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1 1. Einleitung und Überblick 1.1 Einleitung Die Milchstraße, die Galaxie, in der wir leben, ist nur eine von vielen Galaxien; außerhalb der Milchstraße gibt es unzählige andere Sternsysteme, von denen viele sehr ähnliche Eigenschaften besitzen. In der Tat ist die Milchstraße, auch Galaxis genannt, eine recht durch- schnittliche Vertreterin der Klasse der Spiralgalaxien, von denen zwei andere Beispiele in den Abb. 1.1 und 1.2 gezeigt sind. Dabei handelt es sich um Sternsysteme, bei denen die meisten Sterne in einer relativ dünnen Scheibe angeordnet sind. In unserer Milchstraße ist diese als langgestrecktes Band am Himmel zu erkennen. Neben solchen Scheibengalaxien gibt es eine zweite Klasse von leuchtkräftigen Sternsystemen, die Elliptischen Ga- Abb. 1.1. Die Spiralgalaxie NGC 1232 sieht vielleicht so ähnlich aus wie unsere Milchstraße, von ,,oben“ betrachtet. Dieses mit dem VLT aufgenommene Bild misst 6. 8 × 6. 8, was bei einer Entfernung von ca. 30 Mpc einer Kanten- länge von 60 kpc entspricht. Wenn dies unsere Galaxis wäre, würden wir mitsamt des Sonnensystems in etwa 8.0 kpc Entfernung vom Zentrum der Galaxie um dieses mit einer Geschwindigkeit von 220 km/s kreisen und für einen Umlauf etwa 230 × 10 6 Jahre be- nötigen. Die kleine Galaxie links am Bildrand ist eine durch gra- vitative Gezeitenkräfte gestörte Begleitergalaxie laxien, deren Eigenschaften sich in vieler Hinsicht von denen der Spiralen unterscheiden. Astronomen wissen erst seit weniger als hundert Jahren, dass Objekte außerhalb der Milchstraße exis- tieren, dass unsere Welt also deutlich größer als diese ist. In der Tat sind Galaxien nur Inseln im Universum: Der Durchmesser unserer Galaxis ist sehr viel kleiner als der mittlere Abstand zwischen zwei leuchtkräfti- gen Galaxien. Die Entdeckung der Existenz anderer Milchstraßensysteme und ihrer vielfältigen Erschei- nungsformen führte zu Fragen nach dem Ursprung der Galaxien und ihrer Entwicklung. Befindet sich etwas zwischen den Galaxien, oder ist dies leerer Raum? Gibt es neben den Galaxien weitere kosmische Objekte? Fra- gen dieser Art führten zur Erforschung des Universums als Ganzes und seiner Entwicklung: Ist unser Univer-

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1. Einleitung und Überblick1.1 Einleitung

Die Milchstraße, die Galaxie, in der wir leben, ist nureine von vielen Galaxien; außerhalb der Milchstraßegibt es unzählige andere Sternsysteme, von denen vielesehr ähnliche Eigenschaften besitzen. In der Tat ist dieMilchstraße, auch Galaxis genannt, eine recht durch-schnittliche Vertreterin der Klasse der Spiralgalaxien,von denen zwei andere Beispiele in den Abb. 1.1 und 1.2gezeigt sind. Dabei handelt es sich um Sternsysteme, beidenen die meisten Sterne in einer relativ dünnen Scheibeangeordnet sind. In unserer Milchstraße ist diese alslanggestrecktes Band am Himmel zu erkennen. Nebensolchen Scheibengalaxien gibt es eine zweite Klassevon leuchtkräftigen Sternsystemen, die Elliptischen Ga-

Abb. 1.1. Die Spiralgalaxie NGC1232 sieht vielleicht so ähnlichaus wie unsere Milchstraße, von,,oben“ betrachtet. Dieses mit demVLT aufgenommene Bild misst6.′8×6.′8, was bei einer Entfernungvon ca. 30 Mpc einer Kanten-länge von 60 kpc entspricht. Wenndies unsere Galaxis wäre, würdenwir mitsamt des Sonnensystemsin etwa 8.0 kpc Entfernung vomZentrum der Galaxie um diesesmit einer Geschwindigkeit von∼ 220 km/s kreisen und für einenUmlauf etwa 230×106 Jahre be-nötigen. Die kleine Galaxie linksam Bildrand ist eine durch gra-vitative Gezeitenkräfte gestörteBegleitergalaxie

laxien, deren Eigenschaften sich in vieler Hinsicht vondenen der Spiralen unterscheiden.

Astronomen wissen erst seit weniger als hundertJahren, dass Objekte außerhalb der Milchstraße exis-tieren, dass unsere Welt also deutlich größer als dieseist. In der Tat sind Galaxien nur Inseln im Universum:Der Durchmesser unserer Galaxis ist sehr viel kleinerals der mittlere Abstand zwischen zwei leuchtkräfti-gen Galaxien. Die Entdeckung der Existenz andererMilchstraßensysteme und ihrer vielfältigen Erschei-nungsformen führte zu Fragen nach dem Ursprung derGalaxien und ihrer Entwicklung. Befindet sich etwaszwischen den Galaxien, oder ist dies leerer Raum? Gibtes neben den Galaxien weitere kosmische Objekte? Fra-gen dieser Art führten zur Erforschung des Universumsals Ganzes und seiner Entwicklung: Ist unser Univer-

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1. Einleitung und Überblick

Abb. 1.2. Wir sehen die Spiralgalaxie NGC 4013 von der Seite(edge-on); dieses Bild mag sich einem Beobachter darbie-ten, der unsere Milchstraße von der Seite betrachtet. Mansieht deutlich die Scheibe, in der eine Staubschicht den zent-ralen Bereich verdeckt. Weiterhin sieht man die zentraleVerdickung, den sog. Bulge der Galaxie. Wie später noch aus-führlich diskutiert werden wird, sind (Spiral-)Galaxien wiediese umgeben von einem Halo aus Materie, der sich nurgravitativ bemerkbar macht, indem er z. B. die Rotationsge-schwindigkeit der Sterne und des Gases um das Zentrum derGalaxie maßgeblich beeinflusst

sum endlich oder unendlich, ändert es sich mit der Zeit,hat es einen Anfang und ein Ende? Solche Fragen nachdem Ursprung und der Geschichte der Welt haben dieMenschheit seit Anbeginn fasziniert. Aber erst seit we-nigen Jahrzehnten sind wir in der Lage, diese Fragenempirisch zu untersuchen.

Sterne unserer Galaxis haben unterschiedliches Al-ter: während die ältesten ca. 12 Milliarden Jahre altsind, findet auch heute noch Sternentstehung statt, etwain dem bekannten Orion-Nebel. Unsere Galaxis hat sichoffensichtlich zeitlich geändert. Um die Entstehung undEntwicklung unserer Galaxis zu verstehen, wäre einBlick in ihre (und daher unsere) Vergangenheit sehrnützlich – leider ist das physikalisch nicht möglich. Auf-grund der endlichen Geschwindigkeit des Lichtes sehenwir jedoch weit entfernte Objekte zu einem früheren

Zeitpunkt, also von uns aus gesehen in der Vergangen-heit. Man kann daher versuchen, solche Galaxien, die,,damals“ unserer Galaxis sehr ähnlich waren, zu fin-den und zu untersuchen und somit die wesentlichenAspekte der Geschichte der Galaxis zu rekonstruieren.Die Anfangsbedingungen für die Entwicklung unse-rer Galaxis werden wir zwar nie genau kennen, abervielleicht die charakteristischen Bedingungen. Die Ent-wicklung aus solchen Anfangszuständen sollte dann zuGalaxien führen, die unserer ähnlich sind und die vonaußen beobachtbar sind. Andererseits kann man nur inunserer Galaxis die Physik der Galaxienentwicklungaus der Nähe studieren.

Wir sind Zeitzeugen einer Epoche ungeheurerEntdeckungen in der Astronomie. Die technischenMöglichkeiten der Beobachtung und der Datenaus-wertung entwickeln sich zur Zeit in rasanter Weise.Zwei Beispiele sollen dies illustrieren. Im Jahre 1993wurde das erste optische 10-Meter-Teleskop, das Keck-Teleskop, in Betrieb genommen. Dies war der ersteSchritt in Richtung größerer Teleskope seit der Eröff-nung des 5-Meter-Spiegels auf dem Mount Palomar imJahre 1948. Zehn Jahre später waren bereits sieben Te-leskope der 10-Meter Klasse in Betrieb, und in Kürzewerden weitere hinzukommen. In den letzten Jahrenhaben sich dadurch unsere Möglichkeiten enorm ver-bessert, sehr entfernte und daher sehr lichtschwacheObjekte zu finden und im Detail zu untersuchen. Alszweites Beispiel sei die Entwicklung und Größe op-tischer Detektoren genannt. Seit der Einführung vonCCDs in der Astronomie Ende der 70er Jahre, die danngrößtenteils die Photoplatten als optische Detektorenablösten, hat sich die Empfindlichkeit, die Genauigkeitund die Datenrate optischer Beobachtungen gewaltigerhöht. Während Ende der 80er Jahre eine Kameramit 10002 Bildelementen (Pixeln) als Weitwinkelins-trument galt, ging im Jahre 2003 mit Megacam eineerste Kamera in Betrieb, die (18 000)2 Pixel besitztund ein Quadratgrad des Himmels mit 0′′. 2 Winkelauf-lösung in einer Aufnahme ablichten kann. Eine solcheKamera liefert pro Nacht ca. 100 GB an Daten, de-ren Verarbeitung auf die Existenz schneller Rechnermit großen Speicherkapazitäten angewiesen ist. Dochnicht nur die optische Astronomie befindet sich in einerZeit der großen Entwicklungen; in anderen Wellenlän-genbereichen sind ebenfalls gewaltige instrumentelleFortschritte erzielt worden, wobei die Observatorien im

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1.1 Einleitung

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Weltall eine ganz zentrale Rolle spielen. Darauf werdenwir im Abschn. 1.3 näher eingehen.

Diese technischen Entwicklungen haben auch zu ei-nem ungeheuren Erkenntniszuwachs in der Astronomiegeführt, und gerade die extragalaktische Astronomieund die Kosmologie haben davon besonders profitiert.Die großen Teleskope und die empfindlichen Instru-mente haben den Blick in das ferne Universum eröffnet.Da aufgrund der Endlichkeit der Lichtgeschwindigkeitjeder Blick in die Ferne auch gleichzeitig ein Blickin die Vergangenheit ist, wurde dadurch das Studiumvon Objekten im frühen Universum möglich. Wir ken-nen heute Galaxien, die das Licht, das wir von ihnenbeobachten, zu einem Zeitpunkt ausgesandt haben, alsdas Universum weniger als 10% des heutigen Weltaltersbesaß; diese befinden sich daher in einem Frühsta-dium ihrer Entwicklung. Dadurch kann die Entwicklungvon Galaxien über kosmische Epochen verfolgt wer-den. Wir haben also die Möglichkeit, die Geschichtevon Galaxien, und damit auch die unserer Milchstraße,zu untersuchen. So können wir studieren, zu welcherZeit sich die meisten Sterne gebildet haben, die wir imlokalen Weltall beobachten, da die Sternentstehungsge-schichte bis hin zu sehr frühen kosmischen Epochenbeobachtet werden kann. Dabei stellt sich übrigensheraus, dass ein Großteil der Sternentstehung unse-rem Blick verborgen bleibt und erst mit empfindlichenFern-Infrarot-Weltraumteleskopen sichtbar wird.

Zu den faszinierendsten Entdeckungen der letztenJahre gehört die Erkenntnis, dass die meisten Galaxienin ihrem Zentrum ein Schwarzes Loch beherbergen,dessen Masse Millionen oder gar Milliarden Sonnen-massen beträgt – sog. Supermassive Schwarze Löcher.Zwar wurde schon seit der Entdeckung der Quasareim Jahre 1963 vermutet, dass die Energiegewinnung indiesen ultra-leuchtkräftigen Objekten nur mittels einesSupermassiven Schwarzen Loches funktionieren kann,doch die Präsenz solcher Schwarzen Löcher in norma-len Galaxien ist eine relativ neue Erkenntnis. Nochüberraschender war das Ergebnis, dass deren Massesehr eng korreliert ist mit anderen Eigenschaften derjeweiligen Galaxien, ein klarer Hinweis darauf, dassdie Entwicklung von Schwarzen Löchern und die ihrerHeimatgalaxien sehr eng zusammenhängen muss.

Das detaillierte Studium von Galaxien und ihrenGruppierungen, den Galaxienhaufen, haben zu demüberraschenden Ergebnis geführt, dass diese Objekte er-

heblich mehr Masse enthalten, als wir in ihren Sternenund ihrem Gas sehen können. Untersuchungen der Dy-namik solcher Systeme zeigen, dass nur etwa 10–20%ihrer Masse aus Sternen, Gas und Staub bestehen, diewir aufgrund ihrer Emission oder Absorption beobach-ten können. Der größte Teil ihrer Masse bleibt jedochunserem Blick verborgen. Aus diesem Grunde erhieltdiese den Namen Dunkle Materie. Die Dominanz Dunk-ler Materie in Galaxien und Galaxienhaufen, die sichallein aufgrund ihrer Schwerkraft bemerkbar macht,wurde in den letzten Jahren mit Radio-, optischen undRöntgenteleskopen etabliert und durch neue Untersu-chungsmethoden weiter erhärtet und quantifiziert. DieNatur der Dunklen Materie ist eine der zentralen Fragennicht nur der Astrophysik, sondern auch der funda-mentalen Physik – jedenfalls dann, wenn diese Fragekeine astronomische Lösung besitzt. Handelt es sichbei der Dunklen Materie um nichtleuchtende Him-melskörper, wie etwa ausgebrannte Sterne, oder umeine neue Form der Materie? Haben die Astronomenindirekt die Existenz eines neuen Elementarteilchensnachgewiesen, das bisher noch nicht in irdischen La-bors gefunden wurde? Wenn es sich tatsächlich umneue Teilchen handelt, wovon inzwischen ausgegangenwird, sollten sie auch in unserer Milchstraße vorkom-men, daher auch in unserer unmittelbaren Umgebung.In der Tat gibt es mittlerweile mehrere Experimente inunterirdischen Labors, die versuchen, die Konstituen-ten der Dunklen Materie mit hochempfindlichen undaufwendigen Messgeräten nachzuweisen. Physiker undAstronomen warten gespannt auf die Inbetriebnahmedes neuen Teilchenbeschleunigers LHC am Europäi-schen Forschungszentrum CERN, mit dem ab dem Jahre2007 deutlich höhere Energien erzielt werden könnenals bisher und mit dem die Hoffnung besteht, ein Ele-mentarteilchen zu finden, welches als Kandidat für dieDunkle Materie in Frage kommt.

Zweifelsohne ist als wichtigste Erkenntnis der letztenJahre die Etablierung eines Standardmodells der Kos-mologie zu bewerten. Wir glauben heute, das Alter desUniversums mit einer Genauigkeit von wenigen Prozentzu kennen – es beträgt t0 = 13.7 Gyr. Es hat sich auseinem sehr dichten und sehr heißen Zustand, dem Ur-knall, entwickelt, sich dabei ausgedehnt und abgekühlt.Noch heute lassen sich die Überbleibsel des Urknallsbeobachten, zum Beispiel in Form des kosmischenMikrowellenhintergrunds. Die genauen Beobachtungen

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dieser Hintergrundstrahlung, die etwa 380 000 Jahrenach dem Urknall freigesetzt wurde, haben erheblichdazu beigetragen, dass wir den Inhalt unseres Kos-mos heute recht genau zu kennen glauben. Dabei wirftdiese Erkenntnis mehr Fragen auf als sie beantwortet:nur etwa 4% des Energieinhalts des Kosmos bestehtaus Materie, die wir aus anderen Bereichen der Phy-sik kennen, nämlich der baryonischen Materie, die imWesentlichen aus Atomkernen und Elektronen besteht.Etwa 25% des Universums besteht aus Dunkler Mate-rie, auf die wir schon in Galaxien und Galaxienhaufengestoßen sind. Also dominiert die Dunkle Materie überdie baryonische Materie auch auf kosmischen Skalen.Aber noch überraschender ist die Erkenntnis, dass etwa70% des Universums aus etwas besteht, was wir heutewahlweise als Vakuumsenergie oder Dunkle Energiebezeichnen und die mit der von Albert Einstein einge-führten Kosmologischen Konstanten eng verknüpft zusein scheint. Die Tatsache, dass mehrere Namen da-für existieren, soll keinesweg implizieren, dass wir eineVorstellung davon hätten, was diese Dunkle Energieist. Sie macht sich ausschließlich durch ihren Einflussauf die kosmische Expansion bemerkbar und dominiertderen Dynamik in der heutigen Epoche. Versuche, dieDichte der Dunklen Energie aus der fundamentalen Phy-sik abzuschätzen, sind bislang hoffnungslos gescheitert:eine Abschätzung der Vakuumsenergiedichte mittelsder Quantenmechanik liefert einen Wert, der um 120Größenordnungen über dem aus der Kosmologie ab-geleiteten liegt! Auf absehbare Zeit wird die DunkleEnergie nur mit der beobachtenden Kosmologie zuuntersuchen sein; ihr theoretisches physikalisches Ver-ständnis liegt dabei vermutlich noch in ferner Zukunft.Die Existenz der Dunklen Energie stellt die momentanvielleicht größte Herausforderung an die fundamentalePhysik dar.

In diesem Buch werden die Objekte der extragalak-tischen Astronomie vorgestellt, beginnend mit unsererMilchstraße, die als ,,typische“ Spiralgalaxie als Proto-typ dieser Klasse von Sternsystemen zu betrachten ist.Das andere Hauptziel dieses Buches ist eine Darstellungder modernen astrophysikalischen Kosmologie, die ge-rade in den vergangenen Jahren sehr große Fortschritteerlebt hat. Methoden und Erkenntnisse werden dabeiparallel behandelt. Neben der Vermittlung der Faszi-nation, die von astronomischen Beobachtungen undkosmologischen Erkenntnissen ausgeht, liegen metho-

dische und physikalische Fragestellungen im Zentrumder Darstellung. Wir beginnen im nächsten Abschnittmit einem kurzen Überblick über das Gebiet derExtragalaktik und der Kosmologie, der einerseits Ap-petit auf mehr machen soll, andererseits aber einigeFakten und Begriffe einführt, die im Folgenden benö-tigt werden, aber erst in späteren Kapiteln detailliertbehandelt werden. In Abschn. 1.3 werden wir dann ei-nige der wichtigsten Teleskope für die extragalaktischeAstronomie kurz vorstellen.

1.2 Überblick

1.2.1 Unsere Galaxis als Galaxie

Unsere Milchstraße ist die einzige Galaxie, die wir imDetail untersuchen können: Wir können in ihr Ein-zelsterne auflösen und spektroskopisch untersuchen,detaillierte Studien der interstellaren Materie (inter-stellar medium, ISM) durchführen und dabei z. B.Eigenschaften von Molekülwolken und Sternentste-hungsgebieten, sowie die Extinktion und Rötung durchStaub studieren. Auch kann man innerhalb der Milch-straße die lokale Dynamik von Sternen und Gaswolkenund die Eigenschaften von Satelliten-Galaxien (wie dieMagellanschen Wolken) beobachten. Und schließlichbietet sich mit dem Galaktischen Zentrum in nur 8 kpc1

Entfernung die einzigartige Möglichkeit, den zentra-len Bereich einer Galaxie mit sehr hoher räumlicherAuflösung zu untersuchen. Nur durch ein detaillier-tes Verständnis unserer Galaxis kann man hoffen, dieEigenschaften anderer Galaxien zu verstehen. Dabeigehen wir natürlich implizit von der Annahme aus,dass die physikalischen Prozesse in anderen Galaxiennach den gleichen Gesetzmäßigkeiten ablaufen wie ,,beiuns“. Wäre dies nicht der Fall, so hätte man kaum dieChance, die Physik anderer Objekte im Universum odergar das Universum als Ganzes zu verstehen. Wir werdenauf diesen Punkt bald zurückkommen.

Wir werden daher zunächst die Eigenschaften unse-rer Galaxis untersuchen. Eines der zentralen Probleme

11 Parsec (1 pc) ist die gebräuchliche Entfernungseinheit in derAstronomie, wobei 1 pc = 3.086×1018 cm sind. Weiterhin be-nutzen wir 1 kpc = 103 pc, 1 Mpc = 106 pc, 1 Gpc = 109 pc. InAnhang C sind weitere häufig benutzten Einheiten und Konstantenzusammengestellt.

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1.2 Überblick

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Sonne

Zentrum

Halo

Bulge

Scheibe

Kugelstern-haufen

8.5 kpc

30 kpc

Abb. 1.3. Schematische Struktur der Galaxis, bestehend ausder Scheibe, dem zentralen Bulge, in dem sich das GalaktischeZentrum befindet, sowie dem etwa sphärischen Halo, der diemeisten Kugelsternhaufen beheimatet. Die Sonne umläuft dasGalaktische Zentrum in etwa 8 kpc Entfernung

dabei (und überhaupt in der Astronomie) ist die Entfer-nungsbestimmung von Objekten, so dass wir mit dieserThematik beginnen werden. Aus Untersuchungen derStern- und Gasverteilung in der Milchstraße wird dannauf deren Struktur geschlossen. Man findet, dass un-sere Galaxis aus mehreren Komponenten besteht: einerdünnen Stern- und Gasscheibe mit einem Radius vonetwa 20 kpc und einer Skalenhöhe von ∼ 300 pc, in dersich auch die Sonne befindet, einer etwa ∼ 1 kpc di-cken Scheibe, einem zentralen Bulge, wie man ihn auchbei anderen Spiralen sieht, und einem ungefähr sphäri-schen Halo, in dem sich die meisten Kugelsternhaufenund weitere alte Sterne befinden. Abbildung 1.3 zeigteine schematische Darstellung unserer Milchstraße mitihren verschiedenen Komponenten. Um einen besse-ren visuellen Eindruck zu erhalten, zeigen Abb. 1.1 und1.2 zwei Spiralgalaxien, die eine ,,von oben“ betrachtet(face-on), die andere von der Seite (edge-on). Im erstenFall ist die Spiralstruktur sehr deutlich zu erkennen. Diehellen Knoten in den Spiralarmen zeigen Gebiete, in de-nen junge, leuchtkräftige Sterne vor kurzem entstandensind. Die Aufnahme zeigt einen deutlichen Farbgradi-enten: Die Galaxie ist röter im Zentrum, während sie

Abb. 1.4. Die obere Kurve ist die beobachtete RotationskurveV(R) unserer Galaxis, also die Rotationsgeschwindigkeit umdas Galaktische Zentrum als Funktion des Abstands. Dieuntere Kurve ist die Rotationskurve, die man aufgrund derbeobachteten Sternmasse in der Galaxis vorhersagen würde.Die Differenz zwischen den beiden Kurven wird der Anwe-senheit von Dunkler Materie zugeschrieben, in die die Scheibeder Milchstraße eingebettet ist

in den Spiralarmen am blauesten ist – während Spi-ralarme Orte aktueller Sternentstehung darstellen, sindzum Zentrum hin, speziell im Bulge, hauptsächlich alteSterne vorhanden.

Die Galaktische Scheibe rotiert, wobei ihre Rotati-onsgeschwindigkeit V(R) vom Abstand R vom Galak-tischen Zentrum abhängt. Aufgrund der Lichtverteilungder Sterne und einem mittleren Masse-zu-Leuchtkraft-Verhältnis der Sternpopulation kann man dann dieMasse der Galaxis abschätzen (Gas und Staub reprä-sentieren weniger als ∼ 10% der Masse der Sterne)und mit der Rotationsgeschwindigkeit der Sonne umdas Galaktische Zentrum vergleichen. Dabei stellt sichheraus, dass die Sonne sich schneller bewegt, als manaus der beobachteten Massenverteilung erwarten würde:Wenn M(R0) die Masse innerhalb einer Kugel umdas Galaktische Zentrum mit Radius R0 ≈ 8 kpc ist,so folgt aus der Newtonschen Mechanik, dass dieRotationsgeschwindigkeit2

V0 =√

G M(R0)

R0(1.1)

2Wir benutzen Standard-Notation: G bezeichnet die NewtonscheGravitationskonstante, c die Lichtgeschwindigkeit.

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sein sollte.3 Aus der in Sternen sichtbaren Ma-terie würde man eine Rotationsgeschwindigkeitvon ∼ 160 km/s erwarten. Beobachtet wird aberV0 ∼ 220 km/s (siehe Abb. 1.4). Daraus, und aus demVerlauf der Rotationskurve V(R) für größere Ab-stände R vom Galaktischen Zentrum, schließt man, dassunsere Galaxis wesentlich mehr Masse enthält als inSternen vorhanden ist. Diese zusätzliche Masse wird alsDunkle Materie bezeichnet, deren physikalische Naturbislang unbekannt ist. Kandidaten dafür sind vor allemschwach-wechselwirkende Elementarteilchen, wie sievon einigen Teilchentheorien postuliert werden, abernoch nicht im Labor nachgewiesen werden konnten,aber auch makroskopische Objekte (also Himmelskör-per) kommen im Prinzip in Frage, solange sie nur wenigLicht abstrahlen. Wir werden Experimente diskutieren,die solche makroskopischen Objekte identifizieren kön-nen und zu dem Schluss kommen, dass das Problem derDunklen Materie höchstwahrscheinlich keine astrono-mische Lösung besitzt, sondern die Teilchenphysik denSchlüssel zur Lösung liefern wird.

Die Sterne in den unterschiedlichen Komponen-ten unserer Galaxis haben verschiedene Eigenschaften,etwa hinsichtlich ihres Alters und ihrer chemischenZusammensetzung. Aus der Interpretation dieses Sach-verhalts kann man auf Aspekte der Entwicklung derGalaxis schließen. Das relativ junge Alter der Sterne inder dünnen Scheibe gegenüber der älteren Sternpopula-tion des Bulge deutet darauf hin, dass es verschiedeneStadien der Bildung unserer Milchstraße gegeben hat.Tatsächlich ist die Galaxis ein höchst dynamisches Ob-jekt, das sich auch heute noch verändert. Wir sehenkaltes Gas, was auf die Galaktische Scheibe einfällt, so-wie ausströmendes heißes Gas, und zur Zeit wird einekleine Nachbargalaxie, die Sagittarius-Zwerggalaxie,vom Gezeitenfeld der Milchstraße zerrissen und wirdmit ihr in (kosmologisch gesprochen) naher Zukunftverschmelzen.

Wegen der Extinktion durch Staub kann man beioptischen Wellenlängen nicht weit durch die Scheibeunserer Galaxis hindurchschauen. Untersuchungen derunmittelbaren Umgebung des Galaktischen Zentrumssind daher nur bei anderen Wellenlängen möglich,

3Streng genommen gilt (1.1) nur für eine sphärisch symmetrischeMassenverteilung. Die Rotationsgeschwindigkeit für eine abgeplat-tete Dichteverteilung weicht von dieser Relation allerdings nicht sehrstark ab, so dass wir diese Relation näherungsweise benutzen können.

insbesondere im infraroten (IR) und im Radiobe-reich des elektromagnetischen Spektrums (siehe auchAbb. 1.5). Das Galaktische Zentrum ist ein sehr kom-plexes Gebiet, das allerdings in den letzten Jahrendank – hinsichtlich Empfindlichkeit und Winkelauflö-sung – vielfach verbesserter IR-Beobachtungen studiertwerden konnte. Eigenbewegungen, d. h. zeitlich sichändernde Positionen an der Sphäre, von hellen Ster-nen in der Nähe des Zentrums konnten beobachtetwerden; diese erlauben eine Bestimmung der Masseinnerhalb eines Raumgebiets mit der Ausdehnung von∼ 0.1 pc, M(0.1 pc) ∼ 3×106 M. Obwohl die Datenbislang keine völlig eindeutige Interpretation dieserMassenkonzentration erlauben, gibt es keine plausibleAlternative zu der Schlussfolgerung, dass das Zentrumunserer Milchstraße ein Supermassives Schwarzes Loch(supermassive black hole, SMBH) etwa dieser Massebeherbergt. Dabei ist dieses SMBH weit weniger mas-siv als diejenigen, die man in vielen anderen Galaxienentdeckt hat.

Allerdings können wir unsere Galaxis nicht ,,vonaußen“ betrachten. Dieser interne Standpunkt machtes schwierig, die globalen Eigenschaften unserer Ga-laxis zu verstehen: Die Struktur und Geometrie derGalaxis, z. B. ihrer Spiralarme, ist nur schwer von un-serem Standort her zu erkennen. Weiterhin verbirgtdie Extinktion durch Staub den Blick auf große Teileunserer Galaxis (siehe Abb. 1.6). Dadurch sind dieglobalen Eigenschaften der Galaxis (z. B. die Gesamt-leuchtkraft) nur schwer messbar. Diese lassen sichviel besser ,,von außen“ betrachten, also bei anderen,ähnlichen Spiralgalaxien. Um die globalen und groß-räumigen Eigenschaften unserer Galaxis zu verstehen,ist ein Vergleich mit ähnlichen Galaxien, die wir in ih-rer Gesamtheit untersuchen können, extrem hilfreich.Nur durch gemeinsames Studium unserer Galaxis undanderer Galaxien kann man hoffen, die physikalischeNatur und die Entwicklung von Galaxien in der Zeit zuverstehen.

1.2.2 Die Welt der Galaxien

Wir erörtern als nächstes die Eigenschaften ande-rer Galaxien. Die beiden Haupttypen von Galaxiensind Spiralgalaxien (wie unsere Galaxis; siehe auchAbb. 1.7) und Elliptische Galaxien (Abb. 1.8); dane-

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Abb. 1.5. Die Galaktische Scheibein neun verschiedenen Wellenlän-gen. Das Erscheinungsbild variiertstark zwischen den verschiedenenAufnahmen; so ist beispielsweisedie Verteilung des atomaren Was-serstoffs und des molekularen Gasesdeutlich stärker zur GalaktischenEbene hin konzentriert als etwa dieim Nah-Infraroten sichtbare Stern-verteilung, die sehr deutlich dieAnwesenheit des Bulges als zentraleVerdickung zeigt. Die Staubabsorp-tion im Optischen ist ebenfalls klarzu erkennen und kann mit der inAbb. 1.2 verglichen werden

ben gibt es weitere Klassen von Galaxien wie dieIrregulären und Zwerggalaxien, Aktive Galaxien, undStarburst-Galaxien, wobei letztere eine sehr großeSternbildungsrate verglichen mit normalen Galaxienaufweisen. Diese Klassen unterscheiden sich nichtnur in ihrem Erscheinungsbild, nach der sie klas-

Abb. 1.6. Die Galaxie Dwingeloo 1 ist nur etwa 5 mal wei-ter von uns entfernt als unsere nächste große Nachbargalaxie,Andromeda, wurde aber erst in den 90er Jahren entdeckt, dasie sich hinter dem Galaktischen Zentrum ,,versteckt“: DieAbsorption in dieser Richtung, und die vielen leuchtkräftigenSterne haben eine frühere Entdeckung verhindert. Die Gala-xie wurde zunächst mit Radiobeobachtungen entdeckt. DieAbbildung zeigt ein mit dem Isaac Newton Telescope in denBändern V, R und I aufgenommes Bild

sifiziert werden, sondern auch durch physikalischeEigenschaften wie Farbe (→ Sterninhalt), interneRötung (→ Staubinhalt), Gehalt an interstellaremGas, Rate der Sternentstehung, usw. Galaxien ver-schiedener Morphologie haben sich unterschiedlichentwickelt.

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Abb. 1.7. NGC 2997 ist eine typischeSpiralgalaxie, deren Scheibe etwa 45 Gradzu unserer Sichtlinie geneigt ist. Wie diemeisten Spiralen hat sie zwei Spiralarme;diese sind wesentlich ,,blauer“ als andereTeile der Galaxie. Dies resultiert aus aktiverSternentstehung in den Spiralarmen, so dassdort junge, heiße, also blaue Sterne vorhan-den sind, während das Zentrum der Galaxie,insbesondere der Bulge, im Wesentlichenaus älteren Sternen besteht

Abb. 1.8. M87 ist eine sehr leuchtkräftige Elliptische Gala-xie im Zentrum des Virgo-Haufens, in einem Abstand vonetwa 18 Mpc. Der Durchmesser der Galaxie beträgt etwa40 kpc; sie ist wesentlich massereicher als unsere Galaxis(M > 3×1012 M). Diese Galaxie werden wir noch öfters be-trachten: Sie ist nicht nur ein gutes Beispiel für eine zentraleHaufengalaxie, sondern ist auch ein Vertreter einer Familievon Galaxien, die als ,,Aktive Galaxien“ bezeichnet werden.Sie ist ein starker Radio-Strahler (Radioastronomen bezeich-nen sie auch als Virgo A), und besitzt einen optischen Jet imZentrum

Spiralgalaxien sind Sternsysteme, in denen auchheute noch aktive Sternentstehung stattfindet, währendEllipsen fast nur aus alten Sternen bestehen: Ihre Stern-bildung muss daher schon vor langer Zeit abgeschlossenworden sein. Die S0-Galaxien, ein Zwischentyp, be-sitzen wie die Spiralgalaxien eine Scheibe, bestehenaber wie die Ellipsen fast nur aus alten – d. h. massear-men, kühlen – Sternen. Ellipsen und S0-Galaxien fasstman zusammen unter dem Begriff Frühtyp-Galaxien(early-type galaxies), während Spiralen als Spättyp-

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Galaxien (late-type galaxies) bezeichnet werden (dieseBezeichnungen sollen im übrigen keine Interpreta-tion implizieren und existieren allein aus historischenGründen).

Die Scheiben von Spiralgalaxien rotieren differenti-ell, und aus ihrer Rotationsgeschwindigkeit lässt sichwie bei der Milchstraße mit dem Kepler-Gesetz (1.1)ihre Masse bestimmen. Man findet, dass die Rotati-onskurven von Spiralen nach außen hin nicht abfallen,wie man eigentlich aufgrund der Lichtverteilung erwar-tet. Wie unsere Galaxis enthalten Spiralgalaxien einegroße Menge an Dunkler Materie; die sichtbare Mate-rie ist eingebettet in einen Halo Dunkler Materie. DieAusdehnung dieses Halos kann nur geschätzt werden,aber vieles deutet darauf hin, dass er sehr viel größerist als die Ausdehnung der sichtbaren Materie: So istz. B. die Rotationskurve flach bis hin zu den größtenRadien, wo sie durch vorhandenes Gas noch vermes-sen werden kann. Das Studium der Dunklen Materie inEllipsen ist komplizierter, aber inzwischen ist auch beiihnen die Existenz eines Dunklen Halos nachgewiesenworden.

Das Hertzsprung–Russel-Diagramm, bzw. dasFarben-Helligkeits-Diagramm von Sternen (siehe An-hang B), hat sich für die stellare Astrophysik alsvielleicht wichtigstes Diagramm erwiesen. Die Tat-sache, dass die meisten Sterne sich entlang einereindimensionalen Sequenz, der Hauptreihe, gruppieren,hat zu dem Schluss geführt, dass für die Hauptreihen-sterne die Leuchtkraft und die Oberflächentemperaturnicht voneinander unabhängige Größen sind, sonderndie Eigenschaften solcher Sterne durch im Wesentlicheneinen Parameter charakterisiert werden können: derSternmasse. Wir werden sehen, dass auch die verschie-denen Eigenschaften von Galaxien nicht unabhängigvoneinander sind, sondern dynamische Eigenschaften(wie etwa die Rotationsgeschwindigkeiten von Spira-len) mit der Leuchtkraft in einem engen Zusamenhangstehen. Diese Skalierungsrelationen sind daher von ähn-licher Bedeutung für das Studium von Galaxien wie dasHertzsprung–Russell-Diagramm für die Sterne. Weiter-hin erweisen sie sich für die Entfernungsbestimmungvon Galaxien als äußerst nützlich.

Wie unsere Milchstraße scheinen auch andere Ga-laxien ein SMBH im Zentrum zu beherbergen. DasVerblüffende ist, dass die Masse des SMBH mit derGeschwindigkeitsverteilung der Sterne in den Ellip-

sen bzw. im Bulge von Spiralen sehr eng korreliert ist.Der physikalische Ursprung dieser Tatsache ist bishernoch nicht bekannt, sicherlich deutet sie aber auf eineenge gemeinsame Entwicklung der Galaxien und ihrerSMBH hin.

1.2.3 Die Hubble Expansion des Weltalls

Die Radialgeschwindigkeit von Galaxien, gemessendurch die Dopplerverschiebung von Spektrallinien(Abb. 1.9), ist für fast alle Galaxien positiv, d. h. siescheinen sich von uns wegzubewegen. Edwin Hubblefand 1928, dass diese Fluchtgeschwindigkeit v umsogrößer ist, je weiter die Galaxien von uns entfernt sind.Er ermittelte eine lineare Relation (Abb. 1.10) zwi-schen der Radialgeschwindigkeit und der Entfernungder Galaxien,

v = H0 D , (1.2)

wobei D die Entfernung einer Galaxie ist und dieProportionalitätskonstante H0 als Hubble-Konstante be-zeichnet wird. Ihr Wert ist erst in den letzten Jahren mitmehreren Methoden (auf die später noch eingegangenwird) mit guter Genauigkeit ermittelt worden zu

60 km s−1 Mpc−1 H0 80 km s−1 Mpc−1 , (1.3)

wobei der Fehlerbereich verschiedener Methoden (undAutoren) durchaus verschieden ist. Das Hauptproblembei der Bestimmung von H0 ist die Messung absoluterEntfernungen von Galaxien, wohingegen Doppler-Verschiebungen sehr gut messbar sind. Setzt man dieGültigkeit von (1.2) voraus, kann man die Radialge-schwindigkeit als Maß für die Entfernung von Galaxienheranziehen. Man definiert die Rotverschiebung z ausder Verschiebung von Spektrallinien,

z := λobs −λ0

λ0, λobs = (1+ z)λ0 , (1.4)

wobei λ0 die Wellenlänge eines spektralen Übergangs(im Ruhesystem des Emitters) und λobs die beobach-tete Wellenlänge bezeichnet. Zum Beispiel ist für denLyman-α Übergang (dem Übergang vom ersten ange-regten Niveau zum Grundzustand) im Wasserstoffatomλ0 = 1216 Å. Für kleine Rotverschiebungen gilt

v ≈ zc , (1.5)

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10

1. Einleitung und Überblick

Abb. 1.9. Die Spektren von Galaxien zeigencharakteristische Spektrallinien, z. B. dieH+K Linien des Kalziums. Allerdings be-sitzen diese Linien nicht die Wellenlängen,die man im Labor misst, sondern sind i. A.zum Roten hin verschoben. Dies ist hier an-hand einiger Galaxien demonstriert, derenEntfernung von oben nach unten anwächst.Aufgrund der Verschiebung der Linien, in-terpretiert als Doppler-Effekt, kann man dieRelativgeschwindigkeit der Galaxien zu unsbestimmen – diese ist umso größer, je weiterdie Galaxie von uns entfernt ist

während für größere Rotverschiebungen diese Relationmodifiziert werden muss, dann allerdings auch die Inter-pretation der Rotverschiebung.4 Die Kombination von

4Die Verschiebung von Spektrallinien ist die eigentliche Observable.Je nach Zusammenhang wird diese interpretiert als eine radialeGeschwindigkeit einer Quelle weg von uns – etwa wenn wir dieRadialgeschwindigkeit von Sternen in unserer Milchstraße vermes-sen – oder aber als kosmologische ,,Fluchtgeschwindigkeit“, wiedas beim Hubble-Gesetz der Fall ist. Diese beiden Interpretatio-nen sind prinzipiell nicht zu trennen, da eine Galaxie nicht nur ander kosmischen Expansion teilnimmt, sondern zusätzlich auch eine

(1.2) und (1.5) ergibt

D ≈ zc

H0≈ 3000 z h−1 Mpc , (1.6)

sog. Pekuliargeschwindigkeit besitzen kann. Wir werden daher dieBegriffe ,,Doppler-Verschiebung“ bzw. ,,Rotverschiebung“ und ,,Ra-dialgeschwindigkeit“ je nach Zusammenhang benutzen, aber stetsin dem Gedanken, dass beide durch die Verschiebung von Spek-trallinien gemessen werden. Erst bei der Betrachtung des fernenUniversums, bei denen die Doppler-Verschiebung durch die kosmi-sche Expansion völlig dominiert wird, werden wir durchgängig von,,Rotverschiebung“ sprechen.

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1.2 Überblick

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Abb. 1.10. Das Hubble-Diagramm von1929 zeigt die Radialgeschwindigkeitvon Galaxien als Funktion ihrer Entfer-nung. Während die Fluchtgeschwindigkeit,,einfach“ gemessen werden kann durchBestimmung der Dopplerverschiebung vonSpektrallinien, ist die genaue Bestimmungvon Entfernungen sehr viel schwieriger;wir werden in Abschn. 3.6 Methodenzur Entfernungsbestimmung von Galaxiendiskutieren. Hubble unterschätzte die Ent-fernungen deutlich, weswegen sein Wert derHubble-Konstanten wesentlich zu groß war.Nur wenige und sehr nahe Galaxien zeigeneine Blauverschiebung, d. h. bewegen sichauf uns zu; eine davon ist Andromeda(= M31)

wobei die Ungenauigkeit, mit der H0 bekannt ist, durchh parametrisiert wird, wobei

H0 = h 100 km s−1 Mpc−1 . (1.7)

Entfernungsbestimmungen, die auf der Rotverschie-bung basieren, enthalten daher immer den Faktor h−1.Es sei nochmals darauf hingewiesen, dass (1.5) und (1.6)nur für z 1 gelten; die Verallgemeinerung für größereRotverschiebungen wird in Abschn. 4.3 besprochen.Dennoch gilt auch für größere Rotverschiebungen, dassz ein Maß für die Entfernung ist, basierend auf derGültigkeit von (1.2).

1.2.4 Aktive und Starburst Galaxien

Eine spezielle Form von Galaxien sind die so genanntenAktiven Galaxien, die in ihrem Zentrum eine sehr starkeEnergiequelle besitzen (active galactic nuclei, AGNs).Die bekanntesten Vertreter dieser AGNs sind die Qua-sare, Objekte mit teilweise sehr hoher Rotverschiebungund exotischen Eigenschaften. Ihre Emissionslinienkönnen extrem breit sein: Interpretiert man dieseLinienbreite als Doppler-Verbreiterung, die aus Über-lagerung der Linien von emittierendem Gas mit einersehr breiten Geschwindigkeitsverteilung resultiert, soergeben sich Geschwindigkeiten von typischerweise∆v ∼ 10 000 km/s. Auf optischen Aufnahmen erschei-nen Quasare punktförmig – erst mit dem Hubble Space

Telescope (HST) ist es gelungen, bei einer größerenAnzahl von ihnen Struktur im Optischen zu entdecken(Abb. 1.11).

Viele Eigenschaften von Quasaren sind ähnlich zudenen der Seyfert-Galaxien (vom Typ I), Galaxien miteinem sehr hellen Kern und ebenfalls sehr breiten Emis-sionslinien, und werden daher oft als extreme Mitgliederdieser Klasse interpretiert. Die Gesamtleuchtkraft vonQuasaren ist extrem groß, einige von ihnen emittierenmehr als 1000 mal so viel Licht wie unsere Gala-xis, und diese Strahlung kommt dabei aus einem sehrkleinen Raumgebiet, dessen Größe sich z. B. aus derVariabilität abschätzen lässt. Aufgrund dieser und an-derer Eigenschaften, die in Kap. 5 besprochen werden,schließt man, dass die Kerne Aktiver Galaxien ein Su-permassives Schwarzes Loch enthalten. Die Erzeugungder Strahlung findet statt, indem Materie auf diesesLoch zufällt (akkretiert) und dabei potentielle Gravita-tionsenergie in kinetische Energie umsetzt. Wenn diesekinetische Energie (z. B. in sog. Akkretionsscheiben)durch Reibung in innere Energie (also Wärme) um-gesetzt werden kann, kann diese abgestrahlt werden– dies ist der effizienteste Prozess zur Energieerzeu-gung: Bezogen auf eine Einheitsmasse ist Akkretion aufSchwarze Löcher etwa 10 mal effektiver als die Kernfu-sion von Wasserstoff in Helium! AGNs zeigen oftmalsStrahlung in einem sehr weiten Bereich des elektro-magnetischen Spektrums, von Radiostrahlung bis hinzu Röntgen- und Gamma-Strahlung.

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1. Einleitung und Überblick

Abb. 1.11. Der Quasar PKS 2349 befindet sich im Zentrumeiner Galaxie, der Heimatgalaxie (oder Host-Galaxie) desQuasars. Die Diffraction Spikes (Beugungserscheinungen ander Aufhängung des Sekundärspiegels) in der Mitte des Ob-jekts zeigen an, dass sich im Zentrum dieser Galaxie einePunktquelle befindet, der eigentliche Quasar, der wesentlichheller ist als seine Heimatgalaxie (host galaxy). Die Gala-xie zeigt deutliche Anzeichen einer Verzerrung, als große und

dünne Gezeitenarme klar zu sehen, die durch eine benach-barte Galaxie hervorgerufen wird. Diese Nachbargalaxie istim rechten Bild direkt oberhalb des Quasars zu erkennen, einObjekt etwa von der Größe der Großen Magellanschen Wolke.Hosts von Quasaren sind häufig gestört oder befinden sich imVerschmelzungsprozess mit anderen Galaxien (merging). Diebeiden hier gezeigten Aufnahmen des gleichen Objekts habenunterschiedlichen Helligkeitskontrast

Während in Spiralgalaxien auch noch heute Sterneentstehen, Sternentstehung somit ein weit verbreitetesPhänomen ist, gibt es Galaxien, deren Sternentstehungs-rate wesentlich größer ist als die ,,normaler“ Spiralen.Man spricht von einem burst of star formation, bzw.Starburst-Galaxien. Solche Sternentstehungsraten be-tragen typischerweise zwischen 10 und 300M/yr,während unsere Milchstraße nur etwa 2M/yr an Ster-nen neu erzeugt. Diese heftige Sternentstehung findetoft stark konzentriert in der Nähe des jeweiligen Gala-xienzentrums statt. Starbursts werden wesentlich von

Abb. 1.12. Arp 220 ist das leuchtkräftigste Objekt in unseremlokalen Universum. Sie wurde zunächst als pekuliäre Gala-xie katalogisiert, dann entdeckte der Infrarot-Satellit IRAS dieungeheure Leuchtkraft im IR. Arp 220 ist der Prototyp der ul-traluminous infrared galaxies (ULIRG). Diese NIR-Aufnahmemit dem HST zeigt die Struktur dieser Galaxie: zwei kollidie-rende Spiralgalaxien im Zentrum von Arp 220. Die dadurchhervorgerufenen Störungen des ISM lösen einen starburst aus;Staub in der Galaxie absorbiert den allergrößten Teil der UV-Strahlung von den heißen Sternen und strahlt diese im IRwieder ab

Störungen des Gravitationsfeldes von Galaxien be-einflusst oder gar erst angeregt, wie sie z. B. vonWechselwirkungen zwischen Galaxien hervorgerufenwerden. Solche Starburst-Galaxien (siehe Abb. 1.12)sind extrem hell im fernen Infrarot (FIR); sie sendenbis zu 98% ihrer gesamten Energie in diesem Spektral-bereich aus. Dies geschieht durch Staubemission: Staubabsorbiert bei diesen Galaxien den überwiegenden Teilder energetischen UV-Strahlung, die bei der Sternentste-hung frei wird, und strahlt diese Energie als thermischeStrahlung im FIR wieder ab.

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1.2 Überblick

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1.2.5 Voids, Galaxienhaufen und Dunkle Materie

Wechselwirkungen zwischen Galaxien (Abb. 1.13) wer-den begünstigt durch die Tatsache, dass Galaxiennicht zufällig verteilt sind. So zeigt zum Beispiel dieProjektion der Galaxien am Himmel eine deutlicheStruktur. Entfernungsmessungen von Galaxien erlau-ben weiterhin die Bestimmung ihrer drei-dimensionalenVerteilung. Dabei zeigt sich eine starke Korrelation derGalaxienpositionen: Es gibt Raumbereiche mit einersehr großen Dichte von Galaxien, aber auch Regionen,in denen es fast keine Galaxien gibt. Letztere nennt manLöcher, voids. Solche voids können Durchmesser vonbis zu 30h−1 Mpc besitzen.

Galaxienhaufen (clusters of galaxies) sind gebun-dene Systeme von hundert und mehr Galaxien innerhalbeines Gebiets mit einem Durchmesser von ∼ 2h−1 Mpc.Haufen enthalten hauptsächlich Frühtyp-Galaxien, sodass sich in Haufengalaxien kaum noch Sterne bilden.Einige Galaxienhaufen erscheinen in der Projektion fastrund, andere zeigen eine stark elliptische oder irreguläreVerteilung von Galaxien; manchmal besitzen sie mehrals ein Zentrum. Der uns nächste Galaxienhaufen istder Virgo-Haufen, in einer Entfernung von ∼ 18 Mpc;er ist ein Haufen mit irregulärer Galaxienverteilung. Deruns nächste reguläre Haufen ist Coma, mit einer Ent-fernung von ∼ 90 Mpc.5 Coma (Abb. 1.14) enthält etwa

5Die Entfernungen dieser beiden Galaxienhaufen sind nicht überdie Rotverschiebung ermittelt worden, sondern durch direkte Metho-den, die in Abschn. 3.6 diskutiert werden; diese direkten Messungenbilden eine der erfolgreichsten Methoden zur Bestimmung derHubble-Konstanten.

Abb. 1.13. Zwei Spiralgalaxien wechsel-wirken miteinanden. NGC 2207 (links) undIC 2163 sind sich nicht nur in der Projektionsehr nahe, sondern die starken gravitativenGezeitenkräfte, die sie aufeinander ausüben,sind durch die auffälligen Gezeitenarme klarsichtbar. Dieses Bild wurde mit dem HubbleSpace Telescope aufgenommen

Abb. 1.14. Der Coma-Galaxienhaufen befindet sich etwa90 Mpc von uns entfernt und ist der nächste massereiche,reguläre Galaxienhaufen. Praktisch alle Objekte auf dieserAufnahme sind Galaxien des Haufens – Coma enthält mehrals tausend leuchtkräftige Galaxien

1000 helle Galaxien, von denen 85% Frühtyp-Galaxiensind.

Fritz Zwicky bestimmte 1933 die Radialgeschwin-digkeiten der Galaxien in Coma und fand, dass ihreDispersion etwa 1000 km/s beträgt. Aus der Gesamt-leuchtkraft L aller seiner Galaxien kann man eine Massedes Haufens abschätzen: Wenn im Mittel die Sterne derHaufengalaxien ein ähnliches Masse-zu-Leuchtkraft-

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1. Einleitung und Überblick

Abb. 1.15. Der Galaxienhaufen Hydra A, links eine optischeAufnahme, rechts ein Bild, das mit dem Röntgen-SatellitenChandra aufgenommen wurde. Der Haufen hat eine Rotver-schiebung von z ≈ 0.054 und ist somit ca. 250 Mpc von uns

entfernt. Die Röntgenemission stammt von einem Gas, des-sen Temperatur 40×106 K beträgt, im Zentrum des Haufensist es um etwa 15% kühler

Verhältnis (M/L) wie unsere Sonne besitzen, dannwürde man schließen: M = (M/L)L. Allerdingssind die Sterne in Frühtyp-Galaxien im Mittel etwasweniger massereich als die Sonne und haben daherein etwas größeres M/L.6 Die obige Massenabschät-zung muss daher um einen Faktor ∼ 10 erhöht werden.Zwicky verglich nun die so erhaltene Masse mit denRadialgeschwindigkeiten der Haufengalaxien relativ zuihrem Mittelwert und stellte fest, dass die typischeGalaxiengeschwindigkeit im Haufen wesentlich größerist als die Entweichgeschwindigkeit vom Haufen, diesich aus der so bestimmten Masse ergibt. Die Gala-xien des Haufens müssten daher eigentlich auf einerZeitskala von etwa 109 Jahren auseinander fliegen, derHaufen sich auflösen. Da Coma aber als relaxierter,d. h. im Gleichgewicht befindlicher Haufen erscheint,dessen Alter daher deutlich größer sein sollte als diedynamische Zeitskala von 109 Jahren, schloss Zwickydaraus, dass der Coma-Haufen wesentlich mehr Masseenthält als die Summe der Massen der Haufengala-

6Wir werden in Kapitel 3 noch sehen, dass für die Sterne in Spiralga-laxien im Mittel M/L ∼ 3M/L, während für Elliptische Galaxienein größerer Wert anzusetzen ist, M/L ∼ 10M/L.

xien. Unter Anwendung des Virialsatzes7 konnte er ausder Geschwindigkeitsverteilung der Galaxien die Massedes Haufens abschätzen. Dies war der erste deutlicheHinweis auf die Existenz Dunkler Materie!

Röntgensatelliten haben später gezeigt, dass Gala-xienhaufen starke Quellen von Röntgenstrahlung sind.Sie enthalten ein heißes Gas mit Temperaturen von 107

bis 108 K (Abb. 1.15). Die Temperatur des Gases istein weiteres Maß für die Tiefe des Potentialtopfes desHaufens: je heißer das Gas, desto tiefer muss der Po-tentialtopf sein, damit das Gas nicht entweicht. DieMassenabschätzungen aufgrund der Röntgentempera-tur ergeben Werte, die gut vergleichbar sind mit denenaus der Geschwindigkeitsdispersion der Haufengala-xien und bestärken daher die Hypothese der Existenz

7Der Virialsatz besagt in seiner einfachsten Form, dass für ein isolier-tes dynamisches System in einem stationären Gleichgewichtszustanddie kinetische Energie gerade die Hälfte des Betrags der potentiellenEnergie beträgt, also

Ekin = 1

2|Epot| ; (1.8)

insbesondere ist die Gesamtenergie Etot = Ekin + Epot = Epot/2 =−Ekin.

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1.2 Überblick

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Abb. 1.16. Die Galaxiengruppe HCG87 gehört zu der Klasseder sog. Kompakten Gruppen. Auf dieser HST-Aufnahmesieht man drei massereiche Galaxien dieser Gruppe, eine edge-on Spirale unten im Bild, eine Ellipse unten rechts, und eineweitere Spirale oben im Bild (die kleine Spirale im Zentrumgehört nicht zu der Gruppe). Die beiden unteren Galaxienhaben eine Aktiven Galaxienkern, während die Spirale obeneine Sternentstehungsphase zu durchlaufen scheint. Die Ga-laxien der Gruppe sind so eng beieinander, dass sie sich in derProjektion beinahe berühren. Zwischen den Galaxien konntenGasströme festgestellt werden: Die Galaxien stören sich ge-genseitig, und dies kann Auslöser für die Aktivität im Kern unddie Sternentstehung sein. Die Galaxien sind in einem gemein-samen Gravitationspotential gebunden und werden sich aufkosmologisch kurzen Zeitskalen, nämlich in wenigen Orbits– wobei ein Orbit ca. 108 Jahre dauert – massiv stören und ver-mutlich verschmelzen. Solche Verschmelzungsprozesse sindfür die Entwicklung der Galaxienpopulation von äußersterBedeutung

Dunkler Materie in Galaxienhaufen. Eine dritte Me-thode zur Massenbestimmung von Haufen, der sog.Gravitationslinseneffekt, macht Gebrauch von der Tat-sache, dass Licht im Schwerefeld abgelenkt wird. DieseLichtablenkung an einer Massenkonzentration ist umsostärker, je größer die Masse ist. Aus der Beobachtungund Analyse dieses Gravitationslinseneffekts in Gala-xienhaufen ergeben sich Werte für die Haufenmasse, diein Übereinstimmung mit den beiden anderen Methodensind. Somit sind Galaxienhaufen neben den Galaxien

eine zweite Klasse kosmischer Objekte, deren Massevon Dunkler Materie dominiert wird.

Galaxienhaufen sind kosmologisch junge Gebilde:ihre dynamische Zeitskala kann man abschätzen als dieZeit, die eine Haufengalaxie benötigt, um einmal denHaufen zu durchqueren. Mit v ∼ 1000 km/s und einemDurchmesser von 2R ∼ 2 Mpc erhält man so

tdyn ∼ 2R

v∼ 2×109 yr ; (1.9)

wie wir später noch sehen werden, ist das Universumetwa 14×109 Jahre alt. In dieser Zeit haben Gala-xien daher keine Gelegenheit, den Haufen oftmals zudurchqueren. Da Galaxienhaufen in diesem Sinne kos-mologisch jung sind, enthalten sie im Prinzip nochInformation über ihren Anfangszustand; die meistenHaufen hatten keine Zeit, vollständig zu relaxierenund einen Gleichgewichtszustand einzunehmen, der imWesentlichen unabhängig von den Anfangsbedingun-gen ist. Dies kann man vergleichen mit dem Umlaufder Sonne um das Zentrum der Milchstraße, der etwa2×108 Jahre dauert – Galaxien hatten also Zeit, ihrenGleichgewichtszustand anzunehmen.

Neben massereichen Haufen von Galaxien gibt esGalaxiengruppen, die manchmal nur wenige leuchtkräf-tige Galaxien enthalten. Unsere Milchstraße ist selbstTeil einer solchen Gruppe, der Lokalen Gruppe, dieweiterhin M31 (Andromeda) als dominante Galaxie undeinige weit weniger leuchtkräftige Galaxien wie die Ma-gellanschen Wolken enthält. Einige Galaxiengruppensind sehr kompakt, d. h. ihre Galaxien sind auf engemRaum zusammen (Abb. 1.16). Wechselwirkungen zwi-schen diesen Galaxien bewirken, dass die Lebensdauervieler dieser Gruppen wesentlich kleiner ist als dasWeltalter; die Galaxien dieser Gruppen werden dahermiteinander verschmelzen.

1.2.6 Weltmodelle und thermische Geschichtedes Universums

Quasare, Galaxienhaufen und seit einiger Zeit so-gar einzelne Galaxien werden auch bei sehr hohenRotverschiebungen gefunden, bei denen das einfacheHubble-Gesetz (1.2) nicht mehr gilt. Es ist daher nötig,dieses zu verallgemeinern. Das verlangt die Betrachtungvon Weltmodellen als Ganzes, die man auch als kosmo-logische Modelle bezeichnet. Die vorherrschende Kraft

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1. Einleitung und Überblick

im Universum ist die Gravitation: Schwache und starkeWechselwirkung haben extrem kleine Reichweiten, undelektromagnetische Wechselwirkung spielt auf großenSkalen keine Rolle, da die kosmische Materie im We-sentlichen neutral ist – denn wenn sie es nicht wäre,würden sofort Ströme fließen, um Ladungsdichten aus-zugleichen. Die gültige Theorie der Gravitation ist dieAllgemeine Relativitätstheorie (ART), die von AlbertEinstein im Jahre 1915 formuliert wurde.

Basierend auf den beiden Postulaten, dass (1) unserPlatz im Universum von anderen Orten nicht ausge-zeichnet ist und dass (2) die Verteilung der Materieum uns herum zumindest auf großen Skalen isotropist, kann man homogene und isotrope Weltmodelle (so-genannte Friedmann-Lemaître-Modelle) konstruieren,die den Gesetzen der ART genügen. ExpandierendeWeltmodelle, die die Hubble-Expansion enthalten, er-geben sich im Rahmen dieser Theorie ganz natürlich.Im Wesentlichen lassen sich diese Modelle durch dreiParameter beschreiben:

• der heutigen Expansionsrate des Universums, alsoder Hubble-Konstanten H0,

• der heutigen mittleren Materiedichte des Univer-sums, ρm, oftmals parametrisiert durch den dimensi-onslosen Dichteparameter

Ωm = 8πG

3H20

ρm , (1.10)

• und der Dichte der sog. Vakuum-Energie, ausge-drückt durch die Kosmologische Konstante Λ oderden entsprechenden Dichteparameter des Vakuums

ΩΛ = Λ

3H20

. (1.11)

Die Kosmologische Konstante wurde von Einstein ur-sprünglich eingeführt, damit seine ART auch stationäreWeltmodelle beschreiben kann. Nach der Entdeckungder Hubble-Expansion hat er die Einführung von Λ inseinen Gleichungen als seinen größten Irrtum bezeich-net. Durch die Quantenmechanik erhält Λ eine andereInterpretation, nämlich als Energiedichte des Vakuums.

Die Werte der kosmologischen Parameter sindheute recht genau bekannt (siehe Kap. 8), wobei manΩm ≈ 0.3 und ΩΛ ≈ 0.7 gefunden hat. Das Ergebniseines von Null verschiedenen Wertes für ΩΛ kommtvöllig unerwartet. Bislang sind sämtliche Versuche

gescheitert, einen Wert für ΩΛ aus der Quantenmecha-nik zu berechnen, der dem sich aus kosmologischenBeobachtungen ergebenden auch nur näherungsweiseähnlich ist. Tatsächlich geben einfache, plausible Ab-schätzungen einen Wert für Λ, der ∼ 10120 Mal größerist als der beobachtete – eine wahrlich schlechteAbschätzung. Diese gewaltige Diskrepanz stellt gegen-wärtig wohl eine der größten Herausforderungen an diefundamentale Physik dar.

Entsprechend der Friedmann-Lemaître-Modelle wardas Universum früher kleiner und heißer und hat sichim Zuge der Ausdehnung mit der Zeit abgekühlt. Mankann die Geschichte der kosmischen Expansion zurück-verfolgen unter der Annahme der Gültigkeit der unsbekannten physikalischen Gesetze. Daraus ergibt sichdas Urknall-Modell des Universums, nach dem unserUniversum sich aus einem sehr dichten, sehr heißenZustand, dem sog. Urknall (big bang) entwickelte. Die-ses Weltmodell macht eine Reihe von Vorhersagen, diein überzeugender Weise verifiziert wurden:

1. Etwa 1/4 der baryonischen Materie des Universumssollte aus Helium bestehen, welches sich etwa 3 Mi-nuten nach dem Urknall gebildet hat, während derRest im Wesentlichen aus Wasserstoff besteht. Diesist in der Tat der Fall: Der Massenanteil von He-lium in Metall-armen Objekten, deren chemischeZusammensetzung nicht stark durch Sternentwick-lungsprozesse modifiziert worden ist, beträgt etwa24%.

2. Aus dem genauen Anteil von Helium kann man dieAnzahl der Neutrino-Sorten bestimmen – je mehrNeutrino-Spezies existieren, um so größer ist derAnteil von Helium. Daraus wurde um 1981 ab-geleitet, dass es drei Neutrino-Sorten geben sollte.Dieses Resultat wurde später durch Beschleuniger-Experimente bestätigt.

3. Eine thermische Strahlung aus der heißen Frühphasedes Universums sollte auch heute noch messbar sein.Vorhergesagt 1946 durch George Gamow, wurde sie1965 von Arno Penzias und Robert Wilson ent-deckt. Die entsprechenden Photonen konnten sichfrei ausbreiten, nachdem das Universum auf etwa3000 K abgekühlt war und das Plasma sich zu neu-tralen Atomen vereinigte, eine Epoche, die manals Rekombination bezeichnet. Aufgrund der kos-mischen Expansion hat sich die Strahlung auf etwa

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1.2 Überblick

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T0 ≈ 2.73 K abgekühlt. Diese Mikrowellenstrahlungist nahezu perfekt isotrop, wenn man von der Emis-sion der Milchstraße absieht. Tatsächlich ergab dieMessung des Satelliten COBE, dass es sich bei demkosmischen Mikrowellenhintergrund (cosmic micro-wave background, CMB) um das genaueste jemalsgemessene Schwarzkörperspektrum handelt.

4. Die heutigen Strukturen im Universum haben sichaus sehr kleinen Dichtefluktuationen des frühenKosmos entwickelt. Die Keime der Strukturbildungmussten daher bereits in der Frühzeit der kosmischenEntwicklung vorhanden gewesen sein. Diese Dich-tefluktuationen sollten daher auch sichtbar sein alskleine Temperaturfluktuationen im Mikrowellenhin-tergrund, der etwa 380 000 Jahre nach dem Urknallwährend der Rekombination freigesetzt worden ist.In der Tat hat COBE diese vorhergesagte Anisotropiezum ersten Mal entdeckt (siehe Abb. 1.17). SpätereMessungen, insbesondere die des Satelliten WMAP,haben die Struktur des Mikrowellenhintergrunds mitdeutlich verbesserter Auflösung vermessen und da-bei die Theorie der Strukturbildung im Universumim Detail verifiziert (siehe Kapitel 8.6).

Da diese Vorhersagen in solch beeindruckenderWeise bestätigt worden sind, werden wir ausschließ-lich dieses kosmologische Modell betrachten. Es gibtzur Zeit kein konkurrierendes Modell des Universums,das in so natürlicher Weise die grundsätzlichen kos-mologischen Beobachtungen erklärt. Weiterhin scheintdieses Modell mit keiner grundlegenden Beobachtungder Kosmologie im Widerspruch zu stehen. Allerdingszeigt die Existenz einer von Null verschiedenen Va-kuumenergiedichte, zusammen mit einem Wert für dieMateriedichte ρm, der etwa das Sechsfache der mittle-ren Baryonendichte des Universum beträgt (wie man sieaus der Häufigkeit der im Urknall entstandenen chemi-schen Elemente ableiten kann), dass die physikalischeNatur von etwa 95% des Inhalts unseres Universumsbislang nicht verstanden worden ist.

Die Photonen des CMB standen zum letzten Mal mitMaterie durch physikalische Wechselwirkung in Kon-takt, als das Universum etwa 3.8×105 Jahre alt war,aber auch bei den am weitesten entfernten Galaxien undQuasaren, die wir bisher kennen (z ∼ 6.5), ist deren Ju-gendlichkeit beeindruckend: wir sehen sie bei wenigerals einem Zehntel des heutigen Weltalters! Die genaue

Abb. 1.17. Temperaturverteilung des kosmischen Mikro-wellenhintergrunds am Himmel, wie sie vom SatellitenCOBE gemessen wurde. Das oberste Bild zeigt eine Dipol-Verteilung; diese stammt von der Bewegung der Erde relativzum Ruhesystem des CMB. Wir bewegen uns mit einer Ge-schwindigkeit von ∼ 600 km/s relativ zu diesem System, unddies führt aufgrund des Doppler-Effekts zu einer Anisotro-pie der Größenordnung ∆T/T ∼ v/c ∼ 2×10−3. Subtrahiertman diesen Anteil, ergibt sich die mittlere Karte, die deut-lich die Emission der Galaktischen Scheibe zeigt. Da dieseEmission eine andere spektrale Verteilung besitzt (sie istkein Schwarzkörper mit T ∼ 3 K), kann man sie ebenfallssubtrahieren und erhält das untere Bild. Dies sind die primor-dialen Fluktuationen des CMB mit einer Amplitude von etwa∆T/T ∼ 2×10−5

Relation zwischen dem Weltalter zur Zeit der Lichte-mission und der beobachteten Rotverschiebung hängtvon den kosmologischen Parametern H0, Ωm und ΩΛ

ab. Für den Spezialfall Ωm = 1 und ΩΛ = 0, genannt

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1. Einleitung und Überblick

Einstein–de Sitter Modell, erhält man:

t(z) = 2

3H0

1

(1+ z)3/2. (1.12)

Insbesondere ist das Weltalter heute (d. h. z = 0) indiesem Modell

t0 = 2

3H0≈ 6.5×109 h−1 yr . (1.13)

Das Einstein–de Sitter (EdS) Modell ist das ,,ein-fachste“ Weltmodell, und wir werden es manchmal alsReferenz benutzen, aber neueste Beobachtungen spre-chen dafür, dass Ωm < 1 und ΩΛ > 0 ist. Die mittlereDichte des Universums im EdS-Modell beträgt

ρ0 = ρcr ≡ 3H20

8πG≈ 1.9×10−29h2 g cm−3 , (1.14)

sie ist also sehr, sehr klein!

1.2.7 Strukturbildung und Galaxienentwicklung

Die geringe Amplitude der Anisotropien des CMBimpliziert, dass die Inhomogenitäten zum damaligenZeitpunkt sehr klein waren, während heute das Univer-sum, zumindest auf Skalen von Galaxienhaufen, sehrstarke Dichteschwankungen aufweist. Das Dichtefeldder kosmischen Materie muss sich also entwickelt ha-ben. Diese Strukturentwicklung findet aufgrund dergravitativen Instabilität statt: Ein überdichtes Gebietexpandiert aufgrund der Eigengravitation langsamerals das Universum im Mittel, weshalb sich seine re-lative Überdichte noch verstärkt. Das Anwachsen vonDichtefluktuationen mit der Zeit bewirkt das Ausbildengroßräumiger Strukturen. Es sorgt auch dafür, dass sichGalaxien und Haufen bilden. Unser oben skizziertesWeltmodell kann die Häufigkeit von Galaxienhaufenals Funktion der Rotverschiebung vorhersagen, dieman dann mit Beobachtungen vergleichen kann. DieserVergleich kann zur Bestimmung der kosmologischenParameter herangezogen werden.

Eine weitere essentielle Schlussfolgerung aus derKleinheit der CMB Anisotropien ist die Existenz Dunk-ler Materie auf kosmischen Skalen: Der größte Teil derkosmischen Materie ist Dunkle Materie, der Baryonen-anteil an der Materiedichte ist 20% und 5% ander Energiedichte. Die Energiedichte des Universumsist von der Vakuumsenergie dominiert.

Leider ist die räumliche Verteilung der Dunklen Ma-terie auf großen Skalen nicht direkt beobachtbar, wirsehen nur Galaxien bzw. ihre Sterne. Man erwartet viel-leicht, dass Galaxien dort besonders häufig auftreten,wo auch die Dichte der Dunklen Materie besondersgroß ist. Es ist aber keineswegs selbstverständlich,dass lokale Dichtefluktuationen der Galaxienanzahl undder Dichte Dunkler Materie streng proportional sind.Der Zusammenhang zwischen Dunkler und leuchtenderMaterie ist bislang nur näherungsweise verstanden.

Dieser Zusammenhang muss letztendlich aus derEntwicklung von Galaxien begriffen werden: Einegroße Dichte Dunkler Materie kann die Bildung vonGalaxien begünstigen. Wir werden daher untersuchen,wie Galaxien entstehen und warum es verschiedeneSorten von Galaxien gibt. Mit anderen Worten, wasentscheidet, ob eine sich bildende Galaxie zu einer El-lipse oder einer Spirale wird? Diese Frage ist nichtendgültig beantwortet, aber es wird vermutet, dass sichEllipsen erst durch die Verschmelzung (merging) vonSpiralen bilden. In der Tat sagt das Standard-Modelldes Universums vorher, dass sich zunächst kleine Ga-laxien bilden; größere bilden sich erst später durchfortdauerndes merging kleinerer Einheiten.

Die Entwicklung von Galaxien ist direkt be-obachtbar: Galaxien hoher Rotverschiebung (d. h.kosmologisch junge Galaxien) sind in der Regel kleinerund blauer – die Sternentstehungsrate war zu frühe-ren Zeiten im Universum deutlich größer als heute.Die Entwicklung der mittleren Farbe von Galaxien alsFunktion der Rotverschiebung kann durch eine Mi-schung von Sternentstehung einerseits und Alterung derSternpopulation andererseits erklärt werden.

1.2.8 Kosmologie als Triumphdes menschlichen Geistes

Kosmologie, extragalaktische Astronomie, ja die ge-samte Astrophysik ist ein heroisches Unterfangen desmenschlichen Geistes und ein Triumph der Physik. Umdas Universum zu verstehen, wenden wir physikalischeGesetze an, die unter ganz anderen Umständen empi-risch gefunden wurden. Alle physikalischen Gesetzewurden ,,heute“ aufgestellt und basieren, mit Ausnahmeder Allgemeinen Relativitätstheorie, auf Experimentenim Labormaßstab oder bestenfalls auf Beobachtungen

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1.3 Werkzeuge der extragalaktischen Astronomie

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im Sonnensystem wie z. B. die Keplerschen Gesetze,die als Grundlage der Newtonschen Gravitationstheoriedienten. Haben wir a priori einen guten Grund anzu-nehmen, dass diese Gesetze auch in anderen Gebietendes Universums gelten, oder zu ganz anderen Zeiten?Dennoch scheint dies der Fall zu sein: Kernprozesseim frühen Universum scheinen nach den gleichen Ge-setzen der starken Wechselwirkung abzulaufen, die wirhier und heute im Labor messen – andernfalls wäredie Vorhersage des 25%-igen Massenanteils von He-lium nicht möglich. Die Quantenmechanik, die u. a.das Verhältnis der Wellenlängen atomarer Übergängebeschreibt, scheint auch bei sehr großen Entfernungenbzw. zu sehr frühen Zeiten gültig zu sein – selbst dieam weitesten entfernten Objekte zeigen Emissionsli-nien im Spektrum, deren Frequenzverhältnis mit denenim Spektrum naher Objekte übereinstimmen und dievon der Quantenmechanik so beschrieben werden.

Bei weitem am größten ist der Triumph der All-gemeinen Relativitätstheorie. Sie wurde ursprünglichvon Einstein entworfen, weil seine spezielle Rela-tivitätstheorie es nicht ermöglichte, die NewtonscheGravitation mit einzubeziehen. Zum damaligen Zeit-punkt (1915) gab es keine empirischen Befunde, dienicht mit der Newtonschen Gravitationstheorie be-schreibbar waren. Dennoch entwickelte Einstein einevöllig neue Theorie der Gravitation aus rein theo-retischen Gründen. Die korrekte Beschreibung derLichtablenkung an der Sonne, die 1919 gemessenwurde, und der Periheldrehung des Merkur8 wa-ren erste Erfolge der Theorie. Sie ermöglicht dieBeschreibung des expandierenden Universums, wasnach der Entdeckung von Hubble in 1928 notwen-dig wurde. Nur mit ihrer Hilfe kann die Geschichtedes Kosmos rekonstruiert werden. Diese erscheint unsbekannt bis zurück in die Zeit, als das Universumetwa 10−6 Sekunden alt und etwa 1013 K heiß war.Auf dieser Beschreibung beruhen die oben erwähntenerfolgreichen Vorhersagen der Kosmologie. Anderer-seits beschreibt die Allgemeine Relativitätstheorie auchsehr viel kleinere Systeme mit sehr viel stärkerenGravitationsfeldern, wie z. B. die von Neutronenster-nen und Schwarzen Löchern. Die Entdeckung einesBinärsystems bestehend aus zwei Neutronensternen,

8Diese war bereits vor 1915 bekannt, aber es war nicht klar, ob sie viel-leicht andere Ursachen haben könnte wie z. B. ein Quadrupolmomentder Massenverteilung der Sonne.

PSR 1913+16, hat in den vergangenen 20 Jahren sehrgenaue Tests der Allgemeinen Relativitätstheorie er-laubt, wie z. B. die Periheldrehung in diesem Systemund die Abnahme des Abstandes mit der Zeit we-gen der Energieabstrahlung durch Gravitationswellen.Zusammengenommen wurde die Allgemeine Relati-vitätstheorie getestet auf Längenskalen von 1011 cm(die charakteristische Skala des Binärpulsars) bis hinzu 1028 cm, der Größe des heute sichtbaren Univer-sums, also über 1017 Größenordnungen – wahrlich einbeeindruckendes Ergebnis!

1.3 Werkzeuge der extragalaktischenAstronomie

Extragalaktische Quellen – Galaxien, Quasare, Gala-xienhaufen – sind weit entfernt. Das bedeutet, dasssie i. A. sehr lichtschwach erscheinen, selbst wenn sieintrinsisch leuchtkräftig sind, und unter sehr kleinemWinkeldurchmesser erscheinen können, trotz ihrer viel-leicht großen linearen Ausdehnung. In der Tat gibt esgenau drei extragalaktische Quellen, die mit dem blo-ßen Auge sichtbar sind: die Andromeda-Galaxie (M31),und die Große und Kleine Magellansche Wolke. Fürdie extragalaktische Astronomie benötigt man daherTeleskope mit großen Aperturen (Sammelflächen fürPhotonen) und hoher Winkelauflösung. Das gilt für alleWellenlängenbereiche – von der Radioastronomie bishin zur Gamma-Astronomie.

Die Eigenschaften astronomischer Teleskope und ih-rer Instrumente sind nach verschiedenen Kriterien zubewerten, von denen die wichtigsten kurz erwähnt wer-den sollen. Die Beobachtungsempfindlichkeit gibt an,wie lichtschwach Quellen sein dürfen, um sie in ge-gebener Integrationszeit untersuchen zu können. DieEmpfindlichkeit hängt sowohl von der Apertur des Te-leskops als auch von der Effizienz des Instrumentsund der Sensitivität der Detektoren ab. So wurde bei-spielsweise die Empfindlichkeit optischer Teleskope umeinen großen Faktor dadurch erhöht, dass die CCDsdie Photoplatten zu Beginn der 80er Jahre als Detekto-ren ablösten. Weiterhin hängt die Empfindlichkeit vomHimmelshintergrund ab: Das künstliche Licht bewohn-ter Regionen zwingt die optischen Teleskope in immerentlegenere Gebiete, in denen die Lichtverschmutzungminimiert ist; ähnlich ergeht es den Radioastronomen,

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4. Kosmologie I: Homogene isotrope WeltmodelleWir wenden uns nun der Betrachtung des Universumsals Ganzem zu: Nicht mehr einzelne Objekte (wieGalaxien) sollen hier diskutiert werden, sondern derRaum und die Zeit, in dem diese Objekte sich befinden.Diese Betrachtungen werden dann zu einem Weltmodellführen, dem Modell unseres Kosmos.

In diesem Kapitel werden wir Aspekte der homoge-nen Kosmologie behandeln; wie wir noch sehen werden,kann das Universum in erster Näherung als homogenangenommen werden. Diese Tatsache scheint auf denersten Blick der Beobachtung zu widersprechen, dassdie Welt um uns herum hochgradig inhomogen undstrukturiert ist. Die Annahme der Homogenität ist dahersicher nicht auf kleinen Skalen gültig. Jedoch sind dieBeobachtungen damit verträglich, dass gemittelt übergroße Skalen das Universum homogen ist. Aspekte derinhomogenen Kosmologie, also der Bildung und Ent-wicklung von Strukturen im Universum, werden wirspäter in Kapitel 7 betrachten.

4.1 Einleitung undgrundlegende Beobachtungen

Die Kosmologie ist eine besondere Wissenschaft.Um dies einzusehen, vergegenwärtigen wir uns dentypischen Weg des Erkenntnisgewinns in den Na-turwissenschaften. Dieser beginnt in der Regel mitder Beobachtung einer Gesetzmäßigkeit, beispielsweisedass die Fallstrecke h eines Steins quadratisch mitder Fallzeit t zusammenhängt, h = (g/2)t2. Dieser Zu-sammenhang wird dann auch für andere Gegenständegefunden, man findet ihn an verschiedenen Orten derErde, und so formuliert man diesen Zusammenhangals ,,Gesetz“ des freien Falls. Dabei ist die Propor-tionalitätskonstante g/2 in diesem Gesetz stets diegleiche. Dieses Gesetz bewährt sich durch die Vor-hersage, wie ein Gegenstand fällt, und wann immerman diese Vorhersage überprüft, trifft sie zu (natür-lich vernachlässigen wir in diesem einfachen Beispielden Luftwiderstand). Zusammenhänge werden zu phy-sikalischen Gesetzen, wenn die mit ihnen gemachtenVorhersagen sich immer und immer wieder bestätigen;die Gültigkeit eines solchen Gesetzes wird als umso

stärker betrachtet, je diverser diese Überprüfungen statt-gefunden haben. Das Fallgesetz wurde nur auf derErdoberfläche überprüft (und ist auch nur dort mit die-ser Proportionalitätskonstante gültig; streng genommengilt auch dies nicht, denn der Wert der Proportiona-litätskonstanten ist leicht ortsabhängig), während dasNewtonsche Gravitationsgesetz das Fallgesetz beinhal-tet, aber auch das Fallgesetz auf der Mondoberflächeund die Bewegung der Planeten um die Sonne be-schreibt. Hätte man nur einen Stein zur Verfügung,so wüsste man nicht, ob das Fallgesetz eine Eigen-schaft dieses speziellen Steins oder von allgemeinererGültigkeit wäre.

Die Kosmologie entspricht in gewisser Weise jenemletzten Beispiel: Wir haben nur ein Universum, daswir beobachten können. Gesetzmäßigkeiten, die wir inunserem Kosmos erkennen, können wir nicht an an-deren Universen überprüfen. Es gibt daher auch nichtdie Möglichkeit, eine Eigenschaft des Universums als,,typisch“ zu bezeichnen – wir haben keinerlei Statis-tik, auf die sich eine solche Aussage empirisch stützenkönnte. Trotz dieser besonderen Situation haben wirenorme Fortschritte im Verständnis unseres Universumsgemacht, wie hier und in späteren Kapiteln beschriebenwird.

Kosmologische Beobachtungen sind im Allgemei-nen schwierig, da der größte Teil des Universums(und damit die meisten Quellen im Kosmos) sehrweit von uns weg ist. Aufgrund der großen Entfer-nungen sind diese Quellen daher sehr lichtschwach.Daraus erklärt sich die Tatsache, dass ein großer Teildes Erkenntnisgewinns mit der Entwicklung großerTeleskope und empfindlicher Detektoren einhergeht.Vieles von dem, was wir heute über das ferne Uni-versum wissen, wurde beispielsweise erst ermöglichtdurch die neue Generation von optischen Teleskopender 8-Meter-Klasse.

Der wichtigste Aspekt für die Beobachtungen inder Kosmologie ist jedoch die endliche Ausbrei-tungsgeschwindigkeit des Lichtes. Eine Quelle imAbstand D sehen wir heute in einem Zustand, in demsie ∆t = (D/c) jünger war als heute. Der heutigeZustand des Universums ist nur sehr lokal beob-achtbar. Die Kehrseite dieses Effekts ist jedoch von

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4. Kosmologie I: Homogene isotrope Weltmodelle

entscheidender Bedeutung: Die Endlichkeit der Licht-geschwindigkeit erlaubt es, in die Vergangenheit zuschauen! Galaxien im Abstand von 10 Milliarden Licht-jahren sehen wir in einer Entwicklungsstufe, als dasUniversum nur etwa ein Drittel des heutigen Weltal-ters besaß. Wir können zwar nicht die Vergangenheitunserer Milchstraße beobachten, aber die von anderenSpiralgalaxien studieren, und wenn es gelingt, solchedarunter zu identifizieren, die sich im Laufe der kosmi-schen Entwicklung zu Objekten ähnlich unserer Galaxisherausbilden werden, dann kann man viel über die ty-pische Entwicklungsgeschichte von solchen Spiralenaussagen.

Die Endlichkeit der Lichtgeschwindigkeit in einemeuklidischen Raum, in dessen Ursprung r = 0 wiruns heute (t = t0) befinden, impliziert, dass wir nursolche Raum-Zeit-Punkte sehen können, für die gilt:|r| = c(t0 − t); ein beliebiger Raum-Zeit-Punkt (r, t) istunbeobachtbar. Die Menge der Raum-Zeit-Punkte, diedie Relation |r| = c(t0 − t) erfüllen, nennt man auchunseren rückwärtigen Lichtkegel.

Die Tatsache, dass wir nur den Teil des Universumssehen können, der sich auf unserem rückwärtigen Licht-kegel befindet, impliziert, dass wir nur dann eine Chancehaben, durch Beobachtungen das Universum zu verste-hen, wenn dessen Struktur ,,einfach“ ist. Zum Glückscheint unser Universum eine im Wesentlichen einfacheStruktur zu besitzen.

4.1.1 Grundlegende kosmologischeBeobachtungen

Wir beginnen mit einer kurzen Liste von Beobachtun-gen, die sich für die Kosmologie als besonders wichtigherausgestellt haben. Aus diesen Beobachtungstatsa-chen werden wir dann sofort einige Schlussfolgerungenziehen können; andere Beobachtungen werden späterim Rahmen eines kosmologischen Modells zu erklärensein.

1. Nachts ist der Himmel dunkel (Olbers-Paradoxon).2. Gemittelt über große Winkelskalen sind lichtschwa-

che Galaxien (z. B. solche mit R > 20) am Himmelgleichförmig verteilt (siehe Abb. 4.1).

3. Bis auf ganz wenige Ausnahmen von sehr nahen Ga-laxien (z. B. Andromeda=M31) zeigen die Spektrenvon Galaxien eine Rotverschiebung; die allermeis-

Abb. 4.1. Der APM-Survey: Galaxienverteilung in einem ca.100 mal 50 Grad großen Feld um den Galaktischen Südpol.Die Intensitäten der Pixel sind skaliert mit der Anzahl derGalaxien pro Pixel, also der an der Sphäre projizierten Ga-laxiendichte. Die ,,schwarzen Löcher“ sind nicht untersuchteGebiete um helle Sterne, Kugelsternhaufen, etc.

ten Galaxien bewegen sich von uns weg mit einerGeschwindigkeit, die linear mit der Entfernung derGalaxie anwächst (Hubble-Gesetz; siehe Abb. 1.10).

4. In fast allen kosmischen Objekten (z. B. Gasnebel,Hauptreihensterne) beträgt der Massenanteil von He-lium etwa 25–30%.

5. Die ältesten Sternhaufen in unserer Galaxis ha-ben ein Alter von ∼ 12 Gyr = 12×109 yr (sieheAbb. 4.2).

6. Es gibt eine Mikrowellenstrahlung (kosmischerMikrowellenhintergrund, cosmic microwave back-ground radiation, CMB), die uns aus allen Richtun-gen erreicht. Diese Strahlung ist bis auf sehr kleine,aber ungemein wichtige Fluktuationen der relativenStärke ∼ 10−5 isotrop.

7. Das Spektrum des CMB entspricht, soweit bishergemessen, einer perfekten Schwarzkörperstrah-lung, d. h. einer Planck-Strahlung mit TemperaturT0 = 2.728±0.004 K – siehe Abb. 4.3.

8. Die Anzahldichte von Radioquellen bei hoher Ga-laktischer Breite folgt nicht dem einfachen GesetzN(> S) ∝ S−3/2 (siehe Abb. 4.4).

4.1.2 Einfache Schlussfolgerungen

Wir wollen zunächst aus den oben aufgezählten Beob-achtungstatsachen einige einfache Schlüsse ziehen, die

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4.1 Einleitung und grundlegende Beobachtungen

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Abb. 4.2. Links: Farben-Helligkeits-Diagramm des Kugel-sternhaufens M 5. Die verschiedenen Bereiche in diesemDiagramm sind gekennzeichnet. A: Hauptreihe; B: Roter Rie-senast; C: hier passiert der He-Flash; D: Horizontalast; E:Schwarzschild-Lücke im Horizontalast; F: Weiße Zwerge,unterhalb des Pfeils. Dort wo die Hauptreihe zum Roten Rie-senast abknickt (der so genannte ,,Turn-Off Point“) befindensich gerade noch Sterne der Masse, für die das Lebensalterauf der Hauptreihe gleich dem Alter des Kugelsternhaufensist. Aus der Lage dieses Turn-Offs kann man daher dasAlter des Sternhaufens bestimmen, wenn man sie mit Mo-dellrechnungen der Sternentwicklung vergleicht. Im rechten

Bild sind Isochronen (Kurven von Sternen gleichen Alters)für verschiedene Alterswerte des Kugelsternhaufens 47 Tuca-nae eingezeichnet. Aus solchen Untersuchungen ergibt sich,dass die ältesten Sternhaufen in unserer Milchstraße etwa13 Milliarden Jahre alt sind, wobei dieser Wert von ver-schiedenen Gruppen leicht unterschiedlich bestimmt wird –Details der Sternentwicklung können hier eine Rolle spielen.Weiterhin hängt das ermittelte Alter auch von der Ent-fernung der Haufen ab; die Revision dieser Entfernungendurch den HIPPARCOS Satelliten etwa hat die Abschät-zung des Alters um ca. 2 Milliarden Jahre nach untenkorrigiert

Abb. 4.3. CMB-Spektrum, aufgetragen als Intensität gegenFrequenz, gemessen in Wellen pro Zentimeter. Die durchge-zogene Linie zeigt das erwartete Spektrum eines schwarzenKörpers der Temperatur T = 2.728 K. Die Fehlerbalken die-ser Daten, die mit dem FIRAS-Instrument an Bord von COBEgemessen wurden, sind so klein, dass die Datenpunkte nichtvon der theoretischen Kurve unterschieden werden können

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4. Kosmologie I: Homogene isotrope Weltmodelle

Abb. 4.4. Zählungen der Radioquellen als Funktion des Flus-ses, normiert durch die ,,Euklidische“ Erwartung N(S) ∝S−5/2, was den integrierten Zählungen N(> S) ∝ S−3/2 ent-spricht. Ergebnisse sind für drei verschiedene Frequenzenangegeben. Man sieht, dass die Zählungen klar von derEuklidischen Erwartung abweichen

uns dann dazu motivieren werden, das kosmologischeModell zu entwickeln. Dabei beginnen wir zunächstmit der Annahme eines unendlichen, euklidischen, sta-tischen Universums und werden zeigen, dass dies sofortzu einem Widerspruch mit den Beobachtungen (1) und(8) führt.

Das Olbers-Paradoxon (1): Wir können zeigen, dassin einem solchen Universum der Himmel nachts hellwäre – ungemütlich hell sogar. Dazu sei n∗ die mittlereAnzahldichte von Sternen, die laut Annahme konstantin Raum und Zeit ist, und R∗ ihr mittlerer Radius. EineKugelschale mit Radius r und Dicke dr um uns herumenthält 4πr2 dr n∗ Sterne. Jeder dieser Sterne nimmteinen Raumwinkel von πR2∗/r2 ein, also nehmen dieSterne in der Kugelschale insgesamt den Raumwinkel

dω = 4πr2 dr n∗R2∗πr2

= 4π2 n∗ R2∗ dr (4.1)

ein. Wie man sieht, ist dieser Wert unabhängig vomRadius r der Kugelschale, da der Raumwinkel einesEinzelsterns ∝ r−2 sich gerade mit dem Volumen derKugelschale ∝ r2 kompensiert. Um nun den gesamtenRaumwinkel aller Sterne in einem statischen euklidi-schen Universum zu berechnen, muss (4.1) über alle

Entfernungen r integriert werden, aber das Integral

ω =∞∫

0

drdω

dr= 4π2 n∗ R2

∞∫0

dr

divergiert! Formal bedeutet dies, dass die Sterne einenunendlichen Raumwinkel einnehmen, was natürlichphysikalisch keinen Sinn ergibt. Der Grund für dieseDivergenz ist darin zu sehen, dass wir den Effekt vonsich überlappenden Sternscheiben an der Sphäre nichtberücksichtigt haben. Diese Betrachtung zeigt jedoch,dass der Himmel von Sternscheiben vollständig gefülltwäre, d. h. aus jeder Richtung, entlang jeder Sichtli-nie würde uns Sternlicht erreichen. Da die spezifischeIntensität Iν entfernungsunabhängig ist (die Flächen-helligkeit der Sonne ist von der Erde aus betrachtet diegleiche, die ein Beobachter sähe, der sich sehr viel näheran der Sonnenoberfläche aufhielte), wäre der Himmel∼ 104 K heiß; glücklicherweise ist er es nicht!

Quellenzählungen (8): Betrachten wir als Nächsteseine Population von Quellen mit räumlich und zeit-lich konstanter Leuchtkraftfunktion, d. h. sei n(> L)

die räumliche Anzahldichte von Quellen mit Leucht-kraft größer als L. In einer Kugelschale mit Radiusr und Dicke dr um uns herum befinden sich4πr2 dr n(> L) Quellen mit einer Leuchtkraft > L.Da der beobachtete Fluss S mit der Leuchtkraft überL = 4π r2 S zusammenhängt, ist die Anzahl von Quel-len mit Fluss > S in dieser Kugelschale gegeben alsdN(> S) = 4πr2 dr n(> 4π r2 S), und die gesamte Zahlvon Quellen mit Fluss > S ergibt sich aus der Integrationüber den Radius der Kugelschalen,

N(> S) =∞∫

0

dr 4π r2 n(> S 4π r2) .

Die Änderung der Integrationsvariablen auf L =S 4π r2, oder r = √

L/(4πS), mit dr = dL/(2√

4πLS)

ergibt dann:

N(> S) =∞∫

0

dL

2√

4πLS

L

4πSn(> L)

= 1

16π3/2S−3/2

∞∫0

dL√

L n(> L) . (4.2)

Daraus sieht man, dass unabhängig von der Leucht-kraftfunktion die Quellenzählungen in einem solchen

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4.1 Einleitung und grundlegende Beobachtungen

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Universum N(> S) ∝ S−3/2 wären, im Widerspruch zuden Beobachtungen.

Aus diesen beiden Widersprüchen – das Olbers-Paradoxon und die nicht-euklidischen Quellenzählun-gen – schließen wir also, dass mindestens eine derAnnahmen falsch sein muss. Unser Universum kannnicht euklidisch, unendlich und statisch sein. DerHubble-Fluss, d. h. die Rotverschiebung der Galaxien,deutet auf ein nicht-statisches Universum hin.

Das Alter von Sternhaufen (5) zeigt, dass dasUniversum mindestens 12 Gyr alt sein muss, denndas Weltalter kann nicht kleiner sein als das derältesten Objekte. Interessanterweise ergeben die Al-tersabschätzungen von Kugelsternhaufen einen Wert,der sehr ähnlich der Hubble-Zeit H−1

0 = 10 h−1 Gyr ist.Diese Übereinstimmung suggeriert, dass die Hubble-Expansion direkt mit der Entwicklung des Universumszusammenhängen könnte.

Die über große Skalen gemittelt isotrop erscheinendeGalaxienverteilung (2) und die CMB-Isotropie (6) le-gen nahe, dass auf großen Winkelskalen das Universumum uns herum isotrop ist. Wir werden daher zunächstein Weltmodell betrachten, welches das Universum umuns herum als isotrop beschreibt. Wenn wir zusätzlichdavon ausgehen, dass unser Ort im Kosmos nicht voranderen Orten ausgezeichnet ist, so folgt aus der An-nahme der Isotropie um uns sofort, dass das Universumvon jedem Punkt aus gesehen isotrop erscheint. Aus derIsotropie um jeden Punkt folgt dann unmittelbar die Ho-mogenität des Universums, wie in der Abb. 4.5 erläutertist. Zusammengenommen bezeichnet man die Annahmeder Homogenität und Isotropie des Universums auchals kosmologisches Prinzip. Wir werden sehen, dassein auf dem kosmologischen Prinzip basierendes Welt-modell in der Tat eine exzellente Beschreibung vielerBeobachtungstatsachen liefert.

Allerdings kann die Homogenität prinzipiell nichtbeobachtet werden, da Beobachtungen weit entfernterGebiete (oder Objekte) diese zu früheren Zeiten zeigen.Falls das Universum sich zeitlich entwickelt, wie esdie obigen Betrachtungen nahe legen, können Entwick-lungseffekte nicht direkt von räumlichen Variationengetrennt werden.

Die Annahme der Homogenität ist natürlich aufkleinen Skalen hinfällig: Wir sehen Strukturen im Uni-versum wie Galaxien und Galaxienhaufen, es gibt sogarAnsammlungen von Galaxienhaufen, sog. Superhaufen.

C

B

E

D

A

Abb. 4.5. Aus der Isotropie um zwei Punkte folgt die Homoge-nität: Ist das Universum um B isotrop, so ist die Dichte gleichin C, D, und E. Indem man Kugeln mit unterschiedlichenRadien um A konstruiert, wird gezeigt, dass der Bereich inner-halb der gezeichneten Kugelschale um A homogen sein muss.Mit Schalen, die groß genug sind, kann man so Homogenitätfür das ganze Universum folgern

Rotverschiebungs-Surveys haben Strukturen entdeckt,die sich über ∼ 100 h−1 Mpc erstrecken. Allerdingsgibt es keine Hinweise auf Strukturen im Kosmos aufSkalen 100 Mpc. Diese Länge können wir verglei-chen mit einer charakteristischen Skala des Universums,die sich wiederum aus der Hubble-Konstanten ergibt.Wenn H−1

0 ein charakteristisches Weltalter angibt, sokann Licht in dieser Zeit die Strecke c/H0 zurücklegen.Daraus erhält man als charakteristische Größe des Uni-versums (genauer müsste man sagen: des beobachtbarenUniversums) den Hubble-Radius

RH := c

H0= 2997 h−1 Mpc : Hubble-Länge .

(4.3)

Das Hubble-Volumen ∼ R3H kann also sehr viele Struk-

turen der Größe ∼ 100 h−1 Mpc enthalten, so dasses immer noch sinnvoll ist, von einem im Mittelhomogenen Universum auszugehen. In diesem homo-genen Universum gibt es dann Dichtestörungen, diemit den beobachteten großskaligen Strukturen zu iden-tifizieren sind; diese werden im Detail in Kapitel 7betrachtet. Aber in erster Näherung kann man für dieBeschreibung des Universums als Ganzes diese Dich-testörungen vernachlässigen. Daher werden wir alsNächstes Weltmodelle betrachten, die auf dem kos-mologischen Prinzip beruhen, d. h. in denen für alle