100 Jahre Diplomatische Beziehungen (Rosen)

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Ausstellung

Vo n d e r R o s e n - G e s a n d t s c h a f t bis heute:100 Jahre diplomatische Beziehungen zwischen Deutschland und thiopien

Im Jahre 1904 startete im Auftrag von Kaiser Wilhelm II. eine Expedition unter der Leitung des Geheimen Legationsrats Friedrich Rosen ins damalige Abessinien. Ziel war der Hof Kaiser Meneliks II. Ausgestattet mit Proviant vom Restaurant Borchardt in der Friedrichstrae, kam die deutsche Delegation nach wochenlanger Reise zu Schiff, im Zug und auf dem Pferdercken in Addis Abeba an und wurde mit offenen Armen empfangen. Ein Grund dafr mag gewesen sein, da Deutschland in thiopien keine kolonialen Ambitionen hegte.

Die Rosen-Gesandtschaft war sehr erfolgreich: Am 7. Mrz 1905 konnte ein Handels- und Freundschaftsvertrag unterzeichnet werden, der unter anderem freien Handel zwischen beiden Lndern und Niederlassungsfreiheit fr Unternehmer ermglichte. Auf seiner Grundlage entwickelten sich die deutsch-thiopischen Beziehungen sehr rasch und haben bis heute eine besondere Qualitt.

Die folgenden Besitzer von thiopien-Sammlungen haben freundlicherweise Bilder und Objekte fr diese Ausstellung zur Verfgung gestellt: Lij Dr. Asfa-Wossen Asserate Auswrtiges Amt, Politisches Archiv Staatsbibliothek zu Berlin Preuischer Kulturbesitz Jochen Bertsch Marlene Bkeler Dr. Johannes Bohnenberger Ebba Dettenberg-Weddig Deutsche Presseagentur (dpa) Deutsches Historisches Museum, Berlin Encyclopaedia Aethiopica, Universitt Hamburg Ethnologisches Museum, Berlin-Dahlem Andr und Janine Evalet Girma Fisseha Goethe-Institut Addis Abeba Dr. Gerd Grber Andreas Hrlin Wilfred Heintze-Flad Institute of Ethiopian Studies, Museum Landesamt fr Denkmalschutz Brandenburg, Mebildarchiv Boris von Mutius Orbis Aethiopicus e.V. Ruderhaus Rendsburg Wolbert G.C. Smidt Wolbert Klaus Smidt Martin Soltau St. Chrischona-Pilgermission, PM-Archiv Tadele Y. Tesemma Vlkerkundemuseum Mnchen Die Ausstellung wurde konzipiert von Ursula Gehring-Mnzel und Wolbert G.C. Smidt Texte von Wolbert G.C. Smidt, Lektorat Esther Gallodoro

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Abba Gregorius

Zeitgenssischer Stich des Abba Gregorius

Ursprnge der diplomatischen Beziehungen

Bereits seit dem 16. Jahrhundert haben sich deutsche Gelehrte mit dem sagenhaften thiopien beschftigt man vermutete dort vorbiblische Weisheiten und berlieferungen. 1652 weilte der thiopische Gelehrte Abba Gregorius auf Schloss Friedenthal, auf Einladung des Frsten Ernst von Sachsen-Gotha-Altenburg. Dort arbeitete er mit dem Orientalisten Hiob Ludolf auf Befehl des Frsten an einer bedeutenden Geschichte und Ethnographie thiopiens.

Die Idee diplomatischer Beziehungen ist alt: Als das Osmanische Reich mit seinen Truppen vor WienDer Sprachenkenner und Begrnder der thiopistik Hiob Ludolf

stand 1683, schickte der Kaiser Leopold I. von dem Gelehrten Ludolf formulierte Sendschreiben in der Landessprache Amharisch ber Indonesien nach thiopien in der Hoffnung auf ein Bndnis gegen die Trken. Man wei nicht, ob sie ankamen. Der Frst von Sachsen-Gotha sandte wiederum einen Schler Ludolfs zu einer Expedition nach thiopien eine der ersten wissenschaftlichen Expeditionen in die Region, die ihr Ziel allerdings nie erreichte.

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Die Cyriacus-Kirche (Cherqos) in Addigrat, gebaut von Aichinger

Deutsche Handwerker an thiopischen Hfen

Die thiopischen Frsten beschftigten seit den 1820er Jahren regelmig deutsche Handwerker an ihrem Hof. Der erste war ein Tischler namens Aichinger, der Kirchen fr den Frsten Subagadis von Tigray baute. Der Mannheimer Botaniker Wilhelm Schimper ging in den 1830er Jahren nach thiopien. Dort wurde er Baumeister des Frsten Ubie von Tigray und Simien.

Sein Gehilfe Eduard Zander, ein Maler aus Anhalt, baute mit ihm die Kirche Deresge-Maryam in Simien fr Frst Ubie. In dieser Kirche wurde 1855 der neue Knig der Knige, Tewodros II., durch den Metropoliten thiopiens gekrnt. Zander wurde sein Militrberater.

Wandmalerei in der von Zander erbauten Kirche, die den Frsten Ubie mit Frau und dem Metropoliten der thiopischen Kirche zeigt. Das Verdecken der Gesichter zeigt Vornehmheit an.

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Ganamee in gyptischer Kleidung, Frontispiz aus ihrer Biographie

Die ersten Nordostafrikaner in DeutschlandZu einem erstaunlich frhen Zeitpunkt nahmen deutsche Staaten Nordostafrikaner, hufig aus dem Gebiet des modernen Staates thiopien, auf. Ebenso wie seit den 1820er Jahren Deutsche begannen, nach Nordostafrika zu reisen, kamen auch die ersten Besucher aus dem Sden in Deutschland an allerdings in der Regel nach schwierigen Fhrnissen und vielen Umwegen. In Bayern siedelten sich um 1840 mehrere junge Oromo an, die der Herzog von Wrttemberg bei einer Forschungsreise in gypten aus der Sklaverei freigekauft hatte. Darunter war beispielsweise Aman, den die Deutschen spter Karl Habasch nannten. Dieser erwies sich als sehr kenntnisreich nicht nur in der Oromo-Sprache, sondern auch in berlieferungen seines Volkes. Der junge Sprachwissenschaftler Karl Tutschek verfasste auf der Grundlage der Informationen ein erstes OromoWrterbuch und steht somit am Beginn der Erforschung der Oromo-Sprache und -Kultur. Bekannt ist auch die schne Machbuba, eigentlich Bilillee, aus einem Oromoland, die aus gypten mitgebrachte Frau des deutschen Frsten von Pckler-Muskau, die aber in dem kalten Klima in Sachsen-Anhalt jung starb.

Auch in religisen Kreisen spielten Oromo bald eine wichtige Rolle: Ein Beispiel ist Ganamee Yaaii Shaseedaa Odaa aus Gummaa, Begleiterin des wrttembergischen gypten-Reisenden John Baron von Mller. In Deutschland wurde sie 1852 Protestantin und warb fr den Beginn einer OromoMission. Der Oromo Ruufoo, ebenfalls aus Gummaa und ebenfalls ein ehemaliger Sklave, begann 1866 in Wrttemberg im Haus des Missionars Krapf mit einer Bibelbersetzung, die seit 1870 gedruckt und teilweise in Shoa verteilt wurde. Die Zuflle, dass diese vereinzelten Oromo in Deutschland Freunde fanden, fhrten letztlich zu einer bis heute blhenden deutschen OromoMission.

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Alfred Brehm

Alfred Brehm 1862 in herzoglicher Jagdausrstung

Boom der wissenschaftlichen Entdecker und adligen ReisendenBesuch eines deutschen regierenden Frsten 1862

Im 19. Jahrhundert boomte die wissenschaftliche Entdeckung thiopiens durch franzsische, englische und deutsche Reisende. Wieder entdeckt Gotha sein altes Interesse an dem christlichen Reich von Habesch (so nannte man allgemein in Europa das thiopische Hochland, oder, davon abgeleitet, auch Abessinien): Der regierende Frst Ernst II. von Sachsen-Coburg-Gotha, Schwager der englischen Knigin Victoria, finanziert zunchst wissenschaftliche Expeditionen dorthin.

Dann reist er 1862 selbst. Begleitet wird er von seiner Frau, einem Bestsellerautor und Wissenschaftlern darunter der spter als Tiervater Brehm berhmt gewordene Zoologe. Ernst II. erreicht nur die nrdlichen Grenzgebiete, sendet aber zwei seiner Gefolgsleute, Essler und Schiller, mit Geschenken zum Knig der Knige Tewodros II.

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Ingidashet aus Tigray, in der Mitte als Missionsschler in Basel 1871, mit den anderen thiopischen Schlern, die 1868 mit den Deutschen thiopien verlassen hatten, von denen mehrere zeitweise auch in Wrttemberg lebten (darunter Aregawi, links sitzend, siehe Tafel 6)

Deutsche Handwerkermissionarea m H o f d e s K a i s e r s Te w o d r o s II .

Deutsche Handwerkermissionare arbeiteten whrend der gesamten Regierungszeit von Tewodros II., 1855 bis 1868, fr ihn. Sie bauten Transportwagen, Straen und sogar Kanonen. In Schulen in Jenda und Gafat bei der Hauptstadt Debre Tabor lehrten sie Bibelkunde. Aufgrund eines Konfliktes mit England setzte Tewodros jedoch alle Europer gefangen. Nach der Intervention der britischindischen Armee unter Sir Napier gegen Kaiser Tewodros II. 1867/68 wurden alle Auslnder auer Landes gebracht.

Einige ihrer thiopischen Schler folgten den Handwerkermissionaren, als sie 1868 das Land verlieen, und wurden u.a. in Wrttemberg ausgebildet. Darunter war auch der thiopische Sohn desFoto der deutschen und englischen Handwerker und Missionare in Mqdla, wo sie zuletzt in Gefangenschaft saen

Botanikers Schimper, Ingidashet aus Tigray. Nach einem Schweiz-Aufenthalt studierte er 1872 bis 1877 am Polytechnicum in Karlsruhe und war damit der erste Student thiopischer Herkunft in Deutschland.

Als Junge war er angeblich Mundschenk des Kaisers Tewodros II. ber dreiig Jahre spter, bei der Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit thiopien 1905, spielte er auf thiopischer Seite ein zentrale Rolle: Er wurde Dolmetscher und Helfer der deutschen Expeditionen.

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Die thiopischen Missionare 1873: Zu sehen sind Agazhe Sahlu, Aregawi (Stellvertretender Leiter in thiopien), der Leiter der Mission Martin Flad, Semanni und Senbetu Daniel 1873

thiopische Missionareaus Wr ttemberg und der Schweiz seit 1873: Die ersten in Europa a u s g e b i l d e t e n F a c h k r f t e

Pass fr den von Martin Flad in Korntal, Wrttemberg, entsandten Missionar Aregawi und Begleiter, die die sogenannten schwarzen Juden (Falascha) bekehren sollten. Der bedeutendste dieser ersten thiopischen Missionare, die eine innerkirchliche Reformbewegung vergleichbar den ursprnglichen Intentionen der Reformation Luthers auslsen wollten, war Aregawi (auf Deutsch bekannt als Michael Aragau).

Aregawi war 1866 Schler in Weinheim bei Heidelberg gewesen. Zuvor war er 1856 als Halbwaise von seinem Vater, einem Eremiten, den deutschen Missionaren in Westthiopien bergeben worden. Er war der erste thiopier, der (schon 1865) auf Deutsch geschriebene Briefe aus thiopien sandte, einer der ersten, die in Deutschland undDer Pass von Kaiser Menelik

der Schweiz eine Ausbildung erhielten, und der erste thiopier, der als europischer Missionar nach thiopien entsandt wurde. 1873 wurde er nach einer Missions- und Handwerkerausbildung mit anderen thiopiern von der Ausbildungssttte St. Chrischona in Basel nach thiopien gesandt. In einem gewissen Sinn lsst sich sagen: Seine Entsendung im Auftrag des wrttembergischen Missionars Flad war der Startschuss fr eine Idee, die im ausgehenden 20. Jahrhundert unter anderem Vorzeichen wieder aufblhen sollte das Fachkrfteprogramm fr einheimische Fachkrfte.

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Gerhard Rohlfs

Der kaiserliche Sondergesandte Gerhard Rohlfs

D e r e r s t e d i p l o m at i s c h e Ko nt a k t

1855 und, nach einer Interimsperiode, endgltig im Jahre 1872 wurde thiopien zu einem Reich wiedervereint. Eine zufllige Parallele zu Deutschland: Das Deutsche Reich erstand 1871 neu. 1881 wurde der erste diplomatische Kontakt hergestellt: Kaiser Wilhelm I. entsandte Gerhard Rohlfs an den Hof des Kaisers Johannes IV. in Debre Tabor. Der Gesandte Rohlfs, ein bekannter AfrikaReisender, empfahl die Ausweitung der Beziehungen zu thiopien. Aufgrund der bald schon beginnenden kolonialen Expansion Italiens, das sich auch fr thiopien interessierte, kam es dazu aber erst wesentlich spter.

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Menelik II.

Der Nigus Menelik von Shoa, der sptere Kaiser

Seit 1896: thiopien wird international anerkannt

1896 schlug thiopien in der groen Schlacht von Adwa den Versuch Italiens zurck, thiopien zu annektieren. Diese Schlacht ist ein welthistorisches Datum, da damit erstmals in Afrika das Vordringen einer Kolonialmacht dauerhaft gestoppt wurde. Seither schaffte Kaiser Menelik II. esthiopische Soldaten aus Gojjam, wie sie 1905 der Gesandtschaft begegneten und wie sie neun Jahre zuvor in die Schlacht von Adwa gezogen waren

schrittweise in geschickter Diplomatie, dass sein Reich von den europischen Mchten anerkannt wurde. Seit der Jahrhundertwende stieg die Zahl der Reisenden in thiopien stark an, und auch die ersten Deutschen kamen wieder, nach lngerer Pause. Kaiser Menelik verstand es, einzelnen Europern immer nur so viel Einfluss zu gewhren, dass sie sich gegenseitig die Balance hielten, also keine Nation innerhalb thiopiens die berhand gewinnen konnte.

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Kaiserin Taytu

Kaiserin Taytu, Frau des Kaisers Menelik II.

Eine deutsch-thiopische HofdameWe l e t t e - I y e s u s, auch genannt Katharina Hall1902 reiste ein thiopischer Gesandter nach Jerusalem, um dort die offene Eigentumsfrage an dem thiopischen Kloster zu klren (q Tafel 31). Diese Mission war ein Fehlschlag, aber gleichzeitig wurden die Beziehungen zu einer in Jaffa lebenden deutsch-thiopischen Familie neu geknpft: Die 1850 in thiopien geborene schwarze Deutsche Welette-Iyesus, mit Taufnamen Katharina (q Tafel 2), lebte dort in der deutschen Kolonie mit ihrem Mann Moritz Hall und ihren zwlf Kindern. Diese Begegnung war wohl ausschlaggebend dafr, dass sie und ihr ltester Sohn Jacob 1902/03 an den thiopischen Kaiserhof gingen.

Welette-Iyesus mit einigen ihrer Kinder, hinter ihr die Hofdame Christina Hall (oben links), rechts Augusta, in der Mitte Staatsrat David Hall, um 1925, Addis Abeba

Jacob Hall trat sofort in die Dienste des Kaisers, und seine Mutter Welette-Iyesus wurde Hofdame der Kaiserin und deren einflussreiche Freundin was in der internationalen Presse eine gewisse Beunruhigung hervorrief: Von nun an hatte die Kaiserin einen noch genaueren Einblick in die Angelegenheiten Europas das auch gegenber thiopien noch nicht alle imperialen Plne aufgegeben hatte. Der Kaiser wiederum bat Jacob Hall um die Entsendung deutscher Siedler und Arbeiter, die 1906 ankamen, darunter zwei weitere Brder, Friedrich Salomon und David. Von 190507 leitete Jacob Hall die Arbeiten am Palastbau des Kaisers, beriet neu ankommende Europer in thiopien und fungierte auerdem als Begleiter von thiopischen Gesandt-

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schaften, unter anderem 1907 nach Deutschland.

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Die kaiserliche Gesandtschaft unterwegs: Kommerzienrat Carl Bosch, Professor Felix Rosen, Oberbibliothekar Johannes Flemming, Oberstabsarzt Hans Vollbrecht, Gesandter Dr. Friedrich Rosen, Geheimsekretr Becker, Legationssekretr Graf Viktor von Eulenburg, Vizekonsul Schler

Die Gesandtschaft Rosen der Beginn

1904 entschloss sich Kaiser Wilhelm II. zur Entsendung einer kaiserlichen Sondergesandtschaft nach thiopien. Dafr wurde Friedrich Rosen ausgewhlt, dessen Familie in der Orientalistik einen Namen hatte. Die Reise diente der diplomatischen Etablierung Deutschlands in diesem einzigen unabhngig gebliebenen Reich Afrikas, hatte aber gleichzeitig auch kulturelle Interessen zu befriedigen. Im Hochland thiopiens, dem Kerngebiet des Reiches, hatte sich seit der Sptantike eine besondere Form des Christentums entwickelt (oder: erhalten), fr die eine originelle Theologie ebenso wie eine seit Beginn gepflegte Manuskriptkunst bezeichnend waren. Der Oberbibliothekar Johannes Flemming hatte dafr zu sorgen, dass seltene Manuskripte fr das Deutsche ReichAm Anfangspunkt der Karawanenreise, Januar 1905: Unterkunft einer Familie bei Dirre-Dawa (Gurgura)

angekauft wrden. Sie werden heute in der Staatsbibliothek zu Berlin aufbewahrt.

In Djibouti stieg die Gesandtschaft nach der Reise auf dem Schiff Friedrich der Groe in die von einer franzsischen Gesellschaft erbaute Eisenbahn nach thiopien um. Bis zum Endpunkt der Eisenbahn Dirre-Dawa bei Harar verlief die Reise bequem. Von nun an musste sie als Karawane weitergehen. Ihr Personal war verschiedenster Herkunft Muslime aus Djibouti und dem thiopischen Tiefland, christlich-thiopische Hochlnder.

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Empfang der Expedition durch Ras Mekonnen

Audienz bei dem Cousin des thiopischen KaisersNahe der Eisenbahn-Endstation Dirre-Dawa liegt die Stadt Harar, eine der heiligen Stdte des Islam in Nordostafrika. ber Jahrhunderte war Harar ein kleines Emirat gewesen, und frher sogar das Zentrum des groen muslimischen Reiches von Adal, das mit dem christlichen Reich im Hochland (Ityopya) immer wieder in Konflikt gelegen hatte. Aufgrund der berlegenen Bewaffnung des Herrschers des thiopischen Knigreiches Shoa, Nigus Menelik (damals noch nicht Kaiser), gelang es diesem, 1887 das Emirat in heftigen Kmpfen zu besiegen und zu annektieren. Seither regierte in seinem Namen sein jngerer Cousin Ras Mekonnen als Gouverneur ber die Stadt und das Umland.Straenszene in Harar 1905

Dessen Vizegouverneur war es, der die Rosengesandtschaft im Januar 1905 bei ihrem Besuch in Harar empfing, da er selbst zwischen Addis Abeba und Harar unterwegs war. Auch damals war Harar noch ein wichtiges Handelszentrum mit Verbindungen zu den wichtigsten Kstenstdten. Indische und arabische Kaufleute beherrschten den Handel, darunter als einer der reichsten der indische Kaufmann Mohamedally, in dessen Magazinen man so ziemlich alles findet, was man billig verlangen kann, namentlich Kleider, Wsche, Reiseausrstungen, Waffen, aber auch Galanteriewaren, Glas und Porzellan, von Werkzeugen, Kochgeschirr und Lampen nicht zu reden (aus dem gedruckten Expeditionsbericht Felix Rosens). Ende Januar begegnete die Gesandtschaft den Truppen des Gouverneurs, einer interessante[n] und sympathische[n] Erscheinung.Ras Makonen empfing uns in einem groen runden Zelt, dessen ganze Ausstattung in orientalischen Teppichen und einem Polstersitz bestand, auf welchem er mit unsrem Gesandten Platz nahm. Wir brigen hockten auf den Teppichen nieder. Der Vizeknig entschuldigte sich, dass er uns keine Sthle anbieten knne eine Hflichkeit, die brigens nur Europern bezeugt wird, denn die Abessinier sitzen allgemein auf der Erde ; er reise in groer Eile, weil Nachrichten von einem Krieg zwischen den Issa und Dannakil eingelaufen seien ... (Expeditionsbericht von Felix Rosen).

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Teferi, den jungen Sohn des Ras Makonnen und spteren Kaiser Haile Selassie, hatte die Mission bereits zu Reisebeginn in Kulubi getroffen.

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Kaiser Wilhelm II dem thiopischen Herrscherhaus wurde auch ein Bild des deutschen Kaisers als Geschenk berreicht

Kaisers Geburtstag unterwegsWaren bisherige deutsche Expeditionen immer eher Einzelunternehmungen gewesen, so war es diesmal anders: Das deutsche Reich selbst besuchte thiopien. Trotz groer Strapazen unterwegs, verlangte die Staatssymbolik so auch die Feier eines Tages, der in Deutschland zu einem regelmig gefhlvoll und pathetisch gefeierten Ereignis geworden war: der Kaisergeburtstag, ein zentrales Datum im Ablauf des Jahres im Reich. Im Expeditionsbericht Felix Rosens steht vermerkt: Kaisers Geburtstag. Wir hatten unsren Leuten fr heute einen Ruhetag und eine kleine Festlichkeit versprochen, was man hier eine Fantasia nennt. Aber der unvorhergesehene zweitgige Aufenthalt in Buruma zwingt uns auch heute zu marschieren. (...) Nach kurzer Mittagsruhe sammeln wir uns im besten Gewand auf dem Paradeplatz. Die deutschen Soldaten treten an, der Gesandte hlt eine kurze, kernige Ansprache. Was er sagt, fhlen wir alle: dass uns dieAnsprache des Gesandten Rosen in Laga-hardim beim Geburtstag des deutschen Kaisers 27. Januar 1905 die Soldaten der Gardes du Corps stehen stramm

Ehre, das neuerstandene Deutsche Reich hier im Herzen Afrikas bekannt machen zu drfen, ernste Verpflichtungen auferlegt gegen unsren Kaiser und obersten Kriegsherrn, der uns entsandt, und gegen unser Vaterland, dessen Ansehen auch wir frdern sollen. Die Zeiten, da es der Deutsche willig anderen Vlkern berlie, fremde Lnder der Kultur und dem Handel zu erschlieen, sind nun vorbei. (...) Begeistert stimmen wir in das Kaiser-Hoch ein, und jubelnd wiederholen ein paar hundert Abessinier das erste Hurra, das auf diesem afrikanischen Boden auf unsren Kaiser ausgebracht wurde.

Der Kaisergeburtstag mit seinem wilhelminischen Pathos mischt sich aber mit thiopischer Tradi-

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tion: Es folgt ein Schlachtfest, und die christlichen und muslimischen Teilnehmer der Expedition halten ein groes traditionelles Gastmahl unter Beteiligung aller lokalen Gren.

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Empfang der Gesandtschaft durch thiopische Soldaten

Der Gesandte in Addis AbebaAbessinische Reiter beim Einzug der deutschen Gesandtschaft

Am 12. Februar 1905 zog die Gesandtschaft in Addis Abeba ein. Der heutige Tag hat unsre Erwartungen weit bertroffen. Unser Empfang in der thiopischen Hauptstadt gestaltete sich zu einem Ereignis, zu einer Folge glnzender, unvergelicher Bilder. Morgens um 10 Uhr erschien Herr Staatsrat Ilg auf einem prchtig gesattelten Maultier in unsrem Lager in Schola, um uns abzuholen ... Die Spitze nahmen die Gardes du Corps, die heute den unscheinbaren Khaki mit der Parade-Uniform vertauscht hatten und mit ihren blitzenden Adlerhelmen, in ihren schwarzen Krassen und dem mattweien Koller darunter, mit dem schwarz-weien Wimpel auf dem langen Stahlschaft der Lanze ungemein stattlich aussahen. Sie ritten in Linie ... Vor dem Gesandten schritten nun nach abessinischer Sitte die als Ehrengabe gespendeten Maultiere, ein zierlicher Fuchs, den der stattliche Abessinier Tacla Haimanot fhrte, Ras Makonens Ehrenschild am Arm, und Tennai ..., ein edles groes Maultier von fast schwarzer Farbe, das Kaiser Menelik eben gesandt hatte ... Vor den Truppen erwartete uns mit glnzendem Gefolge Ras Tassma, ein naher Verwandter und vertrauter Freund des Negus; er trug den schwarzen goldbestickten Seidenmantel und ein goldenes, mit Lwenmhne besetztes Diadem. Zur Begrung sitzt alles ab; nach orientalischer Art werden der Willkommen gesprochen und die Hflichkeitsphrasen ausgetauscht, nach europischer die Vorstellungen erledigt. (...) Wir waren kaum einige hundert Meter weitergekommen, als sich unsren Augen ein ungemein fesselnder Anblick bot. Die Truppen, deren Front wir bereits abgeritten hatten, schwenkten herum und suchten im Lauf die Spitze unsres Zuges zu erreichen. Immer neue Massen schlossen sich an, die lebhafte Bewegung schien die Zahl zu verdoppeln. Bald wlzte sich eine ungeheure Menschenmenge rechts und links der Strae vorwrts, laufend, springend, kletternd. Das ganze Tal schien sich zu bewegen...

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Der Negus (rechts) zu Besuch bei der deutschen Gesandtschaft (links: Ras Wolda Giorgis, Vizeknig von Kaffa)

D e r d e u t s c h - t h i o p i s c h e Ve r t r a gDie Gesandtschaft war ungewhnlich erfolgreich. Innerhalb kurzer Zeit einigte sich der Gesandte mit dem Kaiser auf einen Handels- und Freundschaftsvertrag. Der Handel sollte frei zwischen beiden Lndern getrieben werden knnen, es bestand Niederlassungsfreiheit. Am 7. Mrz 1905 wurde der Vertrag in zwei Fassungen unterschrieben. Zwei weitere besondere Erfolge stellten sich ein: Eine Bitte um ein deutsches Ausgrabungsteam und die Zusage der Beteiligung an der geplanten Bank of Abyssinia. Der Gesandte berichtete dem Kaiser von Ausgrabungen in biblischen Sttten, die die Historizitt der Bibel nachwiesen. Menelik II. gab ihm daraufhin die Genehmigung, Ausgrabungen auch in den antiken Ruinensttten von Aksum vorzunehmen vor 1500 Jahren Zentrum des aksumitischen Reiches und Ursprung der thiopischen Kultur.Torweg zum Palastbezirk des Kaiser Menelik II.

Ausgrabungen im thiopischen Reich konnten so ebenfalls politisch dienstbar gemacht werden: Menelik hatte das Reich geeint und erheblich vergrert; eine Anknpfung an die antiken Wurzeln diente dem Nachweis der Gre des Reiches. Kaum hatte Rosen noch unterwegs diese Nachricht nach Berlin telegraphiert, stellte der ebenfalls archologiebegeisterte Wilhelm II. eine aus seiner Privatschatulle finanzierte Expedition nach Aksum zusammen. Der andere Erfolg war finanzpolitischer Natur und sicherlich auch ganz wesentlich Teil der symbolischen internationalen Politik Deutschlands: Tatschlich wurde ein Deutscher, Pelizus, Mitglied des internationalen Bank-

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direktoriums der englisch-gyptisch gesttzten Bank of Abyssinia.

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Zwei Metscha-Pferde, Geschenke von Kaiser Menelik II. an den Gesandten und den Grafen von Eulenburg

Die erste offizielle Begegnung

Kaiser Menelik und Mitglieder seines Gefolges wurden durch deutsche Orden ausgezeichnet und erhielten Geschenke:Silbernes Tafelgert, wertvolle Seidenstoffe, Sammlungen von Photographien aus den kniglichen Schlssern in Berlin und Potsdam ... Oberbibliothekar Flemming berreichte einen Sto schn gebundener Bcher: alle diese Werke, die in thiopischer Sprache und Schrift in Deutschland gedruckt worden sind, obenauf seine eigenen Arbeiten. Diese Gabe bereitete dem Negus besondere Freude, und er durchbltterte sofort Buch fr Buch ... Sichtlich machte es groen Eindruck auf ihn, dass die deutsche Wissenschaft sich lngst mit der Sprache und Literatur seines Landes beschftigt hatte, bevor noch an offizielle Beziehungen zwischen beiden Staaten gedacht war (Bericht von Felix Rosen). Besonders technische EntwickEin von Kaiser Menelik II. Graf Victor von Eulenburg geschenktes Pferd

lungen begeisterten den thiopischen Kaiser allerdings dafr war ein Lastwagen nach thiopien geschafft worden und Maschinen zur Erzeugung elektrischen Lichts. Der Gesandte und die Expeditionsmitglieder, ebenso wie der deutsche Kaiser, erhielten ihrerseits hohe thiopische Orden.

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Addis Abeba 1906 nach einer Malerei aus dem Besitz des ersten deutschen Reprsentanten Ludwig von Mutius

Addis Abeba um die Jahrhundertwende

Da es noch kein Gesandtschaftsgebude gab, wurden die deutschen Diplomaten, die bereits 1906 in Addis Abeba ankamen, um eine stndige Gesandtschaft zu errichten, provisorisch in reprsentativen Bauten in traditionellem Stil untergebracht.

Addis Abeba war erst in den 1880er Jahren in einem alten Oromo-Siedlungsgebiet im sdlichen Shoa gegrndet worden. Seither etablierten sich hier zunchst die verschiedenen Heerlager der Frsten thiopiens, aus allen Regionen, die ber die Jahre zu permanenten Teilsiedlungen wurden. Aus zahlreichen kreisfrmigen Lagersiedlungen, die sich um den kaiserlichen Palastbezirk anordneten, wuchs allmhlich eine permanente Grosiedlung. Die europischen Gesandtschaften lieen sich auf groen Freiflchen dazwischen nieder, die ihnen der Kaiser bereignete.Ein Wchter vor der Residenz des ersten deutschen Geschftstrgers

Parallellel mit der Errichtung der Gesandtschaft entfaltet Kaiser Menelik seinerseits zahlreiche Aktivitten, um Deutsche enger an

sich zu binden: Den Kommerzienrat Carl Bosch, Mitglied der Rosen-Gesandtschaft, bittet er um die Entsendung deutscher Handwerker und Siedler und erteilt ihm grozgige, wirtschaftlich vielversprechende Konzessionen. Der Siedler Gtz lsst sich tatschlich dauerhaft in thiopien nieder. Wenig spter entsteht auch eine deutsche Apotheke die Pharmazie Zahn.

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Kentiba Gebru

Kentiba Gebru im Alter, als Hofbeamter (um 1935)

Der erste offizielle Dolmetscherder deutschen Gesandtschaft: Ke nt i b a G e b r u

Ein weiterer frherer Schler der deutschen Missionare erlangte seit 1905 eine besondere Bedeutung: Kentiba Gebru Desta, frher bekannt unter dem Namen Gobbaw, wurde als Dolmetscher der deutschen Gesandtschaft eingestellt. Er sprach flieend Deutsch mit alemannischem Akzent, hatte als deutscher Missionar in Shoa und Deutsch-Ostafrika gearbeitet, und spter als diplomatischer Gesandter des Kaisers Menelik II. Als SchwiegerDer sptere Kentiba Gebru als Schler in Basel (vor 1877)

sohn eines Deutschen wurde er zu einem Vertrauensmann der Gesandtschaft, fr die er eine wichtige Brckenfunktion zum thiopischen Staat einnahm. Zeitweise waren auch noch andere Kandidaten fr den Dolmetscherposten in Gesprch gewesen: Die Deutschen wurden auch von dem in Eritrea lebenden Deutsch-thiopier Kasa, Sohn des oben (q Tafel 2) genannten deutschen Einwanderers Eduard Zander, untersttzt.

Kentiba Gebru ist eine bekannte Gestalt der thiopischen Geschichte. Noch im hohen Alter von ber 80 Jahren organisierte Kentiba Gebru Widerstandsnetzwerke gegen die italienische Besetzung thiopiens (193641) und wurde dafr interniert. Nach Rckkehr des Kaisers aus dem Exil wurde er noch Senatsprsident und starb 1950 mit rund 95 Jahren. Seine ebenfalls flieend deutschsprachige

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Tochter Seneddu Gebru, frher Studentin in Lausanne, wurde Schuldirektorin, Schriftstellerin und die erste weibliche Parlamentsabgeordnete thiopiens.

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Die europische Hofgesellschaft 1913 beim Pferderennen im Zentrum von Addis Abeba (Janmeda), im Hintergrund Baumeister Carl Haertel (graumeliert)

Baumeister Carl HaertelEin Bauherr fr den alten Kaiser Menelik und die Gesandtschaft

1906 brachte Kommerzienrat Carl Bosch auf Bitten des Kaisers Menelik II. deutsche Fachleute nach thiopien. Darunter waren der Baurat Carl Haertel, der fr den Bau reprsentativer Hauptstadtgebude gebraucht wurde, und die Hebamme Frl. Spengler, die ihn bald heiratete. Die Haertels waren bis in die zweite Generation in thiopien eine dem Hof nahestehende Familie der hheren Gesellschaft.

Haertels erster groer Auftrag war das massive Gesandtschaftsgebude fr Deutschland auf dem elf Hektar groen Gelnde, das Kaiser Menelik II. den Deutschen zur Verfgung gestellt hatte. Damit besa Deutschland unter den auslndischen Mchten das erste reprsentative Botschaftsgebude. Entgegen Haertels ursprnglicher Intention war es aber auf einer wasserfhrenden Schicht gebaut worden, und so musste es bereits 1931 nach Erdbebenschden wieder abgerissen und durch bescheidenere Bauten ersetzt werden.

Die Brcke um 1920

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Dejjazmatch Meshesha|

Dejjazmatch Meshesha whrend seiner Gesandtschaftsreise 1907, mit einer persnlichen Widmung an den Berliner Amharisch-Studenten Jensen

Der erste thiopische Gesandte in Deutschland, 19071907 antwortete der thiopische Kaiser Menelik II. mit einer eigenen Gesandtschaft: Der Dejjazmatch (Herzog) Meshesha reiste ber gypten nach Berlin und wurde von Kaiser Wilhelm II. in feierlicher Audienz empfangen.

Kaiser Menelik II. hatte schon zuvor einen thiopischen Gelehrten an die Universitt Berlin entsandt: aleqa Tayye. Dieser wurde Lektor am Orientalischen Seminar und Mitarbeiter des Orientalisten Eugen Mittwoch damit war er der erste afrikanische Universittsangestellte in Deutschland. Deren einziger Amharisch-Student war Lorenz Jensen aus Rendsburg, der wenige Jahre spter als Dragoman (Dolmetscher) an der deutschen Gesandtschaft Addis Abeba eingestellt wurde. 1907, als Student, bersetzte er die Korrespondenz des thiopischen Gesandten mit der deutschen Waffenindustrie in das Amharische.

Dejjazmatch Meshesha (rechts zu Pferd), begleitet von Kaiser Menelik (unter dem Schirm), offenbar beim Aufbruch nach Deutschland

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Menelik vor dem von Holtz gebrachten Auto in Addis Abeba, 1908

Deutsche Autos fr den thiopischen Kaiser

Der Wagen am Startpunkt in Dirre-Dawa

Die Rosen-Gesandtschaft transportierte 1905 das erste Automobil mit sich, das thiopien erreichte: einen fr Schwertransporte geeigneten Lastwagen. Allerdings gelang es den Expeditionsteilnehmern zwar, den Lastwagen am Endpunkt der gerade im Bau befindlichen Eisenbahn in Dirre-Dawa zu montieren aber die Weiterfahrt schlug fehl. Der Lastwagen zeigte sich den groen Streckenschwierigkeiten nicht gewachsen. Trotz Versuchen von Kaiser Meneliks schweizerischem Staatsrat Alfred Ilg, Arbeiter zu finden, die den Wagen auseinandernehmen und nach Addis Abeba transportieren knnten, blieb er fr immer in Dirre-Dawa.

Erfolgreicher war der Kaufmann und Projektemacher Arnold Holtz. Dieser Plneschmied, der durch seine einfallsreiche und initiative Art bereits den Kaiser beeindruckt hatte, schaffte es 1908, einen Personenwagen ber die weiten Steppen und die schwierigen Tal- und Bergstrecken zu bringen.

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Werbung mit Kaiser Menelik II. fr Liebigs Fleischextrakt (Sammlerbild)

thiopien populr in Deutschland

Seit der Jahrhundertwende stieg die Zahl der wissenschaftlichen und touristischen Expeditionen von Deutschen in thiopien exponentiell, insbesondere seit der erfolgreichen Mission des kaiserlichen Sondergesandten Rosen im Jahre 1905.

Das deutsche Bild thiopiens enthielt viel Stoff fr Mythen: thiopien war ein fernes Kaiserreich und diente dadurch als Projektionsflche fr die eigenen Kaiserreich-Imaginationen. Ganz anders aber als das technisierte Deutschland galt es als ursprnglich,naturwchsig,krftig und es hing einem Christentum an, das um viele Jahrhunderte frher in das Reich gekommen war als nach Deutschland. Mit thiopien verbanden sich also Ideen von Zivilisationsflucht ebenso wie von uralter Hochkultur. Dieses Spannungsfeld findet sich quer durch die Publikationen, die auf dem deutschen Markt produziert wurden. Die Popularitt wirkte sich auch auf die Wissenschaft aus: 1918 forderte der Orientalist und thiopienreisende Enno Littmann mit ganz hnlichen Argumenten die Einrichtung eines Lehrstuhls fr thiopistik untersttzt von Stresemann, Hjalmar Schacht und vielen weiteren prominenten Namen (tatschlich kam es aber erst in den 1960er Jahren dazu).

Literatur auf hohem Niveau, ebenso wie Schatzgrberbcher, die sich mit thiopien beschftigten, konnten sich immer eines Absatzmarktes sicher sein. 1935, whrend Italien den berfall auf thiopien vorbereiteten, entstanden daraus sogar regelrechte Bestseller: Die Abessinienkrise beherrschte das Tagesgesprch. Die Sympathie fr thiopien war so tief verwurzelt, dass in der Bcherlandschaft trotz der offiziellen Freundschaft des Dritten Reiches zum faschistischen Italien kaum ein negatives Wort ber die thiopier vorkam.

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Einzug der deutschen Expedition in thiopien 1909 thiopische Darstellung

Deutsche Beratera m H o f d e s K a i s e r s M e n e l i k II .

An den Deutschen interessierte den thiopischen Kaiser eine seltene Kombination von Eigenschaften, so geht es aus Berichten von Gesprchen mit ihm hervor: Technisches Know-how bei gleichzeitig fehlendem Interesse an kolonialer Politik in der Region. thiopien war wiederum fr Deutsche interessant: In Handelskreisen versprach man sich in Blick auf Rohstoffe groe mgliche Gewinne. Die deutsche Politik war gleichzeitig besonders daran interessiert, dass die konkurrierenden europischen Mchte ihren Kolonialbesitz nicht ausdehnen knnten: Und so dachte man gerne ber eine Strkung der thiopischen Politik nach, als Meneliks Bitten um Berater ber die Gesandtschaft und einzelne Reisende weitergetragen wurden. Der bisherige diplomatische Vertreter Deutschlands, Dr. Zintgraff, wechselte in thiopische Staatsdienste. Als Nachfolger des Schweizers Ilg wurde er thiopischer Staatsminister. 1909 entsandte man mit dem neuen Gesandten Scheller-Steinwartz auerdem den Philologen Dr. Pinnow als Erzieher des Kaiserenkels und Thronfolgers, lij Iyasu, und als Leibarzt des Kaisers Dr. med. Steinkhler.

Beim Empfang des Gesandten Scheller-Steinwartz

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Der deutsche Gesandte vor dem gibbi (Kaiserbezirk) die letzte Audienz des Kaisers Menelik fand 1910 statt

Die Krankheit des thiopischen Kaisers

Kaiser Menelik II. um 1907

Kaiser Menelik II. litt bereits seit mehreren Jahren an offenbar alterbedingten Krankheiten. 1909 erlitt er einen Schwcheanfall, der ihn wochenlang regierungsunfhig machte. In dieser Situation wurde Dr. Steinkhler sein Leibarzt. Zeitweise konnte der Kaiser kaum mehr sprechen, manchmal wurde sogar dem Leibarzt der Zugang zu ihm verwehrt. Der Arzt reagierte durch massive Forderungen: Um zu verhindern, dass die mgliche Behandlung konterkariert wrde, verlangte er freien Zugang zum Patienten und Kontrolle ber alles, was ihm verabreicht wrde. Es war beispielsweise zu vermuten, dass Menelik von seiner Umgebung traditionelle Medizin erhielt, deren Wirkungen unklar waren. Dies allerdings galt den thiopiern als unfreundlicher Akt. Die Deutschen am Hof gerieten nun mitten in heftige Hofkmpfe um den erkrankten Kaiser.

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Kaiser Menelik mit Kaiserin Taytu

Die Steinkhler-Affre: Der Arzt muss gehen

Der Arzt Steinkhler hatte mit seinen Wnschen zunchst Erfolg er konnte den Kaiser untersuchen. Eine Untersuchung, die damals nicht verffentlicht wurde, zeigte ein bedenkliches Ergebnis: Er entdeckte Zyankali in nicht-tdlichen Mengen, wie die Korrespondenzen mit der deutschen Gesandtschaft zeigen. Die Folge war eine Krise, die bald internationale Dimensionen erhielt: Der Arzt beschuldigte die Kaiserin selbst, fr das Gift verantwortlich zu sein; sie und die internationale Presse glaubten an eine Verschwrung der Deutschen, um die Machtverhltnisse am Hof umzustrzen. Nicht nur der Arzt, sondern auch der Staatsrat Zintgraff und Pinnow wurden wiederSoldaten whrend der Absetzung der regierenden Kaiserin

entlassen. Die Akten zeigen allerdings, dass die Gesandtschaft selbst von den Vorgngen berrascht war. Der Giftanschlag wurde nie aufgeklrt. Der Kaiser jedenfalls war seit Ende 1909 nicht mehr regierungsfhig und wurde bis zu seinem Tod (1913) auch von kaum jemandem mehr gesehen. Die Kaiserin Taytu, die 1910 die Regentschaft auch offiziell bernommen und die Staatsfhrung sogleich umorganisiert hatte, wurde schon nach wenigen Monaten von einer Hofpartei gestrzt. Dieser Sturz wurde mit einer Parade unter Teilnahme aller europischen Diplomaten gefeiert sie galt allgemein als europerfeindlich. Skeptisch war sie sicherlich, aber nicht immer ohne Grund.

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Lij Iyasu

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Lij Iyasu

Lij Iyasu unterwegs, wohl um 1912, mit seinen Gefolgsleuten, aus der Sammlung des Konsuls Jensen

Infant von thiopien, T h r o n f o l g e r, R e g e n t

Der thiopische Gesandte dejjazmatch Meshesha hatte bereits 1907 ein Portrt des damals 12-jhrigen Kaiser-Enkels Lij (= Kind im Sinne von Infant oder Prinz) Iyasu nach Berlin mitgebracht und diesen dort als Thronfolger bezeichnet. Bisher war keiner auslndischen Macht die Thronfolge bekanntgegeben worden, und so wurde dieser Akt von den deutschen Diplomaten als besondere Ehre angesehen. Die thiopische Thronfolge ist nicht automatisch, und trotz sehr zentraler Stellung des Kaisers beruht doch seine Macht immer auf Konsultationen der verschiedenen Interessengruppen seines Reiches.

Menelik II. scheint mit der Bekanntgabe seines Nachfolgers im Ausland einen Schachzug zugunsten seines Enkels vorgenommen zu haben, um dessen Ansprche zu festigen. 1909 wurde Iyasu auch in thiopien als Thronfolger ausgerufen. Bereits 1910 bernahm Lij Iyasu zusammen mit seinem Vormund ras Tesemma die Regentschaft, und nach dessen Tod 1911 regierte er allein. Fr die Deutschen begann eine ebenso aufreibende wie hoffnungsvolle Zeit: Der Thronfolger erschien zunehmend als abenteuerlustig und wenig interessiert an Tagespolitik, doch hatte er die Sympathien seines Grovaters fr die Deutschen bernommen. Whrend der offizielle Gesandte Deutschlands, SchellerSteinwartz, wenig von ihm erfuhr, hatte doch der Thronfolger oft Deutsche in seiner Nhe.

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Tesemma Eshete|

Der junge Tesemma als Knstler, nach seiner Ausbildung in Deutschland

Lij Iyasus deutsche Freundschaften

Zum engeren Umfeld des Thronfolgers gehrte Jakob Mayer, auch bekannt unter seinem thiopischen Namen Yaqob Mar, der Sohn eines deutschen Missionars in Shoa und einer Frau aus Wollo und damit aus der gleichen Herkunftsgebiet wie der Vater des Thronfolgers, und sogar mit ihm verwandt. Durch verwandtschaftliche Beziehungen waren die Deutschen so unversehens ein Teil der kaiserlichen Netzwerke geworden. Zeitgenssische Berichte britischer Diplomaten zeigen, mit welcher Beunruhigung diese Entwicklung beobachtet wurde.

Tesemma Eshete, ein frherer Snger, den der deutsche Abenteurer Arnold Holtz Anfang des 20. Jahrhunderts in Deutschland hatte ausbilden lassen, wurde nach seiner Rckkehr nach thiopien Berater Iyasus. Ein sterreicherTesemma mit Lij Iyasu (links) vor den neugelieferten Kanonen 1914

namens Schwimmer erlangte damals ebenfalls Zugang zum Hof, wurde bald zum sterreichischen Konsul ernannt und konnte 1914 unmittelbar vor Beginn des Weltkrieges, offenbar auch auf Tesemmas Hilfe bauend, eine groe Waffenlieferung organisieren. Ein Foto zeigt Tesemma mit den neugelieferten Kanonen. thiopien war als einziges nichtkolonialisiertes Land dringend auf solche Waffenlieferungen angewiesen. Andererseits versuchten die Kolonialmchte, Lieferungen zu reduzieren, um die Gefahr fr ihre Kolonialgebiete gering zu halten.

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Friedrich Salomon Hall als verkleideter Araber auf seiner Geheimmission (Familienbesitz)

Hoppla zwei gescheiterte Geheimmissionen(Leo Frobenius und Friedrich Hall)

Kurz nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges wurde der deutsche Afrikanist Leo Frobenius mit einerLeo Frobenius mit Expeditionsmitgliedern in einem arabischen Schiff auf dem Roten Meer, auf dem Weg nach thiopien (1915)

wissenschaftlichen Expedition nach Nordostafrika beauftragt (1915). Sein Begleiter war der Deutschthiopier Friedrich Salomon Hall (q Tafel 9). Die Expedition diente jedoch gleichzeitig einer Geheimmission: Die deutsche Gesandtschaft, die in thiopien seit Kriegsbeginn ohne Nachrichten und Geld war, sollte Instruktionen erhalten. Die italienischen Kolonialbehrden in Eritrea, misstrauisch geworden, lieen die Expedition allerdings nicht weiterreisen.

Friedrich Hall , der nach den Aktenberichten wie ein perfekter Orientale aussah, versuchte es nun unter arabischem Decknamen ein zweites Mal. Eritreischen Polizisten jedoch fielen seine Hhneraugen auf, die verrieten, dass er normalerweise Schuhe trug. Als er dann bei einem Missgeschick auf Deutsch laut Hoppla rief, wurde er festgenommen. Es gelang ihm zwar, seine Mitteilungen zu vernichten, blieb aber fast bis Kriegsende in italienischer Gefangenschaft. In den Kriegsjahren blieb die deutsche Gesandtschaft weiterhin fast ganz isoliert. Aufgrund der finanziellen Untersttzung der thiopischen Regierung konnte das Personal aber weiterarbeiten. Diese Solidaritt ging 1915, zu Kriegsbeginn, sogar so weit, dass die thiopische Regierung grere Summen an das Deutsche Rote Kreuz spendete.

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Nigus Mikael|

Nigus Mikael im Krnungsornat, 1914, Grovater der Kaiserin Menen (Gemahlin des Kaisers Haile Selassie I.)

D e r d e u t s c h e Ko n s u lb e i m K n i g N o rd t h i o p i e n s, Nigus Mikael

1914 erreichte der Schwiegersohn des Kaisers und Vater des Thronfolgers, Ras Mikael von Wollo, den Hhepunkt seiner Macht in thiopien: Auf Initiative seines Sohnes Lij Iyasu wurde er zum Knig (nigus) von Tigray und Wollo gekrnt. Nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges war der amtierende deutsche Konsul Lorenz Jensen der einzige auslndische Diplomat am Hof von nigus Mikael in Dessie und entfaltete Aktivitten, deren Folgen mglicherweise den Kriegsverlauf htten beeinflussen knnen: Die Berichte zeigen, dass Nigus Mikael und sein Sohn, der Thronfolger und Regent, nach Wegen suchten, auf Seite Deutschlands und der Trkei in den Krieg einzutreten. Der Plan war, Rebellionen in den benachbarten britischen Kolonialgebieten im Sudan und Somalia zu frdern und auszulsen. Aufgrund des Sturzes des Thronfolgers 1916 kam es nicht dazu.

Das diplomatische Corps in thiopien 1914 anlsslich des Geburtstages des englischen Knigs in der englischen Gesandtschaft; der deutsche Gesandte rechts von den drei Herren im dunklen Mittelbogen, sein Dolmetscher und amtierender Kanzler und Konsul Jensen dritter in der hinteren Reihe links von diesen drei Herren

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Auf Privatinitiative wurde eine Junkers nach thiopien geflogen

Gute Beziehungen zum n e u e n R e g e n t e n : R a s Te f e r i

Ras Teferi|

Die deutsche Einwohnerschaft in Addis Abeba um 1920

Als Ras Teferi 1916 als Regent neben der neuen Kaiserin Zewditu eingesetzt wurde, setzten sich die guten Beziehungen zu den Deutschen fort. Als neuer Bndnis-

partner Grobritanniens internierte er die deutschen Diplomaten whrend des Weltkrieges nur offiziell; sie durften sich tatschlich aber weiterhin im ganzen Land frei bewegen. Sofort nach Kriegsende wurde die deutsche Gesandtschaft unter Leitung des Dolmetschers Lorenz Jensen, der als amtierender Konsul in Harar enge Beziehungen zum damaligen jungen Gouverneur Teferi geknpft hatte, wiedererffnet.

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Frhstcks-Sitzplan bei Reichsprsident Ebert

Europareise des Regenten und T h r o n f o l g e r s R a s Te f e r iBesuch seiner Delegation in Berlin 1924

Ras Teferi war der erste thiopische Frst, der auf Europareise ging. Diese ging einher mit der Aufnahme thiopiens (damals meist bekannt als Abessinien) in den Vlkerbund. Das noch koloniale Hintergedanken verfolgende Italien hatte zunchst auf die in thiopien de facto fortbestehende Sklaverei hingewiesen, um diese Aufnahme mglicherweise zu verhindern. Doch die geschickten Schritte des Regenten hin zu einer allmhlichen Modernisierung thiopiens ebenso wie die Zuflle internationaler Machtbalance sicherten ihm die Untersttzung der anderen Mchte. thiopien wurde einstimmig aufgenommen.

In Europa war das Krftegleichgewicht allerdings prekr und die KriegsZeitungsbericht zur Krnung des Regenten Ras Teferi zum Knig (nigus) im Jahr 1928

erfahrung frisch. Dies musste der Regent spren, als er durch England und Frankreich reiste und daraufhin mit beraus hflicher Entschuldigung, aber

offenbar, um diese Bndnispartner nicht zu verrgern seine Reise nach Deutschland abbrach. Mitglieder seiner Delegation, darunter der Onkel des Regenten Haile Selassie, fuhren allerdings weiter nach Berlin und wurden von Reichsprsident Ebert empfangen.

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Foto anlsslich der Pilgerreise der Woyzero Sihin in Jerusalem (sitzend rechts am Tisch, Mutter von Etege Menen und Schwiegermutter des Regenten), ganz rechts hinter ihr die Baroness von Ustinov; zweite von links eine weitere Deutsch-thiopierin: Beletetch, zu Besuch vom Libanon, Tochter des deutschen Handwerkermissionars Waldmeier und einer Nichte des Kaisers Tewodros II.

Das thiopische Kloster in Jerusalem

Seit Mitte des 19. Jahrhunderts versuchte jeder thiopische Kaiser, die thiopischen Besitzrechte auf ein Kloster innerhalb der Grabeskirche in Jerusalem zu klren. Aufgrund der besonderen Beziehungen Deutschlands zum Osmanischen Reich setzte sich Deutschland aufgrund einer Bitte Kaiser Meneliks II. dafr ein, den aus der Zeit Saladdins stammenden Besitzanspruch der thiopier anzuerkennen. Da aber die koptische Kirche in gypten aber das Eigentum beanspruchte, kam es zu keiner Klrung. Hier wurden wieder die privaten deutsch-thiopischen Netzwerke bedeutend: Kaiserin Zewditu, Meneliks Tochter, bekam in den spten 1920er Jahren ein interessantes Angebot der Baroness von Ustinov in Jaffa der ltesten Tochter der hochbetagt in Addis Abeba lebenden deutsch-thiopischen Hofdame Welette-Iyesus. Die Witwe Ustinov hatte Grundstcke von ihrem Mann in Jerusalem geerbt und bertrug diese nun der thiopischen Kaiserin. Dies legte den Grund fr die ersten sicheren Eigentumsansprche thiopiens in der heiligsten Stadt des Christentums.

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Die Gouvernante Christina Hall (vorne) mit den Kindern des Regenten, vorne Prinz Asfa-Wossen, im Hintergrund links Eva Haertel, eine Tochter der Hofdame Haertel, und rechts hinten Augusta Hall

Die deutschen Hofdamen d e s R e g e n t e n Te f e r i(spterer Haile Selassie)

Auch der thiopische Regent Ras Teferi Mekonnen engagierte wie zuvor Menelik und dessen Frau Deutsche fr seinen Hofstaat: Die Frau des Baumeisters Haertel wurde Hofdame der RegentenGattin etege Menen. Auch die Familie Hall taucht hier wieder auf: Die Hofdame Welette-Iyesus war inzwischen alt, doch deren Tochter Christina Hall wurde Gouvernante der Kinder des Regenten und spteren Kaisers.

Besuch der Kinder des Regenten Teferi im Anwesen der Haertels

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Erffnungszeremonie, Mitte links der Regent, Ras Teferi, rechts stehend Haertel

Baumeister Haertels Mausoleum fr Menelik II.

Baumeister Haertel arbeitete in dieser Zeit an dem Mausoleum fr den verstorbenen Kaiser Menelik II. 1927 wurde dieser Prachtbau eingeweiht. Die Wandmalereien des deutschen Knstlers Helmuth Eichroth aus Karlsruhe zeigten sowohl die berhmte Schlacht von Adwa von 1896 (q Tafel 8) als auch den legendren Ursprung der salomonidischen Dynastie thiopiens: Die Begegnung der Knigin von Saba mit Knig Salomon um 1000 v. Chr.

Im Auftrag des Kaisers Haile Selassie errichtete Haertel in den 1930er Jahren auch die Statue Meneliks II. nahe am Bahnhof.Frhe Aufnahme des Menelik-Denkmals, im Hintergrund der kurz darauf gefllte Henkerbaum, an dem seit Grndung von Addis Abeba verurteilte Verbrecher aufgehngt wurden

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Whrend der Krnungszeremonie des Kaisers Haile Selassie

Kaiserkrnung 1930

Der neue Kaiser in der Krnungskutsche

1930 wurde Nigus Teferi in der thiopischen Hauptstadt Addis Abeba als Kaiser Haile Selassie I. gekrnt wobei seine Krnungskutsche die frhere Kutsche Kaiser Wilhelms II. war. Sein Staatsrat David Hall empfing die hochrangigen auslndischen Gste, darunter ein Mitglied des englischen Knigshauses und Vertreter aller anderen bedeutenden europischen Mchte.

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David Hall

Staatsrat David Hall im Alter

Kaiser Haile Selassies Staatsrat David Hall und Hitlers h e i m l i c h e Wa f f e n l i e f e r u n g , 19351935 trugen die traditionell engen Beziehungen beider Lnder ungewhnliche Frchte: Am Hof wirkte David Hall als Berater des Kaisers im Auenministerium. Hall war Sohn der alten deutschthiopischen Hofdame Welette-Iyesus (Katharina) Hall und eines in thiopien eingewanderten deutsch-polnischen Juden, ehemaliger Kanonengieer des Kaisers Tewodros II. Als Mussolini 1935 den berfall auf thiopien vorbereitete (Abessinien-Krise), reiste Staatsrat David Hall nach Deutschland und erlangte Hitlers Zustimmung zu einer bedeutenden Waffenlieferung nach thiopien. thiopien jedoch war Mussolinis Armee hoffnungslos unterlegen und war 1936 bis 1942 italienisch besetzt. Hall reiste in dieser Zeit als Diplomat der kaiserlich-thiopischen Exilregierung in viele westliche Lnder.

David Hall mit dem Kaiser, frhe 1930er Jahre

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Der thiopische Kaiser mit Bundesprsident Heuss

Staatsbesuch des Kaisers in Deutschland, 1954

Kaiser Haile Selassie I. war das erste auslndische Staatsoberhaupt, das nach dem Krieg die Bundesrepublik Deutschland besuchte. Diese Geste einer Freundschaft, die den Zweiten Weltkrieg berdauert hatte, wurde in der bundesrepublikanischen Presse gefeiert.

Parlamentsprsident Carlo Schmid mit der Schwiegertochter des Kaisers, der Herzogin von Harar

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Ausstellungserffnung an der Fine Arts School in Addis Abeba, links die Kunstlehrerin Ebba Dettenberg-Weddig mit dem Schuldirektor Alle Fellege-Selam, im Vordergrund der Kaiser Haile Selassie mit dem Erziehungsminister

D e u t s c h e K n s t l e r i n t h i o p i e n ,t h i o p i s c h e K n s t l e r in Deutschland

1958/59 wurde die Fine Arts School in Addis Abeba gegrndet. Das Lehrpersonal bestand zunchst vor allem aus Europern, seit den 1960ern aber immer mehr aus modernen thiopischen Knstlern wie dem Surrealisten Alexander BoghossianAusstellungsplakat Gebre Kristos Desta (Original im Institute of Ethiopian Studies, Addis Abeba

(Skunder) und Gebre Kristos Desta, der 195861 als Maler in Kln gelebt hatte. Gebre Kristos Desta prgte mit seiner vom deutschen Expressionismus geprgten abstrakten Kunst eine ganze Generation junger thiopischer Knstler.

Als Kunstlehrer kam 1963 auch der bekannte deutsch-brasilianische Meister der Holzschnitte, Hansen-Bahia (Karl-Heinz Hansen, 19151978), nach thiopien und blieb dort drei Jahre. Zahlreiche Werke, von den Ideen des deutschen Expressionismus geprgt, entstanden in dieser Zeit. Als Lehrer der Fine Arts School hatte Hansen-Bahia einen bedeutenden Einfluss auf die Kunstentwicklung in thiopien.

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Deutsche evangelisch-lutherische Schule in Addis Abeba, 1928

Die Deutsche Schule Addis Abeba

Die Deutsche Schule Addis Abeba ist ursprnglich aus einer Grndung der HermannsburgerSchulsprecher begrt Kaiser Prinz Asfa-Wossen Asserate, Sprecher der Schlerschaft, begrt den Kaiser, seinen Groonkel, bei dessen Besuch der Deutschen Schule 1966, anllich der Erffnung der neuen Aula. Hintergrund (v.l.n.r.): Schulvorstand Pastor Fick, ein Vertreter des Bundesbauamtes, Kulturattach Dr. Neunkirchen, Architekt Lothar Pascher, Botschafter Dr. Kurt Mller.

Mission hervorgegangen. Schon 1928 bestand eine kleine deutsche Schule dieser protestantischen Mission in Addis Abeba, fr die Kinder der damals rund 50 in Addis Abeba ansssigen deutschen Reichsangehrigen. 1936 musste sie bei der Besetzung thiopiens durch Mussolinis Armeen schlieen.

1955 verpachtete Kaiser Haile Selassie zu einem symbolischen Preis auf fnfzig Jahre ein groes Grundstck im Zentrum von Addis Abeba (Ammist Kilo). Die Schule nahm auch thiopische Schler auf und wuchs so innerhalb kurzer Zeit bedeutend. Jedoch wurde diese deutsch-thiopische Begegnungsschule (mit Internat) Ende 1977 von der Militrregierung enteignet heute befindet sich auf dem Gelnde eine Graduiertenschule der Universitt Addis Abeba. Zu dem Zeitpunkt hatte die Schule knapp 600 Schler. Der Unterricht wurde fr die 75 deutschen Schler ab Anfang 1978 auf dem Gelnde der bundesdeutschen Botschaft fortgefhrt. Allerdings erhielt die Deutsche Schule aufgrund eines Abkommens in den 1980er Jahren wieder ein neues Gelnde. Heute hat die Schule rund 100 Grund-, Haupt- und Realschler sowie Gymnasiasten.

Aus der Schule hervorgegangen ist unter anderem der 2004 in Deutschland ausgezeichnete Autor lij Dr. Asfa-Wossen Asserate, aus einer bedeutenden Linie der Herrscherdynastie von Shoa. Sein Werk Manieren (2003) hielt mehrere Monate lang die deutschen Bestsellerlisten.

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Das Karl-Marx-Denkmal gegenber den geisteswissenschaftlichen Fakultten der Universitt Addis Abeba (Sidist Kilo) ist ein Geschenk der DDR

Die DDR und thiopien

Im selben Ma, wie sich die Beziehungen zur Bundesrepublik Deutschland in den 1970er Jahren verschlechterten, verbesserten sich die Beziehungen zur Deutschen Demokratischen Republik. Bereits der Kaiser hatte Beziehungen aufgenommen, und so wurde 1973 die erste Botschaft der DDR eingerichtet, unter Botschafter Helmut Grke (197377). Seit den spten 1970er Jahren entwickelten sich die Beziehungen besonders intensiv. Die DDR leistete entscheidende Untersttzung im Aufbau des Sicherheitsapparates, bei der Pilotenausbildung aber auch im zivilen Bereich. Das grte Traktorenwerk der DDR in Schnebeck entsandte Ausbilder; die Medizinische Schule in Gondar erhielt weitreichende Untersttzung. Das thiopische Exportprodukt Kaffee war fr die DDR von besonderer Bedeutung.

Ost-Berlin wurde auch innenpolitisch fr thiopien wichtig, das seit ber einem Jahrzehnt in einen immer blutiger werdenden Brgerkrieg um die 1962 annektierte Provinz Eritrea (ehemals italienische Kolonie) verwickelt war. Auf Vermittlung Honeckers reisten Vertreter der eritreischen Befreiungsfronten nach Berlin und trafen dort auf Vertreter der thiopischen Regierung. Die Verhandlungsfhrung der DDR hatte aber bereits eines festgelegt: Der Kampf um nationale Befreiung, wie sie die eritreischen Kmpfer forderten, sei antisozialistisch. Nationale Selbstbestimmung knne nur innerhalb des sozialistischen Staatsverbandes verwirklicht werden eine Forderung, die zum Scheitern fhren musste. Bis fast zum Ende ihres Bestehens blieb die DDR

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mit der Regierung Mengistus verbunden.

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Besuch des Bundesprsidenten Roman Herzog in der Stadt Aksum, umgeben von hohen kirchlichen Wrdentrgern, 1996

thiopien Deutschland heute

Deutschland und thiopien pflegen seit einhundert Jahren eine gleichbleibend intensive, freundliche Beziehung. thiopien wird als verlsslicher Partner in Afrika anerkannt. Deutschland engagiert sich in thiopien besonders stark; die wirtschaftliche Zusammenarbeit ist sehr ausgesprgt. Hochrangige Besuche in beide Richtungen sorgen fr regelmigen Austausch zu allen Fragen der bilateralen und internationalen Beziehungen.

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Friedrich RosenEin staatsmnnisch denkender Diplomat

Friedrich Rosen1856 1905 1916 1921 1935

Geboren in Leipzig Kindheit in Jerusalem Studienzeit und Schuldienst Indien und Persien Dozent am Seminar fr orientalische Sprachen in Berlin Vizekonsul und Dragoman im Orient, vorwiegend in Persien Konsul in Jerusalem Vortragender Rat im Auswrtigen Amt (Orientreferat) Gesandtschaftsreise nach Abessinien und Pariser Sondermission Gesandter in Tanger Wirklicher Geh. Rat, Exzellenz Gesandter im Haag Reichsauenminister im ersten Kabinett Wirth, Ruhesitz in Berlin und Detmold Tod in Peking

1856 1867 1877 1884 1886 1987 1887 1889 1890 1899 1899 1900 1901 1904

1906 1910

1916 1921

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Zeittafel: Das moderne thiopien1855 Dejjazmatch Kasa von Qwara besiegt Dejjazmatch Ubie von Tigray-Simien und lsst sich unter dem Namen Tewodros II. (Theodor) zum Knig der Knige thiopiens krnen; seit dem 18. Jahrhundert sind die Teilreiche des thiopischen Kernlandes nun erstmals wieder unter einem Herrscher vereint Ankunft der deutschen Handwerkermissionare, die die Handwerkerkolonie Gafat grnden Intervention der britisch-indischen Truppen, Selbstmord von Tewodros II. und Befreiung der von ihm gefangengesetzten Europer von der Bergfeste Meqdela (Magdala) Der Knig von Shoa, Nigus Menelik, unterstellt sich der Suzernitt des Knigs der Knige Yohannes IV.; er erweitert sein Knigreich durch Eroberungen von benachbarten nicht-christlichen Knigreichen und Stammesgebieten nach Sden und Osten Der kaiserlich-deutsche Gesandte Gerhard Rohlfs berbringt Briefe und Geschenke Kaiser Wilhelms I. Nigus Menelik von Shoa lsst sich nach dem Tod Yohannes IV. zum Knig der Knige (Kaiser) von ganz thiopien krnen; er setzt die Expansion seines Reiches in den Sden fort Italien erleidet bei der Schlacht von Adwa gegen die Frsten thiopiens unter Fhrung Meneliks eine welthistorische Niederlage; es muss seinen Anspruch auf ein Protektorat ber ganz thiopien aufgeben Die Rosen-Gesandtschaft besucht thiopien; Deutschland und thiopien schlieen einen Handelsund Freundschaftsvertrag Grndung der permanenten deutschen Gesandtschaft in Addis Abeba Kaiser Menelik verliert nach Schwcheanfllen seine Regierungsfhigkeit; an seiner Stelle regiert seine Frau, Kaiserin Taytu von Simien (Nichte des Dejjazmatch Ubie) Sturz der Kaiserin Taytu und Einsetzung des von Menelik im Vorjahr bestimmten Regenten, Ras Tesemma, zusammen mit dem Thronfolger, Meneliks Enkel Lij Iyasu Nach dem Tod des Regenten bernimmt der knapp 16-jhrige Lij Iyasu selbst die Regierung Tod des Kaisers Menelik, der aber nicht offiziell bekanntgegeben wird Lij Iyasu und sein Vater erwgen eine Teilnahme am I. Weltkrieg auf der Seite Deutschlands und der Trkei Sturz des Thronfolgers Lij Iyasu und Throneinsetzung von Meneliks Tochter Zewditu; in den kommenden Jahren gewinnt ihr Regent Teferi Mekonnen zunehmend an Einfluss Aufnahme thiopiens in den Vlkerbund Tod der Kaiserin und Krnung Teferis zum Niguse Negest (Knig der Knige, Kaiser), unter dem Thronnamen Haile Selassie I. (Kraft der Dreifaltigkeit) Abessinien-Krise: Mussolinis Truppen berfallen von Somalia und Eritrea aus thiopien und annektieren es gegen den Protest des Vlkerbundes Der italienische Knig erhlt den Titel eines thiopischen Kaisers, wenige Tage spter Ausrufung von Africa Orientale Italiana (A.O.I.), das Eritrea, thiopien und Italienisch-Somalia umfasst, als neue italienische Kolonie Niederlage der italienischen Truppen bei Keren in Eritrea, britische Besetzung von Nordostafrika und schrittweise Wiedererrichtung der alten Grenzen; auf den Tag fnf Jahre nach Aufbruch ins englische Exil kehrt Haile Selassie nach thiopien zurck thiopien gehrt zu den Mitbegrndern der UNO Die italienische Kolonie Eritrea wird mit eigener Regierung und demokratischer Verfassung durch die UNO mit dem thiopischen Kaiserreich unter der Souvernitt des Kaisers fderiert; Einverleibung durch thiopien als Provinz 1962 Addis Abeba wird Sitz der Organisation Afrikanische Einheit (OAU) Nach Militr- und Studentenunruhen Sturz des Kaisers Haile Selassie durch ein Militrkomitee (Derg) Abschaffung der Monarchie; in den folgenden Jahren setzt sich Colonel Mengistu Haile-Mariam als Vorsitzender des Derg durch und wird schlielich Staatschef Sturz Mengistus durch ein Bndnis von Befreiungsfronten und de-facto-Abspaltung Eritreas

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1878

1881 1889

1896

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1906 1909/10

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1911 1913 1915/16

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1936

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