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Weber For President Julia von Rein-Hrubesch 0

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Weber For President

Julia von Rein-Hrubesch

0

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„Oh Mann, ich brech ab.“

„Ey Knut, schmeiß mal die Taschenlampe rüber!“

„Es ist helllichter Tag, du Idiot!“

„Gib sie einfach her!“

„Vergiss es, Mann!“

Knut und Wurzel wurden vom Kreischen einer E-Gitarre aus ihrem Twist gerissen.

„Scheiße, die proben schon wieder.“, sagte Wurzel und stand auf um sich ein Bier zu holen.

„Könntest du nicht mal mit denen reden, so als VIP?“

Knut schüttelte den Kopf. „In einer halben Stunde sind die so stoned, dass sie sich selbst nicht

mehr erkennen.“

„Yeah, Sex, Drugs and Rock’n Roll!“, brüllte Wurzel über die Wiese.

„Boah ey, ätzend!“, sagte Enne und steckte sich die Stöpsel in die Ohren.

Wurzel betrachtete sie stirnrunzelnd. „Du nimmst Ohropax mit auf ein Festival?“

Enne zuckte die Schultern und zeigte grinsend auf ihre Ohren.

„Sie hat verdammt noch mal recht!“, sagte Knipfl und zog die Augenbrauen hoch. „Es ist

noch nicht mal zehn!“

„Das wär ja nicht das Problem.“, warf Wurzel ein. „Wenn sie wenigstens gut wären. Meine

Fresse, wie schaffen die es eigentlich, jeden Abend so abzurocken?“

Knipfl zuckte mit den Schultern und öffnete die Flasche an seinem Gürtelverschluss.

„Mann, hört doch mal auf zu saufen!“, rief Knut. „Wir haben nur noch eine Kiste Bier und

noch drei Tage! Jetzt rechnet mal nach!“

„Aua!“, schrie Wurzel theatralisch, als auf der Bühne, auf die sie von hier oben einen

fantastischen Ausblick hatten, der Sänger der Band erschienen war und in das Mikrofon

kreischte.

„Sag mal, kotzt der oder was?“, schrie Knipfl, um den Lärm zu übertönen.

Enne hielt wortlos eine Packung bunter Schaumstoffstöpsel in die Runde.

Das Festivalgelände hatte sich erstaunlich schnell geleert. Jeder, dem seine Gesundheit

einigermaßen am Herzen lag und der nicht besoffen genug war, war vor den PUSS geflüchtet.

Punkt zwölf kippte der Drummer hintenüber und sah nicht so aus, als würde er je wieder

aufstehen.

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Enne nahm sich den Stöpsel aus dem Ohr und lauschte. „Gott sei Dank!“

Nach und nach kroch jeder langsam aus seinem Zelt und schielte die abfällige Wiese hinunter

zur Bühne.

„Ende im Gelände.“, bemerkte Wurzel und pulte in seinem Ohr. „Sag mal, kann ich die

behalten?“

„Klar. Denkst du, ich benutz die nochmal?“ Enne sah sich um. „Gibt’s eigentlich noch was

anderes außer dem Scheiß Bier?“

„Nö.“, antwortete Wurzel. „Geh halt rüber zum Mädchenhügel. Da gibt’s Sekt und so'n

Gesöff!“

Enne stand auf und ging davon.

„Wer ist das?“, fragte Knut und blickte in die Richtung, aus der sich eine Horde Menschen

näherte.

„Scheiße Knipfl, hast du wieder Ärger gemacht?“, fragte Wurzel.

„Nee.“

„Ach komm, Alter, sag schon!“

„Nix ey! Die kommen nicht wegen mir!“

Knut richtete sich auf.

„Lass den mal machen.“, sagte Knipfl. „Der kann das.“

„Die sehen aber unernst aus.“, sagte Wurzel.

„Absolut!“, rief Knipfl und sprang auf. „Die haben Bier dabei!“

„Hi!“

„Hi!“

„Ich sehe, ihr kommt in guten Absichten!“

„Mann, du warst ja echt hinüber.“, sagte einer der Typen. „Wir haben vorgestern Nacht euren

halben Vorrat geleert. Hier ist Nachschub.“

Knipfl trat näher und strahlte ihn an. „Na, das nenn ich mal ne Höflichkeit!“ Er hielt ihm die

Hand hin. „Sorry, wie war dein Name?“

„Eric.“ Der Typ verdrehte die Augen. „Jetzt weiß ich mal, wie sich das anfühlt.“

„Das kannst du laut sagen!“

Eric schlug in die Hand ein und blickte sich suchend um. „Sag mal, wo is’n die scharfe

Mieze, die ihr dabei habt?“

„Unterwegs. Kommt gleich wieder. Los, setzt euch doch!“

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Enne rannte den Hügel hinab und fühlte sich, als würde sie fliegen. Über ihr riss die

Wolkendecke auseinander und gab einen azurblauen Himmel preis. Die

STRASSENSCHILDER hatten bereits mit ihrem Soundcheck begonnen, doch im Moment

wurde die sirenenartige Stimme des Sängers nur von einer Akustikgitarre begleitet und für

Enne war es, als hätte sie nie etwas Betörenderes gehört.

Sie wandte sich um und lachte. Die anderen Mädchen waren einfach losgerannt, genau wie sie

selbst, und Enne war froh, dass sie nicht zu betrunken war, um diesen Augenblick nicht

genießen zu können.

Als sie den nächsten Hügel erklomm, wurde sie langsamer. Sie musste unbedingt weniger

rauchen.

Von oben hörte sie Stimmen. Sie runzelte die Stirn.

„Mann, Enne!“ Hinter ihr erschien Kattl. „Hört sich an, als macht ihr da oben ne Antiparty!“

„Hm.“, machte Enne nur und schritt den Hügel hinauf.

„Sieh mal Eric, da ist deine Süße!“

„Ja. Und eine Dutzend anderer Weiber hat sie gleich mitgebracht. Verdammt nett.“

„Ja.“, sagte Eric und stand auf. „Extrem nett.“

Enne blickte über die Wiese. Ihr Zelt konnte sie nicht mehr ausmachen.

„Was ist denn hier los?“, fragte sie, als sie Wurzel entdeckt hatte.

Der schnalzte mit der Zunge. „Mann ey, immer die Weiber und ihre dämlichen Fragen!“

„Ich kann mein Zelt nicht sehen!“

„Kein Problem.“ Eric war neben ihr erschienen. „Du schläfst heut bei mir.“

Enne drehte sich um. „Hi Eric.“

Wurzel und Knipfl wechselten einen Blick. „Super Gedächtnis.“

„Jepp.“

„Entspann dich, Enne!“, wisperte ihr Kattl ins Ohr. „Der ist doch total süß!“

Enne seufzte. „Na gut.“ Dann drehte sie sich um. „Wer von euch kann noch fahren? Wir

brauchen Prosecco!“

Eric füllte die Gläser und schaute Enne an. Er war extrem verknallt.

„Sag mal, wer spielt als nächstes?“, fragte Kattl in die Runde.

„Frag Knut.“, antwortete Knipfl. „Der weiß die Setlist auswendig.“

„Eine Setlist ist eine Reihenfolge von Songs!“, kam es von irgendwoher.

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„Siehst du!“, sagte Knipfl grinsend.

„Hey Knut!“, rief Kattl in die Richtung, aus der die Stimme gekommen war. „Wer spielt als

nächstes?“

Knut faltete die Zettel, die er in den Händen hielt und trat näher. „Um vier sind die ULTRA

DAMEN dran.“

„Oh, die sind fantastisch!“, sagte Kattl.

„Was?“ Wurzel verzog das Gesicht. „Ich kann keine Frauen singen hören!“

„Halt mal lieber die Klappe!“, sagte Enne.

Wurzel sah sie an. „Mit dir braucht man sowieso nicht über Musik zu diskutieren. Findest ja

auch die STRASSENSCHILDER sooo toll!“

„So was von!“, sagte Enne. „Und der Leadsänger ist so heiß!“

„Was?“, fragte Eric.

„Der klingt immer so, als würde er heulen.“, sagte Wurzel.

„Du heulst gleich!“, rief Enne.

Knut zog die Augenbrauen nach oben und wollte sich umdrehen.

„Sag mal, woher weißt du das eigentlich?“, fragte Kattl.

„Knut ist unser rasender Reporter.“, antwortete Wurzel stolz.

„Ja, unser exklusiver Berichterstatter!“, sagte Knipfl.

„Ausquetscher der VIPs!“

„Nächster Pulitzerpreisträger!“

„Literaturnobelpreis!“

Knut verdrehte die Augen.

„Du bist Journalist?“, fragte Kattl.

Knut schüttelte den Kopf. „Eigentlich nicht. Bin da nur so reingerutscht.“

„Erzähl doch nicht!“, tönte Wurzel. Er wandte sich Kattl zu. „Die Presse nennt ihn schon den

talentiertesten Essayist des New Ages!“

„Echt?“, fragte Kattl.

Knut lächelte schief. „Naja, kann sein. Und jetzt darfst du Wurzel mal fragen, was das

bedeutet.“

Kattl blickte Wurzel an. Der zuckte die Schultern.

„Siehst du, das ist das Ding.“, sagte Knut. „Gute Kritiken interessieren keinen Menschen.“

„Ist doch gar nicht wahr!“, rief Wurzel.

„Und was machst du jetzt hier?“, fragte Kattl. „Schreibst du einen Report über das Festival?“

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„Um Gottes Willen!“, antwortete Knut. „Hab nur ne Anfrage vom AUFDIEOHREN für ein

Interview.“

„Wow.“, machte Kattl.

„Sag ich doch!“, sagte Wurzel.

„Und welche Band?“, fragte Eric.

„VOLUPTAS.“

„Mann. Die sind extrem angesagt.“

„Mm.“, machte Knut nur.

„Oho!“, rief Eric. „Ich spüre da eine gewisse Abneigung!“

Knut blickte ihn an. „Das ist das Problem in der Kunstberichterstattung. Ich könnte da nie

neutral sein.“

„Verständlich.“, sagte Eric.

„Find ich auch.“, stimmte Kattl zu.

„Naja, wie auch immer.“, sagte Knut. „Ich muss gleich los.“

Enne hielt das Glas in die Sonne. „Sieht bisschen trüb aus für Prosecco.“, bemerkte sie.

„Wurzel?“ Sie blickte in die Richtung, in die Wurzel mit zusammen gekniffenen Augen sah.

„Wer ist das denn schon wieder?“

„Keine Ahnung.“, sagte Wurzel. „Hoffentlich keine Bullerei oder so.“

Zwei Herren in Jeans und Sakko näherten sich. Wurzel und Enne konnten sehen, dass sie sich

mit ein paar von Erics Freundin unterhielten, die dann in ihre Richtung zeigten.

„Die wollen zu uns.“

„Sieht ganz so aus.“, stimmte Wurzel zu.

Die beiden Herren schoben sich durch die Menge hindurch und standen schließlich vor ihnen.

„Guten Tag. Knut Weber?“, fragte einer von ihnen.

„Äh nee.“, sagte Wurzel.

„Das bin ich.“ Knut sah die beiden fragend an.

„Thennes mein Name.“ Der Sakkoträger reichte ihm die Hand. „Wir kommen vom

ÄQUATOR und würden gerne mit ihnen sprechen.“

Knut runzelte die Stirn. „Thennes?“, wiederholte er. „Michael Thennes?“

„Ja.“

„Könnte mich mal einer aufklären?“, fragte Wurzel.

Knut sah ihn an. „Michael Thennes schreibt für den ÄQUATOR eine politische Kolumne und

hat letzten Monat den Preis für Lokal Journalismus gewonnen.“

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Wurzel nickte unbeeindruckt. „Wie schön.“

Knut nickte Thennes zu. „Meinen Glückwunsch übrigens.“

„Danke.“ Thennes nickte ebenfalls. „Das hier ist Luca Sporn, Fotograf.“

„Hi.“

„Hi.“

Wurzel sah fragend von einem zum anderen. Inzwischen hatten die Sakkoträger die

Aufmerksamkeit fast aller auf sich gezogen.

„Zwei Mitarbeiter des ÄQUATORS.“, sagte Wurzel. „Kategorie Politik. Na jetzt bin ich aber

mal gespannt.“

Knipfl nickte eifrig. „Und ich erst!“

Thennes blickte die beiden kurz an und sah dann wieder zu Knut. „Wir kommen wegen der

Landratswahlen nächsten Monat.“

Knut zog die Augenbrauen nach oben.

„Wie sie vielleicht wissen oder auch nicht, ist Senatsabgeordneter Franck abgesprungen.“

Knut sah ihn noch immer schweigend an.

Thennes hob die Arme zur Seite. „Franck! Timo Franck! Der, den sie herausgefordert haben!“

„Sorry Mann, ich hab wirklich keine Ahnung, wovon sie da reden.“, sagte Knut.

Thennes und Sporn tauschten einen kurzen Blick.

„Bei der letzten Wahl sind sie als Überraschungskandidat aufgestellt worden.“, erklärte

Thennes. „Nun, da Franck aus welchen Gründen auch immer abgesprungen ist, sind sie der

Favorit der Oppositon!“

Knut runzelte die Stirn. Um ihn herum war es mit einem Mal verdächtig still geworden.

Knut fuhr sich mit der Hand über den Mund. Seine Lippen fühlten sich auf einmal sehr

trocken an. Er blickte sich um. Seine Freunde starrten ihn an. Oder blickten betreten zu

Boden.

„Wurzel!“, zischte Knut.

Wurzel sah ihn an. „Äh, ja?“

„Fällt dir irgendetwas ein zu dieser Sache?“

„Äh, nö?“

„Wurzel!“

„Ja, Meister?“

„Lass den Quatsch! Da fällt mir doch plötzlich ein, dass du und Knipfl und die ganzen

anderen Idioten bei den Landratswahlen wart!“

„Im Ernst?“

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„Jetzt mach den Mund auf, Mann! Hast du meinen Namen auf irgendein scheiß Papier

geschrieben?“

Wurzel verzog das Gesicht. „Vielleicht?“

„Vielleicht?“, schrie Knut. „Vielleicht? Bist du bescheuert, Mann?“

„Moment mal.“, mischte sich Thennes ein. „Heißt das, sie wussten nix von der Aufstellung?“

„Nein.“, knurrte Knut.

Thennes fing an zu grinsen. „Na das find ich ja mal geil.“

Knut sah ihn stirnrunzelnd an.

Auf einmal sprang Knipfl auf. „Jawohl! Wir wollen dich, Knut Weber!“

Knut fuhr herum und starrte Knipfl an. „Halts Maul!“

Knipfl reckte die Arme in die Höhe und begann zu schreien: „Weber for President! Weber for

President!“

Diese Geste übte einen fast hypnotischen Sog auf alle Anwesenden aus. Jeder sprang plötzlich

auf und begann wie verrückt herumzuspringen. „Weber for President!“, brüllten alle so laut

sie konnten und übertönten den Soundcheck der ULTRA DAMEN.

Thennes grinste noch immer bis über beide Ohren und hob die Arme. „Ruhe bitte!“, schrie er

in die Masse.

Dann schnippte er mit dem Finger und scheinbar wie aus dem Nichts erschien eine riesige

Kamera vor Knuts Gesicht.

„Herr Weber, nehmen sie die Kandidatur für die Wahl des Landrates an?“

Plötzlich war es totenstill. Wie gebannt starrte jeder zu Knut und den Sakkoträgern.

Knut fuhr sich wieder über den Mund. „Sie verstehen das nicht.“, sagte er schließlich. „Das ist

nichts als ein dummer Streich. Ich…“

„Freibier für alle!“, brüllte einer von irgendwoher.

Knut deutete mit dem Kopf in die Richtung. „Da hören sie es.“

Enne trat einen Schritt auf ihn zu. „Hör zu Knut.“, sagte sie. „Vielleicht ist es nur ein blöder

Streich gewesen, aber…“

„Blöd? Saudumm!“

„Ja, okay, saudumm! Aber jetzt überleg doch mal: Vielleicht könntest du so etwas ändern?“

Knut runzelt die Stirn. „Das meinst du jetzt nicht ernst?“

„Doch!“, sagte Enne bestimmt. „Denk doch mal, über was du dich immer aufregst!“

Knut zuckte die Schultern. „Keinen Parkplatz vor’m McDonalds?“

„Genau!“, rief Enne.

„Oder dass sie uns die Festwiese wegnehmen wollen!“, schrie Knipfl.

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„Genau!“, brüllte der Mob.

„Urheberrechte!“, schrie da jemand und Knut horchte auf.

Auf einmal war es wieder still.

„Wow, hätt nie gedacht, dass Politik so spannend sein kann!“, sagte Wurzel und sah sich um.

„Sorry, Knut.“, meinte Thennes. „Wir haben ’ne Deadline.“

„Die hab ich auch.“, murmelte Knut.

„Nehmen sie die Wahl an?“

Knut blickte Thennes an. Schließlich nickte er. „Zum Teufel, ja.“

Die Menge war nun nicht mehr aufzuhalten. Alle brüllten durcheinander.

Knut schüttelte unentwegt den Kopf.

„Sie müssen jetzt bitte mitkommen.“, brüllte ihm Thennes ins Ohr.

„Scheiße!“, rief Knut. „Ich hab ein Interview!“

„Das mach ich für dich!“, schlug Wurzel vor.

„Du?“

„Ja.“ Wurzel nickte eifrig. „Du kannst die Band doch eh nicht leiden.“

„Darum geht’s doch gar nicht!“

„Los jetzt!“ Wurzel schob ihn davon.

Knut holte die Zettel aus der Tasche und reichte sie Wurzel. „Hier stehen ein paar Fragen

drauf. Und den Prolog hab ich auch schon geschrieben.“

Thennes zog Knut mit sich, dem es schwer fiel, seinen Blick von Wurzel und dem brüllenden

Pulk zu lösen. Wurzel schien den Zettel mit den Interviewfragen zu überfliegen. Ratlosigkeit

machte sich auf seinem Gesicht breit.

„Scheiße.“, sagte Knut. „Meinen Job beim AUFDIEOHREN bin ich wohl los.“

„Zum Schreiben werden sie sowieso nicht mehr kommen.“, sagte Sporn.

„Was?“ Knut drehte sich um.

Sporn zuckte mit den Schultern. „Sie sind jetzt Politiker. Das ist ein Vollzeitjob, Mann.“

„Noch nicht.“, bemerkte Thennes und zerrte Knut am Arm.

Der betrachtete ihn stirnrunzelnd. „So langsam kann ich mir denken, wie sie an diesen Preis

gekommen sind.“

„Ja ja, als Journalist darf man nicht zimperlich sein. Und jetzt legen sie mal nen Zahn zu.“

„Jeder, der denkt, Rock bedeutet, irgendein langhaariger Idiot klammert sich den Steg einer

E-Gitarre in rasender Geschwindigkeit rauf und runter, der wird von den VOLUPTAS Lügen

gestraft. Die vier Musiker aus dem windigen Norden scheinen zurzeit alles, was mit dem

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Wort INDIE zusammenhängen mag, in einen Topf zu knallen, durchzuschütteln und dann

irgendwohin zu kippen. Rock, Pop, Folk, alles ist dabei, was allein nichts besonderes ist,

denken wir doch nur an die PUSS, die KREISELFAHRER oder die ULTRADAMEN. Und

auch wenn jeder Kritiker beim Schreiben eines Artikels über Musik händeringend nach

Vergleichen sucht, hier haben sie nichts verloren. Die VOLUPTAS haben keine Vorbilder, sie

sind Vorbilder. Sie haben keine Idole, sie sind Idole. Sie bedienen kein Genre, sie sind das

Genre. Sie sind gut. Sie sind verdammt gut.

Wir hören mal in ihr Debutalbum (Jawohl-Debut!) VERDIKT rein und können nur wortlos

mit dem Kopf schütteln. Es dürften nicht mehr als zwei Akkorde sein, die gleich beim ersten

Titel INVASION angeschlagen werden, und doch schaffen es diese talentierten Burschen,

daraus einen kreischenden Heavy-Aggro-Song zu zaubern. Nur mit einer Akustikgitarre und

einer Snare Drum. Wie geht das? fragen wir uns alle. Wir wissen es nicht.

Im nächsten Track hingegen wird alles aufgefahren, was eine Vier-Mann-Kombo auftreiben

kann: Hall, Bass, Elektrik in Massen und daraus entsteht eine säuselnde Ballade, die so knapp

am Mainstream vorbei schrammt, dass es fast schon weh tut.

Ein Rätsel geben uns auch die Texte auf, mal singen sie in Englisch, dann wieder in ihrer

Muttersprache, und ab und zu schummeln sich Worte auf Latein dazwischen. Und worum

geht es? Wovon singt Ramon T., wenn er sich ans Mikro klammert und die Augen so

verdreht, dass man nur noch das Weiße sieht? Auch das wissen wir nicht. Der Sinn der

selbstgeschusterten Lyrik hat sich uns (noch) nicht erschlossen.

Die VOLUPTAS sind da, sie sind laut und sie sind extrem. Ich treffe sie am 29. Mai auf der

Festwiese zum MAIBOCK und es wird mir hoffentlich gelingen, auf ein paar dieser

essenziellen Fragen eine Antwort zu bekommen.“

Wurzel starrte auf den Zettel in seinen Händen. „Ach! Du! Scheiße!“, sagte er.

„Was ist?“, fragte Enne, die es geschafft hatte, mit einer Kiste Bier den Mob einigermaßen

zur Ruhe zu bringen.

„Hier!“ Wurzel hielt ihr den Zettel entgegen. „Ich verstehe kein einziges Wort davon!“

„Das ist Journalistensprache.“, sagte Enne, doch sie sah nicht sehr überzeugt aus. „Wie auch

immer, du musst jetzt los!“

„Ja.“ Wurzel zuckte die Schultern. „Du hast recht. Bis dann!“

Wurzel schmiss die Flasche ins Gras und wischte sich mit der Hand über den Mund. Er suchte

mit den Augen das Festivalgelände ab, bis er bei einer riesigen roten Drei hängenblieb.

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„Na wenigstens die Presse hat hier den Durchblick.“, murmelte er und setzte sich in

Bewegung.

„Du bist zu spät.“, war das Erste, was Ramon sagte, als er ihn sah.

„Ja, dir auch einen schönen Tag.“, erwiderte Wurzel und setzte sich.

Die anderen Mitglieder der Band lümmelten sich in ihre Sessel und würdigten ihn keines

Blickes.

„Wer sind die da alle?“, fragte Wurzel und zeigte auf die Typen, die im Kreis um sie herum

standen.

„Manager.“, antwortete der Leadsänger. „Bodyguards.“

„Ach du Scheiße.“, sagte Wurzel. „Das hier ist ein Wiesenfestival. Vor wem hast du Angst?

Vor Rübezahl?“

Ramon funkelte ihn an und in einem der Sessel räkelte sich etwas. Der Bassist streckte die

Beine aus. „Wer ist der Typ?“, fragte er Ramon.

„AUFDIEOHREN.“, knurrte der.

„Mein Name ist Wurzel.“, sagte Wurzel. „Und ich bin hier, um ein anständiges Interview zu

führen. Also, setzt euch gefälligst ordentlich hin und zollt der Presse einen angemessenen

Respekt!“

„Ach du Scheiße.“, sagte der Bassist. „Willst du gleich paar auf die Fresse oder was?“

Einer der Bodyguards wippte unruhig hin und her.

Wurzel runzelte die Brauen. „Sagt eurem Shaft da, er soll sich abregen.“

„Wie wär’s, wenn du dich abregst?“, fragte der Bassist.

Ramon richtete sich in seinem Sessel auf. „Können wir dann mal anfangen? Ich will den

Scheiß hinter mich bringen. Erste Frage!“

„Ja.“, sagte Wurzel und verschränkte die Arme. „Wie kommt es, dass ihr solche Arschlöcher

seid?“

Knut straffte die Schultern. Er hatte noch nie auf der anderen Seite gesessen, und es gefiel

ihm.

Er grinste. Das Interview mit Thennes war wirklich ordentlich verlaufen, und er musste

zugeben, dass der Reporter gut war. Er hatte kluge Fragen gestellt, und Knut war es zu seiner

eigenen Überraschung gelungen, einigermaßen klug zu antworten.

„Das war sauber, Mann!“, sagte Thennes, als Sporn die letzten Fotos geknipst hatte.

„Jepp.“, sagte Knut. „Kommt, ich lad euch noch aufn Schnaps ein.“

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Sporn nickte Thennes zu. „Also, ich wähle ihn.“

Sie schoben sich durch die Zelte, in denen es von Presseleuten nur so wimmelte. Aus Zelt

Nummer drei kam ein ohrenbetäubender Lärm.

„Was ist denn da los?“, fragte Knut.

Thennes zuckte mit den Schultern. „Bestimmt ne Schlägerei oder so.“

Erst nach dem sechsten oder siebten Schnaps fiel es ihm ein.

„Drei?“, rief er.

„Was?“ Thennes blickte ihn schon sehr vernebelt an.

„Zelt Nummer drei!“, rief Knut wieder. „Das ist mein Interview!“

„Guter Trick!“, sagte Thennes. „Du sitzt doch hier.“

„Ha ha, das ist nicht witzig, du Klugscheißer! Das sind die VOLUPTAS!“ Er sprang auf.

Thennes hielt ihm am Arm fest. „Der Zug ist sowieso abgefahren! Komm, die nächste Runde

geht auf mich!“

Halb acht fingen die VOLUPTAS mit ihrer Show an. Knut torkelte über den Hügel und kniff

die Augen zusammen. Sie sahen alle noch ganz heil aus.

Im Gegensatz zu ihm. Thennes hatte ihn dermaßen abgefüllt, dass er kaum noch aufrecht

stehen konnte.

Er versuchte einen Fuß vor den anderen zu setzen, doch er hatte den Anstieg der Wiese nicht

bedacht. Er schwenkte langsam nach allen Seiten und breitete die Arme aus. Doch es half

alles nichts.

Knut kippte hinten über und blieb schnarchend am Fuße des Hügels liegen.

Die Sonne ging auf.

Wie ein riesiger leuchtender Ball erschien sie über dem Festivalgelände und spiegelte sich in

dem Tau auf den Halmen.

Knut stöhnte. Er versuchte sich aufzurichten. Sein Nacken schmerzte wie Sau.

Er stemmte die Arme in das Gras und drückte sich hoch.

„Wurzel!“ Seine Stimme kam nur wie ein Krächzen aus seiner trockenen Kehle. „Wurzel!“,

rief er immer lauter und kroch den Hügel hinauf.

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Irgendwann gegen neun war er oben angekommen.

Enne zog ihm am Arm hoch und reichte ihm einen Kaffee. „Guten Morgen, Mister Präsident.“

„Ja ja.“, sagte er nur. „Wo ist Wurzel?“

„Der kommt auch gleich. Jetzt trink erst mal den Kaffee. Du siehst ja ganz schön scheiße

aus.“ Sie grinste ihn an.

„Hä hä.“, machte er nur und schlürfte an dem Kaffee.

„Wo warst du denn gestern? Wir haben dich überall gesucht!“

Knut zeigte nur den Hügel hinab.

„Aha.“, sagte Enne.

„Hey!“, rief Wurzel und setzte sich zu ihnen.

„Hey.“, sagte Knut. „Hast du dich gestern mit den VOLUPTAS geprügelt?“

Enne sah Wurzel an. „Was?“

„Die haben angefangen!“

Knut stöhnte. „Nur ein Interview.“, sagte er. „Nur ein gottverdammtes Interview!“

Wurzel schüttelte den Kopf. „Weißt du eigentlich, was das für Idioten sind?“

„Ja, das weiß ich!“, sagte Knut. „Und trotzdem war es nur ein Interview! Da hätt ich einen

Affen hinschicken können, der hätte das besser hingekriegt als du!“

„Glaub ich nicht.“, antwortete Wurzel und grinste. „Ich hab ein paar nette Zeilen

geschrieben!“

Knut sah ihn stirnrunzelnd an. „Du hast tatsächlich was geschrieben?“

„Ja!“

„Na ja, gib es mal her, vielleicht kann ich ja was draus machen.“

Nun runzelte Wurzel die Stirn. „Ich habe es schon weggeschickt.“

Knut starrte ihn an. „Was?“

Wurzel zuckte die Schultern. „Wir hatten ne Deadline.“

Knut stellte seinen Kaffeebecher auf den Boden und hob langsam den Kopf. „Wurzel.“, sagte

er. „Wohin hast du den Text geschickt?“

„Na, an deinen Lektor.“

Enne zog die Brauen nach oben.

Knut sah Wurzel düster an. „Nein, das hast du nicht.“, sagte er tonlos. „Bitte, sag, dass du das

nicht getan hast!“

„Wir hatten ne Deadline.“, sagte Wurzel nur.

„Du hast ne Deadline!“, brüllte ihn Knut an. „Du bist tot! Sofort!“

„Hey!“ Enne zog ihm am Ärmel. „Kann man da nix machen?“

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„Doch!“, schrie Knut. „Wenn ich tatsächlich gewählt werde, führe ich zuerst die Todesstrafe

wieder ein!“

Wurzel grinste. „Cool!“

Knut sprang auf und lief auf Wurzel zu.

„Wurzel, du hältst jetzt mal die Klappe!“, sagte Enne und zog Knut wieder am Ärmel.

„Ja, schon gut.“

Enne zog ein Handy aus Knuts Hosentasche und hielt es ihm hin. „Los, ruf den Redakteur

an!“

Knut schnaubte noch ein bisschen, dann machte er sich von Enne los und griff nach dem

Handy.

Wurzel nippte an dem Kaffee und blickte zu Enne. „Na komm schon, cool ist es schon!“

Enne blickte böse drein. „Knut findet das nicht.“

Wurzel grinste. „Na komm, gib es schon zu. Du findest die Aktion auch cool! Sag es!“

Enne fing an zu grinsen. „Ja, okay.“, sagte sie. Dann blickte sie in die Richtung, in die Knut

verschwunden war. „Ich hoffe trotzdem, dass er seinen Job nicht verliert.“

„Ja, das hoffe ich auch!“, sagte Wurzel. „Die werden sich da schon nicht so haben! Wenn er

sagt, dass irgendein besoffener Idiot irgendwas geschrieben hat und einfach weggeschickt

hat…“

„Was ja die volle Wahrheit ist…“

„Ja ja, ich hab’s schon kapiert!“

„Da kommt er!“

Sie schauten beide zu Knut, der auf sie zukam.

„Und?“, fragte Enne gespannt.

Knut nickte und schob das Handy in die Tasche. „Ich bin nicht gefeuert.“

„Puh!“, machte Wurzel.

„Gott sei Dank!“, sagte Enne.

„Ja.“, sagte Knut und setzte sich. Er griff nach dem Becher und sah Wurzel an. „Wurzel, du

bist Coautor des Artikels.“

„Was?“

Knut nickte. Dann schüttelte er den Kopf. „Sie finden deinen Text gut.“

„Was?“, rief Enne.

Wurzel starrte Knut an. „Ist das dein Ernst?“

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„Ja.“, antwortete Knut und drehte die Tasse in den Händen. „Der Chefredakteur sagt, er hätte

selten solche Worte der naiven Deutlichkeit gelesen.“ Dann sah er Wurzel an. „Was um

Himmels willen hast du denn geschrieben, Wurzel?“

„Ist mir scheißegal, ob diese Band Rock und Pop und Folk mit Indie mischt und daraus ein

leckeres Süppchen kocht. Musik muss krachen, oder ich muss dazu ne Frau abschleppen

können.

Bei den VOLUPTAS haut das beides hin, das gebe ich zu.

Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass sie nicht anderes sind als vier Vollpfosten, die

sich auf nen Kuhacker Ledersessel anliefern lassen, in denen sie dann hocken und große Töne

spucken können. Die VOLUPTAS sind so gefragt, dass die Presse ihnen in den Arsch kriecht

und die Weiber ihnen sonst wohin. Das hat sie zu solch arroganten Wichsern gemacht, dass

ich das Kotzen kriege wenn ich an meinen Freund Knut Weber denke, der sich den Arsch

aufgerissen hat für Worte des Respekts, die ihr oben gelesen habt. Ich danke dem heiligen

Manitu dafür, dass er hier nicht erscheinen musste und seine wertvolle Zeit mit den

VOLUPTAS verschwendet hat.

Und nun, meine lieben Musikfreunde, werde ich denen mal gepflegt eins auf die Fresse

geben.“

Ende

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