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Autoren, Diskutanten und Moderatoren: Heide Franken, André Habisch, Wolfram Hahn, Volker Hielscher, Franz-Josef Lersch-Mense, Herrmann Saterdag, Jörg Wiedemuth, Mark-Cliff Zofall Arbeitsmarkt-Fachtagung 2008 Heidelberg, 22. Oktober 2008 Gewinnorientierung und Arbeits- platzsicherheit - ein Widerspruch? Werte im Wandel der Zeit Hans-Peter Brömser (Hrsg.)

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Autoren, Diskutanten und Moderatoren:Heide Franken, André Habisch, Wolfram Hahn, VolkerHielscher, Franz-Josef Lersch-Mense, HerrmannSaterdag, Jörg Wiedemuth, Mark-Cliff Zofall

Arbeitsmarkt-Fachtagung 2008Heidelberg,22. Oktober 2008

Gewinnorientierung und Arbeits-platzsicherheit - ein Widerspruch?

Werte im Wandel der Zeit

Hans-Peter Brömser (Hrsg.)

Entwurf Cover Fachtagung 17.10.08:Cover Alltagsengel 27.11.2008 17:16 Seite 1

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Am 22.10.2008 fand bereits zum vierten Mal die Arbeitsmarktfachtagungder Randstad Stiftung statt. Unter Beteiligung vieler Experten ausWirtschaft, Verwaltung, Wissenschaft und Gesellschaft wurde die wichti-ge und aktuelle Frage diskutiert, wie sich Werte im Laufe der Zeit wandelnund ob Gewinnorientierung und Arbeitsplatzsicherheit heute nicht bereitseinen Widerspruch darstellen.

In der Diskussion über das richtige Verhältnis zwischen Sicherheit undFreiheit liegt nicht nur Konfliktpotenzial, sondern auch die Chance echtenund dauerhaften Fortschritts. Wenn wir über die Arbeitsplatzsicherheit inZeiten eines globalisierten Arbeitsmarktes sprechen, steht die Frage nachder Ausgewogenheit – und damit nach den richtigen Mitteln, ihrem Preisund der Nachhaltigkeit der gewählten Lösungen – im Mittelpunkt. Im Kerngeht es nicht mehr allein um Arbeitsplatzsicherheit, sondern umBeschäftigungssicherheit, um die Möglichkeit, selbst und situationsge-recht das Maß und den Grad der Beschäftigung in einem gesichertenRahmen zu bestimmen.

Das Pflegen einer werteorientierten Unternehmenskultur wird fürUnternehmen in Zukunft immer wichtiger. Das Entwickeln und Einhaltenethischer und sozialer Standards wird an Gewicht gewinnen und damitauch über die Rentabilität von Unternehmungen entscheiden, sowohlkundenseitig wie bei der Gewinnung und Betreuung von Personal. Dies isteines der Kernergebnisse der diesjährigen Arbeitsmarktfachtagung derRandstad Stiftung.

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Vorwort

Arbeitsmarktfachtagung:

„Werte im Wandel der Zeit Gewinnorientierung und Arbeitsplatzsicherheit -ein Widerspruch?”

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Heide Franken ist seit 2005 Vorstandsvorsitzende der Randstad Stiftung. Von1981 bis 1988 arbeitete sie als Direktorin privater Gymnasien in Nordrhein-Westfalen. Im Jahr 1988 startete ihre Karriere bei Randstad. Nach Stationenim Vertrieb, HR-Management, im internationalen Management in denNiederlanden, General Manager Schweiz und Managing Director HumanRessources der Randstad Division für High Potentials Yacht Europe ist sie seit2001 Mitglied der Geschäftsführung von Randstad Deutschland. Sie istVizepräsidentin und Vorstandsmitglied des Bundesverbandes Zeitarbeit (BZA)und Vorstandsmitglied des europäischen Zeitarbeitsverbands EURO CIETT.Darüber hinaus ist Heide Franken Vorstandsmitglied der Walter-Raymond-Stiftung. Im Senat des Bundesverbandes für Wirtschaftsförderung undAußenwirtschaft engagiert sie sich als Präsidentin.

Prof. Dr. André Habisch studierte zunächst Katholische Theologie undVolkswirtschaftslehre bevor er zum Dr. theol. promovierte. Von 1992 bis 1994war er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Wirtschafts- undUnternehmensethik, Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät Ingolstadt derKatholischen Universität Eichstätt. 1998 habilitierte er sich als Stipendiat derDeutschen Forschungsgemeinschaft im Fach Sozialethik an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg und erhielt einen Ruf auf die Professur fürChristliche Gesellschaftslehre an der Katholischen Universität Eichstätt. SeineForschungsschwerpunkte legte er auf Sozialkapitaltheorie, Gesellschaftspolitikund Wirtschafts- und Unternehmensethik. Habisch war Mitglied der Enquête-Kommissionen "Zukunft des bürgerschaftlichen Engagements" desDeutschen Bundestages und "Erziehung und Bildung in Thüringen" desThüringer Landtages. Habisch ist Berater im Zentralkomitee der deutschenKatholiken, wissenschaftlicher Berater des Bundes Katholischer Unternehmer(BKU), in der wissenschaftlichen Kommission "Impulse für Arbeit" (VEBA AG,Bistum Essen, Evangelische Kirche im Rheinland), im Kuratorium desStipendienwerkes Lateinamerika der Deutschen Katholiken, wissenschaftlicher

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Autorenverzeichnis

Autoren und Diskutanten

Heide Franken

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Auch in diesem Jahr durften wir eine ganze Reihe besonderer Gästebegrüßen, u.a. Franz-Josef Lersch-Mense (Beamteter Staatssekretär imBundesministerium für Arbeit und Soziales, Berlin), Prof. Dr. AndréHabisch (Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt), Jörg Wiedemuth,(Tarifpolitische Grundsatzabteilung Ver.di) sowie Mark-Cliff Zofall (LeiterBereich Gesamtstrategie SWA 1 der Bundesagentur für Arbeit inNürnberg).

Der vorliegende Reader liefert Ihnen einen Überblick der gesamtenVeranstaltung und gibt Ihnen die Möglichkeit die Vorträge der genanntenGäste und eine Zusammenfassung des Podiumsgesprächs im Einzelnennachzulesen und anhand der beiliegenden CD-Rom Eindrücke zu erhalten.

Heide Franken

Vorsitzende des Vorstands der Randstad Stiftung

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Autorenverzeichnis

Franz-Josef Lersch-Mense studierte Sozialwissenschaft und Germanistik inAachen bevor er 1977 seine erste Philologische Staatsprüfung absolvierte. Seinberuflicher Werdegang begann als Honoravertragsmitarbeiter in derPlanungsabteilung des Bundeskanzleramtes. Ab 1980 startete er seineKarriere als Referent in den Referaten „Politische Aspekte des ökonomischenWandels“ in der Planungsabteilung und „Fragen der Forschung undEntwicklung auf dem Gebiet der Kernenergie“ und „Umwelt-, Bevölkerungs-und Ressourcenprobleme“ in der Abteilung Innenpolitik des Bundeskanzler-amtes. Anschließend war Herr Lersch-Mense für 4 Jahre Referent imArbeitskreis „Umwelt und Energie“ der SPD-Bundestagsfraktion und persön-licher Referent der Arbeitskreisvorsitzenden. Von 1991 bis 1995 war erReferatsleiter für Umwelt, Raumordnung, Land- und Forstwirtschaft undLebensmittelüberwachung im Ministerium für Bundesangelegenheiten desLandes Nordrhein-Westfalen. 1995 bis 1998 war Herr Lersch-Mense Leiter derBund-Länder-Koordinierungsstelle der SPD-Bundestagsfraktion. Danach warer Staatssekretär und Bevollmächtigter des Saarlandes beim Bund, bevor erseine Tätigkeit beim Parteivorstand der SPD in Berlin aufnahm, wo er u.a.Leiter der Abteilung „Politik und Zielgruppen“ und Bundesgeschäftsführerwar. 2004 wechselte er zur Wehrbereichsverwaltung West in Düsseldorf undwar dort Präsident. Seit Dezember 2007 ist er Staatssekretär im Bundes-ministerium für Arbeit und Soziales.

Prof. Dr. Hermann Saterdag ist Beauftragter der LandesregierungRheinland-Pfalz für die Reform der Lehrerausbildung. Zuvor leitete er denFachbereich Arbeitsverwaltung der Fachhochschule des Bundes für öffentlicheVerwaltung in Mannheim als Direktor. Von 1988 bis 2000 war er Präsident derUniversität Koblenz-Landau. Seine wissenschaftliche Tätigkeit begann er alsAssistent in den Universitäten Düsseldorf und Saarbrücken. Bei InfratestWirtschaftsforschung, München, und beim Institut für Arbeitsmarkt- undBerufsforschung, Nürnberg, wo er von 1973 bis 1980 in der Arbeitsmarktfor-schung tätig war; sein Schwerpunkt war die Beziehung zwischen Bildungs-und Beschäftigungssystem.

Autorenverzeichnis

Koordinator im IFOK-Institut, Bensheim, und Gründungsdirektor des Centerfor Corporate Citizenship e.V., Ingolstadt sowie Mitglied der CSU–Grundsatzkommission.

Prof. Dr. Wolfram Hahn studierte Rechtswissenschaften,Volkswirtschaftslehre sowie Übersetzungswissenschaft und promovierte 1972zum Dr. jur. Einer Tätigkeit als Rechtsanwalt und als expert consultant beimEuroparat in Straßburg folgte 1974 der Eintritt in den Dienst des LandesBaden-Württemberg, zunächst als Justiziar der Technischen UniversitätStuttgart und dann als Dezernent der Universität Heidelberg für Bau- undPersonalangelegenheiten; 1978 wurde Wolfram Hahn an dasWissenschaftsministerium in Stuttgart berufen. Weitere Stationen waren dasStaatsministerium Baden-Württemberg, das Bundesministerium für Forschungund Technologie (BMFT), das Umweltministerium Baden-Württemberg undnach 1990 das Ministerium für Wirtschaft und Technologie Sachsen-Anhalt.Im Jahr 2000 wurde Wolfram Hahn vom Senat zum Rektor derFachhochschule Heidelberg gewählt und vom Träger, in Abstimmung mit demMinisterium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg,berufen; darüber hinaus übt er die Geschäftsführungsmandate der SRHHochschulen gemeinnützige GmbH und der SRH Fachhochschule Hammgemeinnützige GmbH aus.

Dr. Volker Hielscher begann seine berufliche Karriere mit einer Ausbildungzum Maschinenschlosser bei der Bremer Vulkan AG. Danach studierte erSozialwissenschaft, Psychologie und Politikwissenschaft an der UniversitätBremen das er 1995 als Diplom-Sozialwissenschaftler abschloss. Von 1996 –1999 hat er als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Wissenschaftszentrum Berlinfür Sozialforschung (WZB) im Forschungsschwerpunkt Technik-Arbeit-Umwelt, Abteilung Regulierung von Arbeit gearbeitet. 2005 promovierte erzum Dr. rer. pol. zum Thema „Flexible Arbeitszeitstrukturen und sozialeIntegration“. Von 2000 bis 2008 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter desInstituts für Sozialforschung und Sozialwirtschaft (iso) e.V. Saarbrücken. SeitSeptember 2008 hat er die Stiftungsprofessur Arbeitsökonomie,Personalberatung/-vermittlung und Personaldienstleistungen an der SRHHochschule Heidelberg inne.

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„Werte im Wandel der Zeit Gewinnorientierung und Arbeitsplatzsicherheit -ein Widerspruch?“

ab 9.30 Anreise, Ausgabe der Tagungsunterlagen

Moderation:Dr. Volker Hielscher, SRH Hochschule Heidelberg

10.00 – 10.30 Eröffnung und thematische EinführungProf. Dr. Wolfram Hahn, Rektor der SRHHochschule HeidelbergHeide Franken, Vorstandsvorsitzende der Randstad Stiftung

10.30 – 11.00 Wirtschaftliche Zwänge versus gesellschaftlicheVerantwortung - was können Unternehmen fürArbeitsplatzsicherung tun?Franz-Josef Lersch-Mense, Beamteter Staats-sekretär im Bundesministerium für Arbeit undSoziales, Berlin

11.00 – 11.45 Corporate Responsibility und PersonalverantwortungProf. Dr. André Habisch, Katholische UniversitätEichstätt-Ingolstadt

11.45 – 13.15 Mittagspause/Networking

Arbeitsmarkt-Fachtagung 2008

Tagungsprogramm

Autorenverzeichnis

Jörg Wiedemuth studierte nach seiner Berufsausbildung zumIndustriekaufmann an der Hochschule für Wirtschaft und Politik in Hamburgund absolvierte anschließend an der Universität in Marburg seinen Abschlusszum Diplom-Soziologen. 1985 bis 1989 war er wissenschaftlicher Mitarbeiteram Forschungsprojekt „Humane Arbeitszeitgestaltung im Einzel- undGroßhandel“. Herr Wiedemuth war ab 1989 als Gewerkschaftssekretär derGewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen in der AbteilungTarifpolitik tätig, bevor er 1998 Leiter der Abteilung Tarif- undUnternehmenspolitik wurde. Seit der ver.di Gründung 2001 ist erBereichsleiter der Tarifpolitischen Grundsatzabteilung. Seit 2003 ist er Mitgliedder Verhandlungsführung der DGB Tarifgemeinschaft Zeitarbeit.

Mark-Cliff Zofall ist Bereichsleiter in der Zentrale der Bundesagentur fürArbeit für Strategie, Weiterentwicklung und Arbeitsmarkt. Zuvor leitete er denBereich Verfahrensumsetzung in der Zentrale der BA. Er begann seinen beruf-lichen Weg in der Bundesagentur für Arbeit als Arbeitsvermittler im Jahr 1987und hat seitdem verschiedene Funktionen innerhalb der BA in Agenturen fürArbeit und der Zentrale ausgeübt.

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Vorwort I

Autorenverzeichnis III

Tagungsprogramm VII

Inhaltsverzeichnis IX

Heide Franken, Eröffnung und thematische Einführung 1

Franz-Josef Lersch-Mense, Wirtschaftliche Zwänge versus gesellschaftliche Verantwortung – was können Unternehmen für Arbeitsplatzsicherung tun? 8

Prof. Dr. André Habisch, Corporate Responsibility und Personalverantwortung 15

Jörg Wiedemuth, Die Menschenwürde im Arbeitsverhältnis und die Debatteum den Mindestlohn 33

Mark-Cliff Zofall, Mit Prävention zu mehr Sicherheit und Flexibilität – innovative Anstöße aus dem Bereich der Arbeitslosen- versicherung 47

Podiumsgespräch, Wertewandel kommt in Gang 52

CD im Umschlag: Aufzeichnung der Arbeitsmarktfachtagung

Inhaltsverzeichnis

Tagungsprogramm

13.15 – 13.45 Die Menschenwürde im Arbeitsverhältnis und die Debatte um den MindestlohnJörg Wiedemuth, Tarifpolitische GrundsatzabteilungVer.di

13.45 – 14.15 Mit Prävention zu mehr Sicherheit und Flexibilität - innovative Anstöße aus dem Bereich der Arbeitslosen-versicherungMark-Cliff Zofall, Leiter Bereich GesamtstrategieSWA1, Bundesagentur für Arbeit Nürnberg

14.15 – 14.45 Kaffeepause/Fragensammlung für das Podiums-gespräch

14.45 – 15.45 Podiumsgespräch

Moderation:Prof. Dr. Hermann Saterdag, Regierungs-beauftragter, Landesregierung Rheinland-Pfalz

Teilnehmer:Prof. Dr. André Habisch, Katholische UniversitätEichstätt-Ingolstadt, Mark-Cliff Zofall, Bundesagentur für Arbeit Nürnberg,Jörg Wiedmuth, Ver.di

15.45 – 16.00 Zusammenfassung und AbschlussDr. Volker Hielscher, SRH Hochschule Heidelberg

VIII IX

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Mit den Arbeitsmarktfachtagungen beleuchtet die Randstad StiftungThemen, die den Arbeitsmarkt der Gegenwart begleiten und die denArbeitsmarkt der Zukunft prägen werden. Im folgenden wird der Rahmenund die Schwerpunkte der Tagung „Werte im Wandel der Zeit –Gewinnorientierung und Arbeitsplatzsicherheit – ein Widerspruch“ kurzumrissen.

Lissabon-Strategie

Im März des Jahres 2000 haben die europäischen Staats- undRegierungschefs auf einem Sondergipfel ein ehrgeiziges Programm verab-schiedet. Ein Programm, das zum Ziel hat die EU bis 2010 zum wettbe-werbsfähigsten und dynamischsten Wirtschaftsraum der Welt zu machen.

Mit der so genannten „Lissabon-Strategie“ einigte man sich darüber,Produktivität und Innovationsgeschwindigkeit in der EU durch verschiede-ne politische Maßnahmen zu erhöhen. Damals waren Japan und insbeson-dere die Vereinigten Staaten die Vorbilder bzw. der Benchmark.

Das Programm sollte wirtschaftliche, soziale und ökologische Erneuerungund Nachhaltigkeit schaffen:

• Innovation als Motor für mehr Wirtschaftswachstum

• Förderung der Wissensgesellschaft

• Soziale Angleichung und ein erweitertes Umweltbewusstsein

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Heide Franken

Eröffnung und thematische EinführungZusammenfasung

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die Chance eines echten Fortschrittes für die Menschheit und ihrVerhältnis zur Natur.

Wenn wir über Arbeitsplatzsicherheit in Zeiten eines globalisiertenArbeitsmarktes sprechen, steht die Frage nach der Ausgewogenheit - unddamit die Frage nach den „richtigen Mitteln“, ihrem Preis und derNachhaltigkeit der gewählten Lösungen - im Mittelpunkt.

Unsere Stichworte sind hier die Internationalisierung der Arbeitsmärkte,der demografische Wandel und der technische Fortschritt, ein verändertesRollen- und Familienbild, und das Bedürfnis nach persönlicher Freiheit undFlexibilität.

Beschäftigungssicherung

Die gute Entwicklung der Arbeitslosenzahlen in den letzten Jahren ist einErgebnis, auf das alle Beteiligten zu Recht stolz sein können. Die gleichzei-tig entstandenen Veränderungen der Arbeitsplatzbeschaffenheit hinsicht-lich der Perspektiven, der Entlohnung und der Dauer – StichwortFlexibilität – verursachen manchen Unbehagen und stellen eine großeHerausforderung an uns alle, die neuen Modelle begrifflich und praktischzu definieren.

Flexibilität ist nicht nur ein Wunsch der Unternehmen. Sie liegt auch imInteresse und ist ausdrücklicher Wunsch auf Arbeitnehmerseite. Geradewas Bildungs- oder Erziehungszeiten angeht, wünschen sich vieleArbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bessere und anpassungsfähigereMöglichkeiten für mehr Zeitautonomie. Auch in den Übergängen inner-halb des Arbeitslebens – von Arbeitsstelle zu Arbeitsstelle, beim Wechselvon Vollzeit in Teilzeit, oder beim Übergang von der Familienphase zurückin die Arbeit – erwarten die Menschen heute einen breitenEntscheidungsrahmen. Dieser muss heute nicht immer nur in einemBetrieb angesiedelt sein.

Eröffnung und thematische Einführung

Flexicurity

Die Umsetzung dieser Ziele wurde im sozialpolitischen Bereich durch denEuropäischen Rat im Dezember 2000 als Europäische Sozialagenda verab-schiedet. In der Folge sprach man – was die Arbeitsmarktpolitik anbelangt– über „Flexicurity“. Die Aufgabe war also, Flexibilität am Arbeitsmarkt mitder Sicherheit für die Beschäftigten zu kombinieren.

Beides in Einklang zu bringen, ist keine neue Herausforderung, auch wenndie Begrifflichkeit neu ist. Die Herausforderung ist, den Wandel und dieVeränderung am Arbeitsmarkt konstruktiv zu gestalten und gleichzeitigein größtmögliches Maß an Sicherheit zu erreichen. Denn jede echteInnovation wirkt erst einmal destabilisierend, bevor sie sich selbst festgegründet hat. Sie fordert die Aufgabe von bekannten Strukturen und voneingespielten Prozessen zu Gunsten von Lösungen, die sich noch durchAnpassungen und Korrekturen etablieren müssen. Innovationen verlangenRisikobewusstsein und Vorsicht, Geduld für ihre Früchte undEntschlossenheit gegenüber ihren Auswüchsen.

Sicherheit vs. Freiheit

Über das richtige Verhältnis von Sicherheit und Freiheit diskutierenPhilosophen seit Jahrhunderten. Manche sagen: „Zu viel Sicherheit zer-stört die Freiheit, macht den Menschen träge und unaufmerksam.“Andere wenden zu Recht ein, dass Sicherheit erst die Grundlage bietet,um Freiheit zu leben.

Das richtige Maß ist wohl nur in der Auseinandersetzung zwischenUmweltfaktoren und den Bedürfnissen von Individuen, Familien undGesellschaften zu suchen. Es entsteht aus dem Zugang zu den Ressourcenund ihrer Verteilung und bedarf regelmäßiger Anpassung. Radikal verän-derte Bedingungen verlangen nach radikal neuen Lösungen. Der Abschiedvon der Vergangenheit ist oftmals schmerzhaft und macht Angst. Der not-wendige Schritt in die Zukunft birgt Ungewisses und Gefahren. Aber auch

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bereits Anfang der 50er Jahre die Ansicht, das Recht der Unternehmen dieGesellschaft mit zu gestalten, sei mit Pflichten verbunden. Man kannsagen, das war die Geburt des CSR-Gedanken. Die Ansprüche undErwartungen aller Stakeholder partnerschaftlich zu berücksichtigen, ist dasAnliegen eines „Europäischen Bündnisses für soziale Verantwortung derUnternehmen“, das von der Europäischen Kommission 2006 an alleUnternehmen gerichtet wurde. Stakeholder sind hier alle Menschen,Organisationen und Institutionen, deren soziale, ökonomische und ökolo-gischen Belange von den Aktivitäten des Unternehmens betroffen sind.Also die Öffentlichkeit selbst.

Der CSR-Gedanke bringt ein integriertes Unternehmenskonzept zumAusdruck, das alle "sozialen, ökologischen und ökonomischen Beiträgeeines Unternehmens zur freiwilligen Übernahme gesellschaftlicherVerantwortung, die über die Einhaltung gesetzlicher Bestimmungen hin-ausgehen“ beinhaltet.

Nicht zuletzt angesichts der aktuellen Ereignisse im Immobilien- undBankensektor, trifft die vom Philosophen des Liberalismus Adam Smithempirisch belegte Annahme, das egoistische Streben nach dem persönli-chen Vorteil fördere quasi automatisch das Allgemeinwohl, anscheinendnicht mehr zu.

Smith vertraute der menschlichen Natur und glaubte, auch der größteEgoist würde unbewusst für das Wohl seiner nahe stehendenMitmenschen aufkommen. Was er der Verkettung glücklicher Unständeüberließ, muss heute der Notwendigkeit Platz machen, seitens derUnternehmen, aktiv und verantwortungsbewusst in die Gestaltung derUmwelt- und Lebensbedingungen ein zu greifen. Dabei geht es um ethi-sche Verantwortung, aber auch um Eigennutz: denn eine in ihrenKonsequenzen ungeprüften Gewinnmaximierung erweist sich nicht nurals moralisch fragwürdig, sie kann offensichtlich kein Leitprinzip fürNachhaltigkeit und dauerhaften Erfolg sein. Genau das aber brauchenwir!

Unter CSR wollen wir unseren Beitrag verstehen, wie wir in weiser

Eröffnung und thematische Einführung

Im Kern geht es also nicht mehr um den Begriff der Arbeitsplatzsicherheit.Es geht viel mehr um die Beschäftigungssicherheit, um die Möglichkeit,selbst und situationsgerecht das Maß und den Grad der Beschäftigung ineinem gesicherten Rahmen zu bestimmen.

Wirtschaftliche Zwänge der Unternehmen

Daraus ergibt sich oftmals ein Spannungsfeld: DerBeschäftigungssicherheit stehen wirtschaftliche Zwänge der Unternehmengegenüber. Auf der einen Seite die Wünsche und Forderungen derArbeitnehmer, auf der anderen Seite steigender Kostendruck,Erwartungen an höhere Margen und Renditen, ein immens hoherWettbewerbsdruck sowohl im regionalen, nationalen wie auch im globa-len Kontext. Und als aktuelles und dringliches Problem die Auswirkungender Finanzkrise, die wir in den vergangenen Wochen und Monaten erlebthaben und vermutlich auch noch einige Zeit erleben müssen.

Unternehmen wollen zu Recht flexibel auf die Rahmenbedingungen rea-gieren können. Sie müssen es auch, wenn sie weiterhin als Garant fürBeschäftigung dienen wollen und sollen.

Die Diskussion um Sicherheit und Flexibilisierung ist also auch gleichzeitigeine Diskussion um das Verhältnis zwischen Shareholdern undStakeholdern.

Verantwortung der Unternehmen

Wie weit geht die Verantwortung eines Unternehmens, beispielsweise fürArbeitsplätze, die es einmal geschaffen hat?

Die politische und gesellschaftliche Relevanz unternehmerischen Handelnsist wahrhaftig kein neues Thema. Mit seinem Buch "Social Responsibilitiesof the Businessman" vertrat der Wirtschaftexperte Howard R. Bowen

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Debatte um Mindestlohn

Ähnliches gilt für die Frage nach der gerechten Entlohnung und die darangeknüpfte Debatte um den Mindestlohn. Klar ist: Wer arbeitet, der mussdavon sein Leben finanzieren können. Das hat etwas mit Respekt und mitMenschenwürde zu tun.

Fällt die Antwort auf die Frage nach der Höhe eines gerechten, würdigenLohns, je nach Branche unterschiedlich aus, oder brauchen wir einSicherheitsnetz, eine allgemein gültige Größe, die nicht unterschrittenwerden darf?

Widerspricht ein genereller Mindestlohn der Forderung nach mehrFlexibilität und mehr Leistungsfähigkeit, so wie sie in der Lissabon-Strategie festgehalten wurde?

Sind die Anforderungen des globalisierten Marktes und die Interessen derInvestoren auf den Finanzmärkten allein die für die Preisbildung amArbeitsmarkt maßgeblichen Größen? Und obliegt es dem Staat die entste-hende Kluft zur Finanzierung des Lebens eines arbeitenden Menschen zufüllen?

Kreativität und guter Wille sind hier von allen Verantwortlichen gefragt,gepaart mit der Weitsicht, die langfristig tragfähige Lösungen zur Weltbringt.

Verschiedene Blickwinkel

Auf der Arbeitsmarktfachtagung 2008 diskutieren wir überBeschäftigungssicherheit in Zeiten des globalisierten Arbeitsmarktes ausverschiedenen Blickwinkeln der Gewerkschaft, Politik, Arbeitsverwaltungund Wissenschaft.

Eröffnung und thematische Einführung

Voraussicht die Bedingungen für eine gute Zukunft bereitstellen. Praktischheißt es, dort wo wir tätig sind, mit den Ressourcen, die uns zurVerfügung stehen, für eine, dem stattfindenden Wandel angemesseneKontinuität Sorge zu tragen: Eine diffizile – und doch lösbare Aufgabe,den Fortschritt wieder ganz in den Dienst des Menschen und seinesStrebens nach Glück zu stellen.

Erklärte Aufgabe der Randstad Stiftung ist es, ausgehend von der aktuel-len Situation auf die möglichen Entwicklungen im Arbeitsmarkt derZukunft zu schauen und darin auf Chancen und Alternativen rechtzeitighin zu weisen.

Der DGB veröffentlicht (in diesem Zusammenhang) den Index „GuteArbeit.“ Der Befund für 2008: Nur 13 % der Beschäftigten bewerten ihreArbeit als gute Arbeit, hingegen 32 % als Schlechte. Aber er fügt hinzu,dass es umfassende Entwicklungsmöglichkeiten hin zu guter Arbeit, hin zumehr Qualität gibt.

Wenn es um die Quantität der Arbeitsplätze geht scheiden sich dieGeister. Darf ein Unternehmen beispielsweise Arbeitsplätze abbauen,auch wenn es gute Ergebnisse und Gewinne erwirtschaftet? Was hatVorrang: Beschäftigungssicherung oder Sicherung der langfristigenWettbewerbsfähigkeit und somit die Sicherung des Gesamtunterneh-mens? Wo beginnt, und wo endet die gesellschaftliche Verantwortungvon Unternehmen? Und wer definiert sie?

Hier zeigt sich, dass sich die Interessengegensätze zwischen Arbeitgebernund Arbeitnehmern nicht so einfach lösen lassen.

Heide Franken

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zukunftsfähig. Immer mehr Unternehmen stellen sich ihrer gesellschaftli-chen Verantwortung ohne durch Gesetzte dazu verpflichtet zu werdenund über vorhandene gesetzliche Verpflichtungen hinaus.

Erfolg durch Corporate Social Responsibiltiy (CSR)

Corporate Social Responsibility (CSR) gewinnt vor dem Hintergrund derGlobalisierung national und international zunehmend an Bedeutung. BeiCSR geht es um Unternehmen, die „aus Überzeugung ihr Kerngeschäftnach besseren Regeln gestalten. Sie behandeln ihre Beschäftigten anstän-dig, zahlen vernünftige Löhne, beteiligen Belegschaften am Gewinn odergehen sorgsam mit den natürlichen Ressourcen um“1. Die klassischenUnternehmertugenden – vernünftig und verantwortlich zu wirtschaften,mit dem Blick auf einen nachhaltigen und stabilen Unternehmenserfolg –erhalten wieder mehr Geltung. Der wirtschaftliche Erfolg desUnternehmens wird mit den Interessen der Arbeitnehmerinnen undArbeitnehmer und der Umwelt in Einklang gebracht. Die Wahrnehmunggesellschaftlicher Verantwortung durch Unternehmen schließtGewinnorientierung nur dann aus, wenn diese ausschließlich kurzfristigausgerichtet ist. CSR kann Unternehmen dabei helfen, eine langfristigeErfolgsperspektive zu entwickeln – und liegt damit im wohlverstandenenEigeninteresse der Wirtschaft.

Klares Verständnis von gesellschaftlicher Verantwortung

CSR steht für ein neues Zusammenspiel zwischen Wirtschaft, Gesellschaftund Politik. Das Konzept CSR erweitert den Ordnungsrahmen der sozialenMarktwirtschaft. Es geht nicht mehr um primär staatliche Rahmensetzung,sondern darum, die unternehmerische Perspektive zu erweitern, über denTellerrand des wirtschaftlichen Erfolges hinauszuschauen, Verantwortungfür die Gesellschaft, Umwelt und die natürlichen Ressourcen und über dieeigene Gesellschaft hinaus für die globale Entwicklung zu übernehmen.

Wirtschaftliche Zwänge versus gesellschaftliche Verantwortung

Franz-Josef Lersch-Mense

Wirtschaftliche Zwänge versus gesell-schaftliche Verantwortung – was kön-nen Unternehmen für Arbeitsplatz-sicherung tun?

Gewinnorientierung und Arbeitsplatzsicherheit – ein Widerspruch

In der Regel werden Güter und Dienstleistungen nicht aus Altruismus pro-duziert, sondern um Gewinne zu erzielen. Würde die Absicht Gewinne zuerzielen wegfallen, wären auch Arbeitsplätze nicht mehr sicher. Diesebetriebswirtschaftliche Regel konnte in den letzten Jahren auch volkswirt-schaftlich beobachtet werden. Erfolgreiche Unternehmen schafftenArbeitsplätze, und es fand ein Abbau von Arbeitslosigkeit statt. Reicht dieeinfache Formel „die Gewinne von heute sind die Arbeitsplätze von mor-gen“ aus, wenn es darum geht, diese Beschäftigung langfristig und nach-haltig zu sichern?

Ausschließliche Gewinnorientierung

Die Ereignisse der letzten Wochen zeigen, dass die ausschließlicheOrientierung auf möglichst schnelle und möglichst hohe Gewinne auchfür die Sicherheit der Arbeitsplätze fatale Folgen haben kann. Laut derInternational Labour Organization (ILO) drohen 20 Millionen Arbeitsplätzedurch die Finanzkrise weltweit verloren zu gehen. Die reineGewinnorientierung muss durch weitere Unternehmensziele ergänzt wer-den, die sicherstellen, dass unternehmerisches Handeln in einer Formstattfindet, die gesellschaftlich verantwortbar ist, um nachhaltigeBeschäftigung zu sichern.

Der Markt alleine kann nicht für die soziale Eingrenzung desGewinnstrebens sorgen. Deshalb ist nur eine soziale Marktwirtschaft

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1 Hannes Koch: Soziale Kapitalisten. Vorbilder für eine gerechte Wirtschaft, RotbuchVerlag; Auflage 1 (November 2007).

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CSR ist selbstverständlich zu Recht freiwillig. Das bedeutet aber nicht, dasses beliebig werden darf, auch im Interesse der Unternehmen selbst. Dennoftmals wird über sinnvolles Engagement von den Medien nicht mehrberichtet, weil es als bloße Unternehmens-PR wahrgenommen wird.Daraus kann eine Gefahr für CSR entstehen. Es werden deshalb Kriterienund Transparenz benötigt. Hier kann die Politik helfen.

Aufgaben der Politik

Politik kann den CSR-Prozess nicht nur sich selbst überlassen, ihn aberauch nicht überregulieren. Die Aufgabe der Politik liegt in zwei Bereichen.Auf der einen Seite muss sie Unternehmen unterstützen, Verantwortungzu übernehmen. Auf der anderen Seite muss sie die Gesellschaft unter-stützen, richtig und verlässlich informiert zu werden und Anforderungenartikulieren zu können. Die Aufgabe der Politik ist das Aufzeigen mögli-cher Handlungsfelder, kenntlich zu machen, wo Engagement Sinn machtund verantwortungsbewusste Unternehmen zu loben und zu stärken.Politik kann einen Rahmen setzen und Orientierung bieten – im Rahmendes Sets von Werten, das jede Gesellschaft hat. Sie kann eineModeratoren- und Vermittlerrolle einnehmen, beispielsweise im Dialogzwischen Unternehmen und Nichtregierungsorganisationen. Sie kann undsollte Vorbild sein – beispielsweise bei der öffentlichen Beschaffung – undkann Unternehmen helfen, Verantwortung zu übernehmen – beispielswei-se durch Schulungen, öffentliche Anerkennung oder Netzwerke.

Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat den Auftrag, als feder-führendes Ministerium der Bundesregierung eine nationale CSR-Strategiezu entwickeln. Das Ziel ist, das deutsche CSR-Profil durch eine nationaleStrategie im In- und Ausland zu schärfen, denn es ist wichtig, die vielfälti-gen CSR-Aktivitäten zu bündeln, zu fördern und in der breiten Öffentlich-keit besser sichtbar zu machen.

Die nationale Strategie soll gemeinsam mit allen Interessengruppen ent-wickelt werden. Aus diesem Grund wird noch im Jahr 2008 ein CSR-Forum einberufen, das den Dialog mit den Stakeholdern, also denVerbänden, Gewerkschaften, Wissenschaftlern, Stiftungen undWirtschaftverbänden organisieren wird.

Wirtschaftliche Zwänge versus gesellschaftliche Verantwortung

Konkret geht es dabei um Umweltschutzmaßnahmen, Achtung vonMenschenrechten bei Zulieferern weltweit, faire Löhne, innovativerArbeitsplatzgestaltung und Qualifizierung. Gerade auch in derZeitarbeitsbranche ist diese Verantwortung wichtig. Beim Wettbewerb„Beschäftigung gestalten – Unternehmen zeigen Verantwortung“ werdengute Modelle prämiert. Dieses Jahr war Randstad Deutschland einer derPreisträger. Das Unternehmen wurde prämiert für ein einfachesQualifizierungsmodell, das Beschäftigungsfähigkeit durch „Lernen imJob” verbessert. Ein gutes Beispiel dafür, wie der einzelne Arbeitnehmerund seine Chancen in den Mittelpunkt gestellt werden können.

Folgende Grundlage gilt jedoch für alle CSR-Aktivitäten: Die Unternehmentun mehr als die gesetzlichen Vorgaben verlangen. Sie erschließen undnutzen zusätzliche Potenziale für Gesellschaft und Umwelt. CSR ersetztkeine rechtlichen Regelungen, ist freiwillig und sollen es auch bleiben.

Verbraucher, die Engagement einfordern

Typisch für CSR ist, dass neue Akteure das Spielfeld betreten, die mehroder weniger als Interessengruppen organisiert sind und eine kritischeÖffentlichkeit bilden. Weil die Freiwilligkeit bei CSR konstitutiv ist, brauchtes eine solche kritische und informierte Öffentlichkeit, welche dieSelbstverpflichtung und das Engagement von Unternehmen im Augebehält und die dieses Engagement über die Kaufentscheidung derVerbraucher honoriert. Kunden fordern von Unternehmen gesellschaftli-che Verantwortung, indem sie sich beispielweise gegen eine bestimmteHandymarke entscheiden oder bei einer bestimmten Diskounterkette nichtmehr einkaufen. Die Verbraucher sind zunehmend bereit, mehr Geld fürverantwortlich produzierte Produkte auszugeben. Noch sind sie eineMinderheit, aber es werden mehr.

Ob man es den Lifestyle of Health and Sustainability (LOHAS) nennt oderstrategischen Konsum oder einfach nur verantwortungsbewusstesVerbraucherverhalten – dieser Faktor wird an Einfluss auf Entscheidungender Unternehmen gewinnen – auch wenn sicher nicht alle künftig Öko-Autos kaufen und nur fair gehandelten Kaffee trinken werden. Das funk-tioniert nur dann, wenn die Verbraucher gelebte Verantwortung einesUnternehmens auch erkennen und bewerten können.

Franz-Josef Lersch-Mense

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Doch da in Deutschland wenig zählt, was nicht wissenschaftlich bewiesenist, hat das BMAS das kürzlich genau untersuchen lassen. Die weltweitgrößte repräsentative Studie zum Thema „Unternehmenskultur,Arbeitsqualität und Mitarbeiterengagement“2 belegt eindrucksvoll: DieHöhe des Unternehmensgewinns hängt fast zu einem Drittel von derZufriedenheit der Beschäftigten ab. Die Schlussfolgerung daraus ist: Uminternational wettbewerbsfähig zu bleiben, brauchen wir nicht nurInvestitionen in Technik, sondern auch und gerade Investitionen in dieQualifizierung, Zufriedenheit und Gesundheit der Beschäftigten.

Es gehört zur Verantwortung der Unternehmen, ihren Mitarbeiterinnenund Mitarbeitern Qualifizierungen über die unmittelbar eigenen Unter-nehmensinteressen hinaus zu ermöglichen. Mittelfristig zahlt sich dieseStrategie aus. Wer heute lautstark über Fachkräftemangel klagt, der klagtauch über eigene Versäumnisse in der Qualifizierung und Weiterbildung.Hier liegt eine weites Feld, das auch im Rahmen von CSR beackert werdenkann3. Das gilt umso mehr vor dem Hintergrund des demografischenWandels. Unternehmen müssen sich auf älter werdende Belegschafteneinstellen, um weiter am Weltmarkt konkurrenzfähig zu sein. Denn hinterjeder Spitzentechnologie stehen motivierte und kreative Mitarbeiterinnenund Mitarbeiter, die sie entwickelt haben und dann auch zur Anwendungbringen. Auch die Qualität von Dienstleistungen steht und fällt mit demEngagement derjenigen, die sie erbringen.

Die guten und sicheren Arbeitsplätze von heute sind die Gewinne vonmorgen. Es ist deshalb betriebswirtschaftlich sinnvoll, in Gute Arbeit zuinvestieren. Es hat aber auch volkswirtschaftlich eine herausragende stra-tegische Bedeutung. Es geht um die Säulen des deutschen Erfolgsmodells.Deutschland ist stark in der diversifizierten Qualitätsproduktion. DasWissen und Können der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist dieVoraussetzung dafür, dass Deutschland diese Stärke auch in Zukunft aus-spielen kann. Und weil der Wettbewerb um die jungen und qualifiziertenKräfte zunehmen wird, ist es notwendig, die qualifizierten und erfahrenenArbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer möglichst im Betrieb zu halten,

Wirtschaftliche Zwänge versus gesellschaftliche Verantwortung

Verantwortungsbewusste Unternehmen

Vor allem braucht CSR Unternehmerinnen und Unternehmer, die es erstmeinen. Immer mehr Unternehmen erkennen, dass es gut für Gesellschaftund Unternehmen ist, wenn sie sich selbst auf die Einhaltung ethischer,sozialer und ökologischer Kriterien verpflichten. Denn die Übernahme vongesellschaftlicher Verantwortung wird zunehmend zum Wettbewerbsfak-tor für Unternehmen. CSR trägt langfristig erheblich zu Kostenein-sparungen und zu höherer Mitarbeiter- und Kundenzufriedenheit bei.Auch für Investoren spielen das soziale und ökologische Verhalten einesUnternehmens eine immer wichtigere Rolle bei der Frage, ob sie dort kau-fen oder investieren wollen.

Ob ein Unternehmen es ernst meint oder nicht – dazu fehlt uns noch eineindeutiges Set von Kriterien. Aber es gibt durchaus Indikatoren dafür.Beispielsweise

• die Einhaltung wichtiger internationaler Standards wie zum Beispiel die Kernarbeitsnormen der ILO oder Standards zur Sicherung der natürlichen Ressourcen

• die Dialoge mit Nichtregierungsorganisationen und Zusammen-arbeit mit Stakeholdern, um Transparenz für alle herzustellen

• regelmäßige Publikationen von Nachhaltigkeitsberichten (non-financial reporting)

• Mitgliedschaft in den Netzwerken wie dem UN Global Compact oder Branchennetzwerken, um Ideen für Engagement zu sammelnund aus Fehlern zu lernen

• die Listung in Nachhaltigkeitsindizes

Soziale Verantwortung als Kern von Corporate SocialResponsibility

Ein fairer Umgang mit den Beschäftigten ist ein Element von Guter Arbeit.Gute Arbeit, das heißt Engagement, Motivation, Gesundheit undZufriedenheit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu fördern. GuteArbeit ist ein Schlüssel zum Unternehmenserfolg. VerantwortungsvolleUnternehmer und Personalverantwortliche wissen das schon lange –Betriebs- und Personalräte auch.

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2 psychonomics AG in Kooperation mit dem Institut für Wirtschafts- und Sozialforschung derUniversität zu Köln, 2007.

3 Anzahl der Teilnehmenden an betrieblichen Weiterbildungskursen im Jahr 2005: Deutschland30%, Tschechische Republik 59 %, Griechenland 14 %.

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ihnen alters- und alternsgerechtes Arbeiten zu ermöglichen. Auch hier hatDeutschland Nachholbedarf.

Zu Guter Arbeit gehört auch, dass sie fair bezahlt wird.Verantwortungsvolle Unternehmen setzen zu Recht auf Qualität und nichtauf Lohndumping. Zur Zeit wird in der Koalition über den Antrag derZeitarbeitsbranche, in den Anwendungsbereich des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes aufgenommen zu werden, gesprochen. Im Ergebnisgeht es um den Mindestlohn für die Zeitarbeitsbranche.

Fragt man weltweit tätige Unternehmen nach den attraktivstenStandorten, dann liegt Deutschland in Europa an erster Stelle. Wir könnenstolz darauf sein, dass wir eine gute Balance gefunden haben zwischenWettbewerbsfähigkeit und sozialer Absicherung. Deutschland ist stark,weil und nicht obwohl wir Sozialstaat sind. Der soziale Friede der darauserwächst, ist als Standortfaktor gar nicht hoch genug einzuschätzen. DieVerantwortung, die viele Unternehmen hier übernehmen – und welchedie Gesellschaft auch zurecht einfordert – gehört dazu. Unter diesemLabel stehen die Aktivitäten, die das BMAS im Bereich CSR übernimmt.

Gewinnorientierung bleibt dabei unverzichtbar, aber sie darf nicht absolutgesetzt werden, sondern muss sich einordnen in gesellschaftlich und glo-bal verantwortbares Handeln. Nur Unternehmen, die eineUnternehmensphilosophie haben, die nachhaltig sozial verantwortlich undan einem verallgemeinbaren Leitbild orientiert wirtschaften und sich daranmessen lassen, sind zukunftsfähig. Nur solche Unternehmen schaffennachhaltig sichere Arbeitsplätze. Die Politik ist aufgerufen, diesen Prozesszu unterstützen.

Wer echte Unternehmenswerte hat und diese ernst nimmt, kann, soll undwird dann auch nachhaltige Gewinne machen und shareholder und stake-holder glücklich machen oder zumindest zufrieden stellen.

Es ist wünschenswert, dass diese Herausforderung von allen Beteiligten,den Unternehmen, den Verbrauchern, den Sozialpartnern und auch derPolitik kreativ und konstruktiv angegangen wird – und dass alle gemein-sam auf diesem Weg die Welt ein Stück lebenswerter machen.

4 13 % aller Erwerbstätigen sind 55-64 Jahre, Beschäftigungsquoten der Ältern steigen an. InDeutschland liegen sie bei 45,4 % (eurostat,2005) – 2010 muß lt. EU-Vorgaben 50 % erreichtsein.

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Was hat der Mindestlohn, d.h. der Lohn, der in einem Arbeitsverhältnismindestens gezahlt werden muss mit Menschenwürde zu tun?

Ist Menschenwürde nicht eher eine philosophische Kategorie, die etwasmit abstrakten Werten wie Freiheit, dem Verbot der Unterdrückung, derGleichheit vor dem Gesetz, dem Verbot von Folter und dem Verbot derUngleichbehandlung aufgrund der Zugehörigkeit zu einer bestimmtenRasse, Hautfarbe, Geschlecht, Sprache, Religion, politischer und sonstigerÜberzeugung, usw. zu tun hat, wie sie z.B. in der allgemeinen Erklärungder Menschenrechte in der Uno Resolution 217 A (III) vom 10. Dezember1948 niedergeschrieben stehen ?

Aber warum sollte gerade in einem der wichtigsten Verhältnisse, dasMenschen eingehen und das ihr Leben so durchgreifend prägt,Menschenrechte keine Bedeutung haben. Kaum jemand wird auf dieserabstrakten Ebene bestreiten, dass auch im Arbeitsverhältnis dieMenschenrechte Gültigkeit haben müssen, obwohl dies weder selbstver-ständlich ist noch praktisch überall durchgesetzt ist.

Rechtliche Quellen in Bezug auf Menschenwürde

Bereits in der Erklärung der Menschenrechte findet sich eineKonkretisierung dessen, was mit Menschenwürde gemeint ist – nämlichAussagen zum Recht auf Arbeit, zum Grundsatz Gleicher Lohn für gleicheArbeit und zum Zusammenhang von Würde und existenzsichernderEntlohnung.

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Art. 23 Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, Uno-Resolution217A(III) v. 10. Dezember 1948

Absatz 1:„Jeder hat das Recht auf Arbeit, auf freie Berufswahl, aufgerechte und befriedigende Arbeitsbedingungen sowie auf Schutz vorArbeitslosigkeit.Absatz 2: Jeder, ohne Unterschied hat das Recht auf gleichen Lohn fürgleiche Arbeit.Absatz 3: Jeder, der arbeitet, hat das Recht auf gerechte und befriedigen-de Entlohnung, die ihm und seiner Familie eine der menschlichen Würdeentsprechende Existenz sichert, gegebenenfalls ergänzt durch anderesoziale Schutzmaßnahmen“.

Europäische Sozialcharta

„Für jede Beschäftigung ist ein gerechtes Entgelt zu zahlen. Zu diesemZweck empfiehlt es sich, dass entsprechend den Gegebenheiten einesLandes den Arbeitnehmern ein gerechtes Arbeitsentgelt garantiert wird,das heißt ein Arbeitsentgelt, das ausreicht, um ihnen einen angemessenenLebensstandard zu erlauben.“ (Europäische Sozialcharta, Titel 5, Abs. 1)

Bayerische Landesverfassung

„Jedermann hat das Recht, sich durch Arbeit eine auskömmliche Existenzzu schaffen „ (Art. 166, Abs. 2).

Der deutsche Gewerkschaftsbund in Bayern hat 2008 einen weiterenArtikel zum Ausgangspunkt für ein Volksbegehren gemacht. In Art. 169Abs. 1 heißt es nämlich: „Für jeden Berufszweig können Mindestlöhnefestgesetzt werden, die dem Arbeitnehmer eine, den jeweiligen kulturel-len Verhältnissen entsprechende Mindestlebenshaltung für sich und seineFamilie ermöglichen.“

Die zentralen Kategorien, die hier angesprochen werden, lauten:

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• Gerechtes Entgelt• Existenzsicherndes Entgelt

Die Qualität und die Bestimmung der Höhe der Existenzsicherung werdendahin gehend konkretisiert, dass sie für den Arbeitnehmer und seineFamilie angemessen sein soll und zwar dem jeweiligen materiellen undkulturellen Niveau des entsprechenden Landes entsprechend. Und siemuss ein Leben in Würde ermöglichen.

Grundgesetz

Im Grundgesetz lautet der 1. Artikel: „Die Würde des Menschen ist unan-tastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichenGewalt.“ Art. 20 Ziffer 1 lautet: „Die Bundesrepublik Deutschland ist eindemokratischer und sozialer Bundesstaat.“ Und dann gibt es da noch einein Vergessenheit geratene Passage: „Das Eigentum soll gleichzeitig demGemeinwohl dienen“.

Was ist ein angemessenes, gerechtes Entgelt ?

Unter angemessen und gerecht wird also ein Entgelt verstanden, das zumeinem aus dem Arbeitsverhältnis, dem Lohnverhältnis heraus erzielt wer-den muss, also als etwas, das der Unternehmer dem Arbeiter schuldet undes muss größer sein als das reine physische Existenzminimum, das geradezum Überleben reicht. Es wird in Relation gesetzt zum materiellen und kul-turellen Niveau des jeweiligen Landes. Damit wird auf die Verteilungs- undVermögensverhältnisse des jeweiligen Landes abgehoben. Es wird keinestatische Größe definiert, sondern eine dynamische Größe, die mit zuneh-mendem Wohlstand wächst.Die beliebten Verweise, dass es in Deutschland im Vergleich zu Ländernmit einem niedrigeren Einkommensniveau keine Armut gebe , die Löhnedort sehr viele niedriger lägen und die Konkurrenz mit diesenNiedriglohnländern es angeblich nicht zulasse, dass höhere Entgeltegezahlt werden können, sind daher keine Argumente, derer man sichbedienen kann, wenn man die Grundannahmen, die der sozialenMarktwirtschaft Legitimation verleihen, uneingeschränkt bejahen will.

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Die eben skizzierte Verständnisebene geht sogar noch darüber hinaus. Esist nicht nur die Rede davon, dass das Entgelt ausreichend für den einzel-nen Arbeitnehmer sein soll, sondern schließt die Familie mit ein.

Nun ist es sicherlich so, dass ein modernes Geschlechterrollenverständnisnicht mehr von der Alleinverdienerfamilie und der Versorgungsehe aus-geht, sondern das Recht auf Berufstätigkeit ein universelles Recht darstellt.Es ist aber schon nachdenkenswert, dass es auch ökonomisch zu Beginndes 21. Jahrhunderts für die unteren Einkommensschichten nahezuunmöglich ist, von einem Einkommen allein, den Unterhalt einer Familie,zumal mit Kindern bestreiten zu können.

Für einen Teil der Bevölkerung bedeutet die selbstverständliche undwachsende Frauenerwerbstätigkeit, dass sie dadurch einen größerenAnteil am gesellschaftlichen Reichtum erhalten, ihr Lebensstandard auf einhöheres Niveau steigt. Für einen anderen Teil der Bevölkerung ist die bei-derseitige Erwerbstätigkeit von Männern und Frauen in der Familie bzw.Partnerschaft schlicht Existenzbedingung.

Katholische Soziallehre

Auch die katholische Soziallehre als eine der politisch-philosophischenStrömungen der Gründungsmütter und -väter des Grundgesetzes kenntden Begriff des „gerechten Lohnes“:

Dieser soll es dem Arbeiter ermöglichen, „sein und der Seinigen materiel-les, soziales und kulturelles und spirituelles Dasein angemessen zu gestal-ten.“

Päpstliche Enzyklika „Rerum novarum „aus dem Jahr 1891:

„Wenn also auch immerhin die Vereinbarung zwischen Arbeiter undArbeitgeber, insbesondere hinsichtlich des Lohnes, beidseitig freigeschieht, so bleibt dennoch eine Forderung der natürlichen Gerechtigkeitbestehen, nämlich die, dass der Lohn nicht etwa so niedrig sei, dass ereinem genügsamen, rechtschaffenden Arbeiter den Lebensunterhalt nicht

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abwirft. Diese schwerwiegende Forderung ist unabhängig von dem freienWillen der Vereinbarenden. Gesetzt, der Arbeiter beugt sich aus reiner Notoder um einem schlimmeren Zustande zu entgehen, den allzu hartenBedingungen, die ihm nun einmal vom Arbeitsherrn oder Unternehmerauferlegt werden, so heißt das Gewalt leiden, und die Gerechtigkeiterhebt gegen einen solchen Zwang Einspruch.“

In Bezug auf das konkretere Verständnis der Begriffe Gerechtigkeit,Angemessenheit, Existenzsicherung durch Arbeitsentgelt und wer dafürverantwortlich sein soll, besteht nun seit der politischen Dominanz derneo-klassischen oder auch neoliberalen Schule der Volkswirtschaft seitlängerem auch im Land des Wirtschaftswunders Ludwig Ehrhards keinKonsens mehr.

Die neo-liberale Gegenposition (Friedrich August Hayek)

Einer der Mitbegründer des Neoliberalismus, der NobelpreisträgerFriedrich August Hayek wurde in einem Interview mit derWirtschaftswoche vor 25 Jahren nach seiner Haltung zur Idee derGerechtigkeit gefragt.

„Was heißt denn hier Gerechtigkeit. Wer ist denn da gerecht oder unge-recht? Die Natur? Oder Gott? Jedenfalls nicht Menschen, da dieVerteilung, die aus dem Marktprozess hervorgeht, nicht das beabsichtigteErgebnis menschlichen Handels ist…“ „ Diese unglückselige Idee der sogenannten sozialen Gerechtigkeit behauptet, dass die Entlohnung desEinzelnen nicht davon abhängen soll, was er tatsächlich zumSozialprodukt beiträgt, sondern davon was er verdient.“

Auf die Nachfrage des Interviewers, wie es zu einer gerechten Bewertungder Arbeit kommen könne, wenn kein Maßstab der Gerechtigkeit ange-legt werden kann, antwortete Hayek: „Weil wir im Marktgeschehen stän-dig Einkommen beziehen, die wir moralisch nicht verdienen, müssen wirauch moralisch unverdiente hinnehmen. Denn: Ungleichheit ist nichtbedauerlich, sondern höchst erfreulich. Sie ist einfach nötig(Wirtschaftswoche Nr. 11 v. 6.3.1981, S. 36).Dies heißt nicht mehr und nicht weniger: So wie der Markt dieEinkommen verteilt ist es gut und richtig und letztlich auch gerecht, denn

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einen anderen Maßstab gibt es nicht.

Hans Werner Sinn

Ein anderer bekannter Protagonist der neoliberalen Ideologie, schrieb2003 in einem der Kultbücher des wirtschaftspolitischen Feuilletons:

„Jeder findet Arbeit, wenn man zulässt, dass der Lohn weit genug fällt,denn je weiter er fällt, desto attraktiver wird es für die Arbeitgeber,Arbeitsplätze zu schaffen, um die sich bietenden Gewinnchancen auszu-nutzen.“ (Hans Werner Sinn, Ist Deutschland noch zu retten? München2003, S. 93).

Hier wird das Einkommen allein von Angebot und Nachfrage abhängiggemacht, der Mensch wird zu einer Funktion des Marktes, nicht derMensch und sein Bedürfnis ist der Zweck des Wirtschaftens sondern erselbst ist nur Mittel zum Zweck.

„Mit der unantastbaren Würde des Menschen ist dieses Menschenbildnicht vereinbar“, schrieb dazu Mathias Zimmer, Privatdozent fürPolitikwissenschaft Mitglied im Landesvorstand der christlich demokrati-schen Arbeitnehmerschaft Hessen und der Grundsatzkommission der CDAin der Frankfurter Rundschau am 9. Febr. 2007.

Diese wirtschaftspolitische und weltanschauliche Position von Sinn u.a. istjedoch – politisch, ökonomisch und sozial gründlich gescheitert, wie manzur Zeit anhand der Krise des auf der Wirkung des freien unreguliertenMarktes basierenden Weltfinanzsystems anschaulich studieren kann.

Einkommens- und Vermögensverteilung und die Grenzen desMarktes

Der Markt allein führt nicht zu Gerechtigkeit der Einkommens- undVermögensverteilung, sondern zu massiver Ungleichheit. Die obersten 10Prozent verfügen über 80 % aller Vermögen und Einkommen, die unteren30 Prozent haben nur 1,5 %. Dies haben die Menschen solange akzep-tiert, solange es einen Fahrstuhleffekt gab, der alle Menschen nach obenbefördert hat, oder die Flut alle im Boot nach oben getragen hat. Dieser

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Effekt funktioniert seit einiger Zeit nicht mehr. Die Ungleichheit nimmt zu,die Einkommensspreizung wächst. Selbst im konjunkturellen Aufschwungder letzten Jahre hat die Steigerung der Löhne- und Gehälter nicht zurErhöhung der Reallöhne ausgereicht.

Auch die Ausdehnung des Niedriglohnsektors in einem der reichstenLänder der Welt – in Deutschland – ist dafür ein praktischer Beweis.Mittlerweile arbeiten hier nahezu 8 Millionen Menschen, d.h. 22 % allerBeschäftigten.

Die Menschen glauben nicht mehr an soziale Gerechtigkeit. NeuesteUmfragen belegen: Fast 60 % der Bevölkerung hält die Verteilung vonEinkommen und Vermögen für ungerecht.

Nun könnte man einwenden, auf der Ebene der politischen Theorien, derVerfassung könne man trefflich über die moralische Dimension vonMindestlöhnen räsonieren, die harten Fakten der Ökonomie müsstenjedoch eine andere Sprache sprechen. Lassen wir also einen unverdächti-gen großen Ökonomen sprechen:

„Es muss ein Mensch durchaus von seiner Arbeit zu leben haben und derArbeitslohn muss wenigstens hinreichend sein, um ihm den Unterhalt zuverschaffen. Ja er muss in den meisten Fällen noch mehr als hinreichendsein. Sonst wäre der Arbeiter nicht imstande eine Familie zu gründen, unddas Geschlecht solcher Arbeiter würde mit der nächsten Generation aus-sterben.“ (Adam Smith, Der Wohlstand der Nationen)

Das Arbeitsverhältnis ist für die Menschen, die darauf angewiesen sind,ihre Kenntnisse und Fähigkeiten (ihr Arbeitsvermögen) gegen Entgelt zuveräußern, da sie über keine weiteren wesentlichen finanziellen Mittel ver-fügen, über die sie ganz oder teilweise eine Existenzsicherung gewinnenkönnten (Vermögen, das sie unabhängig machen könnte), das zentraleLebensverhältnis. Dessen Inhalte bestimmen ihren Lebensstandard, ihrensozialen Status, ihre gesellschaftliche Position aktuell und auch in derLebensperspektive und prägen sogar zu einem erheblichen Teil dieLebens- und Bildungschancen ihrer Kinder (vergleiche dazu die umfassen-

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de und vergleichende Untersuchung über Eliten und Macht in Europa vonMichael Hartmann).

Der Arbeitsvertrag als besonderes Vertragsverhältnis

Der Arbeitsvertrag beinhaltet im Kern, dass eine Partei der anderen Parteidie Nutzung ihrer Arbeitskraft für eine definierte Zeit und in einem defi-nierten Umfang überlässt und dafür als Gegenleistung ein bestimmtesEntgelt bezieht, das es dieser Partei ermöglicht, davon ihre Existenz zusichern.

Während das allgemeine Vertragsrecht davon ausgeht, dass beide Seitendiese Verträge freiwillig eingehen und auf beiden Seiten in der Regelannähernd Gleichheit besteht, ist dies beim Arbeitsvertrag keineswegs derFall.

Durch höchstrichterliche Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerich-tes ist anerkannt, dass beim Arbeitsvertrag strukturell eine asynchroneMachtverteilung zu Lasten der Arbeitnehmer vorliegt, die u.a. legitimiert,dass sie sich in Koalitionen zusammenschließen um gemeinschaftlich ihreKonditionen im Aushandlungsprozesses zu verbessern. Einige Wettbe-werbsökonomen nennen diese Institutionen sogar Kartelle und wollen dasKartellrecht auch darauf anwenden.

Sittenwidrigkeit

Können noch andere Maßstäbe für eine gerechte Entlohnung herangezo-gen werden? Das bürgerliche Gesetzbuch kennt als Untergrenze für Entgelte die sog.Sittenwidrigkeit. Die Sittenwidrigkeit einer Vergütungsabrede nach § 138Abs. 1 und 2 BGB liegt dann vor, wenn ein auffälliges Missverhältnis zwi-schen Leistung und Gegenleistung besteht. Ein derartiges Missverhältnisist dann anzunehmen, wenn die gezahlte Vergütung weniger als 2/3 derTariflöhne des jeweiligen Wirtschaftszweiges beträgt. Mehrere Landesarbeitsgerichte und Sozialgerichte haben Entgelte von 5Euro unter bestimmten Umständen als sittenwidrig beurteilt. Dies ist sogarnach dem Strafgesetzbuch (§ 291 Abs. 1) unter Strafandrohung gestellt.

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Dies hilft jedoch nicht viel weiter, da diese Grenzen weitab von jeglicherExistenzsicherung liegen. Interessant ist jedoch in denUrteilsbegründungen, dass ergänzende Aufstockungen der Entgelte durchden Staat an dieser Sittenwidrigkeit nichts ändern.

Das zentrale Versprechen der sozial zivilisierten kapitalistischen Markt-wirtschaft besteht darin, dass ein derartiges Arbeitsverhältnis ein existenz-sicherndes Einkommen gewähren soll. Dies ist gleichzeitig Legitima-tions-grundlage und Existenzbedingung für die Reproduktion des Systemsselbst. Dieser Konsens ist in den letzten Jahren brüchig geworden.

Soziale Gerechtigkeit

Soziale Gerechtigkeit bedarf also der erneuten gesellschaftlichenVerständigung, da es keine ein für allemal gültigen Maßstäbe gibt.

In Deutschland hat in den letzten Jahren eine Umdeutung desGerechtigkeitsbegriffs stattgefunden. Die Definition, dass Gerechtigkeitmit der Verwirklichung möglichst egalitärer und gleicherLebensbedingungen (also auch mit gerechter Einkommens- undVermögensverteilung) als Grundlage für Chancengleichheit und gesell-schaftlicher Aufstiegsmobilität zu tun hat, wurde abgelöst durch eineDefinition von Chancengerechtigkeit, die Voraussetzungen undRahmenbedingungen schafft, dass möglichst alle Menschen gleicheChancen erhalten und diese wahrnehmen können. Heute ist der vorsor-gende und investierende Sozialstaat gefragt.

„Soziale Gerechtigkeit muss künftig heißen, eine Politik für diejenigen zumachen, die etwas für die Zukunft unseres Landes tun: Die lernen und sichqualifizieren, die arbeiten, die Kinder bekommen und erziehen, die etwasunternehmen und Arbeitsplätze schaffen, kurzum: die Leistung für sichund unsere Gesellschaft erbringen. Um die – und nur um die – muss sichPolitik kümmern (Peer Steinbrück, Bundesfinanzminister, Etwas mehrDynamik, bitte, in: Die Zeit 2003, Nr. 47, S. 18)

Diese Selektion in investitionswürdige Bürger und nicht investitionswürdi-ge Bürger ist nur eine andere Spielart der US-amerikanischen Sozialpolitik,der Unterscheidung in würdige Arme und unwürdige Arme.

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Chancengerechtigkeit meint dann „die Erwerbslosen schulden derGesellschaft, dass sie bereit sind, ihre Beschäftigungsfähigkeit herzustellenund bereit sind, Arbeit um jeden Preis und zu jedem Preis anzunehmenund nicht mehr die öffentliche Haushalte belasten. Beteiligung wird aufdie Integration in den Arbeitsmarkt reduziert, Es geht um den Zwang jedeArbeit um jeden Preis und zu jedem Preis zu akzeptieren. So FranzSegbers, Prof. für Sozialethik an der Universität Marburg, Die umprogram-mierte Gesellschaft, unveröffentlichtes Manuskript, Mindestlohnkonferenzvon ver.di und NGG, Berlin April 2006)

In dem Zusammenhang wurde auch der Begriff der Würde instrumentali-siert. Jede Arbeit soll danach für einen arbeitsfähigen Menschen würdigersein als die Entgegennahme einer finanziellen Unterstützung ohneGegenleistung.

Richard Sennett, der amerikanischer Soziologie hat dazu in einer Studieüber workfare, einer Politik des Zwangs zur Arbeit um jeden Preis, die dar-auf basiert, dass der Zwang der Menschen zur Arbeit, ihnen hilft, einerniedrigendes Kapital ihres Lebens zu beenden, die Frage gestellt; obnicht eine Erniedrigung durch eine andere abgelöst wird.

„Der Kern des Problems, vor dem wir in der Gesellschaft stehen, liegt inder Frage, wie der Starke jenen Menschen mit Respekt begegnen kann,die dazu verurteilt sind, schwach zu bleiben.“ (Sennett, Richard, Respektim Zeitalter der Ungleichheit, Berlin 2002, S. 317).

Das Argument, dass Würde durch Arbeit entsteht und AlimentierungEntwürdigung produziert, besagt letztendlich, dass Niedriglöhne, und dieVerschärfungen im Zuge von Hartz IV dem Eigeninteresse der betroffenenLangzeitarbeitslosen entsprechen.

Der aktivierende Sozialstaat setzt die Opfer der Krise des Arbeitsmarktesdem Verdacht aus, sie seine soziale Parasiten, so Sennett.

Worin besteht der Wert der Arbeit ?

Es gilt aber die Frage zu stellen, was ist eigentlich eine Arbeit, die einLeben in Würde ermöglicht. Der Wert der Arbeit und ihre Entlohnung ist

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dabei ein integraler Bestandteil dieser Debatte. In der Entlohnung zeigtsich, wie eine Arbeit bewertet wird, was der Gesellschaft eine Arbeit wertist.

Franz Segbers führt dazu aus: „Beide Aspekte gehören zusammen. DerWert der Würde in der Arbeit und der Lohn der Arbeit, der ein Leben inWürde ermöglicht“. (Segbers,F., Die umprogrammierte Gesellschaft, ebd.)

Einem in Vollzeit beschäftigten Menschen abzusprechen, seine Arbeit seinicht so viel wert, das er davon seinen Lebensunterhalt bestreiten kann,spricht diesem Menschen einen wesentlichen Teil der Menschenwürde ab.Bestritten wird nämlich damit, dass er trotz aller Anstrengungen nicht inder Lage ist, eigenständig für seinen Lebensunterhalt zu sorgen. DasArgument, dass die Produktivität dieser Beschäftigten so niedrig sei, dassdie Betriebe kein höheres Entgelt zahlen könnten, dequalifiziert dieseBeschäftigten in doppelter Weise.

Der alleinige Bewertungsmaßstab für die angeblich niedrige Produktivitätist dabei der Markt und stellt einen typischen Zirkelschluss dar. Da amArbeitsmarkt angeblich kein höheres Entgelt erzielt werden kann, ist dieProduktivität zu niedrig und da die Produktivität zu niedrig ist, kann keinhöheres Entgelt erzielt werden. Ein objektiver Maßstab für den Wert derArbeit stellt dies nicht dar.

Der Hinweis, dass ja dann die Allgemeinheit, der Staat, der Steuerzahleraufgefordert ist, die Differenz auszugleichen, wirft diese Menschen auf dieStufe der Almosenempfänger zurück.Interessant in diesem Zusammenhang ist, dass von Niedriglöhnen über-durchschnittlich Frauen betroffen sind. Ein wesentliches Merkmal vonGeschlechterdiskriminierung im Entgeltbereich liegt darin begründet, dassEntgelte für typische Frauentätigkeiten immer noch als Zuverdienste zumHaushaltseinkommen verstanden werden und diese Tätigkeiten gesell-schaftlich niedriger bewertet werden als Männertätigkeiten.

Auch der Begriff der Leistungsgerechtigkeit führt in der Debatte nicht wei-ter, da er eher als ideologische Tarnkappe fungiert, die die tatsächlichenVerteilungsverhältnisse verschleiert.

In welchem Verhältnis steht die niedrig bezahlte Leistung eines körperlich

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schwer arbeitenden Lagerarbeiters oder einer in Nacht- und Schichtarbeittätigen Pflegehelferin, die einen Stundenlohn von unter 7 Euro erhält zueinem millionenschweren Bankmanager, der ein Tageseinkommen von 33 000 Euro bekommt, zueinander und ist dies wirklich mit demLeistungsprinzip zu legitimieren.

Die Bedeutung des Mindestlohns

Einer der bedeutendste Sozialwissenschaftler des vorletzten Jahrhunderts(Karl Marx) hat geschrieben, dass die Menschen ihre Geschichte nicht ausfreien Stücken machen und dass sich die gesellschaftlichen Verhältnissegleichsam hinter ihrem Rücken entwickeln und verändern.

Die Durchsetzung eines Mindestlohnes in der Zeitarbeit, könnte so einBeispiel für die List der Geschichte werden.

Die Unternehmen der Zeitarbeitsbranche haben zusammen mit den DGB-Gewerkschaften 2006 einen Mindestlohn-Tarifvertrag vereinbart. Sie for-dern von der Politik, dass dieser Mindestlohn für allgemeinverbindlicherklärt wird und damit für alle Arbeitgeber und Arbeitnehmer die absolu-te Lohnuntergrenze in der Zeitarbeit darstellt. Die Arbeitsverhältnisse inder Zeitarbeit oder Leiharbeit sind aufgrund ihrer Konstruktion und ihrerFunktion besondere Arbeitsverhältnisse.

Die Entgeltbedingungen und die reale Sicherung des Arbeitsverhältnissessind in der Realität immer noch von der Normalität ein Stück entfernt,gleichwohl anzuerkennen ist, das die vereinbarten tarifvertraglichenRegelungen einen Beitrag zur Normalisierung geleistet haben.

Durch die Einführung eines Mindestlohnes in der Zeitarbeit sind die ein-gangs skizzierten Ansprüche auch noch nicht vollständig verwirklicht. DerMindestlohn ist aber eine Wegmarke auf dem Wege zu menschenwürdi-geren Verhältnissen.

Die politische Besonderheit eines Mindestlohnes in der Zeitarbeits-branche wäre, dass er quasi für alle Einsatzbereiche der Wirtschaft alsunterste Referenzgröße wirken würde. Er ist also der Frühlingsbote des all-gemeinen Mindestlohnes. Er ist gleichzeitig ein Zeichen dafür, dass es

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möglich ist, für angeblich prekäre Beschäftigte, die einer besonderenBrücke in den Arbeitsmarkt bedürfen, Mindestbedingungen zu verwirkli-chen, die oberhalb dessen liegen, was angeblich der alles regelnde Marktzulässt.

Dass sich Unternehmen der Zeitarbeit zusammen mit den Gewerkschaftenauf diesen Weg gemacht haben, ist natürlich nicht allein altruistischen phi-losophischen Anwandlungen geschuldet, sondern auch den längerfristi-gen Interessen dieser Unternehmen (Imagegewinn, Heraustreten aus derSchmuddelecke, Etablierung als gleichwertige Arbeitgeber auf demArbeitsmarkt).

Das ist auch gut so, denn das ist eine verlässlichere Grundlage für einBündnis als nur allgemeine moralische Überzeugungen. Sie sind uns alsGewerkschaften willkommen und willkommen sind uns alle anderenUnternehmen und Arbeitgeber die Mindestlöhne nicht für ordnungspoliti-sches Teufelszeug halten, sondern existenzsichernde Löhne für ein Gebotder sozialen Gerechtigkeit und die darüber hinaus der Auffassung sind :„Ja, so viel ist uns die Arbeit unserer Beschäftigten wert“.

Dabei gehen wir ja gar nicht so weit, dass wir den vollen Wert beanspru-chen, sondern dem Arbeitgeber seinen Gewinnanteil zugestehen.

Die Frage ist, ob die Gegner von so viel sozialem Ausgleich angesichts derLernzumutungen, die sie mit dem Crash des ungezügeltenFinanzkapitalismus ertragen mussten, noch ein ausreichendesReflektionsreservoir haben, um einzusehen, dass auch für denArbeitsmarkt wieder Regeln gelten müssen, die Arbeitnehmer vor unange-messener Ausbeutung schützen?

Der Historiker Ulrich Wehler ist da skeptisch: Er bescheinigt Bankern undUnternehmern regelrechte Dankbarrieren. „Die haben einen Zeithorizont,der maximal ein paar Wochen zurückreicht … sonst hätte es in derVergangenheit auch nicht zu dieser kollektiven Verblendung kommenkönnen, an die allein selig machende Wirkung des freien Marktes zu glau-ben.„ (Hans Ulrich Wehler im Stern , NR. 43, S. 55)

Die Zahlung eines existenzsichernden Mindestlohns ist aber nicht nur einemoralische Verpflichtung des einzelnen Arbeitgebers und ein Gebot der

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Mit Prävention zu mehr Sicherheit undFlexibilität – innovative Anstöße ausdem Bereich der Arbeitslosen- versicherung

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sozialen Gerechtigkeit. Existenzsichernde Mindestlöhne sind auchLegitimationsgrundlage für die gesellschaftliche Verfassung eines Systems,das für sich den Anspruch erhebt, eine soziale Marktwirtschaft zu sein.Soziale Teilhabe und Demokratie sind im gesellschaftlichen Verständnismiteinander verknüpft. Ohne Einlösung dieser zentralen Versprechendroht die Marktwirtschaft ihre Legitimation zu verlieren.

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Wertewandel kommt in Gang

erweitert: Prof. Dr. André Habisch von der Katholischen UniversitätEichstätt-Ingolstadt, Mark-Cliff Zofall, Leiter Bereich Gesamtstrategie beider Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg, und Jörg Wiedemuth, von derTarifpolitischen Grundsatzabteilung der Dienstleistungsgewerkschaftver.di. Ihre Anmerkungen und Beiträge waren geprägt von derEntwicklung, wie sich die Werthaltigkeit der Arbeit steigern und einehöhere Jobsicherheit erreichen lassen; die Gewinnorientierung an sichwurde dabei nicht in Frage gestellt, allerdings mit der Pflichtaufgabe ver-sehen, „Gewinn“ über den bilanztechnischen Begriff hinaus zu definieren

Als Grundlage dafür sollen in erster Linie Konzepte der „SozialenMarktwirtschaft“ dienen, deren Errungenschaften – darüber bestandweitgehender Konsens auf dem Podium – weithin und zu Unrecht inVergessenheit geraten sind. Mit einer Rückbesinnung auf die sozialeKomponente marktwirtschaftlichen Handelns ließe sich aus Sicht derExperten nicht nur die Werthaltigkeit menschlicher Arbeitskraft nachhaltigsichern und damit auch dem Begriff „human ressources“ ein neuer Wertbeisteuern. Auch die Vorteile der Marktwirtschaft an sich erhielten auf die-sem Weg frische Kraft; der derzeit bestehende Widerspruch zwischenGewinnorientierung und Sicherheit des Arbeitsplatzes löste sich in vielenFällen eigendynamisch auf. Jörg Wiedemuth betonte allerdings auch, dassder Markt der Regulierung bedürfe, um den Anspruch auf sozialenAusgleich überhaupt erfüllen zu können.

Jörg Wiedemuth verwies in diesem Zusammenhang auf eine Vielzahl klas-sischer Wirtschaftstheorien, unter anderem das Konzept Ludwig Erhardts,deren prägender Konsens darin bestanden habe, dass anteilig seinerLeistung ein jeder am Wohlstand teilhaben könne. Diese Übereinkunft seiin den vergangenen Jahren erodiert und habe an den Polen derGesellschaft zu „extremen Entwicklungen“ geführt: „Der Kitt geht verlo-ren, der die Gesellschaft zusammenhält. Das bringt die Demokratie inGefahr“, sagte der ver.di-Repräsentant. Es bedürfe eines eingehendenLernprozesses, der auch wieder zu einer stärkeren Regulierung führenkönnte. „Das wird der politische Mainstream sein, wenn man nicht vor-übergehender Reparaturbetrieb sein und auf die nächste Blase wartenwill.“

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Podiumsgespräch

Eine „neue Nachdenklichkeit“ darüber, was Gesellschaft und Wirtschaftleisten können, um menschlicher Arbeit einen neuen Wert zu vermitteln,konstatierte Dr. Volker Hielscher in seinem Resümee der diesjährigenArbeitsmarktfachtagung der Randstad Stiftung in Heidelberg. Er zogdamit Bilanz zum Tagungsthema „Werte im Wandel der Zeit –Gewinnorientierung und Arbeitsplatzsicherheit: ein Widerspruch?“, des-sen Diskussion sowohl das bestehende Spannungsfeld als auch Ansätzefür Lösungen für den künftigen, heftig im Wandel befindlichenArbeitsmarkt umrissen habe.

In seinem Schlusswort zur Podiumsdiskussion der Tagung nannte derInhaber der Stiftungsprofessur der Randstad Stiftung Arbeitsökonomie,Personalberatung/-vermittlung und Personaldienstleistungen an der SRHHochschule Heidelberg drei Bereiche, in denen aus seiner Sicht regulieren-de Eingriffe erforderlich sind, um Gewinnorientierung in Gemeinwohl ein-zubetten: gerechte Entlohnung, soziales Engagement und aktiveBeteiligung der öffentlichen Arbeitsverwaltung. Mit der rhetorischen Frage„Wie können die Arbeiten einzelner Akteure gebündelt werden?“ wiesHielscher zugleich den Weg, der den größten Erfolg in SachenAufwertung von Arbeit und einer nachhaltigen Job-Sicherheit auf breiterEbene verspräche: Kooperationen, insbesondere auf regionaler Ebene.Hier bedarf es nach seiner Auffassung eines mehrsystematischenArbeitens, aus dem dann auch Impulse für eine zukunftsorientierteUnternehmensstrategie gewonnen werden könnten.

Zuvor hatten unter der Moderation von Prof. Dr. Hermann Saterdag,Regierungsbeauftragter der Landesregierung von Rheinland-Pfalz, dreiReferenten der Tagung die zuvor angesprochenen Aspekte vertieft und

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Wertewandel kommt in Gang Zusammenfassung

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Überlegungen, im Zusammenhang mit Arbeitsplatz-Qualität ein Systemvon Mindeststandards in einem ISO-ähnlichen Zertifizierungsprozess fest-zulegen oder ein Gütesiegel für wertebewusste Unternehmen zu verge-ben, erteilte Prof. Dr. André Habisch eine klare Absage. Denn zu vielegesellschaftliche Probleme würden heute eher verwaltet als gelöst. AuchUnternehmen gäben derlei Auflagen in der Regel lieber an dieRechtsabteilung ab, statt aus ihnen Kreativität und Innovationen abzulei-ten. Es verspräche mehr Erfolg für die Politik, „gemeinsam mit denBetrieben Sinnvolles zu unternehmen, Anreize zu schaffen, umUnterschiede zu entwickeln und sichtbar zu machen“, sagte derWissenschaftler. Arbeitsplatzsicherheit und -qualität als Alleinstellungs-merkmale würden dann zum Wettbewerbsvorteil. „Ich setze dabei auf dasRegionalprinzip und die Wirkung guter Vorbilder.“ Er verwies auf dasBeispiel Österreichs, wo eine Plattform für Kommunikation entstanden sei,die unter anderem in den jährlich vergebenen Preis „Responsible Managerof the Year“ münde.

Hinter dem apostrophierten Regionalprinzip steht aus Sicht Habischs eineFortschreibung des in seiner schlichten Form überholten Adam-Smith-Konzepts, dass jeder Eigennutz letztlich in Gemeinnutz münde. Macheman sich die moralphilosophische Ausrichtung dieses wirtschaftstheoreti-schen Vordenkers zu eigen, gewinne die gesellschaftliche Bedeutung von„Nahbereichssolidarität“ neues Gewicht. Die Zuwendung zu Problemenund Aufgaben in unmittelbarer Umgebung der Handelnden schaffe letzt-lich auch neue, marktwirtschaftliche Wege in einem überreguliertenMarkt. Dies verspreche Erfolg vor allem angesichts der gegenwärtigenSituation, dass es auf internationaler Ebene, die von nationalen Egoismenbeherrscht seien, ein Regulierungsproblem gibt.

Einen Paradigmenwechsel, der sich in diesem Umfeld abzeichnet undHielschers Argument der neuen Nachdenklichkeit untermauert, geht vonder Bundesagentur für Arbeit aus. Sie sei in der Vergangenheit „an vielenStellen nur als Reparaturbetrieb und bei vielen Aktionen nur als seelenlo-ser Geldgeber“ wahrgenommen worden, räumte Mark-Cliff Zofall ein.Deshalb will sich die Agentur künftig verstärkt der Prävention widmen, umschon im frühestmöglichen Stadium dem Abdriften in mangelnde oderfehlende Qualifikation von Arbeitssuchenden Einhalt zu gebieten. Daswerde eine Weile dauern, so der Strategie-Experte, „aber langfristig trägt

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dieser Ansatz mehr als Aktionismus aus dem Bauch heraus“. Ein ausführ-liches Evaluationskonzept sei Bestandteil des neuen Kurses der Agentur,um als künftig aktiv Beteiligter eine neue Rolle einzunehmen.

Die größten Chancen auf einen Wertewandel in der Wirtschaft sahen diePodiumsteilnehmer dort, wo eine Bewusstseinsbildung zu Handlungs-bereitschaft führt. Zumal es auf Seiten der Wirtschaft starke Kräfte gebe,die diesen Schritt mitgehen wollten: „Was die Renditeerwartungenangeht, braucht man vor allem den Mittelstand gar nicht erst zum Jagentragen“, merkte Habisch an. „Die Verantwortlichen dort sind von selbstinteressiert, sich einzubringen.“ Eine Einschätzung, die Zofall bestätigte:„Auf generischer Ebene ist in jeder Firma ein Problem- undZielbewusstsein vorhanden. In der Praxis besteht aber noch großerHandlungsbedarf.“

„Die Marktwirtschaft braucht auch kulturelles Kapital wie dieVerantwortungsbereitschaft“ appellierte Habisch an traditionelleTugenden von Unternehmern und Führungskräften. Unter anderem wer-den deshalb an der Universität Eichstätt-Ingolstadt inzwischen grundsätz-lich wirtschaftsethische, an die katholische Soziallehre anknüpfendeInhalte in die Studiengänge integriert. Diese seien in Vergessenheit gera-ten, weil sie ein verkürztes Managementdenken zugunsten kurzfristigerAspekte ausgeblendet habe.

„Public value“ zu schaffen, nannte Zofall als Herausforderung für Betriebeund Behörden: „Die Frage, die sich jeder stellen sollte, heißt: WelchenNutzen stifte ich?“ Hier komme allmählich eine Diskussion in Gang. Sie lie-fere, so Wiedemuth, die Argumente für die Wiederbelebung der SozialenMarktwirtschaft: „Es geht nicht darum den Wettbewerb abzuschaffen,sondern ihn in fairen Bahnen, zu fairen Bedingungen stattfinden zu las-sen.“ Unter anderem auf diesem Weg Verantwortung für soziale Balancezu übernehmen, sei für die Wirtschaft von elementarem Interesse, wennsie jene Ressourcen langfristig sichern wolle, die ihr im globalenWettbewerb einen Vorteil verschafften – ihre Beschäftigten.

Wertewandel kommt in Gang

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ISBN 978-3-939793-05-2

Entwurf Cover Fachtagung 17.10.08:Cover Alltagsengel 27.11.2008 17:16 Seite 4