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Empirische Bildungsforschung Th eorien, Methoden, Befunde und Perspektiven

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Waxmann 2013Münster / New York / München / Berlin

Nele McElvany & Heinz Günter Holtappels (Hrsg.)

Empirische BildungsforschungTh eorien, Methoden, Befunde und Perspektiven

Festschrift für Wilfried Bos

© Waxmann Verlag GmbH. Nur für den privaten Gebrauch.

ISBN 978-3-8309-7888-6

© Waxmann Verlag GmbH, 2013Postfach 8603, 48046 MünsterWaxmann Publishing Co.P.O. Box 1318, New York, NY 10028, USA

[email protected]

Umschlaggestaltung: Pleßmann Design, Ascheberg Umschlagzeichnung: Der Entscheider, Holger John, Dresden(Privatbesitz Wilfried Bos)Satz: Stoddart Satz- und Layoutservice, MünsterDruck: cpibooks, Ulm

Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier,säurefrei gemäß ISO 9706

Printed in Germany Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, auch auszugsweise, verboten.Kein Teil dieses Werkes darf ohne schrift liche Genehmigung desVerlages in irgendeiner Form reproduziert oder unter Verwendungelektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Bibliografi sche Informationen der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation inder Deutschen Nationalbibliografi e; detaillierte bibliografi scheDaten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufb ar.

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Inhalt

Nele McElvany und Heinz Günter HoltappelsVorwort .............................................................................................................................................7

Th eoretische Grundlagen und Forschungsbefunde zur Schulentwicklung

Hans-Günter Rolff Holistische Schulentwicklung. Analysen und Perspektiven ......................................................9

Heinz Günter HoltappelsSchulentwicklung und Lehrerkooperation ................................................................................35

Klaus KlemmDemographische Entwicklung und Bildungszeit ......................................................................63

Ewald TerhartWiderstand von Lehrkräft en in Schulreformprozessen: Zwischen Kooperation und Obstruktion ...................................................................................75

Diff erenzierte Analysen im Kontext internationaler Vergleichsstudien

Manfred Prenzel und Eva-Maria LankesWas können Schülerinnen und Schüler über ihren Unterricht sagen? Ein Blick in die Schülerfragebogen von internationalen Vergleichsstudien .........................93

Hans-Peter Blossfeld, Ulrich Trautwein and Jutta von MauriceStudying Disparities in Access to Higher Education: Input of the German National Educational Panel Study ....................................................... 109

Kai S. Cortina, Kevin F. Miller, Shu Hua, Eric Peist, Yizhen Huang and Yue WeiBehavioral Regulation of Preschoolers in China and the US: the Role of Attention ........ 125

Sarah HowieMeasuring the Health of South Africa’s Education System: Insights from the IEA Studies ................................................................................................... 135

Ke YuEine methodologische, geopolitische und pädagogische Diskussion über Shanghai als PISA-Sieger .................................................................................................. 157

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6 Inhalt

Methodische Problemstellungen und Ansätze in der empirischen Bildungsforschung

Olaf Köller und Steff ani SaßWie viel g ist in Mathematiktests? Konfi rmatorische Faktorenanalysen zur Konstruktvalidität von Mathematiktests am Ende der Primarstufe .................................... 173

Michael O. Martin, Ina V. S. Mullis and Pierre FoyTh e Limits of Measurement: Problems in Measuring Trends for Low-performing Countries ................................................................ 189

Ingrid GogolinVerschiedene Betrachtungsweisen. Über das Problem der Evaluation von Modellprojekten im Bildungswesen ...................................................... 205

Nele McElvany und Franzika SchwabeFairness von Lesetestaufgaben für Kinder aus Familien mit unterschiedlichem sozioökonomischem Status bei Large-Scale-Studien ........................... 219

Entscheidungen und Bildungsverläufe im deutschen Bildungssystem

Cornelia Gräsel und Ines BöhmerDie Übergangsempfehlung nach der Grundschule: Welche Informationen nutzen Lehrerinnen und Lehrer für die Entscheidung? ........................................................ 235

Jörg-Peter Schräpler und Horst WeishauptAuswirkung des Zentralabiturs auf den Abiturerfolg an Gymnasien und Gesamtschulen in Nordrhein-Westfalen ......................................................................... 249

Christian Tarnai und Nadja PfuhlPädagogik im Netz von Studienfächern. Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Fächer aus der Perspektive Studierender.................................................. 267

Autorinnen und Autoren ........................................................................................................... 291

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Vorwort

Die Empirische Bildungsforschung hat mit ihren Forschungsbefunden zu Bildungspro-zessen und Bildungserträgen in den letzten Jahren die wissenschaft liche Arbeit im Bil-dungsbereich entscheidend mitgeprägt. Zudem gelang es ihr, auch die pädagogische Pra-xis, die Bildungsadministration und die Bildungspolitik zu grundlegenden Diskussionen zu inspirieren und zu Entscheidungen und Maßnahmen zu bewegen. Die vorliegende Festschrift versammelt fundierte Erkenntnisse aus Studien der empirischen Bildungsfor-schung, wobei die Beiträge relevante und aktuelle Th eorien, Methoden und Befunde ein-bringen und Perspektiven für die künft ige Forschung aufzeigen. Das Werk ist zu Ehren von Prof. Dr. Wilfried Bos von zahlreichen seiner „Weggefährtinnen und Weggefährten“ zu seinem 60. Geburtstag gestaltet worden.

Wilfried Bos hat sich bereits als Professor für Quantitative Methoden und Internati-onale Bildungsforschung im Fachbereich Erziehungswissenschaft der Universität Ham-burg international in der empirischen Schulforschung etabliert. Seine anschließende Professur für Bildungsforschung und Qualitätssicherung brachte ihn an die Technische Universität Dortmund. Dort prägt er als Direktor des Instituts für Schulentwicklungs-forschung (IFS) die empirische Bildungsforschung in Deutschland, insbesondere im Be-reich der Schule, entscheidend mit. So zeigte Wilfried Bos als wissenschaft licher Lei-ter der renommierten Schulleistungsstudie PIRLS (IGLU) vertiefende Erkenntnisse über den Stand der Lesekompetenz von deutschen Grundschulkindern auf. Neben der Lese-kompetenz widmet er sich im Rahmen der internationalen Schulleistungsstudie TIMSS auch den Schülerleistungen in den Bereichen Mathematik und Naturwissenschaft en. Die Befunde zur sozialen Selektivität und zur Übergangsempfehlung von der Grund-schule auf die weiterführenden Schulen aus diesen Studien, aber auch aus Untersuchun-gen wie dem Chancenspiegel oder KESS (Kompetenzen und Einstellungen von Schü-lerinnen und Schülern) sind grundlegend und verdeutlichen Entwicklungsbedarfe für die Bildungspolitik und Schulentwicklung in Deutschland. Im Nationalen Bildungspanel (NEPS) zeichnet Wilfried Bos mit seinem Team verantwortlich für die Etappe 4 „Wege durch die Sekundarstufe I und Übergänge in die Sekundarstufe II“, der als Bindeglied zwischen der Grundschule und dem allgemeinbildenden oder berufl ichen Sekundar-schulbereich II bzw. dem direkten Eintritt in den Arbeitsmarkt eine entscheidende Be-deutung zukommt. Schließlich kennzeichnet die Verbindung von wissenschaft licher For-schung mit gleichzeitigen Entwicklungs- und Beratungsleistungen für die Schulen auch eine Reihe seiner zentralen Schulentwicklungsprojekte.

Neben seiner wissenschaft lichen Arbeit liegt Wilfried Bos die Förderung von Nach-wuchswissenschaft lerinnen und Nachwuchswissenschaft lern besonders am Herzen. Mit-arbeiterinnen und Mitarbeiter profi tieren in besonderer Weise von seiner fachlichen Anleitung bei gleichzeitiger Herausforderung zu eigenständigem Arbeiten und dem ge-botenen Raum für individuelle Forschungsinteressen. Seine persönliche Integrität und Großzügigkeit tragen ebenfalls entscheidend dazu bei, dass am IFS nicht nur erfolgreich,

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Vorwort 8

sondern auch gerne gearbeitet wird und dass viele aktuelle und ehemalige Kolleginnen und Kollegen die Zusammenarbeit mit Wilfried Bos sehr schätzen.

Die Autorinnen und Autoren des vorliegenden Bandes stammen aus unterschiedli-chen Disziplinen und Ländern und haben Wilfried Bos an den verschiedenen Statio-nen seiner wissenschaft lichen Karriere begleitet. Die 16 Beiträge der Festschrift decken eine große Bandbreite aktueller Fragestellungen der empirischen Bildungsforschung ab. Die vier Bereiche dieses Bandes spiegeln ebenso die übergeordneten Forschungsschwer-punkte von Wilfried Bos selbst wider: So bietet der erste Bereich zunächst theoretische Grundlagen und Forschungsbefunde zur Schulentwicklung mit Ausführungen zu grund-legenden Schulentwicklungsprozessen in Deutschland (Rolff ; Holtappels; Klemm; Ter-hart). Der zweite Bereich beinhaltet diff erenzierte Analysen im Kontext (inter)nationaler Vergleichsstudien und umfasst zentrale Fragestellungen im Rahmen von mehreren in-ternational und national vergleichenden Studien von der Vorschule bis zur Hochschu-le (Prenzel & Lankes; Blossfeld, Trautwein & von Maurice; Cortina, Miller, Hua, Peist, Huang & Wei; Howie; Yu). Im dritten Bereich stehen methodische Problemstellungen und Ansätze in der empirischen Bildungsforschung im Vordergrund (Köller & Saß; Martin, Mullis & Foy; Gogolin; McElvany & Schwabe). Im abschließenden vierten Bereich wer-den Entscheidungen und Bildungsverläufe im deutschen Bildungssystem thematisiert (Grä-sel & Böhmer; Schräpler & Weishaupt; Tarnai & Pfuhl).

Alle Beiträge wurden einem Double-Blind-Begutachtungsverfahren unterzogen. Die Gutachterinnen und Gutachter haben mit ihrer Expertise einen erheblichen Beitrag zum Gelingen dieser Festschrift geleistet. Daher danken wir im Namen aller Beitragenden auf diesem Wege herzlich Prof. Dr. Yvonne Anders, Prof. Dr. Rolf Becker, Prof. Dr. Nils Ber-kemeyer, Prof. Dr. Sigrid Blömeke, Prof. Dr. Martin Bonsen, Prof. Dr. Claus Carsten-sen, Prof. Dr. Ilonca Hardy, Dr. Nina Jude, Prof. Dr. Mareike Kunter, Prof. Dr. Katharina Maag Merki, Prof. Dr. Kai Maaz, Prof. Dr. Anand Pant, Dr. Ernst Rösner, Prof. Dr. To-bias Stubbe, Prof. Dr. Isabell van Ackeren, Prof. Dr. Jan van Damme und Prof. Dr. Peter Vogel. Ein besonderer Dank gebührt auch Frau Dipl.-Päd. Anna-Kristin Albers, die die redaktionelle Betreuung der Festschrift übernommen hat.

Dortmund, im Frühjahr 2013Nele McElvany und Heinz Günter Holtappels

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Hans-Günter Rolff

Holistische Schulentwicklung Analysen und Perspektiven

In Deutschland laufen seit Jahren zahlreiche Schulentwicklungsprojekte, bei denen vie-le Ideen, Ressourcen und Energien investiert werden. Schulen haben sich in den letzten Jahren fraglos entwickelt und dieses in fast allen Dimensionen: Vom Führungsstil der Schulleitungen und dem Lehrerengagement in den Klassen bis hin zu veränderten Cur-ricula und Unterrichtsformen – allerdings ohne dass bedeutsame und nachhaltige Ver-besserungen der Schülerleistungen nachzuweisen sind, was zu Belastungen und Enttäu-schungen geführt hat. Dabei sind fast alle Elemente, die zur Entwicklung von besseren Lerngelegenheiten und besseren Leistungen von Schülerinnen und Schülern nötig sind, in den meisten Schulen vorhanden. Fragt man sich, wieso es trotzdem nicht zu besseren Schülerleistungen gekommen ist, mehren sich die Anzeichen, dass der Hauptgrund da-für in der Fragmentierung liegt, also in dem Umstand, dass die Maßnahmen der Unter-richtsentwicklung (UE) zu unverbunden geplant und zu gestückelt implementiert wur-den.

Es wird immer deutlicher (und vor allem in den Publikationen von Michael Fullan (Fullan, 2010) und Michael Barber (Barber, Chijioke & Mourshed, 2011 belegt)), dass wirksame und nachhaltige UE aus einem Guss, d. h. ganzheitlich im Rahmen von Schul-entwicklung (SE) konzipiert und implementiert werden muss. Das läuft auf ein Kon-zept holistischer Schulentwicklung hinaus und soll im Folgenden anhand von vier unterschiedlichen Zugängen dargelegt werden: 1. Ganzheitlichkeit als holistisches Quali-tätsmanagement, 2. Rolle der Schulleitungen als Organisatoren ganzheitlichen Handelns, 3. Werkzeuge zur Diagnose und Gestaltung von Ganzheitlichkeit und 4. Entwicklung von Ganzheitlichkeit durch Prototypen und Entwicklungswerkstätten.

1 Qualität mit System

Die genannten Studien identifi zieren ein ganzes Bündel von Maßnahmen erfolgreicher UE, die zu nachweisbaren Verbesserungen von Schülerleistungen führten. Diese Maß-nahmen gruppieren die Studien nach Kernideen, Elementen erfolgreicher Reformen, in-nerschulischen Parametern, Anreizen für Lehrer, resoluter Schulleitung und regionaler Vernetzung. Diese Maßnahmen, die noch ausführlicher dargestellt werden, bilden ein ziemlich komplexes Ensemble. Viele Faktoren, die zum Großteil bekannt sind, spielen dabei eine Rolle. Das Besondere dabei ist allerdings das Systemische, dass die einzelnen Faktoren kohärent sind und auf einer Linie liegen, also einer ganzheitlichen Gestaltungs-formel folgen (alignment) und unter- bzw. miteinander vernetzt sind.

Zu den Maßnahmen gehört, dass es eine kleine Anzahl von nicht mehr als zwei oder drei „Big Ideas“ gibt, also kraft volle oder starke strategische Kernziele, die allen Mitwir-

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kenden an der Schulentwicklung bekannt sind und von allen getragen werden. Beispie-le dafür sind auch in Deutschland bekannt wie „Kein Kind darf zurückgelassen wer-den“ (eine Formel, die aus den USA kommt) oder „Längere gemeinsame Schule für alle“. Schulentwicklung nimmt ernst, dass die Einzelschule die „Gestaltungseinheit“ (Fend, 1986) ist und Systementwicklung von der Einzelschule her gedacht und konzipiert wer-den muss.

Die Schulentwicklungsforschung hat bisher nur wenige ganzheitliche Konzepte her-vorgebracht, z. B. das unterrichtsbezogene Qualitätsmanagement (UQM) mit den drei Treibern Zielorientierung, reziprokes Feedback und Teamarbeit (als Basis kooperativer Unterrichtsentwicklung) (vgl. dazu Rolff , 2011). Und sie ist auch dabei, sog. Interventi-onsstudien durchzuführen, z. B. die Wirksamkeit verschiedener Konzepte und Strategien der Leseförderung miteinander zu vergleichen. Nicht die Qualität des Konzepts, sondern die Umsetzung (Implementation) entscheidet, was dabei herauskommt („implementa-tion dominates the outcome“ war schon 1975 ein zentrales Ergebnis der Schulentwick-lungsforschung, vgl. Berman & McLaughlin, 1974). Wie eine Strategie der Leseförde-rung umgesetzt wird, entscheidet in erster Linie die Einzelschule. Und die Einzelschulen unterscheiden sich wesentlich voneinander wie Barber et al. anhand von Entwicklungs-stadien der Schulen und Hallinger und Heck (2011) anhand von Entwicklungspfaden („trajectories“) eindrucksvoll belegen. Schulen sind also sehr verschieden. Kann man trotzdem Ganzheitlichkeit herstellen? Davon handelt dieser Beitrag.

Politik und Behörden neigen im Sinne des klassischen Verwaltungshandelns dazu, die Schulen zur Realisierung zentral konzipierter Projekte zu bewegen. Es ist schon er-wähnt worden, dass sie dabei an Grenzen stoßen. Fullan und Barber u.a. zählen des-halb nicht Lösungen erster Ordnung, die mehr Desselben in perfekterer Weise anstre-ben, zu den wesentlichen Gelingensbedingungen, sondern Lösungen zweiter Ordnung, die das System selber wandeln bzw. weiterentwickeln. Systemwandel heißt, die einzel-nen Schulen wie das ganze Schulsystem in die Lage zu versetzen, die besten Lösungen ihrer Entwicklungsprobleme oder Entwicklungsabsichten selbst zu entdecken und selbst umzusetzen. Fullan und Barber nennen diese Fähigkeit „capacity for change“ und sie belegen anhand konkreter Beispiele, dass der Königsweg zur wirksamen Schulentwick-lung im Aufb au dieser Kapazitäten bzw. Fähigkeiten zum Wandel in und von Schulen und Behörden liegt. Zur Fähigkeit zum Wandel gehört unverzichtbar auch die Fähig-keit, Daten zu nutzen sowohl für Bestandsanalyse und -diagnose als auch für die Eva-luation und Steuerung der Entwicklungsvorhaben. Unabdingbar ist für alle Vorhaben die Verbesserung der Lernbedingungen für die Schülerinnen und Schüler im Auge zu haben und ständig zu prüfen, ob sie den Schülern beim Lernen helfen. Methodentrai-ning ist eine allgemein anerkannte Basis für Schülerlernen. Aber es reicht nicht aus (vgl. Helmke, 2009).

Schon im Modellvorhaben „Selbstständige Schule in NRW“ hat sich gezeigt, dass Methodentraining allein nicht ausreicht, die Schülerleistungen zu verbessern (vgl. Holt-appels, Klemm & Rolff , 2009). Methodentraining ist nötig und nützlich, verkürzt aber die Lernumgebung von Schülerinnen und Schülern auf die technische Dimension. Die Schülerleistungen werden indes nur besser, wenn die Lerngelegenheiten für Schüler bes-ser, d. h. umfassend gestaltet werden, und die Haltungs- und Wertdimensionen mit ein-bezogen werden (Hattie, 2010).

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Wie unverbunden selbst ambitionierte UE-Projekte wie das von der Mercator-Stif-tung unterstützte „Schulen im Team“ arbeiten, zeigt das Beispiel eines Netzwerktreff ens, das der Autor selbst geleitet hat. Es ging um die Entwicklung des Fachunterrichts durch Fachkonferenzen. Zum Netzwerktreff en erschienen im Wesentlichen die Netzwerkkoor-dinatoren (je zwei pro Schule), aber kaum ein Fachkonferenzvorsitzender und noch sel-tener ein Schulleiter. Dabei ist eine nennenswerte Entwicklung von Fachunterricht nur erfolgversprechend, wenn sie von den Fachkonferenzvorsitzenden projektmäßig geführt und von den Schulleitungen gestützt und koordiniert wird. Der Vollständigkeit halber sollte nicht unerwähnt bleiben, dass sich die Mercator-Projekte weiterentwickelt haben.

Da die Lehrer-Schüler-Interaktion die Basis jeglichen Unterrichts ist und der Unter-richtserfolg nicht zuletzt von den Haltungen und Werten der Lehrkräft e abhängt, wäre Unterrichtsentwicklung mit Personalentwicklung zu verbinden. Hier ist Peer- und Fach-coaching von besonderer Bedeutung (vgl. West & Staub, 2003).

In den erfolgreichen Projekten, wobei der Erfolg im merklichen Zuwachs von Schü-lerleistungen bestand, von denen Fullan und Barber berichten, wurden besonders fähige Lehrkräft e („Expertteacher“ oder „Masterteacher“) zu Kollegen-Coaches weiter qualifi -ziert: Sie waren eine Woche in der Schule, schauten sich erst den Unterricht des Coa-chee an, gaben Feedback, praktizierten am folgenden Tag selbst guten Unterricht, plan-ten dann mit dem Coachee gemeinsam den Unterricht für den nächsten Tag, den der Coachee abhielt und der Coach „feedbackte“. Die Coaches kamen nach einem halben Jahr zurück zu den Lehrkräft en, und die nächste Runde begann. Anschließend haben die gecoachten Lehrpersonen in ihren Fach- oder Jahrgangsgruppen kollegiale Hospita-tion eingeführt und damit ihr Coaching-Wissen weitergegeben. So entstanden professio-nelle Lerngemeinschaft en, was ohne Mitwirkung von Schulleitern und Fachgruppenvor-sitzenden nicht möglich gewesen wäre.

Coachings und Hospitationen sind dazu geeignet, Unterrichts- und Personalentwick-lung zu verknüpfen, ebenso wie Schüler-Lehrer-Feedbacks. Beides fi ndet indes bisher oft folgenlos statt, indem sich Lehrkräft e Feedbacks von Kollegen oder Schülern holen, diese jedoch nicht zum Anlass systematischer UE nehmen, manchmal mit den Schü-lern auch nicht über die Ergebnisse sprechen. Hospitationen beruhen häufi g auf Freund-schaft sbeziehungen über die Fächergrenzen hinweg. Sie sind dann nicht mit Projekten der UE verkoppelt und von Schülerfeedback getrennt. Wenn Maßnahmen der UE lern-wirksam sein sollen, dann müssen sie dicht und konzis aufeinander bezogen und ganz-heitlich sein.

UE muss sich deshalb an einem ganzheitlichen Konzept orientieren und Lernen in den Mittelpunkt stellen. UE betrifft jeden Akteur, jede Arbeitseinheit und bestimmt letztlich die Qualität einer Schule. Qualität ist eine Systemeigenschaft . Alle sind für Qua-lität verantwortlich, die Lehrer, die Schulleitung, die Eltern und auch die Schüler, bei Be-rufsbildenden Schulen auch die dualen Partner. Externe Evaluation gehört dazu.

Einige der genannten Komponenten sind – mehr oder weniger vollzählig – inzwi-schen in vielen Schulen vorhanden. Ob sie allerdings ein System des QM abgeben, hängt ganz davon ab, wie gut die Komponenten zusammenspielen: Ob beispielsweise die Jah-resziele mit dem Leitbild übereinstimmen, ob sich die Hospitation an den Jahreszielen orientiert und ob aus der Hospitation tatsächlich Unterrichtsentwicklung entsteht (vgl. Rolff , 2011).

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Schulen, die nachhaltig ihre Qualität verbessern möchten, müssen sich also bemü-hen, nach einem (Gesamt-)System des QM zu fahnden, es zu identifi zieren und in eine Schrift - oder Grafi kform zu bringen. Das ist eine neue und anspruchsvolle Aufgabe. Sie könnte in den Schulen eingeübt werden, wenn die Schulen eine Komponente nach der anderen identifi zieren und danach bewerten würden, wie sehr sie in der Schule verbrei-tet und wie tief sie verankert sind. Das könnte die erweiterte Schulleitung durchführen oder die Steuergruppe oder beide zusammen. Ein Instrument, wie es Abbildung 1 zeigt, könnte dabei eine Hilfe sein. Es dient als Check auf Vollständigkeit. Das reicht aller-dings nicht aus. Zur ganzheitlichen qualitätsorientierten Schulentwicklung gehört auch die Untersuchung und Gestaltung der zielorientierten und kohärenten Verbindung bzw. Kopplung der Elemente, die weiter unten behandelt wird.

Wie weit hat unsere Schule die folgenden Komponenten entwickelt?

1. Leitbild unserer SchuleBeteiligung an der ErstellungBekanntheitsgradAktualität

2. SchulprogrammVollständigkeit (Leitbild, Entwicklungsschwerpunkte, Jahresplanung, Ideen zur Evaluation)Verabschiedet durch?

3. Entwicklungsschwerpunkte (ESPs)Welche Ziele?Welche Maßnahmen?Welche Ideen zur Evaluation?Anzahl der ESPs, auf Jahre verteilt?Th emen der ESPs

4. QualitätstreiberZielorientiertheitWelche Ziele bzw. Zielsysteme?

LeitbildESP-ZieleJahresziele

Feedback-KulturSchüler-Lehrer-FeedbackLehrer-Lehrer-Feedback (Hospitation)Lehrer-SL-Feedback (Führungsfeedback)

Unterrichtsbezogene KooperationWelche UE-Konzepte sind in Realisierung?Welche Verknüpfungen?

5. SchulmanagementSchulkonferenz

Ist sie einbezogen?Beschlusslage

Abbildung 1: Zehn-Komponenten-Check zur ganzheitlichen Schulentwicklung

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Schulleitung Identifi ziert sie sich mit QM? Unterstützt sie das QM? Wie?

Steuergruppe Steuert sie das QM? Ist die SL darin vertreten?

Kollegium Kennt das Kollegium das QM? Akzeptiert das Kollegium das QM?

6. Interne Evaluation Welche Formen der internen Evaluation werden praktiziert? Was geschieht mit dem Ergebnis?

7. Peer Review Wann? Welche Fragen an Peers?

8. Externe Evaluation Hat bereits eine Schulinspektion bzw. QA stattgefunden? Was geschieht mit den Ergebnissen? Gab es andere Formen externer Evaluation?

9. Unterstützung und AußenkontakteWird das QM unterstützt durch

Schulaufsicht Prozessbegleiter überschulische Fortbildung und schuleigene FortbildungenWenn ja, dann wie?

10. Zielvereinbarung Gibt es eine Zielvereinbarung? Mit Schulaufsicht und/oder innerschulisch Welche Ziele sind vereinbart? Was ist dokumentiert (Handbuch)?

Man kann fragen, ob ein QM auch für kleine Schulen, vor allem Grundschulen zu emp-fehlen ist. Grundschulen benötigen Qualitätsmanagement nicht weniger als Sekundar-schulen, aber es muss nicht so umfangreich ausgeführt und dokumentiert sein und eine Zertifi zierung ist für Grundschulen ohnehin wenig interessant. Ein QM ist auch deshalb für alle Schulformen und -arten angesagt, weil es sozusagen das Paradigma oder Grund-modell für Unterrichtsentwicklung überhaupt darstellt: Wer den Unterricht nachhaltig, überprüfb ar und schulweit verbessern will, tut gut daran, es systematisch und ganzheit-lich, auf Evaluation fußend und an Entwicklung orientiert zu versuchen. Und genau das ist der Kern von Qualitätsmanagement.

2 Ganzheitliche Gestaltung und resolute Führung

Eine besondere Bedeutung bemisst nicht nur Fullan den Führungskräft en zu: Die Poli-tik und die Behörden müssen Schulentwicklung genau so überzeugend vertreten wie die Führungskräft e in der Schule und sie müssen dabei auf einer Linie liegen („alignment).

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Die oberste Ebene ist dabei besonders belangreich. Wirksame Führung muss „resolut“ sein, „resolute leadership“ (Fullan, 2010, S. 47). Mit diesem etwas ungewöhnlichen, aber einprägsamen Begriff meint Fullan nicht autoritäre Schulleiter. Resolut sein heißt, trans-parent und konsequent zu handeln, klare Ziele zu haben, diese beharrlich umzusetzen und zu wissen, dass heute niemand mehr eine Schule allein leiten kann, sondern Leitung verteilt werden muss. Wie wichtig resolute Schulleitung ist, wird vor dem Hintergrund der Erkenntnis deutlich, die gut durch Forschung belegt ist (Bonsen, 2009). Keine gute Schule ohne gute Schulleitung. Immer wichtiger wird dabei instructional leadership, also Führung auf dem Gebiet der Unterrichtsentwicklung, die Schulleitungen selbstverständ-lich nicht selber realisieren können, aber initiieren, inspirieren, koordinieren und un-terstützen müssen (Wagner, Kegan, Laskow Lahey, Lemmons, Garnier, Helsing, Howell, Th urber Rasmussen, Vander Ark, 2006).

2.1 Das Beispiel Chicago

Wie erfolgreich Schulleiterinnen und Schulleiter sein können, zeigt eine jüngst veröff ent-lichte Studie aus Chicago – und ebenso wie sich dabei das Rollenverständnis geändert hat. Bisher gingen die Metaphern für erfolgreiche Schulleiter in Richtung „Orchester-dirigent“ oder „multifunktionelles Wunderwesen“ (Huber, 2003). Die Studie aus Chica-go vergleicht indes Schulleiter mit Kuchenbäckern. Das mag überraschen, aber trifft zu.

In Chicago wurde 1988 eine radikale Schulreform gestartet, die den Schulen viel Au-tonomie zubilligte, aber auch viel Unterstützung angedeihen ließ. Ein Forscherteam um Anthony Bryk hat die Wirkung dieses Großvorhabens sieben Jahre lang begleitet und er-forscht. „Die durchschnittliche Grundschule erhöhte die Gewinne des Schülerlernens in Lesen um 4 % und in Mathematik um mehr als 12 % während eines Zeitraums von sechs Jahren. In dem oberen Viertel der Schulen mit Zugewinnen der Schülerleistungen stie-gen die Zugewinne sogar um 10 % in Lesen und 20 % in Mathematik“ (Bryk, Bender Sebering, Allensworth, Luppescu, Easton, 2010, S. 214f.). Die Forscher verglichen 100 Grundschulen, deren Schülerleistungen sich deutlich verbesserten, mit 100 Grundschu-len, deren Schülerleistungen nicht zunahmen, und analysierten, was die in diesem Sinne erfolgreichen Schulen von den nicht erfolgreichen unterschied. Die Ergebnisse sind hoch aufschlussreich.

Bryk und sein Team kommen zu dem Ergebnis, dass es fünf wesentliche „Stützen“ (essential supports) gibt, die Schülerleistungen voranbringen: „Schulleitung steht an ers-ter Stelle“ (Bryk et al., 2010, S. 197). Sie wirkt als Treiber für Verbesserungen in vier anderen organisationalen Subsystemen: Eltern und Gemeindebeziehungen (Lehrer müssen Außenkontakte zur Wohnung ihrer Schüler haben), die professionelle Kapazi-tät des Lehrkörpers, ein schülerorientiertes Lernklima und ein Unterrichtskonzept bzw. Schulcurriculum (instructional guidance system). Sie betonen, dass es nicht ausreicht, in zwei oder drei solcher Subsysteme zu investieren, sondern dass alle fünf in starker Interaktion miteinander stehen und es deshalb extrem darauf ankommt, Strategien zu „ orchestrieren“, bei denen alle genannten fünf Stützsysteme im Spiel sind.

Bryk et al. haben die „funktionale Kapazität“ der Schulen mit Hilfe von 14 Indikato-ren bestimmt, die die fünf genannten Stützen empirisch beschreiben. Sie fanden heraus,

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dass Schulen mit starken Indikatoren die zehnfache Chance hatten, Schülerleistungen in Lesen und Rechnen zu verbessern als Schulen, bei denen drei oder mehr Indikatoren schwach waren. „Darüber hinaus reduziert ein schwacher Wert eines einzigen Indikators die Wahrscheinlichkeit auf Verbesserung um 10 %“ (Bryk et al., 2010, S. 188). Ganzheit-lichkeit statt Stückwerk ist die Konsequenz aus diesem Forschungsergebnis.

Die Rolle der Schulleitungen drücken Bryk et al. in der o.g. kulinarischen Analogie aus, indem sie sie als Kuchenbäcker verstehen: Wirksame Schulleitungen sorgen für eine Kohärenz aller Einzelbemühungen um Schulentwicklung (mit dem Ziel, die Schülerleis-tungen zu verbessern), sie haben also ein Rezept. Es bedarf der Führung, die einzelnen Zutaten (die vier organisationalen Subsysteme) zu einem gelungenen Ganzen zu kompo-nieren. Ferner stellen sie sich ein gutes Arbeitsklima (relational trust) als die Wärme des Ofens vor, der aus einzelnen Zutaten einen vollen, reichen Kuchen macht. Hinzu kommt etwas Würze, damit der Kuchen auch schmeckt und lange haltbar ist. Ganzheitlichkeit statt Stückwerk macht einen guten Kuchen aus …

Weniger allegorisch analysieren die Autoren die Schulleitungstätigkeiten vor dem Hintergrund diffi ziler empirischer Studien wie folgt: 1. Schulleiter kultivieren eine lokale Anhängerschaft und helfen mit, dass im Laufe der Zeit lokale Führungspersonen heran-wachsen, die Verantwortung für Schulentwicklung übernehmen. 2. Sie etablieren einen klaren und nachhaltigen Fokus auf Unterricht und sorgen dafür, dass die Lernorganisati-on darauf ausgerichtet wird. 3. Sie richten die Aufmerksamkeit der Schulentwicklung auf die Stärkung der Professionalität der Lehrenden, die Kohärenz und akademische Quali-tät der Unterrichtsprogramme und das erzieherische Umfeld. 4. Schließlich haben sie er-kannt, dass das Management der alltäglichen Abläufe wichtig ist und eff ektiviert werden muss, damit die anspruchsvollen Aufgaben der Schulentwicklung nicht an Kleinigkeiten scheitern (Bryk et al., 2010, S. 188 ff .).

Bryk et al. fassen ihre Forschungsergebnisse zur Eff ektivität von Schulführung in zwei Schlüsselideen zusammen. Die erste betrifft den strategischen Fokus auf Verbes-serung des technischen Kerns von Lehren und Lernen. Schulleiter müssen ständig Ent-scheidungen treff en über neue Unterrichtskonzepte, Unterstützungsmaßnahmen, Leh-rereinstellungen und Lehrerfortbildungen, Einsatz von (knappen) Ressourcen sowie die Nutzung und auch Schaff ung externer Angebote und Verheißungen. Damit daraus Syn-ergie und nicht „Rauschen im System“ wird, müssen sie für „Programm-Kohärenz“ sor-gen, wie Bryk et al. das nennen.

Schulleiter müssen zum zweiten dafür sorgen, dass Vertrauen die Grundlage aller Schularbeit liefert. Sie erinnern daran, dass alle Aktivitäten, auch die technischen, eine soziale und das heißt zwischenmenschliche Basis haben. „Die eff ektive Hervorbringung von Verbesserungen des Lehrens und Lernens stellten Anforderungen an die sozialen Kompetenzen und Ressourcen einer Schulgemeinde“ (Bryk et al., 2010, S. 204). Ohne diese überfordert sich eine Schule selbst und Nachhaltigkeit ist nicht zu erwarten.

Erfolgreiche Schulleitung muss täglich die beiden Schlüsselideen verbinden und mit Leben füllen. Gelingt dies gut, dann gelingt auch Schulverbesserung.

Bryk et al. wollen die Schulleiter mit ihren Forschungsergebnissen aber nicht über-fordern. Sie weisen am Schluss ihres Forschungsberichts darauf hin, dass es Schulen gibt, die auch die fähigsten Schulleiter nicht verbessern können. Dies sind Schulen im

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Umfeld der bodenlosesten Elendsviertel Chicagos, die nur saniert werden können, wenn auch das Umfeld saniert wird. Auch hier ist Ganzheitlichkeit gefragt.

2.2 Das Beispiel „Success for All“

Ein Aufsatz mit dem Titel „Final Reading Outcomes of the National Randomized Field Trial of Success for All“ (Borman, Slavin, Cheng, Chamberlain, Madden & Chambers, 2007) in der September-Ausgabe des „American Educational Research Journal“ berich-tet Ergebnisse der Evaluation eines der größten amerikanischen Schulentwicklungspro-jekte der letzten Jahre. Es handelt sich um ein breit angelegtes Programm zur Förderung der Lesekompetenz von Schülerinnen und Schülern. Martin Bonsen hat auf diesen Auf-satz aufmerksam gemacht und ihn ähnlich zusammengefasst, wie es im Folgenden be-richtet wird (Bonsen, 2011).

Das Projekt wird in den USA von der gemeinnützigen Stift ung „Success for All Foundation“ organisiert. Das „Success for All“-Programm ist kein Material- und Maß-nahmenpool, aus dem Schulen nach eigener Präferenz einzelne Elemente auswählen und nutzen können. Mit der Teilnahme am Programm entscheiden sich die Schulen vielmehr für die Umsetzung eines Gesamtpaketes von theoriegeleitet entwickelten und empirisch erprobten Maßnahmen.

Trotz aller Verschiedenheit zwischen dem amerikanischen und deutschen Bildungs-system bietet der Aufsatz grundlegende Einsichten darüber, wie man Schul- und Un-terrichtsentwicklung wirklich eff ektiv gestalten kann. Das Hauptaugenmerk des Beitrags liegt auf den methodischen Feinheiten der Evaluation. Ganz im Sinne des (aufgrund der sehr rigiden Annahmen bildungs- und forschungspolitisch umstrittenen) „rigorous scientifi c research“, den die Bush-Administration in den USA zur alleinigen Entschei-dungsgrundlage für die Einführung schulischer Reformprojekte erhoben hat, belegen die Autoren das Potenzial des „Success for All“-Programms eindrücklich: Innerhalb von drei Jahren lassen sich an den (zufällig ausgewählten) Projektschulen im Vergleich zu (zu-fällig zugewiesenen) Kontrollschulen deutlich höhere Kompetenzzuwächse nachweisen. Mehr noch: Die Autoren zeigen, dass der Eff ekt des Programms den anderer Lesepro-gramme deutlich übertrifft . Zudem können sie zeigen, dass innerhalb von drei Jahren eine deutliche Verbesserung der Einzelschul-Eff ektivität möglich ist. Dies ist nicht zu-letzt deshalb spannend, weil sich in der Literatur bislang häufi g die vergleichsweise pes-simistische Annahme, dass die Reform einer Schule bis zum Nachweis ihrer Wirksam-keit etwa fünf bis sieben Jahre benötige, fi ndet.

Wieso aber lohnt es sich, den Aufsatz Schulleitungen nahezubringen? Weil der Auf-satz geeignet ist, eine in den letzten Jahren zunehmend verbreitete Fehlannahme über wirksame und eff ektive Schulentwicklung zu klären.

In Bildungspolitik und Bildungsadministration hat sich nämlich in den letzten 20 Jahren ein Verständnis guter Schul- und Bildungsforschung etabliert, der als „what works?“-Ansatz, vielleicht sogar schon als „what works?“-Ideologie, bezeichnet werden kann: Über mehr oder weniger schlichte Korrelationsstudien werden in der Wissenschaft überschaubare Merkmals- und Checklisten generiert, die Aufschluss darüber geben sol-len, was eine gute Schule, guten Unterricht oder eine eff ektive Schulleitung ausmacht.

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Fehlgeleitet durch die Verheißung der Evidenzbasierung werden dann, nicht ohne öko-nomische Erwägungen, solche „what-works?“-Merkmale für die Praxis empfohlen, die möglichst hoch mit Schülerleistungen korrelieren. Unberücksichtigt bleibt in der Regel, wie komplex Schulqualitäts- und Schuleff ektivitätsmerkmale in der Realität zusammen-wirken.

Borman et al. (2007) zeigen in ihrem Beitrag, dass systematische Schulentwicklung überraschend schnell Wirkungen zeigen kann. Allerdings zeigen sie gleichzeitig – und hierin liegt die vielleicht wichtigste Botschaft ihres Artikels – wie planvoll, systematisch und systemumfassend eff ektive Schul- und Unterrichtsentwicklung ist. Sie betrifft alle Akteure und alle Ebenen der Schule: Schüler, Lehrer, Eltern und die Schulleitung, hin-zu kommen externe Trainer und Berater. In dem von ihnen untersuchten Projekt setzen Schulen ein gut ausgearbeitetes Programm ganzheitlich um und konzentrieren sich auf einen zentralen und bedeutungsvollen Entwicklungsschwerpunkt. In einer konzertier-ten Aktion werden darauf hin Aktivitäten abgestimmt, bestehende pädagogische Prakti-ken neu ausgerichtet und vorhandene Ressourcen zum Teil umgeleitet und zielbezogen eingesetzt. Die Schulleitung dreht nicht nach dem Versuch-Irrtum-Prinzip an einzelnen Stellschrauben und hofft , dass sich daraufh in das gesamte System in eine gewünschte Richtung verändert. Sie verfügt über einen gut entwickelten und durch externe Bera-tung abgesicherten Masterplan sowie über eine genaue Vorstellung davon, welche Verän-derungen weshalb wichtig sind. Dass die Schulleitungen im hier evaluierten Projekt auf ein ausgearbeitetes, erprobtes Konzept zurückgreifen, ist kein Manko, sondern ein wich-tiger Erfolgsfaktor.

Die Bausteine des „Success for All“-Programms lassen sich hier nur skizzieren. Auf Schulebene zentral sind• die Einrichtung einer Steuergruppe für die Umsetzung des Programms („school wide

solution team“),• die Auswahl einer Lehrkraft , welche die Umsetzung des Programms vollzeitig inner-

schulisch betreut und fördert (eine Alternative dazu ist die Bildung eines verantwort-lichen Lehrerteams in Absprache mit der Schulleitung),

• eine umfassende Fortbildung der Lehrerinnen und Lehrer: zu Beginn des Programms in einem dreitägigen Workshop, im ersten Programmjahr durch 16 Tage innerschuli-scher Fortbildung sowie in den Folgejahren jeweils ca. 15 Tage Fortbildung, Training und Beratung,

• die Bereitstellung von Stundenentwürfen für Lehrkräft e, um die Umsetzung evaluier-ter Leseförderstrategien, Methoden (z. B. Nutzung kooperativer Lernformen, Umset-zung eines eff ektiven Classroom Managements, Vermittlung und Nutzung metako-gnitiver Strategien) und Medien zu fördern.

Zentrale pädagogisch-fachliche Aspekte des Programms sind• Prävention und möglichst frühe intensive Interventionen bei Leseschwierigkeiten,• die grundsätzliche Vermeidung von Klassenwiederholungen und isolierten Förder-

klassen,• eine stundenweise äußere Diff erenzierung (in verschiedenen Gruppen werden spezi-

fi sche Förderangebote für Schülerinnen und Schüler auf annähernd gleichen Kompe-tenzniveaus umgesetzt),

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Hans-Günter Rolff 18

• vierteljährliche Testung der Lesekompetenz, gegebenenfalls mit anschließender zeit-weisen Umgruppierung auf Grundlage der aktuellen Kompetenzstände der Schüle-rinnen und Schüler,

• die darüber hinaus gehende Nutzung informeller, systematischer, möglichst täglicherSchülerbeobachtungen,

• die individuelle Förderung für Schülerinnen und Schüler mit einem besonderen För-derbedarf im Lesen („one-on-one tutoring“).

Wichtig für den Erfolg des Programms ist die kohärente Umsetzung. Dies zu gewähr-leisten gehört im Projekt zu den wichtigsten Führungsaufgaben der Schulleitung. Das Projekt Success for All geht sogar so weit, dass die „Implementationstreue“ regelmäßig von externen Beobachtern überwacht wird. Auch dies scheint ein wichtiger Erfolgsfak-tor zu sein. Wahrscheinlich lassen sich nur so die durch die Evaluation nachgewiesenen bedeutsamen und beeindruckenden Eff ekte in nur drei Jahren erzielen. Die Studie von Borman et al. zeigt dies eindrucksvoll.

3 Gestaltung durch Change Management

Wenn Ganzheitlichkeit Th ema ist, muss die Frage beantwortet werden, wie sie gestal-tet werden kann. Es gibt bisher wenige Antworten. Unbestritten ist der Ansatz bei der Gestaltung von Ganzheitlicher SE das Werkzeug Change Management zu nutzen. Beim Verständnis des Change Management ist das St. Galler-Management-Modell (vgl. Rüegg-Stürm, 2002) besonders aufschlussreich. Dieses unterscheidet drei Grundelemente, die Strategie, Struktur und Kultur genannt werden, was gleichzeitig eine zeitliche Reihenfol-ge suggeriert, ohne diese zwingend zu machen.

Hier ist ein viertes Grundelement hinzugefügt, die Steuerung des Change Manage-ments. So kann man die Rolle der Schulleiter klarer erkennen und zudem die Funktion und Arbeit von Steuergruppen berücksichtigen, die bei den meisten Innovationsprojek-ten der Schulentwicklung in Deutschland eingerichtet wurden.

Wesentlich für ein ganzheitliches System von QM ist, dass alle vier Komponenten: Strategie, Struktur, Kultur und Steuerung gleichzeitig im Blick und im Spiel sind und sich systematisch zu einer Konfi guration fügen. Keine Komponente ist verzichtbar und alle hängen zusammen.

Jede Komponente besteht aus mehreren Elementen. Zur Strategie gehören auch Vi-sionen und zur Schulleitung auch Machtpromotoren wie die Schulkonferenz, die Schul-aufsicht oder die Elternvertretung. Bei der Steuerung wirken die Steuergruppe und die Schulleitung zusammen und Steuerung beinhaltet auch Gestaltung und die Evaluation der Ergebnisse und der Wirkungen. Struktur bezeichnet zum einen die üblichen Arbeits-zusammenhänge wie Fach- und Jahrgangsgruppen aber auch das Gefl echt von Entschei-dungen, z. B. in Konferenzen der Fachgruppenvorsitzenden, und Entwicklungszusam-menhänge auf dem Wege zu Professionellen Lerngemeinschaft en. Schließlich gehören zur Kultur nicht nur die allgemeine Schulkultur, sondern auch der Umgang mit Wider-stand und vor allem die Lernkultur.

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Die Reihenfolge der Konzipierung und Realisierung der Konfi gurationen mag unter-schiedlich sein, aber keine der Komponenten sollte übersehen oder übergangen werden. So ist man gleichsam gezwungen, das Ganze, d. h. das System des QM zu bearbeiten.

3.1 Vier-Felder-Konfi gurationen

Abbildung 2 zeigt, wie UE mittels Change Management geplant und realisiert werden kann. Üblicherweise beginnt UE mit der Strategieentwicklung, für die in erster Linie die Schulleitung zuständig ist. Sie trägt nicht nur die Letztverantwortung, sie hat auch die Entscheidungskompetenz, weshalb sie zu den Machtpromotoren gehört. Machtpromo-tor sind auch die Schulkonferenz und die Behörden. Beide können der Schule Vorgaben zur Unterrichtsentwicklung machen, z. B. vorschreiben, wie sie mit den jährlichen Lern-standserhebungen umzugehen hat.

Die Strategie sollte von einer Bestandsanalyse hergeleitet werden. Sie muss auch Vor-gaben der Behörde und/oder des Gesetzgebers berücksichtigen. Nicht zuletzt ist zu be-denken, wie weit in Strategien auch Visionen eingehen bzw. eingehen sollten, wie sie z. B. im Leitbild der Schule enthalten sind oder aus den Diskussionen in den Fächernoder auch (als Erziehungsideale) mit den Eltern entspringen.

Wenn die Strategie festliegt, z. B. eine Feedbackkultur zu etablieren, die mit einem Schüler-Lehrer-Feedback beginnt und durch kollegiale Hospitationen fortgesetzt wird, stellt sich die Frage der Konkretisierung und Realisierung.

Abbildung 2: Vier-Felder-Konfi guration

Fachorientierung

Lernorientierung

Visions- und Strategie- entwicklung

Kultur / Lernkultur Umgang mit Widerstand

Struktur/ Innenarchitektur

Steuerung Evaluation

Machtpromotoren „Change-

Champions“

Betroffene / Alle FKs, PLGs, JgGr

Führung ( SL)

Mittleres Management Rollen-

wandel

Gestaltung / Projekt-Management

Person/prof. Selbst

Organisation

undwicklung

r/ ch

Betroffene / AllePLGs, JgGr

e-d Strategiee Steuerung Ma

e d Strategieecklung

Steue u gEvaluation

Umgang mit Widerstand Umgang mit WiderstandUmgang mit Widerstandhitektur Kultur / Lernkultur

UUmgang mit WiderstanUhitektur

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Für die Ausgestaltung der Strategie und deren projektförmige Umsetzung hat sich die Einrichtung einer Steuergruppe (STG) oder Qualitätssteuergruppe bewährt. Die Steu-ergruppe, die in diesem Fall als Unterrichtsentwicklungsgruppe arbeitet, entwirft ein Konzept für die Weiterentwicklung des Unterrichts. Dabei müssen alle Betroff enen und letztlich alle Kollegiumsmitglieder beteiligt werden. Die Strategie, ob z. B. das allgemeine Lernen oder das fachliche Lernen oder beides optimiert werden sollen, ist primär Ange-legenheit der Schulleitung. Die Schulleitung tut gut daran, bei der Strategieentscheidung eng mit der STG zusammenzuarbeiten. Sie ist ja auch Mitglied der STG. Dann muss eine Struktur gefunden bzw. geschaff en werden, die eine nachhaltige Umsetzung ermög-licht. Beim allgemeinen Lernen bieten sich dafür Jahrgangs- oder Stufenkonferenzen an, bei fachbezogener UE die Fachkonferenzen (in Berufsschulen auch die Bildungsgang-konferenzen). Wenn Nachhaltigkeit erzielt werden soll, müssen die Sprecher bzw. Vorsit-zenden dieser Gremien zu „Mittleren Managern“ mutieren. Neue Gremien einzurichten empfi ehlt sich nicht, weil dadurch die bestehenden veröden würden und zudem Doppel-strukturen entstehen könnten. Entwicklungsperspektive für alle der genannten Gremien wären professionelle Lerngemeinschaft en (PLGs), in denen Lehrer von Lehrern lernen, z. B. wie Ziele vereinbart werden, welche bewährte Praxis in der Schule bereits besteht oder wie neue Formen des Unterrichts evaluiert werden können. Auch Coaching und ein regelmäßiger Austausch über die Feedbackpraxis gehört zur Arbeit von PLGs (vgl. Rolff 2007, S. 113 ff .).

Schließlich spielt beim Change Management die kulturelle Komponente eine wichti-ge Rolle, geht es doch darum, nicht nur die ohnehin aktiven Mitglieder der Steuergrup-pe oder der genannten Gremien zu erreichen, sondern letztlich alle im Kollegium zu be-teiligen – was meistens auch bedeutet, mit Widerstand umzugehen. Gelingt das z. B. in Form der Etablierung einer schulweiten Feedback-, Hilfe- oder Fehlertoleranzkultur, so entsteht nach und nach eine neue Lernkultur.

Legt man die skizzierte Reihenfolge zugrunde, wofür einiges spricht, so entsteht gra-phisch eine Z-Konfi guration: Der Zeitstrahl erreicht zuerst den Nordost-Quadranten, bewegt sich dann zum Südwest-Quadranten, um schließlich zum Südost-Quadranten zu gelangen. Damit nicht übersehen wird, dass bei aller Aufmerksamkeit, die den einzelnen Elementen gebührt, es sich um ein systemisches Ganzes handelt, wird das Z von einer Ellipse umfangen.

3.2 Unterrichtsentwicklung als ganzheitliches Change Management

Es wurde bisher die Z-Konfi guration des Change Managements skizziert. Es sind aber auch andere Konfi gurationen komponierbar und sinnvoll, je nach Situation in der Schu-le, wie sie durch die Bestandsanalyse und die Prioritätensetzung identifi ziert wird.

Denkbar ist auch eine Konfi guration, bei der die Schulleitung im Nordost-Quadran-ten aktiv wird, weil Schüler-Lehrer-Feedback, kollegiale Hospitation oder Lehrercoa-ching der Ausgangspunkt sind. Die Schulleitung beauft ragt die Qualitätssteuergruppe die entsprechenden Prozesse zu gestalten und organisatorisch abzustützen. Als Struk-turelement kämen Jahrgangsgruppen (oder auch Stufenkonferenzen) in Frage. Die neue Lernkultur würde vermutlich eine Feedbackkultur sein, die im Südost-Quadranten zu

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Hause ist. Da der „Kurs“ von NO über NW und SW nach SO geht, entsteht eine C-Kon-fi guration.

Ein drittes Beispiel geht von fachorientierter UE aus, die auf eine weitergehende Pro-fessionalisierung der Fachlehrer fokussiert ist. Die Schulleitung hat also entschieden, im Südost-Quadranten zu starten. Sie entwirft mit der Steuergruppe ein Gestaltungskon-zept, dass die strukturelle Basis in den Fachkonferenzen sieht und eine neue Lernkul-tur durch Lehrer- und Lerncoaching zu schaff en versucht, was vermutlich noch nicht im ersten, sondern erst im zweiten oder dritten Jahr intensiv betrieben werden kann. Auf diese Weise entsteht eine X-Konfi guration. Es sind noch weitere Konfi gurationen vorge-kommen, die aber nicht berichtet werden müssen, weil das Prinzip jetzt dargelegt ist: Es müssen alle vier Elemente des Change Managements berücksichtigt, auf Unterrichtsent-wicklung bezogen und in einen plausiblen, d. h. prozesslogischen und ganzheitlichen Zu-sammenhang gebracht werden.

Unterrichtsentwicklung gehört zu den wichtigsten, aber auch kompliziertesten und harzigsten Aktivitäten einer Schule. Change Management kann dabei so hilfreich sein wie kaum ein anderer Ansatz – aber nur, wenn es, wie an Beispielen dargelegt, als ganz-heitliches Change Management betrieben wird, das in jeder Schule eine andere Gestalt annimmt.

Resolute Schulleiter sind bei der UE als Change Management sowohl Machtpromoto-ren als auch Unterstützer, die eine Tragfl äche schaff en, auf der sich Unterricht mit genü-gend Auft rieb kontinuierlich weiterentwickeln kann.

4 Kohärenz durch interne und externe Vernetzung

Nicht wenige Schulen verfügen über die wesentlichen Komponenten der Qualitätssi-cherung wie Leitbilder, Entwicklungsschwerpunkte, Methodentraining, Hospitationen, Schüler-Lehrer-Feedbacks, Fokusevaluation, Steuergruppen, schulinterne Evaluation, ex-terne Evaluation durch die Schulinspektion und mehr. Aber diese Komponenten sind zumeist unverbunden (z. B. bezieht sich die Fokusevaluation nicht auf das Qualitätsta-bleau der Schulinspektion) und können so keine Synergie und damit auch kaum Wir-kung auf Schülerleistungen erzielen. Was fehlt, ist ein ganzheitliches System des QM. Die übergeordnete Gelingensbedingung ist: Ganzheitlichkeit statt Stückwerk. Das Ensem-ble der einzelnen Elemente muss zusammenkommen wie zu einem kompletten Menü und nicht wie zu einem aus vielen Einzelteilen bestehendem Buff et, aus dem man sich ein paar Happen herauspickt.

Ganzheitlichkeit beinhaltet zweierlei: Zum einen Vollständigkeit im Sinne der Check-liste aus Abbildung 1 und zum anderen Kohärenz, d. h. innerer Zusammenhang, bei dem alle Komponenten zusammenpassen und auch miteinander interagieren. Kohärenz wird immer häufi ger als Vernetzung verstanden, wobei interne Vernetzung von exter-ner unterschieden wird. Um deutlich zu machen, wie wirksame Vernetzungen identi-fi ziert, analysiert und gestaltet werden können, sollen im Folgenden drei Instrumente vorgestellt werden, die als Erhebungs-, Analyse- und Gestaltungswerkzeug für Schulfor-schung, Schulbehörde und Einzelschule auf einem Feld von Interesse sein können, das bisher wenig bestellt ist.

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4.1 Ganzheitlichkeit als interne Vernetzung

Es gibt aktuell nur wenige Instrumente, mit denen man Daten erheben könnte, die in-terne Vernetzung repräsentieren. Zwei sollen im Folgenden für den Bereich der internen Vernetzung dargestellt werden: Die Kopplungsmatrix aus der Deutschen Akademie für pädagogische Führungskräft e (DAPF), die zur Hälft e vom IFS getragen wird, und das Bewertungsraster aus der Nordschweizer Pädagogischen Hochschule in Aarau.

4.1.1 Kopplungsmatrix

Die interne Vernetzung kann durch eine dreidimensionale Kopplungsmatrix gestaltet werden, die einerseits Analyseinstrument ist, andererseits auch Anstöße für die Weiter-entwicklung zu geben vermag. Die drei Dimensionen sind (1) Unterrichtskonzepte (2) Prozessregler/Lernkultur und (3) Verortung in der Arbeitsstruktur der Schule. Abbil-dung 3 zeigt die Matrix. Die Kopplungsmatrix dient dazu, durch die Anzahl der Kopp-lungsknoten die Dichte der internen Vernetzung zu identifi zieren und eine Vorstellung von dem bisher erreichten Systemzusammenhang zu vermitteln, aber auch Leerstellen und damit Handlungsbedarfe aufzuzeigen.

Das kann am Beispiel von SINUS veranschaulicht werden: SINUS ist ein bundeswei-tes „Programm zur Steigerung der Effi zienz des mathematisch-naturwissenschaft lichen Unterrichts“. Es wurde anfangs als Netzwerk gestaltet, zu dem ein oder zwei Fachlehrer einer Schule alle paar Monate zusammen kamen. Es gab konzeptionelle Inputs und in-novative Unterrichtsmaterialien.

Wenn dieser Ansatz mittels der Kopplungsmatrix beispielhaft für eine Schule ana-lysiert wird, dann entstehen nur drei Kopplungsknoten (X), wobei dicht und überzeu-gend nur Fachunterricht mit externer Begleitung gekoppelt wird. Ob daraus auch Team-entwicklung („kooperative UE“) wird und eine Verortung von SINUS in der ganzen Fachgruppe Mathematik (oder Naturwissenschaft en) hängt davon ab, ob der Fachkon-ferenz-Vorsitzende „mitzieht“ und die Schulleitung unterstützt, z. B. durch Verankerung von Sitzungszeiten in der Stundentafel.

Wenn aus einem Flächenangebot wie SINUS eine schulinterne Strategie der UE wer-den soll, dann könnte es zielführend sein, den Unterricht von Mathematik und Natur-wissenschaft en ganzheitlich mit Hilfe von SINUS-Prototypen weiterzuentwickeln. Damit das gelingt, sind weitere Kopplungen zu bestimmen, die in der Matrix durch Fragezei-chen markiert sind.

Unter Prototypen versteht man Vorabexemplare einer späteren Routine, die zur Er-probung von Neuerungen auf deren Eignung dienen. Sie sind nach Sennett „gebrauchs-fertige Verfahren“ und dienen der Erprobung von Eigenschaft en und der Explikation impliziten Wissens. Man kann Prototypen auch als Entwurfsmuster bezeichnen.

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Abbi

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g 3:

Kop

plun

gsm

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Prototypen sind Modelle, die in unterschiedlichen Varianten, welche im Kern über-einstimmen, entwickelt werden und dann in Serie gehen (oder aber aufgegeben werden, wenn sie in der Erprobung nicht überzeugt haben). Prototypen werden in Werkstätten hergestellt, in denen Experten zusammenarbeiten. Beispielsweise wird versucht ein Kon-zept der UE, z. B. SINUS, nicht nur über Lehrpläne und Schulbücher in den Unterricht zu transportieren, sondern durch Fachberater, Fachunterricht-Coaches oder Schulbe-gleiter. Sie können helfen, neue Lernsettings (oder auch neue Aufgabenkulturen) aus-zuprobieren, weiterzuentwickeln und in einer Weise zu dokumentieren, die sie serien-reif macht. Aus Unterrichtskonzepten und Prozesslogiken entstehen Prototypen der UE.

Zusammenfassend und generalisierend können drei Dimensionen der UE unter-schieden werden: (1) Konzepte von Unterricht, (2) Prozessorganisation/Lernkultur und (3) Verortung/Zuständigkeit. Wenn man schulentwicklungsorientierte Prototypen gestal-ten will, ist dafür eine Kopplungsmatrix hilfreich. Dabei sind drei Arbeitsschritte ange-messen:1. Identifi kation des (von der Schule) ausgewählten Konzepts von Unterrichtsentwick-

lung durch Häkchen in der ersten Zeile oder – wenn in der Zeile nicht aufgeführt – durch Neu-Einfügen unter „Sonstiges“. Das gilt vor allem für fachunterrichtliche Konzepte, für die nur Platz für die Merkstelle „Sonstiges“ vorhanden ist.

2. Verkopplung des Unterrichtskonzeptes mit den Prozesselementen, die in der Vorspal-te aufgeführt sind, so dass Kopplungsknoten (Kreuze) entstehen. Es sind auch Kopp-lungen von Unterrichtskonzepten mit anderen Unterrichtskonzepten denkbar, z. B. Lerncoaching (von Schülern) mit eigenverantwortlichem Lernen.

3. Verortung dieser Kopplungsknoten mit der Arbeits- und Entscheidungsstruktur an den rechten Randspalten ist der dritte und letzte Schritt. Es sollen nicht mehr als drei Prototypen gleichzeitig entwickelt werden, weil SE sonst überkomplex würde.

4.1.2 Bewertungsraster

Ein zweites Instrument zur Erhebung und Analyse von Daten zur internen Vernetzung sind die im Schweizer Kanton Aarau entwickelten sog. Bewertungsraster. Das für die Qualitätsentwicklung von Schulen interessanteste ist das Bewertungsraster „Schulische Entwicklungsprozesse“ (Landwehr, 2012). Das Bewertungsraster stellt einen gemeinsa-men Orientierungsrahmen für die Steuerungs-, Beurteilungs- und Entwicklungsprozesse dar, die im Rahmen einer ganzheitlichen Schulentwicklung bedeutsam sind.

Der Orientierungsrahmen dient der Behörde zur normativen Steuerung, indem die Qualitätsansprüche, die von den einzelnen Schulen bezüglich des betreff enden Entwick-lungsschwerpunkts erwartet werden, expliziert und bildungspolitisch legitimiert werden. Der externen Schulevaluation dient er als Grundlage zur Schulbeurteilung – mit dem Ziel, die Bewertung der Schulen auf die „offi ziellen“ (bildungspolitisch legitimierten) Qualitätsziele abzustimmen. Schließlich dient er der einzelnen Schule dazu, selbst eine Standortbestimmung vorzunehmen und Entwicklungsschritte zu identifizieren mit der Gewissheit, dass die Selbstevaluation in Übereinstimmung mit den bildungspolitischen Qualitätsansprüchen und den Beurteilungskriterien der externen Schulevaluation steht.

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Das Bewertungsraster setzt sich bei Entwicklungsschwerpunkten jeweils aus drei Ele-menten zusammen:1. Leitende Qualitätsansprüche (Leitsätze) Zu jedem wichtigen Aspekt des betreff enden Th emas wird ein Leitsatz festgelegt, der

als normativer Orientierungspunkt für die Praxisgestaltung dient. Damit sind die Qualitätsansprüche benannt, die eine gute Schule im Bereich ,Schulische Entwick-lungsprozesse‘ erfüllen sollte.

2. Vierstufige Bewertungsskalen Zu jedem ,Leitsatz‘ werden Indikatoren auf vier verschiedenen Bewertungsstufen be-

schrieben. Damit sind Merkmale (Indikatoren) definiert, an denen man eine gute Entwicklungspraxis auf unterschiedlichen Entwicklungsstufen erkennen kann.

3. Fragen zur Selbsteinschätzung Die Qualitätsaussagen der Stufe 3 werden zu Leitfragen umformuliert, mit deren Hil-

fe sich die Qualität des Ist-Zustandes diff erenziert erfassen lässt. Sie sind in erster Li-nie als Selbstevaluationsinstrument gedacht. Damit werden Leitfragen formuliert, mit denen die Schule eine diff erenzierte Selbstbewertung ihrer Entwicklungspraxis vor-nehmen kann.

Die vier Bewertungsstufen dienen der Bewertung des Entwicklungsstandes. Sie werden zu jedem thematischen Aspekt („Dimension“) als Qualitätsstufen beschrieben, die wie folgt definiert sind und die weiter unten ausdiff erenziert werden:

Stufe 1: DefizitstufeDie Befähigung der Schule zum Umgang mit Schulentwicklungsprozessen ist noch we-nig entwickelt. „Defizit“ meint hier, dass im Hinblick auf die spezifischen Gelingensbe-dingungen von Entwicklungsprozessen an der betreff enden Schule nur wenige vorhan-den sind. Es fehlen Erfahrungen, Instrumente und Methoden, aber auch kulturelle und institutionelle Rahmenbedingungen, die es für die Planung und Durchführung erfolgrei-cher Schulentwicklungsprozesse braucht.

Stufe 2: Elementare EntwicklungsstufeGrundlegende Anforderungen an eine funktionsfähige Schulentwicklung sind erfüllt. Elementare Voraussetzungen für das Gelingen von Entwicklungsprozessen sind gegeben; gute Ansatzpunkte sind vorhanden und lassen sich weiterentwickeln. Optimierungsbe-darf zeigt sich vor allem im Fortschreiten von einzelnen, eher punktuellen Beispielen zu einer institutionell und schulkulturell getragenen Entwicklungspraxis.

Stufe 3: Fortgeschrittene EntwicklungsstufeDie Schule weist in der Praxis der Schulentwicklung ein gutes Niveau auf. Sie verwirk-licht das, was von Expertinnen und Experten als gute Entwicklungspraxis bezeichnet wird. Die institutionellen und kulturellen Voraussetzungen, die eine erfolgreiche Umset-zung von Entwicklungsprozessen ermöglichen, sind gegeben und es lässt sich eine gute Praxis von Schul- und Unterrichtsentwicklung feststellen.

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Stufe 4: Excellence-StufeDie Schule übertrifft im Bereich der Entwicklungsfähigkeit die „normalen“ Erwartungen; sie befindet sich auf dem Weg zur „Excellence“. Sie erfüllt – zusätzlich zu den Qualitäten aus Stufe 3 – weitere wünschenswerte Voraussetzungen, die sicherstellen, dass Entwick-lungsprozesse im Spannungsfeld von sparsamem Umgang mit den vorhandenen Res-sourcen und nachhaltiger Wirksamkeit optimal angelegt sind.

Die Unterscheidung von vier Bewertungsstufen soll einerseits die Standortbestimmung erleichtern: Wo stehen wir innerhalb einer allgemeinen Entwicklungssystematik? Ande-rerseits soll dadurch aufgezeigt werden, welches für die Schule die „Zone der nächsten Entwicklung“ ist. Ziel der einzelnen Schule muss es sein, die Defizitstufe zu überwinden und sich in möglichst vielen Dimensionen schrittweise zur nächsten Entwicklungsstufe vorzuarbeiten. Die Excellence-Stufe umreißt einen idealen (visionären) Zustand, der von besonders motivierten und leistungsfähigen Schulen erreicht werden kann.

Die fünf Dimensionen erstrecken sich über das gesamte Feld der Schulentwicklung und defi nieren es wie folgt:1. Entwicklungsfördernde Schulkultur („Spirit“ der Schule)• Haltung gegenüber Veränderungen / Entwicklungsbereitschaft / Umgang mit Ent-

wicklungsimpulsen• Pädagogische Leitvorstellungen („Vision“) als Entwicklungsgrundlage• Kooperative und partizipative Grundhaltung• Refl exionskultur und kontinuierlicher Verbesserungsprozess 2. Konzipierung und Planung der Entwicklungsprozesse• Initiierung von Entwicklungsvorhaben• Projektplanung• Einbezug von Diagnoseprozessen • Einbezug von Lern- und Personalentwicklungsprozessen • Projektabschluss / Ergebnisüberprüfung• Aufwandbewusste Konzipierung der Entwicklungsprozesse (Taktung der Schulent-

wicklung)• Koordination von verschiedenen Entwicklungsvorhaben3. Prozesssteuerung und Prozessgestaltung• Steuerung der Entwicklungsvorhaben (Prozesssteuerung)• Einsatz von Diagnoseverfahren und -instrumenten• Einbezug der Betroff enen / Kooperative Projektgestaltung• Prozessmoderation in den Entwicklungsgruppen / Arbeitsgruppen• Umgang mit Schwierigkeiten im Entwicklungsprozess (unterschiedliche Standpunkte,

Konfl ikte, Widerstand, Stolpersteine im Prozess)4. Personelle und institutionelle Unterstützung von Entwicklungsprozessen• Unterstützung durch die Schulleitung• Unterstützung durch das Kollegium• Unterstützung durch den institutionellen Rahmen• Nutzung der vorhandenen Ressourcen

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• Kompetenzaufb au von Einzelpersonen und im Kollegium für Entwicklungsvorha-ben / Nutzung von Expertise

5. Information und Kommunikation zu den Entwicklungsprozessen• Grundlagen• Interne Kommunikation / Information der Mitarbeitenden• Information der Anspruchsgruppen• Impulse von anderen Schulen / Öff nung für andere Schulen• Strategie zur Gewinnung von Akzeptanz und ideellem Support

Diese Dimensionen werden durch Indikatoren defi nierte Daten auf der genannten vier-stufi gen Skala bewertet, wobei die dritte Stufe eine Benchmark für eine gut entwickelte und gut entwicklungsfähige Schule ist, manchmal auch Standardstufe genannt. Zur wei-teren Veranschaulichung sollen die erste Dimension, das erste Kriterium und die ersten Indikatoren ausführlich zitiert werden (Landwehr, 2012, S. 15 f.):

Dimension: Entwicklungsfördernde Schulkultur („Spirit“ der Schule)Leitsatz: Schulführung und Kollegium sind bereit, die eigene Schule kontinuierlich zu ver-bessern und weiterzuentwickeln. Diese Entwicklungsbereitschaft wird gestützt durch ver-schiedene schulkulturelle und institutionelle Elemente, wie z. B. kohärente pädagogische Leitvorstellungen, eine funktionsfähige Zusammenarbeit im Kollegium, eine kontinuierli-che Praxisrefl exion u.a.. Es gibt eine explizite „Vision“ (im Sinne eines bewusst gestalte-ten und pädagogisch begründeten Schulprofi ls), die sowohl von der Schulführung wie auch vom Kollegium getragen wird.

Ein Beispiel von Indikatoren für das Kriterium: „Haltung gegenüber …“ ist:

Abbildung 4: Beispielindikatoren für das Bewertungsraster (Landwehr, 2012, S. 12)

Defi zitstufe ElementareEntwicklungsstufe

Fortgeschrittene Entwicklungsstufe 2

Excellence-Stufe

Haltung gegenüber Veränderungen / Entwicklungsbereitschaft / Umgang mit Entwicklungsimpulsen: IndikatorenSchulleitung und Lehrpersonen stehen Neuerungen grund-sätzlich ablehnend gegenüber. Man hält an Bestehendem fest, ohne dies zu hin-terfragen. Verände-rungsansprüche an Schule und Unter-richt werden als po-tenzielle Bedrohung abgewehrt.

Entwicklungsbemü-hungen lösen im Kolle-gium unterschiedliche Reaktionen aus – von Zustimmung bis Ab-lehnung. Ambivalenz gegenüber Entwick-lungsimpulsen ist spür-bar. Um Grundsatzdis-kussionen zu umgehen, werden Auseinander-setzungen zu Schulent-wicklungsthemen eher gemieden.

Sowohl bei den Lehrper-sonen als auch bei der Schulleitung besteht eine grundsätzliche Off enheit, neue Konzepte und Lö-sungen zu erarbeiten und auszuprobieren, um die Schule neuen Anforde-rungen anzupassen und um einen guten (funk-tionsfähigen, schülerge-rechten und lernwirksa-men) Lehr-Lernbetrieb zu ermöglichen.

Die Schulleitung sorgt für ein Klima, das es den Lehrpersonen er-leichtert, neue Ideen ins Kollegium einzu-bringen und Entwick-lungsvorhaben mög-lichst unbürokratisch umzusetzen.

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Die Datenerhebung und die Diagnose erfolgen genau so wie beim zuvor beschriebenen Instrument der Kopplungsmatrix, nämlich durch die Erweiterte Schulleitung und/oder Steuergruppe, optimal durch das ganze Kollegium.

4.2 Ganzheitlichkeit als externe Vernetzung

Zur Aufdeckung blinder Flecken oder von unplausiblen Bewertungen muss die Diagno-se (und auch Teile der Datenerhebung) auch von außen geschehen, also von der Behör-de, von Peers oder von Wissenschaft lern. Damit kommen wir zur anderen Seite der Ver-netzung, zur externen.

An die Ausgangslage erinnernd kann man wie folgt fragen: Was verbessert Schulen wirklich? In Deutschland ist nach dem „Pisa-Schock“ viel geschehen, auch Beachtliches. Es existieren allein für die Unterrichtsentwicklung mehr als 20 praktizierte Konzepte. Aber es dominieren Einzelmaßnahmen und viele davon erhöhen bloß den Druck auf Schulen und Schüler. Den Druck zu erhöhen ist verhältnismäßig kostengünstig und des-halb wohl auch so populär bei Ministerien und in der Öff entlichkeit, wirkt aber nicht oder kaum auf Schülerleistungen. Das Motto müsste demgegenüber lauten: Weniger Stückwerk und Druck und mehr Ganzheitlichkeit und Unterstützung.

Ganzheitlichkeit setzt einen Dialog von innerer und äußerer Schulentwicklung vor-aus. Innere und äußere Schulentwicklung müssen zusammen gebracht werden und zwar auf regionaler Ebene. Einzelschulen sind zwar der Motor der Schulentwicklung, aber sie haben als einzelne zu wenig Kapazität für Entwicklung. Wenn z. B. Fachkonferenzen mehrerer Schulen an der Unterrichtsentwicklung arbeiten, ist das sowohl eff ektiver als auch stimulierender, als wenn dies nur eine Schule betriebe. Auch sind Unterstützungs-maßnahmen wie Lehrerfortbildung oder Schulbegleitung kostengünstiger zu entwickeln und zu organisieren, wenn sie sich auf mehrere Schulen beziehen.

Fullan wie Barber haben die Wirksamkeit von externern Vernetzungen für Schüler-leistungen untersucht und sie sind zu positiven Ergebnissen gekommen. Als Basiseinheit für vernetzte Entwicklungsvorhaben haben sich komplette Regionen bewährt, die etwa einen Landkreis oder eine Großstadt umfassen. Regionale Vernetzung ist die weitestge-hende Form externer Vernetzung.

4.2.1 Pädagogische Entwicklungsblöcke

In Schweden gab es solche Entwicklungsvorhaben schon in den sechziger Jahren zu Be-ginn der großen schwedischen Schulreform. Sie hießen Pädagogische Entwicklungsblö-cke. Bei Pädagogischen Entwicklungsblöcken werden im Einklang mit den genannten Studien zwei, höchstens drei starke strategische Ziele (big goals) verfolgt, alle Mittel zu-sammen gebracht („nicht kleckern sondern klotzen“) und alle Maßnahmen passgenau koordiniert. Es wird ganzheitlich gestaltet und nicht nur, aber auch gesteuert. So etwas benötigen wir auch, vernetzte Regionen, in denen das Know-how aller genutzt wird und reichhaltige Unterstützungseinrichtungen vorhanden sind.

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Es ist davon auszugehen, dass die bisher zur Verfügung stehenden Ressourcen dafür nicht ausreichen (die Niederlande und die Schweiz z. B. geben ein Mehrfaches für Unter-stützungssysteme aus als deutsche Bundesländer!). Deshalb müssen zusätzliche Ressour-cen erschlossen werden, nicht nur im Landeshaushalt, sondern auch bei Stift ungen und Sponsoren.

Voraussetzung ist allerdings, die Grundidee von Schulentwicklung zu verstehen: Schulentwicklung geht auch bei externer Vernetzung von der Einzelschule aus. Man kann Schulen nicht direkt verändern, jedenfalls nicht von außen und nicht genau so, wie man sich das wünscht. Das kann Schulaufsicht nicht, das kann auch Politik nicht.

4.2.2 System Thinking

Die Basis der Schulentwicklung ist die Einzelschule, aber jede Einzelschule ist Teil des Schulsystems. Wie beide Seiten vernetzt sind, muss analysiert und gestaltet werden. Das ist die Grundidee der Pädagogischen Entwicklungsblöcke. Wagner et al. (2006) haben ein erwähnenswertes Instrument zur Analyse der Verbindung von interner und exter-ner Vernetzung entworfen, das hier als Instrument zur Bearbeitung von Ganzheitlichkeit vorgestellt wird. Der Ansatz ist System Th inking, nicht gedacht als modische Philoso-phie, sondern konzipiert als Grundlage für den Aufb au von „lernenden Organisationen“ nach Peter Senge, der Systeme begreift als „wahrgenommenes Ganzes, dessen Elemen-te zusammenhängen, weil sie sich kontinuierlich gegenseitig beeinfl ussen und die auf ein gemeinsames Ziel (bzw. gemeinsame Absicht oder gemeinsamen Zweck) hinwirken“ (Senge, 1996, S. 11). Dahinter steht die forschungsgestützte Überzeugung, dass Schul-entwicklung nicht aus einzelnen Maßnahmen, auch nicht aus einer Großzahl von Ein-zelmaßnahmen bestehen darf, wenn sie wirkungsvoll sein will, sondern ganzheitlich ge-dacht und auch ganzheitlich gemacht werden muss.

Die Autoren verbinden Systementwicklung mit Personalentwicklung. Sie suchen nach einem „Momentum for Change“(deutsch hieße das Impuls, Triebfeder, Wucht oder Schwung), welches eine innere Dynamik als Impuls- und Schwunggeber besitzt und zu-dem geeignet ist, System- und Personalentwicklung zu verbinden. Sie fi nden es in Ge-stalt der „communities of practice“ (Wenger, 1998), die wir in Deutschland „professio-nelle Lerngemeinschaft en“ nennen.

Über Ganzheitlichkeit der Systementwicklung lässt sich leicht diskutieren und auch anregend philosophieren; aber das Praktizieren ist selten und fällt off enbar auch schwer. Deshalb ist Wagner et al. hoch anzurechnen, dass sie das Change Management zugrun-de legen und für die wichtigsten Prozessschritte jeweils Übungen und Werkzeuge entwi-ckelt haben und im Buch dokumentieren und kommentieren.

Dabei ist das von den Autoren sogenannte 4-K-Werkzeug besonders erwähnenswert, weil es die Anwender (Schulleitung und/Steuergruppe, aber auch Jahrgangs- und Fach-gruppen) anleitet, das System Schule ganzheitlich zu diagnostizieren und Entwicklungs-schwerpunkte davon abzuleiten. Es besteht aus vier zentralen miteinander vernetzten Kreisen, innerhalb derer die Entwicklung des Unterrichts konzipiert und im Gesamt-zusammenhang der Schulentwicklung verankert wird, wobei in der zentralen Schnitt-stelle die Ziele bzw. Absichten oder auch die zu lösenden Probleme transparent und