se unserer gemeinsamen Arbeit.

(Beifall)

Das Wort hat der Staatsminister beim Bundeskanz-ler, Herr Kollege Bury.

Hans Martin Bury, Staatsminister beim Bundeskanz-ler: Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ihnen,Herr Regierender Bürgermeister Wowereit, möchteich zu Ihrem Amtsantritt als Präsident des Bundes-rates herzlich gratulieren und die besten Wünschedes Bundeskanzlers und der gesamten Bundesregie-rung übermitteln.

Zugleich darf ich Ihrem Vorgänger im Amt, HerrnMinisterpräsidenten Beck, für die Verhandlungs-führung während des letzten Jahres herzlich danken.Ihre ausgleichende Art der Sitzungsleitung, Herr Mi-nisterpräsident Beck, hat dazu beigetragen, dass hierimmer in einer konstruktiven und entspannten At-mosphäre beraten wurde. Auch in schwierigeren Fra-gen haben rheinische Gelassenheit und pfälzischerPragmatismus dafür gesorgt, dass über wichtige Ge-setzesvorhaben zügig beraten und entschieden wer-den konnte.

Sie haben in Ihrer Rede, Herr Präsident, drei Aufga-bengebiete herausgehoben, in denen es darauf an-komme, Verantwortung für die Zukunft wahrzuneh-men: Stärkung der Bürgergesellschaft, Politik derinneren Einheit und Entwicklungsschub für Europa; solauteten die Stichworte. Sie begeben sich damit auf dieSpuren Willy Brandts; Brandt trat – ebenfalls als Regie-render Bürgermeister – am 20. Dezember 1957 das Amtdes Bundesratspräsidenten an und sprach schon da-mals sowohl das Thema „Europa“ als auch das Verhält-nis zwischen Bund und Ländern an. Beide Themensind auch in diesen Tagen und Wochen aktuell.

Zu den finanzpolitischen Beziehungen zwischenBund und Ländern werden Sie noch in diesem Jahreine wichtige Entscheidung treffen.

Heute vor zwölf Jahren, in den Tagen des Novem-ber 1989, haben die Menschen hier in Berlin, aberauch in Leipzig und Halle, in Jena, Rostock oder Pots-dam ihr Schicksal selbst in die Hand genommen. MitZivilcourage und friedlichen Demonstrationen habensie das SED-Regime zu Fall gebracht und damit diedeutsche Einheit erst möglich gemacht.

Vieles ist seitdem erreicht worden – für die Men-schen, die Infrastruktur, die ökonomische Entwick-lung und die Lebensqualität. Dennoch war früh klarund gilt bis heute, dass die Überwindung der Folgender Teilung und die Angleichung der Lebensverhält-nisse eine Generationenaufgabe darstellen. Ein gutesStück des Weges ist geschafft; mit dem Solidarpakt IIschaffen wir die Voraussetzung dafür, dass das ge-meinsame Ziel erreicht wird.

Meine Damen und Herren, die deutsche Einheitwar Anstoß und Voraussetzung für die Wiedervereini-gung Europas. Wie weit das Zusammenwachsen Eu-ropas bereits vorangeschritten ist, wird, so denke ich,vielen Menschen mit dem 1. Januar 2002 richtig be-wusst werden, in gerade einmal 53 Tagen, wenn 290 Millionen Bürgerinnen und Bürger aus zwölf Mit-gliedstaaten der EU zum ersten Mal den Euro auchals Bargeld in den Händen halten und benutzen. Mitdem neuen Geld wird dann für jede EU-Bürgerin undfür jeden EU-Bürger konkret erfahrbar, dass wir ineinem gemeinsamen großen Wirtschaftsraum leben.

Jetzt kommt es darauf an, die politischen Rahmen-bedingungen in der Europäischen Union der fort-schreitenden ökonomischen Integration anzupassen.

Sie werden heute das Gesetz zum Vertrag vonNizza mit – so hoffe ich – großer Mehrheit beschließenund damit die rechtzeitige Ratifizierung dieses Ver-trages vor dem Gipfel in Laeken möglich machen. Mitden in Nizza vereinbarten institutionellen Reformenwerden die notwendigen Voraussetzungen für die Er-weiterung der Europäischen Union geschaffen.

Wenn alle Mitgliedstaaten der EU den Vertrag rati-fiziert haben, ist der Weg frei für eine EuropäischeUnion, an der auch die osteuropäischen Staaten teil-haben können. Die Staaten Osteuropas gehören nichtnur geografisch zu uns; uns verbinden gemeinsamegeistige und kulturelle Wurzeln. Der Beitritt der Län-der in Mittel- und Südosteuropa zur EuropäischenUnion ist – darin stimme ich Ihnen, Herr Präsident,ausdrücklich zu – der folgerichtige Abschluss einesProzesses, der heute vor zwölf Jahren mit dem Fallder Mauer begann.

Aber, meine Damen und Herren, eine Union dieserGrößenordnung muss politisch handlungsfähig blei-ben. Mittelfristig müssen deshalb die Exekutivrechteder Kommission ebenso deutlich gestärkt werden wiedie Rechte des Europäischen Parlaments – auch imHaushaltsverfahren. Wir müssen unser Augenmerkauch auf eine verbesserte Arbeitsweise des Ratesrichten. In der Perspektive sollte sich der Rat, wenn erals Gesetzgeber tätig ist, zu einer zweiten Kammerentwickeln.

Auf Initiative von Bundeskanzler Gerhard S c h r ö -d e r wurde in Nizza für das Jahr 2004 eine Regie-

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Präsident Klaus Wowereit

Bundesrat – 769. Sitzung – 9. November 2001590

rungskonferenz vereinbart. Gegenstand sollen dieKompetenzabgrenzung, der Status der Grundrechte-charta, die Rolle der nationalen Parlamente sowie dieVereinfachung der Verträge sein.

Der Regierungskonferenz muss eine breite öffentli-che Debatte vorausgehen. Im Zentrum dieser Debattewird ein Konvent stehen. Von deutscher Seite werdenneben einem Beauftragten des Bundeskanzlers einMitglied des Bundestages und ein Mitglied des Bun-desrates entsandt.

Die Beteiligung des Bundesrates stellt sicher, dassLänderinteressen unmittelbar in den Konvent einge-bracht werden können. Es war der Bundesregierungein wichtiges Anliegen, dem Bundesrat eine direkteBeteiligungsmöglichkeit zu schaffen. Darüber hinauswird die Bundesregierung die Länder bei der Erarbei-tung ihrer Position für die Regierungskonferenz 2004beteiligen.

Sie übernehmen Ihr neues Amt in einer Zeit, HerrPräsident, in der die Terrorakte des 11. September undihre Konsequenzen die politische Diskussion bestim-men. Die Anschläge von New York und Washingtonwaren Angriffe auf Freiheit und Demokratie, auf Of-fenheit und Toleranz, auf die Werte, die ein friedlichesZusammenleben der Völker erst ermöglichen und diees zu verteidigen gilt, nach außen wie nach innen.

Die Bürgerinnen und Bürger haben Anspruch da-rauf, dass der Staat sie vor der Bedrohung durch Terrorschützt. Ich setze darauf, dass der Bundesrat die Vorla-gen der Bundesregierung zu den Sicherheitspaketenzügig beraten und beschließen wird.

Herr Präsident, Sie haben die Bedeutung der Bür-gergesellschaft für die Demokratie hervorgehoben.Ich teile diese Ansicht ausdrücklich und will hinzufü-gen, dass es mir umso mehr an der Zeit erscheint, Re-geln für Zuwanderung und für Integration in dieseGesellschaft zu schaffen.

Die Bundesregierung hat den Entwurf eines Zu-wanderungsgesetzes beschlossen. Wer sich kritischdamit auseinander setzt, sollte unvoreingenommendie geltende Rechtslage mit den vorgeschlagenenNeuregelungen vergleichen. Das Ergebnis kann undwird nicht lauten: Wir tun nichts. – Es mag Gesprächs-bedarf in Details geben. Darüber kann man reden;aber man muss auch bereit sein, mit dem Ziel einerLösung zu verhandeln. Anderenfalls würden wir – davon bin ich überzeugt – unserer Verantwortungfür die Zukunft unserer Gesellschaft nicht gerecht.

Ich wünsche Ihnen, Herr Präsident, für Ihre begin-nende Amtsperiode eine glückliche Hand und unsallen, dass wir die gute und erfolgreiche Zusammen-arbeit zwischen Bundesrat und Bundesregierung fort-setzen.

(Beifall)

Präsident Klaus Wowereit: Schönen Dank, HerrKollege Bury!

Ich rufe Tagesordnungspunkt 2 auf:

Wahl der zweiten stellvertretenden Vorsitzen-den der Europakammer

Das Amt der zweiten stellvertretenden Vorsitzen-den kommt in diesem Geschäftsjahr nach dem üb-lichen Turnus dem Land Bremen zu. Wir hatten dieseWahl in unserer letzten Sitzung zurückgestellt undholen sie heute nach.

Ich schlage nunmehr vor, Frau Staatsrätin Dr. KerstinK i e ß l e r (Bremen) zur zweiten stellvertretendenVorsitzenden der Europakammer für das laufendeGeschäftsjahr zu wählen.

Wer diesem Vorschlag zuzustimmen wünscht, denbitte ich um ein Handzeichen.

Damit ist die zweite Stellvertreterin einstimmig ge-wählt.

Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 3:

Gesetz zur Durchsetzung der Gleichstellungvon Frauen und Männern (Gleichstellungs-durchsetzungsgesetz – DGleiG) (Drucksache813/01, zu Drucksache 813/01)

Gibt es dazu Wortmeldungen? – Das ist nicht derFall.

Je eine Erklärung zu Protokoll*) geben Frau Minis-terin Lütkes (Schleswig-Holstein) und Frau Parla-mentarische Staatssekretärin Dr. Niehuis (Bundesmi-nisterium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend).

Eine Ausschussempfehlung auf Anrufung des Ver-mittlungsausschusses oder ein entsprechender Lan-desantrag liegt nicht vor.

Dann stelle ich fest, dass der Bundesrat einen sol-chen Antrag n i c h t stellt.

Zur gemeinsamen Abstimmung nach § 29 Abs. 2der Geschäftsordnung rufe ich die in dem UmdruckNr. 10/01**) zusammengefassten Beratungsgegen-stände auf. Es sind dies die Tagesordnungspunkte:

4, 5, 9, 11, 18, 21 bis 26, 29 bis 31, 34 bis 38 und40 bis 47.

Wer den Empfehlungen der Ausschüsse folgenmöchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das istdie Mehrheit.

Dann ist so beschlossen.

Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 6:

Gesetz über den Beruf der Podologin und desPodologen und zur Änderung anderer Gesetze(Drucksache 815/01)

Gibt es dazu Wortmeldungen? – Das ist nicht derFall.

Herr Staatsminister Bocklet (Bayern) gibt eine Er-klärung zu Protokoll***) ab.

Der federführende Gesundheitsausschuss und derAusschuss für Kulturfragen empfehlen, dem Gesetz

(A)

(B)

(C)

(D)

Staatsminister Hans Martin Bury

*) Anlage 1 und 2**) Anlage 3

***) Anlage 4

Bundesrat – 769. Sitzung – 9. November 2001 591

(A)

(B)

zuzustimmen. In Drucksache 815/1/01 liegt jedochein 2-Länder-Antrag auf Einberufung des Vermitt-lungsausschusses vor, über den wir nach unserer Ge-schäftsordnung zuerst abstimmen müssen.

Ich frage daher: Wer ist für die Anrufung des Ver-mittlungsausschusses aus dem in Drucksache815/1/01 genannten Grund? – Das ist eine Minderheit.

Die Einberufung des Vermittlungsausschusses wirdn i c h t gewünscht.

Da es sich bei dem Gesetz um ein Zustimmungs-gesetz handelt, haben wir jetzt noch über die Zustim-mung zu entscheiden. Ich frage daher, wer dem Ge-setz zuzustimmen wünscht. – Das ist die Mehrheit.

Damit hat der Bundesrat dem Gesetz zugestimmt.

Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 7:

Gesetz zur Ablösung des Arznei- und Heilmit-telbudgets (Arzneimittelbudget-Ablösungs-gesetz – ABAG) (Drucksache 816/01)

Dazu gibt es eine Wortmeldung von Frau Staatsmi-nisterin Stewens (Bayern).

Christa Stewens (Bayern): Herr Präsident, meineDamen und Herren! Viele Bürgerinnen und Bürgerhaben das Vertrauen in unser Gesundheitswesen ver-loren; wir spüren das auf Veranstaltungen, auf denendie Menschen immer wieder nachfragen: Wie zuverläs-sig ist unser Gesundheitswesen noch? Eine jüngstdurchgeführte Emnid-Umfrage bestätigt dies. Danachglauben 68 % der gesetzlich Versicherten, dass wir be-reits jetzt eine Zwei-Klassen-Medizin haben, und sogar70 % unserer Bürgerinnen und Bürger sind der Über-zeugung, dass Kassenpatienten in der Bundesrepublikschlechter versorgt werden als Privatpatienten.

Die Finanzlage der gesetzlichen Krankenkassen istin der Tat desolat. Ich verkenne nicht, dass die demo-grafische Entwicklung sowie der medizinische undder medizinisch-technische Fortschritt das Gesund-heitswesen vor große Herausforderungen stellen.Aber der Befund ist eindeutig: Eine umfassende Re-form, die auf Solidarität, auf mehr Selbstverant-wortung, auf mehr Mitbestimmung und mehr Selbst-beteiligung aufbaut, ist notwendig. Das kann nurfunktionieren, wenn wir ein transparentes Gesund-heitssystem haben – also mehr Transparenz für alle,die im Gesundheitswesen Verantwortung tragen,aber auch für die Patienten.

Deswegen machen wir nicht mehr mit, meineDamen und Herren, wenn uns weitere Gesetzestextevorgelegt werden, die immer nur Stückwerk, halbher-zige Rettungseinsätze sind und letztlich einenFlickerlteppich darstellen.

Das Vorhaben, das Arzneimittelbudget abzuschaffen– das verkennen wir keineswegs –, ist grundsätzlichrichtig. Den Kollektivregress für die Ärzte halten wirohnehin für verfassungswidrig. Mit der geplanten Ab-schaffung des Arzneimittelbudgets wird zumindest in Teilen einer langjährigen Forderung Bayerns ent-sprochen. Budgets gehen in aller Regel zu Lasten derPatienten, da die Versorgung übermäßig belastet und

pauschal eingeschränkt wird. Sie sind letztendlich derGrund für die fortschreitende Zwei-Klassen-Medizinin diesem Land. Nach immerhin zweieinhalb Jahrenhat die Bundesregierung dies lediglich für einen Teil-bereich erkannt und die Bankrotterklärung ihrer bis-herigen Budgetierungspolitik in der Begründung zumGesetzentwurf gleich mitgeliefert. Dort kann manlesen, dass die bisherigen gesetzgeberischen Bemü-hungen zur Sicherung der wirtschaftlichen Verord-nung im Wege einer Budgetierung wenig erfolgreichwaren.

Die Abschaffung in der vorliegenden Form reicht al-lein jedoch nicht aus, um eine zukunftsfähige Gesund-heitspolitik zu betreiben. Es stellt eine bemerkenswer-te Kurzsichtigkeit dar, das Arzneimittelbudget ohneangemessene konzeptionelle Sicherheitsvorkehrun-gen schlicht und einfach wegfallen zu lassen. Daher istdie Bundesregierung mitverantwortlich für die Ausga-bensteigerung im Arznei- und Heilmittelbereich. Hierbleibt das Gesetz auf halbem Wege stehen.

Vielen Menschen, insbesondere den chronischKranken, wurden auf Grund der rigiden Budgetie-rungspolitik dieser Bundesregierung in den vergan-genen Jahren die notwendigen Arzneimittel vorent-halten. Sobald die Budgets wegfallen, wird denPatienten wieder weitgehend das verschrieben, wassie brauchen. Eine isolierte Abschaffung des Budgetsführt daher zwangsläufig zu steigenden Arzneimittel-ausgaben. Krankheit kann man eben nicht in Budgetspressen.

Diese Erfahrung durfte die Bundesgesundheitsmi-nisterin bereits machen. Sie hat die Abschaffungschon zu Jahresbeginn angekündigt. Die Folge wareine Explosion der Ausgaben, allein im ersten Halb-jahr um rund 11 %. Das hat wesentlich zu den der-zeitigen finanziellen Schwierigkeiten der gesetzli-chen Krankenversicherung beigetragen. Mittlerweile – darüber müssen wir uns im Klaren sein – ist es nichtmehr zu vermeiden, dass die Beitragssätze zum Jah-resende auf über 14 % steigen werden.

Zur Schadensbegrenzung hat das Bundesgesund-heitsministerium jetzt einen Gesetzentwurf zur Sen-kung der Arzneimittelausgaben nachgeschoben.Schon wieder ein gesetzgeberischer Schnellschuss!Wir haben im vergangenen halben Jahr etliche sol-cher Schnellschüsse erlebt; die Ergebnisse waren je-weils enttäuschend. Wenn der Arzt nur noch denWirkstoff verordnen darf, Apotheker aber das preis-günstigste Produkt aussuchen, dann sind nach An-sicht von Fachleuten Fehlmedikationen program-miert. Das sagen übrigens auch die Ärzte, dieVerbraucherschützer und die Patientenverbände vo-raus. Auch die wichtige Frage der Haftung zwischenÄrzten und Apothekern bleibt ungeklärt.

Aus therapeutischen Gründen habe ich ebenfallsZweifel: Auf dem Markt befinden sich ca. 800 Millio-nen Arzneimittelpackungen. Stellen Sie sich in dieserSituation einen Patienten vor, der die Apotheke wech-selt, und das angesichts der vielen älteren Menschenin unserem Land, die mit diesem System zurechtkom-men müssen! Laufen unsere Bürgerinnen und Bürgernicht permanent Gefahr, ein anderes Arzneimittel zubekommen?

(C)

(D)

Präsident Klaus Wowereit

Bundesrat – 769. Sitzung – 9. November 2001592

Gott sei Dank ist der Vorschlag, einen Zwangspreis-abschlag von 4 % bei Nicht-Festbetragsarzneimittelneinzuführen, seit gestern endlich vom Tisch. DieserVorschlag war ordnungspolitisch ohnehin verfehlt.Die Gefahr für die Glaubwürdigkeit des Wirtschafts-und Pharmastandorts Deutschland im internationalenWettbewerb sah offenbar auch Bundeswirtschaftsmi-nister M ü l l e r , der sich hier eingeschaltet hat. Ineinem Land, in dem der Staat dirigistisch und über-fallartig in die Preisgestaltung eingreift, kann mankeine zusätzlichen Arbeitsplätze schaffen. Ich frageeinmal sehr kritisch nach, meine Damen und Herren:Was ist mit der einmaligen Zahlung von 400 Milli-onen DM für die langfristige Sicherung des Gesund-heitswesens tatsächlich gewonnen?

Das heute zur Entscheidung anstehende Gesetz zurAbschaffung des Arzneimittelbudgets ist aus weiterenGründen abzulehnen. Die Spielräume, die der Selbst-verwaltung vor allem auf regionaler Ebene im Ge-setzentwurf zugestanden wurden, sind im Gesetzesbe-schluss wieder eingeschränkt worden. So werden z. B.die Kassenärztlichen Vereinigungen und die Kranken-kassen zur vergleichenden Information über preis-günstige verordnungsfähige Leistungen einschließlichder jeweiligen Preise und Entgelte verpflichtet.

Insgesamt erinnert die uns jetzt vorliegende Fas-sung des Gesetzes an ein Labyrinth, in dem sich selbstKenner der Materie schwer zurechtfinden. Gute Ge-setze, meine Damen und Herren, zeichnen sich durchKlarheit und Kürze aus. Das Ideal der praktischenHandhabbarkeit eines Gesetzes ist zwischen Stillhal-teparolen und gesundheitspolitischem Aktionismusdieser Bundesregierung leider Gottes längst unterge-gangen. Was Not tut, ist eine Gesundheitspolitik, diedie langfristigen Auswirkungen von Gesetzesände-rungen bedenkt sowie Klarheit und Verlässlichkeit alsMaximen von Neuregelungen beachtet.

Meine Damen und Herren, welche Haltung sollman zu einem solch unvollständigen und unzurei-chenden Gesetz einnehmen? Die Bayerische Staatsre-gierung lehnt das Gesetz zur Ablösung des Arznei-und Heilmittelbudgets ab. – Danke schön.

Präsident Klaus Wowereit: Weitere Wortmeldungengibt es nicht.

Eine Erklärung zu Protokoll*) gibt Minister Köber-le (Baden-Württemberg) ab.

Der Gesundheitsausschuss empfiehlt, dem Gesetzzuzustimmen. Wer diesem Votum folgen möchte, denbitte ich um das Handzeichen. – Das ist die Mehrheit.

Damit hat der Bundesrat dem Gesetz zugestimmt.

Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 8:

Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnissevon Prostituierten (Prostitutionsgesetz –ProstG) (Drucksache 817/01, zu Drucksache817/01 [2])

Gibt es Wortmeldungen? – Das ist nicht der Fall.

Zur Abstimmung liegen Ihnen die Ausschussemp-fehlungen in Drucksache 817/1/01 vor. Der feder-führende Rechtsausschuss empfiehlt dort die Anru-fung des Vermittlungsausschusses aus zwei Gründen.Wir haben daher zunächst darüber abzustimmen, werallgemein für die Anrufung ist.

Wer allgemein für die Anrufung des Vermittlungs-ausschusses ist, den bitte ich um das Handzeichen. –Das ist die Mehrheit.

Wir stimmen nun über die einzelnen Anrufungs-gründe ab. Aus den Ausschussempfehlungen rufe ichauf:

Ziffer 1! – Das ist die Mehrheit.

Ziffer 2! – Das ist eine Minderheit.

Da eine Schlussabstimmung gewünscht wurde,haben wir jetzt darüber abzustimmen, ob zu dem Ge-setz der Vermittlungsausschuss, wie soeben festge-legt, angerufen werden soll. Ich bitte um das Hand-zeichen. – Das ist die Mehrheit.

Dann ist so beschlossen.

Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 10:

Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts(Drucksache 819/01)

Ich erteile Herrn Staatsminister Dr. Weiß (Bayern)das Wort.

Dr. Manfred Weiß (Bayern): Herr Präsident! HohesHaus! Es ist keine vier Monate her, dass wir über denEntwurf des Gesetzes zur Modernisierung desSchuldrechts beraten haben. Ich habe damals daraufhingewiesen, dass die Verabschiedung der Reformnur in Betracht kommt, wenn man bei Abschluss derBeratungen feststellen kann, dass das Gesetz ausge-reift ist.

Die Frau Bundesministerin der Justiz hat im Verlaufdes Gesetzgebungsverfahrens ihre Zusage eingehal-ten, dass zwischen Bund und Ländern weiter offenund konstruktiv zusammengearbeitet wird. Ich spre-che ihr hierfür ausdrücklich meinen Dank aus. Hinzu-fügen möchte ich jedoch, dass es ohne die intensiveZusammenarbeit zwischen Bund und Ländern, dieauch Vertreter von Wissenschaft und Praxis einge-bunden hat, unmöglich gewesen wäre, ein einiger-maßen ausgereiftes Gesetz zu erarbeiten. Jeder, deram Verfahren beteiligt war, weiß, dass sich Bayern indie Beratungen nachhaltig eingebracht hat.

Ich bin der Auffassung, dass es dank der gemeinsa-men Anstrengung gelungen ist, einen Text zu erarbei-ten, der es verantwortbar erscheinen lässt, das Gesetz– soweit erforderlich – zum 1. Januar 2002 zu verab-schieden und in Kraft treten zu lassen, auch wenn si-cherlich noch manche Verbesserungen möglichwären.

Jedenfalls bei der Verjährung halten wir in dreiEinzelfragen eine Nachbesserung für erforderlich.Auch auf die von der Richtlinie zugelassene Anzeige-pflicht des Käufers innerhalb von zwei Monaten,

(A)

(B)

(C)

(D)

Christa Stewens (Bayern)

*) Anlage 5

Bundesrat – 769. Sitzung – 9. November 2001 593

(A)

(B)

nachdem er den Mangel festgestellt hat, sollte nichtverzichtet werden. Hierzu verweise ich auf diebayerischen Anträge sowie deren Begründung undbitte um Ihre Unterstützung.

Vor knapp vier Monaten habe ich an dieser Stelledie Frau Bundesministerin auch darum gebeten, inZusammenarbeit mit den Ländern unverzüglich eingeeignetes Konzept für ein gestaffeltes Inkrafttretenzu erarbeiten, um der Wirtschaft außerhalb der zwin-gend umzusetzenden EU-Richtlinien Erleichterungenzu verschaffen und eine Umstellung in angemessenerFrist zu ermöglichen. Wir haben auch hier unsere Zu-sammenarbeit angeboten und Vorschläge unterbrei-tet. Leider muss ich feststellen, dass das Gesetz inso-weit unverändert bei dem einheitlichen Zeitpunktdes Inkrafttretens 1. Januar 2002 geblieben ist. Abdiesem Zeitpunkt soll das Gesetz vollumfänglich aufalle neuen Verträge Anwendung finden. Das halte ich– so muss ich deutlich sagen – für unverantwortlich.Es nimmt der deutschen Wirtschaft die Möglichkeit,sich rechtzeitig auf das neue Recht einzustellen. DieBundesregierung verlangt sehenden Auges Unmögli-ches.

Nahezu alle Allgemeinen Geschäftsbedingungen,Musterverträge und Computerprogramme für E-Com-merce müssen geändert und an das neue Recht ange-passt werden. Zahlreiche Allgemeine Geschäftsbe-dingungen müssen darüber hinaus, bevor ihreAnwendung empfohlen werden kann, ein kartell-rechtliches Prüfungsverfahren durchlaufen, dasschon wegen der notwendigen Anhörung der Markt-partner keinesfalls bis Ende des Jahres abgeschlossenwerden kann. Das hat auch das Bundeskartellamtdeutlich festgestellt.

Die Erarbeitung neuer Allgemeiner Geschäftsbe-dingungen ist auch deshalb besonders schwierig, weildie Bezüge zum Leistungsstörungs- und Mängelrechtviele grundlegende Neuerungen aufweisen. In zahl-reichen Fällen stellt sich die Frage nach dem neuenLeitbild des Gesetzes, seinen wesentlichen Grundge-danken, an denen die Klauseln bei einer Überprüfungauf eine unangemessene Benachteiligung zu messensind.

Zahlreiche Unternehmensverbände, aber auchGroßunternehmen mit spezialisierten Rechtsabteilun-gen haben in den letzten Tagen und Wochen mitNachdruck darauf verwiesen, dass die notwendigeUmstellung bis Ende dieses Jahres nicht möglich ist.Die kleinen und mittleren Unternehmen sind völligüberfordert, da die rechtsberatenden Berufe den zu-sätzlichen Beratungsaufwand nicht decken können,zumal ihnen selbst das neue Recht noch nicht ausrei-chend geläufig ist und auch nicht geläufig sein kann.Die erforderlichen Anpassungen konnten auch nichtanhand des Gesetzentwurfs vorbereitet werden. DerGesetzentwurf der Bundesregierung hat – zu Recht –noch eine Vielzahl von Änderungen erfahren, die derÖffentlichkeit bis heute weitgehend unbekannt sind.Schließlich kann auch nicht von jedermann verlangtwerden, sich laufend über den Stand eines Gesetzge-bungsverfahrens zu informieren.

Es ist nach meiner Meinung deshalb unerlässlich,dass die Inkrafttretensregelung überarbeitet wird.

Das Inkrafttreten muss zeitlich gestreckt werden.Selbstverständlich müssen die EU-Richtlinien zeitge-recht umgesetzt werden. Im Übrigen muss aber dasInkrafttreten hinausgeschoben werden. Die verblei-bende Zeit ist so zu bemessen, dass die erforderlichenAnpassungen unter ausreichender Prüfung vorge-nommen werden können.

Ich möchte Sie daher dringend darum bitten, unse-ren Antrag bezüglich der Inkrafttretensregelung zuunterstützen. Andernfalls wird diese an sich be-grüßenswerte Reform mit einem schweren Geburts-fehler belastet sein. Es würde die Chance vertan, denRechtsanwendern die Vorteile und Vorzüge desneuen Rechts in Ruhe zu vermitteln. Das vorgeseheneüberstürzte Inkrafttreten würde bei den Betroffenenzu Recht massive Verärgerung auslösen und wirt-schaftliche Probleme verursachen. Sorgen Sie bittemit uns dafür, dass dies vermieden wird! – Ich bedan-ke mich.

Präsident Klaus Wowereit: Das Wort hat nun Minis-ter Professor Dr. Pfeiffer (Niedersachsen).

Prof. Dr. Christian Pfeiffer (Niedersachsen): HerrPräsident, meine Damen und Herren! Das Gesetzge-bungsverfahren zu einem großen Gesetz geht zuEnde – ein kurzes Gesetzgebungsverfahren mit einerlangen und gründlichen Vorbereitung. Ich erinneredaran, dass Bundesjustizminister Hans-JochenV o g e l es war, der Ende der 70er-Jahre eine Kom-mission zur Reform des Schuldrechts eingesetzt hat.Ihre Ergebnisse wurden 1991 vorgelegt und habenwichtige Bausteine für das heute zu erörternde Geset-zeswerk geliefert. Die intensive Debatte der vergan-genen Jahre, insbesondere der letzten Monate, überdas Schuldrechtsmodernisierungsgesetz war der kon-zentrierte vorläufige Abschluss einer langen Entwick-lung, nicht etwa, wie manche behauptet haben, einSchnellschuss.

Veranlasst ist das Gesetz durch die Verbrauchsgü-terkaufrichtlinie der EG. Um der Verpflichtung ge-genüber der EU nachzukommen, hätte es zwar ausge-reicht, die wenigen Vorschriften der Richtlinie überden Verkauf beweglicher Sachen an Verbraucher indas nationale Recht zu übernehmen. Von mancherSeite wurde eine solche „kleine“ Lösung auch emp-fohlen. Aber es wäre meines Erachtens zum Schadendes deutschen Rechts gewesen, wenn sich der Bun-destag von diesen Stimmen hätte verleiten lassen, nurdie „kleine“ Lösung zu wählen.

Der Verbraucherkauf wäre dann ein Fremdkörperim BGB gewesen. Die Leistungspflicht des Verkäu-fers, der Sachmangelbegriff, die Mängelhaftung, dieVerletzung sonstiger Pflichten und die Verjährung,Haltbarkeitsgarantien und die Rechtsstellung desHändlers bei Mängeln hätten sich nach grundlegendanderen Regeln als beim sonstigen Kauf gerichtet.Schließlich hätten die Verjährungsregeln beim Verbraucherkauf nicht mit dem allgemeinen Ver-jährungsrecht harmoniert. Die für den Geschäftsver-kehr unumgänglichen Allgemeinen Geschäftsbedin-gungen müssten deshalb für den Verbraucherkauf

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(D)

Dr. Manfred Weiß (Bayern)

Bundesrat – 769. Sitzung – 9. November 2001594

einen ganz anderen Inhalt haben als für den allgemei-nen BGB-Kauf. Solche Probleme wären für die Wirt-schaft zusätzlich belastend, weil der Handel oft nichtohne weiteres erkennen kann, ob ein Vertrag als Ver-braucherkauf anzusehen ist. Diese Schwierigkeitendürften angesichts ihrer Dimension nicht hingenom-men werden.

Bei der „kleinen“ Lösung würde auch nicht berück-sichtigt, dass im BGB seit langem erhebliche Defiziteim Zusammenspiel von Kaufrecht, Werkvertragsrecht,allgemeinem Leistungsstörungsrecht und Ver-jährungsrecht bestehen, die auf Beseitigung warten.Die Auswirkungen dieser Defizite würden noch ver-größert, wenn neben den Verbraucherkauf ein gänz-lich andersartiges Regelungssystem träte.

Deshalb war es richtig, die „große“ Lösung zuwählen, die heute zur Entscheidung ansteht. Dadurchwird das Mängelhaftungssystem im Kaufrecht so um-gestaltet, dass es sich in ein neues allgemeines Leis-tungsstörungsrecht einfügt. Das Verjährungsrechterfährt eine Neukonzeption, die einer sachgerechtenBehandlung der Ansprüche nicht länger im Wegesteht.

Heute liegen mehrere Anträge auf Anrufung desVermittlungsausschusses vor. Diejenigen Anträge, dieauf die Änderung von Einzelvorschriften zielen, über-gehe ich bewusst. Bei einem so komplexen Gesetzkann man natürlich über manche Einzelheit streiten,und bei jedem bleibt der eine oder andere Wunschoffen. Darüber zu reden ist aber jetzt nicht die Zeit. Esgeht darum, dass diese gelungene Reform Wirklich-keit wird und die Praxis sich rasch darauf einstellenkann.

Ich teile nicht die Bedenken des Kollegen Weiß,dass die Praxis die Umstellung nicht bewältigenkönne. Erst gestern hatte ich Gelegenheit, in einergroßen Versammlung von Rechtsanwälten darüber zudebattieren. Dort wurden solche Bedenken nicht vor-getragen.

Ich muss aber etwas zu dem Begehren sagen, dasGesetz solle zunächst nur insoweit in Kraft treten, alsdie Verbrauchsgüterkaufrichtlinie es verlange, imÜbrigen erst erheblich später. Ich bitte Sie, dem ent-sprechenden Antrag nicht zuzustimmen, sondern dasGesetz so zu verabschieden, wie es uns vorgelegtworden ist. Ein gestaffeltes Inkrafttreten wäre nurvordergründig von Vorteil. In der Übergangszeit ent-stünden die gleichen Probleme wie bei der „kleinen“Lösung. Es bestünden zunächst zwei grundlegendunterschiedliche und unvereinbare Kaufrechtsord-nungen nebeneinander. Für den Handel wäre oft nurschwierig zu erkennen, nach welchem System einVertrag zu behandeln ist, und bei Rückgriffsan-sprüchen des Handels wegen Mängelansprüchen ausVerbraucherverträgen träte eine undurchschaubareGemengelage von altem und neuem Recht ein.

Diese Schwierigkeiten wären von den Unterneh-men selbst schwer zu beherrschen, von der Anwalt-schaft kaum zu steuern und von den Gerichten nichtsachgerecht zu bewältigen. Nicht ohne Grund hatsich die Anwaltschaft schon frühzeitig gegen ein Mo-

dell des Aufsplittens in einen sofort zu verabschieden-den und einen später zu verabschiedenden Teil aus-gesprochen.

Der Zeitdruck, unter dem die fachliche Diskussiondes vergangenen Jahres gestanden hat, ist von vielenals misslich empfunden worden. Das soll hier nichtbestritten werden. Lassen Sie mich jedoch eines hin-zufügen: Die Diskussionen der vergangenen Monatezwischen Bund und Ländern, mit der Wissenschaftund der Wirtschaft und nicht zuletzt mit der Anwalt-schaft haben eine Entwicklung in Gang gesetzt, derenErgebnis insgesamt gesehen doch akzeptiert werdenkann. Ich bin mir nicht sicher, ob sich das produktiveMiteinander, das wir in den letzten Monaten erlebthaben, auch ohne Zeitdruck ergeben hätte.

Meine Damen und Herren, nutzen wir die Gunstder Stunde, tragen wir das Unsere dazu bei, dasSchuldrecht auf den Stand des 21. Jahrhunderts zubringen! Ich plädiere für die unveränderte Annahmedes Gesetzes, das uns vom Bundestag vorgelegt wor-den ist.

Präsident Klaus Wowereit: Als Nächster hat Minis-ter Dr. Birkmann (Thüringen) das Wort.

Dr. Andreas Birkmann (Thüringen): Herr Präsident,meine Damen und Herren! Auch ich beginne mit derFeststellung, dass wir uns erst vor knapp vier Mona-ten in diesem Hohen Haus eingefunden haben, umüber das fast 700 Seiten starke Gesetzesvorhaben derBundesregierung im ersten Durchgang zu beraten.Wir sahen uns damals mit einer Flut von Änderungs-anträgen – über 150 an der Zahl – konfrontiert. Heute,da es gilt, Bilanz zu ziehen und sich die Frage zu stel-len, ob es eines Vermittlungsverfahrens bedarf odernicht, ist die Zahl der Anträge zwar geschrumpft; alsgelungen lässt sich das Gesetzeswerk indes wirklichnicht bezeichnen. Der bayerische Kollege Dr. Weißhat es soeben höflich als „einigermaßen ausgereift“und „eben noch vertretbar“ bezeichnet.

Diese Kritik braucht nicht zu verwundern. Wennman ein Gesetz, das immerhin die Ausmaße des Tele-fonbuches einer Großstadt aufweist, binnen eines hal-ben Jahres zur Verabschiedung bringt, also quasiübers Knie bricht, dann wird dies mit den Bruchstel-len zum Sammelbecken verschiedenster Unzuläng-lichkeiten und Ungereimtheiten. Eine solche gesetz-geberische Eile verdient kein Lob; sie zeigt vielmehr,dass es der Bundesregierung mehr darauf ankommt,Reformen um jeden Preis zu verabschieden, stattsorgfältige und verantwortungsvolle Gesetzgebungs-arbeit zu leisten.

Die europarechtlichen Vorgaben können diesenZeitdruck keinesfalls rechtfertigen. Mit einer „klei-nen“ gesetzgeberischen Lösung, wie in Österreichmit 15 Paragrafen, hätten die einschlägigen EG-Richt-linien ebenso gut umgesetzt werden können. Es be-stand keine Veranlassung, eine solch umfassendeSchuldrechtsreform binnen eines halben Jahresdurchzubringen. Das geltende Recht weist an ver-

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Prof. Dr. Christian Pfeiffer (Niedersachsen)

Bundesrat – 769. Sitzung – 9. November 2001 595

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schiedenen Stellen sicherlich Unzulänglichkeiten auf;aber damit ist die Rechtspraxis bisher gut zurechtge-kommen.

Herr Kollege Pfeiffer, Sie haben die unterschiedli-che rechtliche Behandlung des Verbraucherkaufs unddes sonstigen Kaufs als Missstand kritisiert. Das istnichts Außergewöhnliches und lässt sich auch recht-fertigen; denn es handelt sich um unterschiedliche In-teressen, die auszugleichen sind. Da war gesetzgebe-rische Eile nicht angebracht. Es geht immerhin um dieKodifikation anerkannter Rechtsinstitute, vor allemum tief greifende materiell-rechtliche Einschnitte indas allgemeine Leistungsstörungsrecht, die durchdas vorliegende Gesetz vorgenommen werden undmit denen teilweise Neuland in unserer Rechtsord-nung betreten werden soll.

Unter diesem Zeitdruck werden vor allem dieRechtsanwender zu leiden haben, und das in nichtunerheblichem Umfang. Gerade erst sind sie mit deram 1. September dieses Jahres in Kraft getretenenMietrechtsnovelle konfrontiert worden. Weitere An-passungsmaßnahmen stehen in Kürze an. Auch trittam 1. Januar 2002 nicht nur die ZPO-Reform in Kraft,sondern es gilt darüber hinaus die Anforderungen derEuro-Bargeldeinführung zu meistern. Die Rechtspra-xis hat also schon jetzt alle Hände voll zu tun, mit die-sen vielfältigen Aufgaben fertig zu werden.

Es ist daher völlig unverständlich, dass auf diese be-reits beträchtlichen Umstellungen ein weiteres Gesetzaufgesattelt werden soll, das das Schuldrecht vonGrund auf verändert und dazu führt, dass binnen einesnoch verbleibenden Zeitraums von gut einem Monatnahezu alle Allgemeinen Geschäftsbedingungen, Mus-terverträge, Computerprogramme für E-Commercegeändert werden müssen, ohne dass Hilfsmittel wieKommentare oder Mustersammlungen vorliegen.

Wie berechtigt diese Sorge ist, kommt in einemSchreiben des Hauptgeschäftsführers des Bundesver-bandes der Deutschen Industrie vom 5. November anHerrn Ministerpräsidenten Dr. Vogel zum Ausdruck – ich gehe davon aus, dass auch die übrigen Minister-präsidenten ein solches Schreiben bekommen haben –,in dem aus den vorgenannten Gründen noch einmaldringend um ein abgestuftes Verfahren der Inkraftset-zung nachgesucht wird.

Aber es sind nicht nur die gesetzgeberische Eileund die Belastung der Rechtsanwender, die Anlasszur Sorge geben; in der Eile sind auch wichtige Berei-che ausgeklammert worden. In die Schuldrechtsmo-dernisierung ist zwar vieles eingeflossen, was derzeitnicht neu geregelt werden müsste. Dafür ist aber einwichtiger Teil nicht berücksichtigt worden, der drin-gend einer Novellierung bedarf. Ich denke hierbeiinsbesondere an die Verbesserung der Zahlungsbe-dingungen für Handwerker. Wie Sie alle wissen, hatdas am 1. Mai 2000 in Kraft getretene Gesetz zur Be-schleunigung fälliger Zahlungen die Situation derHandwerker nicht entscheidend verbessert. Wenn dasSchuldrecht schon umfassend reformiert werden soll,hätte sich die Bundesregierung hier des Problems an-nehmen und gesetzgeberisch tätig werden müssen,um so das Übel der mangelnden Zahlungswilligkeit

von Schuldnern effektiv zu bekämpfen. Doch leiderist wieder nichts geschehen. Die Bundesregierung hates – mit Ausnahme einer Korrektur der Verzugsrege-lung des § 284 BGB – noch nicht einmal für angezeigtgehalten, im Rahmen der Schuldrechtsmodernisie-rung die krassesten Mängel des Gesetzes zur Be-schleunigung fälliger Zahlungen zu beseitigen.

Meine Damen und Herren, wenden wir uns nun dereuropäischen Perspektive des Reformvorhabens zu!Es wird derzeit seitens der EU-Kommission intensivdarüber nachgedacht, wie sich das Zivilrecht in Euro-pa weiterentwickeln soll. Das Wort von einem allge-mein gültigen europäischen Zivilgesetzbuch machtdie Runde. Im Rahmen der Europäisierung desSchuldrechts wird eine umfassende Kodifizierung undVereinheitlichung des Schuldrechts der Mitgliedstaa-ten angestrebt; das heißt, es zeichnet sich bereits dienächste Reform unseres nationalen Schuldrechts ab.Man muss sich also fragen, warum der deutsche Ge-setzgeber jetzt vorprescht und das Schuldrecht um-fassend neugestaltet, wenn der von der Reform be-troffene Rechtsanwender in einem nicht so fernenZeitraum erneut mit tief greifenden Umstellungeneines wirtschaftlich so bedeutungsvollen Bereichs wiedem Schuldrecht konfrontiert wird.

Eine Politik, die solche Mehrfachbelastungen ohnezwingenden Grund in Kauf nimmt, ist rechtsanwen-derfeindlich. Sie schafft im Ergebnis mehr Verwirrungals Klarheit; sie liefert Stückwerk und kostet uns nochdazu Unsummen.

Sehr viele Gesichtspunkte sprechen gegen dasKonzept einer umfassenden Schuldrechtsreform zumjetzigen Zeitpunkt. Wenn es aber schon sein muss,dann sollte jedenfalls darauf geachtet werden, dassdie Umstellungslasten so weit wie möglich gemindertwerden. Ein probates Mittel hierfür ist das bereits er-wähnte „gestufte“ Inkrafttreten der Reform. Aufdiese Weise kann einerseits sichergestellt werden,dass Deutschland seinen europarechtlichen Verpflich-tungen pünktlich nachkommt. Das spätere Inkrafttre-ten des restlichen, insgesamt wesentlich umfangrei-cheren Teils der Novelle gibt andererseits denRechtsanwendern hinreichend Zeit, sich auf die künf-tige Rechtslage einzustellen. Zudem wird Zeit gewon-nen, um die Neuerungen sowohl in der Praxis alsauch in der Wissenschaft ausgiebig zu prüfen und zuerörtern. Thüringen unterstützt deswegen den vorlie-genden Plenarantrag Bayerns, Hessens und des Saar-landes ausdrücklich.

Die Anrufung des Vermittlungsausschusses ist abernicht nur im Hinblick auf das gestufte Inkrafttretender Schuldrechtsreform erforderlich, sondern auchaus einem anderen Grund. Deswegen bitte ich Sie,den Ihnen vorliegenden Plenarantrag Thüringens zuunterstützen. Wir wollen über ein Vermittlungsver-fahren erreichen, dass künftig dingliche Herausgabe-ansprüche, also Ansprüche des Eigentümers auf He-rausgabe seines Eigentums, nicht mehr verjähren.

Es ist das Seltsame an dieser Schuldrechtsreform,dass sie zwar viele Neuerungen bringt, die weder eu-roparechtlich geboten sind noch dringend von derPraxis gefordert werden, jedoch sinnvolle Ansätze

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Dr. Andreas Birkmann (Thüringen)

Bundesrat – 769. Sitzung – 9. November 2001596

– ich sprach bereits beim Thema „Zahlungsbedingun-gen für Handwerker“ davon – beiseite lässt. Dies giltinsbesondere für die Verjährung dinglicher He-rausgabeansprüche des Eigentümers gegen den Besit-zer. Hier soll nach dem Gesetz die bisherige 30-jährige Verjährungsfrist beibehalten werden, ob-wohl diese im Einzelfall zu unerträglichen Ergebnis-sen führt. Das Stichwort hierbei ist „Beutekunst“ oder,ganz allgemein: Soll der Dieb, der vor 31 Jahren einwertvolles Gemälde aus einem Museum gestohlen hatund bis heute unerkannt ist, dieses auch in Zukunftbehalten und sogar vermarkten dürfen? Da der He-rausgabeanspruch des Eigentümers verjährt ist, kanner sich problemlos offenbaren und das Bild zum Ver-kauf bzw. zur Aufnahme in eine Ausstellung anbie-ten. Er braucht weder strafrechtliche noch zivilrecht-liche Sanktionen zu befürchten. Ist dies nicht eineProvokation für jeden rechtstreuen Bürger?

Ich meine, dass die Gebote der Rechtssicherheitund des Rechtsfriedens diese negativen Auswirkun-gen der Verjährung nicht rechtfertigen können. Hier-bei ist zu berücksichtigen, dass die deutsche Rechts-ordnung den Gutgläubigen in vielerlei Hinsichtausreichend schützt. Denken wir etwa an die Ersit-zung oder den gutgläubigen Erwerb! Es bestehtdaher kein Anlass, den Rechtsbrecher – er ist der ei-gentliche Nutznießer dieser Rechtslage – durch dieBeibehaltung der 30-jährigen Verjährung dinglicherHerausgabeansprüche zu privilegieren.

Dass dies nicht sein muss, zeigt auch der Vergleichmit anderen Ländern. Als die Engländer diese Konse-quenz ihres alten Verjährungsrechts bemerkten, än-derten sie rasch ihr Gesetz. Auch in der Schweiz un-terliegen Herausgabeansprüche aus Eigentum keinerVerjährung. Warum sollten wir diesem guten Beispielnicht folgen?

(Wolfgang Wieland [Berlin]: Das hat 100 Jahre langniemanden gestört!)

– Nach 100 Jahren klug zu werden ist doch gut.

Durch die Beibehaltung der Verjährung dinglicherHerausgabeansprüche setzen wir ein negatives Sig-nal nach außen. So ist es kaum darstellbar, dass sichdie Bundesrepublik um die Rückführung von Kultur-gütern bemüht, die vor vielen Jahren in Deutschlandentwendet und in das Ausland verbracht worden sind,der Bundesgesetzgeber innerstaatlich jedoch das Ge-setz zur Modernisierung des Schuldrechts nicht nutzt,um die bisherige Verjährung dinglicher Herausgabe-ansprüche abzuschaffen.

Wie will man z. B. in Verhandlungen mit einem an-deren Staat, der selbst keine Verjährung dinglicherHerausgabeansprüche kennt, dem berechtigten Vor-wurf begegnen, es sei unbillig, dass Deutschland sol-che Forderungen erhebe, ohne selber – für den umge-kehrten Fall – das Verjährungshindernis abgeschafftzu haben?

Wie will man es dem Eigentümer, der den Besitzseines wertvollen Kunstgegenstandes zurückerlangenwill, vermitteln, dass er nach Ablauf von 30 Jahrennur noch darauf hoffen kann, dass sein Eigentumnicht im Inland, sondern möglichst im Ausland wiederauftauchen möge?

Dem ist jetzt abzuhelfen, nicht erst, wie es ein Ple-narantrag von Sachsen-Anhalt zu diesem Thema füreinen Teilbereich vorsieht, im Rahmen eines mögli-chen künftigen Gesetzgebungsvorhabens.

Meine Damen und Herren, am 13. Juli dieses Jahreshabe ich das Gesetzesvorhaben der Bundesregierungals „Titanic-Projekt“ bezeichnet. Heute sage ichIhnen: Es ist an der Zeit, die Schwimmwesten zu er-greifen und in die Rettungsboote zu steigen, um zuretten, was noch zu retten ist.

(Heiterkeit)

Dies kann nur durch die Anrufung des Vermitt-lungsausschusses realisiert werden. – Danke schön.

Präsident Klaus Wowereit: Schönen Dank!

Frau Ministerin Schubert (Sachsen-Anhalt).

Karin Schubert (Sachsen-Anhalt): Herr Präsident,meine Damen und Herren! Trotz aller Anstrengungen,diese umfassende Schuldrechtsreform auf ein Mini-mum zu reduzieren – wie es Herr Kollege Birkmannsoeben wieder versucht hat –, ist es bisher gelungen,das Herzstück des Zivilrechts so durch Parlament undLänderkammer zu manövrieren, dass es ein einheit-liches Ganzes geblieben ist. Ich hoffe, dass es auchheute so bleibt. Damit wäre die Gefahr gebannt, dassdie unzähligen Versuche unterschiedlichster Inte-ressenvertreter, den Gesetzentwurf in interessen-gerechte Teilstücke zu zerlegen, erfolgreich sind.Jetzt haben wir ein Gesetz, das nach gut 100 Jahren,in denen das Schuldrecht nahezu unverändert geblie-ben ist, ein in sich geschlossenes Regelwerk darstelltund das nicht nur den Alltag in Deutschland interes-sengemäß ordnet, sondern auch den vielfältigen Ver-bindungen zu unseren europäischen Nachbarländerneine rechtliche Grundlage bietet, die der wirtschaft-lichen und politischen Bedeutung Deutschlands imeuropäischen Staatenverbund gerecht wird.

Sicherlich wird die sofortige Umsetzung der weitreichenden Änderungen im Kauf-, Werkvertrags-,Leistungsstörungs- und Haftungsrecht nicht rei-bungslos verlaufen. Insbesondere Unternehmen undKleingewerbetreibende werden sich an die geänder-ten Allgemeinen Geschäftsbedingungen und Ge-währleistungsansprüche erst gewöhnen müssen.Anwälte und Richter werden anfangs Geduld fürein-ander aufbringen müssen. Gerade sie waren dochmehrheitlich gegen die Aufsplitterung des Gesetzent-wurfs oder seines Inkrafttretens in einen von der EUgebotenen und in einen aus Gründen der Gesetzes-harmonisierung wünschenswerten Teil. Diejenigen,die sich für eine umfassende Schuldrechtsreform undein einheitliches Datum des Inkrafttretens entschie-den haben, waren sich nämlich sicher, dass es leichterist, einmal umzulernen, als sich Reformen in Teil-stücken aneignen zu müssen.

Im Übrigen sind die meisten schon gut vorbereitet.Sowohl Zivil- als auch Arbeitsrichter, Anwälte wieRechtsbeistände, Wirtschaft und Industrie bilden sichbereits im neuen – noch nicht verabschiedeten –Recht fort. Die Allgemeinen Geschäftsbedingungen

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Dr. Andreas Birkmann (Thüringen)

Bundesrat – 769. Sitzung – 9. November 2001 597

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werden seit Wochen auf das neue Recht umgestellt.Warum das in Bayern nicht der Fall ist, Herr KollegeDr. Weiß, verstehe ich nicht; die Bayern sind dochsonst schnell dabei, wenn etwas Vernünftiges umzu-setzen ist.

Das Gesetz, das uns heute vorliegt, ist das Ergebnisintensiver Arbeit – ein Ergebnis, das sich die legen-däre Schuldrechtskommission aus den 70er- und 80er-Jahren sicherlich gewünscht hätte. Setzen wir es indie Praxis um, und belasten wir die Anwender nichtmit weiteren Änderungen, indem wir jetzt noch denVermittlungsausschuss anrufen!

Warum hat nun ausgerechnet Sachsen-Anhalt, dasin vollem Umfang hinter dem Gesetz steht, einen Ent-schließungsantrag gestellt, der an die Adresse derBundesregierung gerichtet ist? Wir wollen klarstellen,dass die zahllosen Aufforderungen der letzten Tage,die uns aus Kulturkreisen und Museen erreichthaben, auf falschen Voraussetzungen beruhen. DieseVorstellungen lassen sich mit der Änderung des vor-liegenden Gesetzes nicht verwirklichen. Rückübertra-gungen von in NS-Zeiten verfolgungsbedingt entzo-genem Kulturgut sind nicht durch veränderteVerjährungsregelungen zu bewirken. Die Ansprüchesind nach geltendem Recht verjährt. Neue Regelun-gen würden keine Rückwirkung entfalten. Im Klartextheißt das: Selbst wenn wir die Verjährung von He-rausgabeansprüchen oder Rückführungsbegehrenhinsichtlich entzogener Kulturgüter im vorliegendenGesetz gänzlich entfallen ließen, wären die in derVergangenheit verjährten Ansprüche nicht durchsetz-bar. Soweit Eigentum bösgläubig erworben wurde,konnte sich der Besitzer gegenüber dem ursprüng-lichen Eigentümer bisher nicht mit Erfolg auf die Ein-rede der Verjährung berufen, und er kann es auchnach dem vorgelegten Gesetz nicht tun. Hier ändertsich die Rechtslage nicht. Wer das behauptet, ver-kennt den zivilrechtlichen Grundsatz von Treu undGlauben, Herr Dr. Birkmann.

Die im Jahre 1999 von der Bundesregierung, denLändern und den kommunalen Spitzenverbänden ab-gegebene „Erklärung zur Auffindung und zur Rück-gabe NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgu-tes“ ist auf dem Boden des geltenden Rechtsabgegeben worden und gilt nach neuem Recht fort.

In unserem Entschließungsantrag fordern wir des-halb die Bundesregierung und die Länder, aber auchdie privatrechtlich organisierten Einrichtungen undPrivatleute schlechthin auf, sich an diese Verein-barung zu halten oder sich den Appell der Ent-schließung zu Eigen zu machen. Wir sehen dies alseine Möglichkeit an, den früheren Eigentümern zuihrem Recht zu verhelfen.

Meine Damen und Herren, soweit sich Kulturgüterunrechtmäßig im Besitz anderer Länder befinden, fin-det deutsches Recht ohnehin keine Anwendung. Hiersind politische Lösungen gefragt. Solche erwarten wirim Interesse der früheren Eigentümer von der Bun-desregierung. Deswegen unser Entschließungsan-trag. – Ich danke Ihnen.

Präsident Klaus Wowereit: Ich erteile Frau Bundes-ministerin der Justiz, Professor Dr. Däubler-Gmelin,das Wort.

Prof. Dr. Herta Däubler-Gmelin, Bundesministerinder Justiz: Sehr geehrter Herr Präsident! MeineDamen und Herren! Ich bin heute aus zwei Gründenhierher gekommen: zum einen, um Ihnen zu sagen,dass und warum das Gesetz gut ist, dass es einenFortschritt darstellt, dass es die Rechtslage in der Tatvereinfacht und deswegen der Wirtschaft und denAnwendern hilft, und zum anderen, um all denen, diesich bei dem wirklich anspruchsvollen Prozess der Er-arbeitung der Schuldrechtsmodernisierung engagierthaben, sehr herzlich zu danken. Ich hoffe, verehrterHerr Kollege Weiß, ich schade Ihnen nicht, wenn ichausdrücklich sage: Sie sowie das Land Nordrhein-Westfalen und insbesondere das Land Niedersachsenhaben sich, gemeinsam mit den Spitzen der deut-schen Zivilrechtswissenschaft und den Praktikern ausGerichten und Verbänden, in dankenswerter Weiseaußerordentlich stark engagiert.

Worum geht es im Einzelnen? Wir sind gehalten,zunächst drei europäische Richtlinien auf den Gebie-ten des Verbraucherschutzes und des Zivilrechtes, dieden Zeitplan vorgeben, umzusetzen. Die Verbrauchs-güterkaufrichtlinie muss bis zum 1. Januar 2002umgesetzt werden. Meine Damen und Herren, werdiesen Zeitplan kennt, weiß natürlich, dass der An-spruch und die Anforderungen an die Erarbeitungdieses in der Tat wichtigen und umfangreichen Wer-kes groß sind. Nur, derjenige, der das einfach nichtsehen will, sollte sich doch einmal daran erinnern, wiees sich vor knapp einem Jahrzehnt mit der verspäte-ten Umsetzung der Reisevertragsrichtlinie verhielt.Herr Birkmann, ich sage jetzt nicht, dass Sie uns hät-ten auffordern wollen, uns wieder so zu verhalten. Ichweise Sie nur darauf hin, dass dies den Bund mehrereMillionen an Schadensersatz gekostet hat. Dies wol-len und werden wir nicht riskieren. Ich habe Ihnendas schon mehrfach auseinander gesetzt; ich wieder-hole es hier sehr eindeutig öffentlich.

Warum haben wir zugleich eine systematische Mo-dernisierung des Schuldrechts vorgenommen, wennes doch „nur“ drei europäische Richtlinien umzuset-zen galt? Das hat einen sehr einfachen Grund: weilwir sehr genau wissen, dass beispielsweise die Ver-jährungsvorschriften, aber auch die Regelung desMangels und der Nachbesserung, die wir nach deneuropäischen Richtlinien umzusetzen haben, unserzentrales Schuldrecht derartig stark betreffen, dassdann, wenn wir das nicht getan hätten – also IhremRatschlag gefolgt wären –, am Schluss Chaos, Kuddel-muddel und lautes Gejammer der Anwender, derRichterinnen und Richter, der Rechtsanwälte, der Ver-bände, der Wirtschaft sowie der Bürgerinnen undBürger, herausgekommen wären.

Genau das ist der Grund, warum in den langen undbreiten Debatten mit den Verbänden und auch mitden Anwendern die Rezepte, die Sie heute wieder un-bekümmert vorgetragen haben, abgelehnt wurden.

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Karin Schubert (Sachsen-Anhalt)

Bundesrat – 769. Sitzung – 9. November 2001598

Wir haben mit den Verbänden natürlich Zwischenmo-delle und Zwischenschritte besprochen, und siehaben gesagt: Wir wissen ganz genau, dass die Um-setzung dieser drei Richtlinien, insbesondere der Ver-brauchsgüterkaufrichtlinie, hohen Umstellungsbe-darf verursacht; aber wir möchten das nur einmal undnicht zwei- oder gar dreimal haben, mit all den An-wendungs- und Abgrenzungsproblemen und mit dem– lassen Sie es mich schwäbisch ausdrücken – Kud-delmuddel dazwischen.

Vier wesentliche Punkte will ich nennen. Im Ver-jährungsrecht passt jetzt wieder alles zusammen.Meine Damen und Herren, damit Sie wissen, welchenpraktischen Nutzen das hat und warum z. B. das deut-sche Handwerk dafür ist: Wir bauen damit die Ge-währleistungsfalle ab. Wenn in Zukunft ein Hand-werker Fenster einbaut, die er nicht selbst hergestellthat, dann hat er nicht mehr zu befürchten, dass er sei-nem Kunden gegenüber viel länger haftet als der Lie-ferant der Fenster ihm gegenüber. Das ist der heutigeRechtszustand. Solche Ungerechtigkeiten und wirt-schaftlichen Ungleichheiten gerade für den Mittel-stand verbergen sich hinter der juristisch abstraktenMitteilung, hier gebe es Ungereimtheiten, und zwarschon ziemlich lange. Das bereinigen wir jetzt.

Dass wir die Gewährleistungsfristen verlängern,haben Sie schon gehört, und dass wir im so genann-ten Leistungsstörungsrecht einen einheitlichenPflichtverletzungstatbestand einführen, freut nichtnur die Anwender. Deswegen sind uns eigentlich nurdiejenigen gram, die Prüfungsarbeiten für Juristen imErsten und Zweiten Staatsexamen neu zu konzipierenhaben. Notwendig oder gar europarechtlich verträg-lich – aber das wissen Sie als guter Jurist, der Sie sind,lieber Herr Birkmann, selber – ist das alles nicht; viel-mehr erleichtern und vereinfachen wir damit dieRechtsanwendung sehr deutlich.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich aus-drücklich sagen: Das Bürgerliche Gesetzbuch, HerrMinisterpräsident Vogel, ist eine kulturelle Leistungersten Ranges gewesen.

(Dr. Bernhard Vogel [Thüringen]: Richtig!)

– Genau das ist unser Ausgangspunkt; denn wir allesind in der gleichen Art und Weise und in Respekt vordieser kulturellen Leistung ausgebildet worden.

In der Zwischenzeit – d. h. seit dem 1. Januar 1900,dem Datum des Inkrafttretens des BGB, bis heute –gibt es zwei Strömungen. Die einen legen das Bürger-liche Gesetzbuch in einen Tabernakelschrank undholen es gelegentlich heraus, um es als Monstranzdurch die Lande zu tragen. Aber das gesamte Leben,die gesamte Wirtschaft und die europäische Entwick-lung finden entweder in der Rechtsprechung oder inSondergesetzen nebenher ihren Niederschlag. Daswar die Politik seit vielen Jahren.

Gerade weil wir das Bürgerliche Gesetzbuch ernstnehmen, haben wir gesagt – das haben Sie sicherlichschon früher bemerkt –: Dieses Buch soll wieder eineKodifikation sein, die man möglichst versteht und inder man die relevanten Vorschriften, die das Zivil-recht oder das tägliche Leben beherrschen, auch

nachlesen kann. Deswegen haben wir das Mietrechtaus mehreren Sondergesetzen herausgelöst und wie-der in das Bürgerliche Gesetzbuch hineingebracht –übrigens vom Bundesrat akzeptiert. Das, was dieRechtsprechung entwickelt hat, ist jetzt wieder imBGB nachzulesen, Herr Ministerpräsident. Das AGB-Gesetz steht nun wieder im BGB. Auch die Umset-zung der europäischen Richtlinien steht wieder imBGB. Aus diesem Grund ist das Gesetz so dick gewor-den. Aber es vereinfacht die Rechtsanwendung. Diesliegt im Interesse der Rechtsanwenderinnen undRechtsanwender sowie der Bürgerinnen und Bürger.

Ich will herausstreichen, dass wir damit auf dereinen Seite die Verbraucher besser stellen. Es ist gut,dass auf der anderen Seite Wirtschaft und Vertriebvon klaren, abgestimmten und teilweise auch kürze-ren Rückgriffsrechten, von praxisgerechten Regelun-gen und größerer Rechtssicherheit profitieren. LassenSie mich nicht nur in Ihrem, sondern auch in meinemInteresse hinzufügen: Ich erhoffe mir davon, dass wir– nach Anlaufschwierigkeiten – weniger Prozessehaben.

Der Herr Präsident des Bundesrates hat in seinerAntrittsrede darauf hingewiesen, dass wir uns demeuropäischen Rechtsraum nähern. Ich halte das fürrichtig. Dies sollten wir unterstützen. Gerade deswe-gen, verehrter Herr Kollege Birkmann, sollte mannicht so argumentieren, wie Sie es getan haben.

Die vor zehn Jahren vorgestellten Ergebnisse derKommission zur Modernisierung des Schuldrechts,auf die Herr Kollege Pfeiffer verwiesen hat und die in-nerhalb von 15 Jahren erarbeitet wurden, sind zwarvom Deutschen Juristentag, den Verbänden und vie-len anderen mehr begrüßt, aber zunächst nicht umge-setzt worden. Unsere Beamtinnen und Beamten sowiedie Wissenschaftler haben uns darauf aufmerksamgemacht, dass die deutsche Schuldrechtsdogmatikund -wissenschaft in Europa quasi keine Rolle mehrspielt. Warum? Weil man uns gesagt hat: Ihr habteuren eigenen Laden nicht in Ordnung gebracht.Wann tragt ihr eurem enormen Nachholbedarf in Sa-chen Modernisierung Rechnung? – Wir haben jetztaufgeholt.

Ich bin, wie Sie, optimistisch. Auch ich gehe davonaus, dass wir in den kommenden Jahrzehnten ein eu-ropäisches Zivilgesetzbuch haben. Vielleicht solltenwir es ein bisschen bescheidener „Vertragsgesetz-buch“ nennen. Ich befürchte, dass es noch Jahrzehntedauern wird. Nur, wir wollen diesen Diskussionspro-zess mit beeinflussen. Wir wollen auch gehört wer-den. Wir haben hier Interessen, und wir haben eineRechtstradition. Deswegen haben wir unser Schuld-recht jetzt modernisiert und können wieder Einflussnehmen.

Mit Ihrem Konzept würde alles wie bisher bleiben.Dann wären die Niederlande, Frankreich und andereStaaten sehr viel moderner als wir. Jetzt sind wir hiermodern. Wir haben ein europäisch kompatibles Sys-tem. Das ist eine Erleichterung für die Wirtschaft, undes verschafft den Verbrauchern Vorteile. Es bringt – kurz gesagt – rundum Gutes.

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Bundesministerin Prof. Dr. Herta Däubler-Gmelin

Bundesrat – 769. Sitzung – 9. November 2001 599

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Lassen Sie mich nochmals auf die Enge der Bera-tungszeit zurückkommen. Es ist richtig: Die zeitlicheVorgabe der Europäischen Union war sehr knapp.Deswegen habe ich, als Herr Staatsminister Weißnoch anwesend war – –

(Zurufe)

– Wo ist er?

(Jürgen Gnauck [Thüringen]: Er sitzt hinter Ihnen!)

– Mein Gott, er ist mir im Rücken.

(Heiterkeit)

Deswegen habe ich Sie ausdrücklich gelobt. – Übri-gens darf ich noch den Kollegen Dieckmann ausNordrhein-Westfalen erwähnen, der ebenfalls sehrgeholfen hat. Wir hätten diese enorme Leistung ohnesehr breite Diskussionen nicht erbringen können.

Meine Damen und Herren, es besteht kein Anlasszu kleinen „Beißereien“, die in unserer Konkurrenz-demokratie an der Tagesordnung sein mögen. Ichfinde, es ist angebracht, die Beamtinnen und Beamtendes Bundesministeriums der Justiz, die zahlreichenWissenschaftler, die sich beteiligt haben, die Beam-tinnen und Beamten der Länder, die Kolleginnen undKollegen aus dem Rechtsausschuss des DeutschenBundestages dafür zu loben, dass sie gezeigt haben:Man kann in überschaubarer Zeit durch hervorragen-de Zusammenarbeit etwas Gutes erreichen. Wie wol-len wir in unserem Land eigentlich einen Aufbruchsignalisieren, wenn wir nicht einmal das schaffen, vondem wir sehr genau wissen, dass es seit Jahren erfor-derlich ist?

Jetzt geht es darum, den Prozess des Inkrafttretensnicht weiter zu verzögern, um die Übergangszeit, diedie Wirtschaft tatsächlich braucht, nicht zu verkürzen.Das war einer der Gründe für den Zeitplan, den wiruntereinander abgesprochen haben. Wenn der Geset-zestext nach Schluss der heutigen Sitzung endgültigvorliegt, können der Bund und die Länder gemeinsammit den Verbänden sowie den Rechtsanwenderinnenund Rechtsanwendern darangehen, die Übergangs-schwierigkeiten zu meistern. Wir tun das; bei uns sinddie Weichen entsprechend gestellt. Dass ich mich da-rauf verlassen kann, dass Sie und Ihre Justizministe-rien nach Schluss der heutigen Sitzung Ihre Unter-stützung geben, weiß ich freilich auch. Dafür bedankeich mich prophylaktisch.

Lassen Sie mich einen letzten Satz zu der Frage derVerjährung sagen. In der Tat ist es so, dass dieseRegelung, die wir unverändert übernommen haben,seit mehr als 100 Jahren gilt. Verehrter, lieber HerrBirkmann, Deutschland war noch nie ein Paradies fürKunstdiebe, ganz abgesehen davon, dass der vonIhnen vorgetragene Vorschlag nicht nur für die He-rausgabe von Kunstgegenständen, sondern selbstver-ständlich auch von Bierkästen gelten würde.

Meine Damen und Herren, wir wissen sehr genau,dass es den Museen darum geht, das Problem derBeutekunst so zu bewältigen, wie Bund und Länder esmiteinander abgesprochen haben; ich betone: beigleicher Rechtslage. Deswegen soll es so bleiben. Die

Rechtslage bleibt bestehen; auch das, was zwischenBund, Ländern und Gemeinden gerade in Bezug aufdie Beutekunst in der gemeinsamen Erklärung ausdem Jahr 1999 festgehalten wurde, bleibt bestehen.Ich will das betonen, damit die Unsicherheit ein Endehat. – Ich bedanke mich herzlich.

Präsident Klaus Wowereit: Weitere Wortmeldungenliegen nicht vor.

Zu dem Gesetz liegen Ihnen neben den Empfehlun-gen der Ausschüsse in Drucksache 819/1/01 zwölfLandesanträge auf Anrufung des Vermittlungs-ausschusses in den Drucksachen 819/2/01 und819/4 bis 14/01 sowie ein Entschließungsantrag Sach-sen-Anhalts in Drucksache 819/3/01 vor.

Da die Anrufung des Vermittlungsausschusses ausmehreren Gründen beantragt wird, ist zunächst fest-zustellen, ob allgemein eine Mehrheit für die Anru-fung besteht.

Der Freistaat Thüringen hat zu dieser Frage Ab-stimmung durch Aufruf nach Ländern beantragt. Ichbitte, die Länder aufzurufen.

Dr. Manfred Weiß (Bayern), Schriftführer:

Baden-Württemberg Ja

Bayern Ja

Berlin Nein

Brandenburg Enthaltung

Bremen Enthaltung

Hamburg Ja

Hessen Ja

Mecklenburg-Vorpommern Nein

Niedersachsen Nein

Nordrhein-Westfalen Nein

Rheinland-Pfalz Nein

Saarland Ja

Sachsen Ja

Sachsen-Anhalt Nein

Schleswig-Holstein Nein

Thüringen Ja

Präsident Klaus Wowereit: Das war eine Minder-heit.

Damit hat der Bundesrat den Vermittlungsaus-schuss n i c h t angerufen.

Wir haben nun noch über den Entschließungsantragin Drucksache 819/3/01 zu befinden.

Wer für die Fassung der Entschließung ist, den bitteich um das Handzeichen. – Das ist die Mehrheit.

Damit ist die Entschließung gefasst.

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Bundesministerin Prof. Dr. Herta Däubler-Gmelin

Bundesrat – 769. Sitzung – 9. November 2001600

Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 12:

Gesetz zum Vertrag von Nizza vom 26. Febru-ar 2001 (Drucksache 822/01)

Dazu gibt es folgende Wortmeldungen: Minister-präsident Beck (Rheinland-Pfalz), StaatsministerRiebel (Hessen), Minister Senff (Niedersachsen),Staatsminister Bocklet (Bayern), Frau Ministerin Kraft(Nordrhein-Westfalen) und von der BundesregierungStaatsminister Dr. Zöpel (Auswärtiges Amt).

Ich rufe Herrn Ministerpräsident Beck (Rheinland-Pfalz) auf.

Kurt Beck (Rheinland-Pfalz): Sehr geehrter HerrPräsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren!Wir beraten und entscheiden heute über den letztenBaustein hinsichtlich der Gültigkeit des Vertrages vonNizza. Diese Entscheidung stellt ein weiteres unum-kehrbares Signal gegenüber den Ländern in Mittel-und Osteuropa dar, in die Gemeinschaft hineinzu-kommen, wobei wir die Schwierigkeiten auf dem Wegdorthin nicht unterschätzen. Dieses politische Signalwird in einer Zeit gesetzt, in der das Zusammenwir-ken im Interesse der Zukunft Europas in Frieden undin einer gemeinsamen Ordnung von herausragenderBedeutung ist. Bei aller Kritik im Einzelnen, die andem, was in Nizza erreicht werden konnte, geübtwird – wir alle hätten uns, was die innere Funktions-fähigkeit, die innere Reform der Gemeinschaft an-geht, natürlich weitere Schritte gewünscht –, ist esnotwendig, diese Entscheidung heute zu würdigen.

Ich möchte darauf hinweisen, dass der Bundesrateine eigene Position zu diesem Diskussionsprozessgefunden hat, die er nachdrücklich vertreten hat unddie von der Bundesregierung aufgenommen wordenist. Dafür möchte ich der Bundesregierung danken.Darauf fußend ist der so genannte Nach-Nizza-Pro-zess eingeleitet worden.

Ich meine, dass die Diskussion, die in den Jahrenbis zur nächsten Regierungskonferenz im Jahr 2004zu führen ist, auch und gerade seitens des Bundesra-tes aktiv begleitet werden sollte. Wir haben damit imSommer dieses Jahres begonnen, indem wir die Be-teiligten auf der internationalen und auf der nationa-len Ebene am 6. September in einem Seminar zusam-mengeführt und deutlich gemacht haben, dass wir andem Prozess des Zusammenwachsens Europas in derWeise beteiligt sein wollen, dass die Rechte auf dereuropäischen Ebene überprüft und dort, wo es not-wendig ist, zusätzliche Rechte geschaffen werden.Darüber hinaus muss der Gedanke der Subsidiaritätso verfestigt und ausformuliert werden, dass die Zu-ständigkeitsebenen klar abgegrenzt sind, damit fürdie Bürgerinnen und Bürger in Europa deutlich wird,was Aufgabe der europäischen Ebene und was Auf-gabe der Nationalstaaten ist. In föderal organisiertenStaaten hat immer auch eine Abgrenzung zu erfolgen,auf welcher Ebene die Länder und die Regionen indie Verantwortung einzubeziehen sind. Für uns Län-der muss immer gelten, den Gesichtspunkt der kom-munalen Selbstverantwortung in diese Betrachtungeinzubetten.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, dass wirden Versuch unternehmen wollen, diese Ziele im

Rahmen eines Kompetenzkataloges zu verwirklichen,hat etwas damit zu tun, dass der europäische Diskus-sionsprozess auf einen Weg gelenkt werden muss, dermöglichst bald zu einer europäischen Verfassungführt. Mit der Grundrechtecharta, die ebenfalls mitdem Nizza-Prozess verknüpft ist, ist ein erster wich-tiger Schritt in diese Richtung getan. Ein Kompetenz-katalog, in dem die Zuständigkeiten und Verantwort-lichkeiten klar abgegrenzt sind, wäre ein weitererentscheidender Schritt.

Ich hoffe, dass wir damit einem weiteren Ziel, daswir gemeinsam formuliert haben, näher kommen,nämlich das Vertragswerk durchschaubarer undnachvollziehbarer zu machen. Denn die Vielfalt derRegelwerke, mit denen wir es zu tun haben, ist ohneweiteres nicht einmal von Fachkundigen zu über-schauen, auseinander zu halten und richtig anzuwen-den. Wie soll dies in der Praxis des Zusammenlebensin einer großen, wachsenden Gemeinschaft möglichsein? Also: Auch Überschaubarkeit ist ein wichtigesKriterium. Sie ist Voraussetzung für die Einbeziehungder Bürgerinnen und Bürger in den europäischen Pro-zess.

Genauso erwarten wir, dass in den Diskussionender kommenden Jahre deutlich wird: Was auf der eu-ropäischen Ebene entschieden wird, muss stärker undnachvollziehbarer demokratischer Legitimation un-terliegen, als dies bisher der Fall ist. Das bezieht sichauf die Rechte des Europäischen Parlaments, aberbeispielsweise auch auf die Entscheidungen des Mi-nisterrates, die Gesetzescharakter haben. Es ist einGebot der Demokratie, transparent zu machen, aufwelcher Grundlage Gesetze in der EU zu Stande ge-kommen sind.

Die Zuständigkeiten müssen so zugeordnet wer-den, dass sie möglichst nah bei den Bürgerinnen undBürgern, die von Entscheidungen betroffen sind, an-gesiedelt werden. Wir müssen dafür sorgen, dass sieAnsprechpartner für ihre Sorgen, Kritik und Vorschlä-ge haben. Das ist angesichts bestimmter Förderkrite-rien und der Abgrenzung von Förderkulissen heutenicht immer gegeben. In einer demokratischen Ge-meinschaft kann es nicht angehen, dass die Verant-wortung so weit von den Menschen entfernt angesie-delt ist, dass sie nicht eingefordert werden kann undim Alltag, im demokratischen Diskurs so gut wiekeine Rolle mehr spielt. Auch das ist mit dem Begriff„Subsidiarität“ verbunden. Es ist sicherlich eine Auf-gabe von uns Ländern, darauf besonders zu achten.

Die Einleitung eines solchen Prozesses bedarf einerbestimmten Vorgehensweise. Ich hoffe, dass dieÜberlegung des Bundesrates, über einen Konvent zueiner Lösung zu kommen, aufgegriffen wird. Ich habe– heute wieder – von Herrn B u r y gehört, dass derBundesrat wie der Deutsche Bundestag offiziellgleichberechtigt in diese Arbeit einbezogen werden.Das ist uns sehr wichtig; denn auf diese Art und Weisevermögen wir unseren Beitrag zu leisten. Der Willedazu ist vorhanden.

Bei den deutschen Ländern handelt es sich um Re-gionen, die mit Eigenstaatlichkeit, mit Gesetzge-bungskompetenz ausgestattet sind. Die föderalen Ge-bietskörperschaften müssen im europäischen Prozess

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Präsident Klaus Wowereit

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des Zusammenwirkens und des Zusammenwachsenseine eigenständige Rolle spielen. Ich hoffe, dass inLaeken Weichen für eine Vorgehensweise gestelltwerden, die eine breite Beteiligung ermöglicht.

Vor wenigen Wochen hatten wir in diesem Hauseden Präsidenten des Ausschusses der Regionen zuGast. Ihm ist sicherlich darin zuzustimmen, dass derAusschuss der Regionen ebenfalls in geeigneterWeise an diesem Prozess beteiligt werden sollte. DieBeteiligung sollte nicht nur Länder mit Gesetzge-bungskompetenz, sondern auch darunter liegendeEbenen wie kommunale Gebietskörperschaften um-fassen.

Wir sollten auf ein verfasstes Europa zusteuern. Dieheutige EU ist hinsichtlich der Entscheidungsebenen,der Nachvollziehbarkeit und der demokratischen Legitimation von Entscheidungen gründlich reform-bedürftig. Wichtige Fragen wie das Einstimmigkeits-oder das Mehrheitsprinzip auf der europäischenEbene spielen für die deutschen Länder vor dem Hin-tergrund ihrer berechtigten Interessen, soweit ihreverfassungsmäßigen Kompetenzen betroffen sind,eine besondere Rolle. Sie müssen sorgfältig bedachtund berücksichtigt werden. Ich bin mir sicher, dasswir Europa den Bürgerinnen und Bürgern anschauli-cher und vertrauter machen können, wenn wir dieZuständigkeiten möglichst auf der ihnen am nächstenliegenden Ebene konzentrieren. Das ist nicht mit Re-nationalisierung zu verwechseln.

In einer Zeit, in der Fragen der äußeren und innerenSicherheit, die Vertretung wirtschaftlicher Interessenoder auch die soziale und ökologische Dimension desZusammenlebens auf dem Globus im Vordergrundstehen, darf das Thema „Europa der 27“ nicht im in-neren Diskussionsprozess stecken bleiben. In allendiesen Fragen kann Europa gegenüber den Interes-sen anderer nur dann etwas bewirken, wenn es sichnicht mit jeder Detailfrage aufs intensivste und nurmit sich selbst befasst. Hemmungen und Hemm-schwellen im Inneren dürfen nicht an die Stelle vonmehr Gemeinsamkeit und mehr Handlungsfähigkeittreten.

Wer Europa wirklich will, muss diesen Prozess alsgemeinsame Anstrengung begreifen. Wir müssen diehistorische Chance nutzen, auf der einen Seite LänderMittel- und Osteuropas unumkehrbar in unsere Ge-meinschaft einzubeziehen, auf der anderen Seite dasEuropa der Nationen und der Regionen so weiterzu-entwickeln, dass es funktionsfähig bleibt und sich aufdie wichtigen Fragen zu konzentrieren vermag.Neben der notwendigen Gemeinsamkeit dürfen wiruns nicht der großen Chance des Reichtums, der Viel-falt begeben.

Wenn wir dem Vertrag von Nizza heute mit großerMehrheit zustimmen, ist dies mehr als die Zustim-mung zu einem Teilwerk – es ist ein Schritt auf einemWeg, den wir gemeinsam vereinbart haben. Insoweitist dies eine sehr wichtige Entscheidung. – Ich dankeIhnen.

Präsident Klaus Wowereit: Das Wort hat HerrStaatsminister Riebel (Hessen).

Jochen Riebel (Hessen): Herr Präsident! Meine sehrverehrten Damen und Herren! Mit dem Vertrag vonNizza ist die Weiterentwicklung der europäischen In-tegration in ein neues – man könnte auch sagen: wei-ter führendes – und entscheidendes Stadium getreten.Die in Nizza beschlossenen Reformen bilden Grund-lagen für die Erweiterung der EU. Sie erfüllen die in-stitutionellen Voraussetzungen für den Beitritt dermittel- und osteuropäischen Staaten. Wir begrüßendiese Entwicklung ausdrücklich.

Die Erweiterung der Union wird allerdings nurdann zum Erfolg führen, wenn wir sie auch zur Er-neuerung der prinzipiellen Strukturen nutzen. Die„Erklärung zur Zukunft der Union“ zum Vertrag vonNizza bietet gute Chancen hierfür, weil sie den Wegzur Neugestaltung aufzeigt. Die Erklärung behandeltFragen, die für uns Länder von elementarer Bedeu-tung sind. In ihr erkennt der Europäische Rat die Not-wendigkeit eines weitergehenden Reformprozessesan. Im Mittelpunkt steht die Zuständigkeitsabgren-zung zwischen der Europäischen Union und den Mit-gliedstaaten sowie – das gilt für unser föderales Sys-tem – zwischen der Bundesrepublik Deutschland unduns Bundesländern.

Die Regelungen in den Verträgen sind heute so differenziert und komplex, dass sie, wie ich zu be-haupten wage, außer von Experten und Fachleutenvon kaum jemandem verstanden werden. Es fehlt aneinem folgerichtigen System, zugleich an der Ein-fachheit der Verfahren. Uns Ländern geht es darum,welche Handlungs- und Entscheidungsebene nachwelchem Verfahren welche Aufgaben in welcher Re-gelungsintensität wahrnehmen soll und damit umTransparenz für die Betroffenen, wer für welche Ent-scheidung zuständig und verantwortlich ist.

Die Klärung dieser Fragen ist Voraussetzung für dieAkzeptanz und die Funktionsfähigkeit der Europäi-schen Union. Schlüsselbegriffe bei ihrer Beantwor-tung sind für uns Länder „Subsidiarität“, „Transpa-renz“ und – sich hieraus ergebend – „Bürgernähe“.Die Bürgerinnen und Bürger werden nur Entschei-dungen akzeptieren, die sie nachvollziehen könnenund bei denen die politischen Verantwortlichkeitenfeststehen. Die Menschen in Europa fragen nach denZielen und Inhalten, die die Europäische Union ver-folgt und durch die sie gerechtfertigt wird.

Indem wir Kompetenzen verschiedenen Ebenen zu-ordnen, gewinnen wir zweierlei: Wir erhöhen die Ak-zeptanz von Entscheidungen bei den Bürgerinnenund Bürgern und verteilen zugleich Macht. Klarheitüber Verantwortlichkeit ist eine wesentliche Bedin-gung für effektive demokratische Kontrolle in derEuropäischen Union. Unterschiede wird es in Europaauch in Zukunft geben. Aus meiner Sicht sollte es siegerade in den Bereichen geben, die die Bürgerinnenund Bürger mit der Politik ihres Landes verbinden, fürdie sie ihre Landesregierung gewählt haben und diesie dafür verantwortlich machen können.

Herr Präsident, meine Damen und Herren, wir Län-der haben unsere Vorstellungen von einer europäi-schen Kompetenzordnung auf der letzten Europa-ministerkonferenz im Oktober dieses Jahres klar und

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Kurt Beck (Rheinland-Pfalz)

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relativ umfassend zum Ausdruck gebracht. Ich ver-misse allerdings Entsprechendes von Seiten der Bun-desregierung. Dies halte ich angesichts der Tatsache,dass der Europäische Rat in Laeken nunmehr in greif-bare Nähe gerückt ist, für nicht sachgerecht. Die Er-klärung von Laeken wird sich zwar im Wesentlichenmit der Vorbereitung der nächsten Regierungskonfe-renz befassen, es ist aber offensichtlich, dass auchThemen erörtert werden müssen, mit denen sich derKonvent – nach seiner Einberufung – auseinander set-zen muss.

Lassen Sie mich einen weiteren Blick in die Zukunftder Europäischen Union richten!

Der Konvent soll nach gegenwärtigem Beratungs-stand auf europäischer Ebene voraussichtlich unterspanischem Vorsitz, also bereits im Jahr 2002, seineArbeit aufnehmen. Der zeitliche Rahmen für dieanschließende Regierungskonferenz kann daherohne Probleme so gewählt werden, dass sowohl dasEuropäische Parlament als auch die EuropäischeKommission in allen Verhandlungsphasen handlungs-fähig sind. Deshalb sollte eine Überschneidung derRegierungskonferenz mit der im Jahr 2004 stattfin-denden Wahl zum Europäischen Parlament und derNeubestellung der Kommission in jedem Fall vermie-den werden.

Ist die Regierungskonferenz bereits Ende 2003 ab-geschlossen, kann den Bürgern der EU und der Bei-trittskandidatenländer bereits bei der nächsten Euro-pawahl eine klare Perspektive für die weitereeuropäische Entwicklung präsentiert werden. DieBürgerinnen und Bürger können dann die Ergebnisseder Regierungskonferenz durch die Wahlen zum Eu-ropäischen Parlament Mitte 2004 bereits einer Bewer-tung unterziehen. Dies halte ich für außerordentlichwichtig, weil im Mittelpunkt der Regierungskonfe-renz gerade die Verbesserung der demokratischenLegitimation sowie der Transparenz der EU und ihrerOrgane steht. Die Vorverlegung der Regierungskon-ferenz wäre daher ein bedeutender Schritt zu mehrBürgernähe und zu einer engeren Bindung der Bür-gerinnen und Bürger an den Gedanken der Europäi-schen Union.

Ich werbe bereits heute darum, dass wir uns dafürgemeinsam einsetzen. – Herzlichen Dank.

Präsident Klaus Wowereit: Das Wort hat nunmehrMinister Senff (Niedersachsen).

Wolfgang Senff (Niedersachsen): Herr Präsident!Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Regie-rungskonferenz von Nizza wurde von vielen Men-schen so wahrgenommen, als hätten dort nationaleEgoismen über das gesamteuropäische Interesse ge-siegt. Sie alle kennen die Bewertungen, die wir inZeitungen, Büchern, Untersuchungen zur Kenntniserhalten haben. Nach meiner festen Überzeugung istdiese Sicht einseitig.

Die Europäische Union hat in Nizza trotz nationalerProbleme, trotz nationaler Auseinandersetzung unddes Streites, den es gegeben hat, letztlich ihre Hand-

lungsfähigkeit bewiesen. Der uns zur Ratifikationvorliegende Vertrag ist naturgemäß ein Kompromiss.Wer von Nizza etwas anderes erwartet hat, verkenntdie Seele des Geschäftes. Nur Kompromisse könnenauf dieser Ebene – in der Demokratie insgesamt – zuErgebnissen führen. So war es in Nizza, so wird esbleiben. Anders kann es nicht sein.

Der Vertrag ist – und das ist für uns wichtig – einSchritt in die richtige Richtung. Er hat sein und unserwesentliches Ziel erreicht: Er hat den Weg für dieOsterweiterung der Europäischen Union geöffnet.Deshalb sollten wir ihm zustimmen. Wir werden estun.

Lassen Sie mich aus der Sicht der Länder einenBlick auf das weitere Verfahren werfen!

Der Gipfel von Nizza war für uns, die deutschenLänder, ein Erfolg. Ich glaube, das darf man in dieserDeutlichkeit sagen. Die von allen Ländern getrageneForderung nach einer Folgekonferenz, die sich ins-besondere mit Fragen der Kompetenzabgrenzung be-schäftigen soll, wurde von der Bundesregierung inNizza durchgesetzt. Wir Länder sind im Momentdabei, unsere Position für die Folgekonferenz 2004und den Weg dorthin zu bestimmen.

Es wurde soeben angesprochen, dass die Europami-nisterkonferenz bereits Ende Mai ihre Vorstellungenin Bezug auf das Verfahren zu Papier gebracht, derMinisterpräsidentenkonferenz vorgelegt und in diesem Hohen Hause einem positiven Beschluss zugeführt hat. Wir haben uns für das Modell einesKonvents, bestehend aus Repräsentanten der Regie-rungen der Mitgliedstaaten, der Kommission, des Eu-ropäischen Parlaments und der nationalen Parlamen-te, also auch des Bundesrates, ausgesprochen. Wirhaben uns in den weiteren Debatten – ich darf denHinweis von Herrn Ministerpräsidenten Beck aufneh-men – selbstverständlich auch dafür ausgesprochen,dass der Ausschuss der Regionen ein Mitsprache-recht im Konvent erhält.

Nach meiner Überzeugung bestehen gute Aussich-ten, dass diese Forderungen der deutschen Länderbeim Europäischen Rat von Laeken, der am 14. De-zember stattfinden wird, Berücksichtigung finden.Wir haben immer gesagt: Es darf keinen Konventgeben, in dem die deutschen Länder nicht in personavertreten sind. Nach dem derzeitigen Sachstand wirdder Bundesrat einen Vertreter bzw. eine Vertreterin inden Konvent entsenden. Wenn zeitlich alles so ver-läuft, wie es geplant ist, werden wir vermutlich in derBundesratssitzung am 20. Dezember über die Personzu entscheiden haben.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, darüberhinaus hatten wir mit der „Erklärung zur Zukunft derUnion“ einen, wie ich meine, weiteren wichtigen undgroßen Erfolg. Darin ist festgelegt, dass die Regie-rungskonferenz 2004 die Frage der Abgrenzung derZuständigkeiten zwischen der Europäischen Unionund den Mitgliedstaaten zu behandeln hat. Diesberührt unser Interesse im Kern. Diese Forderung laguns besonders am Herzen. Weil sie erfüllt wurde, istes selbstverständlich erste und wichtigste Pflicht der

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Jochen Riebel (Hessen)

Bundesrat – 769. Sitzung – 9. November 2001 603

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deutschen Länder, nun mit konstruktiven Beiträgen indie europäische Debatte einzugreifen.

Der Bundesrat hat die Diskussion auf einer geson-derten Veranstaltung eröffnet. Unter der Präsident-schaft von Herrn Ministerpräsidenten Beck fand eineerste Auseinandersetzung mit Repräsentanten der na-tionalen und der internationalen Ebene statt. Dafür imÜbrigen noch einmal unser herzlicher Dank!

Wir wollen wissen, wer in Europa was zu entschei-den hat, um deutlich zu machen, wer wofür Verant-wortung trägt. Denn wir sind der festen Überzeu-gung: Nur wenn diese Frage geklärt ist, haben dieBürgerinnen und Bürger Ansprechpartner, die sie füreuropäische Entscheidungen auf der einen Seite zurRechenschaft ziehen, auf der anderen Seite mit Lobüberhäufen können.

Bei der Kompetenzabgrenzung geht es insbesonde-re darum, präzise darzustellen, wer in Zukunft fürwelche Aufgaben in der Europäischen Union verant-wortlich ist. Das ist notwendig, weil seit 1957 eine inihren Prinzipien unveränderte Zuständigkeitsord-nung gilt. Sie wurde in den folgenden Jahren, alsofast 45 Jahre lang, nach meiner Meinung „wildwüch-sig“ weiterentwickelt, ohne dass eine klare Strukturdieses Systems erkennbar war. Es fehlt ein schlüssi-ges, nachvollziehbares System. Damit muss Schlusssein!

Die Regierungskonferenz 2004 darf sich nicht wiedie vorherigen Konferenzen mit halbherzigen Kom-promissen zufrieden geben. Sie muss den Versuchwagen und den „großen Wurf“ einer umfassendenVerfassungsreform schaffen, und zwar auf der Grund-lage der Vorarbeiten des Konvents, die nach Laekenanlaufen werden – wenn er dann „Konvent“ heißt –,und unter Einbeziehung der Öffentlichkeit. Die deut-schen Länder haben Zwischenberichte über die Ar-beit des Konvents verlangt. Auf deren Basis wird esmöglich sein, öffentliche – parlamentarische – Debat-ten zu führen.

Wir sollten nicht nach der Methode „Vogel, frissoder stirb“ verfahren. Wir haben verlangt, Optionenzu entwickeln, damit wir über alternative Lösungs-möglichkeiten debattieren können. Wir hoffen, dasses uns gelingt, dabei zu einer klaren und schlüssigenneuen Kompetenzordnung in der Europäischen Unionzu kommen.Die Europaministerkonferenz der Länderhat Anfang Oktober dazu in Goslar einen Beschlussgefasst, der Grundstrukturen für eine mögliche neueZuständigkeitsordnung der Europäischen Union auf-zeigt. Die Ministerpräsidenten haben ihn in ihrerKonferenz übernommen.

Zu dem Gesamtkomplex hat eine erste Diskussionmit der Bundesregierung stattgefunden. Das Ziel vonuns Ländern ist es, eine gemeinsame Haltung vonBund und Ländern zu erreichen. Es ist klar, dass wiruns mit einer differierenden oder auch nur differen-zierenden Haltung auf der europäischen Bühne nichtdurchsetzen können; wir haben es ohnehin schwergenug, die besondere Situation der deutschen Länderim Gesamtkontext Europas immer wieder deutlich zumachen. Es ist eine pure Notwendigkeit, eine ge-meinsame Linie mit dem Bund zu erreichen, wenn wirerfolgreich sein wollen.

Ich darf an dieser Stelle meinen Dank dafür aus-sprechen, dass wir in vielen Vorgesprächen mit demBund in fast allen Punkten – im Moment reden wirüber Verfahren – Klarheit, Deutlichkeit und Überein-stimmung erzielen konnten. Wir haben nicht das Ge-fühl, dass die Bundesregierung gegen die deutschenLänder handelt; wir haben vielmehr den Eindruck,dass wir an einem Strang ziehen.

Wir Länder haben mit dem Beschluss von Goslareinen ersten Beitrag zu der inhaltlichen Debatte überdas Thema „Kompetenzabgrenzung“ geleistet. So-weit ich weiß, sind derart umfangreiche und konkreteVorstellungen erstmals vorgelegt worden. Am 23. Ok-tober, also 14 Tage nach uns, hat die Landeshaupt-männerkonferenz in Österreich ebenfalls einen Be-schluss zur Zukunft Europas gefasst. Zu meinergroßen Freude besteht in allen wichtigen PunktenÜbereinstimmung mit dem, was die Europaminister-konferenz der deutschen Länder beschlossen hat.

Unser Beschluss bildet bislang lediglich einen Rah-men. Er wird Anfang 2002 ausgefüllt werden müssen.Wir Länder nehmen unsere gesamteuropäische Ver-antwortung wahr, indem wir die Debatte um die Eu-ropäische Union aktiv führen. Nach den Forderungen,die wir in Nizza durchgesetzt haben, stellen wir unsunserer Verpflichtung, Ergebnisse zu erzielen.

Uns geht es nicht darum, einseitig zu Lasten der Eu-ropäischen Union Spielräume für die Länder heraus-zuschlagen. Dieser Prozess ist auf Gegenseitigkeit an-gelegt. Manche Aufgaben werden zusätzlich auf dieEuropäische Union verlagert werden, andere werdenwir der Europäischen Union wieder abnehmen müs-sen, weil wir sie besser erledigen können. Das Prinzipsoll sein: Die Aufgaben werden auf der Ebene ange-siedelt, auf der sie am besten erledigt werden kön-nen.

Es geht uns darum, Ideen zu entwickeln, wie sichauch eine erweiterte Europäische Union mit dem glei-chen Erfolg wie in der Vergangenheit bewähren undweiterentwickeln kann. Dies ist notwendig, um dieAkzeptanz innerhalb der Bevölkerung, die heuteschon so oft angesprochen wurde, zu erhöhen.

Breite Akzeptanz in der Bevölkerung ist auch dafürnotwendig, die neue innere Struktur Europas zuschaffen. Wir müssen die Handlungs- und Entwick-lungsfähigkeit der Union stärken und dabei die Be-völkerung mitnehmen.

Die Unterscheidung wird im Einzelfall schwierigsein, wie oft im Leben, wenn die Debatte ins Detailgeht. Nach meiner Überzeugung aber ist sie zu leis-ten.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir wer-den uns den Aufgaben in der Zeit bis Laeken undnach Laeken stellen. – Ich bedanke mich für Ihre Auf-merksamkeit.

Präsident Klaus Wowereit: Das Wort hat HerrStaatsminister Bocklet (Bayern).

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Wolfgang Senff (Niedersachsen)

Bundesrat – 769. Sitzung – 9. November 2001604

Reinhold Bocklet (Bayern): Herr Präsident! Verehr-te Kolleginnen und Kollegen! Der Vertrag von Nizzaist zwar kein „großer Wurf“; mit den vereinbarten Re-formen bei den EU-Institutionen wurden aber wichti-ge Voraussetzungen für die Aufnahme neuer Mit-gliedstaaten aus Mittel- und Osteuropa geschaffen.

Besonders zu begrüßen ist die „Erklärung zur Zu-kunft der Union“ – das ist wohl der wichtigste Teil –,auf die sich die Staats- und Regierungschefs der EU-Mitgliedstaaten im vergangenen Dezember in Nizzaverständigt haben. Danach ist im Jahr 2004 eine wei-tere Regierungskonferenz zur Reform der EU durch-zuführen, die sich insbesondere – meine Vorrednerhaben darauf hingewiesen – mit einer klareren Kom-petenzabgrenzung zwischen der EU und den Mit-gliedstaaten befassen soll.

Damit steht – und das ist hervorzuheben – einelangjährige zentrale Forderung nicht nur des Frei-staates Bayern, sondern aller Länder endlich auf dereuropäischen Tagesordnung. Dies ist ein unbestreit-barer Erfolg, den die Länder errungen haben, indemsie geschlossen aufgetreten sind und den Bund dazubewogen haben, sich für diese Forderung in Nizzaeinzusetzen.

Damit aber darf es nicht genug sein; Herr KollegeSenff hat schon darauf hingewiesen. Wir Länderhaben jetzt eine Bringschuld zu begleichen, nämlichden Rahmen auszufüllen, den wir durchgesetzthaben. Ich denke nicht, dass man zunächst Appellean den Bund richten sollte. Wir sind gut bedient,wenn der Bund das, was wir inhaltlich vorlegen, über-nimmt und mit der gleichen Verve wie in Nizza in dernächsten Regierungskonferenz vertritt.

Was ich im Moment sehe, ist eine gewisse Zurück-haltung gegenüber der inhaltlichen Ausfüllung derForderung nach Kompetenzabgrenzung. Ich verstehedas; denn es ist nicht sehr angenehm, sich der Mühezu unterziehen, die einzelnen Artikel und Bestim-mungen des Vertrages daraufhin zu überprüfen, woKompetenzen neu zugeordnet werden sollen. So eif-rig die deutschen Länder dabei waren, die Forderungnach Kompetenzabgrenzung auf die Tagesordnungder europäischen Politik zu bringen, so sehr erkenneich doch ein gewisses Zögern und eine gewisseZurückhaltung, sich in der Sache einzulassen.

Deswegen richte ich den Appell an uns alle, sichdieser Mühe in den nächsten Monaten zu unterzie-hen. Wir müssen rasch arbeiten; denn wir haben nurdann eine Chance, unsere Vorstellungen in den eu-ropäischen Entscheidungsprozess einzubringen,wenn wir dies rechtzeitig tun. Wer die Einlassungender Franzosen oder der Briten in den letzten Wochenzu dem Gesamtkomplex zur Kenntnis genommen hat,hat feststellen müssen, dass das Thema „Kompetenz-abgrenzung“ nicht an der ersten Stelle deren Konfe-renzagenda steht. Wenn wir also etwas für uns errei-chen wollen, müssen wir konkret und klar auftreten –natürlich immer mit Blick darauf, was in Europadurchsetzungsfähig ist. Zunächst einmal müssen wirunsere eigenen Vorstellungen konkret formulieren.

Die Gelegenheit der Ratifizierung des Vertrages vonNizza möchte ich nutzen, an uns alle den Appell zurichten, das Tempo der Arbeit zu beschleunigen undmit aller Verve der Konkretisierung der Einzelheitennäher zu treten. Wir wollen uns diesem Wettbewerbgerne unterziehen. Vielleicht gibt es hier auch einenWettbewerbsföderalismus unter den Ländern.

Noch eines: Es ist ein großer Erfolg des Bundesra-tes, dass nun auch der Bundestag bei seiner Zustim-mung zu dem Vertragsgesetz am 18. Oktober 2001 dieNotwendigkeit einer Zweidrittelmehrheit festgestellthat. Damit haben beide Verfassungsorgane der Bun-desregierung, die die einfache Mehrheit für ausrei-chend hält, klar widersprochen. Der Vertrag vonNizza enthält nämlich Regelungen, durch die dasGrundgesetz seinem Inhalt nach geändert wird. Ent-scheidend dafür sind die Übertragung von weiterenHoheitsrechten auf die Europäische Union, die Erwei-terung der Mitentscheidungsbefugnisse des Europäi-schen Parlaments und vor allem die Ausdehnung derMehrheitsentscheidungen im Rat, die massive Aus-wirkungen auf die Einflussmöglichkeiten der einzel-nen Mitgliedstaaten hat.

Ich möchte vorsorglich dringend an die Bundesre-gierung appellieren, die eindeutige Haltung der bei-den Parlamentskammern im weiteren Verfahren nichtzu konterkarieren. – Ich bedanke mich.

Präsident Klaus Wowereit: Frau Ministerin Kraft(Nordrhein-Westfalen).

Hannelore Kraft (Nordrhein-Westfalen): Herr Präsi-dent, meine Damen und Herren! Bei der Bewertungdes Vertrages von Nizza, der heute dem Bundesratzur Schlussabstimmung vorliegt, darf die Zielsetzungnicht außer Betracht bleiben. Die Regierungskonfe-renz im Dezember 2000 hatte den Auftrag, die EU er-weiterungsfähig zu machen. Es war klar: Eine EU mit27 oder mehr Mitgliedstaaten braucht neue, andereSpielregeln als die Sechsergemeinschaft von 1957.Die Tagesordnung in Nizza beschränkte sich daherauf die so genannten Left-overs von Amsterdam.

Ich will die Ergebnisse nicht im Einzelnen darstel-len. Es bleibt mir nur zu sagen: Beim Übergang zuMehrheitsentscheidungen hätte ich mir gerade imHinblick auf die Stärkung der Handlungsfähigkeitder EU mehr gewünscht.

Gleichwohl: Der Vertrag von Nizza ist ein Signal andie Bewerberstaaten, dass die EU ihre Hausaufgabenzum Thema „Erweiterung“ gemacht hat. Wenn derVertrag – hoffentlich bald – in Kraft tritt, ist dies eineklare Botschaft an die Bewerberländer. Jetzt liegt esan ihnen, die Voraussetzungen für den zügigen Ab-schluss der Beitrittsverhandlungen zu schaffen.

Doch auch für die heutigen Mitgliedstaaten gibt esnoch wichtige notwendige Veränderungen einzulei-ten. Um die Akzeptanz der EU bei den Bürgerinnenund Bürgern zu verbessern, gilt es, klare Strukturenzu schaffen. Schon vor der letzten Regierungskonfe-renz hatten die Länder daher die Forderung aufge-stellt, das Thema „Kompetenzneuordnung“ auf die

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Tagesordnung zu nehmen. Dies war damals nichtdurchsetzbar. Durchgesetzt wurde aber – mit Unter-stützung der Bundesregierung –, dass in einer Er-klärung zum Vertrag von Nizza bereits die Eckpunktefür eine Anschlussregierungskonferenz vereinbartwurden.

Die Länder haben damit die Tagesordnung desReformprozesses mit bestimmt. Jetzt sind sie auch inder Pflicht, einen substanziellen Beitrag zu der inhalt-lichen Debatte zu leisten. Unser MinisterpräsidentWolfgang Clement hat dies bereits am 12. Februar2001 hier in Berlin getan. Auf die Einzelheiten derdabei vorgeschlagenen Kompetenzneuordnung möch-te ich nicht eingehen.

Die Europäisierung wird voranschreiten, sie mussvoranschreiten. Dies wirft aber auch die Frage auf:Welches Europa brauchen wir? Auf welche Aufgabensoll sich die EU konzentrieren?

Auf den Punkt gebracht: Eine EU, die sich mitgrundlegenden Fragen von Krieg und Frieden, mitder Terrorismusbekämpfung, mit einer gemeinsamenWährungspolitik befassen muss, verzettelt sich undvergeudet letztlich ihre Kräfte, wenn sie sich auchnoch an die Grenzen der FFH-Gebiete in den Mit-gliedstaaten heranmacht. Wir brauchen eine EU, diein Fragen von wahrhaft europäischer Bedeutunghandlungsfähig ist. Wir brauchen aber auch eine EU,die sich nicht selbst überfordert, sondern solche Auf-gaben abgibt – oder am besten gar nicht erst an sichzieht –, die andere besser erfüllen können.

Den Regionen kommt in fast allen Mitgliedstaatender EU eine Schlüsselstellung für die Standort-,Industrie- und Beschäftigungspolitik zu. Die Anpas-sungs- und Modernisierungsprozesse der Wirtschaft,die Entwicklung der Verkehrs- und Kommunikations-infrastruktur und die Einlösung des Versprechens vonder Wissensgesellschaft – sie sind ohne eine hand-lungsfähige regionale Ebene nicht denkbar. MeinFazit: Die Regionen brauchen klare Kompetenzen,und zwar nicht aus Egoismus, sondern um die ihnenzukommende aktive Rolle beim notwendigen Moder-nisierungsprozess Europas wahrnehmen zu können.

Ausgehend von diesen Vorüberlegungen kommenwir im Reformprozess an einer Korrektur der Aufga-benverteilung in einzelnen Politikfeldern nicht vor-bei. Auch eine Überprüfung der Frage, ob Inhalt undUmfang der europäischen Strukturpolitik oder derGemeinsamen Agrarpolitik noch problemadäquatsind, sollte deshalb nicht von vornherein ausgeschlos-sen sein.

Entscheidend bleibt für mich die Antwort auf dieFrage: Welche Ebene soll für welche Aufgabe verant-wortlich sein? In Bereichen, in denen nur die Eu-ropäische Union Probleme effektiv lösen kann, musssie auch die dafür notwendigen Handlungsmöglich-keiten erhalten. Genauso muss es aber möglich sein,Kompetenzen dann zurückzustufen oder ganz auf diemitgliedstaatliche bzw. regionale Ebene zurückzu-übertragen, wenn das Tätigwerden von Mitgliedstaatoder Region zur Problemlösung ausreicht.

Weitere Überlegungen zur juristischen Lösung desKompetenzproblems möchte ich hier zurückstellen.

Klar ist aber: Eine Neuordnung der Kompetenzen darfkeinesfalls wie eine Zwangsjacke künftige Entwick-lungsprozesse unmöglich machen.

Viele Kompetenzübergriffe, die wir in den vergan-genen Jahren beklagt haben, hatten ihre Ursache ineiner zu großen Regelungstiefe. Nicht die EU-Kompe-tenz selbst war häufig der Grund für eine Überregle-mentierung, sondern ihre extensive Ausübung durchdie EU-Institutionen. Das Problem des schleichendenKompetenzverlustes der Länder zu Gunsten der EUlässt sich deshalb nicht allein durch bessere Kompe-tenzregeln beheben. Ein Mix aus materiell-recht-lichen und verfassungsrechtlichen Verbesserungen,flankiert von Veränderungen im institutionellen Gefü-ge der Gemeinschaft, kann uns weiterhelfen.

Abschließend eine Bemerkung zum anstehendenVerfahren! Die Regierungskonferenz in Nizza hat klargemacht: Vertragsreformen können nicht mehr nachdem Muster klassischer Diplomatie hinter verschlos-senen Türen verhandelt werden. Wenn wir das beste-hende Akzeptanzproblem der EU lösen wollen, müs-sen wir die Bürgerinnen und Bürger an der Debatteüber die Zukunft der EU beteiligen. Es ist deshalb derrichtige Weg, die Diskussion aus dem Konvent in dieParlamente – auch in die der Länder – und damit indie interessierte Öffentlichkeit zu tragen. Meine Bittegeht dahin, dass der Bund in den Verhandlungen zurAusgestaltung des Konvents auf diese Möglichkeitbesonderes Augenmerk legt.

Nordrhein-Westfalen wird sich an dem Prozessaktiv beteiligen. – Vielen Dank.

Präsident Klaus Wowereit: Herr Staatsminister Dr. Zöpel (Auswärtiges Amt).

Dr. Christoph Zöpel, Staatsminister im AuswärtigenAmt: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen,meine Herren! Die Debatte zeigt: Das Wichtigste amVertrag von Nizza ist der Post-Nizza-Prozess. Das istauch richtig so.

Gleich zu Beginn möchte ich festhalten: Ich meine,den Post-Nizza-Prozess gäbe es nicht ohne die deut-schen Länder, die die sehr intensive Debatte darübergestartet haben, dass die heutige Kompetenzvertei-lung zwischen der Europäischen Union und ihrenMitgliedstaaten weder dem Prinzip der Effizienz unddem der Demokratie noch der Förderung der kulturel-len Vielfalt in Europa entspricht. Diese Debatte warnotwendig.

Erlauben Sie mir folgenden Hinweis: Ich kann michan meine Rede Ende 1999 in diesem Hause erinnern,in der ich einiges darüber gesagt habe, was kommenwird. Das hat einige überrascht. Es ist aber so gekom-men. Es macht immer Sinn, sich mit Zukunft zu be-schäftigen; dann hat man oft einen guten Blick.

Heute bitte ich Sie im Namen der Bundesregierung,den Vertrag zu ratifizieren; Sie wollen das ja tun. Mitden Methoden, die derzeit zu Gebote stehen, ist vielanderes nicht zu erreichen gewesen. Alle Mitglied-staaten haben sich Mühe gegeben. Jeder hat sicher-lich Fehler gemacht; in der Summe aber ist das Not-

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Hannelore Kraft (Nordrhein-Westfalen)

Bundesrat – 769. Sitzung – 9. November 2001606

wendige herausgekommen, nämlich eine zureichen-de Grundlage für die Erweiterung. Die Erweiterungist – in diesem Zusammenhang möchte ich den11. September erwähnen – heute dringender und not-wendiger als zuvor.

In der nächsten Woche wird die Kommission ihrenFortschrittsbericht für das Jahr 2001 vorlegen. Ichverrate kein Geheimnis, wenn ich sage, dass sie darinzum ersten Mal sehr klar signalisiert, dass zehn Staa-ten die Verhandlungen bis Ende 2002 abschließenkönnen, wenn sie weitermachen wie bisher, dass siedann Mitglied werden und sich an den nächstenWahlen beteiligen können.

Lassen Sie mich der Zahl „zehn“ einige wenige An-merkungen hinzufügen! Zehn Länder ist ein Aspektdieser Erweiterung, 70 Millionen Einwohner ein an-derer. Es kommen weniger Menschen hinzu, alsDeutschland Einwohner hat. Von den zehn Staatenhaben neun weniger Einwohner als Bayern. JederHinweis darauf, die EU, die heute 370 Millionen Ein-wohner hat, könne mit 70 Millionen zusätzlichenMenschen nicht effizient weiterarbeiten, ist, in ma-thematischen Kategorien ausgedrückt, einfach Unfug.

Es ist ein bisschen arrogant anzunehmen, dass dieVertreter dieser Länder mit Europa nicht genausogut – oder schlecht – umgehen könnten wie die bishe-rigen Europäer mit sich selbst. Deren Experten sindbesser vorbereitet als unsere; denn sie mussten diebürokratische Praxis Europas in einem Eilkursus ler-nen. Einige werden mit diesen Experten noch etwaserleben, aber im positiven Sinne.

Wir sollten den Prozess rasch weiterführen, damitdie verbleibenden 60 Millionen Europäer – die Eu-ropäische Union hat heute 370 Millionen, nach der Er-weiterung sind es 440 Millionen Einwohner; nachmeiner Definition umfasst „Europa“ in dieser histori-schen Phase aber alle Staaten westlich der ehemali-gen Sowjetunion und die baltischen Staaten – eben-falls kommen können. Hier gibt es manchmalVorurteile. Manche sind ein bisschen arrogant. Aberich bitte jeden, der mit Blick auf eines der Länder, indenen die restlichen 60 Millionen Menschen leben,Bedenken hat – diese kann man haben –, das Gegen-szenario aufzumachen: Was würde es Europa kosten,wenn in einer Menge von 440 plus X Millionen bis zu50 Millionen Menschen nicht Mitglied wären? Wieteuer wäre der Zaun, den man um diese Länder er-richten müsste? Das bitte ich im Blick zu haben, wennman sich Schreckensszenarios ausmalt.

Also, ratifizieren Sie bitte, damit die notwendige eu-ropäische Integration vorangehen kann! Dann be-ginnt der Post-Nizza-Prozess.

In Nizza gab es eine Verständigung darüber, wasdort zu besprechen ist. An erster Stelle steht die Ab-grenzung der Zuständigkeiten zwischen der Europäi-schen Union und den Mitgliedstaaten. Das ist aus denGründen, die ich schon genannt habe, notwendig. Ichmöchte sie in der gleichen Reihenfolge wiederholen:Effizienz, Demokratie und Förderung der kulturellenVielfalt.

Es ist sinnvoll, wenn wir Vertreter Deutschlands– damit meine ich alle – die Kompetenzabgrenzung

nicht als ein deutsches Problem erscheinen lassen;diese Gefahr besteht. Wer sie nicht ändern will, argu-mentiert manchmal, das seien die Deutschen mitihrem Föderalismus. Wir sollten durch unser Verhal-ten vermeiden, dass dieses Argument gelten kann,und zwar in zwei Richtungen:

Es ist sinnvoll, nicht nur deutsche Begriffe im Kopf zuhaben. „Föderation“ meint etwas anderes als das eng-lische Wort „federation“ und das französische „fédéra-tion“. Auch „Nation“ meint etwas anderes als diefranzösische „nation“. Wer sich mit Skandinaviernunterhält, wird gelernt haben, dass in Skandinaviensogar das Wort „Union“ keinen guten Klang hat, weiles manche an Zwangsunionen vergangener histori-scher Epochen erinnert. Man muss also sprachlichsensibel sein; dann kann man für das, was Föderalis-mus in europäischer Tradition immer war und seinmuss, viel besser werben.

Dass wir innerhalb Europas als Ganzes und in sei-nen Mitgliedstaaten Föderalismus notwendig brau-chen, versuchen wir derzeit Mazedonien beizubrin-gen. Damit wird deutlich, dass die Bedeutung dessen,was wir in den europäischen Prozess einbringen, weitdarüber hinausgeht, was wir im engeren Sinne darinsehen. Die europäische Geschichte ist notwendig eineföderale. Dass Deutschland am längsten föderativbleibt – Ministerpräsident Biedenkopf führt das im-mer in vorbildlicher Weise aus –, war von allen Nach-barn gewünscht und notwendig, damit es nicht nochmehr Kriege in Europa gab, als es in der Geschichtegegeben hat. Und die kulturelle Vielfalt Europas wirdman nur fördern können – es ist der Sinn Europas, siezu fördern, ohne die Gefahr des Krieges herbeizu-führen –, wenn sie erhalten bleibt.

Der Status der Grundrechte muss als Zweites ge-sichert werden. Dass die Verträge zu vereinfachensind, wird inzwischen auch jeder Jurist zugeben, dergern an komplizierten Verträgen verdient.

Die Bundesregierung ist heute der Auffassung, dassneben dem in Nizza Vereinbarten weitere Themengeklärt werden müssen, und zwar als Erstes das insti-tutionelle Verhältnis der Unionsorgane zueinander imSinne einer besseren Gewaltenteilung. Ich halte dasfür zentral. Es ist ein gewisser Widerspruch, dass dieEuropäische Union in den Verhandlungen mit denneuen Mitgliedstaaten erklärt, wie sie sich Demokra-tie vorstellt: Veränderung politischer Führung durchWahlen sowie ein klares Verhältnis zwischen der demParlament verantwortlichen Regierung und der Parla-mentsmehrheit, die für Regierungsfähigkeit sorgenmuss – das sind die beiden notwendigen Seiten –,diese Grundprinzipien erklären wir kontinuierlich inOsteuropa, in der EU gelten sie nicht. Deshalb mussdie klare Hinführung zu demokratischen Strukturenim Verhältnis der Organe zueinander erreicht wer-den.

Wir brauchen mehr Entscheidungen im Rat mitqualifizierter Mehrheit, und schließlich brauchen wirweitere Integrationsschritte im Bereich Justiz undInneres. Ich hoffe, auch die Länder stimmen zu, wo-rauf sich Frankreich und Deutschland verständigthaben: Wir brauchen eine gemeinsame Grenzpolizei.

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Staatsminister Dr. Christoph Zöpel

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Außerdem brauchen wir Integrationsfortschritte inder Außenpolitik. Lassen Sie mich etwas lächelnd er-wähnen: Manches, was die Außenministerien bisheranderen Ressorts, auch Länderressorts, zugemutethaben, nämlich zu Gunsten der Europäischen Unionauf Kompetenzen zu verzichten, steht dann bei ihnenselbst an. Das wird ein interessanter Punkt der weite-ren europäischen Integration.

Auf dies alles müssen wir uns vorbereiten. Die Län-der sollten fortfahren, sich dafür so einzusetzen, wiesie es getan haben. Es dient Europa, so wie Ihr Jaheute Europa dient. – Haben Sie herzlichen Dank.

Präsident Klaus Wowereit: Weitere Wortmeldungenliegen mir nicht vor.

Wir kommen nun zur Abstimmung. Der feder-führende Ausschuss für Fragen der EuropäischenUnion empfiehlt, dem Gesetz mit der gemäß Arti-kel 23 Abs. 1 Satz 3 und Artikel 79 Abs. 2 des Grund-gesetzes erforderlichen Mehrheit zuzustimmen.

Ich bitte, durch Aufruf der Länder festzustellen, obder Bundesrat dem Gesetz gemäß Artikel 23 Abs. 1Satz 3 und Artikel 79 Abs. 2 des Grundgesetzes mitder danach erforderlichen Zweidrittelmehrheit zu-stimmt.

Dr. Manfred Weiß (Bayern), Schriftführer:

Baden-Württemberg Ja

Bayern Ja

Berlin Ja

Brandenburg Ja

Bremen Ja

Hamburg Ja

Hessen Ja

Mecklenburg-Vorpommern Ja

Niedersachsen Ja

Nordrhein-Westfalen Ja

Rheinland-Pfalz Ja

Saarland Ja

Sachsen Ja

Sachsen-Anhalt Ja

Schleswig-Holstein Ja

Thüringen Ja

Präsident Klaus Wowereit: Der Bundesrat hat demGesetz mit der gemäß Artikel 23 Abs. 1 Satz 3 und Ar-tikel 79 Abs. 2 des Grundgesetzes erforderlichenMehrheit zugestimmt.

Zur gemeinsamen Beratung rufe ich die Punkte 13 a) bis c) und 50 auf:

13. a) Entwurf eines Gesetzes zur Änderung vonVorschriften des Sozialdatenschutzes zurVerstärkung des Schutzes der Bevölkerung

(Sozialdatenschutzänderungsgesetz) – An-trag des Freistaates Bayern – Antrag desFreistaates Bayern gemäß § 23 Abs. 3 i.V.m.§ 15 Abs. 1 GO BR – (Drucksache 826/01)

b) Entschließung des Bundesrates zu einer Er-gänzung der Allgemeinen Verwaltungs-vorschrift zum Staatsangehörigkeitsrecht(StAR-VwV) vom 13. Dezember 2000 – An-trag des Freistaates Bayern – Antrag desFreistaates Bayern gemäß § 23 Abs. 3 i.V.m.§ 15 Abs. 1 GO BR – (Drucksache 806/01)

c) Entschließung des Bundesrates zur wirksa-meren Bekämpfung des internationalenTerrorismus und Extremismus – Antrag derLänder Baden-Württemberg, Bayern, Hes-sen und Saarland, Sachsen, Thüringen – An-trag des Landes Baden-Württemberg gemäߧ 23 Abs. 3 i.V.m. § 15 Abs. 1 GO BR –(Drucksache 807/01)

in Verbindung mit

50. Entwurf eines Gesetzes zum verbessertenSchutz der Öffentlichkeit vor angedrohten undvorgetäuschten Straftaten („Trittbrettfahrer-gesetz“) – Antrag des Freistaats Thüringengemäß § 36 Abs. 2 GO BR – (Drucksache922/01)

Den Anträgen unter den Punkten 13 a) und b) istBaden-Württemberg beigetreten; dem Antrag unterPunkt 13 c) ist auch Hamburg beigetreten.

Dazu gibt es folgende Wortmeldungen: Erster Bür-germeister von Beust (Hamburg), MinisterpräsidentKoch (Hessen), Ministerpräsident Dr. Vogel (Thürin-gen), Minister Bartling (Niedersachsen), Frau Minis-terin Lütkes (Schleswig-Holstein), Minister Köberle(Baden-Württemberg) und für die BundesregierungParlamentarischer Staatssekretär Körper (Bundesmi-nisterium des Innern). – Herr von Beust.

Ole von Beust (Hamburg): Herr Präsident, meineDamen und Herren! Wenn es ein Thema gibt, das dieMenschen in Deutschland nach den Anschlägen vonNew York und Washington wahrscheinlich mehr be-wegt als alles andere, dann ist es das Thema „Sicher-heit“, speziell der Schutz vor terroristischen Anschlä-gen. Viele Menschen haben Sorgen, nicht wenigehaben Angst. Wenn es auch keine Erkenntnisse überakute Bedrohungen gibt, so wissen wir doch, dass zu-mindest das Gefährdungspotenzial erheblich ist; dieSorgen und Ängste der Menschen beruhen also nichtnur auf subjektiven Eindrücken.

Das ist der Grund, warum sich die Menschen aufUrfunktionen des Staates besinnen und diese einfor-dern: nämlich Sicherheit zu bieten und die Daseins-vorsorge verlässlich zu schützen. Es gibt parteiüber-greifend wohl niemanden, der diese Ängste undSorgen nicht ernst nimmt.

Die Bürgerinnen und Bürger erwarten von der Poli-tik, dass sie entschlossen und zielgenau gegen dieempfundenen und tatsächlichen Bedrohungen vor-geht. Nur wer für die Sicherheit etwas tut, stärkt die

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Staatsminister Dr. Christoph Zöpel

Bundesrat – 769. Sitzung – 9. November 2001608

Demokratie und die Freiheit. In jede Antiterrormaß-nahme gleich das Angstbild des Überwachungsstaa-tes zu projizieren wäre eine völlig abwegige Über-zeichnung.

Der Entschließungsantrag von sechs Ländern, derdem Bundesrat vorliegt, enthält eine ganze Reihe vonVorschlägen, wie wir auf die Bedrohung durch den in-ternationalen Terrorismus eingehen müssen. Sie set-zen dort an, wo die Menschen vor Terror und Extre-mismus geschützt werden können und müssen.Deshalb tritt Hamburg dem Entschließungsantragheute bei.

Der Antrag enthält übrigens Vorschläge, die zumTeil ursprünglich in den Entwürfen zum so genanntenAntiterrorpaket II des Bundesinnenministers standen,aber auf dem Koalitionsaltar geopfert wurden. Ausdem Paket ist sozusagen ein Päckchen geworden.

Was die einzelnen Maßnahmen des Entschließungs-antrags wie eine Klammer umschließt, ist die politi-sche Rückendeckung für alle Institutionen, denen wirunsere Sicherheit anvertrauen: Polizei, Verfassungs-schutz, Bundesgrenzschutz. Sie brauchen für ihre Ar-beit politische Unterstützung. Gerade jetzt, nachdemdie Bundesregierung die Teilnahme deutscher Solda-ten am Kampf gegen den Terror zugesagt hat, brau-chen auch die Einrichtungen zu Hause unsere politi-sche Rückendeckung.

Ich nenne in diesem Zusammenhang die Bereit-schaftspolizeien der Länder, die anerkanntermaßeneinen wichtigen Beitrag zum Schutz vor Terror leis-ten. Hier wäre es wünschenswert, dass der derzeitnoch auf 20 Millionen DM reduzierte Finanzierungs-beitrag des Bundes wieder auf die früher üblichen58 Millionen DM angehoben wird. Die vorgeseheneAnhebung auf nur 26 Millionen DM kann nicht aus-reichen.

Nochmals zum Antiterrorpaket II, genauer gesagtzu dem, was von dem ursprünglich Geplanten übriggeblieben ist. Es bleibt leider relativ wenig von derAnkündigung des Bundesinnenministers, ausländi-sche Terroristen und Extremisten würden mit allenMitteln aufgespürt und außer Landes geschafft.

Nehmen wir das Beispiel Aufnahme biometrischerMerkmale in Ausweisdokumente für Ausländer: Dableibt sehr vieles diffus, besonders die Festlegung,welche Merkmale aufgenommen werden. Mir istschleierhaft, meine Damen und Herren, warum mandagegen sein kann, dass ein Identitätspapier auchwirklich dazu dient, die Identität treffsicher und zwei-felsfrei festzustellen.

Noch ein Beispiel: Der wichtigste Komplex für dieStärkung der inneren Sicherheit zum Schutz vor Aus-länderextremismus und Terrorismus wurde nicht ge-regelt, nämlich durchgreifende und wirkungsvolleMaßnahmen im Bereich des Ausländerrechts. Not-wendig wäre es z. B., dass Ausländer bereits bei be-gründetem Terrorismusverdacht erst gar nicht insLand gelassen werden und bei Verdacht zwingendausgewiesen werden können. Aber das so genannteAntiterrorpaket II sieht weder Versagungsgründe für

die Erteilung von Aufenthaltsgenehmigungen nocheinen entsprechenden Ausweisungstatbestand vor.

Fazit: In dem ursprünglich angekündigten Antiter-rorpaket II war vieles gut gemeint. Es wies in die rich-tige Richtung. Es ist aber wenig nachgeblieben, es hatviele Lücken und Mängel. Deshalb fordere ich dieBundesregierung auf, das, was sie am Mittwoch be-schlossen hat, zu überdenken und das, was in demvorliegenden Entschließungsantrag steht, zu berück-sichtigen. – Danke schön.

Präsident Klaus Wowereit: Das Wort hat HerrMinisterpräsident Dr. Vogel (Thüringen).

Dr. Bernhard Vogel (Thüringen): Sehr verehrterHerr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Wir haben gerade die Jungfernrede einesneuen Kollegen gehört. Ich möchte ihm dazu herzlichgratulieren.

Ich selbst habe mich zu Punkt 50 der Tagesordnung,der mit den Punkten 13 a) bis c) verbunden ist, zuWort gemeldet, zu unserer Initiative, den Strafrahmenfür die so genannten Trittbrettfahrer deutlich zu ver-schärfen. Der Sachzusammenhang ist wohl jeder-mann erkennbar. Meine Bitte ist, unseren Antrag andie Ausschüsse zu überweisen.

Sie haben sicherlich dieselbe Erfahrung wie ich:Seit dem 11. September gehört zu der neuen Dimen-sion die erschreckende Tatsache, dass Menschen inDeutschland die allgemeine Verwirrung zusätzlichmissbrauchen, indem sie Terroranschläge, vor allemMilzbrandattacken, vortäuschen. Alle unsere Be-mühungen, eine mögliche Gefährdung unserer Bür-ger zu verhindern, werden dadurch konterkariert,dass eine Vielzahl vorgetäuschter Anschläge die Ar-beit unserer Behörden und Labore erschwert.

Wie Sie sich sicherlich erinnern, hatten wir inThüringen vor zwei Wochen einen geradezu beispiel-haften Vorgang, einen sehr ernsthaften, von zwei wis-senschaftlichen Instituten ermittelten Verdacht aufAnthraxsporen, der sich am Ende durch Untersu-chungen des Spezialinstituts hier in Berlin Gott seiDank nicht bestätigt hat. Das war der 71. derartigeVersuch der perfiden Vortäuschung einer überaus ge-fährlichen Handlung.

Wir möchten aus diesen Vorfällen Konsequenzenziehen. Wir wollen gegen diejenigen, die man ver-harmlosend als „Trittbrettfahrer“ bezeichnet, härtervorgehen. Weil die Täter hohen Schaden anrichten,weil ihre Tat alles andere als ein übler und ge-schmackloser Scherz oder ein Dummejungenstreichist und weil die Täter, ob beabsichtigt oder unbeab-sichtigt, das Ziel der Terroristen unterstützen, Angstund Schrecken zu verbreiten und eine Lähmung desöffentlichen Lebens zu erreichen, legen wir heute denEntwurf eines Gesetzes zum verbesserten Schutz derÖffentlichkeit vor angedrohten und vorgetäuschtenStraftaten zur Beratung vor.

Damit kein falscher Eindruck entsteht: Natürlichhat es solche Vorfälle immer gegeben. Aber seit dem

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Ole von Beust (Hamburg)

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11. September haben diese Taten eine andere Di-mension angenommen. Seit der Einführung des Son-dermeldedienstes für Milzbrandverdachtsfälle am14. Oktober 2001 bis zum 5. November 2001 sind ins-gesamt 3 111 Verdachtsfälle in Deutschland gemel-det worden. Ich nenne einige Zahlen aus den Län-dern: In Nordrhein-Westfalen ist es zu 660 Fällengekommen, hier in Berlin zu 236, in Baden-Württem-berg zu 374, in Schleswig-Holstein zu 101 und bei unsin Thüringen zu inzwischen 92 Fällen.

Der Schaden, der dabei angerichtet wird, beschränktsich nicht auf die zeitraubende und kostenintensiveAnalyse der Substanzen. Ganze Bürokomplexe undBahnhöfe müssen geschlossen, Straßenzüge müssenabgesperrt werden – vom immensen volkswirtschaft-lichen Schaden, der durch diese Lahmlegung entsteht,ganz zu schweigen.

In den genannten Zahlen sind selbstverständlichnicht die leeren Drohungen enthalten, die anonym amTelefon ausgesprochen werden und ebenfalls ver-stärkt auftreten. Polizei und Feuerwehr müssen sol-chen Drohungen natürlich jedes Mal gewissenhaftnachgehen. Gerade bei der Polizei kommen die da-raus resultierenden Einsätze zu den bekannten zu-sätzlichen Belastungen hinzu.

Wir müssen wachsam sein und überlegt handeln,um Freiheit und Sicherheit zu schützen. Niemand sollin Panik und Hysterie verfallen. Die Besonnenheitund die Sensibilität, mit der von allen Seiten reagiertwurde, zeigen, dass uns dies insgesamt gelingt.

Ich bitte auch die richtige Blickrichtung zu behal-ten: Es sind nicht die zu Recht erhöhten Sicherheits-vorkehrungen, es sind nicht die gewissenhaften Un-tersuchungen von Verdachtsfällen, es ist nicht eineoffene Informationspolitik über Risiken und Gefah-ren, die Kräfte bindet und Kosten verursacht – dieVerursacher sind Menschen, die durch das Vortäu-schen einer Straftat den öffentlichen Frieden störenund ein perfides Spiel mit der Angst treiben.

Die hohe Anzahl der vorgeblichen Milzbrand-attacken zeigt, dass das vorgesehene Strafmaß nichtausreicht, um potenzielle Täter abzuschrecken. Wirmeinen, unser Gesetzentwurf trägt der neuen Situa-tion und der neuen Dimension dieses Problems Rech-nung. Wir schlagen vor, die Strafandrohung des § 126Strafgesetzbuch von – jetzt – bis zu drei Jahren auffünf Jahre zu erhöhen. Zudem wollen wir eine Min-deststrafe von einem Jahr einführen. Wir sind uns be-wusst, dass wir damit aus dem Vergehen ein Verbre-chen machen. Das wollen wir; denn das ist einVerbrechen.

Das bedeutet, dass bereits der Versuch einer sol-chen Straftat verfolgt werden kann, ohne dass dies imGesetz ausdrücklich erwähnt sein muss. Bereits dieVerabredung von mehreren Personen zu einer sol-chen Tat wird mit Strafe bedroht.

Strafen müssen abschrecken, aber sie müssen zu-gleich angemessen und verhältnismäßig sein. BeiTaten, die weniger schwer wiegende Folgen haben,wollen wir es deshalb bei dem gegenwärtigen Straf-maß von bis zu drei Jahren belassen.

Meine Damen und Herren, zur Stärkung der inne-ren Sicherheit in Deutschland gehören nach meinerÜberzeugung Besonnenheit und Wachsamkeit. Nie-mand soll zusätzlich verunsichert werden, dennochsollte man auf mögliche Notfälle gewissenhaft vorbe-reitet sein.

Niemand von uns kann ausschließen, dass einesTages Postsendungen mit gefährlichen Erregern auf-tauchen. Niemand kann ausschließen, dass in Deutsch-land terroristische Anschläge verübt werden. Deswe-gen dürfen wir unsere Sicherheitsvorkehrungen nichtzurückschrauben, sondern wir müssen sie, wo wir eskönnen, intensivieren. Dazu brauchen wir unsere Kräf-te. Es kann nicht angehen, dass wir sie durch Nachah-mer und Trittbrettfahrer lahm legen lassen.

Unser Entwurf ist ein Beitrag dazu, auf die Heraus-forderungen zu antworten, die sich nach dem 11. Sep-tember stellen. Wir sollten nicht erst – und dann über-stürzt – in einigen Wochen tätig werden, wenn espopulär wird, in dieser Frage zu handeln. Wir solltenvielmehr den von uns vorgelegten Entwurf in denAusschüssen eingehend beraten und danach verab-schieden. – Ich bedanke mich.

Präsident Klaus Wowereit: Herr Minister Bartling(Niedersachsen).

Heiner Bartling (Niedersachsen): Herr Präsident!Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die neuensicherheitspolitischen Herausforderungen nach denAnschlägen am 11. September erfordern unverzüg-liches gemeinsames Handeln von Bund und Ländern.Der vorliegende Entschließungsantrag – ich sprechezu dem Antrag unter Punkt 13 c) – hat zum Ziel, derBundesregierung eine klare Position des Bundesratesin Bezug auf die Verbesserung der inneren Sicherheitan die Hand zu geben.

Vor zwei Tagen hat das Bundeskabinett den Ent-wurf eines Gesetzes zur Bekämpfung des internatio-nalen Terrorismus beschlossen. Wir werden diesenGesetzentwurf in aller Kürze hier beraten, so dass eseiner Aufforderung an die Bundesregierung, im Sinnedes vorliegenden Entschließungsantrages tätig zuwerden, eigentlich nicht mehr bedarf. Wir werden unsim Bundesratsverfahren demnächst mit den Vorschlä-gen der Bundesregierung auseinander setzen. Dazuhat gerade gestern die Innenministerkonferenz Son-dersitzungen des Innenausschusses des Bundesratesbeschlossen, in denen auch die Zuwanderungsgesetz-gebung politisch bewertet werden soll. Wenn der Ent-schließungsantrag nun doch heute beraten und überihn in der Sache entschieden werden soll, so will ichmeine Auffassung zu einigen Punkten gerne verdeut-lichen.

Herr von Beust, ich habe den Eindruck, Ihr Innen-senator hat Sie, was das Sicherheitspaket betrifft,nicht umfassend informiert. Eine große deutsche Zei-tung schreibt heute:

Beim „Sicherheitspaket II“ kann Bundesinnen-minister Otto Schily ... auf die Unterstützung derunionsgeführten Bundesländer hoffen. Bis Ende

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Dr. Bernhard Vogel (Thüringen)

Bundesrat – 769. Sitzung – 9. November 2001610

des Jahres soll das Gesetzespaket nach dem Wil-len Schilys verabschiedet werden. Ein „ehrgeizi-ges, aber erreichbares Ziel“ nannte dies BayernsInnenminister Günther Beckstein ... auf der Innen-ministerkonferenz. Beim Zuwanderungsgesetzzeichnete sich dagegen keine Annäherung ab.

Meine Damen und Herren, im Bereich des Auslän-der- und Asylrechts begrüße ich die Vorschläge, dieeine verstärkte Einbindung der Auslandsvertretungenin die Identitätssicherung und eine restriktivere Praxisdes Auswärtigen Amtes bei der Erteilung von Ein-reisevisa zum Ziel haben. Diese Maßnahmen entspre-chen einer seit langem erhobenen Forderung der Län-der, die hiervon neben der effektiven Bekämpfung desinternationalen Terrorismus eine Verbesserung derRückführungsmöglichkeiten ausreisepflichtiger Aus-länder erwarten. Dabei ist eine schengenweite Zusam-menarbeit bei der Visumerteilung dringend geboten.Daher unterstütze ich grundsätzlich die Forderungennach einer rascheren und erleichterten Beendigungdes Aufenthalts ausreisepflichtiger Ausländer.

Es ist klar, dass sich all diese Vorschläge im Rahmenunserer Verfassung und der internationalen Verträgeund Abkommen, die die Bundesrepublik ratifizierthat, bewegen müssen. Sie müssen verhältnismäßigund unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten akzep-tabel sein.

Aus diesem Grunde habe ich Bedenken gegen eini-ge Punkte des Entschließungsantrages, die so pau-schal oder unkonkret formuliert sind, dass sie diesenAnforderungen nicht genügen. Das gilt etwa für dieForderung nach sofortiger Aufenthaltsbeendigungbei missbräuchlich gestellten Asylanträgen, die vor-gesehene Beugehaft, eine kraft Gesetzes eintretendelebenslange Sperre für die Wiedereinreise in be-stimmten Fällen sowie für die Verschärfungen bei derAbschiebung politisch Verfolgter.

Dagegen stimme ich völlig mit der Aussage über-ein, dass die Integration der auf Dauer bleibeberech-tigten Ausländer vorrangiges Ziel unserer Politiksein muss. Die Integration von Zuwanderern mussdabei als gesamtstaatliche und gesamtgesellschaft-liche Aufgabe begriffen werden. Die dafür benötigtenfinanziellen Mittel können von den Ländern undKommunen bei weitem nicht allein aufgebracht wer-den. Die Bundesregierung ist gefordert – das hat siewohl auch vor –, sich an den hohen Kosten der Inte-gration in deutlicherem Maße als bisher zu beteiligen.

Großes Verständnis habe ich für die Forderung,dass die Integration der hier lebenden AusländerVorrang vor dem Zuzug weiterer Ausländer hat. Hiervermisse ich allerdings in dem Länderantrag, demauch Hamburg beigetreten ist, einen Hinweis auf diegrößte Zuwanderergruppe: die Spätaussiedler. Nie-dersachsen wird hierzu im Zusammenhang mit demZuwanderungsgesetz Anträge stellen, die zum Zielhaben, den Zuzug dieser Gruppe deutlich zu vermin-dern. Ich weiß, dass im Vorhaben der Bundesregie-rung ein solcher Punkt enthalten ist; wir wollen diesverstärken. Die Reduzierung ist unumgänglich, da wirsonst nicht mehr in der Lage sein werden, die erfor-derlichen Leistungen für Aufnahme, Integration undEingliederung dieser Menschen aufzubringen.

Nach unserer Auffassung sollen als Spätaussiedlernur noch diejenigen aus den Nachfolgerepubliken derehemaligen Sowjetunion aufgenommen werden, dieindividuelle Benachteiligungen auf Grund ihrer deut-schen Volkszugehörigkeit nachweisen können. Einsolcher Nachweis ist bisher – im Gegensatz zu Antrag-stellern aus den mittelosteuropäischen Staaten – nichtnötig. Erfahrungen aus diesem Bereich belegen einendeutlichen Rückgang des Zuzugs, lassen aber die Türfür Einzelschicksale offen. Insofern handelt es sich beider Initiative auch um einen Beitrag zur Gleichbe-handlung aller Spätaussiedler.

Was den Bereich der Polizei betrifft, so bin ich mitden Vorschlägen einverstanden. Ich möchte aber da-rauf hinweisen, dass die vorgesehenen Maßnahmenbis auf wenige Ausnahmen bereits im Terrorismus-bekämpfungsgesetz des Bundes enthalten sind oderschon entsprechende Beschlüsse auf europäischeroder Bundesebene sowie der Innenministerkonferenzvorliegen.

Ich nenne als Beispiel die für die Polizei wichtigeRegelung des Zugriffs auf ausländische Daten, die Te-lekommunikationsüberwachung, die im Kern bereitsdurch eine Gesetzesinitiative der Bundesregierung,welche im Bundesrat bereits beraten wurde, abge-deckt ist.

Die Maßnahmen zur Verbesserung der Gewinn-abschöpfung finden sich auch in Beschlüssen desRates Justiz und Inneres wieder.

Mit den einzelnen Vorschlägen der EuropäischenKommission zur Bekämpfung des Terrorismus – unteranderem Einführung eines europäischen Haftbefehls,unverzügliche Ratifizierung des EU-Rechtshilfeab-kommens oder Erweiterung der Zuständigkeit vonEuropol – bin ich einverstanden. Das Gleiche gilt fürdie Fortentwicklung des Schengener Durchführungs-übereinkommens und die Verbesserung des behör-denübergreifenden Datenaustauschs.

Im Bereich des Verfassungsschutzes ist es auch nachmeiner Auffassung erforderlich, eine sichere Rechts-grundlage für die Beobachtung radikaler und extremis-tischer ausländischer Organisationen zu schaffen,Speicherungs- und Löschungsfristen zu verlängernund die Möglichkeiten der Speicherung der DatenMinderjähriger zu erweitern. Gerade gewaltbereite is-lamistische Organisationen versuchen, ihren Nach-wuchs frühzeitig und dauerhaft an sich zu binden.

Dringend erforderlich sind die erweiterten Aus-kunftspflichten der Postdienstunternehmen und derTelekommunikationsunternehmen gegenüber denVerfassungsschutzbehörden.

Die Forderung, die Mittel für den Zivilschutz aufzu-stocken und das Finanzierungssystem im Zivilschutzzu vereinfachen, wird unterstützt. Niedersachsen hatbereits vor zwei Jahren eine Pauschalierung gefor-dert, wie sie das Zivilschutzgesetz zulässt. Leider istdiese Vereinfachung bisher an gesetzlichen oder ver-fahrenstechnischen Bedenken des Bundes geschei-tert; diese lassen sich aber ausräumen.

Ebenso wichtig ist es, Kompetenzen und Taktikenim Hinblick auf Bioterrorismus weiterzuentwickeln.

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Heiner Bartling (Niedersachsen)

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Ich glaube, es ist deutlich geworden, dass ich mitden meisten Vorschlägen des Entschließungsantrageseinverstanden bin. Die Punkte, bei denen ich Beden-ken habe, sind letztlich nicht so gravierend, dass mirdie Zustimmung von vornherein nicht möglich wäre.Da ich es für sehr wichtig halte, dass die Länder inFragen der öffentlichen Sicherheit eine gemeinsameLösung finden – dies war in der Vergangenheit in derRegel der Fall –, wird Niedersachsen, wenn es heutezur Sachentscheidung kommt, dem Antrag zustim-men. – Vielen Dank.

Präsident Klaus Wowereit: Frau Ministerin Lütkes(Schleswig-Holstein).

Annemarie Lütkes (Schleswig-Holstein): Herr Präsi-dent, meine Damen und Herren! Herr Erster Bürger-meister, Kern des demokratischen Staates ist Rechts-staatlichkeit. „Schutzfunktion des Staates gegenüberseinen Bürgerinnen und Bürgern“ bedeutet nicht,Ängste durch übereilte Sicherheitsgesetzentwürfe zuschüren.

Der 9. November ist ein Tag der Nachdenklichkeit,an dem es gilt, die rechtsstaatliche Verpflichtung,wachsam auf die Einhaltung der Bürgerrechte zu ach-ten, besonders zu betonen. Die Bedrohungssituationunserer Gesellschaft ist real, aber der Gesetzgeberhat die Gratwanderung zwischen notwendigen ge-setzlichen Veränderungen und unzulässiger Ein-schränkung von Freiheitsrechten zu absolvieren. DieZivilgesellschaft ist einer immensen Belastung ausge-setzt. Es darf aber nicht geschehen, dass das, was jah-relang in den unterschiedlichsten Schubladen schlum-merte, heute als Terrorismusbekämpfungsgesetzdurchgesetzt – um nicht zu sagen: durchgezogen –wird. Eine saubere Prüfung, eine differenzierte Be-trachtung sind unabdingbar und müssen zulässigsein. Die rechtsstaatlichen Kriterien Verhältnismäßig-keit und Sinnhaftigkeit sind an Gesetzentwürfe anzu-legen und zu erfüllen.

Dass dies nicht immer der Fall ist, zeigt der Gesetz-entwurf des Landes Thüringen beispielhaft. Mit demAntrag, § 126 Strafgesetzbuch zum Verbrechen zu er-heben, wird ein überzogener, übereilter Vorschlag aufden Tisch gelegt. Eine Mindeststrafe von einem Jahrfestzusetzen, den Paragrafen mithin zum Verbrechenzu erheben, ist sogar in hohem Maße kontraproduktiv.Sie verstellen damit der Praxis, den Staatsanwalt-schaften und den Gerichten, den Weg, beispielsweiseüber die §§ 153 und 153 a Strafprozessordnung zueiner in Einzelfällen angemessenen Regelung zukommen oder auch diese unstreitig zu missbilligen-den Taten rechtsstaatlich im beschleunigten Verfah-ren abzuurteilen. Insofern führt die vorgelegte Än-derung der Norm weder zur Verbesserung dernotwendigen Strafverfolgung noch zu der behaupte-ten Verstärkung der generalpräventiven Wirkung.Wir haben die Praxis im Land Schleswig-Holstein ineiner Kurzumfrage zu dem Entwurf befragt und sindeinhellig darauf hingewiesen worden, dass er auchunter dem Kriterium der Beschleunigung der Straf-verfolgung schlicht überflüssig ist.

In der gegenwärtigen Zeit wird stets die Verschär-fung von Strafgesetzen gefordert, in vielen Fällen je-doch nicht einmal der Ansatz eines schlüssigen Nach-weises ihrer Notwendigkeit oder Zielgerichtetheitgeliefert. Es ist zweifellos richtig, dass die aktuelleBedrohungslage nicht mit allen gegebenen Instru-menten, auch nicht mit den Instrumenten der 70er-Jahre, zu bewältigen ist. Aber mitunter ist ein Aktio-nismus festzustellen, den ich für verfassungsrechtlichbedenklich erachte.

Auch das Sicherheitspaket II – in Anführungszei-chen – bedarf intensiver Überprüfung und Diskussion,auch im Hinblick auf das Kleingedruckte. Festzustel-len ist, dass einige Teile des Gesetzentwurfs mehrNormenklarheit aufweisen. Die vorgesehenen Befris-tungen sind sehr zu begrüßen, nicht nachvollziehbarist, weshalb nicht alle Maßnahmen befristet wurden.In der heutigen Situation kann niemand mit Fug undRecht behaupten, die vorgelegten Maßnahmen seiennachgewiesen effizient und erfolgversprechend. Des-halb ist das Mindeste, was rechtsstaatlich geboten ist,eine Befristung aller vorliegenden Maßnahmen.

Präsident Klaus Wowereit: Herr Minister Birkmann(Thüringen).

Dr. Andreas Birkmann (Thüringen): Herr Präsident,meine Damen und Herren! Der Beitrag von KolleginLütkes veranlasst mich, zu unserem Thüringer Antrageinige Anmerkungen zu machen.

Es geht nicht darum, Aktionismus zu entfalten, son-dern darum, die Sorgen und Nöte der Bürgerinnenund Bürger ernst zu nehmen. Wir reden nicht überden Dummejungenstreich, bei dem Schüler Backpul-ver in einem Kuvert an ihren Lehrer schicken, son-dern über die Entwicklung der Ereignisse in der Folgedes 11. September. In diesen Kontext gehören dieMilzbrandfälle in den USA ebenso wie die Fälle derso genannten Trittbrettfahrer bei uns in der Bundesre-publik und weltweit.

Diese Art von Delikten hat es bisher nicht gegeben.Der neue Deliktstatbestand aus dem Umfeld des Ter-rorismus wird – unglücklicherweise – mit „Trittbrett-fahrertaten“ umschrieben, in Wirklichkeit hat er eineganz andere Dimension. Die Qualität des Deliktes hatsich verändert. Als der Gesetzgeber § 126 des Strafge-setzbuches konzipierte, hatte er gewiss nicht solcheFälle vor Augen. Sonst, Frau Kollegin Lütkes, hätte ersicherlich nicht einen Strafrahmen von bis zu dreiJahren Freiheitsstrafe oder Geldstrafe festgelegt,einen Strafrahmen, der im unteren Bereich aller De-liktstatbestände liegt. Für solch schwere Fälle hätte erbestimmt einen anderen Strafrahmen gewählt.

(V o r s i t z : Amtierender Präsident Reinhold Bocklet)

Ich halte es schon für bagatellisierend, wenn Siehier von Aktionismus sprechen und meinen, wir wür-den überziehen. Nein, wir nehmen die Sorgen undÄngste der Bürger ernst. Die Bürger fragen, wie straf-

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Heiner Bartling (Niedersachsen)

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rechtlich reagiert werden kann, und erwarten Ant-worten. Eine Antwort ist, dass die Strafnorm eineihrer wesentlichen Funktionen erfüllen muss, nämlichabschreckend zu wirken. Die Androhung einer Geld-strafe oder einer Freiheitsstrafe bis zu drei Jahrenwirkt aber nicht abschreckend. Deshalb muss man fürdie schweren Fälle etwas anderes konzipieren.

Ich wundere mich schon, wenn Sie, anstatt darübernachzudenken, wie wir über das Strafrecht verhin-dern können, dass potenzielle Täter solche verwerfli-chen Taten begehen, genau in die entgegengesetzteRichtung denken: Sie machen sich Sorgen, wie wirdiese Verfahren nach den §§ 153 und 153 a einstellenkönnen. Gefordert ist zu fragen: Was können wir tun,um solche Straftaten durch die Strafandrohung zuverhindern?

Ich bitte Sie, bei der Diskussion über die zukünftigeAusgestaltung der Strafnorm des § 126 zu überlegen,was wir tun können, um die Abschreckungswirkungzu erhöhen. Die potenziellen Täter müssen neben derTatsache, dass sie immense Kosten zu tragen haben,schon von der Strafdrohung her davon abgehaltenwerden, solche Straftaten zu begehen.

Wir sollten in den Ausschüssen darüber diskutieren,ob es zu einer Mindeststrafe von einem Jahr und zueinem Strafrahmen bis zu fünf Jahren kommen sollte.Wir sollten auf jeden Fall ein deutliches Zeichen set-zen. Nach Auffassung Thüringens geschieht dies miteiner Mindeststrafe von einem Jahr und einem Straf-rahmen bis zu fünf Jahren.

Amtierender Präsident Reinhold Bocklet: Ich erteileHerrn Parlamentarischen Staatssekretär Körper vomBundesministerium des Innern das Wort.

Fritz Rudolf Körper, Parl. Staatssekretär beim Bun-desminister des Innern: Herr Präsident, meine Damenund Herren! Die Bundesregierung begrüßt grundsätz-lich die Initiative der Länder zur Bekämpfung des in-ternationalen Terrorismus und Extremismus. Die Ter-roranschläge am 11. September haben allzu deutlichgemacht, mit welcher Brutalität Menschen Anschlägeverüben. Dies dürfen wir bei der Aufnahme unseresKampfes nicht vergessen.

Die letzten Wochen haben gezeigt, dass die Zusam-menarbeit in unserem föderativen Staat relativ gutfunktioniert. Gemeinsam zeigten Bund und Länderunmittelbar die notwendige Geschlossenheit, sichentschieden und solidarisch gegen die neue Bedro-hung zur Wehr zu setzen. Nicht Panikmache oder Ak-tionismus, sondern Augenmaß, Besonnenheit, aberauch Entschlossenheit standen im Vordergrund despolitischen Handelns.

Unsere gemeinsame Aufgabe ist es dabei, die be-stehenden Sicherheitssysteme zu überdenken undsie, soweit notwendig, zu verbessern, aber zugleichneue Maßnahmen vorbehaltlos zu diskutieren undgegebenenfalls umzusetzen.

(V o r s i t z : Präsident Klaus Wowereit)

Ich freue mich, dass Bund und Länder bei den Ge-sprächen auf den verschiedensten Ebenen aufeinan-

der zugegangen sind und zusammengearbeitethaben. Kollege Bartling hat beispielsweise die Innen-ministerkonferenz der vergangenen Tage angespro-chen, die ein gutes Beispiel dafür ist. Der Ent-schließungsantrag der Länder Baden-Württemberg,Hessen und Bayern sollte vor diesem Hintergrund be-raten werden.

Die Bundesregierung sieht im Übrigen, ähnlich wieim Entschließungsantrag vorgesehen, Änderungsbe-darf im Ausländerrecht. Es kann nicht sein, dass den Si-cherheits- oder Ausländerbehörden vorliegende Infor-mationen z. B. bei der Visaerteilung unberücksichtigtbleiben. Hier bedarf es einer intensiveren Einbezie-hung der Auslandsvertretungen in die Entscheidung.

Identitätssichernde Möglichkeiten, wie Fingerab-druck, Lichtbilder oder Sprachaufzeichnungen, unddie Verbesserung der Fälschungssicherheit von Doku-menten sind Mittel, denen auch im Ausländerrechtgrößere Bedeutung eingeräumt werden muss.

Ausländer, die menschenverachtende Terroran-schläge öffentlich billigen oder begrüßen, zeigen,dass sie die elementaren Grundlagen unserer Werte-und Rechtsordnung nicht respektieren oder sogarbekämpfen. Die Bundesregierung ist fest entschlos-sen, darauf ausländerrechtlich im Rahmen des Mögli-chen angemessen zu reagieren.

Zu diesen Reaktionen gehört zwingend die Stär-kung unserer Sicherheitsbehörden. Hierzu müssenihnen die notwendigen rechtlichen und sachlichenMittel an die Hand gegeben werden, um der jeweili-gen Lage angemessen reagieren zu können. Die Bun-desregierung und die Länder – ich meine alle Länder –liegen hier im Grundsätzlichen nicht auseinander,was die vorliegende Entschließung bestätigt.

Einen wichtigen Punkt bilden die in der Ent-schließung aufgegriffenen Maßnahmen des Katastro-phenschutzes und der zivilen Verteidigung. Sie magman vordergründig als Aufgaben betrachten, für dieausschließlich die Länder und Kommunen zuständigsind. Aber der Bund sieht sich veranlasst, sich als Ko-ordinator stärker einzubringen; denn das vertrauteRaster – Zuständigkeit des Bundes für den Verteidi-gungs- oder Spannungsfall, Zuständigkeit der Länderfür den Katastrophenfall – passt angesichts der aktu-ellen Sicherheitslage nicht mehr eindeutig. Es gilt tra-dierte Bund-Länder-Grenzen zu überwinden und denEinsatz der Ressourcen in den Ländern und im Bundbesser zu koordinieren, auch um angemessen auf in-ternationale Verpflichtungen reagieren zu können.Ich bin zuversichtlich – das haben auch die jüngstenGespräche im zuständigen Arbeitskreis V der Innen-ministerkonferenz deutlich gemacht –, dass die Betei-ligten sensibilisiert sind. Die Vorschläge im Ent-schließungsentwurf werden dabei eine wertvolleHilfe sein.

Zu den skizzierten Bereichen hat das Bundesmi-nisterium des Innern dem Kabinett am 7. Novembereinen Gesetzentwurf vorgelegt, der im Wesentlichendie Arbeit der Sicherheitsbehörden – BKA-Gesetz,BGS-Gesetz, Bundesverfassungsschutzgesetz – be-trifft, Änderungen im Ausländergesetz, Asylverfah-rensgesetz und Ausländerzentralregistergesetz ent-

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Dr. Andreas Birkmann (Thüringen)

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hält sowie Erweiterungen im Passgesetz und im Ge-setz über Personalausweise zum Gegenstand hat.

Ich darf insbesondere dem neuen Ersten Bürger-meister der Stadt Hamburg empfehlen, sich ein biss-chen intensiver mit diesen Vorschlägen auseinanderzu setzen, bevor er hier erneut mit einer aus meinerSicht relativ oberflächlichen Kritik ans Mikrofon tritt.Ich halte eine solche plakative Kritik für nicht ange-bracht. Sie wird dem Problem nicht gerecht. Ichwürde mich freuen, wenn die Vertreter Hamburgs zu-gehört hätten und dies dem Ersten Bürgermeisterweitergäben.

Meine Damen und Herren, heute wird im Bundes-tag das Paket zur Finanzierung weiterer Maßnahmenim Bereich der inneren Sicherheit beschlossen. Ichverspreche mir davon wichtige konkrete Schritte.

Was unsere gemeinsamen Interessen auf der Ebeneder EU betrifft, stelle ich fest, dass im Bereich innereSicherheit alle an einem Strang ziehen. Die Heraus-forderungen sind nicht nur auf nationaler Ebene zumeistern, sie werden vielmehr als gemeinschaftlicheAufgabe betrachtet. Die Bundesregierung wird beider Diskussion über den europäischen Maßnahmen-katalog ein gewichtiges Wort mitreden.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zumSchluss die Gelegenheit nutzen, den Ländern für dievertrauensvolle Zusammenarbeit in dieser ange-spannten Situation ausdrücklich zu danken. MeinDank richtet sich insbesondere an die vielen Kollegin-nen und Kollegen in den unterschiedlichsten Behör-den, ohne die wir unsere gemeinsame Aufgabe zumSchutze unserer Bürgerinnen und Bürger nicht erfül-len könnten.

Präsident Klaus Wowereit: Weitere Wortmeldungenliegen nicht vor.

Je eine Erklärung zu Protokoll*) geben Herr Staats-minister Zuber (Rheinland-Pfalz), Herr Minister Ziel(Brandenburg) für Ministerpräsident Dr. Stolpe undHerr Minister Köberle (Baden-Württemberg).

Wir kommen zur Abstimmung.

Wir beginnen mit Punkt 13 a), dem Gesetzentwurfzur Änderung des Sozialdatenschutzes.

Die Ausschussberatungen sind noch nicht abge-schlossen. Bayern hat jedoch beantragt, bereits heutein der Sache zu entscheiden. Wer also für sofortigeSachentscheidung ist, den bitte ich um das Handzei-chen. – Das ist eine Minderheit.

Die Ausschussberatungen werden somit fortge-setzt.

Wir kommen zu Punkt 13 b), der Entschließung zurErgänzung der Verwaltungsvorschrift zum Staatsan-gehörigkeitsrecht.

Der Innenausschuss hat seine Beratungen nochnicht abgeschlossen. Bayern hat jedoch beantragt, be-reits heute in der Sache zu entscheiden. Wer also für

eine sofortige Sachentscheidung ist, den bitte ich umdas Handzeichen. – Das ist die Mehrheit.

Dann frage ich, wer für die Annahme der Ent-schließung ist. – Das ist auch die Mehrheit.

Damit ist die Entschließung gefasst.

Wir fahren fort mit Punkt 13 c), der Entschließungzur Bekämpfung des internationalen Terrorismus.

Hierzu liegen Ihnen die Empfehlungen der Aus-schüsse in Drucksache 807/2/01 und ein neuer AntragBrandenburgs in Drucksache 807/3/01 vor.

Der federführende Ausschuss für Innere Angele-genheiten empfiehlt, die Entschließung mit einer Er-gänzung zu fassen, die dem alten Antrag Branden-burgs in Drucksache 807/1/01 entspricht, der damiterledigt ist. Der Rechtsausschuss empfiehlt, die Ent-schließung unverändert anzunehmen. Der Finanzaus-schuss empfiehlt, die Entschließung nicht zu fassen.Die übrigen beteiligten Ausschüsse haben ihre Bera-tungen noch nicht abgeschlossen.

Baden-Württemberg hat jedoch die sofortigeSachentscheidung beantragt. Wer dafür ist, bereitsheute in der Sache zu entscheiden, den bitte ich umdas Handzeichen. – Das ist die Mehrheit.

Dann verfahren wir so.

Ich rufe zunächst den Antrag Brandenburgs inDrucksache 807/3/01 auf. Wer stimmt zu? – Das ist dieMehrheit.

Nun bitte ich um das Handzeichen zu Ziffer 1 derAusschussempfehlungen. – Das ist eine Minderheit.

Dann frage ich: Wer stimmt der Entschließung inder soeben festgelegten Fassung zu? – Das ist dieMehrheit.

Damit ist die Entschließung angenommen.

Ich komme zu Punkt 50, dem Entwurf eines Tritt-brettfahrergesetzes – Antrag des Freistaates Thürin-gen.

Ich weise die Vorlage dem Rechtsausschuss – feder-führend – sowie dem Ausschuss für Innere Angele-genheiten – mitberatend – zu.

Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 14:

Entwurf eines Gesetzes zur Rücknahme derweiteren Erhöhungsstufen bei der ökologi-schen Steuerreform – Antrag der LänderBaden-Württemberg und Hessen – Antrag desLandes Baden-Württemberg gemäß § 23 Abs. 3i.V.m. § 15 Abs. 1 GO BR – (Drucksache 526/01)

Dem Antrag der Länder Baden-Württemberg undHessen ist der Freistaat Thüringen beigetreten.

Es gibt eine Wortmeldung von Minister Stratthaus(Baden-Württemberg).

Gerhard Stratthaus (Baden-Württemberg): HerrPräsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren!In der Steuerrechtswissenschaft gibt es ein geflügel-tes Wort, die so genannte Canard’sche Steuerregel.Sie heißt: „Jede alte Steuer ist gut, jede neue Steuerist schlecht.“ Wenn diese Regel nicht schon 200 Jahre

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Parl. Staatssekretär Fritz Rudolf Körper

*) Anlagen 6 bis 8

Bundesrat – 769. Sitzung – 9. November 2001614

alt wäre, könnte man meinen, sie sei für die Ökosteu-er erfunden worden.

Die Ökosteuer ist eines der Kernstücke der Steuer-politik der rotgrünen Koalition; aber sie hält eindeutignicht das, was sich ihre Mütter und Väter von ihr ver-sprochen haben. Im Gegenteil, sie übertrifft die Be-fürchtungen, die wir schon immer gehegt haben.

Die Idee hat ohne Zweifel einen gewissen Charme:Durch die Verteuerung von Energie soll die Renten-kasse entlastet, gleichzeitig sollen Umwelt und Ar-beitsmarkt gefördert werden. In der Zwischenzeit hatsich allerdings gezeigt: Diese Rechnung geht nichtauf, weder bei der Umwelt noch am Arbeitsmarkt.

Ich glaube, die Bundesregierung bereut längst dieAnkündigung, dass sie sich an der Reduzierung derZahl der Arbeitslosen messen lassen möchte. Längstspricht auch niemand mehr von dem Ziel, die Lohn-nebenkosten auf unter 40 % zu senken. Man ist froh,wenn sie nicht noch weiter steigen. Um dies zu errei-chen, wird sogar darüber nachgedacht, die gesetzlichvorgeschriebene Schwankungsreserve der Renten-kasse zu vermindern. Rechnet man die milliarden-schwere Subvention durch die Ökosteuereinnahmenaus der Rentenkasse heraus, wird die Dramatik derEntwicklung erst richtig deutlich.

Immer klarer wird auch der eigentliche Sinn undZweck der Ökosteuer, nämlich die finanzielle Stüt-zung der Rentenkasse. Gerade die Verknüpfung mitder Rentenversicherung bedeutete von Beginn an diegrößte Hypothek für eine durchgreifende umweltpoli-tische Wirkung der Ökosteuer. Denn bei einer Öko-steuer, die als Anreiz zu Energieeinsparung gedachtwar, sollte mit einer Verringerung des Aufkommensgerechnet werden können. Dann kann das Aufkom-men aus dieser Steuer gerade nicht als fester Einnah-meposten für die Finanzierung der Rentenversiche-rung herangezogen werden, es sei denn, manbeabsichtigt, die Steuersätze kontinuierlich zu stei-gern. Seit der Einführung der Ökosteuer weisen wirauf Bundes- und auf Landesebene auf diesen System-fehler der Ökosteuer hin: den finanzpolitischenGrundwiderspruch zwischen dem Ziel der ökologi-schen Lenkungswirkung auf der einen Seite und derdauerhaften Aufkommenserzielung auf der anderenSeite.

Die vielfältigen Steuersatzermäßigungen und Aus-nahmetatbestände, z. B. für das produzierende Ge-werbe, gewinnen angesichts einer Erhöhung des Re-gelsteuersatzes weiter an Bedeutung. Dabei sind esinsbesondere die Ausnahmetatbestände, die den um-weltpolitischen Anspruch der Ökosteuer seit ihremBestehen in Frage stellen.

Die nächste Erhöhungsrunde wird den sozialpoliti-schen Grundfehler der Ökosteuer vergrößern: DieEnergieverteuerung trifft alle, auch diejenigen, dienicht der gesetzlichen Sozialversicherung angehörenund durch eine Senkung der Rentenbeiträge nichtentlastet werden. Sozialhilfeempfänger, Rentner, Stu-denten, Hausfrauen, Selbstständige und Beamte müs-sen die höheren Energiekosten zahlen, spüren abervon der Entlastung nichts. Auf die im Januar 2002 undim Jahr 2003 vorgesehenen Erhöhungsstufen mussdeswegen ersatzlos verzichtet werden!

Die Ökosteuer hat dazu beigetragen, dass der Ben-zinpreis historische Höhen erreicht hat. Damit wirdden Bürgern Kaufkraft entzogen und die Binnenkon-junktur geschwächt.

Gerade die volkswirtschaftlichen Aspekte solltenbesonders wichtig sein. Die Ökosteuer ist im deut-schen Alleingang eingeführt worden, der ohne Fragedem Wirtschaftsstandort Deutschland schadet. Es istnicht gelungen, in Europa eine Gesetzeslage zu errei-chen, wonach die Ökosteuer in allen Ländern in un-gefähr gleicher Weise gilt.

Zu den strukturellen Problemen kommen aktuellekonjunkturelle Probleme hinzu. Auch wenn mannicht der Ansicht ist, dass Deutschland am Randeeiner Rezession steht – unsere Konjunktur ist so labil,dass sie keine weiteren Tiefschläge gebrauchen kann.Die Rücknahme der weiteren Erhöhungsstufen abdem 1. Januar 2002 wäre deswegen ein bedeutsamesSignal, mit dem Deutschland international Flagge zei-gen und seine Verantwortung für die Konjunktur zumAusdruck bringen könnte.

Wir sollten Folgendes nicht vergessen: Deutschlandwar, was die Konjunkturpolitik betrifft, in Europajahrzehntelang die Lokomotive. Heute ist Deutsch-land innerhalb Europas das Schlusslicht.

Eine zentrale Ursache für die allgemeine Wachs-tumsschwäche Deutschlands ist nach Aussage inter-nationaler Beobachter der Mangel an Reformwillenoder auch Reformfähigkeit. Es sollte uns schon zudenken geben, wenn die EU-Kommission – in derWortwahl zwar sehr zurückhaltend, inhaltlich abersehr deutlich – feststellt: „Es gibt in Deutschland dasRisiko, dass das Wachstum ohne Reform des Arbeits-markts und der Transfersysteme verhalten bleibt.“

Auch in dieser Hinsicht sind die weiteren Er-höhungsstufen der ökologischen Steuerreform kon-traproduktiv. Sie verschleiern den dringenden Re-formbedarf, weil steuerfinanzierte Geldmittel in diesozialen Sicherungssysteme gepumpt werden, dieansonsten noch mehr aus dem Ruder laufen würden.Die Ökosteuer ist somit Teil des fehlenden Muts derBundesregierung, die schon heute erforderlichen undangesichts der demografischen Entwicklung nochdringender werdenden Reformen anzupacken.

Ich befürchte, dass der Finanzierungsbedarf unse-rer Systeme der sozialen Sicherung eine Eigendyna-mik entwickelt, weil die Steuern eben nicht aus um-weltpolitischen Gründen, sondern zur Finanzierungder sozialen Sicherung erforderlich sind. Geht dasAufkommen der Ökosteuer – aus welchem Grundauch immer – einmal zurück, muss jene ohne Zweifelaus anderen Steuern erfolgen.

Wie wenig die Ökosteuer den klimapolitischen An-forderungen genügt, geht aus einer anderen Betrach-tung hervor. Die Ökosteuer orientiert sich nicht amCO2-Ausstoß, sondern am Energieträger. Eine TonneCO2 hat jedoch den gleichen Umwelteffekt, unabhän-gig davon, ob sie aus Motorenbenzin oder aus Kohlestammt. Also: Die Ökosteuer lässt sich klimapolitischin keiner Weise begründen.

Baden-Württemberg schlägt den Verzicht auf diebeiden noch ausstehenden Erhöhungsstufen der

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Gerhard Stratthaus (Baden-Württemberg)

Bundesrat – 769. Sitzung – 9. November 2001 615

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Ökosteuer vor. Damit könnte eine Verschärfung der vorgetragenen Unzulänglichkeiten des Konzepts ver-hindert und insbesondere die mit der nächsten Öko-steuerstufe ab 1. Januar 2002 drohende Belastung deskonjunkturellen Klimas abgewendet werden. Dieswäre sowohl ein konjunkturpolitisches Zeichen alsauch ein Gebot der wirtschaftspolitischen Vernunft.

Ich appelliere besonders an die SPD-regierten Län-der: Verschließen Sie sich nicht vernünftiger ökologi-scher und ökonomischer Einsicht!

Präsident Klaus Wowereit: Eine Erklärung zu Pro-tokoll*) gibt Staatsminister Tillich (Sachsen). – Weite-re Wortmeldungen sehe ich nicht.

Wir kommen zur Abstimmung. Die Ausschussbera-tungen haben noch nicht stattgefunden. Es ist darumgebeten worden, bereits heute in der Sache zu ent-scheiden. Wer ist hierfür? – Das ist die Mehrheit.

Wer ist dann für die Einbringung des Gesetzent-wurfs? – Das ist eine Minderheit.

Ich stelle fest, dass der Bundesrat beschlossen hat,den Gesetzentwurf beim Deutschen Bundestagn i c h t einzubringen.

Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 49:

Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Bun-dessozialhilfegesetzes – Antrag der LänderBaden-Württemberg, Bayern, Saarland, Sach-sen, Thüringen gemäß § 36 Abs. 2 GO BR –(Drucksache 919/01)

Minister Dr. Repnik (Baden-Württemberg).

Dr. Friedhelm Repnik (Baden-Württemberg): HerrPräsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!Zum Jahresende 2000 waren im Bundesgebiet 2,7 Mil-lionen Menschen auf Sozialhilfe angewiesen. Nahezuein Drittel aller Empfänger ist im erwerbsfähigen Alterund arbeitet trotzdem nicht. Einerseits hat sich diedurchschnittliche Verweildauer in der Sozialhilfe inden letzten Jahren deutlich erhöht, andererseits ist dieZahl der Sozialhilfeempfänger zurückgegangen. Ichmeine: Hier besteht dringender Handlungsbedarf.

Mit markigen Sprüchen immer wieder aufs Neuediese Situation anzuprangern bringt uns keinenSchritt weiter. Stattdessen brauchen wir konkreteVorschläge und Initiativen. Die ursprüngliche Zielset-zung der Sozialhilfe ist es doch, Menschen in Not-lagen zu helfen, wieder ein Leben ohne Hilfe führenzu können. Konkret bedeutet dies, dass die aktivie-renden und fördernden Hilfen zu verstärken und aus-zubauen sind. Es geht vor allem darum, Leistung undGegenleistung des Hilfeempfängers künftig engermiteinander zu verknüpfen. Arbeitsanreize undSanktionen bei Arbeitsverweigerung müssen ineinem ausgewogenen Verhältnis zueinander stehen.Wir müssen das Schlagwort „Fördern und Fordern“auch im Bereich der Sozialhilfe mit Inhalt ausfüllen.

Nach meiner Überzeugung erreichen wir damitzwei Ziele: Erstens helfen wir den Leistungsempfän-gern bei der Wiedereingliederung in das Arbeits-leben, zweitens erhöhen wir bei der Bevölkerung dieAkzeptanz für das Instrument der Sozialhilfe.

Die Länder Baden-Württemberg, Bayern, Saarland,Sachsen und Thüringen haben einen gemeinsamenEntwurf zur Änderung des BSHG erarbeitet, der dasgeltende Sozialhilferecht konsequent in diese Rich-tung weiterentwickelt. Die vier Eckpfeiler des Gesetz-entwurfs sind:

Arbeit soll sich lohnen. Das von Baden-Württem-berg und Hessen in Modellen erprobte „Einstiegs-geld“ wird als eine Variante des Kombilohns gesetz-lich verankert. Nimmt ein Hilfeempfänger auseigener Initiative eine Arbeit im Niedriglohnbereichauf, soll das Sozialamt künftig mehr Spielraum haben,den Arbeitsverdienst nicht voll, sondern maximal biszur Hälfte auf die Sozialhilfe anzurechnen. Der Hilfe-empfänger verfügt so über ein deutlich höheres Ein-kommen als ein Hilfeempfänger, der nicht arbeitet. Esentsteht ein zusätzlicher Anreiz, der sich, wie Baden-Württemberg beweisen kann, für beide Seiten rech-net. Wir leisten damit einen Beitrag zu einer Gesamt-strategie, die statt Arbeitslosigkeit die Integration inden Arbeitsmarkt finanziert.

Zweiter Punkt: Neben verstärkten Arbeitsanreizenhalten wir es für notwendig, das vorhandene Sank-tionsinstrumentarium „praxistauglich“ zu machen undzu verbessern.

Zwar ist jeder erwerbsfähige Hilfeempfänger nachgeltendem Recht verpflichtet, sich um Arbeit zubemühen. Die Kürzungsmöglichkeit nach § 25 BSHGbei Arbeitsverweigerung greift aber nur dann, wenndas Sozialamt dem Hilfesuchenden nachweisen kann,dass er ein konkretes Arbeitsangebot nicht genutzthat. Nicht eindeutig geregelt ist der Fall, dass sich einarbeitsfähiger Hilfeempfänger selbst nicht aktiv umArbeit bemüht und ihm weder die Arbeits- noch dieSozialverwaltung eine konkrete Stelle anbieten kön-nen.

Künftig soll der Hilfeempfänger gegenüber dem So-zialamt dezidiert nachweisen müssen, wann, wo undwie oft er sich um eine Arbeitsstelle beworben hat.Kommt er dieser Verpflichtung nicht nach, ist dieHilfe zu kürzen oder notfalls ganz zu streichen. Klargeregelt werden soll nun auch, dass die Hilfe so langegekürzt oder ganz eingestellt werden kann, bis derHilfesuchende seine Verweigerungshaltung aufgibt.Sozialhilfemissbrauch kann damit und durch einekonsequente Heranziehung zur Arbeit wirkungsvolleingedämmt werden.

Drittens: Verpflichtung zur Qualifikation. Wir wis-sen doch alle: Die Chancen am Arbeitsmarkt stehenund fallen mit der Qualifikation. Keine Ausbildung zuhaben stellt eine immer schwerer zu überwindendeHürde am Arbeitsmarkt dar. Dem ist auch in der So-zialhilfe Rechnung zu tragen. Deshalb wollen wir dieArbeitsverpflichtung erwerbsfähiger Hilfeempfängerum die Verpflichtung ergänzen, erforderlichenfallseine Ausbildung aufzunehmen oder an beruflichenWeiterbildungsmaßnahmen teilzunehmen. Darüber

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Gerhard Stratthaus (Baden-Württemberg)

*) Anlage 9

Bundesrat – 769. Sitzung – 9. November 2001616

hinaus sollen ausländische Hilfesuchende, die diedeutsche Sprache nicht beherrschen, dazu gezwun-gen werden können, an Sprachkursen teilzunehmen.

Viertens. Ein weiterer Schwerpunkt ist die Veranke-rung der persönlichen Hilfe und Beratung. EffektiveHilfe darf sich nicht darauf beschränken, dem Hilfe-empfänger monatlich einen Scheck zu überreichenund ihn ansonsten seinem Schicksal zu überlassen.Durch eine intensive Beratung sollen Wege aus derSozialhilfe heraus gefunden werden. Dazu gibt esmehrere Möglichkeiten. Mit dem „Lübecker Modell“konnte schon Richtiges und Wichtiges auf den Weggebracht werden. Gezielt und konsequent soll mitdem Hilfeempfänger bereits bei der Antragstellungeine verbindliche Vereinbarung zur Überwindungseiner Sozialhilfebedürftigkeit getroffen werden.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassenSie uns über die notwendigen Reformen im Sozialhil-ferecht nicht länger nur reden, sondern endlich han-deln – nicht erst in der nächsten Periode! Die Punkte,die ich genannt habe und die im Gesetzentwurf auf-geführt sind, werden auch von den Kommunen immerwieder eingefordert. Ich bin mir sicher, dass wir mitunseren Vorschlägen auf dem richtigen Weg sind.

Ich bitte Sie um Zustimmung zu unserer Initiativeim weiteren Verlauf des Verfahrens. – Ich bedankemich.

Präsident Klaus Wowereit: Weitere Wortmeldungenliegen nicht vor.

Ich weise die Vorlage folgenden Ausschüssen zu:dem Ausschuss für Arbeit und Sozialpolitik – feder-führend – sowie dem Ausschuss für Familie und Se-nioren, dem Ausschuss für Frauen und Jugend, demFinanzausschuss, dem Ausschuss für Innere Angele-genheiten und dem Ausschuss für Kulturfragen – mit-beratend.

Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 15:

Entschließung des Bundesrates zum Verbotder Pelztierhaltung – Antrag des LandesSchleswig-Holstein – (Drucksache 766/01)

Es liegt eine Wortmeldung von Minister Müller(Schleswig-Holstein) vor.

Klaus Müller (Schleswig-Holstein): Sehr geehrterHerr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren!Tierschutz ist seit Jahren ein wesentliches Anliegender Schleswig-Holsteinischen Landesregierung. Ichbin mir sicher, dass es von vielen, wenn nicht denmeisten Landesregierungen geteilt wird. Für uns allegilt es, sich auch weiterhin für eine konsequente undstetige Verbesserung der gesetzlichen Rahmenbedin-gungen, unter denen Tiere gehalten oder auch nichtgehalten werden dürfen, einzusetzen.

In den vergangenen Jahren hat es auf dem Gebietdes Tierschutzes eine erfreuliche Wendung zum Posi-tiven gegeben. Zum Teil wurden die Haltungsbedin-gungen für Tiere verbessert und die Überwachungs-möglichkeiten der Behörden gestärkt. Erst vor dreiWochen wurden an dieser Stelle die Rahmenbedin-

gungen für eine artgerechte Hennenhaltung be-schlossen. Der Bundesregierung wurde damit dieMöglichkeit gegeben, der tierquälerischen Käfigbat-teriehaltung ein absehbares Ende zu setzen.

Möglich wurde dies nicht zuletzt durch das gestei-gerte öffentliche Bewusstsein für die Anliegen desTierschutzes. In Deutschland gibt es mittlerweile über600 Tierschutzvereine und weit über 2 Millionen or-ganisierte Tier- und Artenschützer. Die Menschensind zunehmend nicht mehr bereit, Formen der Tier-haltung zu akzeptieren, die Tiere auf Rohstoffliefe-ranten für möglichst billige Produkte reduzieren. DasTier wird zunehmend als Mitgeschöpf wahrgenom-men, das vor vermeidbaren Schmerzen oder Leidenzu schützen ist.

Im Vordergrund der Politik muss die ethische Ver-pflichtung des Menschen stehen, Rahmenbedingun-gen zu schaffen, die dies gewährleisten. Das bedeutetinsbesondere, dass die Lebensbedingungen von Tie-ren so verbessert werden, dass ein jeweils artgerech-tes Verhalten möglich ist. Es kann aber auch bedeu-ten, dass wir auf die Haltung bestimmter nichtdomestizierter Tierarten verzichten müssen, weilihre artgerechte Haltung nicht möglich ist.

Mit dem Entschließungsantrag des Landes Schles-wig-Holstein, über den wir beraten, haben wir die Initiative zur Änderung des Tierschutzgesetzes mitdem Ziel des Verbotes der Pelztierhaltung ergriffen.Bewusst haben wir uns gegen den Erlass einer Hal-tungsverordnung für Pelztiere entschieden, und zwaraus folgenden Gründen:

Im Grundsatzparagrafen des Tierschutzgesetzesheißt es: „Niemand darf einem Tier ohne vernünf-tigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zu-fügen.“ Für den Bereich der Tierhaltung wird dieserGrundsatz dahin gehend konkretisiert, dass Tiere sozu halten sind, dass sie ihre Bedürfnisse, insbesondereihre Bewegungs- und Beschäftigungsbedürfnisse, je-weils art- und verhaltensgerecht befriedigen können.

Die Haltung von Pelztieren ist in der Vergangenheitmit der Begründung gerechtfertigt worden, Pelztiereseien hinreichend domestiziert, deshalb sei die Pelz-tierzucht unter Bedingungen der Käfighaltung nichtgrundsätzlich abzulehnen. Nach den vorliegendenbiologischen und ethologischen Erkenntnissen mussjedoch angezweifelt werden, dass unter Gefangen-schaftsbedingungen eine art- und verhaltensgerechteHaltung von Pelztieren möglich ist. Dies gilt vor allemfür den üblichen, also artgerechten Bewegungsradiusdieser Wildtiere.

Der von Bayern vorgeschlagene Erlass einer Hal-tungsverordnung ist deshalb nicht zielführend undträgt somit den Zielen des Tierschutzgesetzes nichthinreichend Rechnung. Auch unter verbesserten Hal-tungsbedingungen würden den Wildtieren vermeid-bare Schmerzen, Leiden oder Schäden zugefügt. Inso-fern wäre dieser Schritt nur ein halber Schritt undwürde von vielen Menschen als Hinhaltetaktik zu La-sten der leidenden Kreaturen verstanden. Pelztiereleiden auf Grund ihres geringen Domestizierungsgra-des sehr viel stärker unter nicht art- und verhaltens-

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Dr. Friedhelm Repnik (Baden-Württemberg)

Bundesrat – 769. Sitzung – 9. November 2001 617

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gerechten Tierhaltungsformen als landwirtschaftlicheNutztiere, die seit Jahrtausenden von Menschen inStällen gehalten werden.

Mit den Begriffen „Art- und Verhaltensgerechtig-keit“ haben die heute üblichen Haltungsbedingun-gen für Pelztiere wirklich nichts zu tun. Pelztiere werden üblicherweise in engen Drahtkäfigen aus Git-terrosten gehalten. Auf engstem Raum werden Tiere,die sich in freier Wildbahn aus dem Wege gehen, zu-sammengepfercht. Dies ist auch deswegen unnötig,weil die Haltung von Pelztieren nicht der Deckungdes Nahrungsbedürfnisses oder eines anderenGrundbedürfnisses des Menschen dient.

Im Vordergrund der Überlegungen muss doch auchdie Frage nach dem vernünftigen Grund stehen. DieTiere, über die wir sprechen, werden ausschließlichzur Pelzgewinnung für Gegenstände gehalten undgetötet, für die alternative Materialien in ausreichen-der Menge und Vielfalt zur Verfügung stehen. Wirsollten es nicht länger zulassen, dass nicht domes-tizierte Tiere für verzichtbare Luxusartikel vermeid-baren Leiden ausgesetzt werden.

Dass die Mitverantwortung des Menschen für Tiereauch dazu führen kann, dass bestimmte Formen derTiernutzung gänzlich untersagt werden, obwohl sie,wirtschaftlich betrachtet, „interessant“ sind, wird mitder neuen Haltungsverordnung für Legehennen be-legt, die vor drei Wochen hier im Bundesrat Zustim-mung gefunden hat.

Darüber hinaus hat das Bundesverfassungsgerichtin seiner Entscheidung zur Nichtigkeit der geltendenHennenhaltungsverordnung die Entscheidungsprä-rogative des Gesetzgebers betont und ausgeführt,dass nicht jede Erwägung der Wirtschaftlichkeit vonTierhaltung aus sich heraus bereits ein „vernünftigerGrund“ im Sinne des § 1 Satz 2 Tierschutzgesetz seinkann. Das Bundesverfassungsgericht betont schließ-lich die Befugnis des Gesetzgebers, grundsätzlichüber die Frage der Zulässigkeit bestimmter Haltungs-formen zu entscheiden, wobei der Parlamentsvorbe-halt zu beachten ist.

Das von Schleswig-Holstein geforderte Verbot wirdnicht von heute auf morgen, sondern nur mit einerÜbergangsfrist möglich sein. Das ist selbstverständ-lich und wird im Gesetz zu regeln sein. Die Hennen-haltungsverordnung ist ein gutes Beispiel dafür, wiedie Interessen des Tierschutzes mit den Interessen derbetroffenen Wirtschaft vereinbart werden können.

Der Agrarausschuss des Bundesrates hat sich mehr-heitlich gegen den schleswig-holsteinischen Verbots-antrag ausgesprochen. Dabei räumt er gleichzeitigein, dass der Domestizierungsgrad von Pelztieren nursehr gering ist.

Ich bedauere die Empfehlung des Agrarausschus-ses außerordentlich, hoffe aber auf ausreichende Un-terstützung der schleswig-holsteinischen Verbots-initiative im Plenum des Bundesrates.

Sehr geehrte Damen und Herren, im Sinne einesethisch begründeten Tierschutzes möchte ich Sie bit-ten, dem als Strichdrucksache vorliegenden bayeri-schen Vorschlag für den Erlass einer Haltungsverord-

nung nicht zu folgen. Wir dürfen es nicht zulassen,dass den Wildtieren – auch bei einer Verbesserungder Haltungsbedingungen – weiterhin vermeidbareSchmerzen, Leiden oder Schäden zugefügt werden.Unseres Erachtens gibt es nach wie vor keinen ver-nünftigen Grund, an dieser aus der Sicht des Tier-schutzes nicht mehr zeitgemäßen Haltung festzuhal-ten.

Die Zeit ist reif, um den Beispielen anderer Mit-gliedstaaten der EU, in denen der Tierschutz bei wei-tem noch nicht den hohen Stellenwert wie in Deutsch-land einnimmt, zu folgen. Ich möchte in diesemZusammenhang daran erinnern, dass die Regierungvon Großbritannien bereits ein Gesetz zum Verbotder Pelztierhaltung beschlossen hat und die Nieder-lande eine entsprechende Gesetzesinitiative beab-sichtigen.

Unsere Initiative ist im schleswig-holsteinischenLandtag mit den Stimmen von vier Fraktionen be-schlossen worden – der SPD, der Grünen, der FDPund des SSW. Der Bundesrat sollte diese tierschutz-politisch wichtige und richtige Entwicklung ermög-lichen. Ich bitte Sie daher, nicht für die Empfeh-lung des Agrarausschusses zu stimmen, sondern dem schleswig-holsteinischen Entschließungsantragfür ein Verbot der Pelztierhaltung in unveränderterForm zuzustimmen. – Vielen Dank für Ihre Aufmerk-samkeit.

Präsident Klaus Wowereit: Weitere Wortmeldungenliegen mir nicht vor.

Der Agrarausschuss empfiehlt in Drucksache766/1/01, die Entschließung in einer Neufassunganzunehmen. Wer für die Neufassung der Ent-schließung ist, den bitte ich um das Handzeichen. –Das ist die Mehrheit.

Dann ist so beschlossen.

Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 16:

Entschließung des Bundesrates zum Standortder Behörde für Lebensmittelsicherheit derEuropäischen Union – Antrag des LandesBaden-Württemberg gemäß § 23 Abs. 3 i.V.m. § 15 Abs. 1 und § 36 Abs. 2 GO BR – (Drucksa-che 857/01)

Wortmeldungen liegen nicht vor. – Eine Erklärungzu Protokoll*) gibt Minister Köberle (Baden-Würt-temberg).

Wir kommen zur Abstimmung. Ausschussbera-tungen haben noch nicht stattgefunden. Baden-Würt-temberg hat aber beantragt, bereits heute in derSache zu entscheiden. Wer für sofortige Sachentschei-dung ist, den bitte ich um das Handzeichen. – Das isteine Minderheit.

Zur weiteren Beratung überweise ich die Vorlagedem Ausschuss für Fragen der Europäischen Union – federführend – und dem Agrarausschuss – mitbera-tend.

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Klaus Müller (Schleswig-Holstein)

*) Anlage 10

Bundesrat – 769. Sitzung – 9. November 2001618

Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 48:

Entschließung des Bundesrates zur Verlänge-rung der Antragsfristen des StrafrechtlichenRehabilitierungsgesetzes (StrRehaG), des Ver-waltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes(VwRehaG) und des Beruflichen Rehabilitie-rungsgesetzes (BerRehaG) sowie der Frist nach§ 60 des Bundesausbildungsförderungsgeset-zes (BAföG) – Antrag der Freistaaten Thürin-gen, Sachsen gemäß § 36 Abs. 2 GO BR –(Drucksache 875/01)

Dem Antrag der Freistaaten Thüringen und Sach-sen ist das Land Sachsen-Anhalt beigetreten.

Es gibt eine Wortmeldung von Minister Gnauck(Thüringen).

Jürgen Gnauck (Thüringen): Herr Präsident! Meinesehr verehrten Damen und Herren! Vor wenigen Mo-naten hat der Bundesrat das Zweite Gesetz zur Ände-rung und Ergänzung des Anspruchs- und Anwart-schaftsüberführungsgesetzes verabschiedet. Durchdie Anrufung des Vermittlungsausschusses war es unsgelungen, für die Opfer des SED-Regimes einige Ver-besserungen zu erreichen. Allerdings war uns schonbei der Verabschiedung klar, dass die Verbesserun-gen zum rentenrechtlichen Nachteilsausgleich nurein Schritt zu mehr Gerechtigkeit für die SED-Opfersein konnten.

Seit 1992 bzw. 1994 gibt es das Strafrechtliche, dasVerwaltungsrechtliche und das Berufliche Rehabili-tierungsgesetz. Die Antragsfristen aller drei Gesetzesind mehrfach verlängert worden, zuletzt bis zum31. Dezember dieses Jahres. Wir müssen feststellen,dass erneut eine Verlängerung nötig ist.

Nach der letzten Novellierung der Rehabilitierungs-gesetze im Jahre 1999 sind die Antragszahlensprunghaft angestiegen, allein in Thüringen für Kapi-talentschädigung von 519 im Jahr 1999 auf 1 300 imJahr 2000. In diesem Jahr wurden bis zum 22. Okto-ber bereits 437 Anträge gestellt. Die Betroffenen ma-chen also weiterhin in großem Umfang von der Mög-lichkeit der Rehabilitierung und EntschädigungGebrauch. Wir gehen davon aus, dass immer nocheine beachtliche Zahl politisch Verfolgter keinen An-trag gestellt hat.

Die Bundesregierung ist frühzeitig darauf hingewie-sen worden, dass Handlungsbedarf besteht. Die Listederer, die eine Verlängerung der Antragsfristen befür-worten, ist lang. So haben im Frühjahr zwei prominen-te Vertreter der „Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur“, der Stiftungsratsvorsitzende M e c k e lsowie der Vorstandsvorsitzende E p p e l m a n n , ge-meinsam dafür plädiert, die Antragsfrist im Straf-rechtlichen Rehabilitierungsgesetz völlig aufzuheben.

Auch die Regierungen aller jungen Länder habensich gegenüber der Bundesregierung für eine Ver-längerung ausgesprochen. Die Mehrzahl der neuenLänder hat außerdem für eine Verlängerung im Ver-waltungsrechtlichen und im Beruflichen Rehabilitie-rungsgesetz plädiert.

Der Beauftragte der Bundesregierung für An-gelegenheiten der neuen Länder, StaatsministerS c h w a n i t z , erklärte am 18. Mai dieses Jahres vordem Bundestag, dass die Antragsfrage offen sei undnoch in diesem Jahr behandelt werden müsse.

Bereits im Sommer – am 22. Juni – haben Thüringenund Sachsen im Bundesrat von der Bundesregierunggefordert, die auslaufenden Fristen im 1. und 2. SED-Unrechtsbereinigungsgesetz zu verlängern.

Sehr spät, nämlich in dieser Woche, haben sich dieBundestagsfraktionen von SPD und Bündnis 90/DieGrünen dazu entschlossen, den Entwurf eines Geset-zes zur Änderung des Strafrechtlichen Rehabilitie-rungsgesetzes einzubringen. Diese Gesetzesinitiativegreift jedoch zu kurz. Entgegen unserem Anliegensoll die Antragsfrist nur des Strafrechtlichen Rehabili-tierungsgesetzes verlängert werden. Das reicht ausunserer Sicht nicht aus.

Sowohl die Erfahrungen der Rehabilitierungsbehör-den als auch die Berichte der Beratungsstellen derOpferverbände zeigen, dass zahlreiche Betroffeneimmer noch keine ausreichende Kenntnis von denMöglichkeiten der Rehabilitierung und ihrer An-spruchsberechtigung besitzen. Wir benötigen alsonach wie vor Zeit für Information und Beratung,zumal viele potenzielle Antragsteller durch die kom-plizierten Formulare und das komplizierte Verfahrenschlichtweg überfordert sind.

Übrigens häufen sich inzwischen Anfragen und An-träge auch aus den alten Ländern. Dort glaubtenviele Betroffene, keine Ansprüche mehr zu besitzen,weil sie bereits in der alten Bundesrepublik eine ge-wisse Entschädigung erhalten haben.

Aus all diesen Gründen hat die Konferenz der Lan-desbeauftragten für die Stasi-Unterlagen einen Ap-pell an die Bundesregierung und die im Bundestagvertretenen Parteien gerichtet. Die Konferenz forderteine Verlängerung der Fristen für alle drei Rehabili-tierungsgesetze und für § 60 des Bundesausbildungs-förderungsgesetzes. Kommt es nicht zu einer Frist-verlängerung in allen Rehabilitierungsgesetzen, wirddies bei den Verfolgten des DDR-Regimes zu erneuterEnttäuschung und Verbitterung führen.

Der Gesetzentwurf der Fraktion der FDP vom30. Mai dieses Jahres sieht eine Fristverlängerung inallen drei Rehabilitierungsgesetzen um zwei Jahrevor. In der ersten Lesung haben die Bundestagsfrak-tionen einvernehmlich eine erneute Verlängerung imBereich der strafrechtlichen Rehabilitierung für not-wendig erachtet, um Härten für die Opfer der SED-Diktatur zu vermeiden. Unterschiedliche Positionengab es hinsichtlich der beruflichen und der verwal-tungsrechtlichen Rehabilitierung.

Nach unserer Auffassung muss die im Kern vor-dringlichste Verlängerung nach dem StrafrechtlichenRehabilitierungsgesetz auf das Verwaltungsrechtlicheund das Berufliche Rehabilitierungsgesetz ausge-dehnt werden, weil nur so eine einheitliche Handha-bung und vor allem Rechtssicherheit und Rechtsan-gleichung für die Betroffenen zu gewährleisten sind.Unterschiedliche Fristregelungen in Gesetzeswerken

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Präsident Klaus Wowereit

Bundesrat – 769. Sitzung – 9. November 2001 619

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mit gleichem Adressatenkreis müssen unbedingt ver-mieden werden; sie verwirren nur.

Hinzu kommt, dass viele Betroffene noch nicht wis-sen, dass sie unter die Regelungen des Beruflichenund des Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsge-setzes fallen. So wird ihnen häufig erst bei der Ren-tenberechnung deutlich, dass sie durch die Verfol-gungsmaßnahmen Lücken im Versicherungsverlaufhaben, die durch das Berufliche Rehabilitierungsge-setz ausgeglichen werden können. Die Rentenversi-cherungsträger können zwar bis zum Jahre 2006 auchnach Ablauf der Antragsfrist berufliche Benachteili-gungen ausgleichen; nicht mehr möglich wäre nachheutiger Gesetzeslage, dass ein ehemaliger politi-scher Häftling dann auch noch einen Erstantrag aufKapitalentschädigung stellt. Wir möchten keinemehemaligen politischen Häftling erklären müssen,dass dieser Teil einer Wiedergutmachung aus Frist-gründen nicht mehr möglich ist.

Deshalb appelliere ich eindringlich an Sie, meinesehr verehrten Damen und Herren, die Verlängerungder Antragsfristen zu unterstützen. Sie geben damitden Betroffenen die Chance, weiterhin ideelle undmaterielle Genugtuung für Unrecht zu erhalten, dasihnen von der kommunistischen Diktatur in der DDRzugefügt wurde.

Ich bitte Sie, unserem Entschließungsantrag bereitsheute zuzustimmen, damit er bei der weiteren Bera-tung im Deutschen Bundestag Berücksichtigung fin-den kann. Wir alle wissen: Die Beratungen müssennoch in diesem Jahr erfolgreich abgeschlossen wer-den. – Vielen Dank.

Präsident Klaus Wowereit: Weitere Wortmeldungenliegen nicht vor.

Die antragstellenden Länder möchten, dass bereitsheute in der Sache entschieden wird. Wer für die so-fortige Sachentscheidung ist, den bitte ich um dasHandzeichen. – Das ist die Mehrheit.

Wer dafür ist, die Entschließung zu fassen, den bitteich um das Handzeichen. – Das ist ebenfalls die Mehr-heit.

Der Bundesrat hat die Entschließung gefasst.

Punkt 19:

Entwurf eines Gesetzes zur Einführung desdiagnose-orientierten Fallpauschalensystemsfür Krankenhäuser (Fallpauschalengesetz –FPG) (Drucksache 701/01)

Wortmeldungen liegen nicht vor. – Eine Erklärungzu Protokoll*) gibt Staatsminister Zuber (Rheinland-Pfalz).

Zur Abstimmung liegen Ihnen die Ausschussemp-fehlungen in Drucksache 701/2/01 und mehrere Lan-desanträge in den Drucksachen 701/3 bis 7/01 vor.

Wir beginnen mit dem Antrag Nordrhein-Westfa-lens in Drucksache 701/3/01, bei dessen Annahmeeine Abstimmung über Ziffer 1 der Ausschussempfeh-

lungen entfiele. Wer ist für den Antrag in Drucksache701/3/01? – Das ist eine Minderheit.

(Hannelore Kraft [Nordrhein-Westfalen]: Nein, die Mehrheit!)

– Dann bitte ich noch einmal um das Handzeichen. – 34 Stimmen zählen wir; dann bleibt es bei Minderheit.

Ich bitte um das Handzeichen für Ziffer 1 der Aus-schussempfehlungen. – Das ist die Mehrheit.

Aus den Ausschussempfehlungen rufe ich auf:

Ziffer 2! – Minderheit.

Ziffer 3! – Mehrheit.

Nun zu Ziffer 4, bei deren Annahme eine Abstim-mung über den Antrag Nordrhein-Westfalens inDrucksache 701/4/01 entfiele! Wer ist dafür? – Mehr-heit.

Damit entfällt eine Abstimmung über den Landes-antrag.

Zurück zu den Ausschussempfehlungen:

Ziffer 6! – Mehrheit.

Nun zu Ziffer 7, bei deren Annahme eine Abstim-mung über den Antrag Bayerns in Drucksache701/7/01 entfiele! Wer ist dafür? – Mehrheit.

Damit entfällt die Abstimmung über den Landesan-trag.

Wir fahren fort mit den Ausschussempfehlungen:

Ziffer 8! – Mehrheit.

Ziffer 10! – Mehrheit.

Ziffer 11! – Mehrheit.

Nun bitte ich um das Handzeichen für den AntragMecklenburg-Vorpommerns in Drucksache 701/6/01. –Minderheit.

Aus den Ausschussempfehlungen rufe ich Ziffer 14auf, bei deren Annahme eine Abstimmung über denAntrag Nordrhein-Westfalens in Drucksache 701/5/01entfiele. Wer ist für Ziffer 14? – Mehrheit.

Damit entfällt die Abstimmung über den Landesan-trag.

Wir kommen zur Sammelabstimmung. Wer stimmtden noch nicht erledigten Ausschussempfehlungenzu? – Mehrheit.

Damit hat der Bundesrat zu dem Gesetzentwurf,wie soeben festgelegt, Stellung genommen.

Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 20:

Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderungschadensersatzrechtlicher Vorschriften (Druck-sache 742/01)

Wortmeldungen liegen nicht vor.

Zu dem Gesetzentwurf liegen Ihnen die Ausschuss-empfehlungen in Drucksache 742/1/01 vor. Darausrufe ich zur Einzelabstimmung auf:

Ziffer 2! – Minderheit.

Ziffer 3! – Mehrheit.

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Jürgen Gnauck (Thüringen)

*) Anlage 11

Bundesrat – 769. Sitzung – 9. November 2001620

Ziffer 5! – Mehrheit.

Ziffer 6! – Mehrheit.

Ziffer 9! – Minderheit.

Ziffer 10! – Mehrheit.

Ziffer 14! – Minderheit.

Ziffer 18! – Mehrheit. – Noch einmal das Hand-zeichen zu Ziffer 18 bitte! – Mehrheit.

Nun bitte das Handzeichen für alle übrigen Zif-fern! – Mehrheit.

Damit hat der Bundesrat zu dem Gesetzentwurf ent-sprechend Stellung genommen.

Tagesordnungspunkt 27:

Vorschlag für eine Verordnung des Europäi-schen Parlaments und des Rates über grenz-überschreitende Zahlungen in Euro (Drucksa-che 723/01)

Wortmeldungen liegen nicht vor. – Je eine Er-klärung zu Protokoll*) geben Minister Senff (Nieder-sachsen) und Staatsminister Zuber (Rheinland-Pfalz)ab.

Zur Abstimmung liegen Ihnen die Ausschussemp-fehlungen in Drucksache 723/1/01 vor. Zur Einzelab-stimmung rufe ich auf:

Ziffern 1 und 2 gemeinsam! – Mehrheit.

Ziffern 3 und 4 gemeinsam! – Minderheit.

Ziffer 5! – Minderheit.

Ziffer 6! – Mehrheit.

Der Bundesrat hat entsprechend Stellung genom-men.

Tagesordnungspunkt 28:

Mitteilung der Kommission der EuropäischenGemeinschaften an den Rat und das Europäi-sche Parlament zum europäischen Vertrags-recht (Drucksache 617/01)

Wortmeldungen liegen nicht vor.

Die Empfehlungen der Ausschüsse liegen Ihnen inDrucksache 617/1/01 vor. Zur Einzelabstimmung rufeich auf:

Ziffer 5! – Minderheit.

Ziffer 11! – Mehrheit.

Damit entfällt Ziffer 12.

Ziffer 14! – Minderheit.

Ziffer 15! – Minderheit.

Jetzt bitte das Handzeichen für alle noch nicht erle-digten Ausschussempfehlungen! – Mehrheit.

Der Bundesrat hat entsprechend Stellung genom-men.

Punkt 32:

Erste Verordnung zur Änderung der BHV1-Verordnung (Drucksache 741/00)

Wortmeldungen liegen nicht vor.

Zur Abstimmung liegen Ihnen die Empfehlungender Ausschüsse in Drucksache 844/01 vor. Wir begin-nen mit den Änderungsempfehlungen zur Verord-nung, zu denen Einzelabstimmung gewünscht wurde.Ich rufe auf:

Ziffer 2! – Mehrheit.

Ziffer 11! – Minderheit.

Wir stimmen nun über alle noch nicht erledigten Zif-fern der Ausschussempfehlungen ab. Wer ist dafür? –Das ist die Mehrheit.

Wir kommen zur Schlussabstimmung. Wer der Ver-ordnung in der soeben festgelegten Fassung zu-zustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzei-chen. – Das ist die Mehrheit.

Damit hat der Bundesrat der Verordnung zuge-stimmt.

Wir kommen zu Punkt 33:

Dritte Verordnung zur Änderung der Dünge-mittelverordnung (Drucksache 718/01)

Wortmeldungen liegen nicht vor.

Die Empfehlungen der Ausschüsse liegen Ihnen inDrucksache 718/1/01 vor. Ich rufe auf:

Ziffer 1! Handzeichen bitte! – Mehrheit.

Jetzt die Ziffern 2 und 3 gemeinsam! – Mehrheit.

Wir kommen zur Schlussabstimmung. Wer der Ver-ordnung in der soeben festgelegten Fassung zu-zustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzei-chen. – Das ist die Mehrheit.

Damit hat der Bundesrat der Verordnung zuge-stimmt.

Wir kommen zu Punkt 39:

Verordnung zur Reform pass- und personal-ausweisrechtlicher Vorschriften (Drucksache733/01)

Wortmeldungen liegen nicht vor.

Wir kommen zur Abstimmung. Hierzu liegen Ihnendie Empfehlungen der Ausschüsse in Drucksache733/1/01 vor.

Wer der Verordnung entsprechend Ziffer 1 zustim-men möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Dasist die Mehrheit.

Damit hat der Bundesrat der Verordnung, wie so-eben festgelegt, zugestimmt.

Wir kommen zu Punkt 51:

Gesetz zur Einführung des Wohnortprinzipsbei Honorarvereinbarungen für Ärzte undZahnärzte (Drucksache 890/01)

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Präsident Klaus Wowereit

*) Anlagen 12 und 13

Bundesrat – 769. Sitzung – 9. November 2001 621

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Zur Berichterstattung über das Vermittlungsverfah-ren erteile ich Herrn Staatsminister Tillich (Sachsen)das Wort.

Stanislaw Tillich (Sachsen), Berichterstatter: HerrPräsident, meine Damen und Herren! Der Vermitt-lungsausschuss des Deutschen Bundestages und desBundesrates hat sich in seiner Sitzung am 7. Novem-ber 2001 mit großer Mehrheit auf einen Kompromiss-vorschlag verständigt, den die Länder Brandenburg,Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen vorbereitethatten.

Im Ergebnis entscheidend ist erstens die Ein-führung des Wohnortprinzips selbst. Sie ist sachge-recht und bringt Chancengleichheit für die Kas-senärztlichen Vereinigungen, in deren Bezirk keineoder nur wenige Betriebskrankenkassen ihren Sitzhaben. Anknüpfungspunkt muss der Wohnort derVersicherten sein, für deren Behandlung die Ärzte zuvergüten sind.

Zweitens. Zu begrüßen sind die im Gesetz vorge-schlagenen Basispauschalen der neuen Vergütungs-verhandlungen. Im Ergebnis werden sie den konse-quenten Ausgleich für niedrigere Honorare vonErsatzkassen und Allgemeinen Ortskrankenkasseninfolge von Mitgliederverlusten an Betriebskranken-kassen erbringen.

Drittens. Besonders wertvoll ist die dringend nötigeschrittweise Annäherung der Honorare der ostdeut-schen Ärzte an Westniveau. Wir denken, dass der nungefundene Kompromiss für alle Seiten akzeptabel ist.

Danach sollen – ich betone dies – die ärztlichen Ver-gütungen in den Jahren 2002 bis 2004 um maximalsechs Prozentpunkte erhöht werden. Voraussetzunghierfür sind entsprechende Minderausgaben, für diealle Leistungsbereiche der Krankenkassen genutztwerden sollen. Außerdem darf durch die Erhöhungdie Beitragssatzstabilität nicht gefährdet werden. DieKompensation durch Einsparungen verhindert zu-sätzliche Belastungen der Westkassen; denn diehöheren Vergütungen müssen in den ostdeutschenKrankenkassen selbst erwirtschaftet werden.

Ich bitte Sie, dem Kompromissergebnis zuzustim-men.

Präsident Klaus Wowereit: Weitere Wortmeldungenliegen nicht vor.

Der Deutsche Bundestag hat in seiner heutigen Sit-zung den Einigungsvorschlag des Vermittlungsaus-schusses angenommen.

Wer dem Gesetz nun in dieser Fassung zustimmenmöchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das istdie Mehrheit.

Damit hat der Bundesrat dem Gesetz zugestimmt.

Damit haben wir die Tagesordnung der heutigenSitzung abgewickelt.

Die nächste Sitzung des Bundesrates berufe ich einauf Freitag, den 30. November 2001, 9.30 Uhr.

Die Sitzung ist geschlossen.

(Schluss: 13.39 Uhr)

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(D)

Präsident Klaus Wowereit

Feststellung gemäß § 34 GO BR

Einspruch gegen den Bericht über die 768. Sitzung istnicht eingelegt worden. Damit gilt der Bericht gemäß § 34 GO BR als genehmigt.

Bundesrat – 769. Sitzung – 9. November 2001 623*

(A)

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Anlage 1

Erklärung

von Ministerin Annemarie Lütkes(Schleswig-Holstein)

zu Punkt 3 der Tagesordnung

Mit der heutigen Verabschiedung des Gesetzes zurDurchsetzung der Gleichstellung von Frauen undMännern – Gleichstellungsdurchsetzungsgesetz desBundes – wird ein wesentlicher Schritt zur Umsetzungder Gleichstellung von Frauen und Männern in derBundesrepublik Deutschland getan. Das Gesetzschließt die Lücke zwischen den gesetzlichen Rege-lungen der Länder und des Bundes.

Der 4. Bericht der Bundesregierung über die Förde-rung der Frauen im Bundesdienst hat auf bisherigeSchwachstellen deutlich hingewiesen. Er brachte zuTage, dass ein deutliches Defizit in der Gleichstellungvon Frauen und Männern im Bundesdienst besteht:So beträgt der Frauenanteil im Bundesdienst 45 %.Von 100 Beschäftigten im höheren Dienst sind 13,5 %Frauen, 10,6 % stellen sie in den Referatsleitungen,bei den Unterabteilungsleitungen nur noch 8,2 %,und bei den Abteilungsleitungen sind lediglich 2,1 %durch Frauen besetzt.

Festzustellen ist, dass das seit 1994 geltende Frau-enfördergesetz nicht die erwarteten positiven Wir-kungen erzielt hat.

Mit dem heute zu verabschiedenden Gleichstel-lungsdurchsetzungsgesetz soll die bisherige Ausge-staltung des Gesetzes verbindlichen Charakter erhal-ten, um Frauen verstärkt den Weg in Führungs- undLeitungspositionen zu eröffnen.

Das Gleichstellungsdurchsetzungsgesetz tritt an dieStelle des bisherigen Frauenfördergesetzes – unddamit tritt an die Stelle bescheidener „Förderung“selbstbewusste „Durchsetzung“. Dass es sich hierbeinicht um eine semantische Übung handelt, beweistFolgendes:

Erstens. Der wesentliche Baustein des neuen Geset-zes ist die Vorrangregelung, die sicherstellt, dassFrauen dort, wo sie unterrepräsentiert sind, bei glei-cher Eignung, Befähigung und Leistung bevorzugt zuberücksichtigen sind. Diese Regelung dient sowohlden nunmehr verbindlichen Zielvorgaben als auchder konkreten Umsetzung von Gleichstellungspolitik.Sie ist darüber hinaus ein klares Bekenntnis zur Mo-dernisierung der öffentlichen Verwaltung nach Qua-litäts- und Leistungskriterien. Mit einer gewissen Be-friedigung kann ich darauf hinweisen, dass das LandSchleswig-Holstein weder mit der Vorrangregelungnoch mit den verbindlichen Zielvorgaben der Gleich-stellungspläne Neuland betritt. Diese sind bereits1994 in das damals verabschiedete Gleichstellungs-gesetz des Landes aufgenommen worden. Es ist dahervon uns nur zu begrüßen, dass der Bund mit demGleichstellungsdurchsetzungsgesetz unsere Regelun-gen übernommen hat.

Zweitens. Mit der Stärkung der Rechte und derStellung der Gleichstellungsbeauftragen gehört das

bloße Beanstandungsrecht bei der Dienststellenlei-tung der Vergangenheit an. Maßnahmen, die gegendie Frauenförderpläne oder das Frauenfördergesetzverstießen, konnten in der Vergangenheit damitweder aufgehalten noch verhindert werden. DieGleichstellungsbeauftragte erhält nun ein Ein-spruchsrecht mit Devolutiv- und Suspensiveffekt, dasin ein – bisher in der Rechtsprechung umstrittenes –verwaltungsgerichtliches Klagerecht mündet.

Der Bund wird durch diese klaren Regelungen zumVorreiter auch für die Länder. Durch diese Regelun-gen wird endlich Klarheit geschaffen, und die Kon-trollfunktion der Gleichstellungsbeauftragten wirddeutlich gestärkt.

Seit über 50 Jahren ist die Gleichberechtigung vonMännern und Frauen in Artikel 3 Abs. 2 des Grundge-setzes gewährleistet. Seitdem wird um ihre Verwirkli-chung in allen gesellschaftlichen Lebensbereichengerungen. Im Rahmen des Einigungsprozesses ver-pflichtete sich die Bundesrepublik 1994 mit der Auf-nahme einer Staatszielbestimmung in das Grund-gesetz, auf die tatsächliche Durchsetzung derGleichberechtigung und auf die Beseitigung beste-hender Nachteile zwischen Frauen und Männern hin-zuwirken. Diese Grundgesetzänderung war auch aufwegweisende Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes und des Bundesverfassungsgerichtszurückzuführen.

Darüber hinaus hatte der EuGH 1984 festgestellt,dass das damalige Gesetz zur Umsetzung der EG-Richtlinie 76/207 in seiner Wirkung unzureichendsei. Denn mit dem geltenden § 611 a BGB – dem sogenannten Briefmarkenparagraf – sei bei potenziellenArbeitgebern nicht annähernd die erforderliche Wir-kung erzielt worden. In der Folge dieser Kritik wurdedas Gesetz 1990 novelliert, jedoch erneut vom EuGH– und zwar aus dem gleichen Grunde – beanstandet.

Mit dem Gleichstellungsdurchsetzungsgesetz wirddiesen Entscheidungen – wie auch den Entscheidun-gen des EuGH zur mittelbaren Diskriminierung vonFrauen – Rechnung getragen. So sind in dem Gesetzdie unmittelbare Diskriminierung von Frauen und derschillernde Begriff der mittelbaren Diskriminierung,der durch die Rechtsprechung des Europäischen Ge-richtshofes gebildet wurde, klar definiert. Ebensostellt das Gesetz klar, dass alle Beschäftigten einerDienststelle verpflichtet sind, an der Gleichstellungvon Frauen und Männern aktiv mitzuwirken.

Damit wird der Entwicklung in Europa unter derBezeichnung „Gender Mainstreaming“ Rechnung ge-tragen. Diese Verpflichtung ist als durchgängigesLeitprinzip in allen Aufgabenbereichen der Dienst-stellen zu berücksichtigen. Denn auf allen Ebenensollen Ausgangsbedingungen und Auswirkungen aufdie Geschlechter berücksichtigt werden, um das Zielder Gleichstellung zu erreichen.

Gleichstellungspolitik ist nicht allein Aufgabe desweiblichen Geschlechts oder der Gleichstellungsbe-auftragten – Artikel 3 Grundgesetz gilt für alle.

Ich begrüße ausdrücklich die Festlegung des Gel-tungsbereichs des Gesetzes, das nicht nur für die un-

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mittelbare und mittelbare Bundesverwaltung und dieBundesgerichte gilt, sondern auch für die in bundes-eigener Verwaltung geführten Unternehmen.

Von besonderer Bedeutung scheint mir dabei zusein, dass bei der Umwandlung von bundeseigenenUnternehmen in Unternehmen des privaten Rechtsauf die Anwendung des Gesetzes hingewirkt werdensoll. Diesen Unternehmen wird damit die Chance ge-geben, zu einer „best practice“ – zu einem besten Bei-spiel – für die Wirtschaft hinsichtlich der Gleichstel-lung zu werden.

Sosehr ich die Bereitschaft der Bundesregierungund der Mehrheit des Bundestages begrüße, die we-sentlichen Lücken in der Gesetzgebung zur Verwirk-lichung der Gleichstellung im öffentlichen Dienst zuschließen, so sehr bedauere ich es, dass darauf ver-zichtet wurde, ein entsprechendes Gleichstellungsge-setz für die Privatwirtschaft zu schaffen. Denn die Ge-setzgebungszuständigkeit hierfür hat der Bund; eswäre möglich, die Gleichstellung über den öffentli-chen Dienst hinaus voranzubringen. Appelle alleinhelfen nicht. Auch der 4. Bericht über die Umsetzungdes „Gesetzes zur Förderung von Frauen und der Ver-einbarkeit von Familie und Beruf in der Bundesver-waltung“ hat sehr deutlich gemacht, dass nur gesetz-lich verbindliche Regelungen real Veränderungenherbeiführen.

Dass solche Erfahrungen durchaus in Gesetzesformgegossen werden können, hat neben dem Gleichstel-lungsdurchsetzungsgesetz bereits die Änderung desBetriebsverfassungsgesetzes gezeigt. Damit wurdeein weiterer Schritt zur Gleichberechtigung von Frau-en und Männern auch in den Betrieben getan. Jetztgehört es zu den Aufgaben des Betriebsrates, die Ver-einbarkeit von Familienleben und Erwerbstätigkeit zufördern. Auch die Tatsache, dass Frauen jetzt entspre-chend ihrem zahlenmäßigen Verhältnis in den Be-triebsrat zu wählen sind, ist als ein echter – wennauch längst überfälliger – Fortschritt zu bezeichnen.

Die Seite der Arbeitgeber erkennt mehr und mehr,dass Frauenförderung allgemein und Frauen inFührungspositionen erheblich zu einer guten Unter-nehmensbilanz beitragen.

Der Staat hat die Pflicht, seine Möglichkeiten zunutzen, damit sich die Arbeits- und Wirtschaftsbedin-gungen im Sinne tatsächlicher Gleichberechtigungverändern.

Schleswig-Holstein hat mit seiner Regelung, die öf-fentliche Auftragsvergabe an frauenfördernde Maß-nahmen in den Betrieben der Auftragnehmer zu kop-peln, ein praktikables und unbürokratisches Modellgestartet. Die kritischen Einzelstimmen, die es imVorwege gab, sind inzwischen verstummt.

Auch die vor der Einführung dieser Regelung laut-stark behaupteten Wettbewerbshindernisse – insbe-sondere für die in Schleswig-Holstein stark vertrete-nen kleinen und mittelständischen Betriebe – habensich nicht bestätigt. Ich denke, dass es sich hierbei umein Beispiel handelt, das Schule machen sollte. Eswäre besonders begrüßenswert, wenn sich die Bun-

desregierung dazu entschlösse, unsere diesbezüg-liche Praxis in die öffentliche Auftragsvergabe desBundes zu übernehmen.

Ein besonderer Dank geht von hier aus an die bis-her so genannten Frauenbeauftragten des Bundes,der Länder und Kommunen, die nunmehr nach demGesetz „Gleichstellungsbeauftragte“ heißen. IhremEinsatz ist es zu verdanken, dass die weiblichen Be-schäftigten engagierte Fürsprecherinnen haben undBehörden- und Dienststellenleitungen jederzeit miteiner kritisch-konstruktiven Unterstützung ihrer Per-sonalpolitik rechnen können.

Ich wünsche den Gleichstellungsbeauftragten, dasssie mit dem Gesetz über ein Instrumentarium verfü-gen, mit dem sie erfolgreich wirken können: im Inte-resse der Frauen, aber auch im Interesse eines mo-dernen leistungsfähigen öffentlichen Dienstes aufBundesebene.

Anlage 2

Erklärung

von Parl. Staatssekretärin Dr. Edith Niehuis(BMFSFJ)

zu Punkt 3 der Tagesordnung

Ich freue mich darüber, dass das Gesetz zur Durch-setzung der Gleichstellung von Frauen und Männernheute im Plenum des Bundesrates zur abschließendenBehandlung ansteht. Ich freue mich auch über dieWertschätzung, die Sie, Frau Ministerin Lütkes, demGleichstellungsdurchsetzungsgesetz entgegenbrin-gen.

Das Gleichstellungsdurchsetzungsgesetz löst dasbisherige Frauenfördergesetz ab, das sich als zahn-und bisslos erwiesen hat. Dies belegt der 4. Berichtder Bundesregierung über die Förderung der Frauenim Bundesdienst in dem Berichtszeitraum 1995 bis1998.

Es gilt also, erneut Anstrengungen zu unternehmen,um – erstens – die faktische Gleichstellung von Frauenund Männern im Berufsleben umzusetzen und es – zweitens – eng damit verknüpft, Männern und Frau-en zu erleichtern, Familie und Beruf zu vereinbaren.

Die Bundesregierung setzt mit dem Gleichstel-lungsdurchsetzungsgesetz einen wichtigen Teil desProgramms „Frau und Beruf“ vom Juni 1999 um, abernicht nur das: Das Gleichstellungsdurchsetzungsge-setz war zugleich Pilotprojekt im Programm der Bun-desregierung „Moderner Staat – Moderne Verwal-tung“. Denn auch zu dieser Thematik gehört dasGesetz.

Ganz bewusst heißt es eben nicht mehr „Frauenför-dergesetz“, sondern „Gleichstellungsgesetz“.

Es gehört zur modernen Verwaltung, dass sich in derArbeitswelt die in der Gesellschaft vorhandenen Qua-

Bundesrat – 769. Sitzung – 9. November 2001624*

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Bundesrat – 769. Sitzung – 9. November 2001 625*

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lifikationen adäquat widerspiegeln. Frauen sind heuteso gut qualifiziert und ausgebildet wie nie zuvor. Mehrals die Hälfte der Abiturienten sind heute junge Frau-en. Junge Frauen erreichen heute ebenso wie jungeMänner zu 90 % einen qualifizierten Berufsabschluss.Bei den Universitätsabsolventen liegt der Frauenanteilbei rund 45 % – Statistisches Bundesamt 2000. Hinzukommt, dass die erreichten Notenergebnisse imDurchschnitt besser sind als die der Männer.

All dies spiegelt sich im Bundesdienst nicht wider,wie der 4. Bericht der Bundesregierung über die För-derung der Frauen in dem Berichtszeitraum 1995 bis1998 zeigt. Aber, wie wir alle wissen, nicht nur derBundesdienst hat dieses Defizit.

Wir konnten uns bei dem Gleichstellungsdurchset-zungsgesetz natürlich an vorhandenen Gesetzen ori-entieren. Auch in den Bundesländern gibt es fort-schrittliche Gesetze. Dazu gehört Schleswig-Holstein.Aber auch der Europäische Gerichtshof bedarf hierder Erwähnung, weil er vorbildhafte Regelungen aufLänderebene „abgesegnet“ hat und das Gleichstel-lungsdurchsetzungsgesetz somit die vom Europäi-schen Gerichtshof aufgezeigten Möglichkeiten zurflexiblen Quote und einer Verhinderung mittelbarerDiskriminierung voll ausschöpfen konnte.

Mit dem neuen Gesetz wird die Gleichstellung vonFrauen und Männern ein innovatives Element unsererPersonalplanung und -entwicklung sein. Lassen Siemich einige wichtige Punkte nennen:

1. Künftig werden Gleichstellungspläne als effekti-ve Instrumente einer modernen Personalentwicklungeingesetzt. Berufliche Gleichstellung wird künftignicht nur in Zeiten von Stellenzuwächsen garantiert,sondern muss auch bei Stellenreduzierungen berück-sichtigt werden.

2. Um den Anteil der Frauen in den Bereichen zusteigern, in denen sie unterrepräsentiert sind, führenwir mit dem Gesetz die so genannte einzelfallbezoge-ne Quote ein. Frauen werden in diesen Bereichen beigleicher Eignung, Befähigung und Leistung bevorzugtberücksichtigt. Dies gilt bei Ausbildung, Einstellung,Anstellung und Beförderung.

3. Damit das Gesetz möglichst breite Wirkung ent-falten kann, werden über die öffentlich-rechtlich or-ganisierte Bundesverwaltung – also Behörden, Ämterund Gerichte des Bundes – hinaus privatwirtschaftlichorganisierte Einrichtungen der Bundesverwaltungeinbezogen. Das gilt auch für die Leistungsempfängerdes Bundes, die vertraglich zur Anwendung derGrundzüge des Gesetzes verpflichtet werden.

4. Um die Arbeit der Gleichstellungsbeauftragtenzu unterstützen, werden deren Rechte und Pflichtenkonkretisiert und gestärkt; ihr Aufgabengebiet wirderweitert, und sie erhalten ein Einspruchsrecht beiVerstößen gegen das Gesetz. Darüber hinaus kanndie Gleichstellungsbeauftragte künftig, sollte ihr Ein-spruch erfolglos bleiben, beim Verwaltungsgerichteinen Antrag auf gerichtliche Entscheidung stellen.

In der Tat kann der Bund durch diese klaren Rege-lungen wieder zum Vorreiter für die Länder werden.

Das Augenmerk sollte auch darauf gerichtet wer-den, dass das international geforderte, auf europäi-scher Ebene umgesetzte gleichstellungspolitische Ins-trument des Gender Mainstreaming nun gesetzlichverankert ist, d. h. die grundsätzliche Einbeziehunggeschlechtsspezifischer Belange in alle Politikfelderals durchgängiges Leitprinzip im Bundesdienst.

Dazu gehört, dass das Gesetz vorschreibt, dieGleichstellung von Frauen und Männern in der Ge-setzes-, Verordnungs- und Verwaltungssprache desBundes umzusetzen. Das ist das endgültige Aus fürdas berühmte, bei vielen Frauen auch berüchtigte sogenannte generische Maskulinum, das schlicht davonausgeht, dass Frauen immer mit gemeint seien, wenndie männliche Sprachform gewählt wird. Für alle amGesetzgebungsverfahren des Bundes Beteiligten giltvon nun an die Verpflichtung zur geschlechtergerech-ten Sprache.

Der Deutsche Bundestag hat den Gesetzentwurf am11. Oktober 2001 in der Fassung der Beschlussemp-fehlung und des Berichts seines federführenden Aus-schusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugendmit wenigen Änderungen und Ergänzungen ange-nommen, die unter anderem eine Bundesratsforde-rung nach der Ausgestaltung des gerichtlichen Ver-fahrens für Klagen von Gleichstellungsbeauftragtenaufgreifen.

Nach meiner festen Überzeugung werden die ge-setzlichen Neuregelungen zu einer substanziellenVerbesserung der Gleichstellung von Frauen undMännern im öffentlichen Dienst des Bundes führen.

Mit dem Gesetz kommt der Staat auch seiner Vor-bildfunktion in Sachen Gleichstellung nach. Dennwenn Sie so wollen, handelt es sich bei dem Gesetzum die freiwillige Selbstverpflichtung des großendeutschen Arbeitgebers „Bund“ zur Förderung derGleichstellung von Frauen und Männern und der Ver-einbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit. Die vierSpitzenverbände der deutschen Wirtschaft, die sichihrerseits zur nachhaltigen, in regelmäßigen Abstän-den zu überprüfenden Förderung der Chancengleich-heit von Frauen und Männern in der Privatwirtschaftgegenüber der Bundesregierung verpflichtet haben,werden sich am Beispiel des Arbeitgebers „Bund“messen lassen müssen.

Die Bundesregierung hat bei der Unterzeichnungder auch von Ihnen, Frau Ministerin Lütkes, ange-sprochenen Vereinbarung und in der Vereinbarungselbst sehr deutlich gemacht, dass wir auch für denBereich der Privatwirtschaft um weitere gleichstel-lungsgesetzliche Regelungen nicht herumkommen,wenn sich die freiwillige Selbstverpflichtung der Spit-zenverbände der deutschen Wirtschaft als wirkungs-los erweisen sollte.

Ich begrüße ausdrücklich die Empfehlung des fe-derführenden Ausschusses für Frauen und Jugenddes Bundesrates, zu dem Gesetz einen Antrag auf An-rufung des Vermittlungsausschusses nicht zu stellen.Nicht nur dem Ausschuss für Frauen und Jugend,sondern auch den übrigen beteiligten Ausschüssendanke ich an dieser Stelle für die konstruktiven

(C)

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Beiträge zu dem Gesetzesvorhaben. Damit der Wegfür ein baldiges Inkrafttreten des Gesetzes frei wird,bitte ich Sie, dieser Empfehlung zuzustimmen.

Anlage 3

Umdruck Nr. 10/01

Zu den folgenden Punkten der Tagesordnung der769. Sitzung des Bundesrates empfehlen die Aus-schüsse dem Bundesrat:

I.

Zu dem Gesetz einen Antrag auf Anrufung des Ver-mittlungsausschusses nicht zu stellen:

Punkt 9Gesetz zur Bereinigung von Kostenregelungenauf dem Gebiet des geistigen Eigentums (Druck-sache 818/01)

II.

Den Gesetzen zuzustimmen:

Punkt 4Gesetz zur Neuordnung der Statistik im Handelund Gastgewerbe (Drucksache 814/01)

Punkt 5Gesetz zur Änderung des Bewertungsgesetzes(Drucksache 821/01)

Punkt 11Gesetz zur Anpassung bilanzrechtlicher Bestim-mungen an die Einführung des Euro, zur Erleich-terung der Publizität für Zweigniederlassungenausländischer Unternehmen sowie zur Einführungeiner Qualitätskontrolle für genossenschaftlichePrüfungsverbände (Euro-Bilanzgesetz – EuroBilG)(Drucksache 820/01)

III.

Zu dem Gesetzentwurf die in der zitierten Empfeh-lungsdrucksache wiedergegebene Stellungnahmeabzugeben:

Punkt 18Entwurf eines Fünften Gesetzes zur Änderung desGesetzes über die Landwirtschaftliche Renten-bank (Drucksache 740/01, Drucksache 740/1/01)

IV.

Gegen die Gesetzentwürfe keine Einwendungenzu erheben:

Punkt 21Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Aner-kennungs- und Vollstreckungsausführungsge-setzes (Drucksache 743/01)

Punkt 22Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur EuropäischenCharta der Regional- oder Minderheitensprachendes Europarates vom 5. November 1992 (Drucksa-che 741/01)

Punkt 23Entwurf eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 27. Februar 2001 zur Ergänzung des Abkommensvom 5. April 1993 zwischen der BundesrepublikDeutschland und der Republik Lettland über denLuftverkehr (Drucksache 744/01)

Punkt 24Entwurf eines Gesetzes zu den Änderungen vom20. Mai 1999 des Übereinkommens zur Gründungder Europäischen Fernmeldesatellitenorganisation„EUTELSAT“ (EUTELSAT-Übereinkommen) (Druck-sache 745/01)

V.

Zu den Vorlagen die Stellungnahme abzugebenoder ihnen nach Maßgabe der Empfehlungen zuzu-stimmen, die in der jeweils zitierten Empfehlungs-drucksache wiedergegeben sind:

Punkt 25Bericht über die Anwendung des Subsidiaritäts-prinzips im Jahr 2000 („Subsidiaritätsbericht2000“) (Drucksache 776/01, Drucksache 776/1/01)

Punkt 29Vorschlag für eine Entscheidung des Europäi-schen Parlaments und des Rates zur Erstellungund Entwicklung von Gemeinschaftsstatistikenüber Wissenschaft und Technologie (Drucksache737/01, Drucksache 737/1/01)

Punkt 30Vorschlag für einen Beschluss des EuropäischenParlaments und des Rates über Regeln für die Be-teiligung von Unternehmen, Forschungszentrenund Hochschulen sowie für die Verbreitung derForschungsergebnisse zur Durchführung desRahmenprogramms der Europäischen Gemein-schaft 2002 – 2006 (Drucksache 739/01, Drucksa-che 739/1/01)

Bundesrat – 769. Sitzung – 9. November 2001626*

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Bundesrat – 769. Sitzung – 9. November 2001 627*

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Punkt 31Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Ände-rung der Richtlinie 1999/29/EG des Rates überunerwünschte Stoffe und Erzeugnisse in der Tier-ernährung (Drucksache 738/01, Drucksache738/1/01)

Punkt 40Verordnung zur Erleichterung der Registerauto-mation (Drucksache 763/01, Drucksache 763/1/01)

Punkt 41a) ... Verordnung zur Änderung straßenverkehrs-

rechtlicher Vorschriften (... ÄndVStVR) (Druck-sache 751/01, Drucksache 751/1/01)

b) Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Ände-rung der Allgemeinen Verwaltungsvorschriftzur Straßenverkehrs-Ordnung (VwV-StVO)(Drucksache 750/01, Drucksache 750/1/01)

VI.

Von der Vorlage Kenntnis zu nehmen:

Punkt 26Bericht der Bundesregierung zum Jahresgutach-ten 1999 des Wissenschaftlichen Beirates der Bun-desregierung Globale Umweltveränderungen(WBGU): „Welt im Wandel – Erhaltung und nach-haltige Nutzung der Biosphäre“ (Drucksache713/01)

VII.

Den Vorlagen ohne Änderung zuzustimmen:

Punkt 34Verordnung zur Aufhebung der Zweiten BSE-Schutzverordnung und der Tierseuchenrecht-lichen BSE-Verordnung (Drucksache 761/01)

Punkt 35Sechste Verordnung zur Änderung der Rück-stands-Höchstmengenverordnung (Drucksache762/01, zu Drucksache 762/01)

Punkt 36Verordnung zur Umstellung des Gebührenver-zeichnisses der Kostenverordnung für die Prü-fung überwachungsbedürftiger Anlagen auf Euro(Drucksache 748/01)

Punkt 37Siebenundvierzigste Verordnung zur Änderungder Verordnung über verschreibungspflichtigeArzneimittel (Drucksache 749/01)

Punkt 38Verordnung über das Meldewesen nach §§ 21 und22 des Transfusionsgesetzes (Transfusionsgesetz –Meldeverordnung – TFGMV) (Drucksache 767/01)

Punkt 42Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Anpassungder Vollziehungsanweisung und der Betriebsprü-fungsordnung an den Euro (Drucksache 753/01)

Punkt 43Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Infektions-schutzgesetz über die Zusammenarbeit der Ge-sundheitsämter und der Sanitätsdienststellen derBundeswehr (Verwaltungsvorschrift IFSG-Bun-deswehr – IFSGBw-VwV) (Drucksache 728/01)

Punkt 44Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Änderungder Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföGÄnd-VwV 2001) (Drucksache 729/01)

VIII.

Entsprechend den Anregungen und Vorschlägenzu beschließen:

Punkt 45Vorschlag für die Berufung eines Mitglieds desVerwaltungsrates der Bundesanstalt für Arbeit(Drucksache 837/01)

Punkt 46Benennung eines Mitglieds und eines stellvertre-tenden Mitglieds des Kuratoriums der Stiftung„Haus der Geschichte der BundesrepublikDeutschland“ (Drucksache 769/01)

IX.

Zu den Verfahren, die in der zitierten Drucksachebezeichnet sind, von einer Äußerung und einem Bei-tritt abzusehen:

Punkt 47Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht(Drucksache 836/01)

Anlage 4

Erklärung

von Staatsminister Reinhold Bocklet(Bayern)

zu Punkt 6 der Tagesordnung

Der Freistaat Bayern wird dem Gesetz über denBeruf der Podologin und des Podologen und zur Än-derung anderer Gesetze zustimmen, falls der Antragauf Anrufung des Vermittlungssausschusses keine

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Mehrheit erhält. Die Zustimmung erfolgt allerdingsnur, um das gesundheitspolitisch notwendige Podolo-gengesetz und die ebenso notwendige Anpassung derGebührenordnung für Ärzte und Zahnärzte an die be-vorstehende Währungsumstellung nicht zu verhin-dern.

Bayern kritisiert weiterhin die vorgesehenenGleichwertigkeitsregelungen in den Heilberufsgeset-zen des Bundes für außerhalb der EU und des EWRerworbene, nicht gleichwertige Ausbildungen. DieseRegelungen hält der Freistaat Bayern gerade inBezug auf den ärztlichen Beruf für verfassungsrecht-lich bedenklich. Denn sie zwingen ausnahmslos undohne Alternative dazu, von Spätaussiedlern, beidenen das Integrationsgebot des § 7 BVertrG zu be-achten ist, und von den in § 10 Abs. 3 Bundesärzte-ordnung (BÄO) genannten Personen, denen nach derRechtsprechung ein Rechtsanspruch auf Erteilungeiner Berufserlaubnis gemäß § 10 BÄO in abhängigerStellung zusteht und die auf diese Weise nachlangjähriger Berufstätigkeit gemäß § 3 Abs. 3 Satz 1BÄO einen Rechtsanspruch auf Approbierung erwer-ben, trotz langjähriger Berufspraxis und -bewährungzu verlangen, sich der schwerpunktmäßig theoretischgeprägten Abschlussprüfung des hiesigen Medizin-studiums zu unterziehen.

Anlage 5

Erklärung

von Minister Rudolf Köberle(Baden-Württemberg)

zu Punkt 7 der Tagesordnung

Für die Länder Baden-Württemberg, Bayern, Ham-burg, Hessen, Saarland, Sachsen und Thüringen gebeich folgende Erklärung zu Protokoll:

Unbeschadet des Abstimmungsergebnisses weisendie Länder Baden-Württemberg, Bayern, Hamburg,Hessen, Saarland, Sachsen und Thüringen auf folgen-de verbleibende Bedenken hin:

– Das Einzelgesetz reicht nicht weit genug. Die ge-genwärtigen Probleme in der medizinischen Ver-sorgung verdeutlichen, dass Budgets ihr Ziel,Wirtschaftlichkeitsreserven zu erschließen, nichterreichen. Derartige Ausgabenbegrenzungenbilden keine Anreize für wirtschaftliches Verhal-ten, sondern bewirken in vielen Fällen das Ge-genteil. Sektorale Budgets verhindern darüberhinaus einen sachgerechten Ausgleich zwischenden verschiedenen Versorgungszweigen. Daherist ein umfassender Gesetzentwurf einzufordern,der die Budgetierung auch in den übrigen Sekto-ren der Gesundheitsversorgung aufhebt.

– Das Gesetz beinhaltet zudem keine völlige Abkehr vom Arzneimittelbudget. Das zu verein-barende Ausgabenvolumen kann nämlich bud-getähnliche Wirkungen entfalten, da Überschrei-

tungen zum Gegenstand gesamtvertraglicherVereinbarungen gemacht werden müssen. Einevernünftige Alternative könnten bedarfsorien-tierte und arztgruppenbezogene Richtgrößendarstellen.

– Durch die im Gesetzgebungsverfahren einge-brachten Änderungen wird die bereits im Gesetzentwurf enthaltene Überreglementierungverstärkt. Dadurch werden die Spielräume, dieder Selbstverwaltung vor allem auf regionalerEbene zustehen müssen, weiter eingeschränkt.

– Das Gesetz reiht sich ein in eine stückwerkhafteGesundheitspolitik der Bundesregierung. Im Zu-sammenhang mit dem Entwurf eines Arzneimit-telausgaben-Begrenzungsgesetzes (AABG) zeigtsich erneut, dass eine ständige Einzelgesetzge-bung eine Gesundheitsreform aus einem Gussnicht ersetzen kann.

Anlage 6

Erklärung

von Staatsminister Walter Zuber(Rheinland-Pfalz)

zu Punkt 13 c) der Tagesordnung

Das Land Rheinland-Pfalz begrüßt grundsätzlichalle Vorschläge, die zur Bekämpfung des internatio-nalen Terrorismus und Extremismus geeignet sind.Viele der in dem Entschließungsantrag mit diesemZiel von der Bundesregierung geforderten Maßnah-men werden von Rheinland-Pfalz unterstützt. Einzel-ne Maßnahmen sind jedoch zu weit gehend oder in der vorgesehenen kategorischen Form problema-tisch.

Der Entschließungsantrag steht in unmittelbaremZusammenhang mit dem am 7. November 2001 vonder Bundesregierung beschlossenen Entwurf einesTerrorismusbekämpfungsgesetzes. Im Rahmen desGesetzgebungsverfahrens besteht ausreichend Gele-genheit, eventuell von der Bundesregierung nochnicht berücksichtigte Punkte aus dem Entschlie-ßungsantrag in die Stellungnahme des Bundesrateseinzubeziehen.

Eine auf das Gesetzgebungsverfahren bezogeneSachdiskussion trägt mit dazu bei, dem in der Öffent-lichkeit entstandenen Eindruck entgegenzuwirken,die Verantwortlichen von Bund und Ländern überbö-ten sich nahezu täglich mit teilweise nicht ausrei-chend bedachten Forderungen nach massiven Geset-zesverschärfungen und weiteren Einschränkungender Bürgerrechte.

Rheinland-Pfalz wird bei der Beratung des Entwurfseines Terrorismusbekämpfungsgesetzes jede gebote-ne und sinnvolle Gesetzesänderung unterstützen.

Bundesrat – 769. Sitzung – 9. November 2001628*

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Bundesrat – 769. Sitzung – 9. November 2001 629*

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Anlage 7

Erklärung

von Minister Alwin Ziel(Brandenburg)

zu Punkt 13 c) der Tagesordnung

Für Herrn Ministerpräsident Dr. h.c. Manfred Stolpegebe ich folgende Erklärung zu Protokoll:

Das Land Brandenburg stimmt dem Antrag auf so-fortige Sachentscheidung und dem Entschließungsan-trag in der geänderten Fassung zu. Gerade in der ak-tuellen Situation erscheint es angezeigt, dass sichauch der Bundesrat zum Thema der Terrorismus-bekämpfung aktiv einbringt. Brandenburg sieht dabeisehr wohl, dass eine Reihe der vorgeschlagenen ge-setzgeberischen Maßnahmen bereits in dem von derBundesregierung am 7. November 2001 beschlosse-nen „Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung des in-ternationalen Terrorismus (Terrorismusbekämpfungs-gesetz)“ enthalten sind. Der Entschließungsantragenthält aber auch Vorschläge für Maßnahmen auf derEbene der Europäischen Union sowie insbesondereVorschläge zur Unterstützung der Polizeien der Län-der und im Bereich des Katastrophenschutzes, der zi-vilen Verteidigung und des Technischen Hilfswerks.Er nimmt damit auch spezifische Interessen der Län-der auf. Diese sollten vom Bundesrat in die Debatteeingebracht werden. Hiervon unabhängig ist, dass ei-nige der im Entschließungsantrag vorgeschlagenenMaßnahmen noch einer weitergehenden vertieftenPrüfung bedürfen. Diese Prüfung kann im Zusam-menhang mit der anstehenden Beratung des Bundes-rates über den von der Bundesregierung beschlos-senen „Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung desinternationalen Terrorismus (Terrorismusbekämp-fungsgesetz)“ erfolgen.

Anlage 8

Erklärung

von Minister Rudolf Köberle(Baden-Württemberg)

zu Punkt 13 c) der Tagesordnung

Die Sicherheitslage in der Bundesrepublik hat sichseit dem 19. Oktober 2001, als die gemeinsame Ent-schließung der Länder Baden-Württemberg, Bayern,Hessen, Saarland, Sachsen und Thüringen erstmals inden Bundesrat eingebracht wurde, nicht entspannt.Im Gegenteil – die Beteiligung der Bundeswehr anden militärischen Einsätzen der Vereinigten Staatenund Großbritanniens im Rahmen unserer Bündnis-pflichten erhöht das Risiko von terroristischen An-schlägen in der Bundesrepublik. Beunruhigend sinddarüber hinaus die von US-Präsident Bush anfangsder Woche mitgeteilten Erkenntnisse, dass die terroris-tische Gruppierung um Osama bin Laden versuche,sich Massenvernichtungsmittel zu beschaffen.

Angesichts dieser neuen Dimension terroristischerBedrohung besteht Konsens darüber, dass die nach-haltige Bekämpfung von Terrorismus und Extremis-mus eine sicherheitspolitische Herausforderung ers-ten Ranges für alle politisch Verantwortlichendarstellt. Was wir jetzt brauchen, ist ein der Situationangemessenes entschlossenes, konsequentes und vorallem rasches Handeln. Dabei muss uns gewärtigsein, dass wir erst am Anfang eines langen Weges imKampf gegen den Terrorismus stehen.

Wir benötigen umfassende ausgewogene Maßnah-men und Konzepte, die nicht nur kurz- oder mittelfris-tig wirken, sondern auch langfristig zu Gunsten derinneren Sicherheit greifen. Wir sind es den Bürgerin-nen und Bürgern in unserem Staat schuldig, dassneue Sicherheitskonzepte nicht auf die lange Bankgeschoben werden. Dies verlangt rasch wirksame undkonkrete Verbesserungen in unserer Sicherheitspoli-tik. In Baden-Württemberg haben wir deshalb das,was wir als Land selbst tun können, unverzüglich miteinem umfassenden Antiterror-Sofortprogramm aufden Weg gebracht.

Eines möchte ich vorwegschicken: Die Landesre-gierung von Baden-Württemberg steht nach wie vorzu den sinnvollen außen- und innenpolitischen Be-schlüssen der Bundesregierung und des Bundestageszur Terrorbekämpfung. Auf dieser guten Ausgangs-basis gilt es aufzubauen und bewährte Strategienfortzuführen. Aber dort, wo es erforderlich ist – unddiese Punkte werde ich im Folgenden anführen –,müssen die Terrorbekämpfung verstärkt und das Si-cherheitsnetz enger gezogen werden.

Wir anerkennen und unterstützen nach wie vor dasbisher von Herrn Bundesinnenminister auf den WegGebrachte. Bedauerlicherweise hat sich jedoch unse-re Sorge, dass wichtige Elemente des geplanten Maß-nahmenpakets den Abstimmungsprozess in der Re-gierungskoalition nicht oder nur in stark verwässerterForm überdauern, bestätigt. Dies gilt beispielsweisefür den sinnvollen Vorschlag, biometrische Daten indie Identitätspapiere aufzunehmen. Der Bund hättedies durch Rechtsverordnung rasch umsetzen kön-nen. Ergebnis der Koalitionsvereinbarungen ist nunaber, dass die Aufnahme biometrischer Daten überein spezielles Bundesgesetz geregelt werden soll.Auch diesen Weg halten wir für gangbar. Wir hättenaber erwartet, dass dieses Gesetz auch in das Anti-terrorpaket II aufgenommen wird, um keine weiterenVerzögerungen entstehen zu lassen.

Ich bin zudem enttäuscht über die hinhaltende Be-handlung der Entschließung im Bundesrat. Sie wurdein die Ausschüsse verwiesen, nachdem am 19. Okto-ber die sofortige Sachentscheidung abgelehnt wordenwar. In den Ausschüssen wurde die Entschließungteilweise wiederum vertagt und zum Teil auch ganzabgelehnt.

Dieses Abstimmungsverhalten der SPD-regiertenLänder legt die Vermutung nahe, dass es nicht um dieSache geht, sondern andere Motive im Vordergrundstehen. Der Verweis auf das Sicherheitspaket II derBundesregierung läuft insofern ins Leere, als die vonuns geforderten Maßnahmen darin nur unzureichend

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oder überhaupt nicht berücksichtigt sind. Ich appel-liere deshalb an alle für die Sicherheit Verantwort-lichen: Lassen Sie uns im Interesse der Sache gemein-sam handeln und die erforderlichen Maßnahmenrasch treffen!

Ich denke, wir sind uns weitgehend darüber einig,dass es im Kampf gegen die neue Bedrohung durchden internationalen Terrorismus und Extremismusgilt, die rechtsstaatlichen Handlungsmöglichkeitendes Staates offensiv und vollständig auszuschöpfen.

Lassen Sie mich auf einige, aus meiner Sicht beson-ders bedeutsame Punkte der Entschließung eingehen,die vordringlich umgesetzt werden müssen, im ent-sprechenden Gesetzentwurf des Bundes aber nichtoder nur unzureichend berücksichtigt sind.

Kronzeugenregelung: Die Experten sind sich in derBewertung einig, dass dies eine geeignete Maßnahmeist, um mehr Erkenntnisse und Informationen überterroristische und andere abgeschottete Gruppierun-gen zu gewinnen.

Verbesserte Datenübermittlung durch Sozialleis-tungsträger: Wir brauchen eine über den Einzelfallwie die Rasterfahndung hinausgehende Übermittlungvon sicherheitsrelevanten Daten an die zuständigenStellen.

Beteiligung der Sicherheitsbehörden bei Vereins-eintragungen in das Vereinsregister: Bei der Prüfungder Eintragsfähigkeit von Vereinen müssen die Er-kenntnisse der Sicherheitsbehörden einfließen, um zuverhindern, dass extremistische, gewaltbereite oderkriminelle Organisationen ein „staatliches Siegel“ alseingetragene Vereine erhalten.

Praxisgerechte Regelungen bei der Telekommuni-kationsüberwachung: Extremistische, gewaltbereiteoder kriminelle Gruppierungen machen sich die ra-santen Entwicklungen auf dem Telekommunikations-sektor zu Nutze. Die Sicherheitsbehörden müssen ge-rade bei den weltweit vernetzten islamistischenExtremisten und Terroristen nicht nur technisch, son-dern auch rechtlich in der Lage sein, dem wirksam zubegegnen.

Ausländerrechtliche Maßnahmen: Hier ist zunächstzu bemängeln, dass die geplante Ergänzung der be-sonderen Versagungsgründe für die Erteilung einerAufenthaltsgenehmigung in § 8 Abs. 1 AuslG im Ge-setzentwurf des Bundes unzureichend ist. Nach demursprünglichen Entwurf war die Erteilung einer Auf-enthaltsgenehmigung bereits dann zu versagen,wenn „tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdachtbestehen, dass ein Ausländer Vereinigungen, politi-schen Bewegungen oder Gruppen innerhalb oderaußerhalb des Bundesgebietes angehört oder solcheunterstützt, die Anschläge gegen Personen oder Sa-chen veranlasst, befürwortet oder angedroht haben“.

Auch in unserem Entschließungsantrag wird einzwingendes Einreise- und Aufenthaltsverbot bereitsbeim Vorliegen von Anhaltspunkten für eine extremis-tische Betätigung gefordert. Dagegen werden eineGefährdung der freiheitlichen demokratischenGrundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepu-blik Deutschland, die Beteiligung an Gewalttätigkei-

ten bei der Verfolgung politischer Ziele oder das öf-fentliche Aufrufen zu Gewalttätigkeiten, wie diesnunmehr nach dem Kompromiss mit den Grünen er-forderlich sein soll, in der überwiegenden Mehrzahlder Fälle nicht bzw. erst dann nachzuweisen sein,wenn es vielleicht zu spät ist, d. h. wenn es bereits zuAnschlägen oder Ähnlichem gekommen ist.

Auch weitere Forderungen aus der Entschließung,beispielsweise die lebenslange Wiedereinreisesperrefür ausgewiesene Terroristen und schwerste Straftä-ter, die Aufhebung des Abschiebungsverbotes vonpolitisch Verfolgten schon bei einer Verurteilung zueiner Freiheitsstrafe von zwei Jahren, die Einführungeiner Beugehaft oder wirksame Sanktionen gegen-über Ausländern, die Terrorakte öffentlich billigen,sind im Gesetzentwurf des Bundes nicht vorgesehen.Um den von terroristischen Aktivitäten ausgehendenGefahren für die Sicherheit der Bundesrepublik ef-fektiv begegnen zu können, müssen jedoch alle Mög-lichkeiten zur Verhinderung des Aufenthalts bzw. zurkonsequenten Beendigung des Aufenthalts solcherAusländer ausgeschöpft werden, die eine potenzielleGefahr für die innere Sicherheit darstellen.

Nach wie vor sind die Regelungen zum Thema „In-tegration der auf Dauer bleibeberechtigten Auslän-der“ lückenhaft. Unsere bereits seit längerem erhobe-ne Forderung, die auch in die Entschließung Einganggefunden hat, verpflichtende Integrationskurse ver-bunden mit Sanktionen bei Nichtteilnahme einzu-führen – bis zur Aufenthaltsbeendigung als letzterKonsequenz –, sind unberücksichtigt, obwohl geradeeine gelungene Integration erheblich dazu beitragenkann, Ausländer vor dem Abgleiten in extremistischeAktivitäten zu bewahren.

Einbürgerung: Wir dürfen es nicht zulassen, dassExtremisten bei uns eingebürgert werden, nur weilvorhandene Erkenntnisse der Verfassungsschutz-behörden nicht herangezogen werden. Deshalb müs-sen wir sicherstellen, dass bundesweit in allen Ein-bürgerungsverfahren eine Regelanfrage beimVerfassungsschutz durchgeführt wird.

Verfassungsschutz: Die Terroranschläge vom 11. Sep-tember dieses Jahres haben deutlich gemacht, dasseine effektive Bekämpfung möglichst früh ansetzenmuss. Deshalb ist es zwingend geboten, den Vorfeldbe-reich solcher Aktivitäten intensiver auszuleuchten. DasInstrumentarium der Verfassungsschutzbehörden musserweitert und an die neuen Bedürfnisse angepasst wer-den. Die Aufgabenschwerpunkte des Verfassungs-schutzes, seine Funktion und seine Akzeptanz in derBevölkerung haben sich verändert. Der Handlungs-und Befugnisrahmen der Verfassungsschutzbehördenist daran anzupassen.

Bundesgrenzschutz und Bereitschaftspolizeien derLänder: Da wir von einer länger anhaltenden Bedro-hungslage ausgehen müssen, fordern wir die Bundes-regierung nachdrücklich auf, die Reduzierung derstehenden Einheiten innerhalb des Bundesgrenz-schutzes zu revidieren und die Bundesmittel für dieAusstattung der Bereitschaftspolizeien der Länderwieder auf den früher vorhandenen Beitrag von jähr-lich 58 Millionen DM zu erhöhen.

Bundesrat – 769. Sitzung – 9. November 2001630*

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Bekämpfung des Bioterrorismus: Es wurde bereitsausgeführt, welche Auswirkungen biologische undchemische Waffen auf das Sicherheitsgefühl der Be-völkerung haben. Ich rufe in Erinnerung, dass die Ver-einigten Staaten Erkenntnisse darüber haben, dassterroristische Islamisten um Bin Laden derzeit bestrebtsind, an entsprechende Massenvernichtungswaffen zu gelangen. Wir halten deshalb insbesondere die Einrichtung einer Task-Force Bioterrorismus aufBundesebene, eines bundesweiten Krisenkommunika-tionsnetzes und die Vorhaltung ausreichender Labor-kapazität für dringend erforderlich.

Ebenso müssen Maßnahmen zum Schutz von wich-tigen Versorgungseinrichtungen und Betriebsberei-chen ergriffen werden. Einige Beispiele: Die Einsichtin hochsensible Daten muss erschwert werden.Luftsperrgebiete über kerntechnischen Anlagen müs-sen ausreichend dimensioniert werden. Eine bundes-einheitliche Sicherheitsfunkfrequenz muss die Kom-munikation der Sicherheitsbehörden mit demLuftfahrzeugführer ermöglichen.

Wir sind gefordert, rasch und umfassend zu han-deln. Wir brauchen einen langen Atem, einen klarenpolitischen Willen und die notwendigen Mittel. In derSumme und aufbauend auf den bereits eingeleitetenMaßnahmen führt die Annahme der Bundesratsent-schließung zu einer weiteren, ganz wesentlichen Ver-besserung der Terrorismusbekämpfung und der inne-ren Sicherheit.

Ich bitte Sie um Ihre Unterstützung.

Anlage 9

Erklärung

von Staatsminister Stanislaw Tillich(Sachsen)

zu Punkt 14 der Tagesordnung

Der Fortführung der ökologischen Steuerreformstehen erhebliche Bedenken entgegen:

Erstens. Der ökologischen Steuerreform ist es nichtgelungen, die ökologischen und fiskalischen Zielset-zungen miteinander in Einklang zu bringen. Die Er-höhung der Mineralöl- und Stromsteuer hat sachlo-gisch nichts mit der Notwendigkeit einer Senkung derLohnnebenkosten zu tun.

Zweitens. Im Jahr 2001 werden knapp 37 % derAusgaben der gesetzlichen Rentenversicherung fürRentenleistungen nicht durch Beiträge, sonderndurch das allgemeine Steueraufkommen getragen.Der Bundeszuschuss übersteigt damit bereits heutedie Aufwendungen der Rentenversicherung für die sogenannten versicherungsfremden Leistungen. Ob-wohl sich die Ausgaben für diese Leistungen in denkommenden Jahren deutlich reduzieren werden, wirdder Anteil des steuerfinanzierten Bundeszuschussesdurch die Fortschreibung der ökologischen Steuerre-form bis zum Jahr 2003 weiter steigen.

Der tradierte Grundsatz der Beitragsäquivalenz dergesetzlichen Rente ist durch die zunehmende Finan-zierung der Rentenausgaben aus Steuermitteln be-reits aufgegeben worden. Gleichzeitig wird jedochdas Prinzip des kollektiven solidarischen Alterssiche-rungssystems in Frage gestellt, wenn sich etwa 10 %der Erwerbstätigen – Selbstständige, Freiberufliche,Beamte – über ihr Steueraufkommen an der Finanzie-rung der gesetzlichen Rentenversicherung beteiligen,ohne jedoch daraus einen Leistungsanspruch zu er-werben. Die strukturellen Probleme lassen sich durcheine ökologische Steuerreform nicht lösen. Erforder-lich ist vielmehr eine grundlegende Reform der Al-terssicherungssysteme.

Drittens. Die Fortführung der ökologischen Steuer-reform würde die Wettbewerbsbedingungen derneuen Länder weiter verschlechtern. In den neuenLändern wird in vielen Bereichen energieintensiverproduziert als in den alten Ländern. Daher haben sievergleichsweise höhere Aufwendungen zu tragenund werden durch die Ökosteuer besonders belastet.Dem steht eine geringere Entlastung bei den Lohnne-benkosten gegenüber.

Anlage 10

Erklärung

von Minister Rudolf Köberle(Baden-Württemberg)

zu Punkt 16 der Tagesordnung

Die EU-Regierungen haben sich Anfang Juli 2001über das Statut und die Ausstattung der neuen „Eu-ropäischen Lebensmittelsicherheitsbehörde“ geei-nigt. Über den Sitz der Behörde ist noch nicht endgül-tig entschieden.

Nach den Vorstellungen der Europäischen Kommis-sion soll der Sitz der Behörde an einem „leicht zu-gänglichen Ort“ sein, um die enge Zusammenarbeitmit der Kommission und anderen Organen der Ge-meinschaft zu gewährleisten. Als weitere wichtigeKriterien führt die EU-Kommission die Kosteneffizi-enz und die soziale Infrastruktur an.

Das Europäische Parlament hat sich für einen Stand-ort mit stimmigen Rahmenbedingungen ausgespro-chen. Hierzu zählen seiner Auffassung nach die Un-abhängigkeit der Behörde von der Kommission undvon anderen Institutionen, eine langjährige Traditionin Lebensmittelsicherheit, eine gute wissenschaftlicheInfrastruktur und Ausstattung sowie gute Kommuni-kations- und Transportbedingungen.

Diese Kriterien sprechen dafür, dass sich die Bun-desregierung nachdrücklich für einen deutschenStandort als Sitz der Europäischen Lebensmittelsi-cherheitsbehörde einsetzt.

Schon auf der Agrarministerkonferenz am 22. Sep-tember 2000 haben die Fachminister der Länder denBundeslandwirtschaftsminister gebeten, sich füreinen deutschen Standort auszusprechen. Eine Ent-scheidung von solcher Tragweite für Verbraucher und

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staatliche Handlungsebene in Europa darf nicht auspolitischen Proporzgründen getroffen werden, son-dern muss sich an sachlichen Argumenten ausrichten.

Die Bundesrepublik ist angesichts der von der EUformulierten Anforderungen an den Sitz der Behördebestens geeignet. Bundesweit gibt es hervorragendgeeignete Standorte für den Sitz der EuropäischenLebensmittelsicherheitsbehörde. Insoweit ist es fürmich nicht nachzuvollziehen, warum der Bundes-kanzler bereits in einem so frühen Stadium Deutsch-land als Standort aufgegeben hat.

Das Land Baden-Württemberg bittet daher die Mit-glieder des Bundesrates zu beschließen, die Bundes-regierung aufzufordern, sich nachdrücklich und umgehend für den Sitz der Europäischen Lebensmit-telsicherheitsbehörde an einem Standort in der Bun-desrepublik Deutschland einzusetzen.

Darüber hinaus bittet das Land Baden-Württem-berg die Mitglieder des Bundesrates zu beschließen,die Bundesregierung zu bitten, über ihre erreichtenErgebnisse bei der Ansiedlung der genannten Behör-de bis zum 31. Dezember 2001 zu berichten.

Anlage 11

Erklärung

von Staatsminister Walter Zuber(Rheinland-Pfalz)

zu Punkt 19 der Tagesordnung

Die Universitätsklinika behandeln nach derzeitigerRechtslage ambulante Patienten im Rahmen von For-schung und Lehre und im Rahmen der Sicherstellungder ambulanten Krankenversorgung. In beiden Berei-chen entstehen nicht unerhebliche Defizite: Die Ver-waltung ist aufwändig, und das Verfahren entsprichtnicht mehr der Wirklichkeit.

Durch die Einführung von Fallpauschalen wird sichder Druck auf die Ambulanzen der Universitätsklini-ka erhöhen. Deshalb hält es die Landesregierung vonRheinland-Pfalz für notwendig, diese Probleme – unter Berücksichtigung der in den Ausschussbera-tungen erörterten Vorschläge – einer sachgerechtenLösung zuzuführen. Die Landesregierung geht dabeidavon aus, dass die Bundesregierung entsprechendenÄnderungsbedarf prüft und bei nächster GelegenheitVorschläge unterbreitet.

Anlage 12

Erklärung

von Minister Wolfgang Senff(Niedersachsen)

zu Punkt 27 der Tagesordnung

In wenigen Wochen werden 300 Millionen Europäerihr bisheriges nationales Bargeld in Euro umtauschen.

Viele Hoffnungen auf ein weiteres Zusammenwach-sen des europäischen Wirtschaftsraums sind im Zu-sammenhang mit dem Euro geweckt worden. DieVorteile müssen nicht nur für die Industrie und Ban-ken, sondern auch für die Bürger sichtbar werden.

Ein wichtiger Baustein ist deshalb die Frage, ob dieMenschen in Europa in Zukunft weniger Geld fürgrenzüberschreitende Zahlungen aufwenden müssenals bisher. Wir wollen doch den Ausbau der grenz-überschreitenden Wirtschaftskontakte. Wir wollen E-Commerce stärken. Der Euro soll gerade Preistrans-parenz für die Angebote im gesamteuropäischenWirtschaftsraum herstellen. Wir vernetzen den Bin-nenmarkt an allen Ecken und Kanten.

Es ist deshalb kontraproduktiv, wenn wir diese Vor-teile durch überzogene Bankgebühren wieder zunich-te machen. Die EU hat in einer Studie nachgewiesen,dass europaweit für eine Überweisung von 100 Eurodurchschnittlich 24 Euro an Gebühren anfallen. Fast25 % des Geldbetrages werden aufgefressen. Daskann man im Euroraum niemandem vermitteln.

Die Niedersächsische Landesregierung unterstütztdeshalb den Vorschlag der Kommission, mit einerVerordnung die Gebühren für grenzüberschreitendeZahlungen in Euro zu begrenzen. In einem einheitli-chen Währungsraum kann es niemandem einleuch-ten, dass Zahlungsvorgänge unterschiedliche Ge-bührenfolge in dem ermittelten Ausmaß haben.

Ich höre harsche Kritik an diesem Vorhaben vonden Banken. Ich lese von vielen technischen Schwie-rigkeiten und Hindernissen, die Auslandsüberwei-sungen verteuern. Lassen Sie mich deshalb deutlichsagen: Die Kommission hat bereits seit langem dieBankenwelt auf dieses Problem aufmerksam gemachtund um Bereinigung des Problems gebeten. Ich stelleweiter fest, dass im Kontext der Einführung von TARGET zur technischen Abwicklung des Zentral-bankverkehrs auch die Privatbanken genügend Zeithatten, die unzweifelhaft vorhandenen technischenInkompatibilitäten der nationalen Geldsysteme abzu-bauen.

Offenbar haben die Banken die Botschaft, die indiesem Verordnungsvorschlag steckt, auch verstan-den. Letzte Woche meldete die Presse, dass die eu-ropäische Bankenvereinigung einen freiwilligen Kos-tensenkungsvorschlag vorgelegt habe, der eineAngleichung der Gebühren bis 2006 vorsehe. DieseEinsicht kommt spät. Sie ist auch nicht ausreichend,weil die Übergangsfrist unangemessen ist. Außerdemhat die Einsicht noch nicht alle erfasst; die Sparkassenund Genossenschaften in Deutschland wollen offen-bar nicht mitmachen.

Ich halte das eher für ein Ablenkungsmanöver.Natürlich ist es ordnungspolitisch immer misslich, di-rigierend in Märkte einzugreifen. Preisfestsetzungendurch die öffentliche Hand sind nicht immer der Weis-heit letzter Schluss. Aber hier gilt: Wer trotz Kenntnisdes Problemdrucks nicht davon lassen will, ein hap-piges Gebührenschnäppchen zu Lasten der Kunden zu machen, der muss ausnahmsweise im Verord-nungswege auf den Pfad der Tugend zurückgebrachtwerden.

Bundesrat – 769. Sitzung – 9. November 2001632*

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Bundesrat – 769. Sitzung – 9. November 2001 633*

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Wir wollen die Bankenwelt andererseits nicht imRegen stehen lassen. Die Europaminister haben des-halb auf ihrer Konferenz in Goslar am 10. Oktober2001 die Europäische Zentralbank und die nationalenZentralbanken gebeten, zusammen mit der Kredit-wirtschaft nach technischen Wegen und Standards zusuchen, um die Kosten im Auslandszahlungsverkehrdrastisch zu senken. An diesem Appell halten wir fest;die Bereitschaft zur konstruktiven Zusammenarbeitist vorhanden. Ich gehe deshalb davon aus, dass diegeplante Verordnung der EU zu keinen dauerhaftenBelastungen der Kreditwirtschaft führt. Ankündigun-gen, etwaige höhere Kosten im Auslandszahlungs-verkehr auf den Inlandszahlungsverkehr umzulegen – sprich: im Inland die Gebühren zu erhöhen –, sinddeshalb fehl am Platze.

Anlage 13

Erklärung

von Staatsminister Walter Zuber(Rheinland-Pfalz)

zu Punkt 27 der Tagesordnung

Die Landesregierung von Rheinland-Pfalz appel-liert an die Bundesregierung, sich zur Verstärkungder Akzeptanz des Euro auf europäischer Ebene füreine Regelung einzusetzen, dass Banken und Spar-kassen bis zur Einführung des Euro die technischenVoraussetzungen für den grenzüberschreitendenZahlungsverkehr im Euroraum verbessern und dieGebühren möglichst auf das Niveau der Inlandsge-bühren absenken.

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