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Bundesvereinigung Soziokultureller Zentren e.V. PRINZIPIEN PRAXIS PERSPEKTIVEN sozio kultur LITERATUR PLUS X BUNDESKULTURPOLITIK Soziokulturelle Zentren im digitalen Wandel AUS DEN LÄNDERN Engagement belohnen 1/12 | 3,50 EUR

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Bundesvereinigung Soziokultureller Zentren e.V.

P R I N Z I P I E N

P R A X I S

P E R S P E K T I V E Nsoziokultur

LITERATUR PLUS X BUNDESKULTURPOLITIK Soziokulturelle Zentren im digitalen Wandel

AUS DEN LÄNDERN Engagement belohnen

1/12 | 3,50 EUR

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AKTIONSTAG | 21.5.2012

JEDER IST KREATIV. WIR HABEN DAS ZEUG DAZU. DU AUCH!

Zirkus Zack. Kinder-und Jugendzirkus im Verein zur Überwindung der Schwerkraft e.V.

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soziokultur 1|2012 1EDITORIAL

Wolf Biermann hatte keine Angst. 1976, nach fast zwölf Jahren Auftritts- und Pu-blikationsverbot in der DDR, wurde dem Liedermacher und Dichter überraschend eine Tournee durch Westdeutschland genehmigt: In Köln gab er vor 8.000 Gewerk-schafterInnen sein erstes Konzert. Nein, vor dem Auftritt hätte er überhaupt keine Angst gehabt. Das einzige, was ihm überhaupt Angst mache, sei ein weißes Blatt Papier. Wenn er erstmal seine Gedanken und Gefühle niedergeschrieben habe, sei es doch dann ganz leicht, sie einfach nur vorzutragen, antwortete er letztes Jahr in einem Interview kurz nach Erscheinen der filmischen Aufzeichnung dieses legen-dären Konzerts.

Literatur ist eine Kunst. Sich schriftlich mitzuteilen erfordert mehr Mut als spre-chen. Nicht alle Erwachsenen können einfache Texte lesen oder schreiben. Es gibt Kinderzimmer, in denen kein Buch im Regal steht. Mädchen lesen deutlich lieber und besser als Jungen ... All diese Gegebenheiten sind für die Soziokultur keine Hindernisse, sondern Herausforderung. Dass jeder Mensch zum Schreiben ange-leitet und zum Lesen verführt werden kann, ist für sie grundlegend. Literatur wird auch gehört, illustriert oder performt. Texte sind zugleich Resultat und Ausgangs-punkt der Diskussion dessen, was uns aktuell beschäftigt. Literatur plus X ist keine stille Kunst mehr. Sie ist Treffpunkt. Sie ist dynamisch. Sie ist im Netz.

Die digitale Lesart verbreitet sich zunehmend. Wir wollen erstmalig mit dieser Aus-gabe darauf reagieren. Zusätzlich zur gedruckten Version wird die Zeitschrift auch als interaktive Datei erscheinen. Entsprechendes Material vorausgesetzt, werden die Beiträge auch in den künftigen Ausgaben durch Kurzfilme, Hörbeispiele, mehr Bilder, weiterführende Literatur oder Weblinks ergänzt werden. Ab der nächsten Ausgabe zum Thema „Internationale Vernetzung“ können Sie, unsere LeserInnen, zum gleichen Preis die Wahl zwischen Umblättern und Scrollen treffen.

Jetzt bin ich froh und erleichtert. Das bin ich immer, wenn ein Editorial – und mit ihm ein neues Heft – fertig geworden ist. Und wie immer wünsche ich Ihnen und uns, dass Sie die Zeitschrift nach der Lektüre informiert und inspiriert zur Seite legen, weiterreichen oder zum Anlass nehmen, uns mal zu schreiben.

Ellen Ahbe, Geschäftsführerin der Bundesvereinigung Soziokultureller Zentren e.V.

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soziokultur 1|2012 3INHALT

Titel: „LyrikPark 2010“, veranstaltet von der Kulturfabrik Löseke und dem Forum-Literaturbüro. www.lyrikpark.de. Foto: Norbert Jaekel | Den Beitrag dazu finden Sie im Reader zu dieser Ausgabe unter www.soziokultur.de > Publikationen > Zeitschrift.

Für den Thementeil dieser Ausgabe verantwortliche RedakteurInnen:GRIET GÄTHKE, GUDRUN GOLDMANN, BERND HESSE,DORIT KLÜVER, PETER KRÜMMEL, BETTINA RÖSSGERund KRIST INE SCHÜTT.

T H E M A

Literatur plus X 5hEFt für literatur, stadt und alltag A L E X A N D E R P L AT Z

Europa_Morgen_Land 7Lesereihe „Neueste deutsche Literatur“ im 11. Jahr E L E O N O R E H E F N E R

Die Bremer Netzresidenz 8Literaturförderung im digialten Zeitalter H E I K E M Ü L L E R / G U D R U N G O L D M A N N

Zur Nachahmung empfohlen 9Literarische Subkultur für jeden F E L I X R Ö M E R

Aufnahme läuft! 10Audioproduktionen der Ohrlotsen im Hamburg A N D I H Ü L S E N

Quicklebendige Umfelder 11Klang, Bild und Bewegung als Verbündete K R I S T I N E S C H Ü T T

Ordentliche Orka-Omas ... 12Der Bleilaus-Verlag P E T E R K R Ü M M E L

I N AC T I O

DIE BÜCHERBIENEErlebtes wird sichtbar 14D O R I T K L Ü V E R

I N P E R S O N A

KATRIN WEILANDEine Stadt wird belesen 15G R I E T G ÄT H K E

KO N T I N E N T K U LT U R

Creative Europe – eine Stellungnahme 16

B U N D E S K U LT U R P O L I T I K

Soziokulturelle Zentren im digitalen Wandel 18A G N E S K R U M W I E D E (Bündnis90/Die Grünen)

Come together – Creative Commons 19M A X I K R E T Z S C H M A R

V E R B A N D A K T U E L L

Projekt „SaatGut“ 20E L L E N A H B E

A U S D E N L Ä N D E R N

N I E D E R S AC H S E N

Engagement belohnen 24Interview mit Prof. Dr. Johanna Wanka (CDU) B E R N D H E S S E

M E C K L E N B U R G - V O R P O M M E R N

Entwickelt und etabliert 2620 Jahre LAG Soziokultur U W E KÖ H N K E

T H Ü R I N G E N

Es brennt! 27Bewirtschaftungsreserve bedroht Soziokultur B E T T I N A R Ö S S G E R

BA D E N - W Ü RT T E M B E R G / S C H L E S W I G - H O L S T E I N

BECC auf bundesdeutsch 28GeschäftsführeraustauschI L O N A T R I M B O R N - B R U N S

N I E D E R S AC H S E N

EtageEins 29Hochschulkooperation des Pavillon HannoverS U S A N N E M Ü L L E R - J A N T S C H

K U R Z & K N A P P 3 0

I M P R E S S U M 3 2

A D R E S S E N D E R L A N D E S V E R B Ä N D E 3 2

I N AC T I O

DIE BÜCHERBIENE

Zum Thementeil dieser Ausgabe steht wieder ein Reader zum Download bereit. Er enthält weitere Beiträge und Projektbeispiele aus unseren Mitgliedszentren. www.soziokultur.de > Publikationen > Zeitschrift

R E A D E R

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LITERATUR PLUS XLiteratur und ihre Schnittmengen zu anderen Genres

Abb.: Bleilaus-Verlag (siehe S. 12) Foto: Susann Hoch

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soziokultur 1|2012 5THEMA

A L E X A N D E R P L AT Z

In eine Decke gewickelt, im Lichtschein einer Lampe, sitzt eine hagere Gestalt an einem Schreibtisch. Neben sich ein Glas Rotwein, ein voller Aschenbecher, vor sich ein weißes

Blatt Papier, auf das sie starr und angestrengt schaut, Minuten, Stunden, manchmal Tage. Die Gestalt regt sich nicht, schaut nur stur auf das Blatt. Doch dann: ein Blitz! Von oben, von ganz weit oben! Die Gestalt erwacht aus ihrer Lethargie und fängt ganz wild zu schreiben an. Stunden später ist der Rausch vorbei. Auf dem Schreibtisch stapeln sich die beschriebenen Blätter, ein leerer Kopf schläft auf der letzten Seite, ein Tintenklecks sitzt hinter dem letzten Punkt: Der Roman ist fertig.

So oder so ähnlich wurde wahrscheinlich den meisten von uns in der Schule die Entstehung von Literatur erklärt. Und bis heute ist kaum etwas im deutschen Sprachraum mit so vielen Mythen behaftet wie das Schreiben. Man muss schon ein Genie sein, zumindest aber mit sehr viel Talent gesegnet, um einen ordentlichen Text zustande zu bringen. Oder?

Nicht unbedingt. In Großbritannien, vor allem aber in den USA, verfolgte man von jeher ei-nen völlig anderen Ansatz. Dort ging und geht man davon aus, dass das Schreiben ein kreativ-sprachlicher Prozess ist, zu dem grundsätzlich jeder Mensch methodisch angeleitet werden kann. Dabei spielt es zunächst überhaupt keine Rolle, ob der- oder diejenige eine Kurzgeschich-te, ein Gedicht, eine Masterarbeit oder einen Brief an Oma Käthe schreiben will. Mittlerweile gehört das „Kreative Schreiben“ glücklicher-weise auch in der Bundesrepublik für viele Menschen zum Alltag. Es existieren zahlreiche Schreibkreise, unzählige Publikationen sind zum Thema erschienen, junge PoetInnen trauen sich auf die Slam- und Lesebühnen.

Seit nunmehr 15 Jahren bemüht sich der Erfurter Kulturrausch e.V. um das Aufbrechen des spezi-fisch teutonischen Geniekults. Seit 1997 dient er als Plattform für Mitglieder und Interessierte, sich die eigene Umwelt produktiv anzueignen, sei es durch Schreibwerkstätten, Theater-, Mu-sik- oder Filmprojekte.

Schwerpunkt der Arbeit war und ist das Schrei-ben. Neben den Schreibwerkstätten, die regel-mäßig stattfinden, gibt der Verein seit 2005 mit dem „hEFt für literatur, stadt und alltag“ ein Magazin für Literatur, Kultur und Kulturpolitik heraus. Junge Literatur ist ein wichtiger Teil

des Magazins. In jeder Ausgabe veröffentlichen junge, meist noch nicht etablierte AutorInnen Kurzprosa oder Lyrik. Einige von ihnen haben vorher auch eine der Werkstätten des Vereins besucht. Das ist aber keine Voraussetzung, um für das hEFt zu schreiben. Außerdem wird der Literatur teil durch Grafiken und Zeichnungen junger KünstlerInnen ergänzt.

Das hEFt ist jedoch kein reines Literaturmagazin. Mit „stadt und alltag“ gibt es einen zweiten, soziokulturellen Schwerpunkt. In diesem Teil des hEFtes werden sowohl interessante nicht etablierte Projekte und Initiativen aus Thüringen vorgestellt als auch die regionale und überre-gionale Kultur und Politik reflektiert.

Kulturrausch will den teutonischen Geniekult aufbrechen.

Die Zweiteilung gehörte beim hEFt von Anfang an zum Konzept. Das Magazin soll in der Knei-pe, in der Bibliothek, beim Angeln oder auf der Toilette gleichermaßen gelesen werden. Es soll für jeden Anlass oder Zeitpunkt ein Text darin enthalten sein. Damit verbunden ist nicht zu-letzt die Hoffnung, dass Leute, die normalerwei-se nie ein Gedicht lesen würden, es entgegen ihrer Gewohnheit trotzdem tun – eben weil es im hEFt steht.

Vor jeder neuen hEFt-Ausgabe findet eine Of-fene Redaktion statt. Jeder und jede kann kom-men, Anregungen, Wünsche und Ideen einbrin-gen. Das ist aber keine Bedingung. Man kann auch einfach nur die Leute kennenlernen wollen – aus purer Neugier. Das ist letztlich die einzi-ge Voraussetzung, um beim hEFt mitmachen zu können: sich interessieren, für was auch immer – die Literatur, die Stadt, für das, was in der Stadt passiert oder nicht passiert, die Kultur, das eigene Leben. Sich damit auseinandersetzen, darüber sprechen und, nicht zuletzt, sich trauen, darüber zu schreiben.

Dass sich möglichst viele Leute beteiligen, ist nicht nur gewollt – das hEFt ist geradezu darauf angewiesen. Beim hEFt gibt es keine normale Redaktion, die fünf Tage in der Woche besetzt ist, nicht einmal in der heißen Phase der Pro-duktion. Und selbst wenn es sich gerade dann für einige Aktive nicht immer so anfühlt: Das hEFt ist im Wesentlichen ein ehrenamtliches Projekt. Die Ressourcen sind bei allen Beteilig-ten begrenzt, weil sie eben auch noch studieren, arbeiten oder eine Familie zu Hause haben. Das

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ist dann manches Mal eine Gratwanderung und ein gewaltiger Kraftakt, bis eine Ausgabe fertig ist. Ist sie aber erst einmal gedruckt, dann wird „hEFt reliest“ gefeiert. Was für ein großartiger Moment, das druckfrische hEFt in die Hand zu nehmen, daran zu riechen, darin zu blättern. Für die Beteiligten sind die „hEFt reliest“-Veranstal-tungen, eine Mischung aus Lesung, Show und Tanz, ein schöner Abschluss für einen Produk-tionszyklus. Und das hEFt bekommt bei dieser Gelegenheit auch noch ein Gesicht, wenn die AutorInnen ihre Texte lesen.

Inzwischen haben mehr als 150 junge AutorIn-nen, GrafikerInnen und FotografInnen im hEFt veröffentlicht. Wie viele Genies sich darunter befanden, ist nicht bekannt. Viele schreiben in-

zwischen auch für andere Literaturzeitschriften oder haben eine journalistische Laufbahn ein-geschlagen, einige haben Verlage gefunden und eigene Bücher herausgebracht.

Auch wenn es sich nicht so anfühlt: Es ist ein ehrenamtliches Projekt.

Das hEFt, das vierteljährlich und 2012 im 8. Jahr-gang erscheint, ist – nach wie vor – kostenlos erhältlich. Das funktioniert letztendlich nur, weil das Projekt sowohl durch die Stadt Erfurt als auch durch das Land Thüringen unterstützt wird. Vor allem aber funktioniert es, weil es Menschen

gibt, die das Ganze über Jahre hinweg zusam-menhalten. Das mögen nicht immer dieselben sein, aber dieser engagierte Kern ist wichtig, da er die Kontinuität sichert, die Erfahrungen bewahrt und weitergibt. Und da hat das hEFt bisher einfach auch ein bisschen Glück gehabt, ob das nun die Redaktionsarbeit, den Satz und das Layout, das Korrekturlesen oder – nicht zu vergessen – die Verteilung der hEFte betrifft. Hoffen wir, dass das noch lange so bleibt!

www.heft-online.de

A L E X A N D E R P L AT Z ist Projektmanager im Erfurter Verein Kulturrausch e.V. und Redakteur beim Kulturmagazin „hEFt für literatur, stadt und alltag”.

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7THEMAsoziokultur 1|2012

Europa_Morgen_Land Lesereihe „Neueste deutsche Literatur“ im 11. Jahr

E L E O N O R E H E F N E R

Im Jahr 2006 starteten das Kulturamt Mann-heim, das Kulturbüro Ludwigshafen, Kultur Rhein-Neckar e.V. und KulturQuer – Quer-Kultur Mannheim e.V. die Lesereihe „Euro-

pa_Morgen_Land“. In jedem Winterhalbjahr fin-den vier Lesungen neuester deutscher Literatur in entspannter Kaffeehausatmosphäre statt.

Als dieses Veranstaltungsformat mit der Reihe „gutenMORGENdeutschLAND“ im Jahr 2000 begann, waren 45 Jahre seit dem ersten An-werbevertrag zwischen Deutschland und Italien vergangen. Zur deutschsprachigen Gegenwarts-literatur gehörte unübersehbar die trans- und interkulturelle Vielfalt mit Autoren wie Feridun Zaimoglu, Yoko Tawada, Rafik Schami, Emine Sevgi Özdamar, Terézia Mora, Artur Becker u.a. Zu Beginn des neuen Jahrtausends war es (fast) selbstverständlich geworden, dass zur neuesten deutschen Literatur AutorInnen gehören, deren Mutter- und Vatersprache nicht die deutsche Sprache war.

Chamissos Erben sind aus der deutsch- sprachigen Literatur nicht wegzudenken.

Was als „Literatur der Betroffenheit“ im Stil einer „Literatur der Arbeitswelt“ bereits Mitte der 60er Jahre begann und zunächst mehr das soziale Interesse erregte denn das literarische, entwickelte sich innerhalb weniger Jahre zu ei-ner Vielfalt, die kaum mit einem Überbegriff zu fassen ist. Den Anspruch, mit Literatur Ausgren-zung zu fassen und zu überwinden, verfolgte in den 80er Jahren PoLiKunst (Franco Biondi, Rafik Schami, José F. Oliver u.a.). In den 90ern war es Kanak Attack um Feridun Zaimoglu, die mit literarischen Projekten auf die subversive Kraft

der Sprache setzte und aufklärerisch zu wirken versuchte. So wie um PoLiKunst wurde es jedoch auch um Kanak Attack bald ruhig.

Ab 1985 wurde auf Initiative von Harald Weinrich und Irmgard Ackermann der Adalbert-von-Chamisso-Preis für auf Deutsch schreibende AutorInnen nicht deutscher Herkunft vergeben. Die Verantwortlichen bei der Robert-Bosch-Stiftung gingen davon aus, dass es sich um ein vorübergehendes Phänomen handelt. Der Preis hat sich längst etabliert – und heute ist ein Ende nicht absehbar.

Viele junge AutorInnen, die mit dem Preis aus-gezeichnet worden sind, haben in den letzten zehn Jahren in Ludwigshafen und Mannheim gelesen. Ihre kulturellen Hintergründe könnten kaum unterschiedlicher sein: Arbeitsmigration – die eigene und öfter die der Eltern –, Asyl, Exil oder Studium führten sie nach Deutschland. In Deutschland aufgewachsene Autoren wie Selim Özdogan, Zafer Senocak oder Zehra Çirak haben zwar familiäre Wurzeln in der Türkei, wehren sich aber gegen eine Vereinnahmung sowohl von der türkischen als auch von der deutschen Seite. Die oft eingeforderte Dialektik von Heimat und Fremde entpuppt sich nicht selten als Bedürfnis der Rezipienten und weniger als Charakteris-tikum von Chamissos Erben. Schiller, Goethe, Heine oder Brecht sind nicht nur Navid Kermani vertrauter als literarische Bezugsgrößen der so-genannten jeweiligen Herkunftskultur. Das The-menspektrum reicht weit über eine literarische Verarbeitung von Migration hinaus.

Der gemeinsame Nenner dieser Literatur ist der Transit zwischen mindestens zwei Spra-chen und zwei Welten mit ihren verschiedenen Traditionen, der sich in einer kreativen, experi-mentellen, eigenwilligen Sprache und Ästhetik spiegelt. Das Dazwischensein kann für die lite-rarische Produktion eine wichtige Rolle spielen. „Das Größere der Freiheit ist mir im Deutschen möglich geworden, gerade durch den Entzug alles Vertrauten“, stellt Marica Bodrožić fest („Sterne erben, Sterne färben. Meine Ankunft

in Wörtern“, 2007). Sie beschreibt den „Plural als tägliches Brot“. In ihrem Essay „Die Sprach-länder des Dazwischen“ (2008) preist sie das Dazwischen für seine Fülle, die Vielgestaltigkeit, das variantenreiche Umgehen mit Sprachen, Ge-schichten und Wörtern.

Die Frage, was eigentlich deutsche Literatur ist, weist weit über aktuelles Migrationsge-schehen hinaus. Denkt man neben Adalbert von Chamisso etwa an Franz Kafka oder Elias Canet-ti und Herta Müller, wird zudem deutlich, dass das Phänomen kein temporäres ist. Chamissos Erben sind aus der deutschsprachigen Literatur nicht mehr wegzudenken – sie machen sie aus. Die Reihe „Europa_Morgen_Land“ und ein in-teressiertes Publikum begleiten diese neueste Literatur auch im 11. Jahr der Lesereihe.

Abb: Europa_Morgen_Land 6, Foto: Adonis Malamos, Gestaltung: Lars Wibranski (unten). Olga Martynova, Foto: Robert-Bosch-Stiftung/Yves Noir (oben links). Nicol Ljubić, Foto: Robert-Bosch-Stiftung/Yves Noir (oben rechts)

E L E O N O R E H E F N E R ist Geschäftsführerin des Kultur-Rhein-Neckar e.V.

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HE IKE MÜLLER / GUD RUN GOLD MANN

Mit seinem virtuellen Literaturhaus setzt Bremen ein Lesezeichen: AutorInnen, Einrichtungen, Verla-ge, BuchhändlerInnen und Biblio-

theken aus der Hansestadt haben gemeinsam ein Literaturhaus im Netz geschaffen. Längst hat sich das bundesweit einmalige Projekt ei-nen festen Platz in der Literaturszene erobert. Das virtuelle Literaturhaus Bremen informiert als Internetportal rund um die Uhr über das literarische Leben des kleinsten Bundeslandes. Unter dem Punkt „Literaturorte“ finden sich Verlage, Bibliotheken, Buchhandlungen, Ver-anstalter und Literaturzeitschriften. Auch Li-teraturschaffende haben ihren festen Platz im virtuellen Haus. AutorInnen der Region sowie li-terarische Gäste stellen sich mit Lebenslauf und Werken vor. Ein großes Audio-Archiv ergänzt das Angebot und macht Leser zu Lauschern.

Ganz real: Das virtuelle StipendiumAls virtuelle Produktionsstätte ist das Portal auch Austausch- und Arbeitsinstrument für Au-torInnen, ÜbersetzerInnen und Publikum. Dazu trägt maßgeblich das seit 2006 jährlich ausge-schriebene Literaturförderprojekt „Bremer Netz-residenz“ bei. Damit werden SchriftstellerInnen ausgezeichnet, deren literarische Projekte die technischen Möglichkeiten des Internets kreativ und innovativ ausloten. Die Netzprojekte sollen literarische Prozesse für ein Publikum transpa-rent machen und für eine Teilnahme öffnen.

Mit einem Stipendium in Höhe von 2.000 Euro ist eine dreimonatige Netzresidenz verbunden, in der die AutorInnen ein literarisches Projekt online realisieren, also Literatur tatsächlich im Netz stattfinden lassen. Der Aufbau einer Netz-community rund um das aktuelle literarische

Projekt ist unbedingt erwünscht. Im Rahmen ihres Onlineprojektes kommen die Preisträger-Innen auch nach Bremen, um ihr digitales Werk in einer multimedialen Lesung vorzustellen und um Workshops mit SchülerInnen durchzuführen.

Die bisherigen PreisträgerEin Rückblick auf die bisherigen Preisträger zeigt: Die Auswahl der Projekte folgt bewusst keiner einheitlichen Linie. Stattdessen werden literarische Ideen gefördert, die neue künstleri-sche Verfahren ausloten, die auf diese Weise nur im Netz möglich sind. Ein Kriterium bei der Aus-wahl ist allerdings, dass die BewerberInnen Er-fahrungen in der Arbeit mit Jugendlichen haben.

Im Jahr 2007 wurde das das Projekt „weltwoh-nen“ ausgezeichnet. Der Berliner Autor Benja-min Lauterbach bediente sich der Möglichkeiten globaler Vernetzung, zielte aber vor allem auf die Standortbestimmung der Schreibenden. Von einer virtuellen Basis aus entstand ein weitrei-chendes Netz aus Texten, das verschiedene Orte auf der Welt literarisch einfing. Lauterbach band weitere SchriftstellerInnen in sein Netzprojekt ein, öffnete es aber gleichzeitig auch für das Publikum. Die literarische Reise – begleitet von Fotos – führte unter anderem nach Israel, Däne-mark, Spanien und Frankreich.

soziokultur 1|20128

Etwas völlig anderes wagte der Lyriker und Übersetzer Norbert Hummelt: Der Eliot-Spe-zialist erarbeitete eine neue Übersetzung von T.S. Eliots Gedicht „The Waste Land“ online im virtuellen Literaturhaus Bremen. Er stellte wö-chentlich Passagen ins Netz und diskutierte da-rüber im Forum, beantwortete Zuschriften und kommentierte die Übersetzungen anderer. Das gesamte Verfahren machte den Übersetzungs-prozess transparent und nachvollziehbar.

Wieder ganz anders nutzte der Jungautor Finn-Ole Heinrich seine Netzresidenz. Er be-schäftigte sich auf der eigens eingerichteten Website heimathuckepack.de mit der Frage: Un-terwegssein und Heimat. Wie geht das eigent-lich zusammen? Heinrich stellte die Begegnung mit sehr unterschiedlichen Menschen in den Mittelpunkt seines Projektes. Diese dokumen-tierte er in Form von Texten, Fotos und kurzen Filmen und machte Heimat somit von jedem Ort der Welt aus zugänglich.

Das Literaturhaus hat zurzeit mehr als 500 virtuelle Etagen.

Im letzten Jahr gewann großraumdichten mit ih-rer Elektro-Poesie die Netzresidenz. Sie stellten eine Komposition in ihren Blog und riefen in ei-nem bundesweiten Wettbewerb dazu auf, einen Text dazu zu schreiben – inhaltlich gab es keine Vorgaben. Die fünf besten Texte stellten sie on-line, und die Netzcommunity stimmte darüber ab. Gewonnen hat eine 16-jährige Schülerin aus Freiburg, die dann in Bremen ihren Text das ers-te Mal mit großraumdichten perf ormt hat.

Das Literaturhaus hat zurzeit über 500 virtuel-le Etagen, auf denen man flanieren, stöbern und debattieren kann. Neu dabei: das internationale Festival „What is Poetry? Naked words dancing together“ in Indonesien. Für das Festival bereitet das Literaturhaus alle Übersetzungen vor – ins Englische und Indonesische. Auch hier passiert alles online. AutorInnen und ÜbersetzerInnen loggen sich ein und diskutieren die Übersetzun-gen ihrer Texte oder die ihrer KollegInnen – eine sehr demokratische Form der Textbearbeitung und so nur im Internet möglich.

www.literaturhaus-bremen.de, www.heimathuckepack.de, www.großraum-dichten.de, www.weltwohnen.blogspot.comAbb. oben: Finn-Ole Heinrich und Spaceman Spiff, Foto: Dylan Thompson, www.finnoleheinrich.de

H E I K E M Ü L L E R ist Geschäftsführerin des Virtuellen Literaturhauses Bremen e.V., G U D R U N G O L D M A N N ist Redakteurin der Zeitschrift zett des Kulturzentrums Schlachthof in Bremen.

L I T E R A T U R + I N T E R N E T

Die Bremer NetzresidenzLiteraturförderung im digitalen Zeitalter

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soziokultur 1|2012 9THEMA

L I T E R A T U R + S L A M S

Zur NachahmungempfohlenLiterarische Subkultur für jeden

F E L I X R Ö M E R

Ein Poetry-Slam ist ein Wettstreit, bei dem Autoren auf der Bühne mit selbstverfass-ten Texten in zeitlicher Begrenzung (meist fünf Minuten) gegeneinander antreten.

Es dürfen keine Kostüme oder Requisiten verwen-det werden. Das Publikum bewertet die Vorträge.

Dieses Veranstaltungsformat, das Marc Kelly Smith erfand und am 20. Juli 1986 zum ersten Mal in Chicago vorstellte, muss man inzwischen immer seltener erklären. Es etablierte sich zu-nächst als besonderes Event einer begeisterten Literaturszene, dem der schnelle Einzug als mo-dernes Literaturformat in die Literaturwissen-schaft und Pädagogik folgte. Mit zunehmender Öffentlichkeit ist der Poetry-Slam, zumindest in Deutschland, im Mainstream angekommen; Angebot und Nachfrage sind ungebrochen. Zum Finale der deutschsprachigen Meisterschaften 2011 füllten ca. 5.000 ZuschauerInnen die Mul-tifunktionsarena der Stadt Hamburg. Der West-deutsche Rundfunk (WDR) produzierte mehrere Staffeln des „WDR Poetry Slams“, beim Privat-sender Sat 1 gab es die „Slam Tour mit Kuttner“, und das Zweite Deutsche Fernsehen – ZDFkultur – überträgt regelmäßig Poetry-Slams live. Sogar einige Theaterhäuser, von den Kammerspielen München bis zur Berliner Volksbühne, haben Po-etry-Slam-Veranstaltungen für sich entdeckt und in ihren Spielplänen verankert. Das Goethe-Ins-titut schickt Slam-Poeten durch die ganze Welt, und wichtige Kleinkunstpreise wurden in den letzten Jahren an Slam-Poeten vergeben.Dass Poetry-Slam mehr kann, als massentauglich

zu sein, liegt in seinem Potenzial, verschiedenste

Inhalte zu transportieren und Ziel-gruppen zu erreichen. Dafür stehen zum einen natürlich einzelne Slam-Poeten, vor allem aber einige hundert Menschen, die mit Leidenschaft, Engagement, Einsatz und Freude inzwischen etwa 150 regelmäßig stattfindende Poetry-Slams, abseits des Mainstreams, in Deutschland ausrichten. Bei diesen Veranstaltungen zeigt der Poetry-Slam meist ein etwas anderes Gesicht.

Hier treten Menschen zwischen 5 und 80 Jah-ren auf.

Geht man beispielsweise zum Slam nach Esch-wege, der vom dortigen soziokulturellen Zent-rum Schlüsselblume organisiert wird, dann sieht man die wahre Vielfältigkeit, die das Format bietet. Die Mischung aus Text, Performance und Rhythmus begeistert Jung und Alt für Sprache. Hier treten Menschen zwischen 5 und 80 Jahren auf. Vom pensionierten Polizisten bis zum För-derschüler. Es werden persönliche Erfahrungen, witzige und besondere Ideen in einem respekt-vollen Rahmen vorgestellt und oft bis weit in die Nacht besprochen und diskutiert. Auch kommen regelmäßig die Stars der Szene vorbei und rei-hen sich nahtlos in das Miteinander ein. Das ist das, was Poetry-Slam kann: zusammenführen und Grenzen verschwimmen lassen und eine gemeinsame Plattform bieten für Menschen, unabhängig von Bildungsstand, Religion, Nati-onalität und Weltanschauungen.

Das Format wird inzwischen auch häufig im pädagogischen Bereich genutzt. In zahlreichen Workshops helfen Slam-Poeten, Gedanken in

Worte zu fassen und die Scheu vor dem Schrei-ben und Vortragen zu vergessen. Das findet am häufigsten in Schulen statt, wenn Lehrer, oder auch die SchülerInnen selbst, die Initiative er-greifen und den Deutschunterricht interessanter gestalten wollen. Aber auch viele soziokulturel-le Zentren, Jugendklubs, Wohn- und Altersheime bieten Workshops und Schreibwerkstätten an. Durch den niederschwelligen Einstieg, der im Prinzip alles erlaubt, was gefällt, und den Spaß, den die Slammer haben und weitergeben, sind unterschiedlichste TeilnehmerInnen leicht er-reichbar und schnell entflammbar. Der spieleri-sche Ansatz und leichte Textaufgaben führen zu schnellen Erfolgen. Der Umgang miteinander ist immer von Respekt und Anerkennung getragen.

Beim jährlichen Slam-Projekt im Neukirchener Kinder- und Jugenddorf, wo gezielt mit Kindern und Jugendlichen gearbeitet wird, die aufgrund von auffälligem Verhalten, psychosozialen Stö-rungen und erheblichen Schulschwierigkeiten einen hohen Hilfebedarf aufweisen, zeigten sich ausgezeichnete Langzeiterfolge. Neben dem Ge fühl für Text und Sprache wurden Motivati-on, Gruppendynamik, Selbstbewusstsein, Aus-drucksmöglichkeiten und Gemeinschaftsgefühl nachhaltig verbessert.

Auch wenn die Texte auf den Bühnen oder in Workshops nicht immer literarisch wertvoll sind, kann Poetry-Slam vielen Menschen Lust auf Schreiben, Lesen und Vortragen machen – auf oder vor der Bühne.

FEL IX RÖMER ist einer der bekanntesten deutschsprachigen Slam-Poeten. 2007 wurde er Einzelvizemeister. Seit 13 Jahren ist er in der Szene aktiv, gibt regelmäßig Workshops und Lehrerfortbildungen und moderiert zahlreiche Slams in Hessen. | www.felixroemer.de

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soziokultur 1|201210 THEMA10

L I T E R A T U R + A U D I O

Aufnahme läuft!Audioproduktionen der Ohrlotsen in Hamburg

ANDI HÜLSEN

Wie klingt ein Buch? Bevor eine Audioproduktion entsteht, stel-len sich die Ohrlotsen diese Fra-ge. Die Ohrlotsen produzieren

Audioproduktionen mit Kindern für Kinder. Im Frühsommer 2011 beschäftigte sie das Thema Obdachlosigkeit. Literarische Vorlage war „Ein mittelschönes Leben“ von Kirsten Boje. Die sechste Klasse der Katholischen Schule Altona hatte das Buch gelesen und sich auf dieses The-ma vorbereitet. In einer Projektwoche sollte nun ein Hörspiel mit den Ohrlotsen entstehen.

Die Klasse teilte sich in vier Gruppen auf, um sich auf unterschiedliche Weise dem Thema zu nähern und es dann auditiv umzusetzen. Das wichtigste Arbeitswerkzeug für alle Gruppen war das Aufnahmegerät. Eine kurze Einführung in die Technik, und dann konnte es schon losgehen.

Eine Gruppe produzierte ein „klassisches“ Hörspiel zum Thema Obdachlosigkeit. Allerdings reproduzierten die Kinder nicht einfach nur den Inhalt der Geschichte. Sie schrieben eine eigene Geschichte und dachten sich Rollen aus. Gemein-sam mit den Ohrlotsen wurden die Sprachaufnah-men gemacht, die sie dann mit Geräuschen und Musik arrangierten. So erhielten die Kinder einen

Ohrlotsen

offene Angebote des Stadtteil&Kultur- zentrums MOTTE, Hamburg, rund um die auditive Medienwelt zurzeit Produktion

von Beiträgen zur Hamburger Sturmflut und zum Tüdelband-Lied (siehe soziokultur 1/11, S. 15) offene Radiogruppen in

Osdorf und Altona offenes Angebot Hörspielwerkstatt Ohrlabor

Eindruck, wie ein Hörspiel „komponiert“ wird. Dafür mussten sie ebenso in die Geschich-te eintauchen wie in die technische Welt der Klangbearbeitung und des Tonschnitts. Nicht nur die Kinder der Hörspielgruppe wur-den zu kleinen Schnittexperten.

Wie wäre es, wenn wir die Gedanken ande-rer Menschen hören könnten? Und wie könnte es klingen? Mit dieser span nenden Idee hatte sich eine andere Gruppe beschäftigt. Die Kinder versetzten sich in die Lage obdachloser Men-schen und nahmen ihre fiktiven Aussagen auf. „Gedanken klingen so, als wäre man in einem großen Raum ... wie in einer Kirche“, schlug ein Mädchen vor. Und genau so haben die Kinder ihre Sprachaufnahmen mit der Unterstützung der Ohrlotsen verändert.

Gedanken klingen, als wäre man in einer Kirche.

Doch was denken die Passanten über obdachlose Menschen? Eine andere Gruppe ging dieser Fra-ge auf den Grund. Interviewtechniken wurden geübt und Fragen formuliert, bis sie anschließend auf die Straße gingen, um ihre Fragen zu stellen: „Was verbinden Sie mit Obdachlosigkeit?“ Die Antworten, die sie erhielten, waren zwar alle interessant, aber nun wollten die Kinder er-fahren, wie sich ein obdachloser Mensch fühlt. Sie riefen bei Hinz&Kunzt, dem Hamburger Stra-ßenmagazin, an und vereinbarten einen Termin mit einem Wohnungslosen. Ihm stellten sie die Fragen, die sie mittlerweile brennend interes-sierten.

Die vierte Gruppe hatte sich ent-schieden, einen Teil des Buches zu vertonen. Die Kinder suchten eine Textpassage aus und lasen sich gegen-

seitig vor, bis es hieß: „Aufnahme läuft!“ Vier Ergebnisse mussten nun zu einer gemeinsamen Arbeit zusammengeführt werden. Die Kinder lernten Moderations- und Schnitttechniken, um aus ihren Beiträgen ein Hörspiel zu ma-chen. Entstanden ist ein 35-minütiges Audio-feature zum Thema Obdachlosigkeit. Vielseitig und sehr emotional ist die kreative Arbeit der Kinder – und sehr hörenswert. Deshalb wurde ihr Beitrag auch in einer Sondersendung vom Bürgerkanal Tide 96.0 ausgestrahlt.Die Ohrlotsen „vertonen“ Bücher auf unterschiedlichste Art. Auf direktestem Weg bringen die Kinder Bilder zum Klin-gen, indem sie Bilderbücher anschauen und spontan beschreiben, was sie hö-ren. Ein Hörbuch entstehen zu lassen ist eher einfach. Daraus ein Hörspiel zu entwi-ckeln oder eine Klangcollage zu produzieren ist für die Kinder ein beachtlicher kreativer Schritt. Kinder wachsen mit Medien auf, nutzen sie in ihrer Freizeit und wollen sich mit Medien aus-einandersetzen. Es ist ihre Motivation, die von den Ohrlotsen aufgenommen wird für die Arbeit mit auditiven Medien. Hinhören und lesen sind die Basis. Die Möglichkeit, mit Sprache, Tönen, Geräuschen und Klang zu spielen und zu kom-ponieren, ist für die Kinder Anreiz, sich auszu-probieren. Dass auch andere ihre Produktionen hören, ist ein weiterer wichtiger Anreiz und motiviert die Kinder mitzumachen – ob in der Hörspiel- oder Radiogruppe.

Abb.: Die Ohrlotsen interviewen einen Verkäuferdes Straßenmagazins Hinz&Kunzt. Foto: Ohrlotsen. |www.ohrlotsen.de

ANDI HÜLSEN, Diplomsozialpädagoge und Tontechniker, ist Ohrlotse beim Stadtteil&Kulturzentrum MOTTE e.V. in Hamburg.

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soziokultur 1|2012 11THEMA

L I T E R A T U R + P E R F O R M A N C E

Quicklebendige UmfelderKlang, Bild und Bewegungals Verbündete

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K R I S T I N E S C H Ü T T

Im Vereinscafé des RAW-tempel Berlin steht eine uralte mechanische Schreibmaschine auf dem Tresen für die Gäste bereit, ein Bogen Papier ist stets eingespannt. Was die

Gäste schreiben, wird einmal im Monat am Kul-turdonnerstag in einer Performance vorgetragen

Mit dem Aufbruch ins 21. Jahrhundert lebt die Literatur als soziale Kommunikationsform wie-der auf. Wie schon zur letzten Jahrhundertwen-de erschließt sie sich neue Kooperationen mit anderen Kunstformen und nutzt moderne Me-dien zur Verbreitung. Dabei spielen Möglichkei-ten der Beteiligung und des breiten öffentlichen Austauschs jenseits des Elfenbeinturms eine zu-nehmende Rolle. Vielfältige Projekte entstehen in soziokulturellen Zusammenhängen, nur eine kleine Auswahl kann hier vorgestellt werden:

Jeder, der klingelt, kann am Lautsprecher vor der Haustür zuhören. Bei einer 2005 zum Lite-raturfestival organisierten Türsprechanlagen-Lesung liest eine Gruppe Berliner AutorInnen des Künstlernetz Neukölln in Privatwohnungen Texte über die Gegensprechanlage. Es kann so oft geklingelt werden, wie das Publikum Lust hat, amüsante, kritische und manchmal absurde Lyrik oder Kurzgeschichten zu hören.

Das globale Projekt „Continental Drift“ fordert seit 2010 im Internet auf, ein vorgegebenes Ge-dicht zu verfilmen, der veröffentlichte Film inspi-riert dann wieder ein Gedicht und so fort.

Die Ballettschule Lingua Quieta in Bad Oldes-loe gestaltet seit 2005 Schüleraufführungen für Tanz, Lyrik und Musik: In Zusammenarbeit mit dem Psychotherapeuten und Dichter Jens-Michael Gumpert entwickelte Katharina Gut-zeit zu seinen Gedichten Choreografien für ihre Schülerinnen, zwei Musiker komponierten und spielten dazu Saxofon und E-Gitarre. Dies ist nur ein Beispiel für vielerlei Ansätze jenseits der Hochkultur, die in den letzten Jahren in Schulen, Jugendzentren und soziokulturellen Einrichtun-gen erprobt wurden.

Die Beatpoeten lassen in ihrem Musikvideo „Und du du läufst“ PassantInnen einen eigenen spontan verfassten Text in die Kamera halten.

Kommando Elektrolyrik, drei Literaten und ein Elektronik-Musiker, haben darüber hinaus ein pädagogisches Konzept für Jugendliche von 14 bis 18 Jahren entwickelt, das auf kreative Art und Weise Spaß an der deutschen Sprache und elektronischer Musik vermittelt. Es ist ihr Anlie-gen, dadurch Toleranz, Verständnis und eigen-ständiges Denken zu fördern.

Und: Von der Berliner Literaturwerkstatt zu ihrem 20. Geburtstag initiiert, präsentierte sich der Berliner Beschwerdechor. Die BürgerInnen formulierten ihre Beschwerden und gestalteten unter fachlicher Anleitung die Aufführung, die sinnvollerweise am Vorabend der Berliner Wahl präsentiert wurde. Erfunden wurden Beschwer-dechöre von dem finnisch-deutschen Künstler-

paar Kochta-Kalleinen und machen seitdem auch international Furore.

So ist Literatur wieder zum politischen und gesellschaftlichen Sprachrohr für alle ge-worden – sie sprengt die Grenzen der Buch-deckel, begibt sich jenseits der Bleiwüste in quicklebendige Umfelder, verbündet sich mit Klang, Bild und Bewegung und fördert so-ziale und kreative Kooperation in allen Teilen unserer Gesellschaft.

Türsprechanlagenlesung: http://knk.punapau.dyndns.org | Continental Drift: www.continental-drift.org | Beatpoeten: www.youtube.com |Kommando Elektrolyrik: www.elektrolyrik.de |Lingua Quieta: www.lingua-quieta.de

KRISTINE SCHÜTT ist Musikerin und Vorstandsmitglied des RAW-tempel e.V., Berlin.

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soziokultur 1|201212 THEMA

P E T E R K R Ü M M E L

Ein heller Raum. Ein großer Tisch in der Mitte, Regale mit viel Papier, Setzkästen voller Bleisatzbuchstaben, ein großer Druckstock und viele, viele Bücher. Und

mitten in diesem alle Sinne anregenden Reich sagt Susann Hoch einen einfachen Satz: „Im di-gitalen Zeitalter ein Buch zu machen ist schön.“

Die an der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst ausge-bildete Diplomgrafike-rin leitet seit 1998 mit einem kleinen Team den 1995 gegründe-ten Bleilaus-Verlag. Ein

Projekt, das in seiner Dauer und Intensität in der soziokulturellen Praxis Seltenheitswert besitzt. Hier entstehen Bücher von der Idee über Texte und Bilder bis hin zu Druck und Bindung, – rare Kunstwerke in kleinen Auflagen.

L I T E R A T U R + I L L U S T R A T I O N

Ordentliche Orka-Omas ...Der Bleilaus-Verlag im Haus Steinstraße in Leipzig

Die Macher sind Kinder und Jugendliche. In sechs wöchentlichen Kursen tauchen sie in eine Welt ein, die ihnen einen Kosmos der freien Kre-ativität eröffnet, der nicht vom Endprodukt, dem Buch, aus gedacht wird (wie sich einige Eltern vielleicht wünschen), sondern dessen Ergebnisse nicht exakt planbare Teile des Gesamtkonzepts sind. Dem selbstbestimmten Schreiben von Tex-ten kommt dabei große Bedeutung zu. Ohne Hast und thematische Vorgaben entwickeln Kinder und Jugendliche Geschichten, Gedichte, sprachliche Mitteilungen aller Art. Nahezu von selbst entstehen zugehörige Illustrationen. Su-sann Hoch und ihr Team beschränken sich auf ein behutsames Begleiten und zeigen Möglich-keiten der gestalterischen Umsetzung. Vor allem geht es um das Sehen- und Entscheidenlernen. Ist das Buch fertig, bekommt jeder seines mit nach Hause: ein Dokument von lebenslangem Wert – eine Erinnerung an Stunden gemeinsa-mer Arbeit und eigenen Nachdenkens, gemein-samen Aushandelns und eigenen Hinterfragens.

Solche prägenden Erlebnisse sind wichtig, meint Susann Hoch. Sie beobachtet bei Kindern und Jugendlichen eine zunehmend geringer ausge-prägte Neigung, „über die eigene Welt hinaus-zudenken“, und häufig „ein schon frühes An-gepasstsein an die Welt.“ Fragen zu stellen wie „Ist es gut, wie es ist?“, darüber zu diskutieren und auch zu streiten – das muss erst provoziert werden. Wenn Familien ihre Kinder nach dem Motto „Ruhe ist die erste Bürgerpflicht“ erzie-hen und sich ihnen nur wenig zuwenden, bleibt auch nur wenig Raum für ruhige, stressfreie Mo-mente, in denen etwas wachsen kann. Bücher zu machen scheint da ein guter Weg zu sein. Von Anfang bis Ende etwas inhaltlich und formal zu gestalten und es dann als etwas Eigenes in den Händen zu halten ist eine die Persönlichkeit nach-haltig prägende Erfahrung. Sie begründet den Er-folg des Bleilaus-Verlages.

Besonderes Augenmerk widmet der Verlag integrativen Buchprojekten mit behinderten und nicht behinderten Kindern und Jugendlichen.

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soziokultur 1|2012 1313

K O L U M N E

Man kommt auf Ideen ...

... wenn es um Literatur geht. Zum Beispiel darauf, dass Literatur und Soziokultur sich heimlich tautologisch verhalten. Irgendwie stimmt schon: das eine ist das andere, und umgekehrt gilt es gelegentlich auch. Litera-tur spiegelt Gesellschaftskultur, fängt sie in Rückblenden und erspäht sie im Fernglas. Wer bei Trost ist, widerspricht hier nicht.

Als Sprachkunst bestimmt Literatur Anfang und Ende aller Soziokultur; wenn auch nicht direkt im schöngeistigen, sondern eher im kreativ-antragskünstlerischen Sinn. Keine rich-tigen Worte, kein richtiges Geld.

Wo sie sich einnistet, schafft Literatur Ge-meinschaft, wie zum Beispiel bei meinem Freund M. Der war etwas anderes, bevor ihn die Wortlust befiel. Doch dann fing er klein an und schrieb jahrzehntelang seinen – spott-vollen – Blick auf diese vielseitige Welt auf. Wenn er nicht schrieb, redete er mit Leuten, die auch schrieben oder tanzten oder spra-chen oder malten. Auf diese Weise wurde kein A-Promi aus ihm. „Meine Berühmtheit reicht mir gerade aus“, sagte er an seinem Sechzigsten von sich.

Seine kleine Berühmtheit brachte ihm nicht viel Geld, aber viele zeitfüllende Ämter im Schriftstellerverband, im PEN und in weiß Gott welchen Netzwerken ein. Dauernd wur-de er für mühselige kleine Tätigkeiten von vielen kleineren Leuten gebraucht. So un-terscheidet er sich unter anderem sehr von höchsten Amtsträgern. Die kennen erst alle, doch sie selbst nach dem Sturz kaum noch Freunde. Mein Literat hingegen hockt scho-koladenrund und dennoch unfallbar in einem Netz aus Gefährten, mit denen ihn Sprach-arbeit verbindet. Er lebt tatsächlich in guter Gesellschaft. So gesehen scheint große Be-rühmtheit genau das Gegenteil von Gemein-samkeit zu sein.

Es ist egal, was Soziokultur gerade genau anstellt. Sie produziert jedenfalls – gewisser-maßen als Real-Literatur – unentwegt echte Bindung; märchenhaft unermüdlich in einer erfolggetrimmten Welt. Was sollen da Ruhm und Reichtum?

Fragt leider zögerlichIhreFriede Nierbei

THEMA

Dazu hat er eine enge Kooperation mit der Al-bert-Schweitzer-Schule, einer Förderschule für Körperbehinderte, aufgebaut. Nicht selten sind gerade Kinder, denen man es kaum zutraut, ge-duldig und geschickt im Umgang mit Winkelha-ken und Setzschiff.

Vor allem geht es um das Sehen- und Entscheidenlernen.

Im Rahmen der Leipziger Buchmesse zeigt der Verlag seit 1996 seine Arbeiten einer größeren Öffentlichkeit. Höhepunkt sind natürlich die Le-sungen der jungen „SchriftstellerInnen“, die, teils

stolz, teils mit Zittern und Zagen, die „große Büh-ne“ betreten.

Die Bücher, die in Auflagen von 10 bis 150 Exemplaren erscheinen, kann man auch kaufen. Doch haben sich die MacherInnen bewusst ge-gen eine Wachstumsstrategie des kommerziel-len Bereiches entschieden, um den Kern – die freie und am Einzelnen orientierte Bildung der Kinder und Jugendlichen – zu bewahren. Mitt-lerweile haben die Bücher einen weit gestreuten Liebhaberkreis. Ein Renner ist zum Beispiel das „ZYX – das neue Zungenbrecher Archiv“ (Abb. S. 12 unten) von Lina, Jakob, Arthur, Milan, Lu-cia, Louis, Oskar, Naima, Moritz und Gabriel. Alle sind zwischen 8 und 10 Jahren alt.

All das hat seinen Preis. Doch das Haus Steinstraße und der Bleilaus-Verlag haben mit der Stadt Leipzig einen verlässlichen Förderer; einen Anteil leisten auch die Kulturstiftung des Landes Sachsen und die Förderung im Rahmen der schulischen Ganztagsangebote. So verbinden sich im Haus Steinstraße e.V. idealtypisch alle soziokulturellen Praktiken zu einem beeindru-ckenden Ganzen. Das zeigt auch die Auszeich-nung mit dem Titel „Kinder zum Olymp“, die der Bleilaus-Verlag und das Leipziger Gewand-hausorchester für das gemeinsame Projekt „Der Kampf mit dem Tiger“ erhielten.

Fotos: Susann Hochwww.haus-steinstrasse.de/bleilausverlag

P E T E R K R Ü M M E L ist Geschäftsführer des soziokulturellen Zentrums KuHstall e.V. in Großpösna und Mitglied im Vorstand des Landesverbandes Soziokultur Sachsen e.V.

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EIN BILD SAGT MEHR ALS TAUSEND WORTE

Bildredaktion und Bildrechte

Dienstag, 8. Mai 2012, 11–19 UhrKulturzentrum Schlachthof Bremen

Leitung: Sami Atwa, Fotojournalist

Kosten für Mitglieder 15 Euro / Nicht-Mitglieder 45 EuroInfos und Anmeldung: www.soziokultur.de > Veranstaltungen

WORKSHOP

Bundesvereinigung Soziokultureller Zentren e.V.

Kosten für Mitglieder 15 Euro / Nicht-Mitglieder 45 Euro

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D O R I T K L Ü V E R

Eine Ape. Sie allein verheißt ja schon Sonne, Wärme, gute Laune, Optimismus und Mut. In Hannover ist solch ein kleiner knattern-

der Transporter aus Italien als Bücherbiene un-terwegs. Das fröhlich gelb-schwarze Gefährt ist seit 2009 Symbol eines Gemeinschaftsprojekts: Hier entstehen Bücher. Zu unterschiedlichen Themen. Mit ganz unterschiedlichen Gruppen. In verschiedenen Formaten und Gestaltungsar-ten. Manche ganz ohne Worte.

„Es war kalt bei den Buchaktionen und manchmal hat es geregnet. Komischerweise fallen mir als Erstes diese Dinge ein, wenn man mich zur Bücherbiene befragt“, sagt Burkhard Scheller, Buchbinder und Künstler vom Vorstand des workshop hannover e.v. und lacht. In 21 Werkstätten und 9 Buchaktionen sind bis heute 30 Bücher entstanden. Trotz Regen. Sie sind anrührend, faszinierend, fesselnd, erstaunlich. Es ist ein großes Vergnügen, sie anzusehen. „Die Bücherbiene war bekannt, schon bevor es richtig losging“, freut sich Scheller. Das lag auch am sympathischen Auftritt der kleine Ape. Die Nachfrage war riesig. Deshalb ist der Tisch heute voll mit großformatigen, unterschied-lich gestalteten und gebundenen Büchern. Wenn man sie aufklappt und blättert, ist man berührt und fasziniert, nicht nur vom Buch, sondern auch von der Begeisterung, mit der Silke Boerma und Burkhard Scheller von ihrem Projekt erzählen. „Das Fabelhafte ist“, so Silke Boerma, seit knapp einem Jahr Geschäftsfüh-

soziokultur 1|201214 THEMA

I N A C T I O

BÜCHERBIENE, HANNOVER

Erlebtes wird sichtbar

gen im Buch festgehalten wurde. Und nicht nur die hat bei den gruppenleitenden Pädagogen Erstaunen hervorgerufen. Auf alten Landkarten, wie man sie aus Klassenzimmern kennt, wurden Piratenträume geträumt, Kämpfe festgehalten und Stürme durchlebt. Das Medium Buch mit seiner Stille hat in den Kindern Saiten ange-schlagen, die sie sonst nicht gern zeigen.

Die Bücherbiene kommt in Kindergärten, Schulen, Alteneinrichtungen. Alle Buchprojekte finden ihr neues Zuhause in der Bücherbiene. In Waben auf der Pritsche der Ape sind sie einge-lagert. Sie werden auf Festen und Buchmessen präsentiert und motivieren, selbst etwas zu tun. So ist auf einem Stadtteilfest Facebook Thema gewesen – sich bekannt machen, befreunden, vernetzen. Wenn der workshop ein „Facebook“ erstellt, dann besteht es auf keinen Fall aus Nullen und Einsen. Sondern aus Farben, Ideen und etwas Mut: ein Buch aus Selbstporträts, auf Spiegel gemalt und dann abgedruckt. So postet man beim workshop.

Aber die wenigsten Bücher entstehen im Vor-beigehen. Die Bücherbiene wird angefragt und kommt daraufhin mit Material und Ideen. Doch die Förderung der Stadt, des Landes und anderer Partner ist ausgelaufen. Die vielen Wünsche von Gruppen können zurzeit nicht erfüllt werden. Werden der Bücherbiene ihr Fleiß, ihre Flügel oder ihr Stachel weiterhelfen?

Fotos: Sven Reimann | www.workshop-ev.de

DORIT KLÜVER ist Mitarbeiterin für Öffent-lichkeitsarbeit bei der LAGS Niedersachsen e.V.

workshop hannover e.v.

Zentrum für kreatives Gestalten im Pavillon Hannover 1971 als Künstler-initiative gegründet Pool von Künstler-Innen und KunsthandwerkerInnen

rerin im workshop hannover e.v., „dass die Menschen etwas gemeinsam machen, was sie sonst nicht machen können, und das Ergebnis öffentlich sichtbar wird. Hierin liegt eine große Chance für die Gruppe, sich zu finden, sich zu artikulieren.“

Ein „Facebook“ besteht auf keinen Fall aus Nullen und Einsen.

Besonders berührt ein Buch von Bewohnerin-nen eines Altenheims. Auf allen Seiten sind aus Stoffen ausgeschnittene Elemente auf Nessel geklebt. Das ist auch ein Stück Erinnerungsar-beit gewesen. Die Frauen haben ihre Freude am Umgang mit Stoff wieder entdeckt. Ein bisschen hilflos wirkt es zwar – der Betrachter erlebt, dass die Feinmotorik der Frauen sehr nachge-lassen hat. Doch trotz des ungelenken Schnei-dens hat das Buch einen hohen Wert, weil es mit viel Liebe und Fachverstand gebunden ist, weil – und so ist es in jedem Buch – den Er-gebnissen des gemeinsamen Arbeitens eine Do-kumentation mit Fotos und Texten zur Gruppe vorangestellt ist. Das ist es, was neben der Leis-tung jedes einzelnen Teilnehmers das Projekt so beachtenswert macht. Alle Teilnehmerinnen er-halten die gleiche Aufmerksamkeit und schaffen zusammen diese anrührende Wirkung. Erlebtes wird sichtbar. Für den Betrachter und auch für die Kreativen. Den Frauen fiel wieder ein, was und mit wie viel Leichtigkeit oder Mühe sie ge-näht hatten. Ein Stück Leben.

Aufwühlend ist das Buch einer Schülergrup-pe. Eine schwierige Gruppe mit viel Kampf, Dro-hungen, Verweigerung, Lustlosigkeit. Und dann ist der Knoten geplatzt. Aus den Handgreiflich-keiten unter den Kindern entstand eine getanzte Choreografie mit Schwertern, die als Zeichnun-

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soziokultur 1|2012 1515THEMA

I N P E R S O N A

KATRIN WEILAND

Eine Stadt wird belesen

G R I E T G ÄT H K E

Wenn die Hamburger im Juni in Alto-na allerorten auf Literatur stoßen, dann haben sie das Katrin Weiland zu verdanken. Auch nach zehn Jah-

ren erkundet sie mit ihren literarischen Streifzü-gen immer wieder neue Orte. Eine Fangemeinde freut sich bereits auf zweieinhalb Wochen Lite-ratur in Wohnzimmern, auf der Elbfähre, im Bus oder auf einem Spaziergang mit den Poeten im Park. Die Passanten, die ganz unverhofft in Le-sungen hineingeraten, lassen sich auf diese Lese- und Zuhöroasen in der Stadt gerne ein.

Damit ist auch schon ein wichtiges Element beschrieben, wie Katrin Weiland das Literatur-festival konzipiert: Mit mehr als 40 Veranstaltun-gen will sie den Stadtraum literarisch bespielen. „Auf diese Weise werden die Literaturtauglich-keit besonderer Orte erprobt und Geschichten in der Stadt verortet. Und natürlich gibt es auch noch die Standorte, die von jeher der Literatur zugetan sind.“

Ihre Augen blitzen und ihre forsche und strahlende Begeisterung für ihr Metier ist

im mer wieder ansteckend. Konzepte für das Lesen und Zuhören entwerfen und er-proben, Autoren entdecken, mit Verlagen zusam menarbeiten – Katrin Weiland hat der lite ratur altonale ein Profil gegeben.

Katrin Weiland, Anfang 40, kommt aus einer Kleinstadt in der Nähe von Stuttgart. In Tübin-gen hat sie ihr Studium der Empirischen Kul-turwissenschaft und Allgemeinen Rhetorik und Neueren deutschen Literatur mit dem Magister Artium abgeschlossen. 1996 zog es sie in den Norden. 2001 meldete sich die altonale bei ihr.

Sie hat ein Faible für skurrilen Humor.

Als Katrin Weiland die erste literatur altonale aus der Taufe hob, war die Literatur neben der bildenden Kunst das zweite Genre, mit dem die altonale in den Stadtteil ging. Ein eigenes Lite-raturfestival für Ottensen zu verwirklichen war Herausforderung und Chance zugleich.

Ist sie sich anfangs zeitweise als Alleinkämp-ferin vorgekommen, die ihre Anliegen durch-boxen musste, fühlt sich Katrin Weiland schon lange am richtigen Platz im altonale-Team. Die Arbeit macht ihr Spaß und ist eine Herausforde-rung – auch in Bezug auf das geringe Budget. Durch die Zusammenarbeit mit den Programm-leiterInnen für Kunst, Theater, Film und Musik werden neue Formate kreiert. Szenische Lesun-gen, Musik und Text sowie Poetry-Slams errei-chen auf diesem Wege ein Publikum, das mit „li-teraturschweren Veranstaltungsorten fremdelt“.

Weitere Triebfeder ist neben der eigenen Dy-namik die positive Resonanz, die Katrin Weiland auf ihre ausgefeilten Literatur-Formate erhält. Wenn Autorin Silke Burmester „Das geheime Tagebuch der Carla Bruni“ im Dienstzimmer des Bezirksamtsleiters liest, dann wird das Altonaer

Rathaus in den Köpfen peu à peu zum Élysée-Palast. Im Kollegiensaal, dort wo sonst die Be-zirksversammlung tagt, schleust Harry Rowohlt das Publikum durch sein sprachmächtiges Uni-versum. Mit vielen Geschäften und Cafés ist es ausgemachte Sache, dass Literatur auf die Tische kommt. „Angeleinte“ Bücher laden über den ge-samten Zeitraum des Festivals ein, Literatur zu schnuppern. An über 20 Orten sind kleine Biblio-theken installiert. „Bücherblühen“ ist eine weite-re Herzensangelegenheit von Katrin Weiland.

Auch für sie überraschend war der sensatio-nelle Publikumsandrang zum Stop Klock Poetry Slam in der Christianskirche, die für ihre Jazz-konzerte bekannt, vor allem aber den Klop-stock-Kennern ein Begriff ist. Direkt an der Elbe wurde in ausgestellter Wohnlandschaft gelesen. Hier musste das Publikum schon mal den Au-tor suchen, der sich in einem Schrank versteckt hielt, bevor es mit der Lesung losgehen konnte. Katrin Weiland hat einen Faible für skurrilen Hu-mor, traut sich aber auch, anspruchsvolle Neuer-scheinungen vorzustellen.

Der jeweilige Länderschwerpunkt der altona-le lässt alle Programmleiter des Festivals auch an der internationalen Ausrichtung ihrer Veran-staltungen feilen. Partnerland der diesjährigen altonale ist Russland. Da die Entscheidung hier-für erst in diesem Jahr fiel, kann Katrin Weiland mit ihrer Recherche jetzt erst loslegen. Aber sie ist sich sicher, dass sie wieder eine mitreißende literatur altonale hinlegen wird.

Abb.: Katrin Weiland im Gespräch mit dem Autor John von Düffel, Foto: Andreas Bock (oben). Sze-nische Lesung im Jenisch Haus, Foto: Ulrich Gerlach (links) | www.dieMOTTE.de, www.altonale.de

G R I E T G ÄT H K E ist Öffentlichkeitsreferentin des Stadtteil&Kulturzentrums MOTTE Hamburg, das Gesellschafter der altonale GmbH ist.

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soziokultur 1|201216 KONTINENT KULTUR

Creative Europe – eine StellungnahmeAm 20. Januar 2012 trafen sich VertreterInnen deutscher Kulturverbände (mit deutscher oder europäischer Reichweite), um den aktuel-

len Vorschlag der EU-Kommission zum Programm „Creative Europe“ zu diskutieren. Das Treffen wurde von deutschen Mitgliedern des

europäischen Netzwerkes Culture Action Europe initiiert, welches derzeit die Kampagne „we are more – act for culture in Europe“ koor-

diniert. Die teilnehmenden Institutionen und Zentren haben folgende Stellungnahme erarbeitet.

Wir begrüßen, dass die EU-Kommis-sion in ihren Entwürfen zu den neuen Programmen, die ab 2014 in Kraft treten sollen, die Förde-

rung des Kultursektors und der Kultur- und Kre-ativindustrie ausdrücklich berücksichtigt.

Ein starkes EU-Kulturförderprogramm, das künstlerischen und kulturellen Austausch in Europa unterstützt, ist in Zeiten von Euro-Krise und zunehmendem Europa-Skeptizismus ein wichtiges Instrument, um den europäischen Einigungsprozess, europäische Solidarität und die öffentliche Wahrnehmung Europas positiv zu verstärken.

Wir appellieren daher an die Bundesregierung sowie die Europaabgeordneten, das von der EU-Kommission vorgeschlagene Budget für das Pro-gramm „Creative Europe“ zu unterstützen.

Erste Stellungnahme zum Programm-vorschlag „Creative Europe“Bei der Analyse des Programmvorschlags KOM (2011)786 in der Mitteilung der Europäi schen Kommission sowie des Vorschlags KOM(2011) 785 für eine Verordnung als Rechtsgrundlage des Programms wurde deutlich, dass diese auf der Europa-2020-Strategie von EU-Kommissions-präsident Barroso aufbauen. Der Text des Rah-menprogramms ist derzeit noch sehr vage ge-

halten und bietet viel Raum für Interpretation, sodass einige Fragen aus den Texten heraus nicht beantwortet werden können und weiterer Klärung bedürfen. Die Zusammenlegung der beiden bisherigen Programme „Kultur“ und „MEDIA“ spiegelt die allgemeine Tendenz zur Zusammenlegung von Programmen in den neu-en Programmvorschlägen der EU-Kommission wider. Wir wünschen uns, dass der Text der Mit-teilung noch deutlicher auf das erste allgemeine Ziel, die Wahrung und Förderung der kulturellen und sprachlichen Vielfalt Europas, eingeht.

Unterschiede von Kultursektor undKreativindustrie berücksichtigenDas gemeinsame Dach „Creative Europe“ muss eine möglichst deutliche Trennung der im Pro-grammvorschlag geplanten drei Aktionsberei-che aufweisen, um den Spezifika der jeweiligen Bereiche Rechnung zu tragen:

Die Aktionsbereiche „Kultur“ und „MEDIA“ sollten jeweils getrennt behandelt werden, be-sonders auch die zugewiesenen Budgetanteile.

Diese Trennung sollte auch in den Zuständig-keiten sowohl auf der Ebene der EU-Mitglieds-staaten als auch auf der Arbeitsebene der EU reflektiert werden. Der Programmausschuss für „Creative Europe“ sollte dem Rechnung tragen.

Es sollte verdeutlicht werden, wer unter wel-chem Aktionsbereich zur Einreichung von Anträ-gen berechtigt ist. Im Aktionsbereich „Kultur“ sollte vermerkt werden, dass nur Projekte geför-dert werden können, die nicht auf Gewinnerzie-lung ausgerichtet sind

In Deutschland bestehen hochkompetente Informationsstellen (Media Desk, CCP) für die derzeitigen Programme „MEDIA“ und „Kultur“. Diese vorhandene Kapazität sollte bewahrt wer-den, sodass die Aktionsbereiche von „Creative Europe“ weiterhin von spezialisiertem Personal in den nationalen Informationsstellen erklärt werden können.

Kleinste, kleine und mittlere Unter-nehmenDie Finanzfazilität für die Kultur- und Kreativbran-che bedarf einer weiteren Klärung. Es ist zum ge-genwärtigen Zeitpunkt noch nicht klar, wie diese umgesetzt werden soll. Prinzipiell wird die Mög-lichkeit begrüßt, dass kleinsten, kleinen und mitt-leren Unternehmen des Kultur- und Kreativsek-tors die Kreditaufnahme erleichtert werden soll.

Unterzeichnen Sie hier mit!

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soziokultur 1|2012 KONTINENT KULTUR 17

SPOTS

Künstlermobilität innerhalb der EUIm Rahmen des von der EU geförderten Pilot-projekts „PRACTICS“ ist eine umfangreiche Broschüre zur Künstlermobilität innerhalb der EU erschienen. Die Publikation enthält unter anderem Informationen zu Arbeitsauf-enthalten, Einreisebestimmungen und der An-erkennung von Qualifikationen im Ausland. | Sämtliche Informationen sowie der Abschluss-bericht des Projekts sind online unter www.practics.org zu finden.

Förderung für Trans Europe Halles Das Europäische Netzwerk unabhängiger Kulturzentren Trans Europe Halles (TEH) hat von der Europäischen Kommission einen Betriebskostenzuschuss von 59.000 Euro für 2012 bekommen. Dies ist der bisher höchste Zuschuss für das Netzwerk und er ermög-licht TEH, seine Mitgliedszentren weiterhin zu unterstützen in den aktuellen Schwer-punkten Mobilität und Weiterbildung sowie bei der Durchführung der zweimal jährli-chen stattfindenden Meetings, die 2012 in Kosiče (Slowakei) und Göteburg (Schweden) stattfinden. | www.teh.net

Kooperationsprojekte mit SüdafrikaBis zum 4. Mai können sich Kooperations-projekte in Brüssel bewerben, an denen – neben mindestens drei Kulturakteuren aus Programmländern – auch eine Initiative aus Südafrika beteiligt ist. Die EU möchte mit die-ser Förderung zur Verständigung der Völker in der Welt beitragen sowie zur besseren Kennt-nis der europäischen Kultur in Südafrika. Die Projektlaufzeit kann bis zu 24 Monaten be-tragen, und es ist möglich, zwischen 50.000 und 200.000 Euro Förderung zu beantragen. Im nächsten Jahr können Projekte mit Austra-lien oder Kanada eingereicht werden. | Infos zu Projekten mit Drittländern unter www.ccp-deutschland.de

Förder- und Evaluationskriterienkulturell begründenWir begrüßen insbesondere, dass „Creative Eu-rope“ die „Wahrung und Förderung der kulturel-len und sprachlichen Vielfalt Europas“ zum Ziel hat und erkennen das Potenzial des Kultur- und Kreativsektors für wirtschaftliches Wachstum und Beschäftigung an. Neben der „Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit“ ist es wichtig, dass die Förderkriterien und Evaluationsmechanismen des Programms in erster Linie kulturell begrün-det sein sollten und nicht rein wirtschaftlich und arbeitsmarktpolitisch. Durch die Unterzeichnung der „UNESCO-Konvention über den Schutz und die Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucks-formen“ und die „EU-Agenda für Kultur“ (2007) steht die EU in der Pflicht, die Förderung der kulturellen Vielfalt auch weiterhin aktiv in allen Förderprogrammen zu verfolgen.

Förderung für europäische NetzwerkeWir bedauern den Wegfall der Betriebskosten-zuschüsse für europäische Netzwerke, begrüßen aber, dass im Aktionsbereich „Kultur“ eine För-derung für europäische Netzwerke vorgesehen ist. Wir sind der Meinung, dass europäische Netzwerke für die Weiterentwicklung des kultu-rellen Lebens in Europa von großer Bedeutung sind, und begrüßen, dass sie auch weiter geför-dert werden sollen. Eine solche Förderung sollte

den Anforderungen der europäischen Kultur-netzwerke Rechnung tragen (z. B. durch den Ver-zicht auf weitere Partner bei der Antragstellung, die Möglichkeit einer EU-Förderung bis zu 80%, die Zulassung von Personalkosten zu einem höheren Prozentsatz und die Möglichkeit, auch Sitzungen zu bezuschussen). Netzwerke müssen zusätzlich auch Kooperationsprojekte koordinie-ren dürfen, solange eine Doppelförderung der gleichen Kosten ausgeschlossen werden kann.

Kooperation mit DrittländernUnklar bleibt im Entwurf, inwieweit die Koopera-tion mit Drittländern über die EU-Nachbarländer hinaus auch durch „Creative Europe“ gefördert werden kann. Die Teilnahme von Akteuren aus Drittländern soll zwar in höherem Maße mög-lich sein, unklar ist aber, inwieweit Aktivitäten in Drittländern möglich und Kulturakteure aus Drittländern als Partner zugelassen sind.

Empfehlen möchten wir schließlich noch, dass die deutschen Übersetzungen der Kommissions-Dokumente KOM(2011)785 und 786 gründlich überarbeitet werden, um sicher zu stellen, dass sie mit dem englischen Original übereinstimmen und im weiteren Beratungsprozess keine Miss-verständnisse entstehen können.

Bonn/Berlin, Februar 2012

Mitglied bei

Bundesvereinigung Kulturelle Culture Action EuropeKinder- und Jugendbildung (BKJ)

Bundesvereinigung Soziokultureller Zentren Culture Action Europe, ENCC

European Theatre Convention Culture Action Europe

European Choral Association – Europa Cantat Culture Action Europe, European Music Council

European Music Council Culture Action Europe

European Network of Cultural Centres (ENCC) Culture Action Europe

HALMA (europäisches Netzwerk für Culture Action Europeliterarische Zentren)

Haus der Kulturen der Welt Culture Action Europe

Internationale Gesellschaft der Culture Action EuropeBildenden Künste (IGBK)

Kulturpolitische Gesellschaft Culture Action Europe

Mahler Chamber Orchestra Culture Action Europe

schloss bröllin e.V. Association des Centres culturels de rencontre (ACCR)

ufaFabrik – Internationales Kultur Centrum Trans Europe Halles

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soziokultur 1|201218 BUNDESKULTURPOLITIK

Mein beruflicher Hintergrund – ich bin ausgebildete Pianistin mit Kon-zertexamen – ist ungewöhnlich für eine Politikerin. Es war nahe-

liegend, dass ich nach meinem Einzug in den Bundestag 2009 von meiner Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, wie von mir gewünscht, zur kul-turpolitischen Sprecherin ernannt wurde. Kultur-politik ist mehr als die Verwaltung des Kulture-tats, sie muss Rahmenbedingungen schaffen für die freie Entfaltung aller Bereiche in Kunst und Kultur. Meine Aufgabengebiete als grüne Kultur-politikerin haben folglich nicht nur eine ökono-mische, wirtschaftliche und rechtliche, sondern auch eine gesellschaftliche und soziale Kom-ponente: KünstlerInnen und Kreative befinden sich – unabhängig vom digitalen Wandel – oft in prekären Beschäftigungs- und Einkommens-verhältnissen. Kulturpolitik muss in Zusammen-arbeit mit anderen Ressorts dafür sorgen, dass künstlerische Arbeit angemessen entlohnt und vergütet wird. Zur sozialen Komponente gehört aber auch: aktive und passive Teilhabe an Kunst und Kultur sichern und zwar nicht nur für die-jenigen, die sich regelmäßig Eintrittskarten ins Theater oder den Malkurs an der Volkshoch-schule leisten können. Denn jeder Mensch hat ein Recht auf Kultur. Hier leisten soziokulturelle Zentren einen unverzichtbaren Beitrag.

In den Haushaltsverhandlungen setze ich mich im Namen meiner Fraktion daher auch jedes Jahr für Erhöhungen der Mittel für die Sozio-kultur ein – für die Bundesvereinigung Sozio-kultureller Zentren und den Fonds Soziokultur. Dabei gebe ich die Hoffnung nicht auf, dass die schwarz-gelbe Bundesregierung endlich mehr Verteilungsgerechtigkeit auch zugunsten der Soziokultur umsetzt. Alle BürgerInnen sollen Gelegenheit bekommen zur künstlerischen Akti-

vität – mit vielfältigen kostengünstigen Angebo-ten in der Nähe ihres Wohnorts. Der soziokultu-relle Raum bildet einen fruchtbaren Nährboden zur Entstehung neuer kultureller Trends. Poetry Slam beispielsweise war zunächst ein subkultu-relles Phänomen der Hinterzimmer, mittlerweile hat sich diese Kunstform auf den großen Büh-nen etabliert.

Soziokultur fördert den interdisziplinären Aus-tausch der Sparten, in soziokulturellen Zentren gibt es keine Berührungsängste vor unterschied-lichen Kulturbereichen: Hier arbeiten generatio-nenübergreifend alle gemeinsam und Tür an Tür, ob professioneller Künstler oder Laie, Maler, Bild-hauer oder Musiker – die Künste inspirieren sich gegenseitig. Sich künstlerisch selbst ausprobieren ist ein wesentliches Element der Soziokultur. Viele KünstlerInnen nutzen den soziokulturellen Raum als Experimentierfeld für erste Erfahrungen auf der Bühne und zur Präsentation ihrer Werke.

Formen der Teilhabe haben sich durch die Digitalisierung verändert.

Formen der Teilhabe an Kunst und Kultur ha-ben sich durch die Digitalisierung verändert. Aufgrund der Praxis massenhafter Verbreitung und Verarbeitung kultureller Inhalte ohne fi-nanzielle Beteiligung der UrheberInnen hat die Digitalisierung auf der Einnahmenseite für Ur-heberInnen und InterpretInnen auch negative Auswirkungen. Für künstlerisches Schaffen bie-tet das Internet jedoch auch viele neue Chan-cen: Abgesehen von neuen Vermarktungswegen sind YouTube, MyVideo oder Flickr Portale, deren vielfältige Inhalte zu neuen Werken inspirieren.

Räume schaffen für neue Kunstformen, für spar-tenübergreifende Projekte, für das Ausloten der eigenen Kreativität – was früher spezifische Merkmale soziokultureller Zentren waren – ist heute für alle Kreativen am heimischen Compu-ter möglich. Das Internet steht trotzdem in kei-nerlei Konkurrenz zu soziokulturellen Zentren. Die Kreativität des menschlichen Geistes kann das Internet nicht ersetzen, aber transportieren. Kunst wird von Menschen gemacht, das Inter-net bietet dafür lediglich neue Instrumente und Werkzeuge. Das Internet wird weder die zwi-schenmenschliche Interaktion als notwendiges Element künstlerischer Performances noch das Live-Erlebnis einer künstlerischen Aufführung und die Reaktionen des Publikums überflüssig machen.

Die Digitalisierung ist für soziokulturelle Ak-tivität eine Bereicherung, vorausgesetzt dass soziokulturelle Zentren genügend Mittel zur Verfügung haben, um durch Anschaffung von Computern und zusätzlichem Equipment die di-gitalen Möglichkeiten zu nutzen. Damit die Po-tenziale der Digitalisierung u. a. auch im Bereich Soziokultur voll ausgeschöpft werden können, muss die Politik noch einige Hausaufgaben er-ledigen: Beispielsweise muss das Urheberrecht reformiert werden, um die Lizenzierung von Nutzungsrechten zur Entstehung von Mashups, Videos und anderer Mix-Techniken für die krea-tive Arbeit zu vereinfachen. Und damit AutorIn-nen, MusikerInnen ebenso wie bildende Künst-lerInnen auch weiterhin bereit sind, uns mit ihren Werken im Internet zu inspirieren, müssen im Rahmen grüner Kriterien des Datenschutzes Bedingungen geschaffen werden, die ihr geisti-ges Eigentum vor den unterschiedlichen Ausprä-gungen des Missbrauchs schützen und künstle-rische Leistungen angemessen vergüten.

Soziokulturelle Zentren im digitalen Wandelvon Agnes Krumwiede, MdB, kulturpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion Bündnis90/Die Grünen

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soziokultur 1|2012 19

M A X I K R E T Z S C H M A R

„Creative Commons (CC) ist eine Non-Pro-fit-Organisation, die in Form vorgefertigter Lizenzverträge eine Hilfestellung für die Veröf-fentlichung und Verbreitung digitaler Medien-inhalte anbietet. Ganz konkret bietet CC sechs verschiedene Standard-Lizenzverträge an, die bei der Verbreitung kreativer Inhalte genutzt werden können, um die rechtlichen Bedingun-gen festzulegen. CC ist dabei selber weder als Verwerter noch als Verleger von Inhalten tätig und ist auch nicht Vertragspartner von Urhe-bern und Rechteinhabern, die ihre Inhalte unter CC-Lizenzverträgen verbreiten wollen. Die CC-Lizenzverträge werden also von den Urhebern übernommen und in eigener Verantwortung verwendet, um klarzustellen, was mit den In-halten ihrer Webseiten geschehen darf und was nicht. CC-Lizenzen richten sich als sogenannte Jedermannlizenzen an alle Betrachter dieser Inhalte gleichermaßen und geben zusätzliche Freiheiten.  (...) Welche Freiheiten genau zusätz-lich geboten werden, hängt davon ab, welcher der sechs CC-Lizenzverträge jeweils zum Einsatz kommt.“1

Während beispielsweise die französische Ver-wertungsgesellschaft SECAM sich dem Thema Creative Commons öffnet, schließt die GEMA eine Vereinbarkeit aus: „Die Erteilung von CC-Lizenzen ist mit dem Wahrnehmungsmodell der GEMA und hier insbesondere mit der derzeiti-gen Fassung des Berechtigungsvertrages nicht vereinbar.” 2

Jan Stern, Kulturveranstalter, DJ und Diplom-ingenieur der Medientechnik, wurde unfreiwillig zum Profi für Verwertungsfragen von Musik. In

seiner Diplomarbeit „Das Internet – Basis und Chance für neue Veranstaltungskonzepte“ zeigt er am Beispiel der Netaudio-Nacht „Connected by Netaudio“ im April 2011, wie Veranstaltun-gen der Zukunft aussehen könnten: Ein Abend – zwei Städte. Zwei Clubs – eine Party!

Ein Abend – zwei Städte. Zwei Clubs – eine Party!

Eine Stunde spielte ein Künstler vor Ort in Wei-mar, dann ein Künstler in Leipzig. Live-Bild und Live-Ton wurden in die jeweils andere Stadt via Internetstream übertragen. Neben der konse-quenten Weiterentwicklung der Netaudio-Näch-te, war das Internet in vielerlei Hinsicht Thema der Veranstaltung, und so war auch klar, dass die eingeladenen DJs und Live-Acts nur Titel spielen durften, die unter einer CC-Lizenz oder zur völlig freien Nutzung im Internet angeboten werden. Bei dieser Musik ist davon auszuge-hen, dass die Künstler nicht bei der GEMA ge-listet sind, da die GEMA den Künstlern, die sie vertritt, verbietet, gleichzeitig bei anderen Ver-wertungsgesellschaften zu veröffentlichen oder gar Titel kostenlos bei Netlabels im Internet zur Verfügung zu stellen. Und genau hier liegt der „Hase im Pfeffer“: Veranstalter müssen ihre Veranstaltungen entsprechend §13c und 13b des Urheberrechtswahrnehmungsgesetzes bei der GEMA anmelden, die an Hand der Art und Weise der Darbietung (live/DJ), der Raumgröße und des Eintrittpreises ein Entgelt in Rechnung stellt. Die Anmeldung ist Pflicht, die Zahlung auch, einzig im Nachgang können auf Antrag Gelder erstattet werden, indem der Veranstalter

beweist, dass GEMA-freie Musik gespielt wurde oder die Veranstaltung defizitär war. So weit, so gut, könnte man meinen. Im Falle der Netaudio-Nacht schlossen sich eine neunmonatige Phase der Mahnungen, unzählige Anrufe und Erklä-rungsversuche beiderseits an. Erst in einem klä-renden Gespräch mit dem Bezirksdirektor Uwe Dorn in Dresden konnte Jan Stern die GEMA von seinem Recht überzeugen – nicht zuletzt auf Grund der aufgetretenen öffentlichen Debatten. Jan Stern: „Die Wurzel des Problems liegt viel tiefer. Das aktuelle Urheberrecht ist nicht an die digitalen Möglichkeiten und nicht an das Inter-net angepasst. Regulierung muss sein, aber so, wie zurzeit die rechtliche Lage ist, wird mehr zerstört, als dass zum Wohle der Urheber ge-handelt wird. Eine Lösung zu finden, die für alle Beteiligten fair ist, ist bei all den technischen Möglichkeiten, die wir heute haben, nur sehr schwer, dessen bin ich mir bewusst. Dennoch bin ich der Meinung, dass es Lösungen gibt, die fairer sind als die aktuelle Praxis. Die Politik ist also gefragt.“

1 Selbstdarstellung Creative Commons: http://de.creativecommons.org

2 Statement der GEMA vom 23. Januar 2012, www.telemedicus.info/uploads/Dokumente/Stel-lungnahme_GEMA_CreativeCommons-01-2012.pdf

Jan Stern/audite: www.audite.org/?s=jan+stern |Bundesministerium der Justiz über Verwertungs-gesellschaften: www.bmj.de/DE/Buerger/digitaleWelt/ReformUrheberrecht/reformUrheberrecht_node.html

M A X I K R E T Z S C H M A R is t Ku n s t- u n d Kulturmanagerin und -vermittlerin.

BUNDESKULTURPOLITIK

Come together – Creative Commons

Namensnennung Sie müssen den Namen des Autors/Rechte- inhabers in der von ihm festgelegten Weise nennen.

Keine kommerzielle Nutzung Dieses Werk bzw. dieser Inhalt darf nicht für kommerzielle Zwecke verwendet werden.

Weitergabe unter gleichen Bedingungen Wenn Sie das lizenzierte Werk bzw. den lizenzierten Inhalt bearbeiten oder in anderer Weise erkennbar als Grundlage für eigenes Schaffen verwenden, dürfen Sie die daraufhin neu entstandenen Werke bzw. Inhalte nur unter Verwendung von Lizenzbedingungen weitergeben, die mit denen dieses Lizenz-vertrages identisch oder vergleichbar sind.

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soziokultur 1|201220 VERBAND AKTUELL

U T E F Ü R S T E N B E R G

Seit 1999 ist Ute Fürstenberg Mitarbeiterin für Öffentlichkeitsarbeit bei der Bundesver ei-nigung. Seitdem sich Anfang 2000 der „Infor-mationsdienst Soziokultur“ vom Mitteilungs-blatt zu einer Zeitschrift mauserte, hat sie deren sämtliche Entwicklungsschritte mitge-staltet. Als Redakteurin gibt sie den Beiträgen den „letzten Schliff“, lektoriert und titelt. Als Grafikerin kleidet sie die Zeitschrift mit viel Kreativität und Sorgfalt in ihr buntes Gewand. Einen großen Anteil hat Ute Fürstenberg an der Entwicklung von und Ideen findung für Kampagnen wie den Tag der Soziokultur. In ihrer Hand liegt auch das Corporate Design des Verbandes von Print bis Web.

Ute Fürstenberg hat bildende Kunst und Ger-manistik auf Lehramt studiert und Zusatzaus-bildungen in Grafikdesign erworben. Nach der Wende war sie am Aufbau des Kunsthaus Strodehne e.V. und des Waschhaus e.V. in Potsdam beteiligt. In verschiedenen Kultur- und Kunstvereinen hat sie seitdem eine Reihe von Kunst- und Jugendkunstprojekten initiiert und geleitet.

D I E K Ö P F E H I N T E R D E R Z E I T U N G

P R O J E K T

„SaatGut“ – ein Fundraising-Projekt der Bundesvereinigung Soziokultureller Zentren e.V.Fundraising ist mitnichten ein alter Hut, obwohl der Begriff schon zwei Jahrzehnte für die Be-schaffung von Geld, Sach- und Dienstleistungen für gemeinnützige Organisationen steht. Die Ak-teure sind heute mehr denn je daran interessiert, neben der öffentlichen Förderung langfristig neue Einnahmequellen zu erschließen. Hierfür müssen sich ihre Organisation strategisch ausrichten, Netzwerke mit UnterstützerInnen aufbauen und Ressourcen in diesen Kommunikationszweig in-vestieren.

Die Bundesvereinigung möchte ihre Mitglieds-einrichtungen genau hierbei unterstützen. Sie startete deshalb Anfang des Jahres mit „Saat-Gut“ ein dreijähriges Pilotprojekt zum strategi-schen Fundraising. Diese Form der Strukturförde-rung zielt darauf, bundesweit die soziokulturellen Zentren und Initiativen für die Zukunft finanziell zu stabilisieren und damit nachhaltig ihre Weiter-existenz und -entwicklung zu gewährleisten.

Das Vorhaben wird vom Fonds Soziokultur gefördert. Weitere Mittel für diesen Weg der Pro-fessionalisierung werden von der Bundesvereini-gung in Zusammenarbeit mit der Arbeitsgruppe SaatGut akquiriert, die aus VertreterInnen des Vorstands der Bundesvereinigung, der Landes-verbände und Zentren besteht. Diesen Prozess begleitet fachlich die Expertin Wiebke Doktor von der Agentur fundamente.

Das Projekt läuft von Januar 2012 bis Dezember 2014 und gliedert sich in fünf Phasen.

Vorbereitung in Phase I und IIIn Phase I steht die Recherche und Ansprache von potenziellen Förderern sowie deren Ein-bindung in das Projekt im Mittelpunkt. In Pha-se II wird die Strategie für die Ausschreibung, Durchführung, Evaluation und Dokumentation des Projektes entwickelt. Außerdem erhalten die LandesgeschäftsführerInnen eine grundlegende Schulung zum Thema Fundraising und nähere Informationen zur Durchführung des Projekts „SaatGut“.

Für die Teilnahme werden anschließend drei Landesverbände gesucht, die unter ihren Mit-gliedseinrichtungen drei bis vier Zentren/Initia-

tiven mit verbindlichem Interesse an der Mitwir-kung haben. Nach Auswahl der Landesverbände inklusive der Zentren/Initiativen werden zusätz-liche Möglichkeiten zur komplementären Förde-rung des Projektes auf der jeweiligen Landes- und kommunalen Ebene eruiert.

Durchführung in Phase III und IVIn Phase III werden den teilnehmenden Zentren/Initiativen zunächst Wissen und Fähigkeiten im strategischen Fundraising vermittelt. Hierfür nehmen die jeweiligen Fundraisingbeauftrag-ten an einem dreitägigen Workshop teil. Bei der praktischen Erarbeitung des Konzeptes erhalten sie später die Unterstützung von den Referent-Innen, bzw. von dem/der BeraterIn vor Ort.

In Phase IV wird den Fundraisingbeauftragten der Zentren/Initiativen über einen längeren Zeit-raum ein Coach zur Seite gestellt. Mit dieser Un-terstützung soll gewährleistet werden, dass das Fundraising-Konzept alle organisationsinternen Hürden nehmen kann. Denn erfahrungsgemäß findet mit dem Aufbau einer neuen Struktur immer auch ein Prozess der Organisationsent-wicklung statt. Um dies gut zu bewältigen, setzt „SaatGut“ auf eine Moderation durch er-fahrene BeraterInnen vor Ort. Dieses Coaching macht „SaatGut“ zu einem innovativen Projekt, das über bloßen Knowhow-Transfer hinausgeht. Dazu kommt eine KONVOI-Beratung. Hierbei kommt das gemeinsam lernende Netzwerk in kleinen Gruppen regelmäßig zusammen, um die Themen und Probleme der praktischen Umset-zung zu erörtern und konsequent Lösungen zu erarbeiten.

Die Zentren/Initiativen werden so in die Lage versetzt, ihr individuelles Fundraising-Konzept zu erarbeiten und dies praktisch umzusetzen.

„Fundraising ist eine Haltung. Ein wichtiger Schritt zum Erfolg ist die konsequente Implementierung in einen Betrieb. In diesem Prozess verändert sich viel. Konflikte müssen offensiv gelöst werden, bis das Kon-zept von allen Beteiligten getragen wird. Dann erst geht die Saat auf.“ Wiebke Doktor, Agentur fundamente

SaatGut

Nach Abschluss des Projekts haben sie das nöti-ge Knowhow und die erforderlichen Strukturen aufgebaut.

Auswertung in Phase VDie Phase V beinhaltet die Evaluation und Doku-mentation. Eine interaktive Broschüre informiert über den Verlauf des Projekts und enthält wei-terführende Links, Kontakte und Informationen, die ggf. durch Audio- und Videodateien illustriert werden. Ellen Ahbe

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soziokultur 1|2012 21VERBAND AKTUELL

F Ö R D E R U N G

Ausschreibung für das 2. Halbjahr 2012Der Fonds Soziokultur ruft soziokulturelle Träger auf, sich um Fördermittel für Projekte zu be-werben, die im 2. Halbjahr 2012 beginnen. Das Thema ist Inklusion. Eines der geförderten Pro-jekte wird mit dem Innovationspreis Soziokultur ausgezeichnet. Einsendeschluss für Projekt-anträge ist der 1. Mai 2012. Ausführliche Informationen unter www.fonds-soziokultur.de

Im 1. Halbjahr erhielten folgende Projekte unserer Mitgliedseinrichtungen eine Förde-rung:SaatGut Bundesvereinigung SoziokulturellerZentren e.V. | FAHR RAD! und wenn´s berg ab geht, sing! Kultur- und Kommunikationszent-rum Brunsviga, Braunschweig, NI | Borrowed Attention – Wir bitten um ihre Aufmerk-samheit kultur.werkstatt.westend, Bremen, HB | MEINE KUL TUR 2012 – zwischen Berg und tiefem, tiefem Tal ... LAG Soziokultur Thürin-gen e.V., Erfurt, TH | Nordhessische Poetry Slam Schulmeisterschaften Verein Schlüs-selblume e.V., Eschwege, HE | Orkestra Cross-cultura – Werkphase Auf Carl gGmbH, Essen, NW | Dorforgien Kulturzentrum Grend e.V., Essen, NW | Wer gibt hier den Ton an? cultu-ra mobile e.V./Familienzentrum KULTURBÖRSE, Gnoien, MV | Egoshooter – ein Leben in Saus und Braus BRAKULA – Bramfelder Kulturla-den, Hamburg, HH | St. Pauli baut Bunte Kuh e.V., Hamburg, HH | Altona macht auf! Sehn-suchtsfenster & Balkontheater. alto nale GmbH/Tania Lauenburg, Hamburg, HH | Finanzen – Ich krieg die Krise Ein Projekt zu Wirtschaft und Geld, Armut und Reichtum, Konsum und Lebensqualität. TPZ Hildesheim e.V., NI | Dörty Dancing Ein tänzelndes Piratentheater auf dem Deich der Innerste. Forum für Kunst und Kultur e.V., Holle-Heersum, NI | Soziokultur rollt auf LAKS Hessen e.V., Kassel, HE | HOMO PORTANS JUKUSCH e.V. Klotten/Kail, Klotten/Mosel, RP | Slow Food oder Maul- und Klauenseuche? Piesberger Gesellschaftshaus e.V., Osnabrück, NI | Radio Vielfalt 2 Radioarbeit von und mit Menschen mit geistiger Behinderung. Förderver-ein LOHRO e.V., MVAus dem Förderprogramm für junge Kultur-initiativen wurde ausgezeichnet: Support your lokal act 2012 Jugendkulturini-tiative Schwäbisch Gmünd, BW

W I R G R A T U L I E R E N Z U M J U B I L Ä U M 2 0 1 2

basiskulturfabrik NeustrelitzHaus Drei, Hamburg Kornhaus, Bad DoberanKasseturm, Weimar

Kasseturm Weimar, TH

Laboratorium Stuttgart, BW | Exzel-lenzhaus Trier, RP | Med-Club Jena, TH | workshop hannover, NI | E-WERK Erlangen, BY

Radio Dreyeckland Freiburg, BW |Kresslessmühle Augsburg, BY Thal-haus Wiesbaden, HE | Werkstatt Kassel, HE | WERK°STADT Witten, NW | Kreativhaus Münster, NW | Ruhrwerkstatt Oberhausen, NW | zakk Düsseldorf, NW | musa Göttin-gen, NI | Pavillon Hannover, NI

Kulturzentrum GEMS Singen, BW |Rittergarten Tuttlingen, BW | TTW Ludwigsburg, BW | E-Werk Erlangen, BY | Kulturhaus Pusdorf Bremen, HB | Bürgerhaus in Barmbek Ham-burg, HH | Haus Drei Hamburg, HH | Kulturladen Hamm Hamburg, HH | Soziokulturelle Vereine Altenberg Oberhausen, NW | Hof Akkerboom Kiel, SH | Speicher Husum, SH | Kul-turverein Platenlaase Jameln-Pla-tenlaase, NI | Ländliche Akademie Krummhörn, NI

Das Glasperlenspiel in Asperg, BW |belladonna Bremen, HB | Café Trau-ma Marburg, HE | Kulturfabrik Salz-mann Kassel, HE | Fredenberg Forum Salzgitter, NI | Seefelder Mühle Stadland, NI | Kraftstation – Freie Jugendarbeit Remscheid, NW | Pelmke-Kulturzentrum Hagen, NW | Haus am Westbahnhof Landau, RP | Aktion Jugendzentrum Neumünster, SH

Kulturzentrum Tollhaus Karlsruhe, BW | Rosenau Kultur Stuttgart, BW | Waschhaus Potsdam, BB | LOLA Kulturzentrum Hamburg, HH |

KuK Schlachthof Wiesbaden, HE |Kulturzentrum Franzis Wetzlar, HE | Kornhaus Bad Doberan, MV | schloss bröllin, MV | basiskulturfa-brik! Neustrelitz, MV | KulturFabrik Löseke Hildesheim, NI | Kulturkreis impulse Freren, NI | Kunst und Begegnung Hermannshof Springe-Völksen, NI | Lichtburg e.V. Wetter, NW | Lindenbrauerei Unna, NW | Bellvue Bell/Hunsrück, RP | Mitein-ander Leben e.V. Mölln, SH | ISWI Ilmenau, TH | Kindervereinigung Weimar, TH | LAG Jazz Thüringen Jena, TH | Stelzenfestspiele bei Reuth, Tanna, TH | Theaterscheune Teutleben, TH |

Kultur- und Begegnungszentrum Parkstraße Forst, BB | Kulturhaus Kreml Zollhaus, RP | e-werk Wei-mar, TH | Kulturrausch Erfurt, TH | Kulturverein Alte Schule Suhl, TH | Kunstverein White Pig Bad Franken-hausen, TH

Kulturkraftwerk Zossen, BB | F.K.i.B. Wiesbaden, HE | Initiative Hansische Frouwen Greifswald, MV | Kulturför-derverein Lelkendorf, MV |OberstadtTreff Geesthacht, SH | KulturTragWerk Weimar, TH

Kultur- und Freizeitzentrum Pegasus Senftenberg/Stiftung SPI, BB | Schlüsselblume Eschwege-Nie-derhone, HE | Kulturwirkstatt Ilow/Klanghaus Wismar, MV | Tanzen-des Theater Wolfsburg, NI |TPZ Hildesheim, NI | Theatrio-Figurentheaterhaus Hannover, NI | Förderverein Haus der Pioniere Gera, TH | Klanggerüst – Verein zur Förderung junger Künstler Erfurt, TH | Tanztheater Erfurt, TH | Verein für Schloss Tonndorf, TH

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Schutz vor Vermögensschäden und Versicherung des VorstandsVermögensschadenhaftpflicht und D&O-Versicherung

Vermögensschäden – so schnell kann´s gehen!

Schnell ist es geschehen – im Trubel des Projektalltags vergessen Sie, einen Teil der Fördermittel fristgerecht zu beantragen. Das Geld fehlt nun in Ihrer Gesamtfinanzierung, das Projekt kann nicht wie vorgese-hen durchgeführt werden, schlimmstenfalls springen auch noch Kofi-nanzierer ab.

In einem anderen Fall wird versehentlich zu viel Gehalt ausgezahlt. Als dies auffällt, ist das Geld längst ausgegeben, eine Rückzahlung nicht möglich.

Was ist, wenn neue Räumlichkeiten angemietet werden, Sie aber ver-gessen, den alten Mietvertrag rechtzeitig zu kündigen, und nun eine zweifache Mietbelastung haben?

Was nun? Wer ersetzt den Verlust oder die Mehrkosten? Vorstand, Geschäftsführer, Mitarbeiter nicht, denn sie sind im Binnenverhältnis gesetzlich geschützt. Man kann sie abwählen, abmahnen, sogar kündi-gen – aber auf dem finanziellen Schaden bleibt der Verein sitzen.

Bei all diesen Fehlern, die in der alltäglichen Arbeit im Zentrum sehr schnell geschehen können, greift die sogenannte Vermögensschadens-haftpflichtversicherung. Sie ist daher jedem Zentrum zu empfehlen.

Gravierender aber sind Fehler von Vereinsmitarbeitern, die im Außen-verhältnis zu finanziellem Schaden führen, wenn etwa Gelder – oft erst nach vielen Jahren – wegen falscher Verwendung zurückgefordert werden.

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Gleiches gilt für Verstöße gegen den § 69 der Abgabenverordnung. Hier kann es zu Rückforderungen vom Finanzamt oder den Sozialkassen kommen. Solche Schäden sind in einer Vermögensschadenhaftpflicht explizit ausgeschlossen! Sie erreichen aber in diesen Fällen schnell exis-tenzbedrohende Größenordnungen, da sie oftmals erst Jahre später bei Revisionsprüfungen auffallen.

Hinzu kommt, dass diese Prüfungen seitens der Finanzämter bzw. Zu-wendungsgeber jährlich an Zahl und Gründlichkeit zunehmen.

Grundsätzlich haftet der Verein, wenn ein Dritter Schadenersatz-ansprüche stellt. Was aber nur wenige wissen: Im Gegensatz zu den oben genannten Fällen, in denen der Verein oft auf den Mehrkosten sitzen bleibt, ist er bei Schäden im Außenverhältnis sogar gesetzlich verpflichtet, den Vorstand/Geschäftsführer dafür in die Haftung zu neh-men (§§ 26, 27 und 31 BGB). Dieser muss mit seinem Privatvermögen dafür einstehen. Dabei haftet er „gesamtschuldnerisch“, was bedeu-tet, dass unabhängig davon, wer den Schaden verursacht hat, jedes eingetragene Vorstandsmitglied dafür zur Verantwortung gezogen wird. Das gilt selbst für Fehler von bereits ausgeschiedenen Vorständen oder Geschäftsführern. Kann der Verein nicht sofort zahlen, dürfen die Anspruchsberechtigten sich ihr Geld direkt bei dem Vorstandsmitglied holen, bei dem sie das größte Privatvermögen vermuten.

Damit die Tätigkeit für Führungskräfte in einer gemeinnützigen Orga-nisation nicht zum unkalkulierbaren Risiko wird, ist für solche Fälle die sogenannte D&O- (directors and officers) Versicherung eingeführt wor-den. In allen beschriebenen Fällen, ja selbst beim Vorwurf des Förder-mittelbetrugs, kann eine solche Versicherung in Anspruch genommen werden. Sie hat viele Vorteile: Vor allem sichert sie dem Verein, dass bei fehlendem Privatvermögen des Vorstandes der Vereinsbetrieb von einem externen Schaden unberührt bleibt. Die D&O-Versicherung trägt sämtliche entstandenen Kosten und leistet, wenn sich die Ansprüche als

berechtigt erweisen. Das gilt für jeden Grad der Fahrlässigkeit. Sie ver-tritt den Vorstand auch gerichtlich, wirkt also wie eine Rechtsschutzver-sicherung für die Organe, selbst dann, wenn der Vorwurf einer vorsätz-lichen Handlung erhoben wird. Nur bei nachgewiesenem Vorsatz kann sich die D&O-Versicherung das Geld von den gesetzlichen Vertretern des Vereins wieder holen.

In der soziokultur haben wir bereits in der Vergangenheit mehrmals über dieses Thema berichtet. Da besonders bei den Umfängen solcher Versicherungen gravierende Unterschiede auf dem Versicherungsmarkt zu finden sind, ist es enorm wichtig, dass Sie Ihre bereits bestehenden Versicherungen regelmäßig überprüfen. Einige Versicherungen versi-chern aus Beitragseinsparungsgründen nur die grob fahrlässigen Fehler. Das mag zwar im ersten Moment komfortabel für Sie sein, da Sie da-durch Beitrag sparen, aber im Schadenfall müssen Sie sich immer dem Vorwurf ausgesetzt sehen, dass Sie zwar fahrlässig, aber eben nicht grob fahrlässig gehandelt haben. Dann besteht kein Versicherungs-schutz. Die häufigsten Fehler sind aber fahrlässiger Natur.

Bitte sehen Sie sich daher Ihre Verträge genau an! Unser Haus bietet allen Mitgliedseinrichtungen der Bundesvereinigung Soziokultureller Zentren die Möglichkeit, sich kostenlos über die bestehenden Möglich-keiten beraten zu lassen oder bereits bestehende Verträge zu analysie-ren. Nutzen Sie die Gelegenheit. Schnell kann es passieren!

A N J A G A W A N D E , Mitarbeiterin in der Abteilung Jugend, Bildung, Kul tur und Freizeit der Bernhard Asse ku ranzmakler GmbH & Co. KG, T 08104.89 16-19, F 08104.89 17-19, [email protected]

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soziokultur 1|201224 AUS DEN LÄNDERN

N I E D E R S A C H S E N

Engagement belohnenInterview mit der niedersächsischen Ministerin für Wissenschaft und Kultur Prof. Dr. Johanna Wanka (CDU)

Seit April 2010 ist Prof. Dr. Johanna Wanka niedersächsische Ministerin für Wissenschaft und

Kultur. Zuvor war sie von 2000 bis 2009 Ministerin für Wissenschaft, Forschung und Kultur

des Landes Brandenburg. In dieser Funktion war sie 2005 Präsidentin der Kultusminis-

terkonferenz, sie gehört auch aktuell dem Präsidium an. In Niedersachsen hat sie für 2012

nicht nur eine deutliche Erhöhung des Kulturhaushaltes und der Soziokulturförderung er-

reicht, sondern auch ein Kulturentwicklungskonzept auf den Weg gebracht.

Frau Ministerin Wanka: Was war ihr erster oder wichtigster Zugang zu Kunst und Kultur?Für mich waren und sind Lesen und Literatur da-mit verknüpft, sich neue Welten, neue Themen, neue Informationen zu erschließen. Gleichzeitig ist das Lesen auch ein Vorgang, der zwischen Leser und Autor einen inneren Dialog in Gang setzt, der die Fantasie anregt und die eigene Kreativität entfacht. Dies ist besonders wichtig, wenn man wie ich in der DDR aufgewachsen ist und an bestimmten Inhalten gar nicht partizipie-ren durfte. Gleichzeitig ist diese Einflussnahme des Staates auch der Grund gewesen, warum ich nicht Literaturwissenschaften (was mein ei-gentlicher Wunsch war) studiert, sondern mich für Mathematik entschieden habe.

Im Urlaub bin ich begeisterte Krimi-Leserin, dabei kann ich mich gut entspannen. Und auch Kochbücher lese ich gern und probiere das Ge-lesene aus.

In welchen Kunst- und Kultureinrichtungen sind Sie regelmäßig zu finden?Auf der einen Seite habe ich qua Amt die Mög-lichkeit, an vielen unterschiedlichen Kulturver-anstaltungen teilnehmen zu dürfen. Anderer-seits finde ich es immer wieder spannend, neue Dinge zu entdecken. So ist mir beispielsweise erst in Niedersachsen bewusst geworden, dass Dangast an der Nordsee ein Ort der Moderne gewesen ist, der viele berühmte Künstler der Brücke angezogen und inspiriert hat. In Olden-burg war dazu eine großartige Ausstellung zu sehen, die mich sehr begeistert hat.

Sie haben zum Jahresende 2011 für eine deutliche Erhöhung der Soziokulturförde-rung gesorgt. Was haben Sie auf den Weg gebracht und warum?Als die jetzige Landesregierung 2003 ihre Auf-gaben übernommen hat, galt es, zunächst den

notwendigen Spar- und Konsolidierungskurs durchzuführen, um den Haushalt des Landes Niedersachsen wieder in geordnete Bahnen zu lenken. Von diesem Kurs war die Kultur, und, be-zogen auf ihre Frage, auch die Soziokultur nicht ausgenommen. Gleichzeitig bedeuten solche Einschnitte immer die Chance, sich neu zu struk-turieren und zu organisieren. Diese Möglichkeit haben sowohl das Land als auch die Soziokultur wahrgenommen. Das Land Niedersachsen hat die regionale Kulturförderung eingeführt, mit einer eigenen Sparte für die Soziokultur. Die Soziokultur hat sich in dieser Zeit auf das kon-zentriert, was sie besonders gut kann: mit flexi-blem Geschick aus wenig viel zu machen. Und dieses Engagement muss unterstützt werden. Dafür habe ich bei den Abgeordneten und dem Finanzminister geworben.

Soziokultur kann mit flexiblem Geschick aus wenig viel machen.

Das Ergebnis ist: Wir haben ein zweijähriges Investitionspro-

gramm in Höhe von 2 Millionen Euro aufgelegt, um den Sanierungs- und Renovierungsstau der soziokulturellen Zentren und Einrichtungen an-zugehen.

Aufgrund des erhöhten Beratungsbedarfs der Einrichtungen haben wir die bestehenden vier Beraterstellen der Landesarbeitsgemeinschaft Soziokultur etwas angehoben und eine zusätzli-che Stelle im Rahmen der institutionellen Förde-rung ermöglicht. Dafür erhält die Landesarbeits-gemeinschaft zusätzlich jährlich 60.000 Euro.

Um aber auch denen, die sich inhaltlich wei-terentwickeln wollen, eine programmatische Förderperspektive aufzuzeigen, haben wir die Stiftung Niedersachsen davon überzeugen kön-

nen, ein eigenes Programm für die Soziokultur aufzulegen. Dieses startet in Kürze. Dort sollen innovative Projekte gefördert werden, die sich u.a. mit Themen wie Integration, demografi-scher Wandel oder Kultur im ländlichen Raum befassen. Dafür stehen in den kommenden drei Jahren jährlich 150.000 Euro zur Verfügung.

Als Mathematikerin können Sie bestens mit Zahlen umgehen: Rechnet sich die Förde-rung von bzw. die Investition in Soziokultur? Welche „Renditen“ wirft sie ab?Sie rechnet sich auf jeden Fall und zwar mindes-tens im dreifachen Sinn:

Erstens werden die Sanierungen dazu bei-tragen, die Einrichtungen der Soziokultur mo-derner, zeitgemäßer werden zu lassen. Mit ei-ner besseren Ausstattung versehen, ist es den Einrichtungen leichter, eine zusätzliche Klientel zu finden, die Räume mietet oder Veranstaltun-gen durchführt. Damit können die Zentren auch mehr Einnahmen generieren. Gleichzeitig ver-doppelt sich jeder dort vom Land Niedersachsen eingesetzte Euro allein durch die Kofinanzierung der Kommune oder – wenn Sie wollen – verdrei-facht er sich auch, nämlich dann, wenn Sie wei-tere Förderer und Sponsoren einrechnen.

Zweitens sorgt das Programm der Stiftung Niedersachsen auch dafür, dass sich die perso-nelle Situation der Zentren, zumindest für den Projektzeitraum, verbessert, indem nämlich Vo-lontariate ausgelobt werden können und eine hälftige Finanzierung für ein Freiwilliges Sozia-les Jahr Kultur ermöglicht wird.

Und drittens sind die soziokulturellen Zentren aufgrund ihrer niedrigschwelligen Angebote, ihrer breiten Themenvielfalt und ihres Veranstal-tungsspektrums besonders geeignet, kulturelle Teilhabe und kulturelle Bildung zu ermöglichen. Kulturelle Bildung und kulturelle Teilhabe sind gleichzeitig auch vorrangige Ziele des Landes,

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soziokultur 1|2012 25AUS DEN LÄNDERN

und Niedersachsen hat mit der Soziokultur hier einen etablierten und kenntnisreichen Partner an seiner Seite.

Freie Kultur als sogenannte freiwillige Leistung, angespannte öffentliche Etats, geringe Kul turetats und noch dazu das Da-moklesschwert „Schuldenbremse“ auf der einen Seite, auf der anderen eine sehr akti-ve, aber Existenzkämpfen und Planungsun-sicherheiten unterworfene soziokulturelle Praxis. Wie ist dieses Dilemma zu lösen?Eine fertige Lösung kann ich Ihnen nicht präsen-tieren. Aus meiner Erfahrung kann ich nur sa-gen, dass sich öffentliche Haushalte nicht durch Einsparungen in der Kultur sanieren lassen, zumal, wenn diese Haushalte auf kommunaler Ebene oft weniger als ein Prozent des Gesamt-etats betragen. Wichtig ist es, die Vertreterinnen und Vertreter der kommunalen Parlamente da-von zu überzeugen, dass freiwillige Leistung nicht automatisch das Streichen kultureller Ein-richtungen bedeuten muss. Wenn eine Gemein-de einmal eine Bibliothek schließt, wird es dort in absehbarer Zeit keine neue mehr geben. Der Schaden, der mit einer Schließung angerichtet wird, ist um ein Vielfaches größer, als der Be-trag, der mit einer Schließung eingespart wer-den könnte. Und die Auffassung, einfach bei Bedarf Kulturangebote modulartig einkaufen zu können, greift zu kurz: Kulturangebote müssen vielmehr vor Ort wachsen.

Sie haben einen offenen Prozess für ein Kul-turentwicklungskonzept in Niedersachsen auf den Weg gebracht, um „den aktuellen und zukünftigen finanziellen und gesell-schaftlichen Herausforderungen sowie ver-änderten Rahmenbedingungen gerecht zu werden.“ Knapp formuliert, aber eine große Aufgabe mit vielen Facetten …Das Kulturentwicklungskonzept Niedersach-sen, kurz KEK, ist ein aufwendiges und durch-aus nicht einfaches, aber notwendiges Projekt, welches wir als Land initiiert haben. Nach der Vorstellung des ersten Kulturberichtes für Nie-dersachsen im November 2011 haben im Feb-ruar die ersten Gespräche hierzu stattgefunden. Bis zum Frühsommer 2012 finden insgesamt neun Gesprächsrunden beispielsweise mit Ver-treterinnen und Vertretern der Landschaften und Landschaftsverbände, der Hochschulen, Bibliotheken, Museen, Theater, der Kirchen und Religionsgemeinschaften, kommunalen Spitzen-verbände sowie aus Literatur, Musik und natür-lich der Soziokultur statt. An den zahlreichen Veranstaltungen, den sogenannten Konsulta-tionen, nehmen Verantwortliche aus weit über 100 kulturellen Organisationen, Einrichtungen,

Institutionen und Gruppen teil. Nach der Som-merpause werden die Gespräche auf vier Regio-nalforen in Oldenburg, Göttingen, Lüneburg und in der Region Hannover ausgeweitet.

Soziokulturelle Zentren sind besonders geeignet, kulturelle Teilhabe und kulturelle Bildung zu ermöglichen.

Mit Gesprächen und Konsultationen, die in die-ser Form bundesweit einmalig sind, wollen wir eine öffentliche Diskussion über die Entwick-lungschancen niedersächsischer Kultur anregen. KEK Niedersachsen soll in den kommenden Jah-ren kontinuierlich dazu beitragen, die kulturpo-litischen Ziele in Niedersachsen zu überprüfen. Dadurch wollen wir eine längerfristige konzep-tionelle Orientierung ermöglichen und eine Ver-ständigung mit wichtigen Dialogpartnern über Schwerpunkte, Strukturen, Kooperationen und Prozesse erreichen.

Was werden Sie für die Soziokultur weiter zu erreichen versuchen?Für mich gilt ganz klar: Die Soziokultur ist ein wichtiger Partner des Landes Niedersachsen. Für die kommenden zwei Jahre haben wir die finanzi-elle Situation deutlich verbessern können. Dieses gilt es zu halten und zu steigern. Das ist mein vorrangiges Ziel.

Was muss die Kulturpolitik der Zukunft lei-sten?Grundsätzlich ist mir wichtig, dass die Politik noch deutlicher erkennt, dass Kultur kein Zu-schussgeschäft ist, sondern den Standort eines Landes, einer Region, eines Ortes stärkt und auf-wertet. Kultur ist nicht allein ein Fördergeschäft, sondern auch ein Wirtschaftsfaktor. Besonders im Kulturtourismus sind längst nicht alle Potenziale ausgeschöpft. Und vergessen wir nicht: Kultur hat Deutschland zu dem gemacht, was es heute ist: eine Kulturnation mit den meisten, größten und besten Orchestern, Theatern und Museen dieser Welt. Aber, wir wissen auch, dass noch zu wenige der hier lebenden Menschen unsere Kulturange-bote besuchen, nutzen oder von ihnen partizipie-ren. Dies zu verbessern, daran sollten wir gemein-sam arbeiten, und hier ist die Soziokultur sicher weiter als manch großer Tanker der Kultur.

Das Interview führte B E R N D H E S S E , Vorsitzender der Bundesvereinigung Soziokultureller Zentren und Geschäftsführer der LAKS Hessen.

S A C H S E N - A N H A L T

Kulturschutzbund Magdeburg

Im Jahr 2007 hatte die Stadt Mag-deburg beschlossen, ein Kultur-stadtjahr auszurufen. An den ers-ten Treffen zur Planung beteiligten sich eine Reihe von Kultureinrichtungen. Magdeburg hat eine sehr breit gefächerte Kulturszene, die in großen Teilen von freien Trägern belebt wird. Aus finanziellen Gründen kam dann das plötzliche Aus für das geplante Kulturstadt-jahr. Schlimmer noch, in Zusammenhang mit den der Stadt vom Land aufgezwungenen Sparmaßnahmen war auch die Existenz vieler Kultureinrichtungen bedroht.

Die angekündigten Budgetkürzungen ver-anlassten eine Reihe von Kulturschaffenden, ein loses Netzwerk zu gründen, um öffentlich über Kultur zu diskutieren. Unter dem Namen Kulturschutzbund wurden die ersten Aktio-nen in der Stadt organisiert, z.B. das Ortsein-gangsschild von Magdeburg mit dem Zusatz „Kulturhauptstadt“ überklebt und Magdeburg zum „Kulturschutzgebiet“ ausgerufen. Um das Publikum auf die angespannte finanzielle Situation aufmerksam zu machen, wurde in Kulturveranstaltungen ein Offener Brief ver-lesen. Alle Mitglieder des Stadtrates wurden zu einer „Kulturlehrfahrt“ eingeladen, um die Kultureinrichtungen kennenzulernen. Diese Aktionen waren letztendlich von Erfolg ge-krönt. Denn der Stadtrat sprach sich mehr-heitlich gegen eine Kürzung des Kulturetats aus und erhöhte die Zuschüsse für die freie Kulturarbeit um mehrere Tausend Euro.

Mittlerweile wird im Stadtrat über Kultur ganz anders diskutiert, sie wird als wichtiger Faktor für die Stadtentwicklung angesehen. Der Kulturschutzbund arbeitet weiterhin ak-tiv an einer Vernetzung der Kulturszene und organisiert gemeinsame Kulturveranstaltun-gen. So findet 2012 bereits zum fünften Mal das Fest „Ekmagadi“ statt.

Um den kulturpolitischen Diskurs nicht aus dem Auge zu verlieren, lädt der Kulturschutz-bund im Frühjahr zum ersten KulturSalon ein. Vielleicht leisten die unterschiedlichen Aktio-nen des Kulturschutzbundes einen Beitrag, dass die Bewerbung der Stadt Magdeburg zur europäischen Kulturhauptstadt im Jahr 2020 erfolgreich verläuft.

N A D J A G R Ö S C H N E R , Geschäftsführerin des Kulturzentrums Feuerwache, Magdeburg.

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soziokultur 1|201226 AUS DEN LÄNDERN

B A D E N - W Ü R T T E M B E R G

Die Würfel sind gefallenNeue grün-rote Landesregierung löst 15-jähriges Versprechen ein

Fünfzehn Jahre nach Einführung des Haus-haltstitels „Laufende Programmarbeit“ wird 2012 die versprochene 2:1 Förderung (ge-messen Kommune an Land) für die meisten soziokulturellen Zentren und Kulturinitiati-ven umgesetzt, verbunden mit einer Förder-höchstgrenze von 350.000 Euro Landesför-derung für einzelne Zentren. Dies bedeutet, dass das Land Baden-Württemberg seine Förderung von knapp 2 Mio. Euro auf knapp 3,3 Mio. Euro jährlich aufstocken wird. Der Weg hierher war beschwerlich, da eine Haus-haltskürzung im Jahr 2004 den kontinuierli-chen Schritt zur Umsetzung für mehrere Jahre verzögert hatte. So sank der Prozentsatz von 45,4% im Jahr 2000 auf 30,8% im Jahr 2011. Der starke prozentuale Rückgang der Landes-mittel entstand, obwohl ab 2007 eine stetige monetäre Erhöhung stattfand. In den letzten Jahren zeigten sich die beteilig ten Kommune finanziell engagierter und stockten die Haus-haltstitel für die Zentren auf. Parallel zu die-ser Entwicklung wurde 2009 der sogenannte „closed shop“ geöffnet, sodass auch bisher nicht berücksichtigte soziokulturelle Zentren und Initiativen bei der Landesförderung be-dacht werden konnten.

Mit dieser Entscheidung hat die Landesre-gierung ihr Wort gehalten und ermöglicht den Einrichtungen die lange Zeit vernach lässigten Anpassungen an notwendige Strukturen und soziale Leistungen für ihre Mitarbei terInnen. Selbst ver ständlich wird diese finanzielle Auf-stockung auch verstärkt Eingang finden in die vielfältige kulturelle Arbeit der Zentren, die weit über den Veranstaltungsbetrieb hi-nausgeht. Der Spielraum für aktuelle gesell-schafts politische Querschnitts themen, wie kulturelle Bildung und Interkultur, kann ver-größert werden. Es werden mehr Möglichkei-ten für Kooperationen mit freien KünstlerInnen unterschiedlicher Sparten umgesetzt werden können wie Probe- und Premierenbühnen für bisher weniger bekannte KünstlerInnen, Experimen tier felder für innovative Kunstgen-res und verstärkte Freiräume für engagierte Kunst- und Kulturinteressierte.

I L O N A T R I M B O R N - B R U N S, G es ch ä f ts-führerin der LAKS Baden-Württemberg e.V.

M E C K L E N B U R G - V O R P O M M E R N

Entwickelt und etabliert20 Jahre Landesarbeitsgemeinschaft Soziokultur

U W E KÖ H N K E

Im vergangenen Jahr wurde die Landes-arbeitsgemeinschaft (LAG) Soziokultur in Mecklenburg-Vorpommern 20 Jahre alt. Das

war Anlass für eine Geburtstagsveranstaltung im Ludwigsluster Freizeitzentrum Zebef am 25. November 2011. Ziel sei es im Gründungs-jahr 1991 gewesen, „die Vereine und Initiativen zu vernetzen, Erfahrungen auszutauschen, Fort-bildungen zu organisieren und die Interessen der freien Kulturszene gegenüber der Öffentlich-keit sichtbar zu machen.“ An diesen Anspruch erinnerte die stellvertretende Vorsitzende der LAG, Gerlinde Brauer-Lübs.

Mit Rück-, Ein- und Ausblicken beschäftig-te sich eine Podiumsdiskussion, an der sowohl Brauer-Lübs als auch die Landtagsabgeordne-ten Jacqueline Bernhardt (Die Linke) und Maika Friemann-Jennert (CDU) teilnahmen und die von dem Journalisten Jürgen Seidel moderiert wur-de. Soziokultur sichere die Zukunft der Gesell-schaft, denn sie fördere die Demokratisierung, so nannte es Brauer-Lübs – eine Aussage, die breite Unterstützung findet, die sich allerdings im landespolitischen Bewusstsein nur am Rande widerspiegelt. 470.000 Euro sind im Landes-haushalt für soziokulturelle Projekte vorgese-hen, 470 Vorhaben liegen auf dem Tisch, pro Projekt also 1.000 Euro – absolut zu wenig.

Was die Ausgaben für die Kultur betrifft, liegt Mecklenburg-Vorpommern auf dem vorletzten Platz in der Bundesrepublik. 0,9 Prozent des Haushaltsvolumens werden zwischen Elbe und Oderhaff dafür ausgegeben. Sollte Kultur eine Pflichtaufgabe bei den Landesausgaben sein? war die Frage an die beiden Landtagsabgeord-neten. „Ja“, antwortete Jacqueline Bernhardt. Maika Friemann-Jennert entgegnete, sie sei per-

sönlich dafür, halte eine Umsetzung aber nicht für realistisch. Immerhin diente der Tag in Lud-wigslust auch dem gegenseitigen Kennenlernen der Akteure und ihrer Vorhaben.

0,9% des Haushalts- volumens werden für Kultur ausgegeben.

Nach 20 Jahren schätzen die Macher ein, dass die Soziokulturszene im Lande entwickelt und etabliert ist. Mecklenburg-Vorpommern ist ein Flächenland mit wenig Infrastruktur im ländli-chen Raum. Der demografische Wandel schlägt zudem zu Buche. Auch in den kleinen und größe-ren Städten seien soziokulturelle Zentren – wie das Zebef in Ludwigslust – unverzichtbar, weil sie oft der einzige Ort für Kommunikation seien, konstatierte Gerlinde Brauer-Lübs. „Das viel-schichtige niedrigschwellige Angebot ermöglicht die Teilhabe an kultureller Bildung, greift die In-teressen der Besucher auf und bezieht sie ein.“ Als Geburtstagsgeschenk von der Landesregie-rung gab es 4.000 Euro zusätzliche Fördermittel. Die Hälfte wird technischer Ausstattung zugute kommen, die andere dient der Unterstützung der landesweiten Aktion „Soziokultur spielt auf – Tage der kulturellen Grundversorgung in MV“, die seit 2007 jährlich stattfindet. Insgesamt wer-den in diesem Jahr 85.500 Euro für landesweite Projekte ausgegeben.

Abb.: Maika Friemann-Jennert (CDU), Ingulf Donig (SPD),Gerlinde Brauer-Lübs, Jacqueline Bernhard (DIE LINKE) und LAG-Geschäftsführerin Gudrun Negnal (v.l.n.r.). Foto: Jürgen Seidel |Gekürzter Nachdruck aus der Schweriner Volkszeitung/Ludwigsluster Tageblatt vom 26./27. November 2011

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soziokultur 1|2012 27 AUS DEN LÄNDERN

B E T T I N A R Ö S S G E R

Der Thüringer Landeshaushalt 2012 war im Dezember kaum beschlossen worden, da verordnete Finanzminister Wolfgang

Voß, 20% der „disponiblen“ Mittel einzufrieren: Gelder, die nicht durch Gesetze oder Programme gebundenen sind und Vereinen, Institutionen oder Festivals zugesagt worden waren. Um 60 Millionen Euro ging es dem Minister – als soge-nannte Bewirtschaftungsreserve. Sie betrifft alle Ressorts, von der Kultur bis zur Wirtschaft.

Der Erlass hatte für erhebliche Kritik gesorgt, vor allem bei Kultureinrichtungen und -verbän-den, sozialen Institutionen und der Landtags-opposition, aber auch in Ministerien der Koali-tionsregierung, denn die von der SPD geführten Ressorts für Bildung und Kultur sowie Soziales waren besonders betroffen.

Nun einigten sich am 21. Februar 2012 die VertreterInnen der Landesregierung auf einen Kompromiss: Nicht 60 Millionen, sondern „nur“ 41 Millionen müssen bis zur Steuerschätzung im Mai zurückgehalten werden. Wie, das bleibt den Ressorts überlassen. Kultusminister Christoph Matschie ist optimistisch. In seinem Haushalt beträfe das derzeit 4,7 Millionen Euro. An den großen überregional bedeutenden Projekten wolle er nicht sparen.

Die Kürzung gefährdet mehr als 80 Zentren und Projekte.

Die aktuelle Lockerung der „kleinen Haushalts-sperre“ geht jedoch den Betroffenen der sozio-kulturellen und freien Szene Thüringens nicht weit genug, denn hier ist damit wenig gewon-nen. Gerade vor dem Hintergrund der Gesamt-haushaltslage, einschließlich der in den Kommu-nen, besteht besonderer Handlungsbedarf. Die meisten Träger und Projekte haben knapp kalku-liert und sind auf die volle Unterstützung ange-wiesen. So sind die kontinuierliche Kulturarbeit

zahlreicher Vereine ebenso wie regional bedeutende Projekte der Soziokul-tur in Thüringen gefährdet. Mit Bekanntwerden der Bewirtschaftungs reser ve haben die Landes-arbeitsgemeinschaften So ziokultur Thüringen e.V., Spiel und Theater in Thüringen e.V. und der Thüringer Theaterverband e.V. einen offenen Brief an Finanzminister Voß verfasst und ihn aufgefordert, rasch die avisierten Gespräche mit Kultusminister Matschie zu führen und die Kür-zungsauflagen zurückzunehmen.

Hier Auszüge aus diesem offenen Brief, dem diverse Protestaktionen folgen werden:

Bleibt die verhängte Bewirtschaftungs-re serve von 20% bestehen, kommt es in den Be reichen der Soziokultur sowie der freien Theaterszene zu gravierenden Einschnitten, die letztlich nicht allein geplante Projekte, sondern vielmehr die Kontinuität der Angebote für enga-gierte Kinder, Jugendliche und Bürger wie auch für benachteiligte Schichten in der Bevölkerung gefährden. Dies ist kulturpolitisch und gesell-schaftlich ein katastrophales Signal, dessen Auswirkung für die freie Kulturszene und das bürgerschaftliche Engagement in Thüringen ver-heerend ist. Die Kürzung führt zur Existenzge-fährdung von über 80 soziokulturellen Zentren, Bühnen und Kulturprojekten in ganz Thüringen.

Nachdem insbesondere der breiten- und soziokulturelle Bereich seit mehreren Jahren substantielle Einschnitte erfahren hat, ist die Arbeitsfähigkeit von unzähligen Einrichtungen bei einer so eklatanten Kürzung nicht länger sichergestellt.

Die kleine Haushaltssperre bringt tiefe struk-turelle Einschnitte mit sich, da es in den Ein-richtungen und bei den Projektträgern keine Ressourcen gibt, mit denen eine solche Kürzung abgefangen werden kann. Selbst wenn im Laufe des Jahres die Gelder freigegeben werden, hilft das wenig, da die aktuelle und kontinuierliche Handlungsfähigkeit der Einrichtungen bedroht ist. Die Einrichtungen und Vereine brauchen Pla-nungssicherheit.

Die im Zuge der Erarbeitung des Thüringer Kul-turkonzeptes deutlich formulierte Bedeutung der kulturellen Bildung wird mit dieser Entscheidung des Finanzministers deutlich negiert. Die in die-sem Sinne aktive, freie kulturelle Szene sieht ihr bürgernahes, soziales und freiwilliges Engage-ment bedroht. Auch die besondere Bedeutung des ehrenamtlichen Engagements, die kulturpo-litisch längst erkannt ist, wird dadurch gravierend beschädigt. Die wichtige Rolle unserer Einrichtun-gen für ehrenamtliches und freiwilliges Engage-ment in Thüringen (bei über 2.000 ehrenamtlich Aktiven und über 550.000 geleisteten Ehren-amtsstunden jährlich) wird somit gleichermaßen negiert. Kulturelles ehrenamtliches Engagement braucht hauptamtliche Führung und eine finan-zielle Absicherung. Dazu gibt es keine Alternative, weitere Einschnitte sind nicht zu verkraften.

Wir sehen hierzu dringenden Klärungsbedarf und fordern den Finanzminister Wolfgang Voß auf, die beabsichtigten Gespräche mit dem Kultusmi-nister Christoph Matschie schnellstmöglich zu füh-ren und die Kürzungsauflagen, insbesondere für die Projektförderung der kulturellen freien Szene, zurückzunehmen.

Unterzeichnet ist das Protestschreiben von den Vorsitzenden der genannten Landesarbeitsge-meinschaften und -verbände. Inzwischen haben sich weitere Kulturverbände in Thüringen ange-schlossen. Eine Antwort liegt bisher nicht vor. Die soziokulturelle und freie Szene ist weiter in der Warteschleife. Eine Nachfrage der Opposi-tion im Thüringer Landtag wurde mit der Aussa-ge begründet, man könne aus wirtschaftlichen und personellen Gründen nicht auf jeden Post-eingang reagieren. Wir werden Kultusminister Matschie an seine Worte „Soziokultur ist Chef-sache“ erinnern!

Abb.: Postkartenaktion zur Bewirtschaftungs-reserve (2012), Entwurf: Mathias Baierr

BETTINA RÖSSGER ist Geschäftsführerin der LAG Soziokultur Thüringen e.V..

T H Ü R I N G E N

Es brennt!Bewirtschaftungsreserve bedroht Soziokulturin Thüringen

wie regional bedeutende Projekte der Soziokul Die im Zuge der Erarbeitung des Thüringer Kul

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soziokultur 1|201228 AUS DEN LÄNDERN

L A N D A U F . L A N D A B

N O R D R H E I N - W E S T FA L E N

Kulturrucksack ist gepacktDas Ministerium für Familie, Jugend, Kultur und Sport des Landes Nordrhein-Westfalen startete im November 2011 das Programm „Kulturrucksack NRW“ als landesweiten Wettbewerb für Kommunen und interkom-munale Bündnisse. Gemeinsam mit den lokalen Trägern der Jugendarbeit und Kul-tureinrichtungen erarbeiten diese attraktive kulturelle Bildungsangebote, die Kindern und Jugendlichen von zehn bis 14 Jahren ermög-lichen, sich kreative Fähigkeiten altersgerecht anzueignen. Die kommunalen Angebote sol-len neu, gut erreichbar und kostenlos bzw. deutlich kostenreduziert sein. Hierfür stellt das Land, das den „Kulturrucksack“ ressort-übergreifend als Projekt der Kinder- und Ju-gendpolitik angeregt hat, jährlich rund 3 Mio. Euro zur Verfügung. Die beteiligten Kommu-nen erhalten 4,40 Euro pro Kind oder Jugend-lichen. Begleitet und unterstützt werden die 28 Pilotkommunen des Auftaktjahres 2012 durch die Koordinierungsstelle, die zum Pro-grammstart bei der LAG Kulturpädagogische Dienste/Jugendkunstschulen NRW eingerich-tet worden ist. | www.kulturrucksack.nrw.de

B A D E N - W Ü RT T E M B E R G

Karlstorbahnhof Heidelberg wurde Preisträger im Wettbewerb „365 Orte im Land der Ideen“Im bundesweit ausgetrage nen Innovations-wettbewerb „365 Orte im Land der Ideen“ erhielt das Kulturhaus Karlstorbahnhof e.V. für sein Musikfestival „prêt à écouter“ die Auszeichnung als „Ausgewählter Ort 2011“. Beim Empfang der 48 Preisträger aus Baden-Württemberg im Neuen Schloss in Stuttgart beglückwünschte Ministerpräsident Winfried Kretschmann das Kulturhaus Karlstorbahnhof für seine Leistungsfähigkeit: „Sie stehen mit Ihren Ideen und Projekten exemplarisch für die Innovationskraft und das Engagement im Land“.

Das Festival „prêt à écouter“ will das Ver-ständnis von Musik und Kultur erweitern und ein Bewusstsein für subkulturelle Bewegun-gen schaffen. Dort treten KünstlerInnen und Bands auf, die konventionelle Strukturen der Musik verlassen und einen ganz eigenen Stil entwickelt haben. | www.karlstorbahnhof.de

B A D E N - W Ü R T T E M B E R G / S C H L E S W I G - H O L S T E I N

BECC* auf bundesdeutschDie GeschäftsführerInnen der Landesverbände soziokultureller Zentren nahmen die Idee

eines Mitarbeiteraustauschs, wie ihn das ENCC, das European Network of Cultural Centres,

seit einigen Jahren praktiziert, als Anregung: Sie vereinbarten einen dialogischen Austausch

auf Landesebene. JedeR GeschäftsführerIn ist mehrere Tage in einer anderen Geschäfts-

stelle zu Gast. Wer wohin fährt, wurde ausgelost. Und so reiste Ilona Trimborn-Bruns im

November für drei Tage von Pforzheim nach Husum.

I L O N A T R I M B O R N - B R U N S

Ich besuchte meinen schleswig-holsteinischen Kollegen Günter Schiemann. Die große räum-liche Distanz von über 800 Kilometern zwi-

schen den Geschäftsstellen spiegelt sich zwar in der unterschiedlichen Landesfinanzierung der einzelnen Zentren wider, inhaltliche Komponen-ten der soziokulturellen Arbeit sind aber durch-aus deckungsgleich.

Natürlich kommen Besonderheiten der Bun-desländer in den Zentren zum Ausdruck. Schles-wig-Holstein ist das nördlichste Bundesland und grenzt an Dänemark. Gerade in Flensburg ist eine starke dänische Minderheit vertreten, die in einem eigenen Kulturhaus dänisches kulturelles Erbe hochhält. Hier lernte ich Gaby Günther ken-nen, eine engagierte Mitarbeiterin, die mir das Aktivitetshuset vorstellte. Hervorragend ausge-stattete Kreativ- und Musikräume laden zum künstlerischen und musikalischen Tun ein. Nach persönlicher Einführung in die zahlreichen und hochwertigen Maschinen, technischen Geräte und Materialien erhält der Nutzer/die Nutzerin einen „Führerschein“, der ihn/sie befähigt, zu jeder Tages- und Nachtzeit die Kreativwerk-stätten zu nutzen. Für musikalische Aktivitäten stehen Schlagzeug, Aufnahme- und Tonraum zur Verfügung. Vertrauen wird groß geschrieben.

Die Geschäftsstelle der LAG Soziokultur Schles-wig Hostein verfügt wie die baden-württembergi-sche über einen hauptamtlichen Geschäftsführer. Finanzierung und inhaltliche Gestaltung sind

zwar nicht kongruent, aber was Lobby-, Öffent-lichkeits- und Beratungsarbeit betrifft, schon in vielem gleich. Günters Personalkosten – halbe Stelle für Geschäftsführung und viertel Stelle für Projektarbeit – werden über institutionelle und Projektförderung des Landes Schleswig-Holstein finanziert. Mir war vergönnt, die Theatervorstel-lung „Pinocchio“ von der Companie Voland in-nerhalb der Projektreihe „Kindertheater des Mo-nats“ der LAG zu besuchen, die beim Husumer Kooperationspartner, im Haus der Jugend, statt-fand, und anschließend in gemütlicher Runde dem einen oder anderen Schnack beizuwohnen.

Angestrebt wird die stärkere Kooperation der Landesgeschäftsstellen.

Was ist mein Resümee? Hat sich die weite Fahrt gelohnt? Ja, es ist eine viel sinnlichere und da-her eindrucksvollere Erfahrung vor Ort. Fragen zu Entscheidungen der Vergangenheit, aktuelle Themenstellungen und zukünftige Vorgehens-weisen können in zwei Tagen natürlich nicht ausreichend erörtert werden, aber es entsteht ein zwischenmenschlicher Kontakt, eine Ein-schätzung der Persönlichkeit, die eine zukünfti-ge Zusammenarbeit sicherlich erleichtert. Und dies, die stärkere Kooperation unserer Landes-geschäftsstellen, wird von allen angestrebt, da wir schon lange wissen, Soziokultur braucht eine starke Stimme mit vielen fachlichen Nuancen.

* Das „BECC – Bridge of European Culture Centers“ ist das europäische Mitarbeiteraustauschprogramm, das das European Network of Cultural Centres seit 2008 durchführt. Näheres dazu unter www.encc-becc.eu. Siehe auch soziokultur 3/11, S. 14.Abb.: Ilona Trimborn-Bruns, Günter Schiemann

I L O N A T R I M B O R N - B R U N S is t Geschäftsführerin der LAKS Baden-Württemberg.

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soziokultur 1|2012 29

N I E D E R S A C H S E N

AUS DEN LÄNDERN

Eine Stadt braucht vor allem Gegensätze, eine Balance zwischen Chaos und Ord-nung. Sie braucht Viertel, in denen es vor Energie vibriert, genauso wie gemütliche Ecken und Parks, besonders gepflegte bür-gerliche Teile, ebenso wie eine alternative Szene, Technologiezentren für die innova-tive Jugend wie soziale Einrichtungen für

die Älteren. Charles Landry, Spiegel 34/2007

EtageEinsHochschulkooperation des Pavillon Hannover

S U S A N N E M Ü L L E R - J A N T S C H

Die Bürgerinitiative Raschplatz e.V., der Trägerverein des Kulturzentrums Pavillon in Hannover, plant den Ausbau der ersten

Etage des Pavillons. Der Verein verfolgt damit ein bestechendes, innovatives Konzept. Dem betrieb-samen Kulturzentrum wird ein eigener Bereich für die ständige Kooperation mit niedersächsischen Hochschulen angegliedert. Gestalterische und kulturwissenschaftliche Studiengänge der Hoch-schulen sollen Praxissemester, Projekte, die sich auf den urbanen Raum beziehen, und an die Öf-fentlichkeit gerichtete Bildungsangebote in den neuen Räumen realisieren.

Dieses Vorhaben stellt sich sowohl für das Kul-turzentrum als auch für die Hochschulen als Win-win-Situation dar:

Die Hochschulen erhalten eine intensive Verzahnung mit dem Praxisfeld Kultur und entsprechen damit der Forderung nach praxisnaher Ausbildung.

Für die Hochschulen eröffnet sich ein Schaufenster in die Stadtgesellschaft.

Die Stadtgesellschaft profitiert von den Angeboten des Bildungsträgers Hochschule.

Im Kulturzentrum kommen innovative Im-pulse aus Studienprojekten zur Geltung.

Die Verknüpfung einer städtischen bürgerna-hen Einrichtung mit Landesinstitutionen ent-spricht dem Profil der Stadt Hannover als Lan-deshauptstadt Niedersachsens. Die geplante Hochschulkooperation als ständiger Bestandteil des Kulturzentrums ist ein landes- und bun-desweit modellhaftes Vorhaben. Es zeigt einen praktischen Weg in die bürgernahe Wissensge-sellschaft der Zukunft und gestaltet die Schnitt-stelle zwischen Wissenschaft, Bildung und Stadtgesellschaft.

Für Hannovers Kultur- und Bildungslandschaft profiliert sich eine starke Dreiheit, die lokal, überregional und international ausstrahlt. Das Herrenhäuser Schloss wirkt künftig als interna-tionales Wissenschaftsforum und das erweiterte Sprengel-Museum als überregional bedeutsa-mer Kunstmagnet. Der Pavillon als Zentrum für Kultur und Bildung ist Gestalter der bürgerna-hen Beteiligungskultur.

Die Kooperation zeigt einen Weg in die bürger-nahe Wissensgesellschaft.

Der Trägerverein des Kulturzentrums Pavillon ist bereit, aus eigenen Mitteln mit Unterstützung der Mitglieder und mit Unterstützung von Part-nern aus der Stiftungslandschaft und aus dem Bereich des wirtschaftlichen Sponsorings einen zukunftsweisenden Weg zu beschreiten. Mit den städtischen Mitteln für den Ausbau des Veran-staltungsbereiches im Erdgeschoss ist ein wich-tiger Meilenstein für die Zukunft des Standortes für Bildung und Kultur am Raschplatz gesetzt. Mit der Erhaltung der ersten Etage wertet der Trägerverein aus eigener Initiative den Standort bedeutend auf.

Das Raumprogramm der EtageEins umfasst: vier Seminarräume (243 qm) Verwaltungsbereich der Bürgerinitiative

Raschplatz e.V. (219 qm) Bürobereich weiterer Bildungs- und Kultur-

anbieter (290,5 qm) Gemeinschaftsflächen (282 qm)

Das Finanzierungskonzept berücksichtigt Bei-träge von Förderern und Sponsoren sowie einen Eigenanteil der Bürgerinitiative Raschplatz e.V.

Die Basis für die Planungen wird gewährleistet durch die Sanierung des Erdgeschossbereiches aus städtischen Mitteln.

Für drei Seminarräume sollen Mittel von Sponsoren eingebracht werden.

Der Ausbau eines Seminarraumes soll aus Mitteln der niedersächsischen Klosterkam-mer beantragt werden. Fast 50% der Kos-ten sollen durch einen Baukredit, den die Bürgerinitiative Raschplatz e.V. aufnimmt, finanziert werden. In Vorgesprächen mit der Sparkasse Hannover wurde ein Baukredit in Aussicht gestellt. Er soll durch Mieteinnah-men von Partnern aus dem Bereich Bildung, Kultur und Soziales getilgt werden.

Mittel für den barrierefreien Ausbau durch die Aktion Mensch sind bewilligt worden und in einem Zeitraum von zwei Jahren abrufbar. Aus dem Fonds für barrierefreien Ausbau steuert die Stadt Hannover einen weiteren Anteil bei.

Das Ministerium für Wissenschaft und Kultur fördert den Ausbau soziokultureller Zentren mit einem Sonderfonds in den Jahre 2012 und 2013 (siehe auch Seite 24/25). Hieraus soll ein weiterer Anteil beantragt werden.

www.pavillon-hannover.de

S U S A N N E M Ü L L E R - J A N T S C H is t im Pavillon Hannover als Geschäftsführerin und Verantwortliche für den Bereich Gesellschaft und Politik tätig.

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soziokultur 1|201230 KURZ&KNAPP

LITERATUR

Jahrbuch für Kulturpolitik 2011. Band 11 – Thema: Digi-talisierung und Internet | Bernd Wagner, Institut für Kulturpolitik der Kulturpolitischen Gesellschaft (Hg.) | Die Digitalisierung der Informationsverarbeitung und der medialen Kommunikation hat unsere Lebens- und Arbeits-welt grundlegend verändert. Kultureinrichtungen und -politik stehen durch die Digitalisierung vor großen Herausforderungen. In diesem Jahrbuch wird die Digita-lisierung mit Blick auf ihre Folgen für die Kultur, ihre Sparten und Formate und die kulturpolitischen Herausforderungen diskutiert. Den Kern des Jahrbuches bilden die Beiträge des 6. Kulturpoliti-schen Bundeskongresses „netz.macht.kultur.“ | Klartext Verlag, Essen 2011, 498 Seiten, ISBN 978-3-8375-0615-0 | 19,90 Euro

Zur Verfassung Europas. Ein Essay | Jürgen Habermas | Die anhaltende Euro-Krise und die halbherzigen, oft populistischen Reaktionen der Politik lassen ein Scheitern des europäischen Projekts als reale Möglichkeit erscheinen. Habermas verteidigt Europa gegen die sich ausbrei-tende Skepsis. Denkblockaden in Bezug auf die Transnationalisie-rung der Demokratie räumt er aus, indem er den Einigungsprozess in den langfristigen Zusammenhang der Verrechtlichung und Zivilisie-rung staatlicher Gewalt einordnet. An die Politik richtet er den Appell, das bisher hinter verschlossenen Türen betriebene europäische Pro-jekt auf den Modus eines lärmend argumentierenden Meinungs-kampfes der breiten Öffentlichkeit umzupolen. | Suhrkamp Verlag, Berlin 2011, 140 Seiten, ISBN 978-3-518-06214-2,14,00 Euro

Künstlersozialversicherungs-gesetz – Hintergründe und aktuelle Anforderungen | Deutscher Kulturrat (Hg.), Olaf Zimmermann, Gabriele Schulz | In der Künstlersozialversicherung sind freiberufliche Künstler und Publizisten kranken-, pflege- und rentenversichert und damit in das gesetzliche soziale Sicherungssystem integriert. Die Hälfte der Beiträge wird von ihnen erbracht, die andere Hälfte durch die Künstlersozial-abgabe sowie den Bundeszu-schuss. Dieses Buch informiert über Entwicklung, Grundsät-ze und Reformschritte der Künstlersozialversicherung. Die Autoren stellen den Arbeits-markt Kultur vor und bereiten aktuelle Daten zur wirtschaft-lichen und sozialen Lage von Künstlern und Publizisten auf. | 224 Seiten, ISBN 978-3-00-020400-5, kostenlos beziehbar mit der Bestell-Nr. A299 beim Bundesministeri-um für Arbeit und Soziales

infodienst – Das Magazin für kulturelle Bildung | Nr. 102: Die Lebenszeitfalle – Plädoyers für Entschleuni-gung | Viele Menschen, gerade in künstlerisch-kreativen Berufen oder im Management von Kultur- und Jugendeinrichtungen, stehen permanent unter Druck. Für die „gute Sache“ gehen sie an die eigenen Belastungsgrenzen. Zeitforscher geben wertvolle Tipps für ganz persönliche Strategien gegen Zeitdiebstahl. Manchmal hilft es schon, eigene Zeitrituale zu entwickeln. Die Autoren unterstreichen eindringlich, wie wichtig es für den Lernprozess bei Erwachse-nen wie auch bei Kindern ist, sich ganz ohne Druck auf eine Sache konzentrieren zu können. Zahlreiche Anleitungen zur Muße finden sich in dieser Ausgabe. | LKD Verlag, Unna 2012, 48 Seiten, 8,00 Euro zzgl. Versand, Bezug über [email protected]

ARCHIV für Wissenschaft und Praxis der sozialen Arbeit | Diversity Management und soziale Arbeit | Kann und soll die Strategie des Diversity Managements für den sozia-len Bereich nutzbar gemacht werden? Was bedeutet sie für die Träger sozialer Arbeit und für die Fachkräfte? Ist sie geeignet zur Förderung sozialer Gerech-tigkeit? Die Beiträge in dieser Fachzeitschrift führen in den Diskurs ein und stellen Ansätze aus vielfältigen Praxisbereichen vor. | Lambertus Verlag, Freiburg 2012, 104 Seiten, 14,50 Euro, Bezug über [email protected]

Der Kulturinfarkt. Von allem zu viel und überall das Gleiche |Dieter Haselbach, Armin Klein, Pius Knüsel, Stephan Opitz | Vier führende Kulturexperten entlarven den Mythos vom Kulturstaat und ziehen gegen die Auswüchse der Subventionskultur zu Felde. Denn das oberste Ziel öffentlicher Kultur einrichtungen ist nicht Kunst oder Innovation, sondern der schiere Selbsterhalt. Das kulturpolitisch so erfolgreiche Programm einer „Kultur für alle“ war Höhepunkt der bürgerlichen Bildungsutopie. Kunst und Kultur können weder individuelle noch kollektive Glücksversprechen erfüllen und erlösen nicht von den Zumutungen der Globalisie-rung. Vielmehr spaltet öffentlich geförderte Kultur die Gesellschaft. Wer einen Diskurs über die Ziele öffentlicher Kulturaus-gaben möchte, trifft auf eine harte Lobby: Gegen Kultur darf niemand sein und alles, was ist, muss bleiben. Die Autoren fordern Verzicht: Derzeit fördern wir Lobby und Institutionen – nicht die Kunst. | Knaus Verlag, München 2012, 288 Seiten, ISBN 978-3-8135-0485-9, 19,99 Euro

Medien der Literatur. Vom Al-manach zur Hyperfiction | Wie steht es um das komplexe Zusam-menspiel zwischen Literatur und

Medien, von denen sie im Laufe ihrer Geschichte vom 18. Jahrhun-dert bis zur Gegenwart übertragen wurde? Die Beiträge beschäftigen sich mit Print-, akustischen, audiovisuellen und elektronischen Medien und untersuchen dabei sowohl die Materialität literari-scher Kommunikation – und damit auch die Frage, ob und inwiefern Medien Einfluss auf literarische Darstellungsformen nehmen – als auch Medien als Bezugs- und Darstellungsobjekte litera-rischer Texte. | transcript Verlag, Bielefeld 2010, 978-3-8376-1675-0, 298 Seiten, 29,80 Euro

50 Schlüsselideen Literatur | John Sutherland | Das Werk liefert eine grundlegende Einführung in alle wichtigen Formen, Begriffe, Themen und Strömungen der Literatur. Es bietet einen klaren, pointierten und umfassenden Überblick über Theorien, die sich mit dem Wesen von Sprache und Bedeutung auseinandersetzen, und skizziert die Gedanken hinter zentralen literarischen Begriffen wie Postmoderne, Semiologie, Postkolonialismus und Strukturalismus. Das leicht lesbare, unterhaltsame und informative Buch ist ideal, um die Literaturwissenschaft (wieder) zu entdecken. | Springer Verlag, Heidelberg 2012, 208 Seiten, ISBN 978-3-8274-2899-8, 24,95 Euro

Der Buchmarkt als Kommu-nikationsraum. Eine kritische Analyse aus medienwissen-schaftlicher Perspektive | Anke Vogel | Thematisiert werden die Wechselwirkungen zwischen Medien und Kommunikations-prozessen sowie die medien-ökonomische Relevanz von

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soziokultur 1|2012 31KURZ&KNAPP

NETZ

Kommunikation im Buchmarkt, der als Schnittstelle zwischen Kultur und Wirtschaft verortet wird. Die Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Kom-munikationsformen zeigt auf, welche Chancen sich für die Buchbranche aus den neuen Technologien ergeben; sie verdeutlicht zugleich die Risiken, die durch den Markteintritt neuer Intermediäre wie Amazon, Apple oder Google für die traditionellen Akteure entstehen: Im Kommu-nikationsraum Buchmarkt kann in Zukunft nur bestehen, wer die Möglichkeiten zur Vernetzung nach allen Seiten wahrnimmt. | VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2012, 387 Seiten, ISBN 978-3-531-18387-9, 49,95 Euro

Europa liest – Literatur in Europa | Institut für Auslands-beziehungen, Robert Bosch Stiftung (Hg.) | Nur ein kleiner Prozentsatz der Titelproduktionen der Nachbarländer steht uns als Übersetzung zur Verfügung. Kann man überhaupt von einer europä-ischen Literatur sprechen, wenn mangels Übersetzungen kaum ein Literat europaweit gelesen wird? Welche Rolle spielt die Literatur für die Identität Europas? Bürden wir ihr zu viel auf, wenn wir sie als

„Packesel“ für kulturelle Vielfalt und interkulturellen Dialog be-trachten? | Kulturreport Fortschritt Europa | ifa Verlag, Stuttgart 2010, 208 Seiten, ISBN 978-3-921970-99-7 | Bezug über www.ifa.de/pub

Ereignis Literatur. Institutio-nelle Dispositive der Perfor-mativität von Texten | Literatur in ihrer fixierten textuellen Form ist das Produkt von Kultur-techniken, deren interpretative

Dimension in diesem Band analysiert wird. Die Techniken der Autorisierung und Lesbarmachung von Texten in der literarischen Kommunikation sind auch als Institutionen aufzufassen, deren historische, kulturelle, mediale und öffentlichkeitsbedingte Kontexte in diesem Buch befragt werden. Die Beiträge zeigen: Die von den Texten simulierten wie von der Rezeption aktivierten Kulturtechniken reagieren auf latente materielle und immate-rielle Brüche in den Texten, die ihnen von (virtuellen) Geschehen und Ereignissen geschichtlicher und sprachlicher Art zugefügt wurden. | transcript Verlag, Bielefeld 2011, 498 Seiten, ISBN 978-3-8376-1894-5, 34,80 Euro

„Ein Netz für Kinder“ | Die gemeinsame Initiative von Politik und Wirtschaft verfolgt das Ziel, einen attraktiven und sicheren

Surfraum für Kinder von 8 bis 12 Jahren zu schaffen. Kulturstaats-minister Bernd Neumann stellt jährlich eine Million, das Bundes-familienministerium 500.000 Euro zur Verfügung, um die Anzahl, Qualität und Auffindbarkeit guter Kinderangebote zu er-höhen. Einsendeschluss für neue Projektanträge: 20. April 2012. www.ein-netz-fuer-kinder.de

„Kulturagenten für kreative Schulen“ | Das Programm fördert 137 Projekte aus fünf Bundes-ländern mit rund 620.000 Euro.

Die Partizipation von Kindern und Jugendlichen spielt eine große Rolle: Die SchülerInnen sind nicht nur Hauptakteure, sondern vielfach auch Ideengeber der Kunstprojekte. Ziel ist es, künstlerische Räume in Schulen zu etablieren und eine langfristige Zusammenarbeit mit Kulturzent ren und KünstlerInnen zu initiieren. |www.kulturagenten-programm.de

M E I N U N G

GABRIELE SCHULZ, stellvertretende Geschäftsführerin des Deutschen Kulturrats

Zivilgesellschaftliche Akteure sind keine Lückenbüßer für den Markt oder den Staat, sondern folgen einer eigenen Logik.

Bereits Mitte Dezember lud Markus Grübel, Vorsitzender des Unterausschusses „Bürgerschaftliches Engagement“ im Deutschen Bundestag, zum Experten-gespräch, um Informationen über die Wirkungsmessung von gemeinnütziger Arbeit zu erhalten.

Zu Beginn der Anhörung schilderte Bettina Windau noch einmal den Aus-gangspunkt zur Etablierung von Phineo. Viele potenzielle Stifter wüssten nicht so recht, wohin mit ihrem Geld und wie sie mit ihrer Stiftung wirken können. Die Bertelsmann-Stiftung setzte sich daher zum Ziel, potenzielle Spender, jetzt soziale Investoren genannt, und gemeinnützige Organisationen zusammenzu-bringen. Nach vielen Gesprächen und verschiedenen Projekten wurde schließ-lich Phineo gegründet. Phineo ist eine gemeinnützige Aktiengesellschaft. Hauptgesellschafter sind die Bertelsmann-Stiftung sowie die Deutsche Börse.

Kern der Phineo-Arbeit, die von Andreas Rickert vorgestellt wurde, sind so-genannte Themenreports, in denen ein Thema beleuchtet wird. Bislang sind acht Themenreports erschienen: u.a. Demenz, Integration von Migranten, En-gagement von Menschen über 55 usw. Die Fragestellungen der Themenreports

werden durch Onlinevoting ermittelt. Die Themenreports dienen dann dazu, Projekte oder Institutionen auf ihre Wirkung hin zu analysieren. Die Institu-tionen müssen sich selbst bewerben und in der ersten Stufe einen Onlinefra-gebogen ausfüllen. Danach erfolgt eine Wirkungsanalyse durch Phineo, die für die untersuchten Organisationen kostenlos ist. Von insgesamt 444 bisher analysierten Projekten wurden 97 empfohlen. Es soll damit ein Beitrag zu mehr Transparenz im gemeinnützigen Sektor geleistet werden, so Rickert.

Olaf Zimmermann unterstrich, dass gegen Transparenz überhaupt nichts einzuwenden ist. Das Spendensiegel des Deutschen Zentralinstituts für soziale Fragen (DZI) ist seit Jahren ein eingeführtes Qualitätssiegel, bei dem sehr stren-ge Maßstäbe an Organisationen gelegt werden, die sich um Spenden bemühen. Der Geschäftsbericht der Phineo AG, so Zimmermann, belege, dass ein Ziel der Phineo-Arbeit ein Haltungswechsel der Zivilgesellschaft sei. Sie soll wirkungs-orientierter arbeiten. Phineo beabsichtigt offenkundig, die Zivilgesellschaft zu verändern, und vergisst dabei, dass zivilgesellschaftliche Akteure eben keine Lückenbüßer für den Markt oder den Staat sind, sondern einer eigenen Logik folgen. Sie stehen teilweise gerade in Opposition zu Staat und Wirtschaft. Sie wirken dabei, doch steht nicht die Wirkung im Vordergrund, sondern das gesell-schaftliche Engagement.

In diese Kerbe schlugen dann auch die Abgeordneten des Unterausschusses Bürgerschaftliches Engagement mit ihren Fragen. Und diese kritischen Fragen wehten den Vertretern von Phineo herb ins Gesicht. Die Antworten der Phineo-Verantwortlichen auf die teils sehr präzisen Fragen der Abgeordneten waren sehr dünn. Ute Kumpf, MdB, brachte in ihrem Schlussstatement den Kern zivil-gesellschaftlichen Engagements auf den Punkt. Bürgerschaftliches Engagement lebe vom Herzblut der Engagierten. Dass diese Einstellung Äonen vom Messen, Zählen und Wiegen von Phineo und der angestrebten Haltungsänderung der Zivilgesellschaft entfernt ist, war offensichtlich.

LITERATUR

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soziokultur 1|201232 KURZ&KNAPP

LAKS Baden-Württemberg e.V.(LAG der Kulturinitiativen und Soziokulturellen Zentren in Baden-Württemberg e.V.) Osterfeldstr. 21 | 75172 Pforzheim T 07231.35 66-55 | F -56 [email protected]

LAG Soziokultur Bayern e.V.Gleißhammerstr. 6 90480 NürnbergT 089.82 92 90-15 | F -99 [email protected]

Landesverband Soziokultur Berlin e.V. | c/o BrotfabrikCaligariplatz 1 | 13086 BerlinT 030.4 71 40 01 | F 4 73 37 77 [email protected]

LAG Soziokultur Brandenburg e.V.Schiffbauergasse 1 | 14467 Potsdam

T 0331.2 80 58-37 | F -38 lag.soziokultur.brandenburg@t-online.dewww.soziokultur-brandenburg.de

STADTKULTUR BREMEN e.V.c/o Kulturzentrum Schlachthof Findorffstr. 51 | 28215 Bremen T 0421.3 77 75-13 | F [email protected] www.soziokultur-bremen.de

STADTKULTUR HAMBURG e.V.Neuer Kamp 25 | 20359 Hamburg T 040.8 7 97 64-60 | F -620 [email protected]

LAKS Hessen e.V. (LAG der Kultur initiativen und sozio-kulturellen Zentren in Hessen e.V.) c/o Kulturzentrum SchlachthofMombachstr. 12 | 34127 KasselT 0561.8 90 68-81 | F [email protected] | www.laks.de

LAG Soziokultur Mecklen-burg-Vorpommern e.V.Lange Straße 49 17489 GreifswaldT/F 03834.79 96 46 [email protected] www.lag-soziokultur-mv.de

LAG Soziokultur Niedersachsen e.V.Lister Meile 27 | 30161 HannoverT 0511.5 90 90-40 | F -440lags@soziokultur-niedersachsen.dewww.soziokultur-niedersachsen.de

LAG soziokultureller Zentren Nordrhein-Westfalen e.V.Achtermannstr. 10–1248143 MünsterT 0251.51 84-75 | F -76 [email protected]

LAG Soziokultur und Kultur- pädagogik Rheinland-Pfalz e.V.Kulturbüro

Koblenzer Str. 3856112 LahnsteinT 02621.6 13 25-0 | F -5 [email protected]

LASSA e.V. (LAG soziokultureller Zentren in Sachsen-Anhalt e.V.)Liebigstr. 5 | 39104 MagdeburgT 0391.2 44 51-60 | F -70 [email protected]

LAG Soziokultur Schleswig-Holstein e.V.Gurlittstr. 22 | 25813 HusumT 04841.8 12 43 | F 04841.6 23 75 [email protected]

LAG Soziokultur Thüringen e.V.Michaelisstr. 34 | 99084 ErfurtT 0361.7 80 21 40F 0361.6 57 85 28 [email protected]

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s o z i o k u l t u rPrinzipien – Praxis – Perspektiven

Informationsdienst der Bundes- vereinigung Soziokultureller Zentren e.V. | 22. Jahrgang soziokultur Nr. 87 | 1/2012 ISSN 0946-2074

HERAUSGEBERINBundesvereinigung Soziokultureller Zentren e.V.

REDAKTION / LEKTORAT Ellen Ahbe, V.i.S.d.P.

REDAKTIONELLE MITARBEITUte Fürstenberg, Werner Danneberg, Manja Iwanow, Lena Kühnreich

EXTERNE REDAKTON Griet Gäthke, Gudrun Gold-mann, Bernd Hesse, Dorit Klüver, Maxi Kretzschmar, Peter Krümmel, Bettina Rößger, Kristine Schütt

THEMENTEIL DER AUSGABEErarbeitet von G. Gäthke, G. Goldmann, B. Hesse, D. Klüver, P. Krümmel, B. Rößger, K. Schütt

LAYOUT Ute Fürstenberg

DRUCK Druckerei Bunter Hund

Erscheint quartalsweise zum Einzel-preis von 3,50 Euro (inkl. Versand 5,60 Euro), im Jahresabo für 18,30 Euro inkl. Versand. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Mei nung der Redaktion wieder. Für unverlangt ein gesandte Manuskripte sowie für die Richtigkeit der Angaben

keine Gewähr. Nachdruck auf vorherige Anfrage mit Quellenan-gabe. Belegexemplar erwünscht. Die Beiträge der bisher erschie-nenen Ausgaben sind abrufbar unter www.soziokultur.de.

Gefördert vom Beauftragten der Bundes regierung für Kultur und Medien aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages.

Innerhalb ihrer Weiterbildung zur Fachangestellten für Information und Dokumentation absolviert MANJA IWANOW seit Anfang des Jahres ein halbjähriges

Praktikum in der Geschäftsstelle der Bundesvereinigung Soziokul-tureller Zentren. Ihr Arbeitsfeld umfasst die Aufbereitung und Vermittlung von Informationen und Daten, die Datenbank-pflege und Datenbanknutzung sowie Recherchetätigkeiten. Die Veranstaltungs- und Event-managerin war bisher u.a. beim Freien Radio Potsdam e.V. und in soziokulturellen Projekten tätig.

Seit Anfang März ist JULIA NIERSTHEIMER Geschäftsfüh-rerin des Bundesverbands der Jugendkunstschulen und Kulturpä-dagogischen Einrichtungen (bjke).

Die 31-jährige Theater-, Film- und Medienwissenschaftlerin verfügt über mehrjährige Erfahrung im Bereich Marketing und Öffent-lichkeitsarbeit. Durch langjähriges ehrenamtliches Engagement ist sie mit den Strukturen der Jugend-, Kultur- und Bildungsarbeit vertraut. Sie übernimmt das Amt von Mechthild Eickhoff, die seit November als Projektmanagerin bei der Stiftung Mercator tätig ist.

LEUTE

L A N D E S -V E R BÄ N D E

B U N D E S -V E R BA N D

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GESCHÄFTSSTELLELehrter Str. 27–30 | 10557 BerlinT 030.3 97 44 59-0 | F [email protected]

RECHNUNGSSTELLE c/o E-WERK Kulturzentrum GmbHFuchsenwiese 1 | 91054 Erlangen T 09131.80 05-15 | F -10 [email protected]

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RECHT

F INANZEN

KULTURPOL IT IK

KULTURPÄDAGOGIK

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VERLAG SOZIOKULTUR

KulturpädagogikGrundzüge und Tätigkeitsfelder

Winfried Noack

Mit einer Einleitung von Tobias J. Knoblich

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