096-117_ Die Evolution der Korallenriffe – und was uns die Jura-Riffe dazu verraten

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»abgetaucht«Begleitbuch zur Sonderausstellung zum internationalen Jahr des Riffes 2008Herausgeber:Museum für Naturkunde der Humboldt-Universität zu Berlin,Reinhold Leinfelder, Georg Heiss, Uwe MoldrzykRedaktion:Georg Heiss, Uwe MoldrzykGestaltung und Satz: Nils HoffKonradin Verlag Rob. Kohlhammer GmbH, Ernst Mey-Strasse 870771 Leinfelden-EchterdingenDas Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Herausgebers unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme.Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem PapierUmschlaggestaltung: Nils HoffDruck: Druckerei Conrad GmbHPrinted in GermanyISBN 3-920560-23-XBestellen bei Amazon.dehttp://www.amazon.de/Abgetaucht-Sonderausstellung-internationalen-Jahr-Riffes/dp/392056023X/ref=sr_1_1?ie=UTF8&s=books&qid=1209558371&sr=8-1

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Das Ökosystem Korallenriff – ein »Dauerbrenner«?

Beginnen wir mit ein paar Superlativen! Tropische und subtropische Korallen-riffe repräsentieren das vielfältigste marine Ökosystem, welches wir heute auf der Welt kennen, etwa 60.000 Arten sind aus Riffen bislang bekannt, bis zu 1 Milli-on verschiedene Arten vermutet man dort, der ökonomischen Wert der Riffe be-ziffert sich auf Milliarden pro Jahr. Das ist beeindruckend, aber leider gleichzei-tig auch bedrückend, wenn wir an die immense Bedrohung dieses faszinierenden und wertvollen Lebensraums denken (siehe weitere Artikel in diesem Buch). Aber sind Korallenriffe eigentlich erst heute derart faszinierend und komplex oder war das immer schon so? Diese Frage müssen wir sehr differenziert beantworten, denn entstanden sind die ersten Korallenriffe schon vor ca. 450 Millionen Jahren (siehe auch Kiessling, dieses Buch), und auch diese Riffe waren sicherlich bereits beein-druckend. Ein Ökosystem Korallenriff gibt es also schon seit Urzeiten. Andererseits hat sich der Komplexitätsgrad des Ökosystems überaus gesteigert und erreichte eigentlich erst vor ca. 30 Millionen Jahren seine heutige Komplexität. Die heutigen Korallenriffe sind also gleichermaßen ein Produkt einer viele hunderte Millionen Jah-re währenden Evolution sowie auch Ausdruck der aktuellen Umweltsituation. Dass beides nicht voneinander zu trennen ist und auch nie zu trennen war, soll dieser Artikel etwas aufzeigen. Denn Korallenriffe sind ein hervorragendes Beispiel dafür, dass nicht nur Organismen einer Evolution unterliegen, sondern dass dies auch für ganze Ökosysteme gilt. Die Ökosysteme der früheren Korallenriffe sahen nämlich teilweise doch deutlich anders aus als das Ökosystem der heutigen Korallenriffe. Das Ökosystem Korallenriff war also gewissermaßen kontinuierlich auf Reisen, wenn auch in unterschiedlicher Geschwindigkeit und nicht immer wirklich geradlinig, und auch die Breite des Wanderwegs war oft sehr unterschiedlich. Eine der Schlüs-selzeiten, sozusagen der Aufbruch in die Reise der Neuzeit lag vor etwa 150 Mil-lionen Jahren, in der erdgeschichtlichen Periode des höheren Jura. Dieser Artikel soll die Riffe auf dieser ungewöhnlichen evolutionären Zeitreise etwas begleiten.

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Die Evolution der Korallenriffe – und was uns die Jura-Riffe dazu verratenReinhold Leinfelder

Abb.1:

Turmförmige jurassische

Korallenriffe in Ostspanien,

Arroyo Cerezo.

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Abb.2: Riffevolution und Riffsterben während der Erdgeschichte. Im Unterschied zur gerichteten

Weiterentwicklung der generellen Riffstruktur waren Riffe in der Erdgeschichte sehr unterschied-

lich häufig (blaue Linie). Auch die Zusammensetzung der wichtigen Riffbildner änderte sich lau-

fend. Stromatoporen sind hier bei den Kalkschwämmen gruppiert. Die Gruppe »Sonstiges« war

im Präkambrium und Jungpaläzoikum (Karbon / Perm) besonders wichtig. Sie bestand, in unter-

schiedlicher Häufigkeit, insbesondere aus cyanobakteriellen und bakteriellen, krustenbildenden

Mikroben, darunter Cyanobakterien sowie aus verschiedenen Kalkalgen, Moostierchen, Seelilien,

Brachiopoden und anderen. Globale Aussterbeereignisse sind durch Totenköpfe, weniger umfas-

sendes Massensterben durch Sternchen charakterisiert. Nach dem katastrophalen Aussterben

der meisten paläozoischen Korallen im höheren Devon dauerte es etwa 140 Millionen Jahre, bis

wieder subtropische Korallenriffe des Flachwassers auftraten.

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Der vorhergehende Artikel zeigte auf, dass der generelle Lebensraum »tropisch-sub-tropisches Flachwasserriff« schon seit langem besteht. Auch in Riffen der fernen Devonzeit, also vor etwa 400 Millionen Jahren gab es bereits Vergleichbarkeiten zu heutigen Riffen, nicht nur weil Korallen in diesen Riffen zahlreich vorkamen, sondern es gab bereits Saumriffe, Barriereriffe und sogar Atolle. Allerdings konnten für die-se frühen Riffe die ökologischen Kontrollfaktoren und damit der generelle Lebens-raum doch teilweise sehr unterschiedlich sein, worauf wir noch eingehen werden. Kiessling führt in seinem Artikel (dieses Buch) ebenfalls aus, dass nur wenige der großen Aussterbeereignisse, insbesondere im späten Oberdevon sowie an der Wen-de Perm/Trias die Flachwasserriffe »vorübergehend«, d.h. manchmal »nur« wenige Millionen Jahre, einmal aber sogar weit über 100 Millionen Jahre zum Verschwinden brachte, während andere Umweltkatastrophen, wie etwa im späten Ordovizium oder auch an der Kreide / Tertiär-Grenze, an der ja nicht nur die Dinosaurier, sondern auch die Ammoniten und viele andere Tiergruppen der Meere ausstarben, den Riffen eher weniger zu schaffen machten. Zum Teil ist dies damit zu erklären, dass komplexe Ökosysteme, wie sie Riffe insbesondere darstellen, oftmals Redundanzen aufweisen. So sind für bestimmte Aufgaben im Riff, etwa das notwendige Abweiden von Weich-algen, verschiedene Tiergruppen verfügbar, insbesondere natürlich die algenabwei-denden Fische, aber auch viele Seeigelarten. Bei den »Kläranlagen« der Riffe, die für die Lichtdurchlässigkeit des Oberflächenwassers wesentlich sind, gibt es noch viel mehr solcher Redundanzen. So gibt es filtrierende Muscheln, Schwämme, Moos-tierchen, Armfüßer, Seepocken, Seescheiden und vieles mehr, die allesamt kleinste Nahrungspartikel aus dem Wasser fischen und damit das Wasser sauber und klar halten. Wenn aber auch diese Redundanzen geschädigt sind, dann kommt es zu ka-tastrophalen »Kippschalter-Effekten«, dann können auch schon eher kleinere Ursa-chen einem vorgeschädigten Riffareal oder gar globalem Ökosystem sehr rasch den Garaus machen. In Redundanzsysteme und Adaptationsvermögen stecken wir die Hoffnung, dass unsere heutigen Riffe trotz aller anthropogenen Schädigungen doch noch weiter existieren können, Kippschalter-Effekte sind dabei die große Bedrohung.

Riff ist nicht gleich Riff

Wir wollen uns nicht lange mit Definitionen aufhalten, aber soviel dennoch: Geo-logen und Paläontologen verstehen unter einem Riff einen in der Regel kalkigen Gesteinskörper, der eindeutig durch die Aktivität von Organismen entstanden ist. In der Regel stellt der Kalk die zusammenzementierten Schalen und Skelette von Rifforganismen dar, aber teilweise kann er auch nur Ausdruck der Stoffwechseltä-tigkeit von Organismen sein. Dies gilt etwa für Kalkhügel, die auf die Lebenstätig-keit einfacher Blaualgen und anderer Mikroben, zurückgehen. Durch organische Schleime, aber auch durch die Photosynthese wird Kalk indirekt gefällt. Gerne sehen es die Geowissenschaftler, wenn bei diesen organischen Kalkbildungspro-

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zessen Hügelstrukturen entstanden sind, denn an diesen Reliefs erkennen sie Riffe nämlich besonders leicht. Aber auch eher kissen- oder rasenförmige Gebilde gelten als Riffe, sofern sie eben nachweisbar auf Organismen, die eng und zahlreich zu-sammenleben und dabei Kalk produzieren, zurückgeführt werden können. Schaut man mit dieser »Riffbrille« durch die Erdgeschichte, gab und gibt es unter den Rif-fen längst nicht nur tropische Korallenriffe, auch heute gibt es noch Schwammriffe oder Austernriffe, und auch bei den modernen Korallenriffen finden sich neben den viel besser bekannten tropisch-subtropischen Korallenriffen auch die Kaltwasser-riffe, die in den Tiefen der Meere, insbesondere der Nordmeere beheimatet sind.

In der Erdgeschichte war diese Vielfalt noch höher. Es gab Mikrobenriffe, darunter die Stromatolithen, sowie andere Algenriffe, Kieselschwamm-Mikroben-Riffe, Kalk-schwamm-Riffe, Riffe aus der Muschelgruppe der konisch wachsenden Rudisten, sogar Riffe aus bestimmten Armfüßern (die Richthofenien-Riffe) und vieles mehr. Manche wuchsen im tieferen Wasser, viele auch im Flachwasser. Aber selbst bei den Korallenriffen des Flachwassers gab es viele Übergänge zu anderen Typen. Im Devon waren in solchen Korallenriffen eigentlich die Stromatoporen, also eine Gruppe von Schwämmen mit Kalkskelett, ganz besonders wichtig und dominierten häufig sogar die Korallen, so dass man besser von Stromatoporen-Korallenriffen sprechen sollte. In der Triaszeit gab es Kalkschwammriffe, die auch Korallen aufweisen, und in der Kreidezeit wuchsen gemischte Rudisten-Korallenriffe. Es ist also gar nicht immer so leicht zu sagen, was ein Korallenriff ist. Auch waren die einzelnen Riffe nicht immer glei-chermaßen zahlreich vorhanden. Abb. 2 zeigt in vereinfachter Form die Dominanz der Rifforganismen während der Erdgeschichte. Für weitere Details siehe Artikel Kiessling.

Die Evolutionsreise der Riffe:

Problemlösung schafft neues Problem

Warum also finden wir nun diese Vielfalt von Riffen, und warum sind denn nicht einmal die Korallenriffe miteinander so richtig vergleichbar? Korallenriffe sind also, obwohl es sie schon so lange gibt, offensichtlich keine »lebenden Fossilien«, wie der Pfeilschwanzkrebs, der Nautilus, der Quastenflosser, oder der Ginkgo-Baum, die, wenn sie einmal ihre optimale Nische gefunden haben, zumindest äußerlich über die Jahrmillionen, ja teilweise Hunderte von Jahrmillionen unverändert blieben. Ko-rallenriffe und Riffe überhaupt haben aber, so könnte man sagen, ihre eigentliche Nische bis heute nicht vollständig gefunden. Das klingt nun sehr vermenschlicht, aber das soll hier sowie im Nachfolgenden selbstverständlich nur übertragen und sinnbildlich gemeint sein, denn kein Riff sucht sich seine Nische selbst im sprich-wörtlichen Sinne. Vielmehr bewirkt die Vielzahl von Organismen in einem Riff ex-treme Konkurrenz auch untereinander und wenn sich die Umwelt ändert, gibt es weitere Herausforderungen. Besondere evolutionäre Anpassungen, die einen Vorteil

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vor anderen verschaffen, setzen sich dabei natürlich leicht durch, fordern aber die anderen Organismen gleichsam heraus, hier mitzuhalten, und wieder weitere Inno-vationen evolutionär zu entwickeln. Wenn ein Lebensraum sehr begrenzt ist, wie das bei Riffen der Fall ist, ist der Druck, evolutionäre Innovationen zu entwickeln, die sogar neue Lebensräume erschließen, besonders hoch. Auf dieser Entwicklung der Ursachen und der Reaktionen darauf wollen wir die Riffe kurz begleiten, bevor wir dann in die besonders spannende Entwicklung in der Jurazeit weiter eintauchen.In den Urozeanen befand sich eine Fülle von energiereicher organischer und an-organischer Substanz, die frühe Mikroben verwerten konnten. Dazu gehörten Ar-chaebakterien und wohl auch andere Bakterien, die in den damals noch sauer-stofffreien Meeren lebten. Vereinfacht gesagt wurde durch die hohe Übersättigung der archaischen Meere an gelöstem Kalcium und Hydrogenkarbonat schon durch einfache Stoffwechseltätigkeit häufig Kalk gefällt, so ähnlich wie heute Bakterien auch Zahnbelag und Zahnstein produzieren. Auf einer derartigen Kalklage bildete sich dann ein neuer Mikrobenfilm, das bedeutete Aufwand, hatte aber einen bedeu-tenden Vorteil: Millimeter für Millimeter lagen diese Filme höher als vielleicht konkur-rierende Filme in der Nachbarschaft, die nicht verkalkten. Von den herabfallenden organischen Substanzen bekam man so leichter etwas ab als die anderen. In ge-wisser Weise war das erste Riffsystem erfunden, denn die Lebenstätigkeit dieser anoxischen Mikroben bewirkte die Bildung organischen Kalkes. Hat das andere sozusagen herausgefordert? So könnte man es fast nennen. Cyanobakterien, bei denen es auch viele fädige, nach oben wachsende Formen gibt, bringen durch ihren Stoffwechsel ebenfalls Kalk zur Fällung, aber sie hatten einen entscheidenden Vor-teil. Sie waren nicht auf nährstoffreiche Bereiche angewiesen, denn sie konnten sich ihre Nahrung durch Photosynthese selbst aus Kohlendioxid, Wasser und Sonnen-licht herstellen. Auch sie verkalkten und schoben sich rasch höher. Stromatolithen entstanden weitverbreitet, allerorten. Allerorten? Sicherlich nicht, denn es musste im-merhin noch ein bisschen Licht vorhanden sein, auch wenn viele Cyanobakterien mit sehr wenig Licht auskommen können. Die Cyanobakterien haben also das Riffsys-tem gleichsam ins etwas flachere Wasser »verschoben«. Aber Drama: die Cyanobak-terien produzierten mit ihrer Photosynthese das Zellgift Sauerstoff. Zwar dauerte es sehr lange, bis die Meere höhere Sauerstoffgehalte aufwiesen, denn der von den Cy-anobakterien produzierte Sauerstoff wurde gleich wieder durch Oxidation von Eisen abgefangen. Hierbei halfen Eisenbakterien, die weitverbreitet Eisenstromatolithen bildeten, die sogenannten gebänderten Eisenerze, also die Hauptressource von Ei-senerz auf unserer Erde. Doch langsam stieg der Sauerstoffgehalt an und zwang die nicht sauerstoffresistenten anoxischen Mikroben, in sauerstoffarme Gebiete auszu-weichen. Häufig wuchsen sie unterhalb der Cyanobakterienmatten weiter, dort war zwar kein Sauerstoff, aber sie konnten gleich die toten Cyanobakerien recyceln. Der erste Schritt zur Arbeitsteilung im Riff war gemacht. Derartige zweilagige Stromato-lithen, bestehend aus Cyanobakterien und anoxischen Bakterien gibt es bis heute.

Abb.3:

Präkambrisches Stromatolith-

Riff aus Kanada. Anpoliertes

Detail. Die einzelnen Kalklagen

wurden durch Cyanobakterien

und andere Mikroben gebildet.

Breite ca. 20 cm.

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Dieses Konsortium war bereits damals derart erfolgreich, dass es sich immer weiter im Flachwasser ausbreitete, denn dort war natürlich die Durchlichtung am besten. Die ersten Riffe hatten sich also gleichsam unerschöpfliche Nahrung erschlossen, dabei das von ihnen selbst geschaffene Sauerstoffproblem gelöst, mussten sich jedoch aufs flachere Wasser beschränken. Aber der Erfolg war gleich wieder das Problem: sie produzierten enorm viel Kalk. Langsam war durch die Aktivität der Stromatolithen nicht nur soviel Sauerstoff vorhanden, dass die Meere und bald auch die Atmosphä-re noch sauerstoffreicher wurden, sondern die Stromatolithriffe entzogen dem über-sättigten Wasser soviel Kalzium in Form von Kalziumkarbonat, also Kalk, dass auch dadurch höheres Leben möglich wurde. Dies ist zumindest eine der existierenden Hypothesen, denn Kalzium ist in zu hohen Konzentrationen ein starkes Zellgift. Die neu entstehenden mehrzelligen Organismen, zuerst wohl einige Wurmartige, sowie Schwämme entwickelten eine Methode, das überschüssige Kalzium gezielt und von Enzymen kontrolliert als echtes biologisches Außenskelett abzulagern. Die ersten echten Kalkschalen und Kalkskelette entstanden. Diese Skelette verbesserten die Möglichkeiten zum Höhenwachstum, denn sie brachten gleichzeitig Stabilität und Schutz. Sie wuchsen auf und zwischen den Stromatolithen und stellten damit für die Stromatolithen zunehmend eine Raumkonkurrenz, jedoch keine Nahrungskonkurrenz dar, denn diese kalkigen Vielzeller, wie etwa Archaeocyathen-Schwämme oder die andere Schwämme, später aber eben auch die Steinkorallengruppen des Paläozoi-kums, filtrierten das mittlerweile ebenfalls weiter differenzierte Plankton, also Kleinst-lebewesen aus der Wassersäule. Aber die Strategie, rascher als die Stromatolithen nach oben wachsen zu können, stellte das System um - der Wettkampf um die Plank-ton-Nahrung begann: wer schneller hochwuchs als die anderen, konnte mehr Nah-rung wegfiltern. Aber man konnte andererseits auch wieder ausweichen, etwa sich in tieferem Wasser ansiedeln oder auch auf etwas weicheren Meeresgrund leben. Vor allem die so genannten Rübenkorallen passten sich daran an, diese Weichgründe zu besiedeln konnten aber die Stromatolithen nicht wachsen, deren Bedeutung abnahm. Das Riffmilieu war also nun eher undeutlich, wenig konkret, und unterschied sich nicht

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Abb.4:

Angewitterte devonische Rübenkoralle. Deutlich zu sehen

sind die inneren Skelettstrukturen (Querböden und Septen).

Die Einzelkoralle kippte auf weichem Sediment während des

Wachstums um und wuchs im 90 Grad-Winkel weiter, bevor

sie vor der Einbettung wieder umkippte (Blick auf die Schicht-

fläche). Breite des Ausschnitts 40 cm. New York State, USA

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so sehr von den Nichtriff-Arealen, denn sowohl innerhalb als auch außerhalb der Riffe wuchsen Korallen und Schwämme zusammen mit anderen filtrierenden Organismen wie Moostierchen, Armfüßer, Muscheln (Abb. 4). Allesamt waren sie weit verbreitet und kamen in den unterschiedlichsten Wassertiefen vor. Bald aber schärfte sich das Riffmilieu zunehmend, denn obwohl man im flacheren Wasser Gefahr lief, von tief-greifenden dort weiter existierenden Stromatolithen zusammenzuleben, denn diese konnten aus dem Lockergeröll eines Hurrikanschadens immer wieder durch Über-wachsen einen festen Untergrund formen und das Riff insgesamt stabilisieren – das Riffsystem konzentrierte sich auf geeignete Stellen im flacheren Wasser, allerdings nur dort, wo genügend Nahrung vorhanden war. Das war ein neues Problem. Irgend-wann jedoch, wir wissen leider nicht genau wann, aber möglicherweise irgendwann während der Devonzeit, vielleicht schon vor 400 Millionen Jahren, vielleicht auch erst später, wurde dort etwas Revolutionäres erfunden – eingestrudeltes Algenplankton war möglicherweise schwer verdaulich und drang sogar lebend ins Oberflächen-gewebe mancher Schwämme ein. Es lebte dort munter weiter und synthetisierte, gut geschützt und durch Kohlendioxidstrom des Tiers erleichtert, weiterhin Kohlehydrate und andere organische Nährsubstanzen. Die Abfallstoffe des Tieres düngten diese Mikroalgen sogar noch, so dass sie umso besser gediehen. Daraus entwickel-te sich eine wunderbare Gemeinschaft zum gegenseitigen Vorteil, eine Symbiose, die den Wirtstierenn, ähnlich wie den pflanzenartigen Stromatolithen ermöglichte, im sehr flachen Wasser ohne hohes Aufkommen von Plankton zu leben. Ein Selbst-verstärkungseffekt setzte ein, denn in klarerem Wasser funktionierte auch diese als Photosymbiose bezeichnete Beziehung besser und der Nährstoffmangel war ja nun kein Problem mehr. Der direkte Verbrauch der Abfallstoffe der Algensymbionten verbesserten auch noch die Kalkausscheidung und das Höhenwachstum. Ortho-phosphate sind zum Beispiel typische tierische Ausscheidungsprodukte, welche die Kalkabscheidung behindern, wenn diese Stoffe in die freie Wassersäule gelangen.

Unser schönes Modell hat ein paar kleinere Haken. Wir sagten schon, dass wir nicht wissen, wann diese Photosymbiose, die ja die wesentliche Lebensgrundlage un-serer heutigen Flachwasserkorallenriffe darstellt, zum ersten Mal aufgetreten ist. Neuere Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass die damaligen Devon-Koral-len diese Symbiose noch überhaupt nicht entwickelt hatten, denn ihnen fehlen die symbiosetypischen Verkalkungsmuster, nämlich Jahresringe aus charakteristischen Doppellagen, wie sie die heutigen photosymbiontischen Steinkorallen besitzen. Die Bänderung der paläozoischen Korallen sieht anders aus und könnte durch jährliche Nährstoffzyklen hervorgerufen worden sein. Allerdings waren die Stromatoporen, also diese archaische Form von Schwämmen mit Kalkskelett teilweise sehr groß. Ein halber Meter Durchmesser oder auch mehr waren nicht selten. Sie weisen meist ebenfalls eine Skelettbänderung auf und scheinen insgesamt sehr rasch gewachsen zu sein. Das kann durchaus auf das Vorhandensein von Photosymbionten hinwei-

Abb.5:

Sehr einfach strukturierte

Bödenkorallen (Tabulata)

(oben, Mitte) sowie Kalk-

schwämme (Stromatoporen,

unten) aus dem Paläozoikum

(Silur von Kanada).

Das Korallenwachstum wurde

durch erhöhte Sedimentation

beendet, wie die Überschüt-

tung mit feinem Kalkschlamm

anzeigt.

Breite des Hammerstils 4 cm.

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sen, auch wenn entsprechende charakteristische chemische Signale aufgrund des Alters der Skelette nicht mehr nachweisbar sind. Schade, dass ausgerechnet die wenigen heutigen Stromatoporen, die man erst in den fünfziger Jahren als soge-nannte lebende Fossilien gefunden hat, keine Photosymbionten besitzen. Das muss jedoch nichts für die fossilen Formen bedeuten, denn auch heute gibt es kalkske-letttragende Korallen mit und ohne Symbionten. Außerdem wachsen die heutigen Stromatoporen in Riffhöhlen, während dies für die paläozoischen und mesozoischen Verwandten nicht zutrifft. Die Sache ist also offen, und die meisten Riffforscher ge-hen davon aus, dass diese Riffmilieus schon Ähnlichkeiten mit den heutigen Flach-wasserriffen hatten, allerdings mit zwei wesentlichen Ausnahmen: (1) die Korallen dieser Riffe hatten vermutlich noch keine Photosymbionten; (2) es gab korallenreiche Riffe in sehr viel mehr Varietäten und an vielfältigen Standorten, also auch auf wei-chem Untergrund, in sedimentbeladenem Wasser oder auch im tieferen Wasser.

Wann also ging es mit Korallenriffen los, die mit den heutigen direkt vergleichbar sind? Wir gehen davon aus, dass dies seit der Jurazeit grundsätzlich so war, denn ab dann ist diese Photosymbiose nachweisbar, näheres dazu schauen wir uns gleich im nächsten Abschnitt an. Also, spätestens im Jura waren dann auch die meisten Steinkorallen lichtabhängig. Damit zog eine große Schar neuer Korallenformen ins Flachwasser ein, während andere ins recht tiefe Wasser abwanderten und damit die Vorläufer der heutigen Kaltwasserkorallenriffe bildeten – Korallenriffe auf dem Scheideweg. Während der Kreidezeit kriselte es, da das Klima und die Meeres-zirkulation wegen des extrem hohen Meeresspiegels verrückt spielte und andere Konkurrenten, nämlich die Rudisten-Muscheln teilweise begünstigte (siehe Artikel Kiessling). Doch seit dem Paläogen (dem früheren Alttertiär) sollten nach Aussterben der Rudisten gemeinsam mit den Dinosauriern die Riffe den heutigen doch schon recht ähnlich sein. Ist dies so? Nun ja, noch immer nicht so ganz - die heute so wichtigen Kalkkrustenrotalgen, die wegen ihres harten Skelettes auch koralline Al-gen genannt werden, gab es zwar schon seit der Kreidezeit, mit Vorläufern sogar seit der Jurazeit, aber dieser in heutigen Riffen so weit verbreitete Algentyp machte sich erst im späteren Paläogen, vor etwa 30 Millionen Jahren auf, auch die flachsten und höchstenergetischen Meeresbereiche zu erobern. Mit ihnen zogen auch etli-che Korallen in diese Regionen und erst seither sehen die Riffe so aus, wie wir sie etwa vom Großen Barriereriff Australiens oder dem Barriereriff von Belize kennen. Riffkämme, die im flachsten Wasser die Wellen brechen und den Ozean trennen in ein tiefes, dunkles Vorriff und eine sehr wellengeschützte, meist flache Lagune, mit wunderbaren Sandstränden, die kleine Inseln oder die Festlandsküste säumen.

Fassen wir nochmals zusammen, warum die Korallenriffe so lange auf Reisen waren: Während des Präkambriums gab es nur Mikrobenkrustenriffe, meist in Form von Stromatolithen. Deren Wachstum veränderte die Welt für immer. Die frühen Riffor-ganismen produzierten Sauerstoff, entgifteten die Urmeere und entzogen Kohlen-

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dioxid: sie schufen damit die Voraussetzungen für höhere Rifforganismen mit Kalk-skelett. Diese frühen Stromatoporen und Schwammriffe waren auf externe Nahrung, auf Plankton angewiesen und wetteiferten um die Plätze, an denen es viel davon gab, die Organismen wuchsen so rasch und hoch es ging nach oben, die Konkur-renz wurde riesig, das Futter knapp. Irgendwann wurde als Anpassung an dieses Problem die Photosymbiose erfunden. Das machte diese Tiere sehr viel unabhän-giger von Plankton, und der neue Schwerpunkt der Riffentwicklung verlagerte sich in nährstoffarme Gebiete der tropischen Hochsee. Wieder begann die Konkurrenz um die besten Plätze, wieder ging es um möglichst rasches Hochwachsen, aber auch darum, möglichst viel Fläche zu haben, damit die nun lebensnotwendigen Photo-symbionten, also die dezentralen pflanzlichen Sonnenkraftwerke gedeihen konnten. Ästige, ausladende, schaufel- und tellerförmige Korallen entwickelten sich in großer Vielzahl. Wer aber am höchsten wächst oder sich ins flachste Wasser wagt, gerät auch am ehesten in Gefahr von Wellen zerbrochen zu werden. Das war ein großes Problem für diese Riffe, denn zerbrochenes Korallengeäst wirkt im bewegten Was-ser wie Schmirgelpapier und tötet auch die noch gesunden Korallen ab. Es waren die Kalkkrustenrotalgen, die durch Anpassung dieses Problem beheben konnten, denn sie konnten während windstiller Zeiten nicht nur über dieses Lockermaterial wachsen und es befestigen, sondern hielten auch selbst dem nächsten Sturm stand. Seitdem besteht ein Boom im Riff, möglichst flache Plätze einzunehmen, und die

Abb.6: Die Entwicklung der wichtigsten strukturellen Riffmodule während der Erdgeschichte. Neue

Module kamen kontinuierlich hinzu; frühere Module blieben jedoch erhalten. Ein modernes Koral-

lenriff hat damit eine deutlich höhere Komplexität als etwa ein paläozoisches Korallenriff. Durch

diese modulare Entwicklung konnten Lebensräume erobert werden, die zuvor von Rifforganismen

nicht besiedelbar waren (z.B. extrem nährstoffarme Hochseebereiche seit Vorhandensein von Mo-

dul 6; höchstenergetische Bereich seit Vorhandensein von Modul 7 (insb. 7b). Die Entwicklung

bedingte jedoch auch eine stärkere Einnischung der Riffe.

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Korallen haben sich ihrerseits an gelegentliches Zerbrechen angepasst. Manche haben dies zu einer Fortpflanzungsstrategie weiter entwickelt, denn abgebrochene Äste etwa von Geweihkorallen können einfach weiterwachsen und andernorts wie-der festwachsen. Interessant ist auch, dass sich alle evolutionären Neuerungen vom Grundsatz her erhalten haben, sie wurden nicht aufgegeben, es kamen nur immer wieder neue Module dazu. So gibt es auch in heutigen Korallen neben den sym-biontischen Korallen auch asymbiontische kalkschalige Korallen und Schwämme, neben den Kalkkrustenrotalgen gibt es weiterhin auch die Mikrobenkrusten, die ähn-lich wie Stromatolithen in den Lücken des Riffs wachsen und dazu beitragen, das Riff zu stabilisieren. All das Hin- und Her in der Häufigkeit der Riffe, all die Krisen der Evolution und auch die vielen Schwankungen in der Artenvielfalt auch der Riffe hat an dieser generell zunehmenden Komplexität der Riffmodule nichts geändert.

Sind nun alle Probleme gelöst, die Evolution der Korallenriffe am Ziel angekommen, selbst wenn wir den menschlichen negativen Einfluss einmal außer Acht lassen wür-den? Sicherlich nein, denn ein Ziel gibt es in der Evolution nicht und die Heraus-forderungen nehmen selten ab. So auch bei den heutigen Korallenriffen. Durch deren Anpassung auch an das allerflachste Wasser sind die Lagunen hinter den Riffen derart gut vom offenen Meer abgeschirmt, dass es in warmen Sommern zu starken Überhitzungen kommen kann. Dies freut zwar den Badegast, aber nicht die Riffe: das überhitzte Wasser kann sich sehr leicht schädlich über die Korallenriffe ausbreiten. Das Problem des Korallenbleichens liegt also auch in der Evolution der Riffe selbst begründet. Eigentlich könnte man zuversichtlich sein, dass die Evolution auch dieses, von ihr selbst geschaffene Problem durch Anpassung und Selekti-on wiederum selbst meistert, aber die Erdgeschichte zeigt uns, dass für derartige Anpassungen viel Zeit notwendig ist, zuviel, wenn man betrachtet, wie rasch der Mensch heute an der Temperaturschraube der Erde dreht. Hoffnung allein, dass die Evolution sich wieder als Problembewältiger bewährt, genügt nicht. Der Wanderweg der Riffe ist auch zunehmend enger geworden, d.h. die Riffe haben sich zunehmend eingenischt, also immer engere Grenzen ihres Lebensraums durch die sehr guten gegenseitigen Anpassungen selbst gesetzt. Dass sie damit eher anfälliger werden, liegt auf der Hand. Wenn wir den Riffen also ihren Lebensraum zu rasch aufheizen und auch ansonsten durch direkte schädliche Einflüsse ihr Gleichgewicht zerstören, wird ihr »Autoimmunsystem« nicht funktionieren können. Auch dies zeigt die lange Reise der Korallenriffe durch die Erdgeschichte deutlich an.

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Der »Jurassic Reef Park« –

Schlüssel zum Verständnis der modernen Riffe

Die generelle Reise der Riffe haben wir bereits Revue passieren lassen, über ei-nen der spannendsten Reiseabschnitte, nämlich die Jurazeit, sind wir aber doch arg mit Siebenmeilenstiefeln hinweg gegangen. Dabei liegt gerade in den Jurarif-fen einer der wichtigen Schlüssel zum Verständnis der Evolution der Korallenriffe. Jurassische Korallenriffe sind wegen des damals etwa 100 bis 150 Meter höheren Meeresspiegels auch heute an der Erdoberfläche weit verbreitet. Sie finden sich in der Fränkischen und Schwäbischen Alb oder dem Schweizer Jura und bilden weitere reizvolle Landschaften in Norddeutschland, England, Osteuropa, Fran-kreich oder auf der Iberischen Halbinsel, sie liegen teilweise hoch auf den Gip-feln der Alpen in Österreich, Italien, Slowenien und Kroatien, und auch in Afrika,

Saudi-Arabien, auf Grönland, in Indien, Argentinien oder Japan und an wei-teren Plätzen der Erde kann man sie untersuchen. Besonders weit verbreitet sind sie aber im Untergrund, etwa vor der Ostküste von Nordamerika, insbeson-dere aber unter der Arabischen Halbinsel, wo in jurassischen, stromatoporendo-minierten Riffen und Lagunensanden die größten Erdöl- und Erdgaslagerstätten insgesamt vorkommen. Auch sehr schöne Bau- und Fassadensteine gibt es un-ter den Jurariffen: der Solnhofener »Schiefer« stammt aus einer besonderen La-gune im Umfeld jurassischer Schwammriffe und der weithin beliebte Treuchtlinger Marmor repräsentiert einen ganz besonderen Typ: ein Schwamm-Algen-Rasen-riff. Auch von Korallenriffen gibt es ästhetisch schöne Werksteine. Diese weni-gen Beispiele zeigen schon, wie weit verbreitet und vielfältig die Jurariffe waren.

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Abb.7 (links): Turmförmige jurassische Korallenriffe in Ostspanien, Arroyo Cerezo.

Abb.8 (rechts): Jurassischer Korallen-Riffrasen in Saudi-Arabien. Korallenriffe waren in diesem breiten Schelfmeer sehr selten,

sehr viel häufiger waren Stromatoporen-Rasen und Stromatoporen-Riffe. Jeder am Boden liegende Stein stellt eine Koralle dar.

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Dass die Jurariffe eine weite Verbreitung hatten, kann erst einmal nicht wundern. Die Welt war überaus warm zur Jurazeit, der Meeresspiegel in der späten Jurazeit wie sehr viel höher. Dadurch war wegen der Wärmepufferwirkung der Meere auch das Klima ziemlich ausgeglichen, es war also überall warm, selbst in Breiten, wie etwa dem heutigen Südargentinien oder Grönland. Diese lagen auch damals be-reits in relativ höheren Breiten, so dass man von heute ausgehend, kein Riffwachs-tum dort vermuten würde. Dann gab es auch noch, insbesondere im Bereich der heutigen Alpen, viele Flachwassergebiete in der Hochsee, eigentlich ein El Dorado für heutige Riffe. Auch Kalksandschelfe, die wie der jurassische Schelf Arabiens über 1000 Kilometer breit und dennoch enorm flach waren, sollten doch gleichsam ein Mekka für Riffe gewesen sein. Tatsächlich sprechen auch viele Wissenschaftler davon, dass Riffe nie wieder einen derartigen Höhepunkt ihres Gedeihens hatten.

Aber auch hier muss man sehr differenziert analysieren. Ja, es gab gewaltig viele und gewaltig weit verbreitet Riffe, aber sie kamen interessanterweise nicht gehäuft dort vor, wo man es eigentlich vermuten sollte, nämlich in der offenen Hochsee oder dem breiten Schelfen von Arabien, sondern vor allem auf dem nördlichen Schelf des zen-tralen Ozeans, aus dem mosaikartig jede Menge Inseln und größere Festländer, wie etwa Iberien, das französische Zentralmassiv oder das Böhmische Massiv auftauch-ten. Außerdem ähnelten jurassische Riffe keinesfalls alle den typischen tropischen Korallenriffen wie wir sie heute kennen. Es gab zwar neben weiteren Rifformen auch sehr viele Korallenriffe, aber echte Analogien zu heute muss man trotz der Fülle der Riffe doch fast wie die Nadel im Heuhaufen suchen. Wie ist das zu erklären? Es gab doch bereits die modernen Steinkorallen, also die direkten und sehr nahen Verwand-ten unserer heutigen Riffkorallen. Im Paläozoikum gab es andere Korallengruppen, die spätestens an der Perm / Trias-Grenze komplett und ohne direkte Nachfahren ausgestorben sind, sogenannte Rugose, Tabulate und Heterokorallen. Die Jurakoral-len sind jedoch bereits Vertreter der modernen Gruppe der Scleractinia, zu der auch die heutigen Riffkorallen gehören. Und wir sagten doch vorhin auch schon, dass diese Jurakorallen bereits die Photosymbiose entwickelt hatten. Dennoch diese

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Evolution der Koral lenrif fe abgetaucht Reinhold Leinfelder

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Abb.9:

Jurariffkalke werden oft als

dekorative Bausteine verwen-

det. Diese Säule zeigt fladige

Korallen Microsolena des

etwas tieferen Wassers.

Die flache Wuchsform stellt

eine Anpassung an schlech-

tere Durchlichtung dar.

Fränkische Alb, Teichbruch.

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Unterschiede? Was war da los?Wir erinnern uns. An der Perm/Trias-Wende, vor etwa 245 Millionen Jahren, sind alle altertümlichen Korallen komplett ausgestorben. Die modernen Korallen entwickel-ten sich höchstwahrscheinlich aus unverkalkten Seeanemonen. Also sozusagen ein echter Neuanfang. Dementsprechend hat es auch lange gedauert, bis sie sich evo-lutionär entfaltet haben. Erst in der höheren Triaszeit, vor etwa 215 Millionen Jahren, gab es erste Korallenriffe aus noch sehr einfach gestalteten, buschigen Korallen. Dann gab es nochmals eine wohl klimatisch bedingte Krise, so dass sich die moder-nen Korallen eigentlich erst seit der mittleren Jurazeit, seit etwa 180 Millionen Jah-ren, kräftig entfalten konnten. Dennoch, in der späten Jurazeit gab es bereits über 200 Gattungen, dies entspricht größenordnungsmäßig bereits dem heutigen Stand. Aber es gab auch viele andere Rifftypen. Die Schelfe waren weit geflutet, so dass sich in tieferen Bereichen eine besondere Gruppe von meist recht zerbrechlichen Schwämmen, den sogenannten Kieselschwämmen oder Glasschwämmen wohl fühlten. Diese lebten in Gemeinschaft mit stromatolithartigen Mikrobenkrusten, die nur extrem wenig Licht benötigten. Die Mikrobenkrusten stabilisierten immer wieder

Abb.11: Thecosmilla trichotomaAbb.10: Riffschutt

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das lockere, meist schlammige Sediment, welches dadurch zu beachtlichen Hügel-strukturen heranwuchs. Davon profitierten dann die Schwämme, die überwiegend als Filtrierer dann wieder den Wettlauf nach oben um die besten Filterplätze aufneh-men konnten. Derartige Kieselschwamm-Mikrobenkrustenriffe waren vor allem auf dem tief gefluteten, flach abfallenden Nordschelf des damals weltumspannenden Mittelmeers, der Tethys, weit verbreitet. In einem über 7000 Kilometer langen Gür-tel von Rumänien über Polen, Süddeutschland, Schweiz, Frankreich, Iberien bis Neumexiko kamen diese Riffe vor. In Milieus, wo weder Schwämme noch Korallen wachsen konnten, wuchsen Mikrobenkrusten auch allein. Sie bildeten Stromatolith-Riffe in übersalzenen Bereichen, oder auch im Brack- oder Süßwasser, aber formten auch reine und oftmals große Mikrobenriffe in größeren Wassertiefen und zwar dort, wo Mangel an Sauerstoff herrschte. Die Klimadynamik war durch schwankenden Meeresspiegel damals sehr komplex, es passierte immer wieder, dass bei Episoden rasch steigenden Meeresspiegels das Klima zusätzlich derart abgepuffert wurde, dass auch die Wasserzirkulation aussetzte, und wegen fehlender Durchmischung vorübergehend auch im recht flachen Wasser Sauerstoff rar wurde - ein Befund aus der Erdgeschichte, der uns im Bezug zur Golfstromproblematik übrigens nachdenk-lich machen sollte. Während dieser Zeiten wuchsen dann reine, unanspruchsvolle Mikrobenriffe an Stellen, an denen zu anderen Zeiten Kieselschwamm- oder Koral-lenriffe gewachsen sind. Das reliktische Modul Mikrobenriff aus den Anfängen des Lebens war also in der Jurazeit durchaus im Stande, eigenständige Riffe aufzubau-en, wenn entsprechende ökologische Rahmenbedingungen auftraten, die andere Rifforganismen ausschlossen.

Aber kommen wir zu den jurassischen Korallenriffen. Wo wuchsen die denn eigent-lich? Ja, sie waren ebenfalls weit verbreitet, aber sahen auch immer wieder ganz anders aus, eine Fülle unterschiedlichster Typen war vorhanden. Es gab sie mit ho-her Artenvielfalt zum Beispiel als Kappe auf Kieselschwammriffen, falls diese ins flachere Wasser vorgedrungen waren, dort konnten sich dann sehr artenreiche Ko-rallenriffe bilden. Andere Korallenriffe hatten oft eine sehr geringe Vielfalt an beteilig-ten Korallenarten. Sie wuchsen häufig in Bereichen, in denen heute nie und nimmer Korallenriffe, selbst Korallenriffe mit nur wenigen Arten gedeihen würden. Solche jurassischen Korallenriffe wuchsen in Küstennähe, unter Eintrag von Festlandssedi-ment und damit trübem Wasser sowie vielen Nährstoffen, teilweise sogar direkt in Flussmündungen, ja selbst im Brackwasser, dort wo heute höchstens Austernbänke gedeihen. Schon 1996, im Vorfeld des heraufkommenden 1. Internationalen Jahr des Riffes 1997 hatten wir der Öffentlichkeit diese Vielfalt der Jurariffe unter dem Titel »Jurassic Reef Park« vorgestellt. Das Angebot läuft sozusagen als »Fossil des Internets« in annähernd unveränderter, aber nach wie vor gut besuchter Form immer noch (www.palaeo.de/edu/jrp), denn die nächsten 10 Jahre Wissenschaft haben das Bild bestätigt, aber auch konkretisiert. Die Riffe damals waren zur Jurazeit derart

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Abb.12:

Ausgezeichnet erhaltene

Hirnkoralle (Microphyllia)

aus der höheren Jurazeit.

Kelchbreite ca. 0,8 cm.

Diese Wuchsform ist bei

heutigen Korallen charakte-

ristisch für Arten, die Photo-

symbionten besitzen.

Schwäbische Alb, Gerstetten.

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vielfältig, dass sich zu einer Vielzahl von Lebensräumen das jeweils passende Riff einrichten konnte. Wesentliche Voraussetzung war nur, dass die Höhe der Hinter-grundsedimentation gering war, denn mit zu hohem Sedimentanfall kommen Riff-organismen nicht zurecht. Das Reinigen von Partikeln erfordert, wenn es überhaupt möglich ist, sehr viel Energie, die dann nicht für das Wachstum zur Verfügung steht. Damit waren Zeiten rasch steigenden Meeresspiegels, in denen es während der Jurazeit etliche gab, die bevorzugten Zeiten für Riffwachstum, denn dann wurde der Festlandseintrag noch weiter zurückgedrängt und in Küstensümpfen abgefangen.Der »Jurassic Reef Park« erklärte die Riffe mit einem »schwäbischen Häuslebauer«-Ansatz: Je nach Grundstücksart sind nur ganz bestimmte (Riff-)Gebäude konstru-ierbar. Ruhige tiefere Lagen fernab der belebten Strände waren die Heimat der Kie-selschwammriffe, sozusagen Landhäuser, ohne großen Trubel. Instabile strandnahe Lagen ließen nur »strohhüttenartige« Korallenrasen in Niedrigbauweise zu, was auch nur wenige Spezialisten bewerkstelligen konnten. Häufige Stürme warfen derartige »Strohhütten« immer wieder um und zerstörten sie. Da einfach konstruiert, konnten sie aber nach einem derartigen Ereignis wieder relativ rasch neu aufgebaut werden. Dann gab es auch Lagen, auf denen keiner bauen wollte, denn es herrschte Smog, Sauerstoffmangel und oft roch es auch streng. Ein paar Liebhaber bauten sich aber skurrile Eigenheime dort, so könnte man die Mikrobenriffe veranschaulichen. Stabile Lagen mit guter Fernsicht, also recht klarem Wasser ließen dann den Bau mondäner Hotelkomplexe, also hochdiverser Riffe zu, in denen ähnlich wie in heutigen Riffen bereits vielfältigste Dienstleistungen (z.B. algenabweidende Fische und Seeigel als Parkwärter), dezentrale Solarenergie (Photosymbionten der Korallen), Wasser-

Abb.13: Kleine oberjurassische Korallenriffe, welche auf einer harten Kalksandschicht aufwuchsen und während toniger Sedimen-

tation weiterwuchsen. Dieses Milieu ist für moderne Korallenriffe untypisch. Hammerlänge 28 cm. Ausschnitt zeigt Detail der Riff-

korallen. Querschnitt der Korallenkelche 0.8 cm. Zentralportugal, bei Arruda dos Vinhos.

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recycling (filtrierende Organismen), Müllabfuhr (Krebse), Kindergärten (ausge-glichene Alterstruktur der Korallen), flache Warmwasserschwimmbäder (Lagunen) und vieles mehr vorhanden waren. Solch hochdiverse Korallenriffe waren den heutigen bereits ziemlich ähnlich, aber die anderen, die »Strohhütten«-Riffe, auch die skurrilen Mikrobenriffe, gibt es heute in dieser Form nicht mehr. Allerdings, wenn wir auf die Verbreitungskarte der jurassischen Korallenriffe schauen, fällt auf, dass sich die Riffe meist gar nicht weit von größeren Festländern entfernt gebildet haben, jedenfalls sehr viel weniger weit draußen in der offenen See vorkamen, als dies heute für karibische, aber vor allem auch pazifische Riffe gilt. Oft sind sie auch in Sedimenten eingeschaltet, die sehr viel Ton- oder gar Sandmaterial von der Küste mitbrachten. Das gilt auch für Korallenriffe mit hoher Artenvielfalt, ja es hat sogar den Anschein, als wäre etwas Toneintrag förderlich für das gute Gedeihen dieser Riffe. Das passt also nicht zum heutigen Bild. Was ist die Ursache für diese Diskre-panz? Mehr Toneintrag bedeutet auch mehr Eintrag von organischem Material, mehr Nährstoffe, mehr Plankton. Aber wir sagten doch bereits, dass die überwiegende Fülle jurassischer Korallen bereits Photosymbionten hatte, also über dieses dezentrale Solarenergiesystem verfügte und damit doch gerade dort nicht vorkommen sollte, wo es viel Plankton gab.

Dieses Dilemma zeigt, dass wissenschaftliche Problemstellungen in den wenigsten Fällen eine »entweder-oder« Lösung haben, sondern oft eine »sowohl-als-auch«-Antwort benötigen. Listen wir einmal auf: Das Vorkommen in diesen festlandsbe-einflussten Ablagerungen sollte Hinweis dafür sein, dass die moderne Photosym-biose-Beziehung in diesen jurassischen Korallenriffen noch nicht entwickelt war.

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Abb.14

( linke und rechte Seite):

Diese »Rifffenster« stellen

die Lebensbedingungen

von Riffen schematisiert dar.

Heute liegt das Optimum

der Korallenriffe im flachen,

warmen, sehr nährstoffarmen

Wasser, relativ weit weg

von den Küsten (Hochsee-

riffe sind nicht dargestellt).

Daneben gibt es die Kalt-

wasserkorallenriffrasen,

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Aber nicht nur die Kelch- und Wuchsformen vieler jurassischer Korallen sind typisch für das Vorhandensein von Photosymbionten – so gibt es heute zum Beispiel keine Mäanderkorallen, die keine Symbionten hätten, aber Mäanderkorallen waren bereits im Jura ziemlich verbreitet. Nein, die Jurakorallen weisen, sofern gut erhalten, auch die für Photosymbionten charakteristischen doppelten Jahresringe auf, also doch Nachweis von Symbionten? Die einzig richtige Antwort kann sein: ja, viele juras-sische Korallen hatten bereits Photosymbionten, aber die Symbiosebeziehung war noch nicht so gut entwickelt wie das bei den heutigen Korallen der Fall ist, so dass die Korallen neben der Photosymbiose auch noch kräftig Plankton dazu filtern muss-ten. Vielleicht haben damals die Symbionten einfach noch viel stärker für sich selbst produziert und den Korallen noch nicht so viel wie heute von ihren Produkten abge-geben. Die heutigen Korallen holen sich bis zu 90% der Photosyntheseprodukte ihrer Symbionten, ein wahrhaft hoher Mietzins. Im Jura war dies sicherlich noch anders. Heutige Korallen nehmen von ihren Symbionten verschiedenste Stoffe auf, darun-ter Aminosäuren, das zuckerartige Glycerol oder bestimmte Fettsäuren. Gerade zur Aufnahme der Fettsäuren benötigen die Korallen ein spezielles Enzym, um diese in das verwertbare Cetylpalmitat, ein Öl umzubilden. Möglicherweise waren evolutionär einfach noch nicht alle Verwertungsmöglichkeiten entwickelt.

Ist diese Interpretation zwar vielleicht plausibel, aber dennoch reine Vermutung? Nein, denn an den Jahresringen kann man ja auch die Wachstumsgeschwindigkeit ablesen und tatsächlich: Jurakorallen wuchsen viel langsamer als heutige Korallen. Und noch interessanter: Die Sommerlagen sind in einem jeweiligen Jahresdoppel-band bei heutigen Korallen bis zu fünfmal dicker als die Winterlagen. Das bedeutet,

die ein eigenständiges

Ökosystem darstellen.

Während des Späten Jura,

vor etwa 150 Millionen Jahren,

wuchsen Korallenriffe näher

an den Küsten, sowie im

etwas tieferen Wasser.

Daneben gab es eine

Vielzahl weiterer Rifftypen.

Hochsee-Flachwasserriffe

wurden durch Stromatoporen-

Korallenriffe repräsentiert.

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dass heutige Korallen fünfmal schneller wachsen, wenn genügend Licht vorhanden ist, also nicht während der Regenzeiten. Bei den Jurakorallen beträgt dieses Verhält-nis in der Regel 1:1, was nichts anderes besagt, als dass Korallen damals immer un-gefähr gleich schnell gewachsen sind. Wenn in den Trockenzeiten nur Licht, jedoch sehr wenig Plankton vorhanden war, wuchsen sie dank ihrer Photosymbionten, wenn während der Regenzeiten etwas mehr Nährstoffe vom Hinterland ausgewaschen wurden und dadurch die Planktonentwicklung etwas verstärkt wurde, schalteten sie auf Planktonfang um. Auch chemische Signale, die sogenannten Isotopenver-hältnisse weisen darauf hin, dass Photosymbiose in vielen Jurakorallen zwar bereits vorhanden, aber noch nicht sehr weit entwickelt war. Andere jurassische Korallen, gerade diejenigen vor Flussmündungen oder im nahen Uferbereich zeigen hingegen keine Anzeichen von Symbionten. Sie waren nur auf Plankton angewiesen und lebten deshalb auch in diesen nährstoffreichen Milieus. Damit ähneln sie den heutigen Kaltwasserkorallenrasen im tiefen Schelf. Also waren die Jurakorallenriffe zwar teil-weise von der Zusammensetzung den heutigen sehr ähnlich, vom Lebensraum her ergaben sich aber doch noch deutliche Unterschiede, denn die Anpassung an die Nährstoffwüsten der offenen Ozeane, die ja die heutigen Korallenriffe auszeichnet, war noch nicht vollzogen. Oder doch? Wir versuchen im nächsten Kapitel eine Antwort.

Die Wiege der modernen Hochseeriffe

Tatsächlich muss der »Jurassic Reef Park« noch um ein paar Rifftypen erweitert wer-den. Wir finden diese in Situationen, die direkt mit den heutigen Hochseeregionen vergleichbar sind (s. Abb. 14, 15). Auf dem 1.000 Kilometer breiten, extrem flachen arabischen Schelf gab es zwar etliche Riffe, aber sie waren wegen der vielen Stürme dort sehr kurzlebig und kamen meist in Form von ausgedehnten Rasen oder klei-nen Hügelstrukturen vor. Aber es waren keine Korallen, die dort wuchsen, sondern wirklich alte Bekannte: Stromatoporen, also dieser besondere Typ von verkalkten Schwämmen, wie wir sie aus dem Erdaltertum, insbesondere der Devonzeit schon kennen. Diese Stromatoporen kamen auf dem Arabischen Schelf auch im Jura zur großen Blüte. Und wenn man auf die Flachwasserareale innerhalb des zentralen Tethysozeans blickt, also auf Bereiche, die heute zu Italien, Österreich, Slowenien oder Kroatien gehören, gibt es ebenfalls schöne, vielfältige Riffe. Auch hier waren Stromatoporen wieder die Hauptriffbildner. Oft waren sie groß und kamen in den verschiedensten Formen vor. Aber hier gab es auch zahlreiche Korallen, jedoch wie im Devon wieder eher in geschützten Bereich, sie dominieren nicht, waren im Unterschied zu heute nicht die Hauptriffbildner. Leider sind die Internstrukturen der Korallen in diesen hochkalkigen Ablagerungen, die überhaupt keinen Festlandsein-trag zeigen – wie auch! – meist nicht gut erhalten, so dass wir eher wenig über die Art von Skelettbänderungen sagen können. Aber die Arten und Gattungen sind be-

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stimmbar, und die bislang vorliegenden Ergebnisse zeigen, dass es sich meist um ganz andere Formen handelt als diejenigen der Riffe der küstennäheren Flachwas-serbereiche im Nordbereich der Tethys. Dies gilt sowohl für den Vergleich der Koral-len als auch der Stromatoporen. Die derzeit von uns aufgestellte, noch mit zusätz-lichen Fakten zu untermauernde These lautet: die Wiege der modernen tropischen Korallenriffe lag in der zentralen Tethys. Die direkten Vorläufer unserer heutigen Riffe waren nicht die vielfältigen und schönen jurassischen Korallenriffe in Iberien, Frankreich, Deutschland oder England, es waren Stromatoporen-Korallenriffe inmit-ten des Ozeans, möglicherweise im heutigen Slowenien oder Kroatien. Wir müs-sen annehmen, dass die jurassischen Stromatoporen der Hochsee bereits in einer deutlich effizienteren Photosymbiose mit Mikroalgen lebten. Dort haben wohl einige der Korallen ebenfalls diese Symbiose begonnen. Die Konkurrenz sowie der wegen des geringen Planktonangebots hohe Selektionsdruck haben wohl gerade hier ei-

Abb.15: Globale Verbreitung der Riffe während der höheren Jurazeit (vor etwa 150 Millionen

Jahren). Die Erde bestand aus dem Superkontinent Pangaea mit Nordteil Laurasia und Südteil

Gondwana. Dem Pazifikvorläufer Panthalassa stand die äquatoriale Tethys mit ihren Randmeeren

(türkis) gegenüber. Flachwasserkorallenriffe wuchsen meist in relativer Nähe zu Küsten, von de-

nen Nährstoffe herbeigeführt wurden. Dies war ein großer Unterschied zu heutigen Korallenriffen.

Insbesondere entlang des Tethys-Nordrandes wurden der Korallenriffgürtel von einem Gürtel aus

Kieselschwammriffen begleitet, die auf dem tieferen Schelfs wuchsen. In nährstoffarmen, küs-

tenfernen Hochseeregionen wuchsen Stromatoporenriffe und gemischte Stromatoporen-Koral-

lenriffe. Obwohl sie von der Zusammensetzung der Rifftiere mit heutigen Riffen weniger Ähnlich-

keiten aufweisen, wuchsen sie in vergleichbaren nährstoffarmen Situationen. Die überwiegende

Zahl der an höhere Nährstoffraten angepassten Korallenriffe starb noch vor der Tertiärzeit aus.

Subtropische Korallenriffe traten auch in sehr hohen Paläobreiten (wie z.B. Südargentinien und

Patagonien) auf. Dies deutet auf die enorme klimapuffernde Wirkung des Meeresspiegels hin, der

etwa 150 Meter höher als heute lag.

Korallenriffe im

Flachwasser

Korallenriffe (flach)

& Kieselschwammriffe (tiefer)

Stromatoporenriffe und

Stromatoporen-Korallenriffe

im küstenfernen Flachwasser

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nen Durchbruch zur verbesserten Verwertung der Mikroalgenprodukte geschaffen.

Während der Kreidezeit hatten diese innovativen Korallen noch sehr viel Konkur-renz durch die sehr erfolgreichen, korallenartig wachsenden Rudisten-Muscheln, aber als an der Kreide/Tertiärgrenze diese Rudisten, aber auch die Stromatoporen praktisch ausstarben, hatten die verbliebenen Hochseekorallen ihre große Chance. Die küstennahen vielfältigen Korallen der Jurazeit waren während der Kreidezeit von den Rudisten-Muscheln verdrängt worden, nichtsymbiontische Korallenarten wanderten teilweise ins tiefe Wasser ab und bildeten die Vorläufer der heutigen Kaltwasserriffe, andere nichtsymbiontische Arten starben aus, spätestens beim Meteoriteneinschlag an der Kreide/Tertiärgrenze. So sehen wir, dass sich die Evolution des Ökosystems

Abb.17:

Wie moderne Riffkorallen zeigten viele jurassische Korallen eine

Jahresschichtung, die für das Vorhandensein von Mikroalgen

als Symbionten spricht. Eine jährliche Lage besteht aus einem

dunklen und hellen Band. Das helle Band hat niedrigere Dichte,

da es aus weniger, aber größeren Kristallen besteht. Dies ist ty-

pisch für Verkalkung unter Hilfe von Photosymbionten. Das dunkle

Band besteht aus vielen, jedoch kleinen Kristallen und ist dich-

ter. Es ist typisch für stärkere Aufnahme von Plankton. Heutige

Korallen wachsen jedoch bedeutend schneller und haben be-

deutend dickere Trockenzeitlagen. Dies weist darauf hin, dass

die Photosymbiose in Jurakorallen noch nicht sehr effizient war.

Abb.16:

So sah es vor 150 Millionen Jahren in und um Europa aus.

Deutschland lag in subtropischen Gefilden. Reine Korallenriffe

wuchsen insbesondere zwischen Portugal und Süddeutsch-

land, sowie weiter nach Osten. Festländer, von denen Sediment

und Nährstoffe ins Meer transportiert wurden, waren nie weit

entfernt. Hätten Korallenriffe dieselben Ansprüche wie heute

gehabt, hätten sie vor allem auf dem breiten Arabischen Schelf

sowie auf den vom Ozean umgebenen Plattformen wachsen

sollen, also dort wo heute die Alpen, Slowenien oder Kroatien

liegt. Tatsächlich wuchsen dort aber Stromatoporen-Riffe mit

oder ohne Korallen. Die heutigen Korallenriffe haben sich also

vermutlich aus diesen Riffen weiterentwickelt.

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Abb.18: Aufgeschnittenes Skelett der Koralle Microsolena agariciformis. Gut zu sehen sind die

für Photosymbionten typischen »Jahresringe«. Die Hell / Dunkel-Lagen repräsentieren die unter-

schiedlicher Verkalkungsmuster von Trocken- und Regenzeitlagen. Oberjura, Portugal, Bayerische

Staatssammlung für Paläontologie und Geologie, München.

Korallenriff überaus komplex darstellt. Zum einen ist sie verursacht von innerer Konkurrenz und daraus resultierender laufender, gerichtet erscheinender Selbstopti-mierung durch Selektion und Adaptation. Zum anderen gab es Experimentierphasen wie in der Devon- oder der Jurazeit, bei denen auch neue Lebensräume erobert wurden und sich rasch viele neue Arten bildeten. Zum Dritten spielten die geologischen und klimatischen Rahmenbedingen eine große Rolle und natürlich steht alles miteinander in Beziehung. Welcher Typ von Jurariffen überlebt hat, war geologisch betrachtet aber keinesfalls zufällig, denn zu rasch steigender und später auch wieder stark fallender Meeresspiegel sowie ein Meteoriteneinschlag machte natürlich den Organismen in Küstennähe besonders zu schaffen. Aber es war vermutlich auch der bereits höher entwickelten Effizienz der Photosymbiose der jurassischen Hochseeriffe zu verdan-ken, dass gerade dieser Rifftyp überlebt und sich zu einem der faszinierendsten Lebensräume unserer Welt entwickelt hat. Die Reise der Evolution zu den heutigen Korallenriffen war also lang und komplex. Auch daran sollten wir denken, bevor wir mit dem ökologischen und ökonomischen Wert der Riffe weiterhin achtlos umgehen.