01 2016 VERKEHRS REPORT - Fachbereich Verkehr – ver.di

8
Wir bewegen was VERKEHRS REPORT LUFTVERKEHR • SCHIFFFAHRT • SCHIENENVERKEHR • ÖPNV • HÄFEN AKTUELLES Für Köln da: im Nahverkehr und auf dem Airport Für sie geht es um bessere Ent- lohnung, die betrieblichen Renten oder Übernahmeregelungen: Die etwa 3.300 Beschäftigten der Köl- ner Verkehrs-Betriebe AG und die 1.800 Angestellten bei der Köln- Bonner Flughafengesellschaft sind Teil der großen Tarifrunde Öffent- licher Dienst 2016. Was sie von den Forderungen und ihrer Durchset- zung halten, erfuhren wir beispiel- haft. Und bei der Flughafenfeuer- wehr lernten wir Männer kennen, ohne die keine Maschine starten oder landen darf. Betriebsfeuer- wehrleute gehen mit eigenen Forde- rungen in die Tarifrunde. Seite 3 LUFTVERKEHR Neue Flugdienst- und Ruhezeitenregelung ver.di war beteiligt an der Erar- beitung der neuen Richtlinie der Europäischen Agentur für Flug- sicherheit (EASA). Was es auf euro- päischer Ebene zu debattieren und durchzusetzen galt und wie das gelang, berichtet der ver.di-Mann fürs Knifflige: Markus Müller. Der Chef-Steward hat im Gewerk- schaftsauftrag viele Jahre mit ver- handelt, als es darum ging, Arbeits-, Bereitschafts- und Ruhezeiten für fliegendes Personal im Interesse von Beschäftigten und der Flugsi- cherheit besser zu regeln. Seite 4 ÖPNV Im Nahverkehr droht Dumpingwettbewerb Über 100 Jahre lang haben die Be- schäftigten des Stadtverkehr Pforz- heim für qualitativ hochwertigen Nahverkehr gesorgt. Jetzt soll eine Tochter der Deutschen Bahn AG die Aufgaben im Nahverkehr über- nehmen. Möglich ist das, weil die schwarz-gelbe Regierungskoalition 2013 das Personenbeförderungs- gesetz geändert hat. Was das für die Beschäftigten bedeutet und was ver.di bundesweit tut, um die Arbeitsbedingungen im ÖPNV zu verbessern, steht in den Beiträ- gen auf. Seite 6 HÄFEN Angespannte Situation in den North Range Häfen Über die sogenannte North Range, die kontinentaleuropäischen Häfen an der Nordsee, werden etwa 80 Prozent des europäischen Im- und Exports abgewickelt. Überall sind in den letzten Jahren Hafen- flächen erweitert worden und zusätzliche Containerterminals ent- standen, wo immer größer wer- dende Schiffe fast automatisch be- und entladen werden. Das hat zum Verlust von Hunderten Hafen- Arbeitsplätzen geführt. Der Wett- bewerbsdruck ist enorm gestiegen. Dem müssen sich die Gewerk- schaften stellen. Seite 8 01 2016 Endlich her mit Fair: Die Europäische Bürgerinitiative „Fair Transport Europe“ will bessere Arbeitsbedingungen im Verkehrssektor sichern DIE MILLION KNACKEN! Gibt es etwas zu gewinnen? Unbe- dingt. Der Verkehrssektor spielt eine zentrale Rolle für Freizügigkeit, Inte- gration und einen gemeinsamen Bin- nenmarkt in Europa. Im Zuge der Öff- nung und Liberalisierung gewinnen Transportdienstleistungen noch wei- ter an Bedeutung. Der europäische Arbeitsmarkt wird dabei zu einer Drehscheibe. Doch: Bisher sind die Rahmenbedingungen weder einheit- lich noch gut. Viele Beschäftigte müssen mit Lohn- und Sozialdumping kämpfen, arbeiten unter prekären Bedingungen. Das wollen die euro- päischen Transportarbeitergewerk- schaften nicht mehr hinnehmen, son- dern bessere Arbeitsbedingungen für alle Verkehrsbeschäftigten in der EU sichern. Sicherheit, Umweltstandards, Ausbildungsqualität sollen auf hohem Niveau angeglichen und die Bezah- lung der Beschäftigten im Straßen- personenverkehr, in der Luftfahrt, auf Binnenwasserstraßen und See, bei der Eisenbahn und in der Logistik verbessert werden. Fairer Transport in Europa – „Fair Transport Europa“ heißt die Devise. Davon würden nicht nur Busfahrer und Straßen- bahnerinnen, Kabinenbeschäftigte, Binnenschiffer oder Hafenarbeiter profitieren – in Europa zählt der Verkehrssektor elf Millionen Direkt- beschäftigte – sondern alle, die Trans- portleistungen nutzen: Sie kämen sicherer ans Ziel. Um das durchzusetzen, ist gemeinsame Anstrengung nötig. Eine europäische Auf- gabe braucht eine europäische Lösung. Die Europäische Kommission ist gefragt, sie muss Pläne und Maßnahmen entwi- ckeln sowie Regeln dazu beschließen. Das ist bisher nicht ausreichend gesche- hen, gemeinsame Sozialnormen im euro- päischen Verkehr etwa fehlen. Wie aber die EU-Kommissare zum Handeln bringen? Die Europäische Transportarbeiter Födera- tion (ETF) und ihre Mitgliedgewerkschaf- ten setzen auf ein Instrument der politi- schen Teilhabe: eine Europäische Bürger- initiative. Bringt sie genügend Unterstützer zusammen, ist die EU-Kommission ver- pflichtet, sich mit dem Anliegen zu befas- sen. Allerdings: Eine Million EU-Bürger in einem Viertel aller EU-Länder müssen zuvor mitzeichnen. Konkret heißt das: in der Bundesrepublik werden 250.000 Unterschriften für die Forderung „Fairer Transport in Europa – Gleichbehandlung aller Verkehrsbeschäftigten“ gebraucht. Bis Mitte September 2016 läuft die Frist. Wir bewegen Europa – aber nicht für Dumpinglöhne, meinen ETF und nationale Transportarbeitergewerkschaften. Zu viele Beschäftigte zahlen drauf für „billigen“ Transport in der EU. Sie arbeiten zu Dum- pinglöhnen oder mit Arbeitszeiten jenseits gesetzlicher Höchstgrenzen. Sie haben keine ausreichende Sicherung bei Krank- heit oder Arbeitslosigkeit bzw. keinen gere- gelten Urlaubsanspruch. Sie sind wochen- oder monatelang von der Familie getrennt oder bei dubiosen Briefkastenfirmen ange- stellt. Erschöpfung bedeutet für sie und andere Verkehrsteilnehmer ein erhöhtes Sicherheitsrisiko. Schiffstonnagen in EU-Staatsflaggen steht beim Seeverkehr ganz obenan. Koordi- nation zwischen den europäischen Häfen sichern, um unkontrollierte Expansion zu vermeiden, heißt es für den Hafensektor. Die Broschüre „Fair Transport Europe – die Zukunft des europäischen Verkehrssek- tors aus Beschäftigtenperspektive“ erklärt alles ausführlich und kann heruntergeladen werden unter: fairtransporteurope.de Auf der Seite gibt es auch Unterschriften- listen und weiteres Informationsmaterial. HÄFEN Die ver.di-Bundestarifkommission Seehäfen hat im März einstimmig beschlossen, den mit dem Zentralverband Deutscher See- häfen vereinbarten Lohntarifvertrag zu kün- digen. Damit ist die Forderungsdiskussion in den tarifgebundenen Betrieben eröffnet. Bei den Debatten wurde bereits deut- lich, dass ganz unterschiedliche Rahmen- bedingungen zu beachten sind. Die Hafen- wirtschaft ist wie kaum eine andere Bran- che abhängig von der konjunkturellen Lage der exportorientierten Wirtschaft in Deutschland. Der zunehmende wirtschaft- liche Abschwung in China, aber auch die Lohnrunde 2016 in der Hafenwirtschaft angelaufen andauernde Krise in der Ukraine und die damit verbundenen Handelssanktionen ge- genüber Russland führen zu geringerer Ton- nage auf den Handelsschiffen und zu ab- nehmenden Umschlagszahlen. Allein der Hamburger Hafen verzeichne- te vergangenes Jahr einen Rückgang im Güterumschlag von ca. 5,5 Prozent. Damit wächst auch der Druck auf die Unterneh- men und ihre Beschäftigten. Insbesondere der konventionelle Bereich (Massen- und Stückgut, Stauereien, Laschbetriebe) lei- det. Viele Unternehmen, etwa die Tradi- tionsfirma Tiedemann, kämpfen um ihre Existenz. Aber auch die großen Container- umschlagsunternehmen stehen zuneh- mend unter Druck. So verzeichnete die HHLA AG an ihren drei Standorten in Hamburg einen Rückgang des Container- umschlags von etwa 12 Prozent, der weitgehend durch den Zuwachs im Contai- nertransport kompensiert werden konnte. Die Bremer Logistic Group (BLG) vermel- dete ebenfalls Rückgänge, trotz hoher Um- schlagsmengen auf dem Autoterminal. Die Tarifrunde wird zudem durch wachsende Überkapazitäten auf den Terminalflächen der North Range-Häfen und durch neue Reeder-Allianzen beeinflusst. „Die Anfor- derungen und der Leistungsdruck in den deutschen Seehäfen steigen nicht zuletzt wegen der Schiffsgrößenentwicklung und damit entstehenden Peak-Situationen ste- tig an“, bestätigt der ver.di-Verhandlungs- führer Torben Seebold. „Die Produktivität nimmt trotz aller negativen Rahmenbedin- gungen zu, was zu großen Teilen an der tollen Arbeit der Frauen und Männer in den Betrieben liegt. Daher erwarten wir auch in diesem Jahr ordentliche Reallohnzuwächse für unsere Mitglieder“, so der Gewerk- schafter. (Siehe Seite 8) Foto: Frank Bsirske von ver.di, der DGB-Vorsitzende Rainer Hoffmann, das DGB-Bundesvorstandsmitglied Stefan Körzell sowie der Vorsitzende der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) Alexander Kirchner (v. l.) sind sich einig: Jetzt unterschreiben für fairen Transport in Europa! Doch die Gewerkschaften stellen das nicht nur fest, sie haben auch konkrete Lösungsvorschläge für die einzelnen Ver- kehrssektoren erarbeitet. Arbeitsplatz- sicherheit bei Betreiberwechsel und Direkt- vergabe schützen, heißt es etwa im ÖPNV. Überarbeitung der Arbeitszeitvorschriften für das fliegende Personal, einheitliche Ausbildungs- und Qualifizierungsstandards werden für die zivile Luftfahrt vorgeschla- gen. Rückflaggung aller ausgeflaggten Die Gewerkschaftsvorsitzenden mit Frank Bsirske sind natürlich dabei. Doch jetzt heißt es für alle mitmachen! Unterstützt die Europäische Bürgerinitiative! Übrigens: Nicht nur, wer selbst im Verkehrsbereich ar- beitet, kann mitzeichnen, sondern alle, die das Wahlalter erreicht haben. Also: Endlich her mit fair! Wir wollen die Million schaffen! Es kann auch online gezeichnet werden unter: sign.fairtransporteurope.de Ziel von Fairer Transport in Europa ist es, untragbaren, zu Sozial- und Lohndumping führenden Geschäftspraktiken in diesem Sektor ein Ende zu bereiten. Wir fordern die Europäische Kommission auf, den fairen Wettbewerb der unterschiedlichen Verkehrsträger sicherzustellen und die Gleichbehandlung der Beschäftigten ungeachtet ihres Herkunftslandes zu gewährleisten. (Wortlaut Register für Europäische Bürgerinitiativen der EU) FOTO: JÜRGEN SEIDEL

Transcript of 01 2016 VERKEHRS REPORT - Fachbereich Verkehr – ver.di

Page 1: 01 2016 VERKEHRS REPORT - Fachbereich Verkehr – ver.di

Wir bewegen was

VERKEHRS REPORTL U F T V E R K E H R • S C H I F F FA H RT • S C H I E N E N V E R K E H R • Ö P N V • H Ä F E N

AKTUELLES Für Köln da: im Nahverkehr und auf dem Airport

Für sie geht es um bessere Ent­lohnung, die betrieblichen Renten oder Übernahmeregelungen: Die etwa 3.300 Beschäftigten der Köl­ner Verkehrs­Betriebe AG und die 1.800 Angestellten bei der Köln­Bonner Flughafengesellschaft sind Teil der großen Tarifrunde Öffent­licher Dienst 2016. Was sie von den Forderungen und ihrer Durchset­zung halten, erfuhren wir beispiel­haft. Und bei der Flughafenfeuer­wehr lernten wir Männer kennen, ohne die keine Maschine starten oder landen darf. Betriebsfeuer­wehrleute gehen mit eigenen Forde­rungen in die Tarifrunde. Seite 3

LUFTVERKEHRNeue Flugdienst- und Ruhezeitenregelungver.di war beteiligt an der Erar­beitung der neuen Richtlinie der Europäischen Agentur für Flug­sicherheit (EASA). Was es auf euro­päischer Ebene zu debattieren und durch zusetzen galt und wie das gelang, berichtet der ver.di­Mann fürs Knifflige: Markus Müller. Der Chef­Steward hat im Gewerk­schaftsauftrag viele Jahre mit ver­handelt, als es darum ging, Arbeits­, Bereitschafts­ und Ruhezeiten für fliegendes Personal im Interesse von Beschäftigten und der Flugsi­cherheit besser zu regeln. Seite 4

ÖPNVIm Nahverkehr droht DumpingwettbewerbÜber 100 Jahre lang haben die Be­schäftigten des Stadtverkehr Pforz­heim für qualitativ hochwertigen Nahverkehr gesorgt. Jetzt soll eine Tochter der Deutschen Bahn AG die Aufgaben im Nahverkehr über­nehmen. Möglich ist das, weil die schwarz­gelbe Regierungskoalition 2013 das Personenbeförderungs­gesetz geändert hat. Was das für die Beschäftigten bedeutet und was ver.di bundesweit tut, um die Arbeitsbedingungen im ÖPNV zu verbessern, steht in den Beiträ­gen auf. Seite 6

HÄFENAngespannte Situation in den North Range HäfenÜber die sogenannte North Range, die kontinentaleuropäischen Häfen an der Nordsee, werden etwa 80 Prozent des europäischen Im­ und Exports abgewickelt. Überall sind in den letzten Jahren Hafen­flächen erweitert worden und zusätzliche Containerterminals ent­standen, wo immer größer wer­dende Schiffe fast automatisch be­ und entladen werden. Das hat zum Verlust von Hunderten Hafen­Arbeitsplätzen geführt. Der Wett­bewerbsdruck ist enorm gestiegen. Dem müssen sich die Gewerk­schaften stellen. Seite 8

01 2016

Endlich her mit Fair: Die Europäische Bürgerinitiative „Fair Transport Europe“ will bessere Arbeitsbedingungen im Verkehrssektor sichern

DIE MILLION KNACKEN!

Gibt es etwas zu gewinnen? Unbe­dingt. Der Verkehrssektor spielt eine zentrale Rolle für Freizügigkeit, Inte­gration und einen gemeinsamen Bin­nenmarkt in Europa. Im Zuge der Öff­nung und Liberalisierung gewinnen Transportdienstleistungen noch wei­ter an Bedeutung. Der europäische Arbeitsmarkt wird dabei zu einer Drehscheibe. Doch: Bisher sind die Rahmenbedingungen weder einheit­lich noch gut. Viele Beschäftigte müssen mit Lohn­ und Sozialdumping kämpfen, arbeiten unter prekären Bedingungen. Das wollen die euro­päischen Transportarbeitergewerk­schaften nicht mehr hinnehmen, son­dern bessere Arbeitsbedingungen für alle Verkehrsbeschäftigten in der EU sichern. Sicherheit, Umweltstandards, Ausbildungsqualität sollen auf hohem Niveau angeglichen und die Bezah­lung der Beschäftigten im Straßen­personenverkehr, in der Luftfahrt, auf Binnenwasserstraßen und See, bei der Eisenbahn und in der Logistik ver bessert werden. Fairer Transport in Europa – „Fair Transport Europa“ heißt die Devise. Davon würden nicht nur Busfahrer und Straßen­bahner innen, Kabinenbeschäftigte, Binnenschiffer oder Hafenarbeiter profitieren – in Europa zählt der

Ver kehrssektor elf Millionen Direkt­beschäftigte – sondern alle, die Trans­portleistungen nutzen: Sie kämen sicherer ans Ziel.

Um das durchzusetzen, ist gemeinsame Anstrengung nötig. Eine europäische Auf­gabe braucht eine europäische Lösung. Die Europäische Kommission ist gefragt, sie muss Pläne und Maßnahmen entwi­ckeln sowie Regeln dazu beschließen. Das ist bisher nicht ausreichend gesche­hen, gemeinsame Sozialnormen im euro­päischen Verkehr etwa fehlen. Wie aber die EU­Kommissare zum Handeln bringen? Die Europäische Transportarbeiter Födera­tion (ETF) und ihre Mitgliedgewerkschaf­ten setzen auf ein Instrument der politi­schen Teilhabe: eine Europäische Bürger­initiative. Bringt sie genügend Unterstützer zusammen, ist die EU­Kommission ver­pflichtet, sich mit dem Anliegen zu befas­sen. Allerdings: Eine Million EU­Bürger in einem Viertel aller EU­Länder müssen zuvor mitzeichnen. Konkret heißt das: in der Bundesrepublik werden 250.000 Unterschriften für die Forderung „Fairer Transport in Europa – Gleichbehandlung aller Verkehrsbeschäftigten“ gebraucht. Bis Mitte September 2016 läuft die Frist.

Wir bewegen Europa – aber nicht für Dumpinglöhne, meinen ETF und nationale Transportarbeitergewerkschaften. Zu viele

Beschäftigte zahlen drauf für „billigen“ Transport in der EU. Sie arbeiten zu Dum­pinglöhnen oder mit Arbeitszeiten jenseits gesetzlicher Höchstgrenzen. Sie haben keine ausreichende Sicherung bei Krank­heit oder Arbeitslosigkeit bzw. keinen gere­gelten Urlaubsanspruch. Sie sind wochen­ oder monatelang von der Familie getrennt oder bei dubiosen Briefkastenfirmen ange­stellt. Erschöpfung bedeutet für sie und andere Verkehrsteilnehmer ein erhöhtes Sicherheitsrisiko.

Schiffstonnagen in EU­Staatsflaggen steht beim Seeverkehr ganz obenan. Koordi­nation zwischen den europäischen Häfen sichern, um unkontrollierte Expansion zu vermeiden, heißt es für den Hafensektor. Die Broschüre „Fair Transport Europe – die Zukunft des europäischen Verkehrssek­tors aus Beschäftigtenperspektive“ erklärt alles ausführlich und kann heruntergeladen werden unter: fairtransporteurope.de Auf der Seite gibt es auch Unterschriften­listen und weiteres Informationsmaterial.

H Ä F E N

Die ver.di­Bundestarifkommission Seehäfen hat im März einstimmig beschlossen, den mit dem Zentralverband Deutscher See­häfen vereinbarten Lohntarifvertrag zu kün­digen. Damit ist die Forderungsdiskussion in den tarifgebundenen Betrieben eröffnet.

Bei den Debatten wurde bereits deut­lich, dass ganz unterschiedliche Rahmen­bedingungen zu beachten sind. Die Hafen­wirtschaft ist wie kaum eine andere Bran­che abhängig von der konjunkturellen Lage der exportorientierten Wirtschaft in Deutschland. Der zunehmende wirtschaft­liche Abschwung in China, aber auch die

Lohnrunde 2016 in der Hafenwirtschaft angelaufenandauernde Krise in der Ukraine und die damit verbundenen Handelssanktionen ge­genüber Russland führen zu geringerer Ton­nage auf den Handelsschiffen und zu ab­nehmenden Umschlagszahlen.

Allein der Hamburger Hafen verzeichne­te vergangenes Jahr einen Rückgang im Güterumschlag von ca. 5,5 Prozent. Damit wächst auch der Druck auf die Unterneh­men und ihre Beschäftigten. Insbesondere der konventionelle Bereich (Massen­ und Stückgut, Stauereien, Laschbetriebe) lei­det. Viele Unternehmen, etwa die Tradi­tionsfirma Tiedemann, kämpfen um ihre

Existenz. Aber auch die großen Container­umschlagsunternehmen stehen zuneh­mend unter Druck. So verzeichnete die HHLA AG an ihren drei Standorten in Hamburg einen Rückgang des Container­umschlags von etwa 12 Prozent, der weit gehend durch den Zuwachs im Contai­nertransport kompensiert werden konnte. Die Bremer Logistic Group (BLG) vermel­dete ebenfalls Rückgänge, trotz hoher Um­schlagsmengen auf dem Autoterminal. Die Tarifrunde wird zudem durch wachsende Überkapazitäten auf den Terminalflächen der North Range­Häfen und durch neue

Reeder­Allianzen beeinflusst. „Die Anfor­derungen und der Leistungsdruck in den deutschen Seehäfen steigen nicht zuletzt wegen der Schiffsgrößenentwicklung und damit entstehenden Peak­Situationen ste­tig an“, bestätigt der ver.di­Verhandlungs­führer Torben Seebold. „Die Produktivität nimmt trotz aller negativen Rahmenbedin­gungen zu, was zu großen Teilen an der tollen Arbeit der Frauen und Männer in den Betrieben liegt. Daher erwarten wir auch in diesem Jahr ordentliche Reallohnzuwächse für unsere Mitglieder“, so der Gewerk­schafter. (Siehe Seite 8)

Foto: Frank Bsirske von ver.di, der DGB­Vorsitzende Rainer Hoffmann, das DGB­Bundesvorstandsmitglied Stefan Körzell sowie der Vorsitzende der Eisenbahn­ und Verkehrsgewerkschaft (EVG) Alexander Kirchner (v. l.) sind sich einig: Jetzt unterschreiben für fairen Transport in Europa!

Doch die Gewerkschaften stellen das nicht nur fest, sie haben auch konkrete Lösungsvorschläge für die einzelnen Ver­kehrssektoren erarbeitet. Arbeitsplatz­sicherheit bei Betreiberwechsel und Direkt­vergabe schützen, heißt es etwa im ÖPNV. Überarbeitung der Arbeitszeitvorschriften für das fliegende Personal, einheitliche Ausbildungs­ und Qualifizierungsstandards werden für die zivile Luftfahrt vorgeschla­gen. Rückflaggung aller ausgeflaggten

Die Gewerkschaftsvorsitzenden mit Frank Bsirske sind natürlich dabei. Doch jetzt heißt es für alle mitmachen! Unterstützt die Europäische Bürgerinitiative! Übrigens: Nicht nur, wer selbst im Verkehrsbereich ar­beitet, kann mitzeichnen, sondern alle, die das Wahlalter erreicht haben.

Also: Endlich her mit fair! Wir wollen die Million schaffen!

Es kann auch online gezeichnet werden unter: sign.fairtransporteurope.de

Ziel von Fairer Transport in Europa ist es, untragbaren, zu Sozial- und Lohndumping führenden Geschäftspraktiken in diesem Sektor

ein Ende zu bereiten. Wir fordern die Europäische Kommission auf, den fairen Wettbewerb der unterschiedlichen Verkehrsträger sicherzustellen

und die Gleichbehandlung der Beschäftigten ungeachtet ihres Herkunftslandes zu gewährleisten.

(Wortlaut Register für Europäische Bürgerinitiativen der EU)

FOTO: JÜRGEN SEIDEL

Page 2: 01 2016 VERKEHRS REPORT - Fachbereich Verkehr – ver.di

2 FACHBEREICH VERKEHR 01 | 2016M E I N U N G

E D I T O R I A L

I N T E R V I E W

Verkehrsreport Nr. 1, März 2016

Herausgeber: Vereinte Dienstleistungs­ gewerkschaft (ver.di)

Bundesvorstand: V.i.S.d.P.: Frank Bsirske, Christine Behle

Koordination: Carola Schwirn

Redaktionelle Bearbeitung: Helma Nehrlich (transit berlin.pro media) www.pressebuero­transit.de

Redaktionsanschrift: ver.di­Bundesverwaltung Fachbereich Verkehr Paula­Thiede­Ufer 10, 10179 Berlin

Layout, Satzerstellung: VH­7 Medienküche GmbH Kreuznacher Straße 62, 70372 Stuttgart www.vh7­m.de

Druck: apm AG Darmstadt, Kleyerstraße 3, 65295 Darmstadt www.alpha­print­medien.de

Titelbild Seite 1: Rolf Schulten

Der ver.di­Fachbereich Verkehr ist auch im Internet zu finden: www.verdi.de/verkehr

I M P R E S S U M

Die Tarifrunde für den öffentlichen Dienst ist gerade gestartet. Über Hin­tergründe und Aussichten sprachen wir mit ver.di­Bundesvorstandsmit­glied Christine Behle.

In welche gesellschaftliche Situation ordnet sich die Tarifrunde 2016 gene­rell ein?Christine Behle | Zwei wesentliche Fakto­ren dürften die Verhandlungen beeinflus­sen. Zum einen die volkswirtschaftliche Entwicklung: Die wirtschaftliche Lage ist wahrlich nicht schlecht. Wir verzeichneten ein beträchtlich gestiegenes Bruttoinlands­produkt 2015 und wachsende Steuer­einnahmen. Auch für das laufende Jahr wird ein ordentliches Wirtschaftswachstum erwartet. Das heißt: diese Rahmenbedin­gungen sind positiv. Andererseits gilt, dass sich die öffentlichen Haushalte mit der Schuldenbremse selbst auferlegt haben zu sparen – obwohl es heute Geld so billig gibt wie kaum je zuvor. Aus ver.di­Sicht ist das ein fataler Fehler. Niemand will Mittel verschleudern. Aber viele Investitionen – wenn man sie jetzt vornähme – würden sich fast selber tragen. Es wäre die Zeit dafür!

Alles überlagert wird natürlich von der Flüchtlingsproblematik. Sie stellt an Bund, Länder und Kommunen große, auch finan­zielle Herausforderungen. Nimmt man das alles zusammen, sind das keine einfachen Voraussetzungen für diese Tarifrunde.

Die Erwartungen bei den Beschäftig­ten sind aber beträchtlich…Christine Behle | Unbedingt. Zwar ist die Inflationsrate niedrig. Doch der öffentliche Dienst hat tariflich aus den vergangenen Jahren immer noch einen starken Nachhol­bedarf. Wir verzeichnen ja große Leistungs­zuwächse in den öffentlichen Verwaltun­gen und den kommunalen Betrieben. Aus dem seit Jahrzehnten verfügten Personal­abbau resultiert noch immer Arbeitsver­dichtung. Natürlich haben sich die Proble­me jetzt mit den Flüchtlingszuwächsen noch verstärkt. Es sind immense zusätz­liche Aufgaben auf die Beschäftigten zuge­

kommen. Aus unserer Sicht ist vollkommen gerechtfertigt, dass sie für die stetig wach­senden Leistungen einen entsprechenden Gegenwert fordern, eben auch über einen anständigen Lohn.

Was die Arbeitgeber antworten, kann man da schon vorhersehen: Gerade mit den aktuellen Belastungen durch die Flüchtlingsströme werden sie versuchen, Forderungen abzuschmet­tern…Christine Behle | Die Gewerkschaften rechnen deshalb auch damit, dass es eine schwierige Debatte geben wird. Versuche, etwas gegeneinander aufzurechnen, ge­hen total fehl: Den berechtigten Beschäf­tigten­Erwartungen stehen Gegebenheiten wie die Schuldenbremse und die Flücht­lingssituation gegenüber. Doch auch den öffentlichen Arbeitgebern dürfte klar sein, dass sie ohne motivierte und entsprechend bezahlte Beschäftigte diese Situation erst recht nicht bewältigen können.

Es gibt in dieser Tarifrunde aber auch Themen, die mit der aktuellen Situa­tion nichts zu tun haben und längst geklärt sein könnten…Christine Behle | Stimmt. Elf Jahre, nach­dem der TVÖD in Kraft getreten ist, haben wir zum Beispiel immer noch keine Entgelt­ordnung für den Bereich der Kommunen.

Das ist ein absoluter Skandal, für den die Arbeitgeberverbände mit unglaublichem Beharrungsvermögen gesorgt haben. Spe­ziell im Angestelltenbereich gelten deshalb noch die Bestimmungen der alten BAT und BMT­G. In vielen Punkten der Eingruppie­rung entspricht das überhaupt nicht mehr den neuen Gegebenheiten und Berufsbild­Entwicklungen. Jetzt sind wir zum Glück auf der Zielgeraden. Für viele Beschäftigte geht es nämlich auch da um starke Lohn­zuwächse. Das trifft allerdings nicht den Nahverkehr, da wurde mit den TV­N bereits vor Jahren eine eigene Entgeltordnung eingeführt.

ver.di fordert sechs Prozent Lohn­zuwachs. Das ist ein Spitzenwert, mehr als die IG Metall. Wird in dieser Runde das Ende der Bescheidenheit eingeläutet?Christine Behle | Ja, wir trauen uns da durchaus etwas. Aber wir halten es auch für gerechtfertigt. Wir wissen eben, dass Arbeitsbelastung und Leistungen stark gewachsen sind. Gut, einige negative Entwicklungen aus vergangenen Jahren konnten zuletzt zum Teil wieder umgedreht werden. Aber unter dem Strich bleibt: Die staatlichen Einnahmen sind hervor­ragend. Wir sind einfach nicht bereit, uns einer politisch gesetzten, nicht notwendi­gen Barriere wie der Schuldenbremse zu unterwerfen. Wir wollen ordentlich mehr Geld für die Beschäftigten! Die öffentliche Dienstleistung sollte allen im Staat etwas wert sein!

Und im Vergleich zur IG Metall, der ja gerne angestrengt wird, können wir für die letzten zehn Jahre ruhigen Gewissens sa­gen: Für die zweifellos guten Dienstleistun­gen des öffentlichen Bereichs besteht ech­ter Nachholbedarf in Sachen Entlohnung.

Dennoch: Viele Kommunen sind gerade jetzt, auch wegen der Flüchtlingspro­blematik, an einer echten Belastungs­grenze. Ist es sinnvoll, ausgerechnet jetzt so viel zu fordern?Christine Behle | Ich kann mir vorstellen, dass es dazu eine lebhafte Debatte gibt,

auch Unverständnis. Aber bevor jemand annimmt, dass ver.di den Hals nicht voll kriegt, sollte man sich überlegen: Die Kommunen geben ja nicht nur Geld aus, sie stecken Arbeit rein. Und wer macht die Arbeit? Die Beschäftigten. Sie werden über alle Grenzen hinaus belastet. Sollten ausgerechnet diese Beschäftigten in der jetzigen Situation verzichten?

Im Übrigen: Dass wir so viele Flüchtlinge aufnehmen, ist ein humanitär begründete, aber auch eine ganz bewusste politische Entscheidung der Bundesregierung. Sie muss im Gegenzug dafür sorgen, dass die Kommunen entsprechende Mitteln bekom­men, um das auch bewältigen zu können. Es muss wirklich Schluss sein mit der Politik, möglichst viele Aufgaben auf die Kommunen abzuwälzen, diese aber nicht ausreichend finanziell auszustatten. Dass diese Defizite letztlich wieder die Beschäf­tigten bezahlen und erneut hinten runter fallen sollen, dazu sind wir nicht bereit.

Im Verkehrsbereich betrifft die Tarif­runde ganz spezielle Beschäftigten­gruppen und nicht unbedingt in allen Bundesländern?Christine Behle | Richtig. Dennoch sind mindestens 50.000 Verkehrsbeschäftigte einbezogen. Zunächst betrifft das die in den kommunalen Verkehrsunternehmen in Niedersachsen, Nordrhein­Westfalen, Sachsen, Rheinland­Pfalz, Hessen und Baden­Württemberg. Sie sind in der Ent­geltentwicklung an die Tarife des TVÖD angekoppelt. Hinzu kommen bundesweit die Beschäftigten auf den Flughäfen, die in der Regel den TVÖD direkt anwenden oder – sofern sie ausgegliedert sind – die entsprechende Tariferhöhung überneh­men.

Obwohl die Tarifrunde 2016 eine reine Lohnrunde ist, wird sie dennoch mit dem Thema betriebliche Altersvor­sorge verknüpft. Wieso eigentlich?Christine Behle | Die Arbeitgeberseite hat Gegenforderungen zur betrieblichen Altersvorsorge auf den Tisch gebracht, auch wenn wir als Gewerkschafter dafür im kommunalen Bereich überhaupt keine Notwendigkeit sehen. Die betriebliche Altersvorsorge ist zumeist über Zusatzver­sorgungskassen, mitunter auch eigene Pensionskassen organisiert. Diese Kassen haben fast durchweg eine vernünftige Ausstattung, besitzen Reserven, manche haben gar große Vermögen. Eine Veran­lassung, in diese einzugreifen, gibt es auch in Niedrigzinszeiten nicht. Wir weisen diese Forderung der Arbeitgeber deshalb ent­schieden zurück.

Die betriebliche Altersvorsorge be­kommt in Zeiten, wo die gesetzliche Rente weiter absinkt, einen extrem hohen Stel­lenwert. Es wäre sträflich, Abstriche daran zuzulassen. Das würde nur noch mehr Menschen in Altersarmut treiben.

Aber ver.di schaut nicht nur an die Spitze, sondern auch mehr an die Basis der Alterspyramide. Die Auszu­bildenden sollen tariflich keinesfalls zu kurz kommen?Christine Behle | Die Azubis sollen von einer überproportionalen Erhöhung profi­tieren, deshalb haben wir uns entschlos­sen, für sie einen ordentlichen Festbetrag zu fordern. Ganz wichtig ist darüber hin­aus, dass die gerade ausgelaufene Rege­lung erneuert wird, die den erfolgreich Ausgelernten eine verbindliche Übernah­me zusicherte. Wir wollen dafür jetzt eine vernünftige Anschlussregelung.

Hellsehen geht nicht, aber ein Blick voraus auf den Verhandlungsverlauf?Christine Behle | Die Verhandlungen haben im März mit dem üblichen Schlag­abtausch begonnen. Im April geht es nun richtig zur Sache. Die Arbeitgeber stellen sich quer, das wissen wir heute schon. Sie halten unsere Sechs­Prozent­Forderung für überzogen und werden auf Einschnitte bei der betrieblichen Altersvorsorge beste­hen. Das zeigt klar: Es wird nicht ohne Gegenwehr gehen! Wir sind unbedingt auf die Beteiligung der Beschäftigten ange­wiesen, wenn ein anständiges Ergebnis erzielt und der Angriff auf die Altervorsorge pariert werden soll. DIE FRAGEN STELLTE HELMA NEHRLICH

Kriegt ver.di den Hals nicht voll?

aktuell erleben wir, dass tariflich vereinbar­te gute Arbeitsbedingungen, guter Lohn und der Schutz der Beschäftigten im öffent­lichen Personennahverkehr Wettbewerbs­interessen zum Opfer fallen. Und das zum Nachteil der Allgemeinheit. Nach dem Stadtverkehr in Pforzheim müssen nun auch die Beschäftigten des Stadtverkehrs aus Hildesheim um den Fortbestand ihres Unternehmens bangen. In beiden Städten ist es die Deutsche Bahn, die mit Tochter­unternehmen die kommunalen Verkehrs­betriebe in ihrer Existenz bedroht. Wie kann das sein?

Nach europäischem Recht können Kom­munen den Nahverkehr ausschreiben oder aber direkt an ein eigenes Unternehmen vergeben (Direktvergabe). Dabei knüpfen viele Kommunen an die Verkehrsvergabe verbindliche Vorgaben für die Qualität der Verkehrsversorgung und für soziale Bedin­gungen. Auch gelten in vielen Bundes­ländern Tariftreuegesetze für den Verkehrs­sektor. ver.di ist es seinerzeit zusammen mit

der Europäischen Transportarbeiterfödera­tion (ETF) gelungen, europaweit die Mög­lichkeit der Vorgabe von Tarifverträgen und sozialen Standards und die Direktvergabe bei der Vergabe von Nahverkehren zu ver­ankern. Ebenso konnten wir in vielen Bun­desländern entsprechende Tariftreuegesetze durchsetzen.

Doch die CDU/CSU/FDP­Regierung hatte 2013 für Deutschland im neuen Personen­beförderungsgesetz einen Sonderweg er­dacht, um mehr Wettbewerb zu erreichen. Dieser Weg beinhaltet den Vorrang eigen­wirtschaftlicher Anträge (Verkehre), der die Vorgabe von Qualitäts­ und Sozialstan­dards, beziehungsweise die Direktvergabe an eigene Unternehmen und damit Tarif­treuegesetze, sofort verdrängt. Das bedeu­tet: Bei uns dürfen die Kommunen nicht frei entscheiden, wie der ÖPNV gestaltet sein

soll. Sie sind gezwungen, Billigangebote anzunehmen, die sich an keinerlei sozialen Standards oder Tariftreuegesetzen orientie­ren müssen. Sie verlieren damit zugleich jede Mitsprache bei der Durchführung des Verkehrs, was zulasten der Nutzer gehen dürfte. Und die Beschäftigten verlieren im schlimmsten Fall ihren Arbeitsplatz. Oder ihre Arbeitsbedingungen und Löhne – also ihre erkämpften tarifvertraglichen Rechte – werden dem Wettbewerb geopfert.

Ein Stück aus dem Tollhaus: ein großes öffentliches Unternehmen, die Deutsche Bahn AG, drückt über Billigangebote (eigenwirtschaftliche Verkehre) öffentliche Nahverkehrsunternehmen aus dem Markt. Das ist nichts anderes als Wettbewerbs­kannibalismus; das geht zulasten der Nut­zer, der Beschäftigten, der Kommunen und der Tarifbindung. Das muss sich ändern.

FRANK BSIRSKE, ver.di-VORSITZENDER | FOTO: KAY HERSCHELMANN

FRANK BSIRSKE

Ein Stück aus dem Tollhaus: die Deutsche Bahn drückt über Billig angebote öffentliche Nahverkehrs unternehmen aus dem Markt.

Die gewerkschaftliche Lohnforderung trägt den gestiegenen Leistungen der Beschäftigten Rechnung

CHRISTINE BEHLE | FOTO: DIE HOFFOTOGRAFEN

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen!

Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Kommunalverkehr sind über 130.000 Men­schen beschäftigt und in den kommenden Jahren wird über die Hälfte der Verkehrs­verträge neu vergeben. Deshalb fordern wir noch in dieser Legislaturperiode des Deutschen Bundestags von den politischen Parteien im Bund wie in den Bundeslän­dern, den Vorrang eigenwirtschaftlicher

Verkehre wieder abzuschaffen. Dafür werden wir uns gemeinsam mit aller Kraft einsetzen!

Euer

Page 3: 01 2016 VERKEHRS REPORT - Fachbereich Verkehr – ver.di

3

Kristin Nolden (24), stellv. JAV­Vorsitzende Kölner Verkehrs­betriebe

„Ich lerne bei den Kölner Verkehrs­Betrieben im 2. Lehrjahr Industriekauffrau. Ich möchte meine Ausbildung im Sommer vorfristig abschließen und mir im Unternehmen eine berufliche Perspektive aufbauen. Zur Zeit bekomme ich mit meiner kleinen Familie 905 Euro Ausbildungsvergütung. Doch auch andere Azubis haben schon ein Kind, wohnen allein oder brauchen – wie ich – für einen weiten Anfahrtsweg ein Auto. Wir als Jugend­ und Auszubildendenvertreter unterstüt­zen die Forderung nach einem Festbetrag für Azubis in dieser Tarifrunde. Eine prozentuale Erhö­

hung würde bei unseren Bruttoeinkünften kaum etwas bringen. Außerdem: Es geht ja darum, den öffentlichen Dienst für junge Leute attraktiv zu machen. Woher soll der Nachwuchs kommen, wenn in der Chemiebranche, bei Banken oder Ver­sicherungen von Anfang an viel mehr verdient wird? Deshalb ist für uns in der Tarifrunde auch eine Übernahmeregelung sehr wichtig. In unserem Betrieb sieht es für Ausgelernte zwar nicht schlecht aus, im technischen Bereich wird jetzt schon zu fast 100 Prozent übernommen, und das unbe­fristet. Der Personalbedarf wird durch die demo­grafische Entwicklung weiter wachsen. Aber tarif­vertragliche Übernahmeregelungen sind natürlich noch besser. Sie bringen planbare Zukunftspers­pektive. Sie gestatten uns Jungen, Berufserfah­rung, die überall erwartet wird, auch zu sammeln. Und sie würde für alle gelten. Da denken wir sehr solidarisch auch an andere Unternehmen, wo es für Azubis nach der Ausbildung nicht so gut aussieht.“

Thomas Ober­winter (38), ver.di­ Vertrauens­mann und Betriebsrats­mitglied, KVB AG

„Vereinfacht gesagt, arbeite ich als Signalelektroni­ker. Ich bin für die rechnergesteuerten Fahrsignal­anlagen und Stellwerke bei der KVB AG zuständig, seit 2011 als Dienststellenleiter. Da kann man zwar viel am Computer regeln, Störungen muss man oft aber vor Ort beheben. Ich bin seit 1996 im Unter­nehmen, habe hier bereits meine Ausbildung absol­viert, und meine Arbeit hat mir immer viel Spaß gemacht – zumal ich mittlerweile natürlich einen ziemlich guten Überblick habe. Auch der technische Wandel in der Signaltechnik ist spannend. Inzwi­schen haben wir mit 11 fast viermal so viele elek­

tronische Stellwerke wie noch im Jahr 2000 und 13 oberirdisch liegende Fahrsignalanlagen.

Die Forderung in der Tarifrunde ist für mich ange­messen, auch wenn die Arbeitgeber sie natürlich überzogen finden. Doch wir leisten ordentlich was. Mir liegt auch dran, dass die Schere zwischen Ge­ring­ und Besserverdienenden nicht weiter aufgeht. Da sind Festbeträge für Azubis und Praktikanten ein Anfang. Und was die Renten­Zusatzversorgung an­geht, da gibt’s überhaupt nichts dran zu rühren. Wir sind alle froh, dass es sie gibt. Auch bei mir hat sich über die Jahre schon etliches in der betrieblichen Altersvorsorge angesammelt, sie ist Teil der Lebens­planung, war bisher eine ‚sichere Bank’ und soll das auch bleiben! Ich bin bereit, für unsere Tarifziele auch zu kämpfen. Sollte sich in den Verhandlungen nichts bewegen, sind wir notfalls auf Streik vorberei­tet. Wir hoffen, dass die Medien mitziehen und un­seren Fahrgästen die Notwendigkeit auch klarge­macht wird. Denn öffentlichen Nahverkehr legt man nicht gern lahm, sondern nur, wenn es sein muss.“

Gespräche sind das Eine – wir können aber auch Zeichen setzenIm Betriebsratsbüro des Flughafens hat sich eine Runde von ver-di- Vertrauensleuten, Betriebsratsmit-gliedern und ver.di-Sekretären zu-sammengefunden. Es sei eine eher schwierige Tarifrunde im öffentlichen Dienst, die jetzt angelaufen sei. Aber eine, die es in sich habe, ist man sich einig. Sven Schwarzbach ist zuver-sichtlich, dass die Feuerwehrleute den „Einstieg schaffen“ in eine tarifliche Regelung, die ihren körperlichen Be-lastungen und dem demografischen Bedingungen Rechnung trägt. Er setzt auch auf die „Durchsetzungskraft“ der Berufsgruppe, die notfalls einen Flughafen komplett lahmlegen könn-te. Doch so weit muss es nicht kom-men. „Wir sind gesprächsbereit“, meint Marco Steinborn. Der ver.di-Vertrauensleutesprecher der KVB AG und Betriebsrat weiß: „Manche sind der Auffassung, dass die Forderungen hoch sind.“ Doch die Beschäftigten im öffentlichen Dienst seien nicht die-jenigen, an denen sich „die verfehlte Haushaltspolitik der vergangen Jahre gesundschrumpfen“ ließe. „Wir sind arbeitskampffähig“, sind er und Ken-an Millihuzin, der für die KVB zustän-dige Gewerkschaftssekretär, einig: „Wenn die Arbeitgeber ein Zeichen brauchen, werden sie es bekommen!“

Nüretdin Aydin, Aufsichtsrats- und freigestelltes Betriebsratsmitglied bei der Flughafen GmbH, liegen seine Kollegen bei den Gepäckdiensten be-sonders am Herzen: Auch wenn es Hilfsmittel wie Vaculex-Vorrichtungen im Gepäckkeller gibt: Der Arbeitsdruck ist weiter gestiegen. Innerhalb von 30 Minuten muss eine Maschine be- oder

entladen sein. „Unsere Leute wollen mehr Geld sehen, ganz klar. Für sie ist die jetzige 6-Prozent-Forderung noch moderat. Aber mit einem ordentlichen monatlichen Festbetrag könnten sie auch leben“, so Aydin. Dass die Bodenverkehrsdienstleister – bis auf etwa 150 Leiharbeiter – in Köln-Bonn noch direkt bei der Flughafengesell-schaft angestellt sind und Ausglie-derungen bisher verhindert werden konnten, sieht er als gemeinsamen Erfolg. ver.di, die Aktiven vor Ort, Be-triebsräte und die gewerkschaftlichen Vertreter im Aufsichtsrat ziehen da auch künftig am selben Strang.

Einig sind alle, dass in der Tarif-runde ein Angriff auf das Leistungs-recht der betrieblichen Altersver-sorgung – „ein ganz hohes Gut“ – gemeinsam abgewehrt werden muss. „Jeglicher Eingriff in die Zusatzver-sorgungskassen muss unterbunden werden“, betont Frauke Bendokat, ver.di-Betreuungssekretärin für den Flughafen. „Schon an der gesetz-lichen Rente wird permanent gedreht. Umso weniger dürfen wir uns das zweite Standbein beschädigen las-sen.“ Es gäbe keinerlei Grund zu Ein-schnitten, „zumal die Zusatzver-sorgungskasse Köln auch finanziell sehr gut aufgestellt ist.“

FACHBEREICH VERKEHR 01 | 2016

… so lautet das Motto des Stadt­werke­Konzerns in der Rheinmetro­pole. „Da für Köln“ sind vor allem Tausende Beschäftigte im kommuna­len Energieunternehmen, in Häfen und Güterverkehrsgesellschaft, bei der Abfallwirtschaft, in den Bäderbe­

Da sein für KölnA K T U E L L E S

Ein Besuch mit Blick auf die im März gestartete Tarifrunde im öffentlichen Dienst

trieben und der Wohnungsgesell­schaft. Ganz wichtig auch: Die Kölner Verkehrs­Betriebe AG mit rund 3.300 Mitarbeitern, die jährlich 275 Millio­nen Fahrgäste bewegen. Mit Linie 161 auch zum Köln Bonn Airport. Da der Flughafen als „gemischtöffent­

liches Unternehmen“ zu über 30 Pro­zent mehrheitlich der Stadt Köln ge­hört, sind auch die 1.800 direkt bei der Flughafengesellschaft Beschäf­tigten Teil der aktuellen Tarifrunde im öffentlichen Dienst. Wir sprachen mit Beteiligten und Betroffenen.

Die Feuerwehrleute in den beiden Airport­Feuerwachen üben den Traumberuf vieler Jungen aus. Und sie sind mit höchstem Engagement bei der Sache. „Safety first“ heißt es. Ohne funktionierende Feuerwehr darf hier kein Flugzeug starten oder lan­den. Mit dieser Verantwortung, aber auch gesundem Selbstbewusstsein gehen die Männer zu Werke. Innerhalb von drei Minuten müssen sie im Ernstfall an jedem Ort des 1.000 Hektar großen Flughafens sein. Unter allen Bedingungen, auch nachts. „Ein Feuerwehrmann schläft nie, er ruht“, erklären sie mit Blick auf ihren täglich wechselnden 24­Stunden­Dienst. Eine Schicht umfasst je acht Stunden Ar­beit, Bereitschaftsdienst und Ruhezeit. Die 100 Männer der Flughafenfeuerwehr trai­nieren ständig, halten sich selbst mit einer Stunde Dienstsport täglich körperlich fit und warten ihre moderne Technik per­manent. „Wie ein riesiger Werkzeugkas­ten“ sieht so ein Löschfahrzeug innen aus. Oberfeuerwehrmann Marc Helfer erklärt: Jedes Teil wird funktionstüchtig gehalten und hat seinen festen Platz. Das wird mit Checklisten je nach Fahrzeugtyp über­prüft. Denn es gibt „wasserführende Fahr­zeuge“, darunter hilfeleistende Löschfahr­zeuge, am häufigsten im Einsatz sind die Rettungswagen, danach die Fahrzeu­ge, die Ölspuren beseitigen. „Florian 21“ etwa ist eigentlich eine riesige leiterfahr­bare Treppe, die auch an den größten Airbus angelegt werden kann. Der Stolz der Feuerwehrleute aber sind die riesigen „Panther“. Sie sind die „Speerspitze“ für die Flugzeugbrandbekämpfung, haben zwei 700 PS­Motoren, einen 12.500­Liter Wassertank und zwei Schaummitteltanks. Zu den ausfahrbaren Rettungsgeräten auf dem Dach zählt ein Cobra­Schneidsystem,

Ein Feuerwehrmann schläft nie...

das eine Flugzeughülle in kürzester Zeit durchtrennen kann.

Doch nicht nur der Einsatz der Technik, auch die Funktionsverteilung der Lösch­trupps beim Einsatz liegt fest. Der, der fährt, ist etwa zugleich Maschinist, der die Pumpe bedient und die Einsatzstelle sichert. Jedem ist klar, was er zu tun hat. Doch 25 bis 30 Kilogramm wiegt allein die Ausrüstung am Mann: Stiefel, Anzug, Helm und Atemschutzgerät. Wenn noch Gerätschaften zu tragen sind, werden schnell 60 Kilogramm erreicht. Und es gilt: „Die Twinpack­Atemschutzgeräte geben mir etwa eine halbe Stunde Sauerstoff. Ich muss meine Einsatzzeit genau einteilen, denn für den Rückweg vom Brandherd muss ich doppelt so viel Zeit einplanen wie für den Hinweg.“ Nicht nur solche Regeln müssen die Männer verinnerlicht haben, sie müssen auch mit verschiedensten Mate­rialien und Werkzeugen umgehen, über

Messgeräte in einer kleinen mobilen Ein­satzzentrale vor Ort chemische Stoffe be­stimmen können, müssen als Rettungssani­täter und im vorbeugenden Brandschutz einsetzbar sein. Und sich ständig weiter­bilden. Der 19­jährige Justin Kapellen und drei weitere Feuerwehrmann­Anwärter, die gerade im 2. Lehrjahr ihre IHK­Ausbildung absolvieren, haben das Problem noch nicht, aber für manch Älteren wird es existenziell: Jeder muss regelmäßig eine Prüfung auf Atemschutztauglichkeit ablegen, ab 50 jährlich. Besteht ein Feuerwehrmann die nicht mehr, ist er nicht mehr alarmdienst­tauglich. Was dann? In Köln/Bonn bemüht man sich, individuell andere Einsatzmög­lichkeiten zu finden, weiß Unterbrandmeis­ter Achim Kann. Dann ver lieren die Leute allerdings ihre Zulagen, 1.000 Euro Einbu­ßen im Monat sind keine Seltenheit. Und: Eine generelle Lösung ist das nicht. Feuer­wehrmann, Betriebsrats­ und Aufsichtsrats­

mitglied Sven Schwarzbach erklärt: „Bei einer Werksfeuerwehr wie der unseren liegt das Rentenalter bei 67 Jahren. Ab 60 – da geht man als Beamter bei der öffent­lichen Feuerwehr in Ruhestand – ist man eigentlich nicht mehr atemschutztauglich. Es muss also eine Lösung für ältere Kollegin­nen und Kollegen her – am besten eine tarif­liche.“ Deshalb haben die ver.di­Mitglieder bei Flughafenfeuerwehren für die TVÖD­

Tarifrunde 2016 auch spe zielle Forderungen aufgemacht. Sie möchten tarifvertraglich vereinbaren: Prävention – bezahlten Dienst­sport während der Arbeitszeit; Regelungen und Bestandsschutz bei zeitlich oder dauer­haft eingeschränkter Atemschutzuntaug­lichkeit. „Safety first“ gilt schließlich auch für die Feuerwehrleute selbst.

TEXTE: HELMA NEHRLICH FOTOS: JÜRGEN SEIDEL

EINIG IN SACHEN TARIFRUNDE: FRAUKE BENDOKAT, KENAN MILLIHUZIN, MARCO STEINBORN, SVEN C. SCHWARZBACH UND NÜRETDIN AYDIN (V.L.)

Page 4: 01 2016 VERKEHRS REPORT - Fachbereich Verkehr – ver.di

4 L U F T V E R K E H R FACHBEREICH VERKEHR 01 | 2016

FOTO: KAY HERSCHELMANN

Unser Mann fürs Knifflige: Verbindlich, ruhig und freund­lich ist Markus Müller, wie sich das für einen erfahrenen Chef­Steward gehört.

Seit 27 Jahren übt er seinen Beruf in der Kabine aus, ab 1999 als Purser bei der Condor Flug­dienst GmbH. Doch wer hört, was Müller sonst noch alles tut, wun­dert sich wohl, dass der Mann nicht permanent in Hektik gerät: Als Kabinenbeschäftigter arbeitet er seit Langem in der Condor­Perso­nalvertretung, dem Wirtschafts­ausschuss und in der ver.di­Tarif­kommission für die Airline mit. Auch im Europäischen Betriebsrat der Thomas Cook Group ist er Mitglied. Er kennt sich bestens mit Mitbestimmung und den nationa­len rechtlichen Grundlagen dazu aus, mit dem Betriebsverfassungs­gesetz und diversen Ausnahmen für den Luftverkehr – die „gehören endlich ab geschafft!“ – meint er. Weil Müller darüber hinaus Er­fahrungen mit den europäischen Regelungen besitzt, hat ver.di ihn in die European Cabin Crew Com­munity entsandt. Das ist die euro­päische Gewerkschaftsvertretung für das Kabinenpersonal unter dem Dach der Europäischen Trans­portarbeiter­Föderation (ETF). So weiß Markus Müller genau, dass Flugzeugbesatzungen von natio­nalen Arbeitszeitregelungen – wie dem deutschen Arbeitszeitgesetz – ausgenommen sind und statt­dessen europäischen Richtlinien unterliegen. Und er hat erfahren, dass Verhand lungen, die deshalb auf europäischer Ebene stattfinden müssen, mitunter viel härter aus­getragen werden als nationale Tarifverhandlungen. Man brauche deshalb „tierisches Interesse“ an solchen Dingen und sollte viel Stehvermögen mitbringen. Dafür sei es auch spannend, sich auf europäischem Parkett zu bewegen und vor allem dringend nötig, Verbesserungen für Besatzungen europaweit durchzusetzen.

Dass Müller sich viel Hinter­grundwissen aneignet und selbst in turbulenten Situationen den Überblick bewahrt, nützt ihm auch als ehrenamtlicher Richter. Erst kürzlich ist er in dieser Funktion vom Berliner Arbeitsgericht ins Landesarbeitsgericht Berlin/Bran­denburg „aufgestiegen“. NEH

Neu in der Crew:Hülya Grünefeld ist bei ver.di ab sofort für Tariffragen der Kabinen­beschäftigten im Luftverkehr zu­ständig.

Auf ihrem Schreibtisch liegen Tarif-material und EU-Verordnungen. Hülya Grünefeld liest sich ein. Zum 1. März hat sie in der ver.di-Bundesverwaltung auf einem für sie ganz neuen Arbeits-gebiet angefangen: Sie wird sich als ver.di-Sekretärin ab sofort um die Tariffragen für die Kabinenbeschäftig-ten im Luftverkehr kümmern und fin-det das „total spannend“. Mit einem

Bereich, wo es konkurrierende gewerk-schaft liche Vertretungen gibt, hatte sie zuvor schon zu tun, als sie bei ver.di in Stuttgart für den Bereich Finanzdienst-leistungen tätig war.

Eigentlich stammt die 32-Jährige aus Heilbronn. Sie hat zunächst eine Ausbil-dung zur Krankenschwester absolviert und drei Jahre auf einer Onkologie-Station im Schichtdienst gearbeitet. Sie war dort in der Jugend- und Auszu-bildendenvertretung und im Betriebs-rat aktiv. Dann begann sie, in Hamburg Sozialökonomie zu studieren und schloss das Studium 2012 mit einem

Bachelor of Arts ab. „Nebenbei“ war sie ehrenamtlich bei ver.di sehr aktiv, etwa als stellv. Bundesvorsitzende der ver.di Jugend. Und eine Weltreise un-ternahm Hülya außerdem…

Doch schon seit geraumer Zeit zog es sie privat mehr und mehr in die Hauptstadt. Mit der neuen Stelle ist die „Pendelbeziehung“ zwischen Stuttgart und Berlin jetzt Richtung Norden entschieden. Aber wer weiß, zumindest der Flughafen in Stuttgart gehört im weitesten Sinne noch immer zu ihrem Arbeitsfeld. Und Hülya liest sich nicht nur ein, sondern lernt jetzt auch ver.di-Kabinenbeschäftigten in den verschiedenen Airlines bei ihrer Arbeit kennen. NEH

Am 17. Februar 2016 ist die neue Flug­dienst­ und Ruhezeitenregelung der Europäischen Agentur für Flugsicher­heit (EASA) europaweit in Kraft getre­ten. Das ist ein großer Erfolg. Auch wenn die Airlines die endgültige Um­setzung der Richtlinie über die ohne­hin zweijährige Übergangsfrist hinaus noch bis April dieses Jahres verzögert haben: Nun kommt sie unwiderruflich. Und sie bringt wesentliche Verbesse­rungen.

Viele Jahre hat es allerdings zuvor ge­dauert, bis man zu einer gemeinsamen, verständlichen Regelung gekommen ist. Erarbeitet wurde sie von Vertretern euro­päischer Fluggesellschaften, einer Experten­gruppe, EASA­Bevollmächtigten und nicht zuletzt Vertretern der europäischen Gewerk­schaften, darunter den in der Europäischen Transportarbeiter­Föderation (ETF) verbun­denen. In der ETF gibt es einen Arbeitskreis der europäischen Flugbegleiter und Cock­pitbesatzungen, in den ich für ver.di ent­sandt bin.

Die bisherige EU­Operations­Regelung läuft aus. Wir haben uns besonders mit dem dortigen Abschnitt „Q“ auseinanderge­setzt, der die Flugdienst­ und Ruhezeiten regelt. Viele Teilnehmer wollten Verbesse­rungen, wir konnten auch auf Erfahrungen aus Ländern wie Frankreich verweisen, wo es vergleichsweise schon sehr gute Bestim­mungen gibt. Aber es war nicht einfach, die unterschiedlichen Interessen unter einen

Hut zu bringen. Vor allem die Vertreter der Fluggesellschaften sahen sich in ihrer Flexibilität eingeschränkt und prophezeiten wirtschaftliche Katastrophen. Wir Gewerk­schaftsvertreter betonten immer wieder den Aspekt von Gesundheitsschutz und Flug sicherheit und versuchten, die Mitglie­der des Europäischen Parlaments vom Nut­zen neuer, verantwortungsvoller Regeln zu überzeugen. Mit Parlamentsmitgliedern aus sieben Ländern haben wir debattiert. Ich selbst sprach auch mit dem damaligen Vorsitzenden des Verkehrsausschusses.

Ruhezeiten zwischen Bereit­schaftsdiensten geregelt

Flugsicherheit stand für uns ganz obenan. Kaum jemandem ist zum Beispiel klar, dass Crewmitglieder nach bisherigen deutschen Regelungen mehrere Tage hintereinander je 24 Stunden Bereitschaftsdienst haben und dann in letzter Minute noch zur maximalen Flugdienstzeit aktiviert werden konnten. Ein Unding! Erarbeitet wurde nun eine neue europäische „Bereitschaftsdienstregelung“, die erstmals „entspannende“ Faktoren ent­hält: Eine maximale Dienstlänge und Ruhe­zeiten zwischen den Bereitschaftsdiensten. Außerdem muss jetzt die Zeit berücksichtigt werden, die ein Besatzungsmitglied schon wach ist. Das kann die noch zu leistende maximale Flugdienstzeit merklich verkürzen.

Auch die hinzugezogenen Experten be­mühten sich sehr, die Arbeitgebervertreter

von den Gefahren zu überzeugen, die vor allem von der Ermüdung ausgehen. Es gibt dazu mittlerweile sehr aussagefähige Stu­dienergebnisse, zum Beispiel den sogenann­ten „Moebius Report“. Mit Fakten daraus gelang es in den Verhandlungen auch, die maximale Flugdienstzeit in der Nacht weiter zu reduzieren. Um geringe zulässige Ab­weichungen etwa für Nachtdienste nutzen zu können, müssen die Fluggesellschaften künftig einen Nachweis bringen. Generell wird ein „Fatigue Risk Management Sys­tem“ eingeführt, um Gefahren durch Ermü­dung von Flugpersonal entgegenzuwirken. Jedes Besatzungsmitglied ist verpflichtet, einen „Ermüdungsreport“ zu erstellen, wenn es sich durch den Flugdienst beson­ders belastet fühlt. Und niemandem darf daraus ein Nachteil entstehen!

Der sogenannte Kommandantenent­scheid, mit dem bisher leicht zwei Stunden Zusatzdienst bis auf maximal 15 Stunden angeordnet werden konnten, ist ebenfalls neu geregelt.

Neu: Ein Blick auf die innere Uhr der Besatzungsmitglieder

Hinzu kommt: Die Ruhezeiten werden zum Teil völlig neu berechnet. Ging man bislang ausschließlich von der vorausgegangenen Flugdienstzeit aus, so wird jetzt zusätzlich die „innere Uhr“ des Besatzungsmitgliedes beachtet. Bei einer Zeitzonenüberschreitung größer als zwei Stunden errechnet sich die

Wir tun etwas gegen ErmüdungDie neue europäische Flugdienst­ und Ruhezeiten­Regelung ist in Kraft getreten

Ruhezeit auch danach, in welchem Zustand sich der Körper des Kabinenpersonals be­findet. Dabei wird grundsätzlich von der ört­lichen Abflugzeit ausgegangen. Für die Be­rechnung der Maximalarbeitszeit ist mit 110 Stunden innerhalb von 14 Tagen außerdem eine neue Grenze eingezogen worden.

Völlig neu ist die Regulierung von Ruhe­möglichkeiten an Bord. Nun ist erstmals bestimmt, wie die Ruhemöglichkeiten an Bord beschaffen sein müssen und wie viele Ruhezeiten zu gewähren sind. Da einige Airlines ein Veto einlegten, muss die voll­ständige Umsetzung dieser Bestimmungen in Deutschland und einigen anderen EU­Ländern allerdings erst bis Februar 2017 erfolgen.

Wir als ver.di­Vertreter arbeiten weiter mit den europäischen Arbeitsgruppen der ETF zusammen, um die nun gültige EASA­Regelung künftig noch sicherer zu gestal­ten. Da werden Erfahrungen nützlich sein, wie die neue Regelung sich praktisch be­währt und was sich bei der Umsetzung zeigt. Außerdem gibt es auch Forderungen, die wir für wichtig halten, aber bisher nicht durchsetzen konnten: Etwa eine Regelung zu Nachtdiensten in Folge, Ruhe­ Pausen­möglichkeiten auf der Kurz­ und Mittelstre­cke, sowie eine Verringerung der soge­nannten „Awake­time“. Jedenfalls werden wir Gewerkschafts vertreter bestimmt nicht „müde“, uns weiter für unsere Mitglieder beim fliegenden Personal und überhaupt für einen sicheren Luftverkehr einzusetzen. MARKUS MÜLLER

FOTO: EU

FOTO: PRIVAT

Page 5: 01 2016 VERKEHRS REPORT - Fachbereich Verkehr – ver.di

5FACHBEREICH VERKEHR 01 | 2016 L U F T V E R K E H R

+++ Tarifmeldungen Luftverkehr +++Piloten am DHL­Hub Leipzig jetzt mit Tarifvertrag

Nach langwierigen Verhandlungen ist es zu Jahresbeginn gelungen, erstmals einen Mantel­ und Entgelttarifvertrag für die Besatzungsmitglieder der European Air Transport Leipzig GmbH (DHL) durch­zusetzen. Die ver.di­Mitglieder haben sich mit deutlicher Mehrheit für die Annahme des Gesamtpakets ausgesprochen, das die Arbeits­ und Einkommensbedingun­gen aller auf der Basis Leipzig beschäftig­ten Pilotinnen und Piloten ab 1. Januar 2016 sichert.

Beim Entgelt konnte u. a. durchgesetzt werden, dass die Grundvergütungen in drei Stufen bis zum 1. April 2018 um je zwei Prozent steigen, dass der bisher

variable Bonus fix auf die Entgelte um­gelegt wird und dass jährlich Senioritäts­steigerungen fortgeführt werden. Die Manteltarifregelungen bringen eine Er­höhung des Urlaubsanspruchs, Verbesse­rungen bei der Arbeitszeitplanung, freie Block­Wochenenden, längere Ruhezeiten bei Wechsel des Tag­ und Nachteinsatzes und weitere Verbesserungen.

Die ver.di­Tarifkommission EAT Piloten und Verhandlungsführer Holger Rößler schätzen ein, dass Kern forderungen im Interesse der Besatzungen durchgesetzt und mit dem Tarifwerk eine solide Basis für die Zukunft ge schaffen werden konn­ten. Eine Regelung zur arbeitgeberfinan­zierten Altersversorgung und zum Alters­übergang steht aus und bleibt weiter auf der Tages ordnung.

Bei Condor werden Vergütungen für Kabine, Boden und Technik verhandelt

Bei der Condor Flugdienst GmbH, der viertgrößten deutschen Fluggesellschaft, müssen die Vergütungen für die Kabinen­beschäftigten sowie die Beschäftigten von Boden (CFG Boden) und Technik (CIB Technik) neu verhandelt werden. Die ver.di­Tarifkommis sionen hatten zu­vor die fristgerechte Kündigung der Tarif­verträge zum 31. Dezember 2015 bzw. 31. März 2016 beschlossen.

Für das Kabinenpersonal laufen seit Monaten auch Verhandlungen über Änderungen der Manteltarifverträge, die sich aus den Neuregelungen der Flug­dienst­ und Ruhezeitenregelung der Eu­ropäischen Agentur für Flugsicherheit (EASA OPS) ergeben. Dazu sind mehrere

Arbeitszeit­Block­Modelle in der Diskus­sion. ver.di strebt an, dass die Beschäftig­ten gleiche Bedingungen und Plan­stabilität, aber auch individuelle Wahl­möglichkeiten erhalten.

Berliner Flughafenbeschäftigte fordern 5,5 Prozent

Mit einer Forderung von 5,5 Prozent ist ver.di in die Vergütungs­Tarifrunde 2016 für die Beschäftigten der Berliner Flughäfen gestartet, die seit Ende Feb­ruar läuft. Neben der Entgeltsteigerung mit linearer Tabellenerhöhung geht es der gewerkschaftlichen Tarifkommission auch um Urlaubsgeld und Vorarbeiter­zulage. Für die befristet Beschäftigten soll eine tariflich gesichertere Perspek­tive und Freizeitausgleich bei Mehrarbeit durchgesetzt werden.

Bislang keine Annäherung bei Tarifen für Cockpit und Kabine von easyJet

Die seit November 2015 laufenden Vergütungstarifverhandlungen für die Cockpit­ und Kabinenbeschäftigten von easyJet Berlin/Hamburg gestalten sich äußerst schwierig. Die ver.di­Tarifkom­mission hat nach Mitgliederbefragungen Vorschläge für Entgeltsteigerungen und eine differenzierte Entgeltstruktur vorge­legt. Das Gegenangebot der Arbeitge­berseite sei allerdings weit von diesen Forderungen entfernt und trage den ge­stiegenen Lebenshaltungskosten keine Rechnung. Auch bei den parallel laufen­den Manteltarifverhandlungen, wo es unter anderem um Arbeitszeit regelungen und eine betriebliche Alters versorgung geht, gibt es bislang kaum Annäherung.

800 Gepäckstücke bewegt jemand wie Chris im Schnitt pro Schicht. Da können locker eineinhalb Tonnen Ge­wicht zusammenkommen. Guinness­buch? Vergiss es, das ist bei Ladern im Bodenverkehrsdienst auf dem Frankfurter Flughafen ganz normal. Freilich spüren sie die Lasten abends im Rücken. Manchen drückt schon morgens Nervosität auf den Magen und fast allen sitzt tagsüber der Zeit­druck im Nacken. Das Schlimmste aber: Wenn einer wie Chris zum Feierabend zusammenrechnet, was er heute verdient hat, kommt meist nicht mal ein Hunderter zusammen. Für eine solche nur durch Warten unterbrochene Schufterei! Acciona, der zweite große Bodendienstleister auf dem Frankfurter Flughafen, zahlt Ladern nach zwei Jahren 11,65 Euro pro Stunde. Da landet mit Zuschlägen

2.000 Antworten auf Fragebögen waren auszuwerten: ver.di hatte im Sommer 2015 Beschäftigte von Ram­

Kein Schuften ohne Aussicht

Tempo vor Gesundheit und Sicherheit?

ver.di führt den Kampf um eine menschenwürdige Altersrente

ver.di befragte Beschäftigte der Bodenverkehrsdienste – Tarifvertrag „Gesund und sicher im BVD“ geplant

trotz 40­Stunden­Woche am Monats­ende mal gerade soviel auf dem Konto, dass Chris damit auskommt, ohne sich zwingend noch einen Zweit­job suchen zu müssen. Es ist immer noch mehr als bei seiner Freundin Jule, die jetzt in die gleiche Firma ge­wechselt ist und vor ein paar Wochen am Check­In für 9,82 Euro angefan­gen hat. Große Sprünge können beide nicht machen. Schon gar nicht sparen oder zusätzlich was für die Altersvor­sorge abknapsen. Wenn es soweit ist, wird Chris kriegen, was ihm die Ren­tenversicherung ausrechnet. Keinen Cent mehr. Ob er diesen Job bis 67 durchhalten kann, ist ohnehin frag­lich. Wenn nicht, drohen Abschläge. Zu seinem regulären Rentenbeginn 2038 hätte er zwar 45 Beitragsjahre, bekäme aber kaum mehr als 800 Euro Rente. Jule, mit ihren Beitragslücken,

pe, Vorfeld und Passage sowie Check­In von zehn bundesdeutschen Flug­häfen befragt – egal, ob sie in

wird die 45 Jahre nicht voll bekom­men. Wenn sich an ihrem Verdienst nichts ändert, landet sie als Rentne­rin bestenfalls auf Hartz­IV­Niveau.

Zugegeben. Unsere Beispiele sind fiktiv. Doch die Fakten sind real. Im bundesdeut­schen Schnitt beliefen sich die Altersbe­züge 2014 auf knapp 800 Euro. „Neurent­ner“, die 2014 in Rente gingen, erreichten durchschnittlich nur 750 Euro. Sofern diese Senioren in 22 Jahren, wenn „Chris“ in Rente geht, noch leben, hätten ihre Renten bei einer durchschnittlichen Teuerungsrate von 2 Prozent noch eine Kaufkraft von un­ter 500 Euro. Gut, so einfach ist das alles nicht. Inflationsraten oder Rentensteige­rungen lassen sich so wenig prognostizie­ren wie eventuelle Tariferhöhungen bei Jule und Chris. Fest steht aber zum Bei­spiel, dass sich die Zahl der „Armutsrent­ner“, also derer, die neben ihrer Rente

noch Leistungen der Grundsicherung be­ziehen müssen, in den vergangen zehn Jahren fast ver doppelt hat. Wurden 2005 bundesweit 343.000 solche Senioren gezählt, waren es 2015 schon 512.000. Sozialverbände gehen davon aus, dass die Zahl der Armutsrentner eigentlich noch hö­her ist, weil viele gar keine Anträge stellen oder ihre schmale Rente durch weitere Er­werbstätigkeit aufbessern. Über eine Milli­on Rentner tun das, oft aus reiner Not. Und Studien des DGB rechnen vor, dass die Zahl der Neurentner, die auf Grundsiche­rung angewiesen sind, in den nächsten 15 Jahren auf 30 Prozent steigen könnte…

Alles keine guten Aussichten für Jule und Chris. Sie haben sich auf den legendär gewordenen Norbert­Blüm­Satz „Die Rente ist sicher“ verlassen. Lange Zeit galt das deutsche Rentensystem auch inter national als vorbildlich. Doch mittler­weile wird es immer mehr ausgehöhlt.

Statt etwa Rentenansprüche von früheren DDR­Bürgern als gesamtstaatliche Auf­gabe zu sehen und sie aus Steuermitteln zu finanzieren, wurden sie dem Rentensys­tem übergeholfen und das damit überfor­dert. Eine Rentenreform jagte seither die Nächste. Das Ergebnis: Das Rentenniveau, was gegenwärtig etwa bei 48 Prozent des Durchschnittseinkommens liegt, wird bis 2030 auf 43 Prozent sinken. Auch die Änderungen, die die Große Koalition auf Initiative von Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles 2014 beschlossen hat, ret­ten wenig. Die Altersgrenze für die viel­beschworene „Rente mit 63“ gilt etwa nur für vor 1953 Geborene. Damit hat sie sich schon fast erledigt. Von der „Mütterrente“ profitieren gerade beson­ders bedürftige Frauen nicht, weil diese Rentenpunkte voll auf die Grundsicherung angerechnet werden.

ver.di hat den Kampf für eine menschen­würdige Altersrente deshalb nun ganz oben auf die Tagsordnung gesetzt. „Die Entwicklung des Rentenniveaus ist eine der zentralen sozialpolitischen Aufgaben der nächsten Jahre“, sagt ver.di­Vorsitzen­der Frank Bsirke. Nachdem der Mindest­lohn durchgesetzt sei, gehe es jetzt um Alterssicherung. Zwei Wege gibt es: Zum einen steuert ver.di tarifpolitisch dagegen und versucht überlall, wo das durchsetzbar ist, höhere Entgelte zu vereinbaren, die auch höhere Rentenbeiträge bedeuten. Gerade in den Bodenverkehrsdiensten ist das ziemlich schwer, aber erste bundeswei­te Schritte zu einer Tarifkommission sind getan (siehe untenstehender Beitrag). Tarif­lich können außerdem Vereinbarungen zur Altersvorsorge in Betrieben und Konzernen ausgehandelt werden. Das klappt freilich nur dort, wo ver.di stark ist und Kollegin­nen und Kollegen das durchfechten. Doch ver.di wird auch den Gesetzgeber nicht aus der Verantwortung lassen: Mit Druck auf Politik und Wirtschaft soll dafür gesorgt werden, dass alle Beschäftigten – also auch die im Verkehrssektor Tätigen – nach einem langen Arbeitsleben eine auskömmliche Rente bekommen. So hat es auch der ver.di­ Kongress beschlossen. Und das ist Ziel der ver.di­Kampagne gegen Altersarmut. NEH

FOTOS (2): JÜRGEN SEIDEL

Voll­ oder Teilzeit, als Stammbeschäf­tigter, befristet oder als Leiharbeiter tätig sind. Inzwischen liegen die Er­gebnisse vor. Sie können nicht über­raschen, dennoch blieben die Prob­lem lange Zeit eher „unsichtbar“. Nun liegen sie offen und können nur alarmieren:

So gaben 83 Prozent aller Befragten an, dass ihr „unsicheres Monatsgehalt“ für sie ein großes Problem bedeutet. Drei Viertel kritisieren immer mehr Befristun­gen. 84 Prozent beklagen fehlende Einar­beitung und Qualifizierung als Problem, 34 Prozent schätzen das sogar als „uner­

träglich“ ein; 72 Prozent der Befragten weisen darauf hin, dass deshalb Sicher­heits­ und Qualitätsvorgaben oft nicht ein­gehalten werden könnten. Für 71 Prozent ist auch die Fluktuation und die ständige wechselnde Belegschaft ein Kritikpunkt. Zwei Drittel aller Antwortenden weisen auf „Hetze und Zeitdruck“ hin, die sie bei ihrer Arbeit belasten. Über Rückenschmer­zen klagen etwa 69 Prozent aller Befrag­ten, viele auch über Gelenk­ oder Kopf­schmerzen. Dass Familie und Beruf mit ihrer Tätigkeit schlecht vereinbar sind, mahnen mehr als die Hälfte, 59 Prozent, an. Und schließlich gehen 64 Prozent aller 2.000 Befragten davon aus, dass sie ihre

jetzige Tätigkeit unter den derzeitigen Bedingungen nicht bis zur Rente werden ausüben können. Der betriebliche Gesund­heitsschutz tue viel zu wenig.

Die Ergebnisse sind ein klarer Arbeits­auftrag für die ver.di­Aktiven bei den Bodenverkehrsdiensten an den deutschen Verkehrsflughäfen: Wir brauchen existenz­sichernde Tarifverträge, gesundheitserhal­tende Arbeitsbedingungen und klare Qua­lifikations­ und Einarbeitungsstandards für alle. Im ersten Schritt ruft ver.di daher noch diesen Sommer alle BVD­Unternehmen auf, einen Tarifvertrag zum Thema „Gesundheit und Sicherheit“ abzuschließen. Alle Infos unter www.verdi­airport.de K.W/H.N

Page 6: 01 2016 VERKEHRS REPORT - Fachbereich Verkehr – ver.di

6 Ö P N V FACHBEREICH VERKEHR 01 | 2016

105 Jahre lang haben die Beschäftig­ten des Stadtverkehr Pforzheim (SVP) für qualitativ hochwertigen Nahver­kehr gesorgt. Jetzt soll eine Tochter der Deutschen Bahn AG, die Regional­busverkehr Südwest GmbH (RVS), die Aufgaben im Nahverkehr überneh­men.

Möglich ist das, weil die schwarz­gelbe Regierungskoalition 2013 das Personen­beförderungsgesetz geändert hat. Will eine Kommune den Nahverkehr neu verge­ben, haben eigenwirtschaftliche Angebote Vorrang. Wer – wie die Bahntochter RVS – sagt, er brauche für die geforderten Leistungen keine öffentlichen Zuschüsse, der bekommt den Zuschlag. Auch, wenn er deutlich schlechter bezahlt oder auf Subunternehmer zurückgreift. Auch, wenn – wie in Pforzheim – knapp 250 tariflich abgesicherte Beschäftigte dadurch ihre bisherigen Arbeitsplätze verlieren sollten.

ver.di in Baden­Württemberg hat Ende 2015 eine Einigung mit der Rhein­Neckar­Verkehrs GmbH (RNV) erreicht, um den Auswirkungen des demografischen Wan­dels für die 2.000 Beschäftigten im Unter­nehmen effektiv zu begegnen. Anfang Februar 2016 wurde dazu ein Demografie­tarifvertrag unterzeichnet. Das vereinbarte Modell für ein altersgerechtes Arbeiten ist bundesweit in der Branche bisher einmalig und beispielgebend. Es macht in einem Bereich mit „nicht gerade üppigen“ Gehäl­tern für die Beschäftigte einen gleitenden Übergang in die Rente möglich.

Die Verhandlungen zum betrieblichen Demografie­Tarifvertrag für die RNV­Be­schäftigten in Mannheim, Ludwigshafen und Heidelberg waren schwierig und zogen sich über zwei Jahre hin. Schließlich konn­ten sie nur dank einer Schlichtung mit Un­terstützung des früheren Oberbürgermeis­ters Gerhard Widder und der ehemaligen Bundesjustizministerin Herta Däubler­Gme­lin abgeschlossen werden. ver.di­Verhand­lungsführerin Sabine Schlorke begrüßte das Ergebnis: „Die Kürzungen in der gesetz­lichen Rente zwingen Beschäftigte auch in dieser Branche bis zum letzten Tag vor dem Renteneintritt voll zu arbeiten, ob es ihre Gesundheit zulässt oder nicht. Bei der RNV gibt es künftig eine gute Alternative.“

Bei einem Betreiberwechsel gibt es in Rheinland­Pfalz jetzt eine verbind­lich vorgeschriebene Überleitung des Personals zu bisherigen Bedingun­gen. So schreibt es das geänderte Landestariftreuegesetz (LTTG) vor. Nach der Evaluierung des geltenden Tariftreuegesetzes hatten sich ver.di und der DGB in den vergangenen Monaten für einen besseren Beschäf­tigtenschutz im ÖPNV stark gemacht. Mit Erfolg: SPD und Grüne im Land­tag machten sich die Überleitungs­forderung zu eigen und schrieben sie ins Änderungsgesetz zum LTTG. Auch eine neutrale Prüfbehörde zur Einhal­

Im öffentlichen Personennahverkehr sind angesichts steigender Fahrgastzahlen in den Kommunen dringend Ausbau­ und Modernisierungsmaßnahmen notwendig. Dazu werden Finanzierungshilfen aus Bund und Ländern benötigt. Gleichzeitig müssen die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten verbessert und das Angebot für die Kunden attraktiver gestaltet werden. Das ergab eine Meinungsbefragung bei Vorständen so­wie Betriebs­ und Personalräten der ÖPNV­

Im Nahverkehr droht Dumpingwettbewerb

Gleitender Übergang in die Rente möglich

Dringender Handlungsbedarf im ÖPNV

Landestariftreue-Gesetz in Rheinland-Pfalz erweitert

250 Stadtverkehrsbeschäftigte in Pforzheim verlieren ihre tariflich abgesicherten Stellen

ver.di erreicht Demografietarifvertrag mit Rhein­ Neckar­Verkehr GmbH – freie Tage ab 55

Eigenwirtschaftlicher AntragNach dem Personenbeförderungs­gesetz haben bei Vergaben im Nah­verkehr eigenwirtschaftliche Anträge Vorrang. Dabei zählen weder soziale Standards noch Tariftreuegesetze. Die Begründung: Da bei eigenwirtschaft­

lichen Anträgen keine öffentlichen Zuschüsse – außer Landesmittel für den Transport von Schüler/­innen und Schwerbehinderten – gezahlt werden, gelten sie auch nicht als öffentlicher Auftrag.

ver.di fordert die politisch Verantwort­lichen auf, dieses Gesetz dringend zu kor­rigieren und den unseligen Dumpingwett­bewerb zu stoppen. Denn Unternehmen mit guten Tarifverträgen, Betriebsräten, Betriebsvereinbarungen und langjährigen Beschäftigten haben keine Chance, seien sie nun kommunal oder privat geführt. Die Beschäftigten verlieren alles – und das womöglich alle zehn Jahre erneut. „Diese Regelung entspricht nicht europäischem Recht“, so Mira Ball, Bundesfachgruppen­leiterin Straßenpersonenverkehr. „ver.di hat bereits im Gesetzgebungsverfahren vor den Folgen gewarnt.“

Und wenn nicht schnell etwas getan wird, bleibt Pforzheim kein Einzelfall. Auch in Hildesheim hat die DB AG angekündigt, für den Stadtverkehr einen eigenwirt­schaftlichen Antrag zu stellen. Auch ande­re Anbieter könnten diesen Weg gehen, einzige Voraussetzung sind geringere Per­sonalkosten. MIRA BALL

Tarife im Omnibusgewerbe in Bayern sind allgemeinverbindlichKeine Busfahrerin und kein Bus­fahrer in Bayern dürfen mehr un­ter 11,49 Euro – bzw. ab 1. April unter 11,65 Euro – beschäftigt werden.

Denn nach fast zehn Jahren haben die Busfahrer im privaten Omnibus-gewerbe in Bayern rückwirkend zum 1. Januar 2016 wieder einen allgemein-

verbindlichen Lohntarifvertrag. Den hat der Tarif ausschuss beim bayerischen Arbeitsministerium auf Grundlage des vom Landesverband Bayerischer Omni-busunternehmen (LBO) mit ver.di im Februar 2015 abgeschlossenen Lohn-tarifvertrages Nr. 27 mit allen Zuschlags-regelungen bestätigt. Damit erhalten vollzeitbeschäftigte Fahrer im Schnitt einen Monatsgrundlohn von mehr als

2.000 Euro brutto. „Mit Lohndumping bekommt man nur schlechtere Qualität, denn gute Fahrer arbeiten nicht für Niedriglöhne. Diesen Negativkreislauf haben wir nun mit der Allgemeinver-bindlichkeitserklärung durchbrochen“, sagte ver.di-Landesfachbereichsleiter Manfred Weidenfelder. Qualifiziertes und gutes Personal bekomme man nur durch faire Bezahlung. RED.

Dritter Streiktag im Pforzheimer Nah v er­kehr für einen Sozialtarifvertrag: ver.di hatte die Beschäftigten am 16. März erneut zum Warnstreik aufgerufen. Die über 240 Beschäftigten kämpfen für eine vernünftige Absicherung und eine Zukunft nach dem 31. Dezember 2016, wo der Betrieb endgültig eingestellt werden soll. Da auch eine Verhandlung am 22. März „keinen Millimeter“ voran­brachte, muss mit weiteren Ausständen

gerechnet werden. ver.di wird zeitnah zu einer Urabstimmung rufen. Sollten über 75 Prozent der ver.di­Mitglieder zustim­men, sind unbefristete Streiks möglich.

ver.di hatte zuvor angekündigt, die Streiks unverzüglich einzustellen, wenn zumindest zu den Hauptpunkten ein ernsthaftes Verhandlungsangebot vor­gelegt wird. Dies ist bisher nicht gesche­hen. Statt auf den gewerkschaftlichen Vorschlag einzugehen, die Bevölkerung

über Streikmaßnahmen vorher zu infor­mieren, wenn im Gegenzug keine Ersatz­verkehre eingesetzt werden, hat das Unterenehmen den Konflikt weiter ver­schärft und eine einstweilige Verfügung gegen die Warnstreiks beantragt. Rüdiger Steinke, ver.di­Verhandlungsführer: „Die Wut und Enttäuschung der Beschäftigten wächst mit jedem Tag, den Stadt und Un­ternehmen verstreichen lassen, ohne zu einer akzeptablen Lösung zu kommen.“

Kern der Vereinbarung ist die Möglich­keit, dass Beschäftigte ab dem 55. Lebens­jahr bei einem Gehaltsverzicht von drei Prozent bis zu 51 zusätzliche freie Tage pro Jahr zu erhalten. Die Freistellungen starten mit 6,5 Tagen für 55­Jährige und steigen bis zum 66. Lebensjahr auf letztlich 51 Tage an. Das Zeitgutschriftenmodell gilt ab Oktober 2016.

Ab 2018 zahlt der Arbeitgeber außer­dem für alle Beschäftigten 0,4 Prozent seiner Personalkosten in ein Zeitwertkonto ein. Alle Arbeitnehmer/­innen, die am De­mografie­Modell teilnehmen, können sich über dieses Zeitwertkonto individuell zu­sätzliche freie Zeiten finanzieren, indem sie Mehrarbeit oder Überstunden bzw. Entgelt­bestandteile wie Leistungsprämien einbrin­gen und „ansparen“. Insgesamt werden so 30 bis 40 weitere freie Tage ermöglicht. Zusätzlich können arbeitnehmerfinanzierte Beiträge freiwillig einbezahlt werden, die die Freistellungsansprüche noch erhöhen. Rudolf Hausmann, ver.di­Fachbereichsleiter Verkehr in Baden­Württemberg, schätzt ein: „Für die hochbelasteten Beschäftigten im Verkehrsbereich ist dieses Modell sehr attraktiv. Jetzt haben sie die Chance, im Alter kürzer zu treten, ohne dramatische finanzielle Einbußen oder Rentenkürzungen in Kauf nehmen zu müssen.“ NEH

tung der Landestariftreue sieht das Gesetz nun vor.

Speziell die verpflichtende Personal­überleitung, so Andreas Jung, ver.di­Lan­desfachbereichsleiter Verkehr, sei ein „wichtiges Instrument“ im Interesse der Beschäftigten. Ermöglicht werde es auf Basis der EU­Verordnung 1370/2007. Bis­lang beruhte ihre Umsetzung in Rheinland­Pfalz allerdings auf Freiwilligkeit der Behörden. Nun ist sie per Landesgesetz festgeschrieben, das Ende Februar noch vor der Landtagsneuwahl im März mit den Stimmen der alten rheinland­pfälzischen Regierungskoalition beschlossen wurde.

Unternehmen, die ver.di und die Hans­Böckler­Stiftung 2015 in Auftrag gegeben haben: „Es ist klar geworden, dass das Thema Finanzierung des ÖPNV und seiner Infrastruktur Teil der bundesdeutschen Verkehrspolitik sein muss“, betont ver.di­ Bundesvorstandsmitglied Christine Behle.

Die Umfrage bei den ÖPNV­Unterneh­mensvorständen ergab ein zwiespältiges Stimmungsbild. Einerseits erwarten mehr als Dreiviertel ein Wachstum des ÖPNV und

Allerdings hatte ver.di weitere Forderun­gen, das geltende Landestariftreuegesetz zu ergänzen, die nicht berücksichtigt wor­den sind. Sie betrafen vor allem die Nach­wuchsförderung durch eine Ausbildungs­verpflichtung. „Wer derzeit ÖPNV­Leistun­gen erbringt und gleichzeitig ausbildet, hat mittelfristig einen finanziellen Wettbe­werbsnachteil“, macht ver.di geltend. Auch eine Preisgleitklausel bei Tariferhöhungen sowie die Entgeltgleichheit für Männer und Frauen hätten aus gewerkschaftlicher Sicht das Landestariftreuegesetz weiter aufge­wertet. Nun bleiben das Themen, die unter der neuen Landesregierung weiter beackert werden müssen. NEH

planen zu 84 Prozent Verbesserungen im Angebot. Andererseits befürchten nahezu 70 Prozent sinkende Investitionsmittel. Auch die 207 befragten Mitglieder von Be­triebs­ und Personalräten sind skeptisch. 72 Prozent rechnen mit einer Verschlechte­rung der finanziellen Ausstattung. NEH

Die komplette Studie der Böckler­Stiftung zum Download unter: www.boeckler.de/pdf/p_study_hbs_302.pdf

FOTO: JÜRGEN SEIDEL

FOTO: ver.di

Page 7: 01 2016 VERKEHRS REPORT - Fachbereich Verkehr – ver.di

7FACHBEREICH VERKEHR 01 | 2016 J U G E N D

Mehr Geld, mehr Freizeit, bes­

sere Perspektiven nach der Aus­

bildung… Das wünschen sich

auch die Azubis der Bochum­

Gelsenkirchener Straßenbah­

nen AG (BOGESTRA). Und genau

hierfür wollen sie sich in der

aktuellen Tarifrunde für den

öffent lichen Dienst einsetzen.

Doch was halten wir der Arbeit-

geberseite entgegen, wenn sie un-

sere Forderungen als utopisch und

unbezahlbar zurückweist? Diese

Fragestellung nahm die JAV der

BOGESTRA in einer Jugend- und

Auszubildenden-Versammlung auf,

um darüber mit ihren Azubis zu

diskutieren.

Klar ist, den Azubis wird nix

geschenkt. Klar ist aber auch, dass

wir in der Tarifrunde nicht nur

zuschauen werden. Wir setzen uns

für unsere Forderungen ein, auch

wenn’s mal unbequem wird. Denn

unsere Forderungen sind nicht

gierig! LISA GNEIßE

Die Azubis der Leipziger Aus­ und Weiterbildungsbetriebe GmbH (LAB), einer 100­prozen­tigen Tochter der Leipziger Ver­kehrsbetriebe LVB, gingen mit einer dreisten Forderung in die letzten Tarifverhandlungen: Die Angleichung der Ausbildungs­vergütung an den TVAöD! Denn aktuell liegt ihre Azubivergütung gut 300 Euro unter der, die ihre Mit­Azubis bei kommuna­len Verkehrsbetrieben er­halten.

Vor der letzten Verhand-lungsrunde ging es deshalb mit einer kleinen Aktion ins Bil-dungszentrum, in die Kunden-

zentren und natürlich die Zentrale, wo die Verhandlungen stattfanden.

Zwar konnte das Ziel nicht ganz erreicht werden, aber mit ihrer Aktion haben sie dazu beigetra-gen, dass die Lücke ein gutes Stück kleiner geworden ist.

Besser unbequem – Tarifkampagne 2016

Utopisch? Überzogen? Leipziger Azubis forderten Angleichung an den Tarifvertrag

Bochum bereitet sich auf die Tarifrunde vor

Nach der erfolgreichen JAV­Konferenz im letzten Jahr wird es auch in die­sem Jahr wieder eine Kon­ferenz für Jugend­ und Auszubildendenvertreter im Fachbereich Verkehr geben.

Auch der Termin steht schon fest: Stattfinden wird sie vom 14. bis 16. Dezember 2016 in Göt­tingen. Also… tragt Euch diesen Termin schon jetzt in die Kalender ein!

Vorankündigung 5. bundesweite JAV-Konferenz im Dezember

FOTOS (4): ver.di

Page 8: 01 2016 VERKEHRS REPORT - Fachbereich Verkehr – ver.di

8

Ein weiterer Schritt in Richtung Tarifvertrag Automatisierung/Digi­talisierung beim Terminalbetreiber Eurogate ist gemacht: Nach drei Tagen intensiver Beratung unter Begleitung von Experten zum The­ma Digitalisierung hat die ver.di­Tarifkommission Eurogate bei ihrer Klausurtagung im März in Berlin die aktuelle Situation und die vom Arbeitgeber eingebrachten Vorschläge bewertet.

Dabei wurde eines schnell deutlich: Modelle, die Beschäftigte mit einem neuen Arbeitsvertrag in eine Personal-Holding drücken und somit zur Ver-schiebemasse in der Eurogate-Gruppe (Hamburg, Bremerhaven, Wilhelms-haven) lassen würden, wurden klar ab gelehnt. Die intensive Debatte in der Tarifkommission hat vielmehr er-geben, dass ein anderer Weg einge-schlagen werden soll.

„Hinter diesem Projekt steht die Gesamtorganisation ver.di“, unter-strich Christine Behle, im ver.di-Bun-desvorstand zuständig für den Bun-desfachbereich Verkehr, während der

Tagung. ver.di will tarifliche Regelun-gen, die das Thema Automatisierung und Digitalisierung als Ganzes behan-deln. Damit soll verhindert werden, dass Beschäftigte an verschiedenen Standorten gegeneinander ausge-spielt werden. „Außerdem ist dieses Thema viel breiter, als es die Vorschlä-

ge der Arbeitgeber bislang erscheinen lassen“, erklärte ver.di-Verhandlungs-führer Torben Seebold und kündigte an: „Wir werden das in einem Vor-schlag auch sehr deutlich machen.“ Über die Zwischenschritte soll parallel zu den Verhandlungsrunden weiter informiert werden. RED.

FACHBEREICH VERKEHR 01 | 2016H Ä F E N

Ausgelöst durch die Schiffsgrößen­entwicklung hält Automation welt­weit in den Häfen Einzug. Das betrifft auch die wichtigen kontinentaleuro­päischen Häfen an der Nordsee. Über sie, die sogenannte North Range, werden etwa 80 Prozent des europä­ischen Im­ und Exports abgewickelt. Im größten europäischen Seehafen Rotterdam ist mittlerweile die weit­reichendste Form der Automatisie­rung eingeführt worden, was zum Verlust von hunderten Arbeitsplätzen geführt hat. So entspricht allein die Kapazitätserweiterung in Rotterdam auf der Maasvlakte II etwa der

Umschlag auf den Container terminals, weil immer größere Schiffe bei geringerer An­zahl von Schiffsanläufen eine gleichmäßige Auslastung nicht mehr zulassen. Da die vor­handene Transportmenge nicht zum Aufbau der Flottenkapazitäten passt, optimieren die Reeder ihr Geschäft zulasten der Hafenstandorte. Gleichzeitig werden Reeder wirtschaftlich durch Steuer geschenke und unverantwortliche Subventionen belohnt und dadurch in diesem unsozialen Verhalten weiter bestärkt. Die Zeche hierfür bezahlen der Steuerzahler und die Hafenstandorte, die im Wettbewerb erpresst werden.

Die negativen Auswirkungen, die Bau und Betrieb solcher Megaschiffe auf

Neben den globalen wirtschaftlichen Entwicklungen sieht die ver.di­Bun­destarifkommission Häfen auch nati­onale Faktoren, die für die kom­menden Tarifverhandlungen für die Hafenbeschäftigten wichtig sind. Dazu zählen:

Die Inflationsrate lag im Monat Februar bei 0,00 Prozent, die wiederum den Verteilungsneutralen Spielraum

Um auf die Herausforderungen des demografischen Wandels in den deut­schen Seehäfen reagieren zu können, hat die ver.di­Bundestarifkommission ihre sozialpolitische Verantwortung wahrgenommen und auf der Früh­jahrsklausur einstimmig einen mit dem Zentralverband Deutscher See­häfen (ZDS) ausgehandelten Demo­grafie­Tarifvertrag gebilligt.

Ein solches Tarifwerk ist dringend erfor­derlich geworden aufgrund der Tatsache, dass Belegschaften in den deutschen See­häfen immer älter werden und Einzelne durch gesetzliche Veränderungen, wie die Heraufsetzung des Rentenalters auf 67 Jah­re, immer länger arbeiten müssen: Daraus ergeben sich verändernde Anforderungen an Belegschaften, was die Qualifikation sowie die Notwendigkeit betrifft, alters­, alterns­ und leistungsgerechte Arbeitsbe­dingungen zu schaffen.

Die tarifliche Vereinbarung bestimmt, dass die Tarifvertragsparteien betriebliche Demografiefonds einrichten. Aus denen werden dann die Mittel entnommen zum Beispiel für demografiegerechte Arbeits­zeitregelungen, für Maßnahmen zur Ge­sundheitsförderung, für entsprechende Fortbildung und Qualifizierung oder Maß­nahmen für eine lebensphasenorientierte Vereinbarkeit von Familie und Beruf.

Individuelle Ansprüche auf in den Fonds eingezahlte Mittel bestehen nicht. Alle Regelungen der Entnahme werden als kol­lektive Regelungen ausgestaltet. Während

wird. „Daher ist es umso wichtiger, dass wir im Rahmen unseres Flächentarifver­trags solidarisch zusammenstehen und so verhandeln, dass künftig alle Mitglieder mehr Geld in ihre Tasche haben – unab­hängig davon, in welchem Betrieb sie arbeiten. Das ist das Kernstück solidari­scher Tarifpolitik, wir lassen Keine/­n zurück!“, fasst ver.di­Verhandlungsführer Torben Seebold die Ausgangslage für die diesjährige Lohnrunde zusammen. T.S.

Gesamtkapazität des Hamburger Ha­fens. Dabei wurden in den vergan­genen Jahren die vorhandenen Ha­fenflächen um 20 Prozent auf 6.000 ha aufgestockt und drei neue Contai­nerterminals geschaffen.

Da insgesamt in der Hamburg­Le Havre­ Range und in Großbritannien zusätz liche Containerterminals entstanden sind und erhebliche Kapazitätserweiterungen statt­gefunden haben, ist der Wettbewerbsdruck enorm gestiegen. Gleichzeitig hat der Trend zu immer größeren Schiffen zu einem rasanten Kapazitätsaufbau der Flotten ge­führt. Das Resultat: Belastungsspitzen im

Beschäftigung und Infrastruktur haben, sind jetzt auch in den Fokus der OECD ge­raten. Das Verhalten der Reeder und die Folgen auf die Volkswirtschaften werden zunehmend kritisch betrachtet. Über Jahr­zehnte gewachsene Strukturen in den Häfen geraten unter Druck. Den Beschäf­tigten droht der Verlust des Arbeitsplatzes. Die Forderung nach immer größerer Flexi­bilität ohne Ausgleich solcher Belastungs­spitzen wird für die Beschäftigten auf längere Sicht nicht ohne gesundheitliche Folgen bleiben.

Die Probleme in der North Range und den deutschen Seehäfen setzen auch die Gewerkschaften und ihre Mitglieder unter

Druck. „Die richtige Antwort hierauf kann nur sein, gewerkschaftliche Gegenmacht aufzubauen, in der North Range eng und solidarisch zusammenzuarbeiten sowie die Reeder als Treiber dieser Entwicklung öf­fentlich kenntlich zu machen“, meint der ver.di­Bundesfachgruppenleiter Häfen Tor­ben Seebold.

„Außerdem muss in der Politik endlich ankommen: Wer maßgeblich für eine Ent­wicklung verantwortlich ist, der ist auch an den Kosten zu beteiligen. Am Ende dürfen nicht die Beschäftigten die Zeche zahlen“, fasst Thomas Mendrzik, der Vorsitzende der Bundesfachgruppe Häfen, zusammen. T.M./H.N.

(Preisentwicklung + Produktivitäts­steigerung) nach unten schraubt.

Wachsende Überkapazitäten auf den Terminalflächen der North Range­ Häfen führen zu einer harten Wett­bewerbssituation.

Neue Reeder­Allianzen üben Druck auf die Terminalbetreiber aus.

Es ist also davon auszugehen, dass die diesjährige Tarifrunde erneut nicht einfach

der Laufzeit des jeweiligen Lohntarifvertra­ges wird der Demografiebeitrag gesondert vereinbart.

Maßnahmen, für die eine gesetzliche, tarifliche oder betriebliche Verpflichtung besteht, dürfen aus diesem Fonds nicht finanziert werden; er steht ausschließlich für darüber hinausgehende Projekte offen. Um Missbrauch auszuschließen, sind die betrieblich vereinbarten Maßnahmen den zentralen Tarifvertragsparteien zur jähr­lichen Bewertung zur Kenntnis zu geben.

Für die Verwaltung des Demografiefonds wird in den Häfen eine paritätisch besetzte betriebliche Demografiekommission einge­setzt, die über Verwendung und Mittel­abflüsse entscheidet. Für die ersten vier Jahre sind in der Regel keine Abflüsse ge­plant, dieser Zeitraum soll als Aufbauphase für die Fonds genutzt werden. Da die Tarif­vertragsparteien mit diesem Tarifvertrag Neuland betreten, werden mit Sicherheit gesetzliche und gesellschaftliche Verände­rungen in die Ausgestaltung mit einfließen. „Allen, die diesen Tarifvertrag ausgestalten und nutzen, muss klar sein, dass es sich um ein neuartiges, lernendes Tarifwerk handelt, dass noch nicht perfekt sein kann, aber weiter entwickelt werden soll“, so die Ein­schätzung von Thomas Mendrzik, Vorsitzen­der der ver.di­Bundesfachgruppe Häfen.

Der Tarifvertrag kann erstmals zum 31. März 2020 gekündigt werden. Eine Nachwirkung ist ausgeschlossen und die zu diesem Zeitpunkt eingespeisten Mittel würden bei Kündigung zwingend im Sinne dieses Tarifvertrages verwendet. T.M.

Angespannte Situation in den North Range-Häfen

Lohnrunde Häfen wird nicht einfach

Demografisch fit gemacht

Überkapazitäten, Automation und Schiffsgrößenentwicklung in der Nordsee setzen Gewerk­schaften unter Druck

Bundestarifkommission Seehäfen beschließt Demografie­Tarifvertrag

DREI NEUE CONTAINERTERMINALS ENTSTANDEN AUF DER MAASVLAKTE II VOR ROTTERDAM. FOTO: VON MICHIELVERBEEK – EIGENES WERK, CC BY­SA 3.0, HTTPS://COMMONS.WIKIMEDIA.ORG/W/INDEX.PHP?CURID=31735816

FOTO: EUROGATE/CONTAINERSCHIFF AM EUROGATE CONTAINER TERMINAL HAMBURG

Keine Verschiebemasse