13 Deutsche Literatur

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SchulbuchPlus: ZUGÄNGE. © öbvhpt, Wien 2007 DEUTSCHE LITERATUR DER NACHKRIEGSZEIT UND DER GEGENWART Max Frisch: ARBEITSBLATT Biedermann und die Brandstifter (Siehe Zugänge, S. 268) Fragen zur Figur des „Biedermann“: Skizzieren Sie jene Szenen, in denen Biedermann als Bürger versagt. Skizzieren Sie jene Szenen, in denen Biedermann als Mensch versagt. Biedermanns Verhalten zu den Brandstiftern: Überprüfen Sie, wodurch Biedermann seinen Handlungsspielraum verliert. Hätte er noch später die Möglichkeit, sich zur Wehr zu setzen, oder hatte er nur am Anfang die Chance? Wodurch engt sich sein Handlungspielraum ein? Was an seinem Verhalten macht ihn eigentlich zu einer Gefahr für die Demokratie? Fragen zur Form: Inwiefern entsprechen Form und Inhalt den Forderungen des „Epischen Theaters“ (siehe Zugänge, S. 260)? Welche Rolle spielt der Chor? Wo und wann tritt er auf? Suchen Sie jene klassischen Texte, die Frisch in den Chorversen parodistisch verwendet. Frisch bezeichnet sein Stück als „Lehrstück ohne Lehre“. Versuchen Sie trotzdem, diese Lehre knapp zu formulieren. Fragen zu den verschiedenen Fassungen: Arbeiten Sie die wichtigsten Unterschiede von der „Burleske“ über das Hörspiel, das Theaterstück zum Fernsehspiel heraus. Wie reagiert dabei Frisch auf die verschiedenen Anforderungen der verschiedenen Medien (Tagebucheintragung, Radio, Theater, Fernsehen)? Historischer Vergleich: Informieren Sie sich über die nationalsozialistische Machtergreifung in Deutschland und die kommunistische Machtergreifung in der Tschechoslowakei. Welche Nutzanwendung könnte man dabei aus Frischs Lehrstück ohne Lehre ziehen? Literaturhinweise: Deutsche Dichter. Bd. 8: Gegenwart. Hg. von Gunter E. Grimm und Frank Rainer Max. Philipp Reclam jun., Stuttgart 1990 Erläuterungen und Dokumente zu Max Frisch „Biedermann und die Brandstifter“. Hg. von Ingo Springmann. Philipp Reclam jun., Stuttgart 1975 Materialien zu Max Frisch „Biedermann und die Brandstifter“. Hg. von Walter Schmitz. Suhr- kamp, Frankfurt am Main, 1979 (= st 503) Max Frisch. Hg. von Walter Schmitz. Suhrkamp, Frankfurt am Main (= stm 2059) Alexander Stephan: Max Frisch, H. C. Beck, München 1983

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DEUTSCHELITERATURDERNACHKRIEGSZEITUNDDERGEGENWART

MaxFrisch: ARBEITSBLATT

BiedermannunddieBrandstifter(SieheZugänge,S.268)

FragenzurFigurdes„Biedermann“:SkizzierenSiejeneSzenen,indenenBiedermannalsBürgerversagt.SkizzierenSiejeneSzenen,indenenBiedermannalsMenschversagt.BiedermannsVerhaltenzudenBrandstiftern:ÜberprüfenSie,wodurchBiedermannseinenHandlungsspielraumverliert.HätteernochspäterdieMöglichkeit,sichzurWehrzusetzen,oderhatteernuramAnfangdieChance?WodurchengtsichseinHandlungspielraumein?WasanseinemVerhaltenmachtihneigentlichzueinerGefahrfürdieDemokratie?

FragenzurForm: InwiefernentsprechenFormund InhaltdenForderungendes„EpischenTheaters“(sieheZugänge,S.260)?WelcheRollespieltderChor?Woundwanntritterauf?SuchenSiejeneklassischenTexte,dieFrischindenChorversenparodistischverwendet.FrischbezeichnetseinStückals„LehrstückohneLehre“.VersuchenSietrotzdem,dieseLehreknappzuformulieren.

FragenzudenverschiedenenFassungen:ArbeitenSiediewichtigstenUnterschiedevonder„Burleske“überdasHörspiel,dasTheaterstückzumFernsehspielheraus.WiereagiertdabeiFrischaufdieverschiedenenAnforderungenderverschiedenenMedien(Tagebucheintragung,Radio,Theater,Fernsehen)?

HistorischerVergleich:InformierenSiesichüberdienationalsozialistischeMachtergreifungin Deutschland und die kommunistische Machtergreifung in derTschechoslowakei.WelcheNutzanwendungkönntemandabeiausFrischsLehrstückohneLehreziehen?

Literaturhinweise:DeutscheDichter.Bd.8:Gegenwart.Hg.vonGunterE.GrimmundFrankRainerMax.PhilippReclamjun.,Stuttgart1990Erläuterungen und Dokumente zu Max Frisch „Biedermann und die Brandstifter“. Hg. vonIngoSpringmann.PhilippReclamjun.,Stuttgart1975MaterialienzuMaxFrisch„BiedermannunddieBrandstifter“.Hg.vonWalterSchmitz.Suhr-kamp,FrankfurtamMain,1979(=st503)MaxFrisch.Hg.vonWalterSchmitz.Suhrkamp,FrankfurtamMain(=stm2059)AlexanderStephan:MaxFrisch,H.C.Beck,München1983

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CarlMerz/HelmutQualtinger: ARBEITSBLATT

DerHerrKarl(SieheZugänge,S.284)

ZurFigurdesHerrnKarl:WieverhältsichderHerrKarlzuseinenMitmenschen?ImbesonderenzudenFrauen?WelcheCharakterzügesindbeiihmfeststellbar?SindbeiihmpolitischeHaltungenundÜber-zeugungen zu erkennen? Wie verhält er sich bei den großen politischen Ereignissen seinerZeit?SeinLebenverläuftineinemständigenAufundAb.SindZusammenhängemitdengroßenpo-litischenEreignissenerkennbar?GewinntderHerrKarlausdenpersönlichenErfahrungenunddenpolitischenVeränderungenErkenntnisse?ZiehterKonsequenzenfürseinLeben?WirderimVerlaufseinesLebenseinanderer?BeiallerKritikundAblehnungwirdmandemHerrnKarleinesnichtabsprechenkönnen:SeineerstaunlicheFähigkeit,sichdurchsLebenzuschlagen,sichnichtunterkriegenzulassen.Arbei-tenSiedasaneinigenBeispielenheraus.

ZurZeit:VonwelchenpolitischenEreignissenistimTextdieRede?InformierenSiesichkurzüberderenBedeutungfürdieösterreichischeGeschichte.

ZurReaktiondesPublikumsnachderErstpräsentation:WennesIhnenmöglichist,versuchenSieKritikenundLeserbriefeausdieserZeitzubekom-menundauszuwerten.WiekönntemansichdiedamaligeEmpörungerklären?

Vergleichmit„Biedermann“:AuchderHerrKarlwirdmitseinenCharakterzügen,abervorallemmitseinemVerhaltenzueinerGefahrfürdieDemokratie.Inwiefernlässtersichmitdem„Biedermann“vergleichen?

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ChristaWolf:Kassandra ARBEITSBLATT

(SieheZugänge,S.318)

Fragen zur Hauptfigur:Stellen Sie den schmerzhaften Entwicklungsprozess Kassandras genau dar.Vergleichen SieAnfangs-undEndpunktdieserEntwicklung.WelchePersonenstehenKassandranahe?

FragenzumInhalt:Der Krieg:DurchwelcheEntwicklungenwirdderKriegherbeigeführt?Weristdafürverant-wortlich?WelcheVeränderungenentstehendadurchamHofdesPriamos?DieGegenweltamSkamandros:Wasgeschiehtdort?Wodurch istdieseGegenweltgekenn-zeichnet?WieverhaltensichdieMenschendortzueinander?Die Darstellung der Frauen: Welche Frauenfiguren werden dargestellt? Wie verhalten sie sich? Wodurchsindsiegekennzeichnet?UntersuchenSiedabeibesondersdasSchicksalvonPenthe-sileaundPolyxena.Die Darstellung der Männer: Welche Männerfiguren werden dargestellt? Wie verhalten sie sich? Wodurch sind sie gekennzeichnet? Untersuchen Sie dabei besonders die Figuren vonAchillesundAineias.Die positiven Gegenfiguren Anchises und Arisbe:WodurchistihrCharaktergekennzeichnet?WieistihrVerhalten?WasanihremVerhaltenundanihrenEigenschaftenlässtsiepositiver-scheinen?

Vergleichmitder„Ilias“desHomer:ChristaWolfhatgegenüberderGestaltungdesStoffesdurchHomergroßeVeränderungenvor-genommen.ArbeitenSiediewichtigstenheraus.StellenSieeinenVergleichan:WieistAchil-lesinder„Ilias“dargestellt?WiebeiChristaWolf?

Literaturhinweise:SonjaHilzinger:ChristaWolf.Metzler,Stuttgart1986Alexander Stephan: Christa Wolf. 4. Aufl. H. C. Beck, München 1991ChristaWolf.EinArbeitsbuch.Studien–Dokumente–Bibliographie.Hg.vonAngelaDre-scher,Luchterhand,München1990

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Friedrich Dürrenmatt: INFORMATIONSBLATT

Der Besuch der alten Dame

Inhalt: Die Milliardärin Claire Zachanassian besucht nach mehr als vierzig Jahren die Stadt ihrer Jugend, Güllen. Diese Stadt ist in den letzten Jahren völlig verarmt, alle Be-triebe mußten schließen, eine große Arbeitslosigkeit herrscht. Unübersehbar sind die Zei-chen der Armut und der Herabgekommenheit. Die Güllener erhoffen sich vom Besuch der alten Dame finanzielle Unterstützung. Alfred Ill, ihre Jugendliebe, soll Claire dazu bewe-gen, indem er alte Gefühle zynisch benützt. Schon beim Empfang, der nicht ohne Pannen abläuft, stellt Claire bedrohliche Fragen, doch beim Festbankett lässt sie die Katze aus dem Sack: Sie bietet der Stadt 500 Millionen und noch einmal 500 Millionen, aufzuteilen auf die Familien der Stadt, für den Tod Ills. Dieser hatte nämlich, obwohl seine Beziehung zu Claire nicht ohne Folgen blieb, in einen Kramladen eingeheiratet und Claire, als sie eine Vaterschaftsklage einreichte, mit Hilfe von bestochenen Zeugen, die behaupteten, mit ihr geschlafen zu haben, als Hure diffamiert. Jetzt will sie Rache, sie nennt es Gerechtigkeit.Wie ernst es ihr damit ist, zeigt sich daran, dass sie beide falschen Zeugen aufstöbern, blenden und kastrieren ließ. Die Güllener weisen dieses Geschäft vorerst entrüstet zurück. Doch bald wird deutlich, wie leicht sie zu korrumpieren sind. Immer mehr Menschen wen-den sich von Ill ab, weder beim Bürgermeister noch beim Polizisten, noch beim Lehrer oder dem Pfarrer findet er Unterstützung; letzterer rät ihm schließlich zur Flucht. Doch die Bürger hindern ihn daran, sodass sich Ill in sein Schicksal ergibt. Sie fällen im Namen der Gerechtigkeit das Urteil über ihn und vollziehen es in einem Akt von Lynchjustiz. Der Arzt stellt „Tod durch Herzschlag“ fest. Claire überreicht den Scheck. Am Schluss erstrahlt die Stadt im neuen Glanz. Ein Chor rechtfertigt ausdrücklich das Verhalten der Güllener.

Friedrich Dürrenmatt nennt sein Stück eine tragische Komödie. Aber tragisch ist nicht im klassischen Sinne zu verstehen, denn der tragische Held steht vor einer Entscheidung, die er nicht beeinflussen kann, wie er sich auch entscheidet, es endet mit seinem Unter-gang. Deshalb hat er auch unser Mitleid. Ill hingegen ist kein tragischer Held, sondern nur ganz einfach ein mieser Charakter. Er hätte immer anders, im moralischen Sinne besser handeln können. Er kann kein Mitleid in uns erwecken. Tragisch ist die Komödie nur we-gen des tödlichen Ausgangs für Ill. Komödie ist daher die wichtigere Bezeichnung. Dürrenmatt spricht von einer Groteske, er schreibt dazu: „Die Groteske ist eine äußerste Stilisierung, ein plötzliches Bildhaftmachen und gerade darum fähig, Zeitfragen, mehr noch die Gegenwart aufzunehmen, ohne Tendenz oder Reportage zu sein.“ Dürrenmatt geht dabei von einer Geschichte aus, die zu Ende gedacht werden muss. „Eine Geschich-te ist dann zu Ende gedacht, wenn sie ihre schlimmstmögliche Wendung genommen hat.“ Zu Ende gedacht werden hier die Handlungs- und Verhaltensweisen der Wohlstandsge-sellschaft der fünfziger Jahre. Das führt Dürrenmatt konsequent an der Korrumpierbarkeit der Güllener vor.Zunächst wird mit großem Pathos unter Verweis auf die „abendländischen Werte“ das Angebot Claires abgelehnt. Aber bald machen die Güllener Schulden (auf das zukünftige Blutgeld), sie kaufen ein, kleiden sich neu ein – alle tragen auf einmal neue gelbe Schuhe –, überall macht sich ein geborgter Wohlstand breit, niemand wird davon nicht ergriffen, schließlich erreicht die Korrumpierbarkeit selbst Ills Familie. Seine Frau schafft sich einen

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Pelzmantel an, der Sohn ein Auto, die Tochter nimmt Tennisstunden. Ein letzter Vorschlag des Lehrers, Claire solle mit viel weniger Geld helfen, die brachliegenden Fabriken zu sanieren, scheitert daran, dass diese schon längst alle ihr gehören – eigentlich die gan-ze Stadt. Die Güllener sind völlig in ihrer Hand. Damit ist das Schicksal Ills besiegelt. In grotesker Umkehr rechtfertigen sie seine Verurteilung mit eben jenen abendländischen Werten.So wie Max Frisch in „Biedermann und die Brandstifter“ setzt auch Dürrenmatt parodis-tisch einen Chor ein. Er bezieht sich dabei auf die „Antigone“ des Sophokles. Sind hier die Chorsprecher aber die Weisen, Alten, die Hüter des Gesetzes, die die Größe des Men-schen feiern und klar Recht von Unrecht unterscheiden, sind es bei Dürrenmatt die „her-untergekommenen“ Güllener, die das Ungeheure der Welt besingen, die den Menschen den Naturkatastrophen, dem Krieg und der Armut überliefert.Deutlich unterscheidet sich Dürrenmatt von Bertolt Brecht. Geht dieser davon aus, dass die Welt erklärbar und veränderbar sei, und fordert damit den Zuschauer zu deren Verän-derung auf, so sieht Dürrenmatt die Welt als unüberschaubar und daher auch nicht beein-flussbar. Was bleibt, ist: „Die Dramatik kann den Zuschauer überlisten, sich der Wirklich-keit auszusetzen, aber nicht zwingen, ihr standzuhalten oder sie gar zu bewältigen.“

Literaturhinweis:Erläuterungen und Dokumente zu Friedrich Dürrenmatt „Der Besuch der alten Dame“. Hg. von Karl Schmidt. Philipp Reclam jun., Stuttgart 1979

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Friedrich Schiller: Wilhelm Tell INFORMATIONSBLATT

Max Frisch: Wilhelm Tell für die Schule

Inhalt von Schillers „Wilhelm Tell“: Die freien Bewohner der Schweizer Waldstätten Schwyz, Uri und Unterwalden werden von den habsburgischen Vögten in ihren Rechten beschnitten und grausamer Willkürherrschaft unterworfen. Sie beschließen daher unter maßgeblicher Führung des Bauern Stauffacher einen Bund, den sie auf dem Rütli feierlich beschwören („Rütlischwur“). Sie wollen ihre Rechte notfalls auch mit Gewalt erkämpfen. Wilhelm Tell nimmt am Schwur nicht teil, will aber zur Verfügung stehen, wenn man ihn braucht. Tell gerät in Konflikt mit den Landvogt Geßler, als er einem Hut nicht die Reverenz erweist, den dieser aufgestellt hat, um die Schweizer, indem sie ihn grüßen, sinnbildhaft „ in die Knie zu zwingen“. Geßler zwingt daraufhin Tell, mit einer Armbrust einen Apfel vom Kopf des eigenen Sohnes zu schießen. Der Schuss des verzweifelten Vaters gelingt, doch Tell lässt Geßler wissen, dass ein zweiter Pfeil ihn niedergestreckt hätte, hätte er sein Kind getötet. So wird er gefangen genommen und fortgeführt. Tell kann sich befreien, und weil er sich und seine Familie aufs äußerste gefährdet sieht, tötet er den Tyrannen; durch die Gründe scheint ihm die Tat sittlich gerechtfertigt. Mit dem Tyrannenmord gibt er aber auch das Signal zum Aufstand der Schweizer, der fast ohne Blutvergießen rasch erfolgreich ist. Tell wird von den Aufständischen als großer Held gefeiert. Noch einmal verteidigt er seine Tat als gerecht, diesmal vor Johannes Parricida, der seinen eigenen Oheim aus niedrigen Motiven ermordet hat.

Schiller hat mit diesem Schauspiel der Schweiz einen Nationalhelden geschaffen. Zwei große Themen stehen im Vordergrund:Wann und unter welchen Bedingungen ist ein Volksaufstand gerecht? Schiller, der sich ja enttäuscht von der Französischen Revolution abgewendet hat, nennt folgende Bedin-gungen: Nicht Neues soll geschaffen werden, sondern die Wiederherstellung der alten Rechte, des alten Zustandes ist das Ziel. Dazu müssen alle Mittel versucht und ausge-schöpft werden, nur die Verletzung der unveräußerlichen Naturrechte des Menschen er-laubt Widerstand, der Aufstand muss möglichst unblutig verlaufen.Wann ist der Tyrannenmord gerecht? Schiller zieht auch hier enge Grenzen. So hätte Tell schon früher Gelegenheit gehabt, den grausamen Vogt zu töten, aber keinen wirklichen Anlaß. Erst wenn er und seine Familie aufs höchste in ihrer Existenz bedroht sind, darf der einzelne zur Gewalt greifen. Wie wichtig Schiller diese Begründung ist, lässt sich allein daraus erkennen, dass er Tell in einem großen Monolog vor dem Schuss auf Geßler noch einmal alle seine Gründe zusammenfassen und am Ende des Stückes noch einmal den Unterschied zur Tat des Parricida erklären lässt.

Max Frisch verfolgt mit seiner Erzählung ein ganz anderes Ziel. Er möchte die Schwei-zer Nationallegende in Frage stellen, weil weder der Rütlischwur noch die Tell-Figur historisch beweisbar sind. Er muss sich daher notgedrungen mit Schillers Schauspiel auseinandersetzen, den er den „Begründer eines nationalen Selbstmissverständnisses“ nennt. Er schreibt einen Gegentext, in dem er zeigt, „dass es auch anders hätte sein können“. Wichtigste Kennzeichen seiner Erzählung sind: Er entdramatisiert die Handlung, es herrscht eher Langeweile als dramatische Zuspitzung, und er ironisiert die Personen

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und das Geschehen, während bei Schiller feierliches Pathos vorherrscht. Dazu musste Frisch auch gravierende Veränderungen vornehmen: Die ganze Erzählung ist auf Geßler zugeschnitten, er ist die Hauptperson, manche Szenen fehlen überhaupt, das Ganze wird von einem allwissenden Erzähler berichtet. Geßler und Tell wechseln auch die Rollen: Aus dem unmenschlichen Geßler bei Schiller wird ein menschlicher, aus dem mensch-lichen Tell wird ein unmenschlicher Mörder aus dem Hinterhalt. Aus der gerechten Tat (Geßlermord) mit Signalwirkung ein sinnloser Mord ohne Konsequenz für die Schweizer. Die Schweizer selbst – bei Schiller offen und freiheitsliebend – werden zu menschen-scheuen, fremdenscheuen „Hinterwäldlern“.

Im klassischen Drama handeln die Menschen souverän, selbstbestimmt, bei Frisch wer-den sie durch ihre Umgebung gedrängt und beeinflusst, der Zufall und Missverständnisse spielen eine entscheidende Rolle. Der Höhepunkt bei Schiller, der Apfelschuss, findet bei Frisch gar nicht statt, weil Geßler dem schießwütigen Tell ganz einfach den Pfeil weg-nimmt. Um seine Erzählung historisch wahrscheinlich erscheinen zu lassen, unterbricht Frisch den Erzählfluss durch eine Reihe von Fußnoten mit dokumentarischem Material.

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Friedrich de la Motte Fouqué: INFORMATIONSBLATT

Undine Ingeborg Bachmann: Undine geht

Inhalt von Fouqués „Undine“: Der Ritter Huldbrand von Ringstetten hat bei einem Tur-nier Bertalda, die Ziehtochter eines mächtigen Herzogs, kennengelernt, die ihn zu einem Wagestück auffordert: Er soll einen berüchtigten Wald durchqueren. Dabei wird er aber durch geheimnisvolle Mächte auf einen bestimmten Weg gedrängt, der ihn auf eine Land-zunge zur Hütte eines alten Fischerehepaares führt. Dort lernt er deren Pflegetochter Undine kennen, deren Geliebter er bald wird. Durch die Hochzeit erhält Undine, die ei-gentlich von Wassergeistern abstammt, eine Seele.Wassergeister vergehen sonst spurlos mit Geist und Leib, wenn sie sterben, deshalb wollte ihr Vater, ein mächtiger Wasserfürst, dass sie in den Besitz einer Seele gelange; dies konnte aber nur durch die innigste Liebe eines Menschen geschehen. Als Undine dem Ritter all das erzählt, fühlt er ein seltsamesSchaudern, bleibt aber in seiner Liebe unbeirrt. Später zieht das junge Paar in die Stadt; in geheimnisvoller Nähe ist immer der Wasserfürst Kühleborn, ein Oheim Undines. In der Stadt schließen Undine und Bertalda enge Freundschaft. Undine meint diese noch zu stärken, als sie bei der Namenstagsfeier Bertaldas deren wahre Abkunft verrät: Sie ist eigentlich die Tochter der alten Fischersleute. Doch die stolze Ziehtochter des Herzogs ist empört über diese „Degradierung“ und beschimpft sie wütend. Undine und Huldbrand wollen am nächsten Tag die Stadt verlassen und treffen dabei auf Bertalda, die wegen ihres hartherzigen Stolzes sowohl von ihren Zieheltern als auch von ihren wahren Eltern verstoßen worden ist. Mitleidig nehmen sie sie mit auf Huldbrands Burg. Hier wendet sich Huldbrand immer mehr von Undine ab und Bertalda zu, immer liebloser behandelt er Un-dine, was ihren Oheim Kühleborn zur Rache treibt, aber Undine kann beide gerade noch retten. Dadurch gewinnt sie die Liebe Huldbrands zurück. Aber bei einer Reise auf der Donau nach Wien kommt es zur Katastrophe.Wassergeister treiben ihr Spiel um das Boot. Huldbrands Ärger wächst, und als offenbar Kühleborn aus Bertaldas Hand ein Goldhalsband entreißt und Undine ihre magischen Kräfte zeigt, indem sie Bertalda mit einem wunderschönen Korallenhalsband tröstet, das sie aus den Fluten zieht, verstößt er sie, weil sie noch immer Verbindung zu diesen Mächten hat. Darauf muss Undine gehen, nicht ohne ihn aufzufordern, ihr treu zu bleiben. Immer näher kommt ihm nun Bertalda, sodass er sie schließlich heiratet, obwohl ein Traum ihn davor warnt. Doch in der Nacht kommt Undine und tötet ihn mit einem Kusse, „bis ihm der Atem ent-ging“. Auch bei seinem Begräbnis taucht sie wieder auf, wo sie sich schließlich in eine Quelle verwandelt, die sein Grab umschlingt.

Faszinierend an dieser Erzählung ist vor allem das Frauenbild: Undine erscheint zunächst als temperamentvoll, selbstbewusst, spontan und respektlos. Sie ignoriert gesellschaft-liche Konventionen, widersetzt sich dem herrschenden Rollenbild der Frau, Huldbrand sieht sie nicht als Ritter und Standesperson, sondern als „du schöner Freund“. Durch die Heirat wird sie „gar sittig und still“, „schamhaft“, „engelmild und sanft“, ein bescheidenes, unterwürfiges „Weibchen“, das gesellschaftliche Konventionen und Rollen akzeptiert und sich dem Manne unterordnet. Jetzt redet sie ihn mit „mein Herr“ an. Zum Schluss wird

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sie zum mörderisch-zärtlichen Todesengel, aber auch zur Quelle, die sich um das Grab schlingt.Undines Selbstbewusstsein, ihre Respektlosigkeit ist ihr sozusagen nur als Naturwesen gestattet, durch die Hochzeit wird sie „domestiziert“, sie wird nicht nur durch die Lie-be beseelt, sondern muss sich eigentlich auch unterwerfen. Eine freie, gleichberechtigte Beziehung der Geschlechter findet nur kurz in dem von der übrigen Gesellschaft abge-trennten Raum auf der Halbinsel bei den Fischersleuten statt.Undine scheint somit typisch männliche Wünsche widerzuspiegeln. Einerseits demütig-züchtige Hausfrau, andererseits erotisch anziehende Nixe, Sirene.

Ingeborg Bachmann nimmt in ihrer Erzählung „Undine geht“ darauf Bezug. Schon sehr früh, 1961, als es noch kein geschärftes Bewusstsein für Frauenfragen gab, der Femi-nismus in den Anfängen war, von der Frauenbewegung noch keine Rede sein konnte, stellte sie in äußerster Schärfe und Radikalität die Situation der Frau dar. Sie bedient sich dabei der mythischen Figur der Undine als Sprecherin. Und es wird nicht erzählt, Undine klagt die Menschen und die Männer, verkörpert in einem Mann namens Hans, in radikaler Verallgemeinerung an. Sie klagt die Männer und deren Frauen an, gefangen in ihren ty-pischen Rollen, sie klagt die Männer an, die doch dem Ruf Undines folgen, und sie klagt deren immerwährenden Verrat an.Liebe wird nur möglich, wenn man sich diesen Rollenzwängen widersetzt, nicht vonein-ander Gebrauch macht. „Weil ich zu keinem Gebrauch bestimmt bin und Ihr Euch nicht zu einem Gebrauch bestimmt wusstet, war alles gut zwischen uns. Wir liebten einander.“ Aber dieser kurzen Aufhebung der Entfremdung folgt immer der Verrat.Dieser Text bezieht seine Spannung aus dem Gegensatz von Anklage, aber auch Trau-er, man hat von einer Schmäh- und Trauerrede gesprochen, und auch aus einem tra-gischen Gegensatz: Undine ist gleichzeitig zur Liebe verurteilt und zum Männerhass. Sie ist sich und dem anderen Geschlecht verfallen. Der Text beginnt mit der Schmähung „Ihr Menschen! Ihr Ungeheuer!“ und endet mit dem sehnsüchtigen Ruf „Komm. Nur einmal. Komm.“

Ingeborg Bachmann hat mit dieser Erzählung ein Thema dargestellt, das zum Hauptthe-ma ihres großen Romans „Malina“ (siehe Zugänge, S. 308) geworden ist.

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Zusammenfassung:DiedeutscheLiteraturnach����

DieHoffnungmancheraufeinenradikalenNeuanfangnach1945bliebunerfüllt.DieVorstel-lungvoneinem„Nullpunkt“oder„Kahlschlag“entsprachmehreinemWunschdenkenalsderRealität.SchondieEntstehungderBundesrepublikDeutschland imZeichendesKaltenKrieges,mitder Leitfigur Konrad Adenauer, der noch den bürgerlich-konservativen Traditionen der Kai-serzeit und der Weimarer Republik verhaftet war, machte deutlich, dass nicht ein radikalerneuerAnfang,sondernRestaurationundRestitutiondiepolitischeRichtungbestimmten.Dasinden fünfziger Jahren einsetzendeWirtschaftswachstum,das sogenannteWirtschaftswun-der,bestärktevieleMenschennochineinerpolitischenSelbstzufriedenheit,diejedeernsthafteAuseinandersetzungmitVergangenheitundeigenerSchuldverhinderte.Behaglichrichtetemansichineiner„biedermeierlichen“Weltein,diesichvorallemaufkonservativ-bürgerlicheWert-vorstellungenderWeimarerRepublikberief.ÄhnlichesgiltauchfürdieLiteratur.NacheinerkurzenPhasederAuseinandersetzungmitderRollevonSchriftstellernimNS-RegimeundmitdemMissbrauchderSprache,desAufbauseinerneuen,modernen,nonkonformenLiteratur,setztensichauchimgeistigenLebendieres-taurativenTendenzendurch.FürdenNeuanfangstehtdieLiteraturdes„Kahlschlags“:Wolf-dietrichSchnurre(1920–1989),HansWernerRichter(1908-1993)undWolfgangBorchert(1921–1947).Ausein-andersetzungengabesauchumdieAufnahmederExilautoren,besondersvonThomasMann.SeinRoman„DoktorFaustus“lösteheftigeDiskussionenaus.DarinverwobMannviergroßeGeschichten: Einen Künstlerroman, einen Faustroman, einen Gesellschaftsroman und einenDeutschlandroman.Vor allem die Gleichsetzung Deutschlands mit dem Künstler, der einenPaktmit demTeufel geschlossenhat undvondiesemgeholtwird, sowieDeutschlandvonAdolfHitler,sorgtefürAufregung.Gegen die restaurativenTendenzen setzte sich auch die Gruppe 47 zurWehr. Sie war eineGründungvonHansWernerRichterimJahre1947,eineVereinigungvonAutorInnen,Kriti-kerInnen,LektorInnenundVerlegerInnen,dieeinmalimJahrzusammentrafenundTextevoneingeladenen AutorInnen diskutierten und kritisierten. Sie war bis zu ihrer Auflösung 1967 die meinungsbildendeInstitutionaufliterarischemGebiet.

LyrikBeispielhaftfürdenRückgriffaufTraditionenderWeimarerRepublikistvorallemGottfriedBenn.Erhatte sichzunächstaufdieSeitedesNationalsozialismusgestellt, sichspäteraberdistanziertundwarmiteinemSchreibverbotbelegtworden.SeineKonsequenzausdiesemEr-eignisbestandnach1945darin,jedespolitischeEngagementabzulehnen,allesnurmehrdemschöpferischenAktunterzuordnen.DamitwurdeerbaldzumrepräsentativenAutor,vorallemdurchseinenGedichtband„StatischeGedichte“.InderTraditiondernaturmagischenLyrik(sieheZusammenfassung„LiteraturderNeuenSach-lichkeit“,S.91)standenundihreFortführungbetriebenGünterEichundPeterHuchel.Vom Dadaismus und verwandten Strömungen beeinflusst war die „Konkrete Poesie“, eine sprachspielerischeRichtungderDichtung,diemitdem„konkretenMaterial“derSprache,mit

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denLauten,denBuchstabenundderenauchvisuellerAnordnungspielte.DiewichtigstenVer-treterwarenHelmutHeißenbüttel,EugenGomringerundFranzMon.GegeneineunpolitischeLiteraturwandtesichinsechzigerJahrenimmerdeutlichereinepo-litischengagierte,kritischeLyrik,derenwichtigsterVertreterHansMagnusEnzensbergermitdenGedichtbänden„VerteidigungderWölfe“und„Blindenschrift“war.

DramaGroßeBedeutungfürdasTheaterderfünfzigerundsechzigerJahrehattendieSchweizerAuto-renFrischundDürrenmatt.Max Frisch (1911–1991): „Biedermann und die Brandstifter“ (siehe Zugänge, S. 268 ff.),„Andorra“.FriedrichDürrenmatt(1921–1990):„DerBesuchderaltenDame“,„Physiker“.EineneueFormdesTheaterseröffneteRolfHochhuth(geb.1931),nämlichdasdokumenta-rischeTheater.EswardiesderVersuch,Geschichtemöglichstgetreu,nachdenDokumenten,aufderBühneaufzuarbeiten.DasSchauspiel„DerStellvertreter“behandeltdieFragederMit-wisserschaftunddamitderMitschuldvonPapstPiusXIII.anderJudenvernichtung.HeinerKipphardt(1922–1982):„InderSacheJ.RobertOppenheimer“.PeterWeiss(1916–1982):„DieVerfolgungundErmordungJeanPaulMarats“und„DieErmitt-lung“,eineDramatisierungdesFrankfurterAuschwitzprozesses.InderTraditiondesVolksstückesderzwanzigerJahre,etwaderWerkeÖdönvonHorváths,entstandenindensechzigerJahrenkritischeVolksstücke:MartinSperr(geb.1944):„JagdszenenausNiederbayern“.FranzXaverKroetz(geb.1946):„Stallerhof“,„Geisterbahn“,„Oberösterreich“,„MariaMagdalena“.

EpikVieleRomanedieserZeitsetztensichkritischmitderWirklichkeitderBundesrepublikausein-ander.Gerd Gaiser (1908–1976) kritisierte in seinem Roman „Schlussball“ eine neureiche Wohl-standsgesellschaft.AuchWolfgangKoeppen(1906-1996)unterzogdieBundesrepublikeinerscharfenKritik:„TaubenimGras“,„DasTreibhaus“,TodinRom“.Heinrich Böll (1917–1985, siehe Zugänge, S. 272) wurde in seinen Romanen und Kurzge-schichtenzunehmendzueinemgesellschaftskritischenAutor:„HausohneHüter“,„Billardumhalbzehn“,AnsichteneinesClowns“,„GruppenbildmitDame“.NebenBöllderwichtigsteAutordieserZeitwarGünterGrass(geb.1927):„DieBlechtrom-mel“(sieheZugänge,S.274ff.).MartinWalser(geb.1927)liefertinseinenRomaneneinegenaueBeschreibungundAnalyseder Bundesrepublik, die er dadurch gewinnt, dass er als Hauptfigur einen Handlungsreisen-dendurchDeutschlandreisenlässt,derdabeidieverschiedenensozialenMilieuskennenlernt.„Halbzeit“,„DasEinhorn“,„DerSturz“.UweJohnson(1934–1984):„MutmaßungenüberJakob,„Jahrestage.AusdemLebenderGe-sineCresspahl“.SiegfriedLenz(geb.1926):ErschreibtRomaneundKurzgeschichten,letztereinderNachfolgeHemingways.BesonderserfolgreichwarseinRoman„Deutschstunde“.DerSchweizerMaxFrischbehandelteinseinemRoman„Stiller“dasProblemderIdentität.EinBildhauer,unzufriedenmitseinerExistenz,versuchtsichineinemanderenLanduntereinem

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anderenNameneineneueIdentitätaufzubauen.NacheinigenJahrenkehrterindieSchweizzurückundwirdvomStaatundderBürokratieinseinealteIdentitätzurückgezwungen.IndemRoman„Homofaber“ istdieKonstellationumgekehrt,einMenschgibtdurcherschütterndeEreignisseinseinemLebenseinebisherigeIdentitätZugumZugauf.DiesesThemawirdindemRoman„MeinNameseiGantenbein“nocheinmaldurchgespielt.

InfastallendiesenRomanenwurdenMenschenausbürgerlichemoderkleinbürgerlichemMi-lieubeschrieben.ErstspätbegannmansichauchmitdenArbeiternundihrerArbeitsweltzubeschäftigen.EinewichtigeAufgabeübernahmdabeidie„Gruppe61“,diesichmitderArbeits-weltliterarischauseinandersetzte.ZudenwichtigstenVertreterngehörtMaxvonderGrün(geb.1926)mitdenRomanen„IrrlichtundFeuer“und„StellenweiseGlatteis“.GünterWallraff(geb.1942)wolltenichtbeiderlitera-rischenAuseinandersetzungstehenbleiben,sondernsiemitpolitischerArbeitverbinden.DafürschienihmdieReportageunddieDokumentationbessergeeignet,derenStofferdurcheigene,direkteErfahrungamArbeitsplatzgewann,oftauchunterangenommenenNamenundfalschenAngaben zur Person: „Wir brauchen Dich. Als Arbeiter in deutschen Industriebetrieben“,„13unerwünschteReportagen“.DamiterregteergroßesAufsehenundlösteheftigeDiskussi-onenaus.

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Zusammenfassung:DiedeutscheLiteraturseitEndedersechzigerJahre

Die studentischeProtestbewegung in der zweitenHälfte der sechziger Jahre sahdieKunst,imbesonderendieLiteratur,auchinihreroppositionellenFormalsletztlichbürgerlichan,dienicht imstande sei, die bestehendenVerhältnisse zu ändern. Darauf reagierten SchriftstellerwieHansMagnusEnzensberger,GünterWalraffundAlexanderKlugedamit,dasssieandereAusdrucksformenfürihreInhaltesuchten:Agitproplyrik(LyrikimDienstevonAgitationundPropaganda),Straßentheater,DokumentarliteraturundProtokolle.Manche,wieEnzensberger,WalterBoehlichundKarlMarkusMichelsprachensogarvom„Tod“derLiteratur,gemeintwar,dass siekeinegesellschaftlicheFunktionmehrbesitze.FürkurzeZeitkehrtenmancheAutorendaherdemSchreibenüberhauptdenRücken,umsichdirekterpolitischerPraxiszuzu-wenden.AndereAutorenbliebenbeiihrempolitischengagiertenSchreiben,wieetwaHeinrichBöllmitdemRoman„DieverloreneEhrederKatharinaBlum“,derdieVerfolgungshysteriederstaatlichenOrganeeinerseitsunddieManipulationderMassenpresseandererseitskritischaufsKornnahm.Denemanzipatorisch-aufklärerischenAnspruchderStudentenbewegungentwickelteeineneueFrauenliteraturweiter:Subjektivität,SensibilitätundSpontaneitätwurdendieprägendenLeit-begriffe.KarinStruckundVerenaStefan(sieheZugänge,S.64)schufenersteWerkefürdieseRichtung.AufdiePolitisierungdersechzigerJahrebegannenindensiebzigerJahrenimmermehrjünge-reAutorenmiteinerHinwendungzuSubjektivität,zuInnerlichkeit,vermehrtemInteresseanLebensläufenundAutobiographien,zuFiktionundzuMythosundReligionzuantworten.FürletzteressindzumBeispiel„Momo“und„DieunendlicheGeschichte“typisch,diesoer-folgreichenRomanevonMichaelEnde(geb.1929).RadikaleSubjektivität,verknüpftmiteinerschonungslosenDarstellungderGesellschaftbietetdasBuch„Mars“vonFritzZorn(Pseudo-nymfüreinenZürcherMillionärssohn,der1976imAltervon32JahrenanKrebsstarb).Eineaufklärungskritische,konservativeWendevertrittBothoStrauß(geb.1944).BrachteimBereichderLyrikdieStudentenbewegungeinestarkeWendungzurpolitischenLy-rik,sogingmanindensiebzigerundachtzigerJahrenunterdenSchlagwörtern„NeueSubjek-tivität“und„NeueInnerlichkeit“verstärktzusubjektiverDarstellungdesAlltags,derpersön-lichenErfahrungundaufSelbsterlebteszurück.DazugehörteeinVerzichtauf„Künstlichkeit“und„Artistik“,aufMetaphern.DieAlltagssprache,dasSprechenwieimAlltag,eine„Entschla-ckung“derLyrikwurdenwichtig.ImTheaterwurdendieTraditiondesVolksstückesundauchdasDokumentarischeTheaterfort-gesetzt.Für letztereRichtungistvorallemTankredDorst (geb.1925)zunennen:„Eiszeit“,„GoncourtoderdieAbschaffungdesTodes“.MitseinenStücken,diedieprivateErfahrungvonNötenundÄngstenunddieAbwendungvomPolitischendarstellen,warBothoStraußindensiebzigerundachtzigerJahrenerfolgreich.

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Zusammenfassung:DieLiteraturderDDR

DieLiteraturwargeprägtvonderAufgabe,demAufbaudesSozialismuszudienen.Siesolltedabei dieWirklichkeit realistisch abbilden und derenVeränderung im oben genannten SinnzumZielhaben(SozialistischerRealismus).DazufördertederStaatdieantifaschistische,links-bürgerlicheundkommunistischeLiteraturdervergangenenJahrzehnteundverhindertedurchPublikationsbeschränkungen,durchLenkungderVerlageundZensurdasEntsteheneinerihmnichtgenehmenLiteratur.Erst indensechziger JahrenbegannsichmitChristaWolfs (geb.1928)Roman„NachdenkenüberChristaT.“eineWendeabzuzeichnen.UlrichPlenzdorfsRo-man„DieneuenLeidendes jungenW.“ (sieheZugänge,S.46)undChristaWolfsRomane„KeinOrt.Nirgends“,„Kindheitsmuster“undvorallem„Kassandra“(sieheZugänge,S.318)setztendieseBefreiungausstarrerVorgabefort.AndererseitsführtedieBeibehaltungderZensur immermehrzukritischenPositionen.WolfBiermann(geb.1936)kritisiertemitseinenpolitischenLiedernimmerunverhüllterStaatundVerhältnisse,was1976zuseinerAusbürgerungführte.IndenJahrendanachfolgtenihmvielewichtigeAutoren,gezwungenoderfreiwillig,nach,sodassmanvoneinerneuerlichenExillite-ratursprechenkonnte.DieLyrikderDDRhieltsichantraditionelleFormenundSprache.VorbilderwarenFriedrichKlopstock,BertoltBrecht.DiewichtigstenVertreter sindJohannesBobrowski (1917-1965),SarahKirsch(geb.1935)undGünterKunert(geb.1929)

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Zusammenfassung:ÖsterreichischeLiteraturvon����biszurGegenwart

Österreich verdankte seine Befreiung von der nationalsozialistischen Herrschaft nicht einergemeinsamenErhebungderBevölkerung,sonderndenalliiertenArmeen.DiedarauffolgendeBesatzungszeitwurdedaherauchnichtzueinertiefgehendenAuseinandersetzungmitderVer-gangenheit und der Rolle Österreichs und der Österreicher im nationalsozialistischen Herr-schaftssystemgenützt,sondernmanrichteteessichbequemmitderLügeein,Österreichseidaserste Opfer gewesen. Dies wurde noch verstärkt durch die offizielle Politik der Regierungen. BisweitindiesechzigerJahrebildetendiegroßeKoalition,derProporz(eineArtAufteilungaller einflussreichen Posten und Ämter unter den beiden großen Parteien ÖVP und SPÖ) und diedementsprechendeParteibuchwirtschaft(BesetzungwichtigerPostenundÄmtervorrangignachParteizugehörigkeit)dieGrundlagedespolitischenSystems.AufkulturellerEbeneent-sprachdemdiebewussteBetonungeinesÖsterreichbewusstseins,daseinerseitsseineBegrün-dungineinemRückgriffauchaufweitzurückliegendeEpochenderösterreichischenGeschich-tesuchteundandererseitsInstitutionenwiedieWienerPhilharmoniker,dieSängerknaben,dieSalzburgerFestspielezudiesemZweckbenutzte.EngdamitverbundenwareinekonservativeWende,dieesallenmodernenAnsätzeninKunstundLiteraturäußerst erschwerte, sichbemerkbarzumachen.DiesekonservativeGrundein-stellungderfünfzigerundfrühensechzigerJahrewarsoetwaswieeinSpiegelbildderkonser-vativenundbewahrendenPolitik,derenkennzeichnenderAusdruckaufpolitischerundwirt-schaftlicherEbenedieSozialpartnerschaftwar.SiebestimmtemitihrerKonsenspolitikauchinderPhasederAlleinregierungenvon1966bis1983imHintergrundmaßgeblichmit.Diesichverschärfenden wirtschaftlichen Probleme der späten achtziger und neunziger Jahre führtenwiederzurgroßenKoalitionzwischenSPÖundÖVP.DiesteigendeArbeitslosigkeitunddiesichverschärfendenVerteilungskämpfebegannenauchdasbishersoreibungslosfunktionieren-deSystemderSozialpartnerschaftinFragezustellen.DieVoraussetzungen füreinemoderneLiteraturwaren inÖsterreichnach1945äußerstun-günstig.SoverhindertediekonservativeGrundströmungfastjedenAnsatzindieserRichtung,die offizielle Kulturpolitik stellte und stellt nur relativ geringe Mittel zur Verfügung, mit denen außerdemlangeZeitnurkonservativeAutorengefördertwurden.AvantgardistischeStrömungenundalles,wasalspolitisch linksverdächtigtwurde,wurdeabgelehnt.SokonntenFriedrichTorbergundHansWeigelbis1963fastlückenlosverhindern,dassBertoltBrechtinÖsterreichaufgeführtwurde.AußerdemwarundistdieZahlderLeserinÖsterreichrelativgering,daherauchdieEinnahmesituationderösterreichischenSchriftstellerbisaufwenigeAusnahmensehrschlecht.DaesauchfürdenkleinenliterarischenMarktnurwenigeVerlagefürGegenwartsli-teraturgabundgibt,warenundsindvieleAutorengezwungen,beibundesdeutschenVerlagenzu verlegen, die höhere Auflagen bieten können.EinegewissePublikationsmöglichkeitbotenZeitschriften.GleichnachdemKriegwurdeOttoBasils„Plan“wichtigstesOrganeinerAuseinandersetzungmitderVergangenheit.Einewesent-licheRollefürdieavantgardistischeLiteraturspieltedieZeitschriftdesTheatersderJugend„NeueWege“.AbdensechzigerJahrengewannendieZeitschriften„manuskripte“,herausge-

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gebenvonAlfredKolleritsch,und„Wespennest“,begründetvonPeterHenischundHelmutZenker,immermehranBedeutung.DerGegensatzzwischenkonservativenundavantgardistischenKräftenwurdebesondersdeut-lich im österreichischen PEN-Club. Enttäuscht von der konservativen Vorherrschaft darin–dessenPräsidentAlexanderLernet-Holeniawar ausProtest zurückgetreten,weilHeinrichBöll1972denNobelpreisfürLiteraturerhaltenhatte–gründetenAutorenwieErnstJandldie„GrazerAutorenversammlung“, der dieAutoren der avantgardistischen Gegenwartsliteraturpraktischgeschlossenbeitraten.

LyrikGegendieSprachverluderungderNS-ZeitversuchtemansichinderLyrikzunächstdereige-nenösterreichischenTraditionzuvergewissern:RainerMariaRilkeundGeorgTraklwurdendiegroßenVorbilder.ChristineLavant(1915–1973),ChristineBusta(1915–1987),PaulCelan(sieheZugänge,S.266)undIngeborgBachmann(sieheZugänge,S.48)sindhierzunennen.VondenExilautoren,dienachdemKriegnochweiterwirkten,istwohlderbedeutendsteThe-odorKramer (1897–1958).ErichFried (1921–1988, sieheauchZugänge,S.307)versuchtezunächstmitseinerTechnikdes„ernsthaftenWortspiels“inseinen„Warngedichten“eherall-gemeinvornegativenEntwicklungenzuwarnen,begannaberunterdemEindruckderProtest-bewegunginderzweitenHälftedersechzigerJahresichradikalzuengagieren.SeineGedichtewendetensichetwagegendenVietnamkrieg.EinebesondereEntwicklungaufdemGebietderLyrikzeigenvieleTexteder„WienerGruppe“(sieheZugänge,S.282).EinegewisseBerührungmitderWienerGruppehatteauchErnstJandl(1925–2000),derer-folgreichste experimentelle Lyriker. In seinen Gedichten experimentierte er mit Sprache,sprachlichenVerfahrensweisenundzerstörtedieNormendesSprachgebrauchs.JandlundseinelangjährigeLebensgefährtinElfriedeMayröcker(geb.1924)prägtenentscheidenddasBildderösterreichischenexperimentellenLiteraturderGegenwart.

EpikAufdemGebietdesErzählenswarenFranzKafka,RobertMusilundHermannBrochdiegroß-enVorbilder.BisindiesechzigerJahrewarHeimitovonDoderer(1896–1966)diedominieren-deFigur,vorallemdurchseineRomane„DieStrudlhofstiege“und„DieDämonen“,diesichmitÖsterreichvorundnachdemErstenWeltkriegbeschäftigten.IlseAichingers(geb.1921)Roman„DiegrößereHoffnung“setztsichkritischmitFaschismusundWeltkriegauseinander(vergleicheauchZugänge,S.278).VondenjüngerenAutoren,dievorallemdiesiebziger,achtzigerundneunzigerJahrebestimm-ten,sindzunennen:PeterHandke(geb.1942):„WunschlosesUnglück“(sieheZugänge,S.316),„DieAngstdesTormannesbeimElfmeter“,„DerkurzeBriefzumlangenAbschied“,„MeinJahrinderNie-mandsbucht“.Gerhard Roth (1942–....): „Der große Horizont“, „Landläufiger Tod“, „Der stille Ozean“.ThomasBernhard(1931–1989):(sieheZugänge,S.312).DiebäuerlicheArbeitsweltrücktRolandInnerhofer(1944–2002)insZentrumseinerRomantri-logie„SchöneTage“,„Schattseite“,„DiegroßenWörter“.Die Arbeitswelt stellt Gernot Wolfgruber (1944–2002) in seinen Romanen dar, in deneneigeneErfahrungenverarbeitetsind:„AuffreiemFuß“,„Herrenjahre“,„Niemandsland“.

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DiebedeutendstenSchriftstellerinnendieserZeitsind:IngeborgBachmann(sieheZugänge,S.308).ElfriedeJelinek(geb.1946):„DieLiebhaberinnen“,„DieKlavierspielerin“,„Lust“.ChristophRansmayr(geb.1954;sieheZugänge,S.320)feierteEndederachtzigerundAnfangderneunzigerJahremitseinenRomanen„DieSchreckendesEisesundderFinsternis“,„DieletzteWelt“und„MorbusKitahara“großeErfolge.

DramaAufdemTheaterwarderRückgriffaufdieTradition,derVersuch,Kontinuitätherzustellen,besondersdeutlich.IndiesemSinnegelangenFritzHochwälder(1911–1986)erfolgreicheStü-cke:„DasHeiligeExperiment“,„DeröffentlicheAnkläger“.NebendiesenStückenhistorischenInhaltssetztesichHochwälderauchkritischmitderGegenwartauseinander.Sokritisiert„DerHimbeerpflücker“ satirisch den alten und neuen Rechtsradikalismus.Neue experimentelleWege auf demTheater beschritt Peter Handke mit den Sprechstücken„Publikumsbeschimpfung“und„Kaspar“,daseineeineAuseinandersetzungmitderInstitutionselbst,dasandereeinemitSpracheundihrerWirkung.DrastischeDarstellungderWirklichkeitaufderBühnegelangWolfgangBauer(1941–2005)vorallemmitseinenfrühenStücken„MagicAfternoon“und„Change“.EinenEntrüstungssturm löstenCarlMerzundHelmutQualtingermitdemStück„DerHerrKarl“aus,vorallemdurchdieFernsehfassung(sieheZugänge,S.284).FürdasFernsehengeschriebenwurdeauchdie„Alpensaga“vonPeterTurrini(geb.1944)undWilhelmPevny(geb.1944).AmBeispieleinerBauernfamiliewurdeinsechsFolgendieGe-schichteÖsterreichsvon1899bis1945aufgearbeitet.

Literaturhinweise:NeuesHandbuchderdeutschsprachigenGegenwartsliteraturseit1945.DeutscherTaschenbuchVerlag,München1993ManfredDurzak(Hg.):DeutscheGegenwartsliteratur.PhilippReclamjun.,Stuttgart1981HansersSozialgeschichtederdeutschenLiteratur.Band10:Literatur inderBundesrepublikDeutschland bis 1967, Band 11: Die Literatur der DDR, Band 12: Gegenwartsliteratur seit1968.DeutscherTaschenbuchVerlag,München1983f.Wendelin Schmidt-Dengler: Bruchlinien. Vorlesungen zur österreichischen Literatur 1945–1990.Residenz,Salzburg–Wien1995SozialgeschichtederdeutschenLiteraturvon1918biszurGegenwart.Hg.vonJanBergu.a.FischerTaschenbuchVerlag,FrankfurtamMain1981ViktorZmegac(Hg.):GeschichtederdeutschenLiteraturvom18.JahrhundertbiszurGegen-wart. Bd. III/2: 1945-1980. 2. Aufl. Beltz Athenäum, Weinheim 1994