048-061_Korallen und Fische, Korallenfische?

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»abgetaucht«Begleitbuch zur Sonderausstellung zum internationalen Jahr des Riffes 2008Herausgeber:Museum für Naturkunde der Humboldt-Universität zu Berlin,Reinhold Leinfelder, Georg Heiss, Uwe MoldrzykRedaktion:Georg Heiss, Uwe MoldrzykGestaltung und Satz: Nils HoffKonradin Verlag Rob. Kohlhammer GmbH, Ernst Mey-Strasse 870771 Leinfelden-EchterdingenDas Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Herausgebers unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme.Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem PapierUmschlaggestaltung: Nils HoffDruck: Druckerei Conrad GmbHPrinted in GermanyISBN 3-920560-23-XBestellen bei Amazon.dehttp://www.amazon.de/Abgetaucht-Sonderausstellung-internationalen-Jahr-Riffes/dp/392056023X/ref=sr_1_1?ie=UTF8&s=books&qid=1209558371&sr=8-1

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Korallen und Fische, Korallenfische?

Korallenfische gibt es nicht! Diese Feststellung des gestrengen Systematikers scheint paradox und erschreckend. Sollten wir uns alle getäuscht haben? Ist es nicht gerade der sprichwörtliche Fischreichtum tropischer Korallenriffe, der uns, sei es als Taucher, Schnorchler oder Aquarianer, sofort ins Auge springt? In einem Riff sollen bis zu einer Million verschiedener Organismen leben, etwa 60 000 Arten sind bisher bekannt. Davon entfallen weit mehr als 5000 Arten auf Fische die in oder an Korallenriffen leben. Der Artenreichtum, aber auch die ökologische Vielfalt der Zusammensetzung der Fischfaunen, nimmt vom Äquator graduell nach Norden und Süden ab, so dass sich zum Beispiel Fischfaunen felsiger Küsten in temperierten Klimabereichen klar von tropischen Riffgemeinschaften unterscheiden. Aber nicht nur solche latitudinale Gradienten sind zu beobachten. Der größte Artenreichtum fin-det sich mit mehr als 3000 Fischarten im Indo-Pazifik. Mit zunehmender Entfernung in westlicher bzw. östlicher Richtung nimmt die Anzahl der Fischarten ab, weshalb auch von einem indo-philippinischen Diversitätszentrum gesprochen wird. Diese Beobachtungen führten unter anderem zu der Annahme, dass die Entstehung und Erhaltung der Artenvielfalt von Korallenfischen direkt vom Nahrungsangebot, aber auch von den vorhandenen »Nischen« eines Riffes, abhängen. Dabei ist innerhalb von Riffen eine Zonierung erkennbar, die sich durch eine etwas unterschiedliche Zu-sammensetzung der Fischgemeinschaften auszeichnet. Das Alter und die Geschich-te der Korallenriffe wird zusätzlich eine wichtige Rolle spielen. Atlantische Riffe sind immer artenärmer als indopazifische – nicht nur in ihrer Fischfauna – vielleicht weil

Jürgen Kriwet und Peter Bartsch

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Abb.1:

Repräsentanten zweier

typi-scher, riff-assoziierter

Fischgruppen: Cetoscarus

bicolor (Rüppell, 1829)

– Scaridae (Papageifische)

ein adultes Männchen;

darunter ein kleinerer

Verwandter – Thalassoma

rueppellii (Klunzinger, 1871)

»Klunzinger's Lippfisch«

oder »Regenbogenlippfisch«,

Labridae (Lippfische);

Rotes Meer

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der Atlantik einfach jünger ist, vielleicht auch weil seine Oberflächentemperaturen durch die Eiszeiten stärker zum Nachteil der Korallen abgekühlt worden sind.

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Korallen und Fische, Koral lenfische? abgetaucht Jürgen Kriwet und Peter Bartsch

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Abb.2: Schädelzeichnung von Chaetodipterus faber (Broussonet, 1782) – Atlantic Spadefish (Ephippidae)

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Korallen und Fische, Koral lenfische? abgetaucht Jürgen Kriwet und Peter Bartsch

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Fische tropischer Korallenriffe fallen im Vergleich zu Fischen anderer Klimazonen und Lebensräumen durch eine intensive Färbung und unterschiedlichste Körper-formen aus. Was aber sind Korallenfische? Auch wenn diese Frage trivial erscheint, ist ihre Beantwortung tatsächlich schwierig. Generationen von Wissenschaftlern haben sich damit beschäftigt, was einen Korallenfisch bezeichnet und doch sind Kriterien zur Beurteilung von Korallenfischen nach wie vor kaum oder nur unzurei-chend definiert. Allgemein versteht man unter Korallenfischen solche Fische, die von dem Lebensraum Korallenriff in irgendeiner Weise direkt oder indirekt abhängig sind. Der Begriff Korallenfisch ist somit vielmehr eine ökologische Klassifizierung, denn eine Bezeichnung der biologischen Systematik. Fische, die in dieser Kate-gorie zusammengefasst werden, müssen nicht näher mit einander verwandt sein. Und tatsächlich finden sich Vertreter fast aller Großgruppen am tropischen Koral-lenriff ein. Aber auch ökologische Kriterien zur Identifizierung von Korallenfischen sind kaum hilfreich, da viele Fische tropischer Riffgemeinschaften und anderer Le-bensräume in Körperbau, Ernährungsweise und Verhalten mehr oder weniger starke Ähnlichkeiten zeigen. Die artenreichste Gruppe ist wohl auch immer die der wenig spezialisierten Räuber. Erste Versuche, potentielle, nicht-ökologische Merkmale von Korallenfischen zu aufzuzeigen erfolgten Anfang der 1990er Jahre. Es wurden eine Reihe Merkmale in Form einer taxonomischen Konsens-Liste zusammengefasst, die für alle typischen Riffgemeinschaften gelten sollte. Insgesamt wurden dabei 16 Riffe untersucht, in denen 92 Fischfamilien vorkommen. Aber nur 10 sehr artenreiche Fischfamilien kommen in allen diesen Riffen gleichermaßen vor. Das gemeinsame Vorkommen dieser 10 Gruppen wurde im Folgenden als typisch für Korallenfisch-Assoziationen angenommen. Zu diesen Gruppen gehören die Grundeln (Gobiidae, >1500 Arten), Doktorfische (Acanthuridae, >70 Arten), Falterfische (Chaetodontidae, >200 Arten), Kardinalbarsche (Apogonidae, > 330 Arten), Lippfische (Labridae) und Papageifische (Scaridae, > 450 Arten), Riffbarsche (Pomacentridae, > 300 Arten), Sägebarsche (Serranidae, > 500 Arten), Soldatenfische (Holocentridae, > 80 Ar-ten) und Spatenfische (Ephippidae, > 20 Arten). Allerdings zeigten weiterführende Untersuchungen, dass diese Konsens-Liste nicht ausschließlich Korallenfisch-Ge-meinschaften beschreibt, sondern vielmehr flachmarine tropische, aber auch sub-tropische, benthische Fischgemeinschaften aus strukturierten Lebensräumen cha-rakterisiert, die keine Riffe sein müssen. Auch wenn so diese 10 sehr artenreichen Fischgruppen einen Hinweis auf eine moderne Korallenfischfauna geben mögen, bleibt letztendlich doch nur die triviale und tautologische Erkenntnis, dass Fische dann Korallenfische sind, wenn sie in einem Korallenriff leben und mit diesem in irgendeiner Weise interagieren. Die Artenzusammensetzung in Riffen hängt dabei von zufälligen Faktoren, ihrer Fähigkeit, diesen Lebensraum zu besiedeln und den unterschiedlichen Nahrungsanpassungen ab, die es den Fischen ermöglicht, über-haupt zusammen zu leben. Im Folgenden werden wir den Begriff Korallenfisch ein-fach für Fische benutzen, deren Lebensweise eng mit Korallenriffen verknüpft ist.

Abb.3:

Schädelzeichnung von

Chaetodon ocellatus Bloch,

1787 – Spotfin Butterflyfish

(Chaetodontidae, Falterfische)

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Das Riff – eine Welt mit speziellen Anpassungen

Zentren hoher Produktivität in den Wüsteneien der notorisch nährstoffarmen Ober-flächenwassermassen tropischer Ozeane sind die Korallenriffe, um die sich die bunten Schwärme tummeln. Seit den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts existieren mehrere konkurrierende Hypothesen zur Erklärung des Artenreichtums von Koral-lenriff-Fischfaunen:

• Die Habitat-Komplexität, der offenkundige Reichtum an engräumig geschach telten Lebensräumen unterschiedlicher Bedingungen erlauben hohe ökologische Nischen- und damit Artenzahlen von zunehmend eng spezialisierten Tiergruppen.• Die Lotterie-Hypothese dagegen führt ins Feld, dass viele Korallenriffbewohner ähnliche Nahrungs- und Lebensraumansprüche haben, dass sie hohe Zahlen planktischer Larven produzieren, direkte Konkurrenz stattfindet und die Besied- lung bestimmter Lebensräume aus diesem Planktonpool zum Grossteil ein zu- fälliger Etablierungseffekt ist.• Eine dritte Hypothese unterstellt in etwas ähnlicher Weise, dass Populationen von Korallenfischen nie ein Gleichgewicht erreichen, sondern Prädation, Kata- strophenereignisse und unvorhersagbar zufällige Rekrutierung der plankton- bewohnenden Larven dafür sorgen, dass die Bestände nie eine Größe erreichen, die zu einem Ausschluss der Konkurrenz führt.

Bis heute kann man sich darüber trefflich streiten und keine These allein scheint die Fülle der Phänomene zu erklären.

Korallenfische sind an ihren Lebensraum sehr gut angepasst und in ihrer Morpho-logie, ihrer Färbung, ihrem Verhalten und ihren Lebenszyklen hoch spezialisiert – so scheint es. So hat die auffallende Färbung, die ja nur in den lichtdurchfluteten Ober-flächenregionen der klaren, warmen Ozeane zur Wirkung kommt, die unterschied-lichsten Aufgaben. Bei einigen Arten dient sie der Partnerfindung und -bindung, wobei die Männchen oft anders gefärbt sind als die Weibchen, bei anderen Arten dienen sie der Reviermarkierung, aber auch der Konturauflösung als Tarneffekt, um sich vor Räubern zu schützen. Geschlechtswechsel mit dem Alter, Haremsbildung, Brutpflege und strenge Territorialität sind häufige oder zumindest häufig beobach-tete Phänomene im Riff.

Die meisten Korallenfische besitzen einen hohen, seitlich abgeflachten Körper, der es ihnen ermöglicht, sich in dem stark strukturierten Lebensraum zwischen den Ko-rallen problemlos fortzubewegen. Eine Schwimmblase, die exakte Auftriebsneutra-lität sichert, und eine komplexe Flossenmuskulatur zusammen mit einer verkürzten Längsachse – in dieser Kombination alles »Erfindungen« der modernen Knochen-fische, der Teleosteer – erlauben das genaue Manövrieren im komplizierten dreidi-mensionalen Raum des Riffes. Sie ernähren sich entweder direkt von den Riffbild-

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Korallen und Fische, Koral lenfische? abgetaucht Jürgen Kriwet und Peter Bartsch

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nern und ihren Produkten (z.B. Riffbarsche, Falterfische, Feilenfische) oder aber sie nutzen den Riffkörper mit seiner sehr variablen und unterschiedlichen Morphologie als Lebens- oder Zufluchtsraum (z.B. Fahnenbarsche, Grundeln, Pelzgroppen). Wäh-rend die meisten Korallenfische permanent im Riff oder der zugehörigen Lagune leben, besuchen anderen dagegen das Riff nur sporadisch auf der Suche nach Nah-rung oder zum Schutz. Wieder andere Fische nutzen den stark gegliederten Lebens-raum als Kinderstube.

Aber wie groß ein Riff auch sein mag, der Lebensraum bleibt letztendlich begrenzt. Damit für alle Fische ausreichend geschützter Raum für die Ruhephasen zur Ver-fügung steht, wechseln sich tag- und nachtaktive Fische ab. Und so kommt jedem Fisch eine besondere Rolle im Riff zu. Während die meisten Fische eine ausgeprägt räuberische Lebensweise haben, gibt es in Korallenriffen auch solche, die sich an eine herbivore Lebensweise angepasst haben. Diese weiden Algen von den Koral-len ab, tragen so zur Kontrolle des Weichalgenbewuchses bei und schaffen immer wieder freie Hartgründe, die von Korallenlarven als Siedlungsfläche genutzt werden können. Jungfernfische (Pomacentridae) gehen sogar so weit, dass sie definierte Weichalgenflächen, von denen sie sich ernähren, bewachen, pflegen und gegen

Abb.4:

Schädelzeichnung von

Scarus guacamaia Cuvier,

1829 – Rainbow Parrotfish

(Scaridae, Papageifische)

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andere Fische verteidigen. Clownfische, die ebenfalls zu den Riffbarschen (Poma-centridae) gehören, sind erstaunlicherweise eine enge Symbiose mit Seeanemonen eingegangen, wobei die verschiedenen Arten immer nur mit bestimmten Seeanemo-nen vergesellschaft sind. Der berühmteste Clownfisch ist Nemo aus dem berühmten Zeichentrickfilm. Die Vorteile für den Fisch liegen auf der Hand. Die Seeanemone bietet den durchweg schlechten Schwimmern Schutz vor Räubern. Aber auch die kleinen Clownfische verteidigen ihre Seeanemone gegen Räuber, nämlich gegen Falterfische (Chaetodontidae) und Feilenfische (Monacanthidae). Es sind solche, be-sonders enge ökologische Wechselbeziehungen, die die These von dem Spezialis-tentum und der engen »Einnischung« der Korallenfische befördern.

Papageifische, zernagen und zerkleinern kranke, abgestorbene oder alte Koral-lenskelette effizient auf der Suche nach organischen Substanzen und tragen so zur Sedimentproduktion bei, indem sie die zerkleinerten kalkigen Skelette als feinen Sand entweder über die Kiemenspalten oder durch den Verdauungstrakt wieder ausscheiden. Diese Tätigkeit schafft aber auch wieder neuen Untergrund, der von verschiedensten Organismen besiedelt werden kann. Dagegen haben sich die klei-nen Putzerfische auf das Säubern anderer Fische spezialisiert. Sie richten gerade-zu Putzstationen in Riffen ein, wo andere Fische, auch große räuberische Zacken-barsche, sich von Parasiten oder abgestorbenem Hautgewebe befreien lassen.

Den überwiegenden Anteil der verbleibenden, in einem Riff lebenden Fische bilden Räuber, die sich entweder von Krebsen, Seesternen, Seeigeln und anderen Wirbel-losen ernähren oder aber sogar ihresgleichen jagen.

»Zeig mir deine Zähne und ich sage dir, was du frisst!«

Die Anpassung an unterschiedliche Ernährungsstrategien stellt eine der wesent-lichen Voraussetzungen für das Zusammenleben verschiedenster Fischarten in einem Korallenriff dar und ihre Vielzahl ist zugleich eines der wesentlichen Argu-mente für eine »Nischendifferenzierung« . Dabei bedingen ähnliche Anforderungen auch eine adäquate Ausstattung an morphologischen Erscheinungen, koordiniert mit dem Verhaltensrepertoire. Die Art der Ernährung äußert sich am augenfälligsten in Besonderheiten des Gebisses. Jeder von uns kennt dies von Säugetieren, aber auch von Haien und Fischen. In erster Linie geht es immer um fressen und gefressen werden. Aber während die Säugetiere ihre Nahrung in der Regel zuerst zerkleinern (sollten wir auch von uns selber kennen), verschlingen urtümliche Fische ihre Beu-te meist unzerkaut. Das Riesenheer der Fische hat dennoch jede nur erdenkliche ökologische Nische besetzt und sich entsprechend an die vorherrschenden Bedin-gungen und Nahrungsquellen angepasst. Wir haben das bei Korallenfischen bereits kurz betrachtet. Korrelationen zu den jeweiligen Nahrungspräferenzen mit entspre-chenden Umgestaltungen und Anpassungen im Nahrungsaufnahmeapparat erge-

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Abb.5 (oben, links):

Amphiprion clarkii (Bennett,

1830) – Pomacentridae

(Anemonenfische)

Löbbecke-Aquarium und

Museum, Düsseldorf

Abb.6 (oben, rechts):

Acanthurus sohal (Forskal,

1775) – Acanthuridae

(Doktor-fische) Rotes Meer

Abb.7 (mitte, links):

Repräsentanten zweier

typi-scher, riff-assoziierter

Fischgruppen: Cetoscarus

bicolor (Rüppell, 1829)

– Scaridae (Papageifische)

ein adultes Männchen;

darunter ein kleinerer

Verwandter – Thalassoma

rueppellii (Klunzinger, 1871)

»Klunzinger's Lippfisch« oder

»Regenbogenlippfisch«, Lab-

ridae (Lippfische); Rotes Meer

Abb.8 (mitte, rechts):

Chaetodipterus faber

(Broussonet, 1782)

– Ephippidae, West-Atlantik

Abb.9 (unten, links):

Balistapus undulatus

(Mungo Park, 1797)

– Orangestreifen-Drückerfisch,

Indo-Pazifik und Rotes Meer

Abb.10 (unten,rechts):

Chaetodon trifasciatus

Mungo Park, 1797 –

Chaetodontidae (Falterfische)

Rippelstreifen-Falterfisch/

Dreistreifenfalterfisch, Indik

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ben sich dabei aus der genauen Untersuchung des Gebisses, der Zahnform und der Anordnung der Zähne. Am Beispiel von Buntbarschen in afrikanischen Seesystemen wurde exemplarisch gezeigt, wie rasch nur kleinste Veränderungen in der Mundbe-zahnung oder in den Kiemenzähnen und deren Bewegungsweise zum Erschließen neuer Nahrungsnischen führen und damit Ausgangspunkt für eine fortschreitende Artbildung sein kann. Ausnahmslos erkennt jeder von uns intuitiv, dass tatsächlich ein außerordentlicher Zusammenhang zwischen der Morphologie eines Lebewesens und seiner Anpassung an besondere Lebensumstände besteht. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass die Umwelt die Gestalt eines Organismus in seiner evolutiven Entstehung beeinflusst hat, und dass der offensichtlich optimale Zusammenhang zwischen der Form und Funktion eines Organismus mit seiner Umwelt das Ergebnis natürlicher Selektion im Sinne Darwins ist. Diese als ökomorphologisches Paradig-ma bezeichnete Feststellung ermöglicht es, auch ohne genaue Kenntnis der Nah-rung Rückschlüsse auf Ernährungsweisen eines Organismus ziehen.

Sich von großen Brocken räuberisch ernährende Fische, die ihre Beute einsaugen, greifen und meist unzerkleinert verschlingen, besitzen so meist spitze oder messer-artige Zähne. Fische, die dagegen ihre Beute bzw. Nahrung vor dem Verschlucken manipulieren, also zerkleinern und für die Verdauung vorbereiten, zeichnen sich meist durch sehr typische und komplexe Bezahnungen aus. So besitzen Falterfische, die sich von kleinen Wirbellosen ernähren, die sie vor dem Schlucken zerteilen, kleine, oftmals zu Gruppen angeordnete spitze Zähne. Der Igelfisch (Diodon hystrix), der sich von hartschaligen Muscheln, Krebsen und Schnecken ernährt, hat dagegen massive, schnabelartige Zahnplatten.

Herbivore Korallenfische, also solche, die sich von pflanzlicher Nahrung ernähren, haben verschiedenste Anpassungen entwickelt, um mit der pflanzlichen Nahrung fertig zu werden. Diese reichen von den schnabelartigen Gebissen der Papagei-fische bis hin zu den hoch-komplexen und gefalteten Zähnen einiger Doktorfische. Viele dieser Fische lagern hohe Konzentrationen von Eisen in den Zahnschmelz zur Festigung der Zähne ein. Auch besitzen herbivore Fische keinen Magen, aber einen stark verlängerten Darmtrakt, in dem die zähe Zellulose und andere Bestandteile der pflanzlichen Nahrung aufgeschlossen werden.

Allerdings reicht es leider doch nicht aus, nur die Zähne zu betrachten, um Nah-rungsanpassungen herauszufinden, denn unterschiedlichste Gruppen haben entwe-der ähnliche Nahrungsanpassungen entwickelt oder aber nah verwandte Gruppen mit ähnlicher Anatomie haben unterschiedliche Nahrungsquellen erschlossen. Da-her muss der gesamte Nahrungsaufnahmeapparat einschließlich der Kieferknochen und -muskulatur sowie seine Funktionsweise in die Betrachtungen mit einbezogen werden. Oft reicht auch das noch nicht, weil ein Organismus immer eine evoluti-onshistorisch gewachsene »Kompromisslösung« aus verschiedensten funktionellen

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Anforderungen darstellt, nie eine auf eine oder wenige Funktionen optimierte Ingeni-eurleistung. Unter der laxen Mindestbedingung der Erhaltung der Art unter bestimm-ten aktuellen Umweltverhältnissen, kommen da in jedem Merkmalskomplex, neben exquisiten Lösungen konstruktiver Eleganz, auch rechte »Basteleien« heraus, mit denen man halt alles kann, aber nichts so richtig gut.

In jedem Fall empfiehlt sich die empirische und die experimentelle Überprüfung.

Im Verlauf der Evolution der Fische veränderte sich die Anatomie des Mund-Rachen-raumes, der zur Aufnahme, aber auch zur Manipulation der Nahrung dient. Bei sehr altertümlichen Fischen, die weitestgehend heute ausgestorben sind, besaß dieser Bereich eine röhrenförmige Gestalt. Annähernd findet man das noch bei den großen, bekannten Räubern mit den dreieckigen Rückenflossen, die das Riff umkreisen. Da-gegen ist der Mund-Rachenraum bei den meisten modernen Knochenfischen kegel-förmig umgestaltet. Der kleinste Kegeldurchmesser findet sich an der Mundöffnung, während der größte Durchmesser im Schlund liegt. Der Mund-Rachenraum kann – nicht nur bei Korallenfischen – durch Abspreizen des Kiemendeckels und spezieller Strukturen an der Unterseite des Kopfes, den Branchiostegalstrahlen, enorm vergrö-ßert werden. So wird bei geschlossenem Mund wegen der besonderen Form des Mund-Rachenraums ein Unterdruck erzeugt, der beim Öffnen des Mundes bewirkt, dass Wasser explosionsartig und mit enormer Kraft wie bei einem Staubsauger in den Mundraum gezogen wird und so Beute in der Nähe des Mundes mit sich reißt. Dieser Mechanismus wird als Schnappsaugen bezeichnet und ermöglicht es dem Fisch, Beute mit geringem Kraftaufwand zu überwältigen, überraschend oder sehr gezielt einzusaugen. Am tropischen Korallenriff lässt sich das in einer größten Vielfalt von Abwandlungen studieren.

Eine ganze Reihe von Fischen (z.B. Lipp- und Drückerfische) ernähren sich von auf dem Boden lebenden Wirbellosen (z.B. Brachiopoden, Seeigel, Muscheln, Koral-lenpolypen) und haben hierfür spezielle Greif- und Schneidezähne entwickelt, mit deren Hilfe sie die Beute am Boden ergreifen können. Nachdem die potentielle Beute vom Substrat gelöst ist, wird sie mit Unterstützung des Schnappsaugmechanismus in das Maul gesogen und von den breiten mahlförmigen Kieferzähnen zerkleinert. Andere Lipp- und Drückerfische haben sich auf im Sand lebende Lebewesen spe-zialisiert, die sie ebenfalls mit Hilfe des, nun aber umgekehrten, Schnappsaugme-chanismus freipusten und dann mit den Kieferzähnen ergreifen. Dabei wird Wasser durch plötzliche Verkleinerung des Mund-Rachenraumes unter Hochdruck ausge-stoßen. Aber auch kleine Schwarmfische, die sich von Kleinstlebewesen in der Was-sersäule ernähren, nutzen den Schnappsaugmechanismus, um Nahrungspartikel zu verschlingen.

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Diese kurze Übersicht zeigt, dass Korallenfische entsprechend ihrer Nahrungsöko-logie und den damit zusammenhängenden funktionellen Anpassungen in Gruppen zusammengefasst werden können. Dabei werden Fische unterschieden, die sich entweder von schalentragenden Wirbellosen, von großen bzw. kleinen am Substrat anheftenden oder aufsitzenden Tieren, von mobilen auf dem Boden lebenden Or-ganismen, von solchen, die sich im Sand verstecken oder sehr agil und in der freien Wassersäule schwimmen oder von Kleinstlebewesen ernähren.

Korallenfische vergangener Zeiten

Die evolutionäre Entwicklung der Riffe reicht bis weit in die Erdgeschichte zurück. So finden sich einfache Riffstrukturen bereits vor 3,8 Milliarden Jahren im Archai-kum. Korallenriffe entstanden vor etwa 500 Millionen Jahren. Während ihrer Evolu-tion entwickelten sich Riffe von einfach organisierten, ausschließlich aus Mikroben aufgebauten Systemen zu hochkomplexen Strukturen, die als evolutionäre Entste-hungszentren angesehen werden. Aber nicht nur neue Arten entstanden in den kom-plexer werdenden Riffen. Rifforganismen sorgten auch für die Bildung des ersten Sauerstoffs und in Riffstrukturen entstanden eine Vielzahl neuer Lebensräume, die es zu erobern galt.

Die Entwicklungsgeschichte der Fische reicht dagegen nur bis vor etwa 420 Millio-nen Jahre zurück und Fische, die als Korallenfische angesprochen werden können, traten vergleichsweise spät in der Evolution der Wirbeltiere auf. (Pardon: auch Fische gibt es nicht – spricht der gestrenge Systematiker in uns. Schon damals gab es fischartige Wirbeltiere, die den Landwirbeltieren näher verwandt sind, als der Mehr-zahl der »Fische«, die heute die wässrigen Gefilde bevölkern. Stimmt, wir benutzen den Begriff aber trotzdem für alle Gruppen primär aquatischer Wirbeltiere, weil wir

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Abb.11: Vertikalschnitt durch

den Rachenraum eines

Kugelzahnfisches

Gyrodus sp. aus dem Ober-

jura (150 Millionen Jahre vor

heute), von Chile

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sonst zu oft von Actinopterygii und Sarcopterygii, schreiben müssten – und was es der Zungenbrecher mehr auf diesem Felde gibt). Obwohl das Devon vor etwa 416–360 Millionen Jahren als Zeitalter der (sogenannten) Fische gilt, scheint keine der zahlreichen Gruppen mit den Riffen dieser Zeit in besonderer Weise interagiert zu haben. Nur selten wurden Fischfossilien aus dieser Zeit überhaupt direkt in Riff- oder Lagunenablagerungen gefunden (z.B. in der Bergisch-Gladbach Paffrather Mulde bei Köln). Die meisten Funde stammen aus Ablagerungen an einem Vorriff oder aus tonigen, feinkörnigen Ablagerungen, die Abrutschungen an untermeerischen Abhän-gen oder Sedimente der Tiefsee darstellen.

Erst in der Jurazeit finden sich Fische, die tatsächlich entsprechend dem ökomor-phologischem Paradigma als Korallenfische bezeichnet werden können. Die Jurazeit vor etwa 200–145 Millionen Jahre stellt in der Evolution der modernen Fische einen wichtigen Zeitabschnitt dar. Es war nämlich zu dieser Zeit, dass die ersten Teleos-teer, die das heutige Riesenheer der Fische mit etwa 25.000 Arten klar dominieren, entstanden und ihren Siegeszug antraten. Neben diesen frühen Teleosteern waren aber auch noch andere Fischgruppen sehr artenreich, darunter die Pycnodontier (Kugelzahnfische). Sie sind überwiegend kleine bis mittelgroße, hochrückige Fische mit einem seitlich abgeflachten Körper und in der Regel lang ausgezogenen Rücken-

Abb.12: Kieferapparat des Kugelzahnfisches Pycnodus platessus aus dem Eozän

(45 Millionen Jahre vor heute), Monte Bolca bei Veron, Italien

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und Analflossen, die mit der Schwanzflosse zusammen wohl ein effektives Ruder zum Manövrieren in stark strukturierten Lebensräumen bilden. In ihrer äußeren Form ähneln sie stark heute lebenden Korallenfischen. Im Gegensatz zu heutigen Koral-lenfischen waren aber die einzigen zahntragenden Elemente die paarigen Vorkiefer, der Gaumen und die Unterkiefer. Auf dem Gaumen und im hinteren Bereich der Unterkiefer sitzen breite, in mehr oder weniger regelmäßigen Reihen angeordnete Zähne, die den Pycnodontiern ihren Namen gaben. Diese Kieferelemente greifen wie Mahlsteine ineinander und sind in der Lage, auch hartschalige Beute zu zerkna-cken. Die Form der Kieferelemente und die Art, wie Gaumen- und Unterkieferzähne ineinander greifen, lässt die Vermutung zu, dass beim Kieferschluss enorme Kräfte und Drücke erzeugt werden konnten. An den vorderen Rändern der Kiefer hatten sie stift- oder meißelartige Zähne zum Ergreifen der Beute. Auch erhaltene Nahrungs-reste wie Seeigelstacheln, Muscheln und Korallenfragmente deuten darauf hin, dass Pycnodontier mit Korallenriffen direkt interagierten. Die Möglichkeit, bodenbewoh-nende Lebewesen zu ergreifen und zu verschlucken, deutet darauf hin, dass sich Pycnodontier vermutlich ebenfalls ähnlich einigen modernen Korallenfischen von Algen, also herbivor, ernährten. Ihre größte Verbreitung und Artenzahl hatten Pycno-dontier in der Jurazeit. Vor 45 Millionen Jahren starben sie dann endgültig aus.

Etwa zeitgleich mit ihrem Verschwinden traten aber auch die ersten Vertreter heutiger Korallenfische auf, die in der Folge eventuell die weniger erfolgreichen Pycnodontier verdrängten. Die Fossil-Lagerstätte Monte Bolca nahe Verona (Italien) aus dieser Zeit ist für die Rekonstruktion der Evolution moderner Korallenfische aufgrund ihrer ex-trem gut erhaltenen Fossilien von besonderer Bedeutung. Bis heute wurden mehr als 300 fossile Fischarten in 30 Meter Kalksteinschicht entdeckt. Diese Fundstätte, auch »Pescaria« (Fischschüssel) genannt, ist eine Momentaufnahme aus dem Eozän mit einer ungeheuren Fossildichte, die einmalige Einblicke in eine für die Evolution der modernen Knochenfische bedeutenden Epoche erlaubt. Aufgrund des Vorkommens aller für moderne Korallenriffe typischen Fischgruppen wurden die Fische von Monte Bolca ursprünglich als älteste echte Korallenfisch-Gemeinschaft interpretiert. Aller-dings wurden die Kalkgesteine, die diese Fossilien konservierten, nicht in der Nähe von Riffen abgelagert, sondern in einer Lagune bzw. küstennah im offenen Wasser. Die Fische repräsentieren daher eher eine offen-marine, subtropische Gesellschaft, denn eine hoch spezialisierte Riffgemeinschaft.

Bedenken wir aber auch, nach Beispiel der heutigen tropischen Korallenriffe, fände man außer den kalkigen Gebirgen der Riffbildner selbst nicht viel der quirligen Be-siedler fossil im Riff erhalten, weil alles Verwertbare auch sofort verwertet wird. Die Fische, die Korallenriffe bewohnen, müssen also nicht unbedingt ausschließlich auf Riffbereiche beschränkt sein. Ähnliche, nahe verwandte oder identische Arten mit entsprechenden Anpassungen finden sich auch in anderen Lebensräumen. Nach wie vor ist es daher schwer, einen Korallenfisch abzugrenzen, wenn wir auch po-

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tentielle Korallenfischgruppen anhand der funktionsmorphologischen Überlegungen erkennen mögen. Sowohl ökologische als auch taxonomische Parameter versagen hier vollständig. Ein Korallenfisch lässt sich am ehesten dadurch charakterisieren, dass er mit dem Riff direkt interagiert. Diese Erkenntnis erschwert aber die Defi-nition von Korallenfischen in der geologischen Vergangenheit und lässt unklar, ob Evolution vorwiegend im Riff selbst stattfindet oder der Artenreichtum vorwiegend vielfachen Besiedlungsereignissen zu danken ist.

Korallenfische haben uns enorm viel über die Zusammenhänge zwischen Form, Funktion und Umwelt gelehrt. Sie zeichnen sich durch eine schier endlose Formen-fülle mit speziellen Anpassungen an die verschiedensten Nahrungsquellen und Le-bensräume in einem Riff aus. Die enorme Artenfülle der einzelnen Gruppen und ihre vergleichsweise kurze Evolutionsgeschichte (z.B. Lippfische) deuten auf adaptive Radiationsereignisse ähnlich wie bei den Buntbarschen der afrikanischen Seesyste-me hin. Sicherlich wird mit zunehmendem Kenntnisstand der verwandtschaftlichen Beziehungen der Korallenfische zueinander ein besseres Verständnis der so er-folgreichen Evolution von heutigen Riffgemeinschaften ermöglicht, hoffentlich bevor Klimaveränderung und industriell erhöhte Sedimentfrachten der Flüsse uns diese ästhetischen und lehrreichen Naturphänomens beraubt haben.

Abb.11: Ober- (links) und

linker Unterkiefer (rechts)

des Kugelzahnfisches

Gyrodus planidens aus

dem Tithon (150 Millionen

Jahre vor heute)

von Weymouth, U.K.