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ANTIKE WELT · 50. Jahrgang · Heft 3/2019 DIE ANTIKE UND DAS MEER ǁǁǁĂŶƟŬĞǁĞůƚĚĞ ĞŝƚƐĐŚƌŝŌ Ĩƺƌ ƌĐŚćŽůŽŐŝĞ ƵŶĚ <ƵůƚƵƌŐĞƐĐŚŝĐŚƚĞ 3.19 12,80 (D) ϭϰʹ ;Ϳ Ɛ&ƌ Ϯϱʹ ŝĞ ŶƟŬĞ ƵŶĚ ĚĂƐ DĞĞƌ RÖMISCHES REICH ŽƉLJ ĂŶĚ ƉĂƐƚĞ ʹ 'Ăď ĞƐ ĂŶƟŬĞ DƵƐƚĞƌďƺĐŚĞƌ SYRIEN ŝĞ ĂŬƚƵĞůůĞ >ĂŐĞ ŝŶ ů ŶĚĂƌŝŶ GRIECHENLAND ŝĞ ĂƚŚĞŶŝƐĐŚĞ ĞŵŽŬƌĂƟĞ ƵŶĚ ŝŚƌĞ 'ĞŐŶĞƌ

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RÖMISCHES REICH SYRIEN GRIECHENLAND

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TITELTHEMA

WER NICHT WAGT, DER NICHT GEWINNTOb für den Handel, Entdeckungsreisen oder Krieg auf See – das Meer löste in der Antike gleichzeitig Faszination und Ehrfurcht aus. Schon Odysseus erfuhr auf seinen Irrfahrten: Wer sich den Gefahren des Meeres und der Seefahrt stellte, konnte es sich zu Nutzen machen und sogar zum Helden werden.

MARITIME MOTIVE, MEDIALE MACHT – SEEFAHRT UND SEEKRIEG AUF ANTIKEN MÜNZEN

Zahlreiche Münzen der griechisch-römischen Antike zeigen Seefahrtsmotive. Während griechische Prägungen vor allem konkrete Anlässe und Machtdemonstrationen widerspiegeln, lassen spätere römische Münzmotive zeitgenössische Mentalitäten erkennen.

KOSTBARE FRACHT UNTER GESETZTEM SEGEL – ANTIKE SEEROUTEN UND MARITIMES KNOW-HOW

Auf antiken Meeresrouten, die eine Regattasoftware nun zusammen mit errechneten Segelzeiten liefert, wurden nicht nur Güter transportiert: Über die Seefahrt funktionierte der Austausch von Ideen und die Vernetzung der Mittelmeerwelt.

AUF ZU NEUEN UFERN – DAS ROTE MEER UND DARÜBER HINAUSDie Antike und das Meer – damit ist nicht nur das Mittelmeer gemeint. Immer stärker im Fokus der Forschung steht das Rote Meer, das sich als außergewöhnlich stark ver-netzter Raum herausstellt.

«EIN LIEBLICHER ANBLICK IST JA DAS WEISSSCHÄUMENDE MEER» – DIE CHRISTEN UND DAS MEER

Dass sich in der Antike neben Gütern auch Informationen und Ideen über den Seeweg verbreiteten, wirkte sich auch auf die Reichweite des frühen Christentums aus: Als symbolischer und physischer Ort spielte das Meer in seiner Entwicklung eine wich-tige Rolle.

8von Raimund Schulz

12von Sven Günther

17von Christoph Schäfer und

Pascal Warnking

23von Klaus Geus

29von Dorothea Rohde

DIE ANTIKE UND DAS MEER

Fotos: oben: Hafen von Leptis Magna, 2. Jh. n. Chr. (Libyen), akg-images / De Agostini / V. Giannella; rechts: Szene aus dem Film «300»; Schilde mit Lambda, akg-images Album Warner Bros. Pictures.

Titelbild der vorliegenden Ausgabe Odysseus auf einem aus zwei Vasen gebildeten Floß, angetrieben von dem Windgott Boreas (akg-images / Erich Lessing).Poster in «Mosaik»: Faber Courtial.

MOSAIKZusammen mit Franz Philipp Rutzen, dem ehemaligen Verleger der AW, lassen wir die er folgreiche Entwicklung der AW seit den 1990er Jahren Revue passieren. Premiere feiern wir dagegen mit einem Poster, das die faszinierend rekonstruierte Akropolis zeigt.

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THEMENPANORAMA

RUBRIKEN

ANTIKE IN DREI DIMENSIONEN  – «DIE VERGANGENHEIT FÜR MENSCHEN ERLEBBAR MACHEN»

Antike Stätten werden bei Faber Courtial GbR zum Leben erweckt: Wie entstehen die be-eindruckenden 3D-Rekonstruktionen architektonischer Meisterwerke der antiken Welt?

ANTIKE MUSTERBÜCHER – «COPY AND PASTE» IN DER ANTIKE?In der römischen Wandmalerei wiederholen sich Motive und Szenen in verschiedenen Kontexten, an verschiedenen Orten – soweit die Beobachtung. Ein Zeichen für die Exis-tenz von antiken Musterbüchern?

ISITYCHE AUF SARDINIEN – NEUE DEUTUNG EINER WEIBLICHEN STATUE IN CAGLIARI

Eine aus Marmor gefertigte Frauenstatue im Museo Archeologico Nazionale von Cagliari gibt Rätsel auf. Der Autor erklärt nun, warum sie neuesten Untersuchungen zufolge Isityche darzustellen scheint.

EINE UMSTRITTENE REGIERUNGSFORM – DIE ATHENISCHE DEMOKRATIE UND IHRE GEGNER

Als Regierungsform, in der das Volk sich selbst regiert, war die Demokratie im antiken Athen keineswegs unumstritten. Wo liegen die Wuzeln der direkten Herrschaft des Volkes und wer waren ihre Gegner?

DAS ANTIKE ANDRONA – ZERSTÖRUNGEN DURCH DEN IS IN AL ANDARINEin Jahrzehnt lang, von 1997 bis 2007, gruben deutsche Teams in Al Andarin mitten in der syrischen Steppe. Doch der IS zerstörte das antike Androna – die Autorin berich-tet über den Status quo und die Gründe für die gezielte Zerstörung des Kastrons.

MIT HASHTAG, MEGAFON UND LEONIDAS DAS HEIMATLAND VERTEIDI-GEN – DIE IDENTITÄRE BEWEGUNG DEUTSCHLAND UND DIE ANTIKE

Der spartanische Krieger als tugendhaftes Vorbild und das Lambda als Logo: Die Identi täre Bewegung Deutschland bedient sich der Antike und instrumentalisiert sie für die eigene Ideologie.

BRASILIEN UND DIE ANTIKE – DAS ERBE DER GRIECHISCHEN UND RÖMISCHEN VERGANGENHEIT IN DEN TROPEN

In Brasiliens Vergangenheit war die Suche nach der nationalen Identität immer präsent und mit ihr die Frage nach der Rolle der Altertumswissenschaften. Eine Dis -ziplin, deren gesellschaftliche Rolle gerade heute wieder umstritten ist.

39von Anna Ockert

43von Renate Thomas

53von Lorenzo Vollaro

59von Klaus Bringmann

67von Christine Strube

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4 Aktuell 6 Sprachen und Schriften33 Museumsinsel Berlin38 Preisrätsel76 Leserreise Libanon88 Museen in aller Welt92 Bücherspiegel94 Ausstellungskalender99 Geflügelte Worte

100 Vorschau / Impressum

AW-SPEZIAL  ANTIKE UND GESELLSCHAFT

81von Julia Müller

84von Juliana Bastos Marques

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DIE ANTIKE UND DAS MEERWer nicht wagt, der nicht gewinnt

«Wir sind ein Seefahrervolk und haben keine Angst, aufs offene Meer zu fahren», so sprach der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras seinen Landsleuten während der Schuldenkrise Mut zu (FAZ 5.7.2015). Dabei verwies er auf Odysseus, den Prototyp des wagemutigen Seefahrers. Er besaß die Fähigkeit, sich durch Intelligenz, List und Zähigkeit zu behaupten, Niederlagen und Verluste zu verkraften, ohne sein Ziel aus dem Auge zu ver-lieren. Kann es für Politiker ein besseres Vorbild geben?

von Raimund Schulz

Entscheidend ist: So vielfältig der Charakter des Helden auch aus­

gedeutet werden kann, alles benötigt die Folie des Meeres. Ohne das Meer keine Abenteuer, keine Bewährung, keine Entwicklung und kein glücklich erreichtes Ziel. Doch leicht war es nie: Tief im Gemüt, so Homer, erduldete

Odysseus unendliche Leiden. Dass er an diesen Leiden nicht zerbrach und seine Angst überwand – erst das macht ihn zum wahren Helden. Seine Aben­teuer stehen für eine zentrale Bot­schaft der Antike: Das Meer galt als Ort des Schreckens und Sinnbild des Bösen. Aber es bot auch Chancen und Reichtümer, und so gab es immer wie­der Menschen, die aus der Not eine Tu­

gend machten und ihr Leben der See­fahrt widmeten.

Versorgung über das MeerDer Mittelmeerraum ist ein zersplit­terter und ökologisch segmentierter Großraum mit einer ungleichen Ver­teilung natürlicher Ressourcen. Kup­fer und hochwertiges Eisen gab es auf Zypern, in Norditalien sowie an der Südküste des Schwarzen Meeres, Sil­ber vor allem im südlichen Spanien, Gold in Nubien und Westafrika, Zinn musste aus Nordeuropa und Britan­nien herangeschafft werden. Viele Me­talle waren zur Waffenproduktion sowie zur Herstellung von Kunstproduk­ten und Werkzeugen unerlässlich. Die Versorgung mit diesen Produkten war Lebenselixier und Erfolgsgarant der von Städten geprägten Küstenkultur: Ob Athen, Rom, Karthago, Konstanti­nopel, Alexandria oder Syra kus – alle großen Städte lagen am Meer oder besaßen küstennahe Verbindungen. So konnten sie nicht nur am Übersee­handel partizipieren und ihre Wirt­schaft mit Naturalien und Fertigpro­dukten versorgen, sondern auch die Ernährung ihrer Bevölkerung sichern (Abb. 1). Denn nur selten reichten die heimischen Agrarprodukte aus, Fisch und Frutti di Mare mochten das Nahrungsmittelangebot ergänzen, doch zusätzlich musste für die Bewoh­

Abb. 1  Relief aus dem Palast Sargons II. in Khorsabad, Ende des 8. Jhs. v. Chr. Dargestellt sind wahr­scheinlich phönikische Schiffe (offenbar aus Tyros), die Zedernholz transportieren und an der Küste ausladen. Die Regenten des Nahen Ostens und Ägyptens hatten eklatanten Mangel an natürlichen Ressourcen und benötigten hochwertiges Bauholz (auch aus Indien) für ihre Tempel und Paläste.

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TITELTHEMA

ner größerer Städte Getreide importiert werden: aus dem Nilland, Sizilien und dem Nordschwarzmeerraum. Schnell kamen Luxusprodukte hinzu. Gewürze für den Tempeldienst, für die Arznei­kunst sowie für die Verfeinerung der Speisen. An erster Stelle standen Weih­rauch und Myrrhe aus Südarabien und Somalia, schon bald auch Pfeffer aus Indien und Seide aus dem fernsten Osten.

Entdeckungs- und Kolonisations-fahrten So brachen denn immer wieder Kapi­täne auf, um für sich und ihre Gemein­den oder im Auftrag fremder Herr­scher an die Schätze heranzukommen und als Lieferant oder Zwischenhänd­ler reich zu werden. Ihre Heimatstädte profitierten  nicht  nur  von  den  Erfol­gen, sondern auch von dem Wissen über Seewege und ferne Küsten. Das Meer wurde für sie Überlebensgaran­tie in der Welt mächtiger Nachbarn und Ventil innerer Spannungen. Griff ein überlegenes Landheer an, konn­ten sich die Bürger auf die Schiffe ret­ten und zur Not emigrieren; gab es in­neren Streit, mochte man eine Partei zur Auswanderung bewegen, um den Frieden zu wahren.

Aus dieser Konstellation heraus sind die Seefahrertraditionen der Phöniker und Griechen erwachsen. Die phöni­kischen Städte der Levante (Abb. 2) schickten ihre Seefahrer bis nach Spa­nien und in den Atlantik, wo sie Han­del trieben und Kolonien gründeten. Im Osten unternahm man für die He­bräerkönige Seeexpeditionen in das legendäre Ophir (Südarabien), angeb­lich umrundete ein phönikischer Ka­pitän  um  600  v. Chr.  im  Auftrag  des ägyptischen Pharao vom Roten Meer aus Afrika. Griechische Abenteurer folg­ten ihren Spuren durch das Mittel­meer nach Westen an die französische Küste, in die Adria und nach Spanien. Sie erschlossen das Schwarze Meer und gründeten Kolonien (Apoikien;

Abb. 3). Andere Kapitäne standen im Dienst des persischen Königs. Einer von ihnen fuhr den Indus hinab, se­gelte westwärts bis zum Persischen Golf und umrundete die arabische Halbinsel, um durch das Rote Meer wieder Ägypten zu erreichen. Dane­ben durchkämmten Griechen und Phö­niker auf eigene Rechnung das Meer – als Seeräuber, Kolonistenführer und Fernhändler auf der Suche nach neuen Reichtümern. Es waren griechische Seefahrer, die seit dem 4. Jh. v. Chr. im Westen durch die Straße von Gibraltar bis nach Nordbritannien kamen und wahrscheinlich Island erreichten so­wie im 1. Jh. n. Chr. im Osten durch die Straße von Malakka ins chinesische Meer vorstießen (Abb. 4). Aus dem Hass des Odysseus war eine Hassliebe zum Meer geworden, die viele Seefah­rer hinaustrieb und mit der Gewiss­heit zurückkehren ließ, sich auf dem todbringenden Element behauptet zu haben. Denn anders als auf vergleich­baren Feldern wie dem Krieg, auf de­nen der Mensch sich dem Tod stellen und seinen Mut beweisen musste, war im Falle der Seefahrt auch noch Klug­heit und Erfahrung gefragt. Erst diese

Kombination machte aus der Bewäh­rung auf See eine Kunst, die nicht viele beherrschten.

Flotten und Seekriege Besonders spektakulär kam diese Kunst zum Tragen, wenn militärische Konflikte auf dem Meer ausgetragen wurden. In keinem anderen maritimen Großraum der Antike, weder im chinesischen noch im arabischen oder indischen Ozean, wurden so viele Seeschlachten ausgetragen; nirgendwo sonst haben Seekriege die Verteilung der Macht zu Lande und die Ausbildung von «Verfas­sungen», wie die Athener Demokratie, so stark beeinflusst wie im Mittelmeer­raum. Deshalb bildeten Seesiege und mächtige Flotten wichtige Elemente der Legitimation von Herrschaft – nicht nur in Athen, sondern auch in den hellenistischen Großreichen sowie in Rom, das sein das Mittelmeer um­spannendes Imperium auch dem Ein­satz seiner Flotten verdankte. Metro­polen wie Karthago und Alexandria erlangten ihren Ruf nicht nur durch ihre Funktion als Drehscheibe eines globalen Seehandels, sondern auch weil sie die modernsten Kriegsflotten 

Abb. 2 Die Rekonstruktion der berühmten phönikischen Hafenstadt Tyros an der Levante zeigt, wie sich die Baumeister die felsige Struktur der Insel und Küstenformationen vor allem gegenüber An griffen vom Land aus zu Nutze machten. Der Hafen war von Beginn an in das befestigte Stadtge­lände integriert.

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DIE ANTIKE UND DAS MEER – Wer nicht wagt, der nicht gewinnt

beherbergten. Und nicht ohne Grund waren prachtvolle Hafenanlagen und maritime Siegestrophäen beliebte Bild­symbole politischer, militärischer und wirtschaftlicher Potenz. Erst wer ne­ben dem Land auch das Meer be­herrschte, konnte von sich behaupten, dass ihm die Welt zu Füßen lag. Staatliche Autoritäten pflegten denn 

auch echten Stolz auf das maritime Können ihrer Bürger nur dann aus­zudrücken, wenn es um militärische Leistungen ging. Wenn sich dagegen Händler dafür rühmten, ihr Leben lang der Natur getrotzt und erfolgrei­che Fahrten mit Gewinn abgeschlos­sen zu haben, dann erregte das nicht selten Misstrauen. Seeleute wurden von den landbesitzenden Eliten ge­nauso verachtet wie Fernhändler, die mit ihren Geschichten über Reisen in exotische Länder Hörer und Kun­

Abb. 4 Straße von Gibraltar: Das Foto von der spanischen Seite aus gibt einen Eindruck von der Enge des Seeweges, der Mittelmeer und Atlantik verbindet. Es täuscht aber über die Gefahren (Gezeiten, Strömungen, Stürme) hinweg, mit denen antike Seefahrer auf ihren Fahrten zu den Silberreich­tümern des Guadalquivir oder der Zinninseln (Britannien) rechnen mussten.

Abb. 3 Die Pentekontere (Fünfzigruderer) war ein robuster Allrounder, der gleichermaßen Men­schen und Waren transportieren sowie sich gegenüber Piraten (auch mit Hilfe des wohl im 6. Jh. v. Chr. eingeführten Rammspornes) verteidigen konnte. Das machte ihn zum Standardschiff von Ko­lonisations­ und Entdeckungsfahrten.

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den blendeten. Große Philosophen rie­ten dazu, die Idealstadt fern vom oder ganz ohne Hafen anzulegen, um die Bürger nicht den Verführungen der verruchten Welt der Seefahrer auszu­setzen. Doch es sind die gleichen und andere Gelehrte, die um die Chancen der Seefahrt wissen und 2000 Jahre vor Kolumbus eine Westfahrt von Spa­nien über den Atlantik nach Indien für möglich halten (Abb. 5). Hinter all dem steht der alte Zwiespalt: einerseits Dis­tanz vor dem Meer und all denjenigen, die ihm ihre Seele verkaufen, anderer­seits das Wissen darum, welche Mög­lichkeiten die Seefahrt der Horizont­erweiterung, dem Warenverkehr und der Völkerverbindung eröffnet. Die Seefahrt wird von den einen als Abkehr vom Goldenen Zeitalter gebrandmarkt und von anderen als größte Errungen­schaft des menschlichen Geistes gefei­ert. Nicht selten überwog trotz aller Vorbehalte am Ende der Reiz, das Va­banquespiel zu wagen und anstelle ei­nes nassen Grabes auf trockene Reich­tümer zu stoßen.

Religion und Mission – Das Chris-tentum und das MeerSelbst das Christentum konnte sich diesem Reiz nicht entziehen, zumal ihm eine besondere Nähe zum Meer nachgesagt wurde. Hatte nicht Jesus den Sturm gebändigt und das Ele­ment besiegt, als er über das Was­ser des Sees Genezareth schritt? Und hatte der Meister nicht seinen Jüngern aufgetragen, die Frohe Botschaft al­len Völkern zu verkünden? Generatio­nen von Missionaren nutzten die gro­ßen See­ und Handelsrouten. Und sie machten die gleichen Erfahrungen mit dem Meer, die schon die alten Schrif­ten beschrieben hatten. Als das Schiff des Paulus vor Kreta oder Malta (?) im Sturm versank, mochte er sich an die hebräische Bibel erinnern, die vor der teuflischen Bösartigkeit des Mee­res gewarnt hatte. Doch er und viele andere wurden gerettet und lernten

die Chancen des Elements schätzen: Christliche Schriftsteller priesen das Meer als göttliches Geschenk, als Ve­hikel der Mission und Kulturverbin­dung. Lenkte der Politiker das «Staats­schiff» über die stürmische See, so geleitete nun Christus als Steuermann das aus dem Kreuzesholz gezimmerte «Kirchenschiff» über das satanische Meer. Gott blieb siegreich: Das Böse des Meeres ist gezähmt und das Gute genutzt. Christliche Seefahrt ist des­halb gottgewollt und der christliche Seefahrer zeigt durch seine Navigati­onskunst, dass er Anteil am göttlichen Logos hat. Von hier aus verläuft eine direkte Linie in die Zeit des Kolumbus und des Aufbruchs der Europäer über alle Weltmeere.

Adresse des AutorsProf. Dr. Raimund Schulz Universität Bielefeld Fakultät für Geschichtswissenschaft, Philosophie und Theologie Alte Geschichte D-33501 Bielefeld

BildnachweisAbb. 1: Heritage Images / Fine Art Images / akg-images; 2: akg-images / Balage Balogh / archaeologyillustra-ted.com; 3: Gts-tg [CC BY-SA 4.0 (https://creativecom-mons.org/licenses/by-sa/4.0)]; 4: Stefano Politi Marko-vina / Alamy Stock Foto; 5: Gts-tg [CC BY-SA 4.0 (https://creative commons.org/licenses/by-sa/4.0)]

LiteraturPH. DE SOUZA / P. ARNAUD (Hrsg.), The Sea in History / La Mer dans L´Histoire: The Ancient World / L`Antiquité (2017).

R. SCHULZ, Die Antike und das Meer (2005).

DERS., Abenteurer der Ferne. Die großen Entdeckungs-fahrten und das Weltwissen der Antike (22016).

Abb. 5 Der Stolz der Ein­wohner von Mar­

seille spiegelt sich in der Statue für

Pytheas, ihren größ­ten Entdecker, von

manchen als antiker Kolumbus bezeich­

net. Er stieß im 4. Jh. v. Chr. mit eigenem Schiff oder als Pas­sagier mindestens bis zur Nordspitze

der britischen Insel vor und erreichte als erster Seefahrer des

Mittelmeerraums vielleicht sogar Nor­

wegen oder Island (das berühmte

Thule).