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Bei Großveranstaltungen sind auch unter ungünstigsten Annahmen Mehrwegbecher- Systeme den Einweg-Lösungen ökologisch deutlich überlegen. Selbst das beste Ein- wegszenario führt zu einer doppelt so ho- hen Umweltbelastung wie das ungünstigste Mehrweg-System. Kompostierbare Einweg- becher aus nachwachsenden Rohstoffen schneiden nicht besser ab als herkömmli- che Einwegbecher. Zu diesen Ergebnissen kommt eine vergleichende Ökobilanz für verschiedene Bechersysteme (Einweg und Mehrweg) beim Getränkeausschank, die von den Umweltministerien Österreichs und der Schweiz in Auftrag gegeben und vom deutschen Umweltministerium unterstützt wurde. Für die Stückzahl, Umlaufzahlen und Transportdistanzen wurden in der Stu- die die Bedingungen zugrunde gelegt, die bei der Fußballeuropameisterschaft UEFA EURO 2008 gelten werden. Die Studie lie- fert die neuesten ökologischen Vergleichs- daten der gebräuchlichsten Mehrweg- und Einwegbecher, die heute auf dem Markt er- hältlich sind. Verglichen wurde ein Mehr- wegsystem, bei dem unterschiedliche Um- laufzahlen für die Becher angenommen wurden, mit jeweils unterschiedlich zu ent- sorgenden verschiedenen Einwegbechern aus den Materialien PET, Polystyrol, Kar- ton, PLA sowie aus dem Spezialkunststoff der Firma Belland. In Fußballstadien, bei sonstigen Sportgroß- veranstaltungen wie Olympischen Spielen aber auch bei Konzerten und Stadtfesten werden für den Getränkeausschank sowohl Einweg- als auch Mehrwegbechersysteme genutzt. Seit einigen Jahren sind spezielle Einwegsysteme auf dem Markt, die aus nachwachsenden Rohstoffen oder aus soge- nannten recyclingfähigen Kunststoffen her- gestellt sind. Verschiedene Hersteller und Betreiber der Systeme verweisen dabei auf besondere ökologische Vorteile ihrer Syste- me und zitieren als Beleg teilweise Ökobi- lanzstudien. Es existiert eine Vielzahl von unterschiedlichen Bilanzen, die aufgrund ungleicher Bedingungen sehr unterschiedli- che Ergebnisse leiferten. In Deutschland und in der Schweiz haben einige Stadion- betreiber beziehungsweise Caterer den Mehrwegbecher abgeschafft und mit dem Hinweis auf die ökologische Sinnhaftigkeit ihres Systems auf Einwegbecher umgestellt. Österreich, die Schweiz und die Firma Euro 2008 SA haben sich bereits im Juni 2007 gemeinsam mit der Unterzeichnung der Nachhaltigkeits-Charta verpflichtet, ökolo- gische, wirtschaftliche und soziale Maß- nahmen bei der UEFA EURO 2008 zu unter- stützen. Im Umweltbereich liegt eine Zielset- zung darin, durch Abfallvermeidungsmaß- nahmen nachhaltige Standards für künftige Großveranstaltungen zu setzen, zum Bei- spiel durch ökologisch optimale Gebinde beim Getränkeausschank. Aufgrund der wi- dersprüchlichen Behauptungen der Anbie- ter der unterschiedlichen Systeme ist eine große Unsicherheit entstanden, welches Sy- stem nun aus ökologischer Sicht für Sport- großveranstaltungen wie die UEFA EURO 2008 die beste Variante ist. Die Umweltministerien aus Österreich, Schweiz und Deutschland haben deshalb mit Unterstützung der Länder beziehungs- weise Städte Basel, Bern, Hannover, Kla- genfurt, Salzburg, Wien und Zürich das Österreichische Ökologie-Institut, das Deut- sche Öko-Institut e.V. und die Schweizer Firma Carbotech AG beauftragt, eine ver- gleichende Ökobilanzierung unterschied- licher Bechersysteme zu erstellen, wobei die aktuellen Erfahrungen von der FIFA WM 2006 in Deutschland und spezifi- sche Rahmenbedingungen einer Fußball- Europameisterschaft berücksichtigt werden sollten. Um noch rechtzeitig vor der Europameister- schaft eine aktuelle Entscheidungsgrundla- ge über das ökologischste Getränkebecher- system erarbeiten zu können, wurde ein Ar- beitskreis aus Experten der beteiligten Mini- sterien, deren Fachbehörden sowie Vertre- tern der Städte eingerichtet. Mit diesem Ar- beitskreis, der die Studie intensiv begleitete, wurden alle wesentlichen Entscheidungen zum methodischen Vorgehen abgestimmt. Außerdem unterzog Dr. Martin Patel, Assi- stenzprofessor am Fachbereich Wissen- schaft, Technologie und Gesellschaft (STS) an der Universität Utrecht, Niederlande, als externer Gutachter die Studie einer kriti- schen Überprüfung (Critical Review). Das Gutachten bestätigte die Korrektheit des Vorgehens und der Methodenanwendung. Die Ergebnisse der Studie wurden inzwi- schen der Euro 2008 SA, der UEFA und den Getränkesponsoren in Nyon (Schweiz) präsentiert. Methode In der vorliegenden Ökobilanzierung wur- de der Einsatz aller wesentlichen auf dem Markt erhältlichen Ein- und Mehrwegbe- cher analysiert, soweit sie im Vorfeld der UEFA EURO 2008 TM als mögliche Variante diskutiert wurden. Dabei wurden die Um- weltauswirkungen – wie bei Ökobilanzen üblich – über den gesamten Lebensweg er- fasst und bewertet. Die vorliegende Studie richtet sich nach der Norm DIN EN ISO 14’040 und geht in Be- zug auf die Bewertungsmethoden teilweise über diese hinaus. Neben der Bewertung der einzelnen Umweltkriterien erfolgte die Gesamtbewertung mittels zweier anerkann- ter aggregierender Methoden anhand von FORUM MÜLLMAGAZIN 4/2007 8 1:0 für Mehrwegbecher Gutachter erstellten eine vergleichende Ökobilanz für verschiedene Bechersysteme bei der Fußballeuropameisterschaft 2008 Von Christian Pladerer, Markus Meissner, Fredy Dinkel, Mischa Zschokke, Doris Schüler und Günter Dehoust

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Artikel der Autoren Trinationale Becherstudie im Müllmagazin zur Ökobilanz von Getränkebechern

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Bei Großveranstaltungen sind auch unterungünstigsten Annahmen Mehrwegbecher-Systeme den Einweg-Lösungen ökologischdeutlich überlegen. Selbst das beste Ein-wegszenario führt zu einer doppelt so ho-hen Umweltbelastung wie das ungünstigsteMehrweg-System. Kompostierbare Einweg-becher aus nachwachsenden Rohstoffenschneiden nicht besser ab als herkömmli-che Einwegbecher. Zu diesen Ergebnissenkommt eine vergleichende Ökobilanz fürverschiedene Bechersysteme (Einweg undMehrweg) beim Getränkeausschank, dievon den Umweltministerien Österreichs undder Schweiz in Auftrag gegeben und vomdeutschen Umweltministerium unterstütztwurde. Für die Stückzahl, Umlaufzahlenund Transportdistanzen wurden in der Stu-die die Bedingungen zugrunde gelegt, diebei der Fußballeuropameisterschaft UEFAEURO 2008 gelten werden. Die Studie lie-fert die neuesten ökologischen Vergleichs-daten der gebräuchlichsten Mehrweg- undEinwegbecher, die heute auf dem Markt er-hältlich sind. Verglichen wurde ein Mehr-wegsystem, bei dem unterschiedliche Um-laufzahlen für die Becher angenommenwurden, mit jeweils unterschiedlich zu ent-sorgenden verschiedenen Einwegbechernaus den Materialien PET, Polystyrol, Kar-ton, PLA sowie aus dem Spezialkunststoffder Firma Belland.

In Fußballstadien, bei sonstigen Sportgroß-veranstaltungen wie Olympischen Spielenaber auch bei Konzerten und Stadtfestenwerden für den Getränkeausschank sowohlEinweg- als auch Mehrwegbechersystemegenutzt. Seit einigen Jahren sind spezielleEinwegsysteme auf dem Markt, die ausnachwachsenden Rohstoffen oder aus soge-nannten recyclingfähigen Kunststoffen her-gestellt sind. Verschiedene Hersteller und

Betreiber der Systeme verweisen dabei aufbesondere ökologische Vorteile ihrer Syste-me und zitieren als Beleg teilweise Ökobi-lanzstudien. Es existiert eine Vielzahl vonunterschiedlichen Bilanzen, die aufgrundungleicher Bedingungen sehr unterschiedli-che Ergebnisse leiferten. In Deutschlandund in der Schweiz haben einige Stadion-betreiber beziehungsweise Caterer denMehrwegbecher abgeschafft und mit demHinweis auf die ökologische Sinnhaftigkeitihres Systems auf Einwegbecher umgestellt.Österreich, die Schweiz und die Firma Euro2008 SA haben sich bereits im Juni 2007gemeinsam mit der Unterzeichnung derNachhaltigkeits-Charta verpflichtet, ökolo-gische, wirtschaftliche und soziale Maß-nahmen bei der UEFA EURO 2008 zu unter-stützen. Im Umweltbereich liegt eine Zielset-zung darin, durch Abfallvermeidungsmaß-nahmen nachhaltige Standards für künftigeGroßveranstaltungen zu setzen, zum Bei-spiel durch ökologisch optimale Gebindebeim Getränkeausschank. Aufgrund der wi-dersprüchlichen Behauptungen der Anbie-ter der unterschiedlichen Systeme ist einegroße Unsicherheit entstanden, welches Sy-stem nun aus ökologischer Sicht für Sport-großveranstaltungen wie die UEFA EURO2008 die beste Variante ist.Die Umweltministerien aus Österreich,Schweiz und Deutschland haben deshalbmit Unterstützung der Länder beziehungs-weise Städte Basel, Bern, Hannover, Kla-genfurt, Salzburg, Wien und Zürich dasÖsterreichische Ökologie-Institut, das Deut-sche Öko-Institut e.V. und die SchweizerFirma Carbotech AG beauftragt, eine ver-gleichende Ökobilanzierung unterschied-licher Bechersysteme zu erstellen, wobeidie aktuellen Erfahrungen von der FIFAWM 2006 in Deutschland und spezifi-sche Rahmenbedingungen einer Fußball-

Europameisterschaft berücksichtigt werdensollten. Um noch rechtzeitig vor der Europameister-schaft eine aktuelle Entscheidungsgrundla-ge über das ökologischste Getränkebecher-system erarbeiten zu können, wurde ein Ar-beitskreis aus Experten der beteiligten Mini-sterien, deren Fachbehörden sowie Vertre-tern der Städte eingerichtet. Mit diesem Ar-beitskreis, der die Studie intensiv begleitete,wurden alle wesentlichen Entscheidungenzum methodischen Vorgehen abgestimmt.Außerdem unterzog Dr. Martin Patel, Assi-stenzprofessor am Fachbereich Wissen-schaft, Technologie und Gesellschaft (STS)an der Universität Utrecht, Niederlande, alsexterner Gutachter die Studie einer kriti-schen Überprüfung (Critical Review). DasGutachten bestätigte die Korrektheit desVorgehens und der Methodenanwendung.Die Ergebnisse der Studie wurden inzwi-schen der Euro 2008 SA, der UEFA undden Getränkesponsoren in Nyon (Schweiz)präsentiert.

MethodeIn der vorliegenden Ökobilanzierung wur-de der Einsatz aller wesentlichen auf demMarkt erhältlichen Ein- und Mehrwegbe-cher analysiert, soweit sie im Vorfeld derUEFA EURO 2008TM als mögliche Variantediskutiert wurden. Dabei wurden die Um-weltauswirkungen – wie bei Ökobilanzenüblich – über den gesamten Lebensweg er-fasst und bewertet. Die vorliegende Studie richtet sich nach derNorm DIN EN ISO 14’040 und geht in Be-zug auf die Bewertungsmethoden teilweiseüber diese hinaus. Neben der Bewertungder einzelnen Umweltkriterien erfolgte dieGesamtbewertung mittels zweier anerkann-ter aggregierender Methoden anhand von

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MÜLLMAGAZIN 4/2007 8

1:0 für MehrwegbecherGutachter erstellten eine vergleichende Ökobilanz für verschiedene

Bechersysteme bei der Fußballeuropameisterschaft 2008Von Christian Pladerer, Markus Meissner, Fredy Dinkel, Mischa Zschokke, Doris Schüler und Günter Dehoust

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Eco-Indikatoren und Umweltbelastungs-punkten. In diesem Beitrag werden dieErgebnisse der Bewertung anhand des Kri-teriums Treibhauspotential (als CO2-Äquiva-lente) und zusätzlich die Umweltbelastungs-punkte dargestellt.Untersucht wurden sowohl Becher aus fossi-len und nachwachsenden Rohstoffen alsauch biologisch abbaubare Materialien.

Als Vergleichsbasis wurde die Ausgabe voneinem Getränk in einem 0,5-Liter-Becher(Bier beziehungsweise Softdrinks) gewählt.Entsprechend dem Ökobilanzansatz wur-den folgende umweltrelevante Prozesseüber den gesamten Lebensweg erfasst undbewertet:c Bereitstellung der Grundmaterialien wie

Kunststoffe, Karton und PLA (Polylactide;

biologisch abbaubares Material auf Ba-sis von Mais);

c Verarbeitung der Materialien, Beschich-tung der Materialien und Herstellung derBecher;

c Bereitstellung der benötigten Energie-träger;

c Transporte;c Reinigung der Mehrwegbecher;c Aufwendungen für die Verwertung bezie-

hungsweise Entsorgung.

Folgende Umweltauswirkungen bezie-hungsweise Umweltindikatoren gingen indie Gesamtbilanz ein:c Einfluss auf das Klima durch das Treib-

hauspotential (Global Warming Potential,GWP);

c Verbrauch an nicht erneuerbaren Res-sourcen wie Erdöl oder Erdgas durchden kumulierten Energieaufwand (KME);

c Beitrag zur Bildung von Ozon (Sommer-smog) durch Ozonbildungspotential;

c Beitrag zur Versauerung von Böden undGewässern durch Säurebildungspoten-tial;

c Auswirkungen auf die menschliche Ge-sundheit (Toxizität);

c Auswirkungen auf Tiere und Pflanzendurch die Emission von Stoffen (Ökotoxi-zität);

c Veränderung des Nährstoffgleichgewich-tes in Boden und Wasser durch Eutro-phierung oder Überdüngung;

c Einfluss auf die Biodiversität durch dieFlächennutzung und deren Veränderung.

Es wurden Einweggetränkebecher aus denKunststoffen PET (Polyethylenterephthalat)und PS (Polystyrol), aus beschichtetem Kar-ton, aus dem biologisch abbaubaren Kunst-stoff PLA (Polylactide) und aus dem Belland-Material entlang ihres Lebensweges analy-siert. Dabei wurde unter anderem unter-schieden, ob die Getränkebecher nach ih-rem einmaligen Gebrauch in einer Müllver-brennungsanlage entsorgt oder stofflichverwertet beziehungsweise kompostiertwerden.Im Falle der Mehrweggetränkebecher ausdem Kunststoff PP (Polypropylen) wurdenverschiedene Szenarien berechnet. Der we-sentliche Unterschied der Systeme entstehtdadurch, dass durch eine eventuelle Mar-kenstrategie, ein „UEFA EURO 2008TM

Branding“, eine gewerbliche Nutzung derbedruckten Getränkebecher nach der Euro-pameisterschaft 2008 verboten sein könnte.Die Angaben zu den Umlaufzyklen und Mit-nahmequoten bei der UEFA EURO 2008TM

basieren auf Erfahrungen aus der Fußball-Weltmeisterschaft 2006, auf Angebotenvon eventuellen Systembetreibern für dieUEFA EURO 2008TM und auf eigenen Mo-dellrechnungen.Diese Quellen wurden genutzt, um die Plau-sibilität zu prüfen. Im Zweifelsfall wurdenfür die Mehrwegbechersysteme eher kon-servative Werte verwendet. So wurde zumBeispiel eine Sicherheitsmarge berücksich-tigt, welche dazu führt, dass relativ viele Be-cher einer Verwertung/Entsorgung zuge-führt werden müssen, falls deren Weiternut-

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Abbildung 1: Umweltauswirkungen über den gesamten Lebensweg

Abbildung 2: Umweltrelevante Prozesse bei Mehrweg- und Einwegbechern

Abbildung 3: Spielstädte der EURO 2008

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zung nicht erlaubt ist. Dem gegenüber wur-de bei den Einwegbechern keine Sicher-heitsmarge mitkalkuliert. Für die Bewertungwurden die gebräuchlichen Methoden, dasUBA-Verfahren (Umweltbundesamt, Dessau)und die gesamtaggregierende MethodeEco-Indicator 99 und UBP (Umweltbe-lastungspunkte; Methode BUWAL/ÖBU;2007) herangezogen.Darüber hinaus wurden die Ergebnisse inSensitivitätsanalysen umfassend auf ihre Robustheit überprüft. Auf diese Weise kannerkannt werden, wie sich Änderungen derBilanzfestlegungen oder eine unsichere Da-tenlage in einzelnen Modulen auswirken undin die abschließende Bewertung einfließen.

Rahmenbedingungen der BilanzIm Hinblick auf die Darstellung der ökologi-schen Effekte der einzelnen Systeme wurdenach Abstimmung im Begleitarbeitskreisdarauf verzichtet, Gutschriften aus der Ver-wendung von Ökostrom zum Waschen derMehrwegbecher und aus dem Ausgleichvon Treibhausgasemissionen durch den Zu-kauf von CO2-Zertifikaten bei den Bechernaus PLA zu berücksichtigen, da diese Gut-schriften grundsätzlich für jedes System zurAnwendung kommen könnten.In Bezug auf die Herstellung der KunststoffePP, PET und PS wurde in der Bilanz der Da-tensatz für den europäischen Anlagenmixverwendet, der beim Ecoinvent Centre/Swiss Centre for Life Cycle Inventories hinter-legt ist. Für PLA wurden der Maisanbau unddie Kunststoffproduktion in den USA bilan-ziert. Der Umstand, dass es sich dabei umgentechnisch veränderten Mais handelnkönnte, wird in der Ökobilanz nicht bewer-tet. Der Transport des PLA aus den USA gehtin die Bilanz ein.Für den Transport der Einwegbecher in dieStadien wurden 100 Kilometer angesetzt,genauso für den Transport der Mehrwegbe-cher zu den Waschanlagen. Als mittlereTransportentfernung zu den Müllverbren-nungsanlagen (in der Schweiz: KVA = Keh-richtverbrennungsanlage) wurden 30 Kilo-meter angenommen.

Ausschlaggebende FaktorenAls wesentliche Faktoren wirken sich aufdas Ergebnis insbesondere die Umlaufzah-len bei Mehrwegbechern aus. Neben denVerlustraten sind hierfür insbesondere dieMitnahmequoten für bedruckte Becher(„Souvenirs“) von Bedeutung. Mit der Ver-lustrate wird der Anteil an Bechern verstan-den, der aufgrund von Defekten aus demSystem ausgeschleust werden muss. Hierzuliegen verlässliche Daten aus zahlreichenBundesligastadien vor, die eine Schwan-kungsbreite von 0,5 bis 2 Prozent aufwei-sen. Da die Becher mit jeweils circa 1 Eurobepfandet sind, kann der Verlust durch weg-geworfene Becher vernachlässigt werden.Daraus errechnen sich theoretische Umlauf-zahlen zwischen 60 und 200, im Mittelwerden etwa 110 Umläufe erreicht.Die Umlaufzahlen werden speziell beiGroßereignissen wie der Euro 2008 aber

im Wesentlichen dadurch beeinflusst, dassZuschauer die bedruckten Becher gezieltals Souvenir mitnehmen. Aus der Erfahrungder Weltmeisterschaft 2006 und vergleich-baren Großveranstaltungen weiß man, dasspro Spiel beziehungsweise Veranstaltung25 bis 30 Prozent der ausgegebenen Be-cher auf diesem Weg dem System entzogenwerden. Dies ergibt in Summe, bezogenauf die insgesamt bereitgestellten Becher füralle Spiele bei der UEFA EURO 2008™eine Verteilung von circa 80 Prozent derBecher, die von den Zuschauern mitgenom-men werden, und 20 Prozent, die nach demTurnier einer weiteren Verwendung zuge-führt, oder im Falle eines Brandings, das ei-ne gewerbliche Nachnutzung nicht zulässt,verwertet werden müssen. Hierdurch er-rechnen sich im Mittel noch zwei bis dreiUmläufe für die einzelnen Becher. Deshalbhat die Bewertung der privaten Nutzungder mitgenommenen Becher einen erhebli-chen Einfluss auf die Ergebnisse der Ökobi-lanz. Ein Becher, der von einem Zuschauertrotz Bepfandung gezielt mitgenommenwird, stellt einen Nutzen dar. Mit einem Ex-pertenpanel wurde die Art der Nutzung dermitgenommenen Getränkebecher diskutiert.Die Ergebnisse flossen anschließend in dieBerechnungen ein. Demnach ersetzen 20Prozent der mitgenommenen Getränke-mehrwegbecher in der Bilanz ein Souvenirmit gleichem Materialaufwand, 30 Prozentwerden zusätzlich zu einem Fanartikel mit-genommen und bekommen keinen zusätz-lichen Nutzen gutgeschrieben, 50 Prozentwerden zu Hause als Getränkebecher wie-

der verwendet und ersetzen somit entwederEinwegbecher oder einen Kunststoff-Mehr-wegbecher. Zusätzlich wurden zwei Sensi-tivitäts-Varianten gerechnet: Sensitivtät 1 unterstellt, dass die Becher nach der Euro2008 im Ligabetrieb weiter genutzt wer-den können und Sensitivität 2, dass zu 100Prozent materialgleiche Souvenirs ersetztwerden.Ein weiterer wesentlicher Faktor der Bilanzist der Materialverbrauch bei der Herstel-lung der Becher, der sich im Gewicht derBecher widerspiegelt. Die Mehrwegbecheraus Polypropylen wurden mit 55 Gramm bi-lanziert. Die Einwegbecher lagen zwischen10 und 16 Gramm.

Beschreibung ausgewählter SystemeAn dieser Stelle werden das Mehrwegsze-nario (PP), ein Einwegszenario aus konven-tionellem Kunststoff (PET) und das PLA Sze-nario beispielhaft genauer vorgestellt.

n Mehrweg PPMehrwegbecher werden entweder aus Po-lypropylen (PP) oder Polycarbonat (PC) her-gestellt. In der Praxis kommen überwiegendBecher aus PP zum Einsatz. Solche Becherwurden zum Beispiel bei der WM 2006 inDeutschland erfolgreich eingesetzt. Sie sindpreiswerter und schnitten in vorliegendenÖkobilanzen besser ab als Becher aus PC.Im Vorfeld der Euro 2008 waren Mehrweg-systeme mit Bechern aus PC keine ernsthaftdiskutierten Varianten. Sie wurden deshalbin der Ökobilanz nicht berücksichtigt.

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Gewichtsangaben Verwendete Werte

Einwegbecher aus:– Polystyrol, PS 12 – 20 g 16 g– Polyester, PET 8,5 – 17,5 g 11,5 g– Polylactic acid, PLA* 10 g – 11,6 g* 10 g– Kartonbecher PE beschichtet 11 g 11 g

Kreislauffähige Becher:– Belland 13,7 g 13,7 g

Mehrwegbecher:– Polypropylen, PP 30, 46, 55 g 55 g

Tabelle 1: Gewicht der Becher

Abbildung 4: Mehrwegszenario für Becher aus Polypropylen (PP)

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Bei dem dargestellten Mehrwegszenariowurde für die verbleibenden Becher einstoffliches Recycling bilanziert. Da es sichdabei um einen offenen Recyclingkreislaufhandelt, wurden dem System nur 50 Pro-zent der Gutschriften und Aufwendungenaus dem Recycling gutgeschrieben, da dierestlichen 50 Prozent dem daraus herge-stellten Produkt gutzuschreiben sind. Es wur-de berücksichtigt, dass für die sichere Ver-sorgung der Stadien mehr Becher herge-stellt und geliefert werden als theoretischveranschlagt.

n Einweg PETFür das Einwegszenario PET wird in derStandardvariante die Entsorgung der ge-brauchten Becher in der Müllverbrennungangesetzt, mit einer Energiegutschrift, diedem Anlagenmix in Österreich und derSchweiz entspricht. Als Sensitivität wird einstoffliches Recycling im offenen Kreislauf be-rechnet. Ein geschlossenes Recycling ist der-zeit für Becher, im Gegensatz zu PET-Fla-schen nicht möglich.

n Einweg PLADas Polylactid (PLA) wird im Wesentlichenals biologisch abbaubares Material bewor-

ben, das in Kompostierungsanlagen ent-sorgt werden soll. Um diesen Umstand ge-recht zu werden, wird die getrennte Erfas-sung und Entsorgung in einer Kompostie-rungsanlage bilanziert. Da sich das Mate-rial in der Kompostierung zu Kohlendioxid(CO2) und Wasser zersetzt und keinenBeitrag als strukturgebendes Material (Torfersatz) und keine Düngewirkung auf-weist, kann für die Verwertung als Kom-post allerdings keine Gutschrift vergebenwerden. Neuerdings wird auch auf denEffekt als nachwachsender Rohstoff abge-zielt, der bei der energetischen Nutzungnicht zu klimaschädlichen Emissionen führt.Diesem Umstand wurde in einem SzenarioRechnung getragen, das eine Verbringungin eine Kehrrichtverbrennungsanlage be-inhaltet.Die Produktion des PLA-Materials erfolgt ineiner Großanlage in den USA. Als Grund-stoff dient Mais. Die Tatsache, dass derMais gentechnisch verändert ist, geht nichtin die Bilanz ein, wohl aber die Aufwen-dungen für den wenig nachhaltigen Mais-anbau und den Transport aus USA.Wie bei den anderen Einwegszenarienwird nicht bilanziert, dass auch bei der Be-reitstellung von Einwegbechern Verluste

entstehen, wenn ungebrauchte Becher ent-sorgt werden müssen.

ResultateDie Bilanzergebnisse für die untersuchtenGetränkebechersysteme lassen folgendeSchlussfolgerungen zu:c Alle Mehrwegbecherszenarien weisen

gegenüber den betrachteten Einwegsze-narien signifikant geringere Umweltbela-stungen auf.

c Für das beste Einwegbecherszenariowerden doppelt so viele Umweltbela-stungspunkte (UBP) ausgewiesen wie fürdas ungünstigste Mehrwegbecherszena-rio, bei dem aufgrund des Brandings ei-ne Nachnutzung nicht möglich ist (PPEuro mit Branding / Souvenir).Innerhalb der Mehrwegbecherszenarienschneidet das Szenario mit Nachnutzungder Becher (PP Euro ohne Branding) mitAbstand am Besten ab.

c Biologisch abbaubare Einweggetränke-becher aus PLA (Polylactide) stellen keineökologisch vergleichbare Alternative zuMehrwegbechern dar. Die Kompostier-barkeit der Becher führt nicht zu geringe-ren Umweltauswirkungen, da mit derKompostierung dieses Kunststoffes keinnennenswerter ökologischer Nutzen ver-bunden ist. Zudem sind die Auswirkun-gen der Entsorgung marginal im Ver-gleich zur Herstellung der Becher.

c Die Umweltbelastungen der PLA-Einweg-getränkebecher sind vergleichbar mit je-nen von PET-Einweggetränkebechernund liegen deutlich über jenen der Ein-weggetränkebecher aus Karton.

c Die gesamtaggregierte Umweltbelastungvon Einweggetränkebechern aus Bel-land-Material liegt im Bereich derjenigenvon herkömmlichen Einweggetränkebe-chern wie beispielsweise PET. Der Be-weis für ein funktionierendes Kreislaufsy-stem von Belland-Material muss in derPraxis erst erbracht werden.

Auch in der einzelnen WirkungskategorieTreibhausgaspotential (GWP) zeigen sichalle Mehrwegbecherszenarien klimaver-träglicher als Einwegbecherszenarien. ImVergleich innerhalb der Einwegbechersze-narien zeichnet der Kartonbecher bei bei-den Bewertungsmethoden und beim Einflussauf das Klima durch Treibhauspotential(GWP) für die geringsten Umweltauswirkun-gen verantwortlich.Alle Sensitivitätsbetrachtungen bestätigenden Trend der Ergebnisse aus den Stan-dardszenarien:c Ein stoffliches PET-Becher Recycling könn-

te bei den Einwegbechern aus PET zu ei-ner deutlichen Entlastung gegenüber derthermischen Verwertung in einerMVA/KVA führen, stellt jedoch keineökologische Alternative zu Mehrwegsy-stemen dar. Der Beweis, ob eine techni-sche Realisierung einer „PET to PET“-Ge-tränkebecher-Recyclingtechnik möglichist, muss erst erbracht werden.

c Ein funktionierendes Kreislaufsystem beiBelland-Material konnte bis heute in der

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Abbildung 5: Einwegszenario PET

Abbildung 6: Einwegszenario PLA

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Praxis nicht realisiert werden. Unter dertheoretischen Annahme, dass Bellandein „Closed loop“-Recycling von bis zu50 Prozent Recyklat umsetzen könnte,wie als Sensitivität beispielhaft unterstelltwurde, würde der Belland-Becher abernoch immer deutlich größere Umweltbe-lastungen aufweisen als alle untersuchtenMehrwegvarianten.

c Alle Mehrwegbecherszenarien weisendurchwegs die geringsten Umweltbela-stungen auf. Kein Einwegbecher kann alsökologisch vergleichbares Gebinde be-zeichnet werden, da diese immer mitdeutlich höheren Umweltbelastungen ver-bunden sind.

EmpfehlungAufgrund der Resultate der Studie werdenaus ökologischen Gesichtspunkten Mehr-weggetränkebecher für Großveranstaltun-gen wie die UEFA EURO 2008 empfohlen. Eine Nachnutzung der Becher nach der UEFA EURO 2008 im Liga-Betrieb oder beianderen Veranstaltungen wird empfohlen.Dadurch können die negativen Umwelt-auswirkungen noch weiter reduziert wer-den und zusätzlich Abfälle vermieden wer-den. So kann eine der Forderungen ausdem Katalog des Österreichischen undSchweizer Nachhaltigkeitskonzepts für dieUEFA EURO 2008 realisiert und umgesetztwerden.Die Empfehlungen beruhen auf eindeuti-gen, signifikanten Ergebnissen, die zum ei-nen durch die Sensitivitätsanalyse bestätigtwurden, zum anderen trotz eher konservati-ver Annahmen bezüglich der Mehrwegbe-cherszenarien deren deutliche Vorteile ge-genüber allen Einwegbechersystemen auf-zeigen. l

Literatur

Pladerer, Christian; Meissner, Markus; Dinkel, Fredy;Zschokke, Mischa; Dehoust, Günter; Schüler, Doris: Vergleichende Ökobilanz verschiedener Bechersystemebeim Getränkeausschank. Im Auftrag von Bundes-ministerium für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt undWasserwirtschaft (Österreich), Bundesamt für UmweltBAFU (Schweiz), Bundesministerium für Umwelt, Natur-schutz und Reaktorsicherheit (Deutschland) und denStädten/Ländern: Basel – Bern – Hannover – Klagen-furt – Salzburg – Wien – Zürich. Darmstadt/Basel/Wien 2007.

Dipl.-Ing. Christian Pladerer und Dipl.-Ing.Markus Meissner sind Mitarbeiter desÖsterreichischen Ökologie-Instituts, Wien. Adresse: Seidengasse 13, A-1070 Wien,Tel. +43 (0) 699 1523 61 01, eMail: [email protected], Internet: www.ecology.at.Dr. Fredy Dinkel und Dipl.-Ing. MischaZschokke sind Mitarbeiter bei CarbotechAG, Basel. Adresse: Eulerstrasse 68, CH-4051 Basel,Tel +41 (0) 612 06 95 22, eMail: [email protected], Internet: www.carbotech.ch.Dipl.-Ing. Günter Dehoust und Dr. DorisSchüler sind Mitarbeiter des Öko-Instituts e. V. Adresse: Büro Darmstadt: Rhein-straße 95, D-64295 Darmstadt, Tel.06151.8191 38, eMail: [email protected], Internet: www.oeko.de.

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Abbildung 7: Bilanzergebnisse für die untersuchten Getränkebechersysteme

Abbildung 8: Wirkungskategorie Treibhausgaspotential (GWP)

Abbildung 9: Sensitivitätsbetrachtungen