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Familientrennung durch Abschiebung Familientrennung durch Abschiebung Eine Falldokumentation über den Umgang deutscher Behörden mit ausländischen Familien PRO ASYL Förderverein PRO ASYL e.V. DER EINZELFALL ZÄHLT.

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FamilientrennungdurchAbschiebungFamilientrennungdurchAbschiebungEine Falldokumentation über den Umgang deutscher Behörden mit ausländischen Familien

PRO ASYLFörderverein PRO ASYL e.V.DER EINZELFALL ZÄHLT.

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Inhalt

3 Rigorose Abschiebungspolitik – Schutz von Ehe und Familie?

Falldokumentation

9 Getrennte Abschiebung als Druckmittel

14 Familientrennung durch Abschiebung volljährig gewordener Kinder

22 Familientrennung durch Abschiebung der Angehörigen von Kranken

25 Binationale Ehen

Bestelladresse: Förderverein PRO ASYL e.V.Postfach 160624 · 60069 Frankfurt/M.Tel.: 069/23 06 88 · Fax: 069/23 06 50Internet: www.proasyl.deE-Mail: [email protected]. 8047300Bank für Sozialwirtschaft Köln BLZ 370 205 00

Veröffentlicht im Dezember 2004

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Rigorose Abschiebungspolitik –Schutz von Ehe und Familie?

Noch ist die Meldung nicht alltäglich: Wenn Ausländer-behörden bei Abschiebungen Ehepartner auseinanderreißenoder gar Eltern von ihren Kindern trennen, reagiert die Öf-fentlichkeit zumeist schockiert. Die Presse greift solche Fäl-le oft auf und es bilden sich Nachbarschaftsinitiativen zur Unterstützung der zurückgebliebenen Familienangehörigen.Regelmäßig fühlen sich die Behördenleiter unter Bezugnah-me auf das Ausländerrecht dann zur Verteidigung ihrer Mit-arbeiter berufen und behaupten, häufig mit Rückendeckungdes Innenministeriums, die Abschiebung sei »rechtlich kor-rekt« erfolgt.

Der Schutz des Familienlebens ist ein Menschenrecht (Art. 6 Grundgesetz, Art. 8 Europäische Menschenrechtskon-vention, Art. 12 und 16 der Allgemeinen Erklärung der Men-schenrechte). Dieses Recht wird in Deutschland jedoch nichtallen Menschen gleichermaßen gewährt. Tatsächlich lässtdas restriktive deutsche Ausländerrecht die Trennung vonFamilienangehörigen unter bestimmten Umständen zu. Jeschwächer das Aufenthaltsrecht der Betroffenen ist, destostärker wird der Familienschutz eingeschränkt. Wenn aus-reisepflichtige Familien durch Abschiebungen auseinander-gerissen werden, offenbart sich einerseits die Unmensch-lichkeit behördlicher Vollzugspraxis. Andererseits zeigt sichaber auch, dass der Schutz der Familie für hier lebende Mi-grantinnen und Migranten rechtlich deutlich zu schwachausgestaltet ist. Wenn es Ausländerbehörden möglich ist,Teilfamilien abzuschieben, um die Ausreisebereitschaft derübrig gebliebenen Familienmitglieder zu erzwingen, dannstimmen die rechtlichen Maßstäbe offenkundig nicht mehr.

Angesichts des hohen Schutzes, den Ehe und Familierechtlich in Deutschland und international genießen, müss-ten die Ausländerbehörden bei der Entscheidung, ob eineAbschiebung unter Inkaufnahme einer Trennung der Familieerfolgen soll, ihr Ermessen viel stärker zugunsten der Betrof-fenen ausüben. Der Wunsch, mit der eigenen Familie zusam-

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men zu leben, darf nicht als strategische Waffe einer Aus-länderbehörde benutzt werden, Personen außer Landes zutreiben. In der Praxis ist nach unseren bisherigen Recher-chen festzustellen,

� dass die Zahl der Abschiebungen, bei denen Familien aus-einander gerissen werden, in den letzten Jahren drastischzugenommen hat,

� dass in manchen Bundesländern getrennte Abschiebun-gen einzelner Familienangehöriger nicht vorkommen, inanderen jedoch bereits an der Tagesordnung sind,

� dass auch innerhalb eines Bundeslandes die einzelnenAusländerbehörden höchst unterschiedlich mit dieserFrage umgehen: Es sind immer wieder dieselben Dienst-stellen, die mit getrennten Abschiebungen einzelner Fa-milienangehöriger Schlagzeilen machen.

Über die Frage der Auslegung des geltenden Rechts hinausist in den Blick zu nehmen, welche rechtlichen Rahmenbe-dingungen bestehen und wie die Rechte der Betroffenen ge-stärkt werden können.

Familienschutz als Menschenrecht

Als Menschenrecht wird dem Schutz des Familienlebens im deutschen und internationalen Recht eine besonderereBedeutung beigemessen. Das Grundgesetz garantiert denSchutz der Familie als Grundrecht. Dieses Grundrecht giltauch für in Deutschland lebende Personen ohne deutscheStaatsangehörigkeit.

Wie jedes Grundrecht schränkt der Familienschutz in vie-len Bereichen das behördliche Ermessen ein – etwa bei derEntscheidung über die Erteilung eines Aufenthaltstitels oderbei Ausweisungsentscheidungen. Artikel 6 Abs. 1 GG soll je-doch, so die herrschende Rechtsmeinung, kein allgemeinesAufenthaltsrecht oder Familiennachzugsrecht für hier leben-de Migrantinnen und Migranten begründen. Besteht aller-dings eine Ehe mit einer oder einem deutschen Staatsan-gehörigen, leitet sich faktisch daraus ein Bleiberecht desnichtdeutschen Ehepartners ab.

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Sind zwei ausländische Staatsangehörige miteinanderverheiratet, dann können auch sie sich auf den Schutz ausArtikel 6 Abs. 1 GG berufen – allerdings mit geringeren Schutz-wirkungen.

Ein Anspruch auf Familiennachzug wird nur in wenigenAusnahmefällen direkt aus Artikel 6 Abs. 1 GG hergeleitet.Kann z.B. die Familiengemeinschaft nicht im Heimatland her-gestellt werden, weil etwa einem Ehepartner dort Verfolgungoder Misshandlungen droht, dann lässt sich aus dem Schutzder Familie in der Regel ein Bleiberecht für die restlichen Fa-milienmitglieder ableiten.

Im internationalen Recht wird das Familienleben durch die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) in Arti-kel 8 als Menschenrecht geschützt. Während sich Artikel 6Abs. 1 GG nur auf den Kernbereich der Familie – also Mutter,Vater und Kind – bezieht, ist der Schutzbereich nach derEMRK weiter. Artikel 8 EMRK schützt zudem das Familienle-ben zwischen volljährigen Kindern, Enkeln, Großeltern undVerwandten der Seitenlinie sowie nichtehelichen und gleich-geschlechtlichen Gemeinschaften.

Kein ausreichender Familienschutz bei der Abschiebung

Das deutsche Ausländerrecht ist so konstruiert, dass bei der Abschiebung keine familiären Interessen mehr beach-tet werden müssen (wenngleich diese beachtet werden können ). Die Rechte der Betroffenen, die sich aus demSchutz der Familie ergeben, sollen vielmehr bereits in einemfrüheren Stadium gewürdigt werden. So sehen die auslän-derrechtlichen Bestimmungen eine Beachtung des Famili-enschutzes vor allem im Verfahren um die Aufenthaltsge-nehmigung oder um die Ausweisung vor.

Ebenso wird nach der herrschenden Rechtsmeinung kein

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Grundgesetz, Artikel 6 (1)Ehe und Familie stehen unter dem besonderenSchutze der staatlichen Ordnung.

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Verstoß gegen die EMRK angenommen, wenn der Schutz derFamilie bei der Abschiebung unberücksichtigt bleibt. In wel-chem Stadium des ausländerrechtlichen Verfahrens der Fa-milienschutz gewährleistet wird, überlässt die EMRK dem na-tionalen Gesetzgeber.

Nur in seltenen Ausnahmefällen soll der Schutz der Fami-lie einer Abschiebung entgegenstehen können. So kann dieAbschiebung zum Beispiel unzulässig sein, wenn eine weit-gehend vorbereitete und nahe bevorstehende Eheschlie-ßung stattfinden soll und sich aus der Ehe ein Bleiberecht fürdie vor der Abschiebung stehende Person ableiten lassenwürde.

Eine weitere Ausnahme ergibt sich aus dem Asylver-fahrensgesetz. Wenn Mitglieder einer Familie gleichzeitigoder jeweils unverzüglich nach der Einreise Asyl beantragthaben, dann ist eine Aussetzung der Abschiebung vorge-sehen, um eine gemeinsame Ausreise zu ermöglichen (§ 43Abs. 3 Asylverfahrensgesetz). Eine getrennte Abschiebungder Familienmitglieder soll dann also nicht stattfinden, son-dern das Ende aller Asylverfahren abgewartet werden.

Verwaltung und Gesetzgeber sind gefordert

Der Schutz der Familie ist rechtlich für hier lebende Migran-ten und Migrantinnen deutlich zu schwach ausgestaltet. Da-her ist hier vom Gesetzgeber und den Verwaltungsbehördendringender Handlungsbedarf gefordert. Auch Menschen miteinem prekären Aufenthalt müssen das Recht haben, dassihre familiären Bindungen angemessen berücksichtigt wer-den. An hehren Bekenntnissen aller Parteien zu Ehe und Fa-milie fehlt es nicht. Konkret zu fordern ist:

� Wenn für ein Familienmitglied ein Anspruch auf Schutz vorAbschiebung besteht, muss die Gesamtfamilie ein Bleibe-recht erhalten.

� Der Familiennachzug zu Flüchtlingen mit einem Aufent-haltsrecht in Deutschland muss ohne Einschränkungenermöglicht werden

� Solange Flüchtlingsfamilien sich in Deutschland aufhalten,

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müssen ihre Mitglieder die Möglichkeit haben, miteinan-der in einer Wohnung zu leben.

� Bindungen an Großeltern, Geschwister, erwachsene Kin-der oder sonstige Familienangehörige sind bei der Ent-scheidung über den Aufenthalt sowie die Unterbringungvon Flüchtlingen zu berücksichtigen.

Wie sieht die Praxis aus?

Wir wollen im Folgenden einige Fälle exemplarisch vorstel-len, die einen Eindruck davon geben, welche Problematikensich bei – und aus – einer Abschiebung einzelner Familien-angehöriger ergeben können. Die Zahl der in kürzester Zeitzusammengetragenen Beispiele ist so hoch, dass man sichernicht von extremen Einzelfällen sprechen kann. Bei allenstellt sich über die bundesdeutsche Rechtslage hinaus dieFrage, ob ein Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrund-satz vorliegt. Wir haben den Eindruck, dass viele Ausländer-behörden trotz der drastisch zurückgegangenen Flüchtlings-zahlen immer gnadenloser auch problematische Abschie-bungen durchführen: Die Abschiebung wird vollzogen, auchwenn der Vater in der Psychiatrie (Fall 1) oder die Mutter ge-rade beim Einkaufen ist. Oft setzen die Ausländerbehördenan der empfindlichsten Stelle der Familienbeziehungen an,um über den unmittelbar zur Ausreise Verpflichteten indirektweitere Familienangehörige zu einer »freiwilligen« Ausreisezu bewegen (Fall 3, Fall 4, Fall 5). Als am 6. Mai 2004 drei min-derjährige Schulkinder in Usingen (Hochtaunuskreis) alleinzurückblieben, während die Eltern nach zehnjährigem Auf-enthalt in Deutschland abgeschoben wurden (Fall 4), vertei-digte der Sprecher des Main-Taunus-Kreises diesen Akt derUnmenschlichkeit so: »Nicht die Behörden haben die Familiegetrennt, sondern die Eltern. Was sind das für Eltern, die ihreKinder in einem fremden Land zurücklassen?« (FrankfurterRundschau vom 11. Mai 2004) Ein derartiger Zynismus, derdie Verantwortung für die Folgen behördlichen Handelns denOpfern aufbürdet, darf nicht unwidersprochen bleiben.

Mit dieser Falldokumentation wollen wir auf die behördlicheVerantwortung für das durch das Auseinanderreißen von Fa-

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milien administrativ produzierte Leid hinweisen. Wir bestrei-ten, dass das Handeln der Behörden jedes Mal rechtlichzwingend war und ist: Die Behörden sind gehalten, den Spiel-raum des § 43 Abs. 3 Asylverfahrensgesetz zu nutzen, derfestlegt, dass eine Abschiebung unter bestimmten Umstän-den ausgesetzt werden kann, um den Ausgang des Asylver-fahrens aller Familienangehöriger abzuwarten. Die Abschie-bung einer mittellosen Mutter mit sieben Kindern ohne ihrenMann in die Türkei verbietet sich schon deshalb, weil dieFrau allein kaum in der Lage sein dürfte, den Lebensunterhaltfür sich und ihre Kinder zu decken (Fall 11). Welche An-maßung steckt in der Behauptung, eine seit zehn Jahren inDeutschland lebende gemischtethnische Familie aus demehemaligen Jugoslawien könne sich in einem der Nachfol-gestaaten um ein gemeinsames Aufenthaltsrecht bemühenund daher jetzt in verschiedene Staaten abgeschoben wer-den (Fall 16). Es stellt einen offenkundigen behördlichen Miss-brauch und Verstoß gegen das Kinder- und Jugendhilfege-setz sowie die Kinderrechtskonvention dar, wenn Eltern mitGewalt von ihren Kindern getrennt und ohne sie abgescho-ben werden (Fall 4).

Dass viele der betroffenen Familien bereits fünf oder mehrJahre in Deutschland leben und dennoch abgeschoben wer-den, ist nicht nur unter dem Aspekt des Familienschutzes pro-blematisch. Für die Gruppe der langjährig Geduldeten musseine unbürokratische Bleiberechtsregelung geschaffen wer-den. Die Unmenschlichkeit, Menschen über Jahre in immerwieder kurzfristig verlängerten Duldungen zu halten, darfnicht durch eine unmenschliche Abschiebepolitik aufgelöstwerden. Dass die Ausländerbehörden nicht einmal vor Fa-milientrennungen bei der Abschiebung zurückschrecken,macht eine Bleiberechtsregelung um so drängender.

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Falldokumentation

Getrennte Abschiebung als DruckmittelImmer häufiger werden Fälle bekannt, in denen Ausländerbehörden bei Abschiebungen vor Familien-trennungen nicht zurückschrecken oder im Vorfeld mit Familientrennung drohen.

1. Familie Duraku

Herr und Frau Duraku sind Kosovo-Ägypter und leben seitzwölf Jahren in Deutschland, wo auch ihre vier Kinder gebo-ren sind. Seit April 2003 ist die Familie ausreisepflichtig. Einefreiwillige Ausreise kam für sie bisher jedoch nicht in Frage,da sie Übergriffe seitens der Kosovo-Albaner und ein Lebenin einer UNMIK-geschützten Enklave, ohne Möglichkeit zureigenen Lebenserwerbssicherung, fürchteten.

Der Familie wurde die Abschiebung für Januar 2004 an-gedroht. Aus Verzweiflung hierüber geriet Herr Duraku der-artig außer sich, dass er bereits einen Tag vor der geplantenAbschiebung in eine psychiatrische Klinik eingewiesen wer-den musste. Frau Duraku und die Kinder wurden am nächs-ten Tag wie vorgesehen zur Abschiebung zum Flughafen gebracht. Den beteiligten BGS-Beamten wurde erst dort be-kannt, dass für die beiden jüngsten Kinder – neun Monateund zwei Jahre alt – noch Asylanträge anhängig waren. Da-her wurde die Mutter mit ihren beiden ältesten Kindern abge-schoben. Die Jüngsten wurden anschließend bei Verwand-ten untergebracht.

Obwohl Herrn Duraku nach seiner Entlassung aus der psy-chiatrischen Klinik über seinen Rechtsanwalt mitgeteilt wor-den war, dass er zunächst keine Abschiebung zu befürchtenhätte, erschienen Polizeibeamte in der Wohnung seiner Mut-ter, um ihn abzuholen. Herr Duraku, der sich zu diesem Zeit-punkt jedoch nicht dort aufhielt, tauchte daraufhin in Panikunter. Etwa zwei Monate später wurde er bei einem Treffen

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mit seinen Kindern verhaftet und nach Mannheim in Abschie-bungshaft gebracht.

Die Asylanträge der beiden jüngsten Kinder wurden zwi-schenzeitlich negativ entschieden.

Versuche von Hilfsorganisationen, Frau Duraku und ihrenKindern eine Wiedereinreise nach Deutschland zu ermögli-chen, scheiterten. Das zuständige Regierungspräsidium inStuttgart teilte hierzu mit, dass der Schutz der Familie zwar ei-nen hohen Stellenwert habe, dass aber bedauerlicherwei-se nicht immer Rücksicht darauf genommen werden könne.Das baden-württembergische Innenministerium veranlassteschließlich Monate nach der Abschiebung der Mutter, dassdie beiden jüngsten Kinder in Begleitung eines Onkels zurMutter »gebracht« – also ebenfalls abgeschoben – wurden.Die Familie hat im Kosovo keine eigene Bleibe und ist ganzauf die Hilfe von Verwandten angewiesen.

Herr Duraku wurde zwei Monate später aus der Abschie-bungshaft entlassen, nachdem wegen der eskalierendenGewalt gegen ethnische Minderheiten im Kosovo alle Ab-schiebungen befristet ausgesetzt worden waren.

2. Herr M.

Die Roma-Familie M. war vor zehn Jahren aus Bosnien ge-flohen, der Antrag auf Feststellung von Abschiebungshin-dernissen aus humanitären Gründen für den Vater abgelehntworden. Zwischenzeitlich hatte die Familie vergeblich ver-sucht, ohne Aufenthaltspapiere in Norwegen zu leben. Nachihrer Rückkehr nach Deutschland wurde der gehbehinderteund auf Schmerzmittel angewiesene Vater in Abschiebungs-haft genommen. Er sollte ohne seine Frau und seine fünf min-derjährigen Kinder nach Bosnien abgeschoben werden. AmTag seiner geplanten Abschiebung zündete Herr M. aus Ver-zweiflung in der Abschiebungshaftanstalt Rendsburg seineMatratze an und musste anschließend ins Krankenhaus ge-bracht werden.

Frau M. erklärte sich schließlich bereit, mit den Kindern»freiwillig« auszureisen. Da sie unter Flugangst litt, wollte sieauf dem Landweg zurückreisen. Die vorliegenden Passer-satzdokumente waren hierfür jedoch nicht ausreichend.

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Nach seinem Krankenhausaufenthalt brachte man denVater wieder in Abschiebungshaft, für die Mutter wurde einPass beantragt. Die Familie lebte während dieser Zeit in einerFlüchtlingsunterkunft, ohne dass die Kinder eine Möglichkeitzum Schulbesuch hatten. Der sechzehnjährige Sohn entzogsich den Behörden.

Nach Auskunft der AWO-Beratungsstelle in Löbau wurdeHerr M. im Sommer 2004 allein abgeschoben. Unter diesemDruck folgte die Mutter mit den Kindern einige Wochen spä-ter auf dem Landweg.

3. Familie Alzayn

Zabida Alzayn war mit ihren Eltern, staatenlose Kurden ausdem Libanon, 1988 als Kind über die Türkei nach Deutschlandgeflüchtet. Sie heiratete 1992 in Deutschland den ebenfallsim Libanon geborenen Kurden Mahmoud Alzayn, der aus derTürkei ausgebürgert worden war, weil er dort den Wehr-dienst nicht abgeleistet hatte. Er hat zwar einen Eintrag imtürkischen Melderegister, besitzt jedoch einen libanesischenReiseausweis und gibt an, nie in der Türkei gewesen zu sein.

Die zuständige Ausländerbehörde in Soest erteilte FrauAlzayn 1992 eine Aufenthaltsbefugnis, da sie eine Rückkehrin den Libanon aufgrund ihrer Staatenlosigkeit langfristignicht für möglich hielt. Im Dezember 2002 wurde die Auf-enthaltsbefugnis überraschend nicht mehr verlängert. DieBehörde war nunmehr der Ansicht, die Familie könne in dieTürkei abgeschoben werden. Zu diesem Zeitpunkt waren diesieben in Deutschland geborenen Kinder zwischen einem

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Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, Artikel 12Niemand darf willkürlichen Eingriffen in sein Privat-leben, seine Familie, seine Wohnung und seinenSchriftverkehr oder Beeinträchtigungen seiner Ehre und seines Rufes ausgesetzt werden. Jeder hat An-spruch auf rechtlichen Schutz gegen solche Eingriffeoder Beeinträchtigungen.

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und zwölf Jahre alt. Mutter und Kinder sprechen Deutsch undArabisch, aber kein Türkisch.

Am 12. Juni 2003 wurden die Mutter und die Kinder plötz-lich früh morgens in die Türkei abgeschoben. Der Vater konn-te aufgrund seiner Ausbürgerung nicht dorthin abgeschobenwerden und blieb allein in Soest zurück.

Die Frankfurter Rundschau berichtete in ihrer Ausgabevom 28. Oktober 2003 von der dramatischen Lebenssituation,in der sich Zabida Alzayn und ihre Kinder nach ihrer Ab-schiebung befinden. Abhängig vom Wohlwollen und den Al-mosen der Nachbarn fristen sie in dem türkischen BergdorfÜckavak als »Außenseiter« ein Leben in völliger Mittellosig-keit.

Der in Deutschland verbliebene Vater leidet inzwischen anärztlich attestierten Depressionen und gilt als suizidgefähr-det. Eine für die Einreise in die Türkei notwendige Wieder-einbürgerung würde vermutlich Jahre dauern. Überdiesfürchtet er sich vor den Konsequenzen, die ein Leben als»Nichttürke« in der Türkei für ihn mit sich brächte. Da er je-doch in der Wiedererteilung der türkischen Staatsangehö-rigkeit die einzige Möglichkeit sieht, wieder mit seiner Fami-lie zusammen leben zu können, hat er sich über das türkischeKonsulat um eine Wiedereinbürgerung bemüht.

4. Familie K.

Das türkische Ehepaar K. und seine drei Kinder waren seit1994 in Deutschland. Nach Ablehnung ihres Asylantrageswurde auch eine Petition an den Hessischen Landtag abge-lehnt, eine zweite gar nicht erst angenommen.

Am Vormittag des 6. Mai 2004 wollte die Polizei die Familieabschieben, fand aber nur die Eltern vor. Die Kinder waren zuder Zeit auf dem Weg zur Schule, wo sie allerdings nicht an-kamen. Vermutlich waren sie über die bevorstehende Ab-schiebung informiert worden und hatten sich daraufhin beiBekannten oder Freunden versteckt. Die Eltern wurden, wievorgesehen, vom Frankfurter Flughafen aus nach Istanbul ab-geschoben.

Die Rechtsanwältin der Familie sowie Lehrer und Schul-leiterin der Realschule, nach deren bevorstehendem Ab-

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schluss der Tochter schon ein Ausbildungsplatz in Aussichtgestellt worden war, waren empört über den Vorgang. Pro-test rief vor allem die Tatsache hervor, dass die minderjähri-gen Kinder von ihren Eltern getrennt und sich selbst über-lassen wurden. Nicht einmal das Jugendamt wurde einge-schaltet.

Nach einem Bericht der Frankfurter Rundschau vom 11. Mai 2004 rechtfertigte sich ein Sprecher der zuständigenAusländerbehörde folgendermaßen: »Nicht die Behördenhaben die Familie getrennt, sondern die Eltern. Was sind dasfür Eltern, die ihre Kinder in einem fremden Land zurücklas-sen?«

Die Familie war in ihrem Umfeld gut integriert und lebte unabhängig von Sozialhilfe. Die Kinder sprechen fließenddeutsch. Nach der Abschiebung ihrer Eltern kamen sie zu-nächst bei Verwandten unter. Inzwischen haben sie demDruck der Behörden nachgegeben, eine Erklärung zur frei-willigen Ausreise unterschrieben und Deutschland verlassen.

Ihre Eltern hatten zuletzt weder eine feste Unterkunft nocheine Lebensgrundlage in der Türkei.

5. Familie B.

Familie B., die seit 1992 in Deutschland lebte, ist eine Ashka-li-Familie aus dem Kosovo mit sieben Kindern, vier davonminderjährig. Ihr Asylantrag wurde abgelehnt und die Fami-lie zur Ausreise aufgefordert.

Im Jahre 1998 – vor Ausbruch des Kosovokrieges – wurdeHerr B. zum ersten Mal ohne seine Familie in das Kosovo ab-geschoben.

Als ihm zum zweiten Mal die Flucht nach Deutschland ge-lang, war eine erneute Abschiebung ins Kosovo aufgrund derakuten Gefährdungslage vor Ort nicht möglich. Die Länderin-nenminister hatten sich darauf verständigt, Angehörige be-stimmter Minderheiten – darunter auch Ashkali – nicht insKosovo abzuschieben. Herr B. wurde daraufhin Anfang 2004mit einer volljährigen Tochter kurzerhand nach Serbien ab-geschoben: Da er mehrere Jahre in Belgrad gearbeitet hatteund dort registriert war, hielten die deutschen Behörden einLeben in Serbien für zumutbar.

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Obwohl Frau B. dazu bereit gewesen wäre, mit ihremMann zu gehen, konnten für sie und die minderjährigen Kin-der zunächst keine Papiere beschafft werden, da sie nicht inBelgrad registriert waren.

Die Ausländerbehörde argumentierte, Frau B. könne mitden Kindern freiwillig ins Kosovo zurückkehren und von dortdie Familienzusammenführung betreiben. Doch dazu war ihreAngst vor Übergriffen zu groß.

Erst fünf Monate nach der Abschiebung ihres Mannes ge-lang es Frau B., für sich und die minderjährigen Kinder Pa-piere zu erhalten, die ihr die Einreise nach Serbien zu ihremMann ermöglichten.

Familientrennung durch Abschiebung volljährig gewordenerKinderDer Schutz der Familie erstreckt sich nach der geltenden Rechtslage im Wesentlichen auf die Kern-familie. Volljährige Kinder haben kein Recht, im Land zu bleiben, nur weil ihre Eltern nicht abgeschoben werden können.

6. Familie Bajrami

Familie Bajrami, Albaner aus dem Kosovo, flüchtete 1993 mitfünf Kindern nach Deutschland. Ein weiterer Sohn wurde inDeutschland geboren. Im Jahr 1995 stellten die Bajramis ei-nen Asylantrag, der jedoch abgelehnt wurde. Seither war dieFamilie – in erster Linie aufgrund der labilen gesundheitlichenLage der Mutter – geduldet. Diese hatte bei Überfällen durchserbische Polizeikräfte ein schweres Trauma erlitten, dessenBehandlung im Kosovo nicht möglich gewesen wäre. Seit1998 war Frau Bajrami deswegen in kontinuierlicher ambu-lanter und acht Mal in stationärer Behandlung. Ein Antrag aufErteilung einer Aufenthaltsbefugnis wurde nach einjähriger

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Bearbeitungszeit von der Ausländerbehörde abgelehnt. Trotz alledem schafften es die Bajramis, sich über die Jah-

re hinweg in das neue Leben und Umfeld zu integrieren. Eingroßer UnterstützerInnenkreis engagierte sich unermüdlichfür ein Bleiberecht der beliebten Familie.

Am 3. März 2004 wurden die beiden volljährigen SöhneAgim und Buletin jedoch in einer gewaltsamen Aktion durchein Großaufgebot an Polizisten in der Nacht zum Düsseldor-fer Flughafen gebracht und nach Pristina abgeschoben. EinArzt hatte den beiden Brüdern dabei gegen ihren Willen Be-ruhigungsspritzen verabreicht. Auch die fünfzehnjährigeTochter, Emine, wurde von den Polizisten abgeführt, schließ-lich aber doch nicht abgeschoben.

Der Vater, der an Bluthochdruck und Diabetes leidet,brach während der Aktion zusammen und musste in lebens-bedrohlichem Zustand ins Krankenhaus gebracht werden.

7. Familie Ipek

Familie Ipek flüchtete Mitte der 1990er Jahre aus der Türkeinach Deutschland und beantragte Asyl. Nach negativemAusgang des Asylverfahrens wurde die Familie vom Land-kreis Celle zur Ausreise aufgefordert und ihr die Abschiebungangedroht. Herr Ipek, der aufgrund von Verfolgungsmaßnah-men und Gefängnisaufenthalten in der Türkei psychisch er-krankt und infolgedessen seiner Familie gegenüber gewalt-tätig geworden war, entschloss sich zu einer »freiwilligen«Ausreise und kehrte im Jahr 2002 ohne seine Familie in dieTürkei zurück.

Frau Ipek blieb mit ihren neun Kindern zunächst allein inDeutschland zurück. Der durch Verfolgung und Gewalterfah-rung in der Türkei ebenfalls schwer traumatisierten Frau wur-de im Jahr 2003 Abschiebungsschutz aus humanitären Grün-den zugesprochen. Damit waren Frau Ipek und sechs ihrerKinder zunächst vor Abschiebung sicher, nicht jedoch ihreKinder Mesut, Hakan und Hülya. Sie hatten zwar ebenfallsneun Jahre in Deutschland gelebt und die Schule besucht,waren zum Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsge-richts, das der Mutter ein befristetes Aufenthaltsrecht zu-sprach, aber schon volljährig. Daher drohte die Ausländer-

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behörde den Jugendlichen die Abschiebung an. Weder dieKenntnis darüber, dass die Mutter aufgrund ihrer Erkrankungauf die Unterstützung ihrer volljährigen Kinder angewiesenwar, noch die Tatsache, dass Mesut in Deutschland verhei-ratet war und seine Frau mit dem gemeinsamen Kind ein Auf-enthaltsrecht besaß, konnte die Ausländerbehörde umstim-men.

Am 29. Juli 2003 wurden die drei Geschwister um drei Uhrmorgens von der Polizei aus dem Bett geholt und in die Tür-kei abgeschoben.

Bei ihrer Ankunft dort wurden sie – so berichteten sie spä-ter – in 36-stündige Haft genommen, während derer sie ge-schlagen wurden und nichts zu essen erhielten. Nach ihrerFreilassung kamen sie zunächst bei Verwandten unter undversuchten anschließend, irgendwie ihren Lebensunterhaltzu bestreiten.

Die Mutter Leyla Ipek hat den Schock über die Abschie-bung ihrer Kinder bis heute nicht verwunden und ist physischwie psychisch in äußerst schlechter Verfassung. Ebenfallsbetroffen ist die Frau von Mesut, Jana Ipek, denn sie mussnach der Abschiebung ihres Mannes nun alleine für das ge-meinsame Kind sorgen.

Mittlerweile wurden Hakan und Mesut in der Türkei zumMilitärdienst eingezogen. Ob ihnen eine Rückkehr nachDeutschland in baldiger Zukunft möglich sein wird, ist unge-wiss.

Hülya heiratete am 10. September 2003 in der Türkei ihrenlangjährigen deutschen Freund Markus. Im April 2004 durftesie daher im Rahmen einer Familienzusammenführung nachDeutschland zurückkehren.

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Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, Artikel 16 (3). Die Familie ist die natürlicheGrundeinheit der Gesellschaft und hat Anspruchauf Schutz durch Gesellschaft und Staat.

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8. Familie Shala

Familie Shala aus dem Kosovo stellte 1992 in Deutschland ei-nen Asylantrag, der im Jahr 2001 abgelehnt wurde. Die Ab-schiebung des Ehepaars, seiner heute 18 Jahre alten Toch-ter Arlinda und der 19 und 20 Jahre alten Söhne wurde ange-droht, aber zunächst ausgesetzt.

Als ihnen im Sommer 2003 schließlich die Abschiebungangekündigt wurde, brachten Unterstützer der gut integrier-ten Familie ein Sammlung von 1.200 Unterschriften mit derForderung nach einem Bleiberecht für sie zusammen. Auchder sächsische Ausländerbeauftragte sowie der damaligeBundesprädident Rau befassten sich mit dem Schicksal derFamilie.

Dem herzkranken Herrn Shala war 2002 ein Bypass gelegtworden, Frau Shala ist durch ihre Erlebnisse im Kosovo-Kriegtraumatisiert. Da die Familie – auch aufgrund der hohen Ar-beitslosigkeit in der Region – ihren Lebensunterhalt nicht ei-genständig bestreiten konnte, lehnte das sächsische Innen-ministerium ein Bleiberecht ab.

Am 18. Februar 2004 klingelte es um 22 Uhr unerwartet an der Wohnungstür der Familie Shala. Die Söhne warenaußer Haus. Als Herr Shala öffnete, stürmten etwa zehn Polizeibeamte in die Wohnung. Frau Shala wurde aus demHaus geführt, die Tochter von Polizisten hinausgetragen. HerrShala, für den noch ein Verwaltungsgerichtsverfahren an-hängig war, hätte vorläufig bleiben dürfen, wollte sich je-doch nicht von seiner Familie trennen lassen. Er wurde inHandschellen gelegt und derart grob behandelt, dass er mit Prellungen und einem gebrochenen Arm ins Krankenhauseingeliefert werden musste. Seine Frau erlitt einen Nerven-zusammenbruch und wurde ebenfalls ins Krankenhaus ge-bracht. Die achtzehnjährige Arlinda wurde allein abgescho-ben.

9. Familie Boczdogan

Familie Boczdogan flüchtete vor über zehn Jahren aus derTürkei nach Deutschland. Ihr Asylantrag wurde abgelehnt,weshalb die Familie über viele Jahre hinweg lediglich eine

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Duldung erhielt. Trotz der damit verbundenen Einschränkun-gen gelang es den Boczdogans, sich gut in Deutschland zuintegrieren: Die Eltern arbeiteten als Putzkräfte in einemSteuerbüro. Die drei jüngsten Kinder, im Alter zwischen achtund sechzehn Jahren, besuchten die Schule. Die ältesteTochter machte in einem Modegeschäft eine Ausbildung zurEinzelhandelskauffrau.

Am 10. Mai 2004 erschien die Polizei um sechs Uhr frühüberraschend an der Wohnung der Boczdogans, um sie zurAbschiebung abzuholen. Da der Vater zu der Zeit mit demjüngsten Kind verreist war und die Mutter eine Bestätigungüber ihre krankheitsbedingte Reiseunfähigkeit vorlegenkonnte, wurden die volljährige Tochter und ihre beiden min-derjährigen Geschwister alleine von der Polizei abgeführt.Der Neunzehnjährigen wurden dabei Handschellen angelegt.Ohne dass man ihnen noch Zeit zum Waschen und Früh-stücken gegeben hätte, wurden die drei Jugendlichen mit-genommen und in Frankfurt in ein Flugzeug nach Istanbul ge-setzt. In der Türkei sind sie seither von der Unterstützung ih-rer Verwandten und Bekannten abhängig.

Auf den Hinweis der Anwältin der Familie, dass die Ab-schiebung zweier Minderjähriger ohne Erziehungsberech-tigte rechtswidrig sei, konterten die Behörden, der Vater kön-ne ja »dazustoßen«.

Den Eltern und dem jüngsten Sohn wurde inzwischenebenfalls die baldige Abschiebung angekündigt.

10. Familie Özmen

Das Geschwisterpaar Sekine und Murat Özmen floh im Jahr1990 ohne seine Eltern aus der Türkei nach Deutschland. ZumZeitpunkt ihrer Einreise waren die Kinder elf bzw. acht Jah-re alt. Sie lebten zunächst bei einem Onkel im LandkreisOsnabrück. Jahre später gelang den Eltern mit weiteren min-derjährigen Kindern die Flucht nach Deutschland. Die Asyl-anträge der Familie wurden jedoch abgelehnt.

Der Vater erkrankte in Deutschland an Krebs und ist darü-ber hinaus aufgrund eines schweren Nierenleidens auf eineDialysebehandlung angewiesen, zu der er in der Türkei kei-nen Zugang hätte. Die Familie wurde aufgrund der fortbeste-

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henden Behandlungsbedürftigkeit des Vaters bis ins Jahr2002 geduldet.

Als Sekine und Murat volljährig wurden, sollten sie von ihrer Familie getrennt abgeschoben werden. Nach mittler-weile über zehn Jahren Aufenthalt in Deutschland waren diebeiden sehr gut integriert. Sie hatten nach ihren Schulab-schlüssen beide eine Arbeitsstelle gefunden, mit denen sieentscheidend zum Lebensunterhalt der Familie beitrugen.

Dennoch weigerte sich der Landkreis Osnabrück, die bei-den Jugendlichen vorerst weiter zu dulden. Nach der Ableh-nung einer Petition forderte die Ausländerbehörde Sekineund Murat ein weiteres Mal zur Ausreise auf. Aus Angst voreiner Abschiebung versteckten sie sich ab Juli 2002 vor denBehörden.

Im Jahr 2003 wurde dann ein weiteres Kind der Familie Özmen volljährig, was die Ausländerbehörde veranlasste, erneut gegen die Familie vorzugehen: Furat Özmen, der als Siebenjähriger nach Deutschland gekommen war, wurde am 28. Oktober 2003 in die Türkei abgeschoben, obwohl er nachseinem Realschulabschluss einen Platz an der Fachober-schule für Bautechnik bekommen hatte. Im September 2004gelang ihm die erneute Flucht nach Deutschland. Nach ei-nem gescheiterten Asylfolgeverfahren wurde er nun einzweites Mal in die Türkei abgeschoben. Die Eltern und diebeiden jüngsten Kinder befinden sich seit Ende Juli 2004 imKirchenasyl. Vor allem die gesundheitliche Lage des Vatersist katastrophal.

Sekine ist inzwischen »freiwillig« in die Türkei ausgereist.Über Murats Aufenthaltsort ist nichts bekannt.

11. Familie Nayir

Die kurdische Familie Nayir reiste zusammen mit vier Kindern1992 in die Bundesrepublik ein. Ihre Asylanträge wurdenrechtskräftig abgelehnt. Aufgrund temporärer Abschie-bungshindernisse wurde die Familie jedoch zunächst gedul-det.

Im Februar 1999 wurden die Nayirs – inzwischen mit fünfKindern – in die Türkei abgeschoben. Die Abschiebung fandstarke Resonanz in der Presse, bis hin zu einer Reportage des

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ZDF, in der auch über das Schicksal der Familie nach ihrerAbschiebung berichtet worden war.

Der Vater wurde nach der Abschiebung in die Türkei vonden türkischen Behörden schwer misshandelt. Im Mai 1999floh die Familie deshalb nach Griechenland, im März 2000 ge-lang die erneute Einreise nach Deutschland.

Familie Nayir stellte aufgrund der nach ihrer Abschiebungin der Türkei erlittenen Verfolgung Asylfolgeanträge. Diesmalwurden Herrn Nayir Folter und Verfolgung geglaubt, er wur-de als Flüchtling gemäß der Genfer Flüchtlingskonvention an-erkannt, während die Verfahren der Kinder und der Ehefrauerneut abgelehnt wurden.

Herrn Nayir wurde eine Aufenthaltsbefugnis erteilt, eben-so der Ehefrau und den minderjährigen Kinder, da Herr Nayiraus eigener Erwerbstätigkeit den Lebensunterhalt für sichund die Familie sicherstellen konnte.

Den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigungfür den ältesten Sohn Seymuz lehnte die Ausländerbehördejedoch ab, da er inzwischen volljährig geworden war undnach Ansicht der Ausländerbehörde nicht mehr zum Famili-enverband gehörte. Seymuz wurde dementsprechend zurAusreise aufgefordert.

Der junge Kurde war im Alter von zehn Jahren nach Osna-brück gekommen. Er machte einen Schulabschluss und be-gann im August 2001 eine Ausbildung, die er aber wegen derverweigerten Arbeitserlaubnis abbrechen musste.

Seymuz bewarb sich daraufhin um einen neuen Ausbil-dungsplatz als Maurer bei einer Baufirma. Das zuständigeArbeitsamt knüpfte die Erteilung der Arbeitserlaubnis jedochan eine Bestätigung der Ausländerbehörde darüber, dass derAufenthalt für den Zeitraum der Ausbildung weiter gedul-det würde. Dies lehnte die Ausländerbehörde ab und teiltemit, dass Seymuz weiterhin mit einer Abschiebung rechnenmüsse.

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Europäische Menschenrechtskonvention, Art. 8 (1) Jedermann hat Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens.

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Durch die Einschaltung von Presse und Öffentlichkeit ge-lang es schließlich doch, für Seymuz eine Arbeitserlaubniszur Durchführung der Ausbildung als Maurer zu bekommen.Ob er diese Ausbildung auch abschließen kann, ist unge-wiss.

12. Die kurdisch-türkische Familie A.

Ende der 90er Jahre floh Herr A. mit seiner elfjährigen Toch-ter aus der Türkei nach Deutschland. Der Asylantrag der bei-den wurde abgelehnt. Frau A. konnte erst später fliehen. Siestellte ebenfalls einen Asylantrag. Im September 2003 wurdesie als Konventionsflüchtling anerkannt. Dies hatte allerdingskeine Aufenthaltsgenehmigung für ihren Mann zur Folge: Ererhielt lediglich eine Duldung. Ihre Tochter erhielt kurz vorihrem 18. Geburtstag eine Aufenthaltsbefugnis, zunächst be-fristet auf ein Jahr, damit sie ihre Ausbildung beenden konn-te.

Die Familie versuchte, sich mit einem Imbissstand eine Le-bensgrundlage aufzubauen, scheiterte jedoch. Somit ist siewieder auf Sozialhilfe angewiesen und der Aufenthalt für Va-ter und Tochter erneut gefährdet. Die Tochter befindet sichmittlerweile im dritten Ausbildungsjahr. Ihr droht der Abbruchihrer Ausbildung, sollte ihre Aufenthaltsbefugnis aufgrunddes Sozialhilfebezugs nicht verlängert werden. Trotz der ho-hen Arbeitslosigkeit, die in der Region Erzgebirge herrscht,hat Herr A. eine Arbeit in Aussicht, bekommt aber den Vertragerst, wenn er eine Arbeitserlaubnis vorweisen kann. Diesewiederum erhält er nur, wenn er eine Aufenthaltsbefugnisvorweisen kann.

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Familientrennung durch Abschiebung der Angehörigen von Kranken Krankheit stellt auch ein Abschiebungshindernis dar, wenn eine – manchmal lebensnotwendige – medizinischeBehandlung im Ziel- oder Herkunftsland nicht gewähr-leistet werden kann. So wird kranken Menschen zwar unter Umständen ein Abschiebungsschutz gewährt, beiihren Angehörigen setzen die Ausländerbehörden jedochdie Abschiebung in vielen Fällen durch.

13. Familie Gashi

Familie Gashi gelang im Jahr 1991 die Flucht aus dem Koso-vo nach Deutschland. Nachdem ihr Asylantrag abgelehntworden war, floh sie weiter nach Großbritannien, wo sie sichfünf Jahre lang ohne gültige Aufenthaltspapiere aufhielt, bissie im Herbst 2003 im Rahmen des Dubliner Übereinkommensnach Deutschland zurückgeschoben wurde.

Die sechsköpfige Familie sollte dann im Mai 2004 in dasKosovo abgeschoben werden. Am Tag vor der geplanten Ab-schiebung wurde der hierfür zuständigen Bezirksstelle fürAsyl in Reutlingen bekannt, dass sich die suizidgefährdetesechzehnjährige Tochter Elvira in stationärer Behandlung be-fand.

Dem Rechtsanwalt der Familie war vom Regierungspräsi-dium versichert worden, dass die Abschiebung gestopptwürde, wenn Atteste über die Suizidgefährdung von Tochterund Mutter vorgelegt werden könnten. Vorsorglich stellte derRechtsanwalt einen Eilantrag auf Unterlassung der Abschie-bung aufgrund der prekären gesundheitlichen Lage einigerFamilienmitglieder. Obwohl die entsprechenden Atteste um-gehend übermittelt wurden, führte das Regierungspräsidiumdie Abschiebung der Mutter mit drei Kindern durch, ohne denGerichtsbeschluss über den Eilantrag abzuwarten. Der Vaterund Tochter Elvira blieben zurück. Das Gericht gab dem Antrag des Rechtsanwalts schließlich statt und erklärte die Abschiebung nachträglich für rechtswidrig. Das Gericht be-

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gründete seine Entscheidung u.a. mit dem grundgesetzlichverbürgten Schutz von Ehe und Familie sowie den ärztlichenAttesten, aus denen hervorgehe, dass die erkrankte Tochterdringend auf die Nähe beider Eltern angewiesen sei. Außer-dem sei die Reisefähigkeit der ebenfalls suizidgefährdetenMutter nicht gegeben. Als diese Nachricht eintraf, saß dieMutter mit ihren Kindern jedoch bereits im Flugzeug.

In einer Pressemitteilung vom 1. Juni 2004 teilte das Re-gierungspräsidium Tübingen – der gerichtlichen Entschei-dung entsprechend – mit, »dass die abgeschobenen Mitglie-der der Familie Gashi aus humanitären Gründen vorläufigwieder einreisen dürfen, bis geklärt ist, ob die Behandlungder Tochter Elvira auch im Heimatland möglich ist.« Mit dervorläufigen Rückkehrerlaubnis wolle das Regierungspräsidi-um der Familie die Möglichkeit geben, bis zur Entscheidungüber Abschiebungshindernisse für die Tochter Elvira zusam-menzubleiben.

Im Juni 2004 wurde Frau Gashi und ihren Kindern tatsäch-lich die Wiedereinreise nach Deutschland gewährt. Die kran-ke Tochter, Elvira, befindet sich noch immer in stationärerpsychiatrischer Behandlung.

14. Familie L.

Das albanische Ehepaar L. flüchtete mit ihren vier Kindern vorden Repressalien der Serben aus dem Kosovo nach Deutsch-land: 1993 der Vater, zwei Jahre später die restliche Familie.Die Mutter ist durch die Kriegsgeschehen traumatisiert undleidet unter einer schweren Herzkrankheit.

Der Vater und die jetzt erwachsenen Kinder wurden vonihren Arbeitgebern und Lehrern in Stuttgart als gut integriertbeschrieben. Zwei der Kinder gingen Ende 2003 noch zurAbendschule, um Realschul- bzw. Gymnasialabschlüsse zumachen. Die anderen Familienmitglieder waren erwerbstätig,obwohl ihnen die Duldung den Zugang zum Arbeitsmarkt sehrerschwert hatte. Als einzige erhielt die 26-jährige Tochter A.durch eine Eheschließung einen Aufenthaltstitel in Deutsch-land.

In der Nacht vom 8. auf den 9. Oktober 2003 erschien diePolizei bei den L.s und erzwang in weniger als einer halben

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Stunde den Aufbruch zur Abschiebung vom Vater und dreiKindern, wie die Stuttgarter Zeitung vom 25. Februar 2004schreibt, »im Schlafanzug, in Hausschuhen und Handschel-len.« Einem Sohn gelang es, aus dem Fenster – und damit indie Illegalisierung – zu springen, die er nur ein paar Monateaushielt. Schließlich reiste er »freiwillig« zu seiner Familie indas Kosovo aus.

Die Hochzeit der zweiten Tochter mit ihrem deutschenFreund war bereits Anfang 2003 auf dem Standesamt ange-meldet worden. Ein Termin war den beiden jedoch bis zumZeitpunkt ihrer Abschiebung noch nicht mitgeteilt worden.Zwei Tage nach der Abschiebung folgte der Bräutigam sei-ner Braut in das Kosovo. Im November 2003 heirateten sie inDecan und hofften auf die Erlaubnis, gemeinsam wieder nachDeutschland einreisen zu dürfen.

In Deutschland haben sich die Angstzustände der Mutterdurch die Abschiebung der Familie weiter verschlimmert.

15. Familie P.

Herr und Frau P. und ihre drei erwachsenen Kinder sind Ko-sovo-Albaner aus Pristina, die 1992 als Bürgerkriegsflücht-linge nach Deutschland kamen. Sie stellten 1994 einen Asyl-antrag, welcher jedoch abgelehnt wurde. Herr P. leidet an einer gutachterlich bestätigten posttraumatischen Belas-tungsstörung.

Im Jahr 2000 kehrte er freiwillig in sein Herkunftslandzurück, um die Rückreise der anderen Familienmitglieder vor-zubereiten. 2002 erkrankte er an Kehlkopfkrebs und kehrtewieder in die Bundesrepublik zurück, weil er im Kosovo nichthätte behandelt werden können. Nach der im Jahr 2002 er-folgten Operation soll er sich regelmäßig zur Nachsorge imKrankenhaus vorstellen.

Am 23. April 2003 stellte Herr P. auf Basis ärztlicher Attesteerneut einen Antrag auf Feststellung von Abschiebungshin-dernissen. Der Antrag wurde im August 2003 abgelehnt.

Der Sohn H. leidet unter chronischen Atemwegserkran-kungen und an einer Zyste im Gehirn, die auf den Sehnervdrückt. Darüber hinaus ist er wegen einer psychotischen Er-krankung auch in nervenärztlicher Behandlung. Mitte März

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2004 befand er sich wegen Tuberkulose stationär in einerLungenfachklinik.

Die zuständige Ausländerbehörde ließ im Februar 2004 dieReisefähigkeit der Familie überprüfen. Alle Familienmitglie-der außer dem Sohn wurden vom Gesundheitsamt für reise-fähig erklärt.

Zur Zeit ist noch eine Petition für Familie P. beim Nieder-sächsischen Landtag anhängig.

Binationale EhenBei binationalen Ehen, also Ehen zwischen Personen unterschiedlicher Staatsangehörigkeit, bestehenbesondere Probleme. Eine getrennte Abschiebung in unterschiedliche Staaten kann die Folge haben, dass die Eheleute dauerhaft getrennt werden. Oftmals ist es schwierig bzw. unmöglich, die Familienzusammen-führung im Herkunftsland eines Ehepartners herzu-stellen.In einigen Fällen kommt es auch innerhalb Deutschlands zu einer Familientrennung aufgrund strikter Residenz-pflichtregelungen.

16. Familie Ferizi

Ragip Ferizi ist serbisch-montenegrischer Staatsangehörigerund lebt seit 1996 in Deutschland. Sein Asylantrag wurderechtskräftig abgelehnt. Seine Frau, Hatidja Ferizi, ist bosni-sche Staatsangehörige und kam vor zwölf Jahren als Bür-gerkriegsflüchtling nach Deutschland. Sie wurde 1998 unterAbschiebungsandrohung zur Ausreise aufgefordert.

Die Ferizis sind Roma. Sie heirateten 1999 in Deutschlandund haben inzwischen drei Kinder. Bis heute allerdings ist esihnen nicht gestattet, an einem gemeinsamen Ort zu wohnen.Herr Ferizi lebt in Neustadt am Rübenberge, Frau Ferizi unddie Kinder in Wölpinghausen, Landkreis Schaumburg. AlleAnträge auf Umverteilung wurden abgelehnt. Der Standpunkt

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der Behörden: »Die Bundesrepublik ist nicht verpflichtet,ausländische Ehegatten verschiedener Staatsangehörig-keiten, von denen keiner ein Bleiberecht in Deutschland hatund beide ausreisepflichtig sind, die Führung der ehelichenLebensgemeinschaft in Deutschland zu ermöglichen.«

Nach Auffassung der Ausländerbehörden sollte Herr Fe-rizi nach Serbien-Montenegro und Frau Ferizi mit den Kindernnach Bosnien-Herzegowina zurückkehren. Dort könnten siedann eine Familienzusammenführung betreiben.

Frau Ferizi wird noch in Deutschland geduldet, weil sie bis-lang keinen Pass erhalten hat. Auch Herr Ferizi ist ausreise-pflichtig, obwohl ein ärztliches und ein amtsärztliches Attestvorliegen, in denen ihm als Folge der Kriegserlebnisseschwere posttraumatische Belastungsstörungen, Depres-sionen und latente Suizidalität bescheinigt werden. Im Her-kunftsland, so ist einem Attest zu entnehmen, sei keine er-folgversprechende Behandlung zu erwarten. Eine Abschie-bung würde die Krankheit verschlimmern, ihn vital gefährdenund könne aus nervenärztlicher Sicht nicht verantwortetwerden. Herr Ferizi musste in der zweiten Hälfte 2003 zwei-mal in eine psychiatrische Klinik eingeliefert werden.

Bis April 2004 allerdings hat sich an der Absicht der Aus-länderbehörden, die beiden Eheleute getrennt zu behandelnund in unterschiedliche Länder abzuschieben, noch nichtsgeändert.

17. Familie Osman/Bengo

Wahid Osman ist Flüchtling aus dem Irak und lebt in Hanno-ver. Seine Frau Ruken Bengo ist Syrerin und lebt unfreiwilliggetrennt von ihrem Mann im Landkreis Ohrekreis (Sachsen-Anhalt). Ihr Antrag auf Umverteilung zu ihrem Ehemann nachHannover wurde mit der Begründung abgelehnt, sie besitzenach negativem Ausgang des Asylverfahrens nur eine Dul-dung und könne freiwillig nach Syrien ausreisen. Ihr Mannkönne dann dorthin nachkommen und in Syrien eine Aufent-haltsgenehmigung beantragen.

Nach der Geburt eines gemeinsamen Kindes am 8. De-zember 2003 erhielt Frau Bengo eine bis zum 3. Februar 2004befristete Erlaubnis, sich zu ihrem Ehemann nach Hannover

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zu begeben. Da die Stadt Hannover einer Umverteilung jedoch weiterhin nicht zustimmt, wurde Frau Bengo an-schließend aufgefordert, mit ihrem Kind in den Landkreis Ohrekreis zurückzugehen. Dieser Aufforderung kam FrauBengo nicht nach. Sie lebt zur Zeit ohne Erlaubnis bei ihremEhemann in Hannover. Die Ausländerbehörde verweist dar-auf, dass der Widerspruch gegen die Ablehnung des Umver-teilungsantrags vom Regierungspräsidium abgelehnt wurde,und droht damit, Frau Bengo zur Fahndung auszuschreiben.

Sofern die Ausländerbehörde Passpapiere für Frau Ben-go erhält, droht ihr die Abschiebung nach Syrien. Auch hierlautet die Bürokraten-Logik, die eheliche Lebensgemein-schaft könne durch einen freiwilligen Umzug von Wahid Osman in Syrien gelebt werden. Da auch der Landkreis Ohrekreis einem Umzug von Herrn Osman zu seiner Fraunicht zustimmen will, besteht für die Familie zur Zeit keineMöglichkeit, legal gemeinsam mit ihrem Kind im Bundesge-biet zu leben.

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Herausgegeber:

PRO ASYL, Bundesweite Arbeitsgemeinschaft für Flüchtlinge

Arbeitskreis Asyl Baden-Württemberg

Bayerischer Flüchtlingsrat

Flüchtlingsrat Berlin

Flüchtlingsrat Brandenburg

Verein Ökumenischer Ausländerarbeit im Lande Bremen

Flüchtlingsrat Hamburg

Hessischer Flüchtlingsrat

Flüchtlingsrat Mecklenburg-Vorpommern

Niedersächsischer Flüchtlingsrat

Flüchtlingsrat Nordrhein-Westfalen

Arbeitskreis Asyl Rheinland-Pfalz

Saarländischer Flüchtlingsrat

Flüchtlingsrat Sachsen-Anhalt

Sächsischer Flüchtlingsrat

Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein

Flüchtlingsrat Thüringen

Veröffentlicht im Dezember 2004

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