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Jonathan Stroud Die Trilogie Bd. 1: Das Amulett von Samarkand

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Jonathan Stroud

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von Samarkand

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Jonathan Stroud

Die TrilogieBd. 1: Das Amulett von Samarkand

Aus dem Englischen vonKatharina Orgaß und

Gerald Jung

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cbj ist der Kinder- und Jugendbuch-Verlagin der Verlagsgruppe Random House

Verlagsgruppe Random House fsc-deu-0100Das für dieses Buch verwendete fsc-zertifizierte Papier EOS

liefert Salzer, St. Pölten.

Gesetzt nach den Regeln der Rechtschreibreform

1. Auflage 2007© 2007 für die deutschsprachige Ausgabe cbj, München

Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten© 2003 Jonathan Stroud

Die englische Originalausgabe erschien 2003 unter dem Titel:»The Bartimaeus Trilogy – The Amulet of Samarkand«

bei Random House Children’s Books, LondonÜbersetzung: Katharina Orgaß und Gerald Jung

Lektorat:Textpraxis, Hamburg, Marion SchweizerUmschlagbild: David Wyatt

Umschlaggestaltung: Klaus RennerMP · Herstellung: WM

Satz: Uhl+Massopust, AalenDruck: GGP Media GmbH, PößneckISBN 978-3-570-13293-7 (Band 1)

Printed in Germany

www.cbj-verlag.de

SGS-COC-1940

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FÜR GINA

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Die Temperatur im Zimmer sank rasch. Eis bildete sich auf den Vorhängen und überzog die Deckenlampen

mit einer dicken Kruste. Die Glühfäden sämtlicher Birnenschnurrten zusammen und verglommen, und die Kerzen, diewie eine Kolonie Giftpilze aus jeder freien Fläche sprossen,erloschen. Das abgedunkelte Zimmer füllte sich mit einer sti-ckigen gelben Schwefelwolke, in der verschwommene schwar-ze Schatten wühlten und waberten, und von weit her erklangein vielstimmiger Schrei. Plötzlich drückte etwas gegen dieTür, die hinaus zur Treppe führte. Das ächzende Gebälkwölbte sich.Unsichtbare Füße patschten über die Dielen undunsichtbare Lippen zischelten Niederträchtigkeiten hinterdem Bett und unter dem Schreibtisch hervor.

Der Schwefeldampf verdichtete sich zu einer dicken Rauch-säule und würgte kleine Tentakel aus, die wie Zungen in dieLuft leckten und sich wieder zurückzogen. Die Säule standdirekt über dem Pentagramm und brodelte unablässig zur De-cke empor wie die Rauchwolke über einem Vulkan. Dann,nach einer kaum merklichen Unterbrechung, tauchten mit-ten im Rauch zwei gelbe, stechende Augen auf.

Also bitte – es war sein erstes Mal. Ich wollte ihm einenSchrecken einjagen!

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Was mir auch gelang. Der dunkelhaarige Junge stand ineinem zweiten, kleineren, mit verschiedenen Runen ausge-malten Drudenfuß, etwa einen Meter neben dem eigent-lichen Pentagramm. Er war leichenblass und zitterte wieEspenlaub. Er klapperte mit den Zähnen. Schweißperlentropften ihm von der Stirn, erstarrten im Fallen zu Eis undklirrten wie Hagelkörner auf den Fußboden.

Alles schön und gut, aber – was soll’s? Ich meine, er sah auswie gerade mal zwölf. Aufgerissene Augen, eingefalleneWangen. So erhebend ist es nun auch wieder nicht, ein mick-riges Bürschlein zu Tode zu erschrecken.1

Daher schwebte ich abwartend auf der Stelle und hoffte, eswürde nicht allzu lange dauern, bis er die Entlassungsformelsprach. Um mir die Zeit zu vertreiben, ließ ich blaue Flam-men so am Innenrand des Pentagramms emporzüngeln, alsversuchten sie auszubrechen und nach ihm zu schnappen.Natürlich reiner Hokuspokus. Ich hatte bereits alles über-prüft. Das Siegel war recht ordentlich gezogen und er hattesich nirgendwo verschrieben. Schade.

Schließlich sah es so aus, als hätte der Bengel genug Mutgefasst, um zu sprechen. Jedenfalls schloss ich das aus dem Be-ben um seine Lippen, das nicht nur von nackter Angst her-zurühren schien. Ich ließ das blaue Feuer erlöschen und er-setzte es durch einen widerlichen Gestank.

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1 Was das betrifft, gehen die Meinungen auseinander. Manche finden es amü-sant und überlegen sich immer neue Taktiken, ihre Beschwörer durch ausge-klügelt abstoßende Erscheinungen zu erschrecken. Normalerweise darf manhöchstens erwarten, ihnen Albträume zu bescheren,aber gelegentlich sind sol-che Strategien so erfolgreich, dass Zauberlehrlinge tatsächlich in Panik gera-ten und aus ihrem schützenden Kreis heraustreten. Dann ist alles geritzt – füruns. Aber es bleibt riskant. Oft sind sie gut ausgebildet. Und wenn sie dannälter werden, rächen sie sich.

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Der Junge sagte etwas. Ziemlich piepsig.»Ich befehle dir… mir… mir…« Nun mach schon! »…d-d-

deinen N-Namen zu nennen.« So fangen sie immer an, die Jungen. Sinnloses Gestammel.

Er wusste genauso gut wie ich, dass er meinen Namen schonkannte – wie hätte er mich sonst beschwören können? Dazubedarf es der richtigen Worte, der richtigen Gesten und vorallem des richtigen Namens. Ich meine, es ist ja nicht so, alsbestellte man ein Taxi – bei einer Beschwörung kommt nichteinfach irgendwer!

Ich wählte eine volle, tiefe, samtig dunkle Stimme, so eine,die von überall und nirgends ertönt und Anfängern die Haarezu Berge stehen lässt.

»BARTIMÄUS.«Der Kleine schluckte schwer, als er das hörte. Immerhin –

er war also nicht ganz dumm:Er wusste,wer und was ich war.Er kannte meinen Ruf.

Als er seine Spucke runtergewürgt hatte, stotterte er wei-ter: »I-Ich befehle dir nochmals zu antworten. Bist du jenerB-Bartimäus, der in alten Zeiten von den Magiern beschwo-ren wurde, die Mauern von Prag wieder aufzurichten?«

Was für ein elender Umstandskrämer. Welcher Bartimäussollte ich wohl sonst sein? Diesmal drehte ich die Lautstärkeein bisschen auf. Das Eis auf den Glühbirnen knisterte wiekaramellisierter Zucker. Die Fensterscheiben hinter denschmutzigen Vorhängen summten und vibrierten.Der Jungeschwankte.

»Ich bin Bartimäus! Ich bin Sakhr al-Dschinni,N’gorso derMächtige und die Silbergefiederte Schlange. Ich richtete dieMauern von Uruk, Karnak und Prag wieder auf. Ich sprachmit König Salomo. Ich galoppierte mit den Büffelvätern überdie Prärie. Ich wachte über das Alte Simbabwe,bis seine Wälle

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zerfielen und die Schakale seine Bewohner fraßen. Ich binBartimäus! Ich kenne weder Herrn noch Meister. Deshalbfrage ich dich, mein Junge: Wer bist du, dass du mich rufst?«

Echt eindrucksvoll, was? Und obendrein wahr, was demGanzen noch mehr Nachdruck verleiht.Aber ich wollte nichteinfach nur auf den Putz hauen. Ich hoffte das Bürschleindazu zu verleiten, mir seinerseits seinen Namen zu verraten,damit ich etwas in der Hand hatte, wenn er mal nicht auf-passte.1 Aber ich hatte Pech.

»Bei den Kräften des Kreises, den Zacken des Pentagrammsund dem Ring der Runen – ich bin dein Herr und Meister!Du hast mir zu gehorchen!«

Irgendwie war es demütigend, diese alte Leier aus demMund so eines schmächtigen Knirpses zu hören, noch dazumit dieser nervigen Piepsstimme. Ich verkniff mir, ihm gehö-rig die Meinung zu geigen, und intonierte stattdessen die üb-liche Erwiderung. Hauptsache, es war rasch vorbei.

»Was ist dein Begehr?« Ich muss allerdings zugeben, dass ich überrascht war. Die

meisten Anfänger wollen erst mal nur gucken. Sie möchteneinen Blick hinter den Vorhang werfen und sich an ihrerkünftigen Macht berauschen, sind aber viel zu nervös, um siewirklich auszuprobieren. So einen kleinen Scheißer wie die-sen, der sich gleich als Erstes traut,Wesenheiten wie mich an-zurufen, findet man selten.

Der Junge räusperte sich. Sein großer Auftritt war gekom-

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1 Solange ich mich im Bannkreis befand, waren mir natürlich die Hände ge-bunden. Später aber könnte ich herausfinden, wer er war, und nach Charak-terschwächen suchen, nach Details aus seiner Vergangenheit, die ich mir zu-nutze machen konnte.Wunde Punkte hat schließlich jeder.Besser gesagt, jedervon euch.

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men. Darauf hatte er sich lange vorbereitet. Davon hatte erseit Jahren geträumt, statt auf seinem Bett herumzulümmelnund an Rennautos oder Mädchen zu denken. Mürrisch war-tete ich auf seinen lächerlichen Befehl.Was hatte er sich wohlausgedacht? Meistens sollte ich einen Gegenstand schwebenlassen oder quer durchs Zimmer bewegen. Vielleicht wollteer auch, dass ich irgendein Trugbild herbeihexte. Das könntelustig werden, denn es gab bestimmt eine Möglichkeit, denBefehl falsch zu verstehen und den Jungen aus der Fassung zubringen.1

»Ich befehle dir, das Amulett von Samarkand aus dem Hausvon Simon Lovelace zu holen und es mir morgen bei Son-nenaufgang, wenn ich dich wieder rufe, herzubringen.«

»Was soll ich?«»Ich befehle dir…«»Schon gut, ich hab’s gehört.« Ich wollte nicht gereizt klin-

gen. Es rutschte mir einfach so raus. Auch die Grabesstimmeverrutschte mir ein bisschen.

»Dann geh!«»Moment mal!« Ich spürte dieses komische Gefühl im Ma-

gen, das man immer hat,wenn man entlassen wird.Als würdeeinem das Gedärm zum Hintern rausgezogen. Die Formelmuss dreimal gesprochen werden, bevor man endgültig ver-schwinden muss, falls man es darauf anlegt,noch ein Weilchendort herumzuhängen.

Normalerweise legt man es nicht darauf an. Aber diesmalrührte ich mich nicht vom Fleck, sondern blieb ein glühen-des Augenpaar in einer bösartig blubbernden Rauchsäule.

»Weißt du überhaupt, was du da verlangst, Kleiner?«

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1 Einmal verlangte ein Zauberer von mir, ihm seine große Liebe zu zeigen. Ichhielt ihm einen Spiegel vor.

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»Ich wünsche kein Gespräch mit dir, keinen Streit undkeine Verhandlungen.Ich lasse mich nicht auf Rätsel noch aufWetten oder Glücksspiele ein und schon gar nicht…«

»Auch mir liegt wahrhaftig nichts daran, mich mit einerhalben Portion wie dir abzugeben, also verschone mich ge-fälligst mit deinem auswendig gelernten Humbug. Offenbarversucht jemand, dich für seine Zwecke zu missbrauchen.Wahrscheinlich dein Meister, hab ich Recht? Ein feiger Tat-tergreis, der ein Kind vorschickt.« Ich nahm den Rauch einwenig zurück und offenbarte zum ersten Mal meine Gestalt,aber nur verschwommen. »Wenn du danach trachtest, einenrichtigen Zauberer zu bestehlen, indem du mich beschwörst,spielst du doppelt mit dem Feuer. Wo sind wir hier über-haupt? In London?«

Er nickte. Klar war das London. Irgendein herunterge-kommenes Reihenhaus. Ich spähte durch die Rauchschwa-den ins Zimmer.Niedrige Decke,wellige Tapete, an der Wandder verblichene Druck einer düsteren holländischen Land-schaft.Einen komischen Geschmack hatte der Junge. Ich hätteeher Popsängerinnen oder Fußballspieler erwartet… Diemeisten Zauberer sind schon in ihrer Jugend schrecklich an-gepasst.

»Du Ärmster –«, meine Stimme klang sanft und mitleids-voll, »die Welt ist schlecht und man hat dich schlecht auf sievorbereitet.«

»Ich habe keine Angst vor dir! Ich habe dir einen Auftragerteilt und fordere dich auf zu gehen!«

Die zweite Entlassung. Meine Eingeweide fühlten sich anwie von einer Dampfwalze überrollt,und ich spürte,wie mei-ne Gestalt flackerte und flimmerte. Trotz seiner Jugend ver-fügte dieser Knabe über beträchtliche Macht.

»Nicht mich hast du zu fürchten, jedenfalls vorerst nicht.

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Simon Lovelace wird dir schon selbst die Hölle heiß machen,wenn er merkt, dass man ihm sein Amulett gestohlen hat, unddein jugendliches Alter wird für ihn kein Anlass zur Nach-sicht sein.«

»Du musst mir zu Diensten sein.«»Schon gut.« Eins musste man ihm lassen: Er war fest ent-

schlossen. Und ziemlich dumm.Er hob die Hand. Ich vernahm die erste Silbe des Metho-

dischen Schraubstocks. Er wollte mich durch Schmerzen ge-fügig machen.

Ohne mich mit weiteren Spezialeffekten aufzuhalten,mach-te ich mich davon.

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Es schiffte wie aus Kübeln, als ich in der Abenddämme-rung im Londoner Stadtteil Hampstead auf einer Stra-

ßenlaterne landete. Das war mal wieder typisch. Ich hatte dieGestalt einer Amsel angenommen, eines munteren kleinenBurschen mit leuchtend gelbem Schnabel und pechschwar-zem Gefieder, aber bei so einem Mistwetter blieb keine Federtrocken. Ich drehte das Köpfchen und entdeckte auf der an-deren Straßenseite eine hohe Buche. Am Boden häufte sichrings um den Stamm vermodertes Laub – die November-stürme hatten bereits die Blätter heruntergefegt –, doch ihrdichtes Geäst versprach ein wenig Schutz.Als ich hinüberflog,brummte unter mir ein einsames Auto die breite,dunkle Vor-ortstraße entlang. Hinter hohen Mauern und immergrünenHecken schimmerten die hässlichen weißen Fassaden statt-licher Villen wie bleiche Totengesichter. Na ja, vielleicht lages auch an meiner Stimmung, dass sie mir so vorkamen. Fün-ferlei störte mich.Zunächst einmal hatte der dumpfe Schmerzeingesetzt, der jede körperliche Erscheinung begleitet, dies-mal spürte ich ihn in den Federn. Abermals die Gestalt zuwechseln,hätte den Schmerz eine Weile in Grenzen gehalten,andererseits konnte gerade das in diesem kritischen Stadiumder Unternehmung unnötiges Aufsehen erregen. Solange ichnicht wusste, ob die Luft rein war, musste ich Vogel bleiben.

Zweitens das Wetter. Kein Kommentar.Drittens hatte ich die Nachteile von Körpern völlig ver-

gessen. Es juckte mich am Schnabelansatz, und ich versuchtevergeblich, mich mit dem Flügel zu kratzen.

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Viertens der Junge. Was ihn betraf, hatte ich Fragen überFragen. Wer war er? Wieso war er lebensmüde? Wie konnteich es ihm heimzahlen, ehe ihn die gerechte Strafe für seinAnsinnen ereilte? So was spricht sich rum, und ich würdePrügel dafür beziehen,dass ich mich von so einem Nichtsnutzherumscheuchen ließ.

Fünftens… das Amulett. Nach allem, was ich gehört hatte,ein äußerst zauberkräftiger Gegenstand. Keine Ahnung, wasder Wicht damit anfangen wollte,wahrscheinlich wusste er esselber nicht.Vielleicht wollte er es sich als Modeschmuck umden Hals hängen. Vielleicht war Amulettabziehen ja geradeder letzte Schrei, sozusagen die Zauberervariante von Rad-kappenklauen. Wie auch immer, zunächst einmal musste iches beschaffen, und das war kein leichtes Unterfangen, nichteinmal für mich.

Ich schloss meine Amseläuglein und öffnete meine innerenAugen,eins nach dem andern, jedes auf einer anderen Ebene.1

Dann schaute ich mich nach allen Seiten um und hüpfte da-bei auf meinem Ast hin und her, um mir einen möglichstguten Überblick zu verschaffen. Nicht weniger als drei Villenin der Straße verfügten über magische Schutzvorrichtungen –ein Beweis, in was für einer piekfeinen Gegend ich mich be-fand. Die beiden weiter entfernten Häuser nahm ich nichtnäher unter die Lupe, mich interessierte das Gebäude gegen-über, hinter der Laterne: der Wohnsitz von Simon Lovelace,dem Zauberer.

Auf der ersten Ebene war alles klar, aber die zweite hatteLovelace mit einem Abwehrnetz versehen, das wie eine blaue

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1 Ich habe Zugang zu sieben Ebenen, die alle gleichzeitig existieren. Sie über-lappen einander wie die Schichten bei einem Blätterteig. Sieben Ebenen sindvöllig ausreichend. Wer mehr benutzt, will bloß angeben.

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Spinnwebe hinter der hohen Gartenmauer leuchtete. Es en-dete auch nicht an der Oberkante der Mauer, sondern wölbtesich wie eine riesige, schimmernde Kuppel über das Dach desniedrigen weißen Gebäudes und reichte auf dessen Rückseitewieder bis zum Boden.

Nicht schlecht. Aber damit wurde ich fertig.Auf der dritten und vierten Ebene war nichts, aber auf der

fünften entdeckte ich drei Wächter, die dicht unterhalb derMauerkrone Streife flogen. Sie waren ganz und gar mattgelbund bestanden aus jeweils drei muskelbepackten Beinen, dieum eine Knorpelnabe rotierten. Darüber saß ein formloserKlumpen mit zwei Mäulern und mehreren wachsamen Au-gen. Sie patrouillierten in unregelmäßigen Abständen an denGrenzen des Grundstücks. Instinktiv drückte ich mich an denStamm der Buche, obwohl ich wusste, dass sie mich von dortdrüben kaum bemerken konnten. Aus dieser Entfernungmüsste ich eigentlich auf allen sieben Ebenen wie eine Am-sel aussehen.Erst wenn ich näher heranflog, könnten sie mei-ne Tarnung womöglich durchschauen.

Auf der sechsten Ebene war wieder alles klar. Aber diesiebte… da stimmte etwas nicht. Ich konnte nichts Auffälligesfeststellen – Haus, Straße, die Nacht… alles sah unverändertaus – und trotzdem… Nennt es von mir aus Intuition, aberich war mir ganz sicher, dass dort etwas lauerte.

Nachdenklich wetzte ich den Schnabel an einem Astknor-ren. Wie ich vermutet hatte, war hier jede Menge mächtigeMagie im Einsatz. Ich hatte schon von Lovelace gehört. Ergalt als hervorragender Zauberer und gestrenger Zuchtmeis-ter. Zum Glück hatte er mich noch nie in seine Dienste ge-zwungen, und ich verspürte auch keine große Lust, mir seineFeindschaft oder die seiner Sklaven zuzuziehen.

Aber ich musste dem verflixten Jungen gehorchen.

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Die tropfnasse Amsel hob von ihrem Ast ab, segelte über dieStraße, wobei sie elegant dem Lichtkreis der Straßenlaterneauswich, und landete auf einem räudigen Rasenfleck vor derMauer. Dort hatte jemand für die Müllabfuhr am nächstenMorgen vier schwarze Plastiksäcke hingestellt. Die Amselhüpfte dahinter. Eine Katze, die den Vogel von weitem beob-achtet hatte,1 wartete kurz, ob er wieder hervorkäme, verlordann die Geduld und flitzte neugierig hinterher. Doch hinterden Müllsäcken war kein Vogel mehr, kein schwarzer undauch sonst keiner. Nur ein frischer Maulwurfshügel.

1 Auf zwei Ebenen. Katzen können das.

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Feuchte Erde im Mund ist einfach widerlich. So etwas isteinem Luft- und Feuerwesen nicht zuträglich.Bei solchen

Gelegenheiten droht mich die Last des Erdbodens jedes Malzu erdrücken.Deshalb bin ich auch so wählerisch in Bezug aufmeine Erscheinungsformen. Vögel – na gut. Insekten – auchgut. Fledermäuse – in Ordnung. Alles, was schnell rennenkann, ist prima.Baumbewohner sind sogar noch besser.Unter-irdische Lebewesen – nicht gut. Maulwürfe – ganz schlecht.

Aber wenn man einen Schutzschild umgehen will, darfman nicht wählerisch sein. Ich hatte ganz richtig vermutet,dass er nicht bis unter die Erde reichte. Der Maulwurf bud-delte sich tief in den Boden,unter dem Mauerfundament hin-durch. Obwohl ich mir fünfmal den Kopf an einem Steinstieß, ging kein magischer Alarm los.1 Nach zwanzig Minu-ten Wittern und Wühlen und etlichen Begegnungen mit saf-tigen Würmern, auf die meine Knopfnase bei jedem zweiten,dritten Scharren traf, erreichte ich wieder die Oberfläche.

Der Maulwurf streckte vorsichtig den Kopf aus dem klei-nen Erdhaufen,den er auf Simon Lovelace’makellosem Rasenaufgeworfen hatte, sah sich um und peilte die Lage. Im Erd-geschoss brannte Licht. Die Vorhänge waren zugezogen, dieoberen Stockwerke dunkel, jedenfalls soweit es der Maulwurferkennen konnte. Darüber wölbte sich die durchscheinende

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1 Je einmal an fünf verschiedenen Steinen. Nicht fünfmal am gleichen Stein.Nichts für ungut, aber Menschen sind manchmal schrecklich schwer von Be-griff.

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blaue Kuppel des magischen Abwehrnetzes.Ein gelber Wäch-ter drehte drei Meter über dem Gebüsch seine stumpfsinnigeRunde, die beiden anderen waren vermutlich hinter demHaus.

Ich versuchte es noch einmal auf der siebten Ebene. Immernoch nichts,nur diese dumpfe Ahnung von Gefahr.Na schön.

Der Maulwurf tauchte wieder ab, buddelte sich unter denGraswurzeln näher an das Haus heran und kam im Blumen-beet direkt unter den Fenstern wieder zum Vorschein. Erdachte angestrengt nach. Es war nicht besonders sinnvoll, indieser Gestalt weiterzumachen, sosehr es ihn auch lockte, inden Keller einzudringen. Eine andere Methode musste her.

Jetzt tönten Gelächter und Gläserklirren an seine pelzigenOhren.Die Geräusche waren erstaunlich laut, sie kamen ganzaus der Nähe.Kaum einen halben Meter entfernt, befand sichein geborstener alter Lüftungsschacht. Er führte ins Haus.

Erleichtert verwandelte ich mich in eine Fliege.

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Aus dem Schutz des Lüftungsschachts spähte ich mit mei-nen Facettenaugen in einen ziemlich spießigen Salon.

Ein dicker Florteppich, hässliche Streifentapeten, ein scheuß-liches Kristallungetüm,das einen Kronleuchter darstellen sollte,zwei altersbraune Ölgemälde, ein Sofa und zwei Sessel (eben-falls gestreift), ein niedriger Couchtisch mit einem Silbertab-lett und auf dem Tablett eine Flasche Rotwein, aber keineGläser. Letztere befanden sich in den Händen zweier Men-schen.

Einer davon war eine Frau. Sie war relativ jung (für einenMenschen, soll heißen:unendlich jung) und, falls man auf üp-pige Erscheinungsformen steht, recht hübsch. Große Augen,kurzes dunkles Haar. Ich prägte sie mir sogleich ein.Wenn ichden Jungen am folgenden Tag wieder aufsuchte, würde ichihm in ihrer Gestalt erscheinen – und zwar splitterfasernackt.Mal sehen, wie sein scharfer, aber trotz allem jugendlicherVerstand damit klarkam!1

Zunächst beschäftigte mich jedoch eher der Mann,dem dieFrau lächelnd zunickte. Er war groß, schlank, gut aussehend,intellektueller Typ und hatte das Haar mit einem durchdrin-gend riechenden Gel streng nach hinten gekämmt. Des Wei-

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1 Falls sich jemand wundert:Es fällt mir nicht schwer,mich in eine Frau zu ver-wandeln. In einen Mann übrigens auch nicht. In gewisser Hinsicht sindFrauen wahrscheinlich komplizierter, aber darauf will ich hier nicht nähereingehen.Frau,Mann,Maulwurf,Made – im Großen und Ganzen sind sie allegleich, abgesehen von kleinen Abweichungen hinsichtlich ihres Wahrneh-mungsvermögens.

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