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Grundlagen Bilder-Paradigma dorsaler Pfad, ventraler Pfad 183
12 Grundlagen des Bilder-Paradigmas: dorsaler Pfad, ventraler Pfad
Zur Verarbeitung visueller Reize beschreibt der wichtigste Pfad den Weg von der Netzhaut
ber das Corpus geniculatum laterale (= CGL) in den primren visuellen Kortex (V1). Von
hier aus werden die Informationen in ca. 30 weitere kortikale Areale geleitet. Abbildung
12.1 zeigt das kortikale visuelle System am Beispiel der Makaken, welches von
Ungerleider (1995) bei dieser Rhesusaffenart gefunden wurde, und als Modell dient.
Inzwischen wurden mittels bildgebender Verfahren potentielle Analoga einiger Teile
dieser Areale im menschlichen Gehirn identifiziert (vgl. Ungerleider, 1995).
Abbildung 12.1: Kortikales visuelles System des Makaken; die Nomenklatur der Areale ist uneinheitlich (geordnet nach Position im Sehsystem, zytoarchitektonischer Bezeichnung oder anatomischer Lokalisation) (Quelle: Ungerleider, 1995)
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12.1 Verarbeitung und Weiterleitung visueller Stimuli in der retinogenikulostriren Bahn zu den kortikalen Projektionsgebieten
Ein komplexes, neuronales Netzwerk ist bereits in der Netzhaut enthalten. Hier beginnt die
Weiterleitung von Reizen ber das CGL zum primren visuellen Kortex. Auf jeder
folgenden Ebene des Systems antworten die Neuronen auf abstraktere Merkmale als die
Neuronen der jeweils tieferen Ebene (vgl. Donner, 2003). Die Verarbeitung optischer
Reizeigenschaften wird folglich von einer zunehmenden Spezifitt der Zelleigenschaften
begleitet. Bereits die Retina weist Subgruppen spezieller Ganglienzellen auf (P-Neurone
und P-Neurone). P-Neurone leiten ihre Informationen an magnozellulre Neurone
weiter, welche in den Schichten I und II des CGL liegen. Diese Subgruppe retinaler
Ganglienzellen zeichnet sich durch eine hohe zeitliche Auflsung, Kontrastempfindlichkeit
und Farbenblindheit aus. P-Zellen dagegen senden ihre Informationen an
parvozellulre Neurone, die in den Schichten III bis VI des CGL zu finden sind. Die
Zellen dieses Systems sind gekennzeichnet durch ein niedriges zeitliches
Auflsungsvermgen und eine hohe Farbempfindlichkeit. Es wird deutlich, dass bereits die
Projektionen aus der Retina zu zwei physiologisch und funktional trennbaren Zielneuronen
erfolgen. Die Literatur postuliert aus diesem Grund zwei separate visuelle Systeme: den
M-Pfad (magnozellulr = M) und den P-Pfad (parvozellulr = P). Beide Pfade leiten
Informationen ber das CGL und V1 in extrastrire Areale, wobei jeder Pfad im
Wesentlichen in kortikale Areale sendet, die auf die Weiterverarbeitung der
unterschiedlichen Informationen spezialisiert sind (hier: M-System projiziert u.a. in V3,
V5; P-System projiziert u.a. in V4, IT). Die Abbildung 12.2 und 12.3 verdeutlichen
schematisch und stark vereinfacht die zwei separierten visuellen Systeme (vgl. Karnath &
Thier, 2003; vgl. Pinel, 2001).
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Abbildung 12.2: Stark vereinfachte Darstellung der retinogenikulostriren Bahn sowie ein Ausschnitt ihrer kortikalen Projektionsgebiete im menschlichen Gehirn. (Quelle: Karnath & Thier, S. 75, 2003)
Anmerkung: V1 = primrer visueller Kortex; V2, V3, V4 = extrastrire visuelle Assoziationskortices; CGL = Corpus geniculatum laterale; MT = V5 = mediales temporales Areal; IT = inferiotemporaler Kortex
Abbildung 12.3: Vereinfachte Darstellung des dorsalen und ventralen Pfades anhand der lateralen Ansicht des Gehirnes. (Quelle: modifizierte Abbildung aus Pinel, 2001, S. 206)
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12.2 Lage und Funktion
Lage
Das M-System fhrt von V1 ber den dorsalen prstriren Kortex zum posterioren
parietalen Kortex (okzipitoparietal) und wird aus diesem Grund auch als dorsaler Pfad (=
dorsal stream) bezeichnet. Ein weiterer Teil des Parietallappens ist der superiore parietale
Kortex (= SPC). Die interessanten Areale des SPC umfassen BA 7a (= Area PG) und 7b (=
Area PF) (vgl. Abbildung 12.6). Die P-Bahn wird in der Literatur als ventraler Pfad (=
ventral stream) gekennzeichnet, da sie im Gegensatz zum dorsalen Pfad von V1 ber den
ventralen prstriren Kortex zum Gyrus temporalis inferior verluft (okzipitotemporal)
(vgl. Donner, 2003). Wie bereits in Abschnitt 3.3.5 beschrieben, stellt der ventrale Pfad
einen Teil des Gyrus fusiformis dar. Der Gyrus fusiformis entspricht folgenden Brodmann-
Arealen: BA 18 und 19 (Okzipitallappen), BA 20 und 36 (Temporallappen) und BA 37
(Temporal-Okzipitallappen). Da BA 18 und 19 den sekundren visuellen Kortex darstellen,
sind diese Areale sowohl Teile des dorsalen Bahn, als auch des Gyrus fusiformis. Um
Aktivitten in V2, die sich gegenseitig herausmitteln, zu vermeiden, wird die dorsale Bahn
durch BA 7a / 7b gekennzeichnet (siehe Abbildung 12.4) und die ventrale Bahn durch die
Brodmann-Areale 20, 26 und 37 (siehe Abbildung 12.5). Die anatomische Lage beider
Projektionsbahnen kann der Abbildung 12.4 entnommen werden. Im Folgenden wird die
dorsale Bahn immer durch BA 7a / 7b und die ventrale durch BA 20, 36 und 37
charakterisiert, um Aktivierungen, die beiden Pfaden zuordenbar wren, auszuschlieen.
Bild 1 Bild 2
Abbildung 12.4: Bild 1 Laterale Ansicht des Gehirnes: Area PG (= 7a) und Area PF (= 7b) (Dorsaler Pfad); Bild 2 Laterale Ansicht des Gehirnes: BA 18, 19, 20, 36, 37 (Gyrus fusiformis) (Quelle: modifizierte Abbildung aus Trepel, S. 206, 1999)
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Abbildung 12.5: Mediale Darstellung des Gehirnes: BA 20, 36, 37 (Ventraler Pfad) (Quelle: modifizierte Abbildung aus Kolb & Whishaw, S.48, 1996)
Funktionen
Simplifiziert dargestellt dient der dorsale Pfad der Analyse von Bewegungen und liefert
somit WO-Informationen, wogegen der ventrale Pfad Informationen zu Farbe und Form
verarbeitet; sogenannte WAS-Informationen (vgl. Karnath & Thier, 2003) (vgl.
Abbildung 12.2). Zu genauen Angaben dieser beiden Systeme bezglich ihrer Funktionen
sollen im Folgenden verschiedene Modellanstze kurz diskutiert werden, wobei der
Schwerpunkt des Interesses auf den Ergebnissen des dorsalen Pfades liegt.
12.3 Entwicklungen der Modellvorstellungen zum dorsalen und ventralen Pfad
Die ersten Studien zur Erforschung der Existenz von zwei visuellen Systemen fhrten
Schneider (1969) und Trevarthen (1968) an Hamstern und split-brain-Primaten durch.
Schneider fand noch stark simplifiziert heraus, dass das visuelle Kortexsystem fr die
Wahrnehmung von Mustern und Raum verantwortlich ist, wogegen das superiore
Colliculussystem nur den Raum wahrnimmt (vgl. Schneider, 1969). hnliche Ergebnisse
wurden von Trevarthen (1968) berichtet, der die Verarbeitung von WO-Informationen
im dorsalen Pfad den WAS-Informationen im ventralen Pfad gegenberstellt (vgl.
Trevarthen, 1968). Mishkin & Ungerleider (1982) und Mishkin, Ungerleider & Macko
(1983) stimmten mit der Vorstellung zweier unabhngiger Informationsstrme berein, die
unterschiedlich verarbeiten, und manifestierten diese Theorie durch Lsionsstudien. So
konnten sie feststellen, dass bei Schden des dorsalen bzw. ventralen Pfades nur bestimmte
Aspekte der visuellen Wahrnehmung betroffen waren. Allerdings argumentierten sie fr
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einen zustzlichen Pfad, der fr beide Formen der Perzeption verantwortlich sei (vgl.
Mishkin & Ungerleider, 1982; Mishkin et al., 1983). Diese Annahme eines weiteren,
dritten Verarbeitungsweges vermuteten auch Boussaoud, Ungerleider und Desimone
(1990) anhand der Ergebnisse ihrer Untersuchungen. Sie fanden bei Makaken im
extrastriren Kortex eine zustzliche Bahn zur Bewegungsanalyse, die in der Region des
Sulcus temporalis superior (STS) liegt. Vermutlich gibt es Interaktionen zwischen dem
WO- und dem WAS-Pfad (vgl. Boussaoud et al., 1990). Neuere Angaben zum
visuellen System mit zwei unabhngigen Bahnen machten Goodale & Milner (1992) und
Milner & Goodale (1993). Die Autoren stimmten mit den bereits ernannten Arealen von
beiden Systemen berein, machten aber weiterfhrende Angaben zu deren Funktionen. Der
Unterschied ihrer Ansicht gegenber der von Mishkin & Ungerleider (1982) und Mishkin
et al. (1983) bestand darin, dass sie den Zweck der Information als Hauptkriterium in den
Vordergrund stellten und nicht die Art der Information. Nach ihrer Meinung dient der
dorsale Pfad dazu, die direkte Interaktion mit Objekten zu steuern (Handlungskontrolle).
Die ventrale Bahn dagegen vermittelt die bewusste visuelle Wahrnehmung von Objekten.
Damit stellten sie ihre weiterfhrende Verhaltenskontrolle- versus- bewusste
Wahrnehmungs -Theorie der bisherigen WO -versus- WAS-Theorie gegenber (vgl.
Goodale & Milner, 1992; vgl. Milner & Goodale, 1993).
12.4 Die Funktion des dorsalen Pfades bei der Verarbeitung bewegter Bilder und bei der Perzeption von Fremd- und Eigenbewegungen
Aufgrund unterschiedlicher Messmethoden, Stichproben und Fragestellungen kann man
zahlreiche Vermutungen bezglich der