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Gefühle machen GeschichteZum Stellenwert von kollektiven Emotionen
aus systemischer Sicht
Prof. Dr. med. em, Luc Ciompi
Belmont-sur-Lausanne
Festvortrag zur 12. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Systemische Therapie, Beratung und Familientherapie (DGSF)
Freiburg i. Br., 3. Oktober 2012
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• Fünf Hautpthesen zur Affektlogik• Drei historische Beispiele• Spezifisch systemtheoretische Aspekte• Praktische Konsequenzen
Übersicht
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Erste These:Erste These:
Affekte sind umfassende psycho-physische Gestimmtheiten
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Neugier/Interesse ⇒ mobilisiert die Aufmerksamkeit (Explorationsverhalten)
Angst ⇒ schützt vor Gefahr („weg von!“)
Wut, Aggression ⇒ setzt und verteidigt Grenzen (Revierverteidigung)
Freude, Sympathie, Liebe ⇒ schafft Bindung, Zusammenarbeit, Kontinuität („hin zu!“)
Trauer ⇒ löst Bindung nach Verlusten
Evolutionäre Funktionen von Grundaffekten
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Gefühle sind Energien !
Kollektive Emotionen sind Emotionen, die
vielen Menschen gemeinsam sind
Kollektive Emotionen sind
gebündelte Energien
Zweite These:
Fühlen und Denken wirken ständig und
untrennbar zusammen
Dritte These:
Offene oder verdeckte, aktuelle oder vergangene
Gefühle beeinflussen ständig unser Denken
- den Fokus der Aufmerksamkeit
- die Wahrnehmung
- das Gedächtnis
- das kombinatorische Denken
Schalt- und Filterwirkungen von Affekten
beeinflussen ständig
Die Schalt- und Filterwirkungen der Affekte führen
zu einer affektspezifischen „Logik“ i.w.S.
➙Angstlogik,
➙Wutlogik
➙Freudelogik
➙ Alltagslogik
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personen- , gruppen- und kulturspezifische
Fühl- und Denkweisen
(„affektiv-kognitive Eigenwelten“)
Unter der Wirkung von kollektiven Leitaffekten
bilden sich
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Vierte These:
Kritisch steigende Affektspannungen führen
zu plötzlichen globalen Veränderungen
des Fühlens und Denkens
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Affekte beeinflussen Denken und Verhalten auf allen
Ebenen prinzipiell gleichartig („selbstähnlich“)
Fünfte These:
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Drei historische Beispiele
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1. Die Entwicklung des Nationalsozialismus
in Deutschland
Soziale Ausbreitung von Emotionen durch
• emotionale Ansteckung
• emotionale Resonanz
• psycho-motorische Synchronisierung
• Nachahmung
• Konformitätdruck, Angst vor Ausgrenzung
• Repression, Gewalt. Terror
Die Scham-Wut-Spirale
KränkungDemütigungErniedrigungAusgrenzung
Verneinung VerleugnungVerdrängung
Neid, Wut, HassRache, VergeltungGewalttätigkeit
AllmachtsgefühleGrössenwahn
Verlorene Ehre und WürdeScham, DepressionOhnmachtsgefühleKleinheitswahn
Wieder hergestellte EhreWürde, StolzSelbstsicherheit
2. Der Israel-Palästina-Konflikt
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Jahrzehntelange emotionale Eskalation zwischen
zwei diametral gegenläufigen affektiv-kognitiven Eigenwelten
Gegenseitige Rache und Vergeltung, „ewiger“ circulus vitiosus
zur Wiederherstellung von, Ehre und positive eigene Identität
Gemässigte werden auf beiden Seiten zunehmend marginalisiert
⇒ eskalierender Extremismus auf beiden Seiten
Gemeinsames Konfliktsystem, identitätsstiftend ,
sich laufend selbst erhaltend und verschärfend
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3. Der „arabische Frühling“
Spezifisch systemische Aspekte
Fühl-Denk und Verhaltenssysteme sind typische
Systeme im systemischen Sinn
Ständiges dynamisch-strukturelles Zusammenwirken
zwischen Emotion = Motor, Energie, Dynamik
und Kognition = Form, Struktur
Überlebenswichtige systemerhaltende Funktionen
von Emotionen aus evolutionärer Sicht
Komplexitätsreduktion
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Affektiv-kognitive Eigenwelten (= Fühl-Denk-
Verhaltenssysteme) mit unterschiedlichen
systemstablisierenden Funktionen von
stabilem konservativem Zentrum
zentralen blinden Flecken labiler Peripherie
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Praktische Konsequenzen
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Zentrale systemerhaltende oder -verändernde Bedeutung
des kollektiven emotionalen Spannungspegels!
Zentrale Bedeutung des Überwiegens
von positiven oder negativen Leitgefühlen!
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⇒ Einstimmen
⇒ Abstimmen
⇒ Zustimmen
⇒ Umstimmen
⇒ Bestimmen
Allgemeine Schlussfolgerung:
offene oder verdeckte Emotionen
sind die entscheidenden Motoren und Organisatoren
unseres Denkens und Verhaltens
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Zusätzliche Informationen:
www. ciompi.com
Workshop zum gleichen Thema
Ciompi, L. Ein blinder Fleck bei Niklas
Luhmann? Soziodynamische Wirkungen von
Emotionen nach dem Konzept der fraktalen
Affektlogik. Soziale Systeme 10:21-49, 2004